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Der Kampf wider die Geheimmittel

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Textdaten
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Titel: Der Kampf wider die Geheimmittel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 75–76
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Kampf wider die Geheimmittel.

Es ist eine betrübende, aber unabweisbare Pflicht der Presse, den Kampf gegen die Hydra der Geheimmittel immer wieder aufzunehmen und weiterzuführen. Unabweisbar ist diese Pflicht, weil immer noch durch das Unwesen der Geheimmittel dem Volkswohlstand riesige Summen abgepreßt werden zu gunsten einiger gewissenloser Schwindler, weil immer noch eine Menge Menschen durch unsinnige Kuren an ihrer Gesundheit Schaden erleidet, und wenn es – das ist noch der günstigste Fall – auch nur dadurch wäre, daß sie über den Quacksalbereien die beste Zeit zu einer richtigen Kur unter Leitung eines ernsthaften Arztes versäumen. Betrübend aber ist diese Pflicht um deswillen, weil die fortgesetzte Notwendigkeit dieses Kampfes einem offenbar nicht unbeträchtlichen Teile unserer Mitbürger und Landsleute das beschämende Zeugnis ausstellt, daß sie für diese Art Schwindel noch immer empfänglich sind. Wie oft haben nicht die „Gartenlaube“ und andere Blätter vor allen diesen in pomphaften Zeitungsreklamen angekündigten Wundermitteln gewarnt! Welche Mühe haben sich Aerzte und Behörden gegeben, durch Veröffentlichungen aller Art die weitesten Kreise über das Gemeinschädliche und Gemeingefährliche dieser im Dunkeln hantierenden Heilkünstler aufzuklären! Und immer noch scheint es viele Leute zu geben, die von diesen Warnungen nicht erreicht oder nicht überzeugt werden, oder die sie in sträflichem Leichtsinn allzu rasch wieder vergessen. Denn es läßt sich kaum eine Abnahme in der Zahl der Geheimmittelanzeigen bemerken. Ist irgend ein Mittel einmal öffentlich recht tüchtig gebrandmarkt worden, flugs wird die Flagge, unter der es segelte, ein- und eine andre aufgezogen. Ein und dasselbe Tränkchen, Sälbchen, Pillchen oder Pülverchen half vor Jahren gegen Asthma, später gegen Nervenleiden und heute soll’s gegen Gehörschwäche helfen. Und hieß sein „berühmter“ Erfinder gestern X, so heißt er heute Y und morgen Z. Oder der Erfinder schiebt zwischen sich und das Publikum, d. h. eigentlich zwischen sich und die Polizei einen Strohmann – kurz, diese Hamster im Getreidefelde der Medizin finden immer neue Schliche, ihre Backentaschen zu stopfen.

Schon bei den „brieflichen Kuren“ fängt oft der Schwindel an. Da erbietet sich der oder jener „Arzt“, lediglich auf schriftlichen Bericht eines Patienten brieflich Rat erteilen zu wollen. In den meisten Fällen wird man bei genauerer Untersuchung finden, daß derartige Anerbietungen schwindelhafter Natur sind. So hat der unermüdliche Karlsruher Ortsgesundheitsrat, der neben dem Berliner Polizeipräsidium diejenige Behörde ist, welche am eifrigsten den Geheimmittelkrämern auf die Finger sieht, kürzlich die Ankündigungen eines „Spezialarztes“ Dr. Lell in Berlin und eines „Lehrers der Naturheilkunde“ Karl Griebel in Lichtenthal der allgemeinen Nichtbeachtung empfohlen.

Am stärksten entwickelt aber ist natürlich das Geheimmittelunwesen im eigentlichen Sinne. Das Berliner Polizeipräsidium teilte uns kürzlich eine Liste der auf seine Veranlassung chemisch untersuchten Geheimmittel mit – sie umfaßte gegen 250 Nummern und hat zweifellos seither noch manche Bereicherung erfahren. In der neuesten Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon nimmt die Aufzählung der „bekannteren“ Geheimmittel über sechs Spalten engsten Drucks ein! Und der Karlsruher Ortsgesundheitsrat hat alle paar Monate wieder einige neue Fälle öffentlich anzunageln – neue Mittel aus neuen Laboratorien oder auch alte bekannte, die nur, wie oben geschildert, unter neuer Flagge segeln. Wir zählen hier kurz die Warnungen auf, die er im Laufe des Jahres 1894 erlassen hat. Da ist ein gewisser Rechtsanwalt a. D. Martin Glünicke in Berlin, der sich bald als „Studierender der Medizin“, bald als „praktizierender Vertreter der natürlichen Heilweise nach eigenem System“, bald als „medizinischer Privatgelehrter“ etc. bezeichnet, im übrigen in Berlin bereits mehrfach wegen Vergehens gegen die Gewerbeordnung und unerlaubten Verkaufs von Heilmitteln bestraft worden ist. Er preist in Flugblättern und Broschüren sein neues Heilsystem als „neue Cellular-Therapie“ mittels „giftfreier Pflanzenstoffe“ an, das nicht weniger und nicht mehr helfen soll als „gegen alle als unheilbar geltenden Krankheiten“. Wer sich an ihn wendet, fällt natürlich glänzend herein. Um den unerhörten Preis von 14 Mark erhält er eine Sendung fast wertloser und sehr leicht in Zersetzung übergehender Flüssigkeiten; und eine Sendung soll dem Patienten erst nicht einmal genügen!

Auf Gicht- und Nervenleidende haben es die Dunkelmänner besonders abgesehen – vielleicht weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß diese Leiden für die schmeichelnden Einflüsterungen einer großartigen Zeitungsanzeige besonders empfänglich machen. Ein gewisser Adolf Winter, Fabrikbesitzer in Stettin, will mit seinen „verbesserten Gichtapparaten“ – Kostenpunkt 8 Mark – sicherste Hilfe gegen Gicht und Rheumatismus und „außerdem noch gegen eine große Anzahl anderer Krankheiten“ [76] bringen. Diese Gichtketten, zweifellos nahe verwandt mit den C. Winterschen Gichtketten, welche die „Gartenlaube“ schon vor 16 Jahren festgenagelt hat, und erwiesenermaßen gleichbedeutend mit dem „Talisman“, der neuerdings sein Wesen in der Presse trieb, sind aber trotz ihrer „Verbesserung“ durchaus ungeeignet zur Behandlung Kranker, zudem unverhältnismäßig teuer. Genau ebenso verhält es sich mit den „neu verbesserten Gesundheitsketten Modell 1893“ von Ernst Kordenat in Stettin. Ein außerordentlich lehrreiches Beispiel für den Wechsel der Namen und Bezeichnungen ist das folgende: In einer mit dem Stichwort „Nervenleidenden“ versehenen Anzeige verspricht ein gewisser W. Liebert in Leipzig kostenfreie Auskunft über ein sicher wirkendes Mittel. Wendet man sich nun an diesen freundlichen Herrn W. Liebert, so erhält man – ein lithographiertes Schreiben, welches für „Dr. Dressels Nervenfluid“ Reklame macht. Dieses „Dr. Dressels Nervenfluid“ aber ist seinerseits lediglich eine neue Auflage des „Roman Weismannschen Schlagwassers“, also ein durchaus schwindelhaftes Mittel, vor dem in der „Gartenlaube“ schon wiederholt und eindringlich gewarnt worden ist.

Noch ist in diesem Zusammenhang der „galvano-elektro-magnetisch wirkende Frottierheilapparat“ von H. T. Biermanns in Frankfurt a. M. zu nennen. Dieser Apparat, der gegen Gicht, Rheumatismus, Nervenschwäche, Neuralgie, Ischias, Magenschwäche, Kongestionen, Lähmung, Rückenmarksschwäche helfen soll, besteht aus einer sogenannten Voltaschen Kette, welche mit einer gewöhnlichen Bürste verbunden ist. Die Kette soll eine regulierbare Stromstärke von 300 Milli-Ampères besitzen, während in Wirklichkeit bei sachverständiger Handhabung mit derselben nur ein Strom von 1 Milli-Ampère zu erzielen ist. Eine Uebertragung des schwachen Stroms auf den menschlichen Körper mittels der Frottierbürste ist aber, nach dem Urteil des Karlsruher Gesundheitsrats, bei der fehlerhaften Anordnung der Leitung vollkommen ausgeschlossen, es kann daher auch nicht von irgend welcher „elektromagnetischen Heilwirkung“ des Apparates die Rede sein. Der Preis von 20 Mark ist unverhältnismäßig hoch.

An eine andere Klasse von Kranken wenden sich die Gebrüder Welter in Hamburg mit ihrem „Universalmagensalz“; es soll „binnen kurzem alle Magenstörungen beseitigen“. Thatsächlich ist es nichts weiter als doppeltkohlensaures Natron von nicht besonderer Reinheit, sein Gebrauch in vielen Fällen nutzlos oder geradezu unzweckmäßig, sein Preis fünfzehnmal so hoch als derjenige, um den man dieselbe Sorte doppeltkohlensaures Natron im Handel beziehen kann. Aus demselben Stoff, versetzt mit einigen weiteren Ingredienzien, besteht auch P. F. W. BarellasUniversalmagenpulver“; es besitzt ebensowenig wie das vorher genannte die ihm nachgerühmte universelle Heilkraft, und sein Preis ist doppelt so hoch, als er nach der Arzneitaxe in den Apotheken gefordert werden dürfte. Bezeichnend für den Verfertiger dieses Mittels ist noch die Thatsache, daß er in Berlin nicht nur wiederholt wegen unerlaubten Feilhaltens von Arzneien, sondern einmal auch wegen unberechtigter Führung eines Adelsprädikats bestraft wurde. Er nannte sich nämlich ebenso schön wie unglaubwürdig „Prinz Friedrich Wilhelm Barella“. Ein gewisser J. B. Molfenter, Buchhalter in Ulm a. D., preist ein chemisches Präparat an zur gründlichen Entfernung von Balggeschwülsten, Warzen, Linsen und sonstigen Hautauswüchsen. Dieses Präparat erwies sich als nichts weiter denn rohe, unreine Salzsäure. Nun unterliegt es ja keinem Zweifel, daß Warzen und ähnliche kleine Hautgebilde durch ein starkes Aetzmittel wie Salzsäure entfernt werden können; dagegen lassen sich die größeren derartigen Bildungen, namentlich die Balggeschwülste der Kopfhaut, durch ein Aetzmittel nur entfernen vermittelst einer langwierigen und unter Umständen recht gefährlichen und schmerzhaften Entzündung und Eiterung. Ueberdies ist es entschieden bedenklich, mit Salzsäure im Gesicht, in der Nähe der Augen zu wirtschaften. Für das Präparat, das ihn einige Pfennige kostet, läßt sich der auf die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit des Publikums spekulierende Verkäufer sechs Mark bezahlen!

Und nun zum Schluß noch ein Beispiel für jene eigene Art von Schiebungen, welche die Geheimmittelkrämer so gut verstehen. Vor einiger Zeit las man in Zeitungen von einem Mittel gegen Taubheit und Ohrensausen. Es war ein Herr M. Jakoby in Berlin, Grünstraße 17/18, der hiergegen das „Gehöröl von Oberstabsarzt Dr. Schmidt, verbessert von Dr. Deutsch,“ anpries. Nun ist dieses Oel eine Mischung von Cajeputöl, Kampferöl und Mandelöl, Substanzen, die zwar imstande sind, verhärtete Pfröpfe von Ohrenschmalz zu erweichen und ihre Entfernung vorzubereiten, dagegen bei tieferen Ohrenleiden und davon abhängigen Gehörstörungen völlig wirkungslos bleiben. Jakoby ließ sich für etwa 15 g dieses Gehöröls 4 Mark bezahlen, während der wirkliche Wert 20 bis 30 Pfennige beträgt. Gegen diese Ausbeutung erließ der Karlsruher Ortsgesundheitsrat eine Warnung, mit welchem Erfolg, das erfahren wir aus einer zweiten Bekanntmachung, welche etwa 5 Monate später von derselben Stelle ausging. Diese Bekanntmachung besagt: „In einer ‚Ohrenleidenden‘ überschriebenen Anzeige der ‚Badischen Presse‘ verspricht ein gewisser H. Wolter, Reichsbankbeamter a. D. in Charlottenburg, kostenlose Auskunft über ein vorzügliches Mittel, durch welches er von seinem langjährigen Leiden befreit wurde. Auf Anfrage erhält man ein Schreiben, in welchem für das ‚Oberstabsarzt Dr. Schmidtfche Gehöröl‘, verbessert durch Dr. M. Deutsch, zu beziehen aus der Kommandantenapotheke in Berlin, Reklame gemacht wird.“ Es war also einfach statt des Herrn Jakoby der Herr Wolter vorgeschoben.

Wenn diese Veröffentlichungen soviel erreichen, daß die namentlich aufgeführten Geheimmittel vom Markte verschwinden, weil sie keine Abnehmer mehr finden, so ist der Zweck nur halb erfüllt. Eigentlich sollte, und das ist unser Wunsch, die tiefere Wirkung erzielt werden, daß dieser ganze gemeinschädliche Schwindel ein für allemal den Boden im Lande verliert, daß jeder Zeitungsreklame, die irgend ein angeblich untrügerisches Heilmittel von dunkler Urheberschaft anpreist, ein unbedingtes Mißtrauen in allen Kreisen des Volkes entgegengesetzt wird. Dann erst werden jene Dunkelmänner, die so herz- und gewissenlos sind, der Menschheit Leiden für ihren Geldbeutel unter falschen Vorspiegelungen auszunützen, ihre Rechnung nicht mehr finden – das sicherste Mittel, sie zu vertilgen! ><