Der Kampf der Burenrepubliken gegen England
[769] Der Kampf der Burenrepubliken gegen England. (Mit Abbildungen.) Das hohe Selbstvertrauen, mit welchem die beiden Burenrepubliken in Südafrika zu den Waffen gegriffen haben, um ihre Unabhängigkeit gegen die Riesenmacht Englands zu behaupten, ist nach den Siegen, welche die tapferen Transvaalburen schon früher über britische Truppen davontrugen, nicht unberechtigt gewesen. Der zähe, stolze Unabhängigkeitssinn, welcher 1848 die ältere Generation dieses niederdeutschen Freibauernvolkes bestimmte, das von England annektierte Natal zu verlassen und sich mit ihren Herden auf den Hochebenen nördlich des Vaalflusses anzusiedeln, hat im Kriege von 1880 und 1881 schon einmal in entscheidenden Kämpfen über Englands Herrschaftsgelüste triumphiert. Ihre seither nur für Verträge mit auswärtigen Staaten beschränkte Unabhängigkeit hat die Transvaalrepublik dem glänzenden Sieg ihrer Truppen am Majubaberg über das von Natal heranmarschierte englische Korps am 27. Februar 1881 zu verdanken. Die Schnelligkeit, mit welcher Präsident Krüger im Jahre 1895 die Verschwörung von englischen Kolonisten in Johannesburg zu unterdrücken verstand, die Schlagfertigkeit, mit welcher General Joubert dem von Cecil Rhodes, dem damaligen Minister der Kapkolonie, angezettelten Einfall Jamesons aus Betschuanaland bei Krügersdorp zu begegnen wußte, konnten das Vertrauen der Buren in die eigene Kraft nur erhöhen. In harten Kämpfen mit den kriegerischen Stämmen der Zulukaffern und Betschuananeger hatten sie ihre Herrschaft in dem weiten fruchtbaren Bergland zwischen dem Limpopo und dem Vaalfluß befestigt, ehe die Entdeckung der Goldfelder in Witwatersrand jenen Zuzug fremder, besonders englischer Kolonisten bewirkte, welcher in wenig Jahren das neugegründete Johannesburg zu einer Stadt von 100000 Einwohnern anwachsen ließ und bald jene Ansprüche der „Uitlanders“ auf Beteiligung an der Verwaltung des Landes zur Folge hatte, die den jetzigen Konflikt mit England herbeigeführt haben.
Ein stehendes Heer in unserm Sinne hat dies freiheitsliebende Hirtenvolk nicht, dessen Verfassung noch einen ganz patriarchalischen Charakter hat und das mit großer Treue an den von seinen Vätern ererbten Einrichtungen und Gewohnheiten festhält. Noch immer lebt die Mehrzahl der Burghers auf weitumgrenzten, über das ganze Land verstreuten Farmen, deren Ausdehnung ihnen mit ihren Herden eine Art von nomadisierendem Leben gestattet. Jeder ihrer Söhne wird von klein auf zu einem treffsicheren Schützen und einem vorzüglichen Reiter erzogen. Im Kriegsfall ist jeder Bürger vom vollendeten 16. bis zum 60. Jahre verpflichtet, sich dem Dienst fürs Vaterland zu stellen. Sobald den Burgher der Aufruf seines Feldkornets (Bezirkskommandeurs) erreicht, bestellt er sein Haus, bepackt sein bestes Pferd mit Mundvorrat für sich und Futter für dieses, wirft das breite Patronenbandelier um die Schulter, greift zur Büchse und sprengt, nachdem er Abschied von den Seinen genommen, dem Orte zu, der ihm als Stellungspunkt angegeben wurde. Oft kommt es vor, daß Vertreter von drei Generationen, der Großvater mit Söhnen und Enkeln, vereint dem Heerrufe folgen. Eine Uniform tragen die berittenen Schützen nicht. In Friedenszeiten unterhält die Transvaalrepublik, [770] ebenso wie der Oranje-Freistaat, nur eine kleine Artillerietruppe und eine Abteilung Feldtelegraphisten. Auch giebt es kleinere Freiwilligenkorps nach englischem Muster, die zu kurzen Uebungen einberufen werden. Diese Truppen haben Uniformen, deren Stücke teils an holländische, teils an englische Muster erinnern. Die Bewaffnung der Buren ist, soweit Schießwaffen in Frage kommen, eine vorzügliche; die berittenen Schützen haben Mausergewehre, die Artillerie verfügt über neue Schnellfeuerkanonen und Maximgeschütze. Für das Handgemenge fehlt es aber den meisten an blanken Waffen.
Da das Transvaal – die seit 1884 bestehende Bezeichnung „Südafrikanische Republik“ hat sich nicht einbürgern wollen – bei seiner Ausdehnung über 321 700 qkm doch nur eine Burenbevölkerung von 288 750 umfaßt, wovon 166 400 männlichen Geschlechtes sind, von denen nur 29 279 im kriegspflichtigen Alter stehen, ist die Truppenmacht, die es ins Feld stellen kann, keine große nach europäischen Begriffen. Aber zur Verteidigung des gebirgigen Landes, das von Bergzügen und Schluchten durchzogen ist und dessen Zugänge sich durch Engpässe winden, sind diese Truppen eine ganz ansehnliche Macht, zumal die Burghers ihr Bestes im Guerillakrieg leisten und es, wie einst Andreas Hofers Tiroler Schützen, meisterlich verstehen, beim Schießen jeden natürlichen Schutz, Felsen und Bäume, geschickt als Deckung zu benutzen. Auch hält sich der Bur nicht ängstlich an jene Altersgrenzen und im letzten Kriege zogen selbst Frauen und Töchter mit gegen den Feind und halfen ihren Männern beim Schießen. Auch jetzt wieder regt sich dieser kriegerische Sinn der Burenfrauen, und gleich bei Beginn des Kriegs hat sich in Pretoria eine weibliche Leibwache um den alten allgemein verehrten „Ohm Paul“, den Präsidenten Krüger, gebildet, der diesmal zunächst darauf verzichtete, mit ins Feld zu ziehen. Durch das Bündnis mit dem Oranje-Freistaat, dessen Präsident Martinus Steijn mit Recht die Ueberzeugung vertrat, daß die Annexion des Transvaals durch England auch die des eigenen Landes zur Folge haben müsse, erhält das Burenaufgebot eine Verstärkung von ungefähr 10 000 Mann, wobei die von Major Albrecht vortrefflich ausgebildete Artillerie ins Gewicht fällt. Major Albrecht ist ein Deutscher, der früher Wachtmeister bei der Gardeartillerie in Berlin war. Ein Freikorps von Buren aus der englischen Kapkolonie, den „Afrikanders“, ein deutsches, ein französisches, ein holländisches, ein irisches Freikorps erhöhen weiter den Truppenstand. Das deutsche Freikorps, das unter dem Kommando des Obersten Schiel in den Krieg zog, soll auf 4000 Mann angewachsen sein.
Beim Ausbruch des Krieges waren somit die Buren den englischen Truppen an Zahl noch überlegen. Denn den unter dem Oberbefehl des Generals Joubert an der Ostgrenze gegen Natal operierenden etwa 20 000 Mann zählenden Buren, bei denen auch das deutsche Freikorps sich befand, konnten von General White kaum 12 000 Mann gegenübergestellt werden, von denen die Hälfte eben erst aus Indien herübergekommen war. Ueber die Westgrenze gegen Betschuanaland und Kimberley waren etwa 10 000 Transvaalburen unter General Cronje ins Feld gerückt, gegen welche Oberst Baden-Powell zunächst kaum 3000 Mann zur Verfügung hatte. In Kapland verfügte England ungefähr über die doppelte Zahl, des Angriffs der Oranjeburen gewärtig. Einen englischen Vorstoß von hier aus mußte die Haltung der Afrikander in Kapland vorläufig verhindern. Diese Lage aber hat sich seitdem täglich geändert. Noch vor dem Armeekorps, das inzwischen in England eingeschifft wurde, sind weitere Regimenter aus den Kolonien des großen Reiches eingetroffen, und der von England am 14. Oktober abgereiste General Sir Redvers Buller, dem der Oberbefehl über die englischen Truppen in Südafrika übertragen wurde, kann bei seiner Ankunft dort bereits über eine den Buren an Zahl überlegene Truppenmacht verfügen.
Der Oberkommandant der Truppen des Transvaals, General Pieter Joubert, hat sich im Kriege von 1880, vor allem durch den Sieg am Majubaberg, besonderen Ruhm als Taktiker des Guerillakriegs erworben. Er ist aber auch der Organisator der bis zum Einfall Jamesons sehr vernachlässigten, jetzt neuausgestatteten Artillerie, und gleich die ersten Vorstöße der Buren nach Osten und Westen haben gezeigt, daß seine Taktik auch den durch den Bau von Eisenbahnen durch Transvaal geschaffenen neuen Grenzverhältnissen Rechnung zu tragen bemüht ist. Der alte Graubart gehört einer jener alten Hugenottenfamilien an, die fast gleichzeitig mit den Buren nach Südafrika kamen.
Der zum Oberkommandanten der englischen Truppen ernannte General Buller hat gleichfalls schon früher in Südafrika sich Siegeslorbeer gewonnen. Der heute Sechzigjährige hat den größten Teil seiner Dienstzeit in Afrika zugebracht und namentlich im Kriege gegen die Zulus 1878/79 sich als hervorragend tapfer bewährt. Im Jahre 1881 war der damalige Oberst Buller zum Generalstabschef Sir Evelyn Woods im Kampfe gegen die Buren ausersehen. 1885 war er Generalstabschef Lord Wolseleys im Sudan-Feldzug. Im Gegensatz zu Buller ist der zunächst in Natal kommandierende General Sir Georges White ein Fremdling in Afrika. Er kam aus Indien, wo er seine ganze Dienstzeit verbrachte, mit den kürzlich in Durban gelandeten Truppen.
Der Führer des deutschen Freikorps, Oberst Adolf Schiel, der nach englischen Meldungen bereits in dem Kampfe bei Elandslaagte in Gefangenschaft geriet, stammt aus Frankfurt a. M., wo er 1858 zur Welt kam. In jungen Jahren trat er in das Braunschweiger Husarenregiment ein, folgte aber nach kurzer Dienstzeit der Aufforderung eines in Kapland ansässigen Freundes und wanderte nach Südafrika aus. Dort wurde er militärischer Berater von Dinizulu, dem Sohn des Kaffernkönigs Cetewayo. Später trat er in den Dienst der Transvaalregierung, die ihn zum Regierungsbevollmächtigten für die Eingeborenen im nördlichen Transvaal ernannte, wo er siegreiche Kämpfe gegen die wilden Basutos führte. Als Adjutant des Generals Joubert in Pretoria war er auch dessen Berater bei Erbauung des die Stadt Johannesburg beherrschenden Forts.
Die Regierung des Deutschen Reichs hat sich beim Ausbruch des Krieges für strengste Neutralität entschieden. Dies kann nicht hindern, daß man im deutschen Volke mit warmer menschlicher Teilnahme den heldenhaften [771] Kampf verfolgt, in welchem die Buren, diese tapferen Söhne niederdeutschen Stammes, im fernen Südafrika Gut und Blut für ihre Unabhängigkeit und Freiheit einsetzen.