Der Kaliph und sein Wessir

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Textdaten
Autor: unbekannt
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Titel: Der Kaliph und sein Wessir
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aus: Arabische Mährchen. Neu bearbeitet. Erstes Bändchen 1839, S. 5-9
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1839
Verlag: Franz Heinrich Köhler
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originaltitel: Alf laila wa-laila (Tausendundeine Nacht)
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Kaliph und sein Wessir.

Es ist im ganzen Orient bekannt, daß der Kaliph von Bagdad, Harun al Raschid die Gewohnheit hatte, in Begleitung seines Günstlings, des Wessir Giafar, verkleidet durch die Straßen und Vorstädte von Bagdad spazieren zu gehen. Er sah dies als ein Mittel an, eine Menge von Mißbräuchen kennen zu lernen, die der Aufmerksamkeit seiner Untergebenen entgingen, oder vielleicht absichtlich von ihnen übersehen wurden.

Auf einer dieser nächtlichen Spaziergänge sah er bei Mondschein unter einer Halle drei Männer sitzen, die ihrem Anzuge nach aus dem Mittelstand waren. Sie schienen im tiefen Gespräch zu seyn. Der Kaliph schlich sich zu ihnen, ohne bemerkt zu werden, und hörte, daß jeder sein Schicksal auf das bitterste verwünschte und sein Unglück für das einzige und größte auf Erden erklärte. Kann es wohl, sagte der erste, irgend einem Muselmann so übel gehen, als mir? Nie möge der Prophet seinem erwählten Stamme wohlwollen, wenn ich nicht von früh bis in die Nacht ein Opfer des Kummers [6] und der Sorgen bin. Ich habe einen Nachbar, dessen Dichten und Trachten einzig und allein darauf geht, mich in allem, was ich thue, zu stören, meinen guten Ruf zu verunglimpfen, und meinen Handelsspeculationen Hindernisse in den Weg zu legen; einen Nachbar, den Allah nur darum mit außerordentlicher Geistes- und Leibeskraft ausgerüstet zu haben scheint, um allen meinen Plänen entgegen zu arbeiten, und mir jede Freude zu verbittern. – Ach! sagte der zweite, deine Lage ist allerdings traurig; aber glaube mir, gegen die meinige ist sie doch noch golden. Nur deine Tage sind kummervoll; des Nachts hingegen kannst du ruhig auf deinem Kissen liegen und in den Armen des Schlummers deinen Verdruß, deinen Nachbar und dich selbst vergessen. Ich hingegen habe keinen Augenblick Ruhe, meine Tage sind kummervoll und meine Nächte noch mehr. Ach! fuhr er fort, ich habe ein Weib, das mich immer und ewig martert; bei allen meinen Arbeiten, wenn ich esse oder trinke, ja selbst in meinem Bette quält mich ihre Gegenwart. Unaufhörlich verwundet mich ihre giftige Zunge und reizt meine Galle; ich habe keine Hoffnung, Ruhe zu finden, als im Grabe. – Als der Mann schwieg, fing der dritte zu reden an: Ich habe euch beiden geduldig zugehört, aber ach! was ist euer Kummer gegen den meinigen! Ich bin doppelt so unglücklich, als ihr. Ich habe einen ausschweifenden, liederlichen, nichtswürdigen Sohn. Allen Ermahnungen, allen Züchtigungen zum Trotz, hab’ ich ihn von Laster zu Laster fortschreiten sehen, bis er endlich der Abschaum der menschlichen Natur geworden ist. Jede Stunde erwarte ich, daß die Rache Mahomets über ihn kömmt, oder daß die Gesetze dieses Landes ihn erreichen und bestrafen werden. – Ein tiefer Seufzer beschloß diese Rede und nachdem die drei bekümmerten [7] Männer noch einiges andere gesprochen hatten, nahmen sie Abschied und jeder ging seines Wegs.

Giafar, sagt der Kaliph zu seinem Wessir, suche zu erfahren, wer diese drei Männer sind, und laß sie morgen im vollen Divan erscheinen, meinen Befehl zu vernehmen. Giafar that, wie sein Herr ihm geboten hatte; die drei Muselmänner wurden von der Wache des Kaliphen in das Serail geführt und jeder fürchtete, die Bastonade zu bekommen, oder den Kopf zu verlieren, ob er gleich die Ursache seiner Gefangennehmung schlechterdings nicht errathen konnte. Als der Divan versammelt war und der Kaliph, von den Imans, den Emirn und den Großen des Hofs umringt, auf dem Throne saß, befahl er mit lauter Stimme, die drei Unglücklichen vor ihn zu bringen. Freund, sagt Harun al Raschid zu dem ersten, du hältst dich, wie mich dünket, für höchst unglücklich; erzähle die Ursachen deines Kummers den weisen Männern, die du hier um mich versammelt siehst. Der Mann suchte anfänglich Ausflüche; aber da der Wessir auf den Scharfrichter zeigte und sagte: der Kaliphe habe selbst einen Theil ihres Gesprächs vernommen, sagte der Mann: er sey in der That der unglücklichste aller Menschen; denn unaufhörlich werde er von einem verruchten Nachbar verfolgt. Als er seine Erzählung geendigt hatte, sagte der Kaliph mit zorniger Stimme zu seinen Trabanten: Ergreift diesen Schurken und gebt ihm fünfhundert Streiche. Die Imans, die Emirn und Großen des Hofs sahen einander erstaunt und verlegen an, aber keiner wagte zu reden. Ohne die Verwunderung des Divans zu beachten, rief der Chaliph den zweiten Unglücklichen auf und sagte: Nun, Freund, was sagst du? auch du bist, denk’ ich, einer von denen, auf welche Mahomet nicht freundlich herabblickt. Der Mann hatte [8] das Schicksal seines Nachbars gesehen, und wußte nicht, was er thun sollte. Gern hätte er geschwiegen; aber da ihm der Chaliph mit gebieterischer Stimme noch einmal zu reden befahl, und er fürchtete, es möchte ihn noch etwas schlimmeres, als eine Bastonade, erwarten, gestand er mit zitternder Stimme: daß ihn sein böser Genius, in der Gestalt eines mannhaften Weibes, Tag und Nacht übel plage. Ergreift diesen Schurken, rief Harun al Raschid aus, und gebt ihm auf der Stelle fünfhundert Streiche. Die Imans, die Emirn und Großen des Hofs sahen sich zum zweitenmal erstaunt und verlegen an; aber alle beobachteten das tiefste Stillschweigen. Jetzt wurde auf des Kaliphen Befehl der dritte Mann vorgeführt. Muselmann, sagte Harun in einem etwas mildern Tone, laß uns die Geschichte deines Kummers hören. Herrscher der Gläubigen, sagte der Mann, ich nehme wahr, daß dir der Kummer bekannt ist, welcher mein Herz belastet; doch wiederhol’ ich auf deinen Befehl und ohne zu zaudern, in Gegenwart deines Hofes, daß ich einen nichtswürdigen Sohn habe, welcher die Schande der Menschheit und der Kummer meines Alters ist. – Führt diesen ehrlichen Mann hinweg, sagt der Kaliph, und gebt ihm auf der Stelle tausend Zechinen. Zum drittenmal sahen sich die Imans, die Emirn und Großen des Hofs voll Verwunderung an, ohne daß einer von ihnen es wagte, nach den Gründen dieser unerwarteten Befehle zu fragen.

Jetzt sah der Kaliph mit Wohlgefallen auf sie herab, erhob sich von seinem Thron und sprach: Moslems, das Urtheil, welches ich an dem heutigen Tage in Eurer Mitte ausgesprochen habe, scheint einigen von euch hart und strenge, allen aber unerklärlich zu seyn. Hört dann meine Gründe und lernt die Gerechtigkeit eures Fürsten [9] kennen. Es gibt nur einen Gott, und Mahomet ist sein Prophet – sollen sich Muselmänner gegen Allah erheben und gegen ihn über Leiden klagen, die sie durch eigene Kraft hinwegräumen können? Soll unser heiliger Prophet Klagen und Thränen hören, die aus der Trägheit und Kleinmüthigkeit seiner Knechte entspringen? Der erste Mann, dessen Geschichte ihr vernommen habt und den ich bestrafte, wie er verdiente, klagte die Güte der Vorsehung und die Gerechtigkeit meiner Regierung wegen eines Uebels an, von dem – er sich selbst mit leichter Mühe befreien konnte. Ich will glauben, daß, er einen schlimmen und ungerechten Nachbar hat, aber stand es nicht in seiner Gewalt, seinen Wohnplatz zu verändern und seinen Handel an einem andern Orte zu führen? – Eben so ungerecht waren die Klagen des andern. – Denn warum beschwert er sich über die Vorsehung Gottes oder seines heiligen Propheten, wenn er selbst das Mittel in den Händen hat, seine Leiden zu endigen? Er hat ein schlimmes und nichtswürdiges Weib, sagt er. Aber konnte er nicht sogleich mit ihr zum Cadi gehen, ihr einen Scheidebrief geben und sie fortschicken? Was den dritten Mann anbetrifft, so befragt euer eigenes Herz, lobt meine Gerechtigkeit. – Wer kann fliehen vor einem undankbaren Sohn? welche Veränderung des Orts, welcher Ausspruch des Gesetzes kann gegen diesen Kummer schützen? Er folgt uns in die Ferne, er quält uns in der Einsamkeit, er verbittert unsere Mahlzeiten und verscheucht den Schlaf. In diesem Falle ist Mitleiden die kleinste Gabe, die wir dem Unglücklichen gewähren können, und Freigebigkeit ist hier nichts weiter, als Gerechtigkeit.

Die Imans, die Emirn und Großen des Hofs waren nicht länger erstaunt, sondern priesen laut die Weisheit des Kaliphen.