Der Krebskönig in Hoppegarten

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Textdaten
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Autor: C. F. Liebetreu
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Titel: Der Krebskönig in Hoppegarten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 187–188
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Krebskönig in Hoppegarten.
Skizze von C. F. Liebetreu.


Auf der ersten Kochkunstausstellung, welche im Anfange Februar dieses Jahres zu Berlin stattfand und die über alle Erwartung großartig sich gestaltet hat, fiel vor Allem ein mächtiger, wohl fünf Fuß hoher Tafelaufsatz in’s Auge, der – aus Krebsen bestand.

Es waren ihrer dreihundert; keiner von ihnen maß in seiner ganzen Länge unter zwölf Zoll. An einem Drahtgestelle kunstvoll befestigt, bildeten sie in ihrer Gesammtheit die Form einer schöngeschweiften Vase, und zartblättrige Petersilienbüschel wechselten malerisch mit den rothen, derben Gesellen ab, deren mächtige breite Scheeren, wie zum Gruße des Beschauers, nach vorn herüber hingen.

Mit Staunen und einer gewissen Wehmuth betrachteten wir diesen Prachtbau – Staunen, mitten im Winter so große Krebse zu sehen, und Wehmuth, daß nach der viertägigen Dauer der Ausstellung es geschehen sein müsse um ihre appetitliche Pracht, daß sie, ohne einen sterblichen Gaumen entzückt zu haben, den Weg des Kehrichts wandern müßten. Ein glücklicher Zufall machte uns mit dem Aussteller dieses Tafelaufsatzes bekannt; es war der Krebshändler und Hoflieferant A. Micha zu Berlin; als der alte liebenswürdige Herr von unsrer Krebsschwärmerei hörte, sich über unser aufrichtiges Lob freute, da lud er uns ein, nach Hoppegarten zu kommen, um seine Krebsreichthümer zu schauen.

Am nächsten Sonntage führte uns die Ostbahn über Caulsdorf und Neuenhagen nach Hoppegarten. Hier werden alljährlich zwei oder drei große Pferderennen abgehalten, zu denen viele tausend Menschen strömen, den fürchterlichsten Staub schlucken müssen, schales Bier mit Mühe erringen, Pferde laufen und, wenn’s sich gerade so macht, stürzen sehen. Es ist eine mächtig weite Ebene; an der einen Seite Stallungen und Tribünen, auf der andern Gräben und Wälle, letztere, um beim Rennen mit Hindernissen das Genickbrechen wesentlich zu erleichtern. Jetzt lag die Landschaft öde und still vor uns. Hier und dort war im Wagengeleise das Wasser glasig gefroren; wenige kleine Grasbüschel wechselten mit zusammengewehten Schneehäufchen; der Wind rauschte durch die dürren Büsche, und der Mangel an Baumgruppen ließ die Gegend ziemlich trübe erscheinen. Trübsinnig gingen vier Vollblutpferde, sorgfältig bis zu den Ohren hinauf verhüllt, auf jedem ein krummsitzender Jockey, an uns vorüber. Sie machten ihren Morgenspaziergang, und unser liebenswürdiger Führer belehrte uns, daß sie viele tausend Thaler kosten und zu keinerlei Arbeit gebraucht werden können. Ihre glücklichen Besitzer, meinte er, würden lieber vier Meilen zu Fuß laufen, als die edlen Thiere durch ein zweckdienliches Reiten profaniren.

Wir gestehen beschämt, daß wir uns trotz dieser großartigen Auffassung des Verhältnisses zwischen Mensch und Thier durchaus nicht für den edlen Sport begeistern konnten. Unser Mangel an einem derartigen Verständnisse ging noch weiter: wir kamen an ein langes Grab. Dort ruhte ein Pferd; es war das erste deutsche Pferd gewesen, welches auf dem Derby-Rennen zu Epsom den Preis erhalten; ein veritabler Leichenstein, wie er auf unseren Friedhöfen üblich, schmückte den Hügel, und in goldenen Lettern prangten darauf die Worte: „Hier starb in seinem Beruf Antinous. Geb. 1862. Gestürzt 1867.“

Was es doch für gar seltsame Pferde giebt!

So waren wir endlich zu der Besitzung des Krebskönigs gelangt. Ein Fluß durchschneidet den Garten in einer Länge von fünfhundert Fuß; zehn große Behälter reihten sich aneinander, von klarem Quellwasser durchströmt, und darin tummelte sich der Rest des Wintervorraths an Krebsen. Es waren ihrer noch viertausend Schock, also beinahe eine Viertelmillion.

Was wir von dem liebenswürdigen Besitzer an interessanten Einzelheiten der Krebszucht erfuhren, ist der Hauptsache nach etwa Folgendes:

Der Centralpunkt für den ganzen Krebshandel ist Berlin. Die Flüsse, besonders die Seen der Mark, Pommerns, Ost- und Westpreußens liefern den Bedarf in ausreichendem Maße. Berlin selbst, Sachsen, Hannover, die Rheinprovinz, besonders aber Frankreich, an der Spitze Paris, bringen das Hauptcontingent der Consumenten. England bezieht nur Krebsschwänze, von denen alljährlich mehr als fünfzehntausend Schock von Micha nach London expedirt werden. Kein Krebs hat sich wohl im Gewässer Ostpreußens träumen lassen, daß er nach Hoppegarten wandern und von dort, wenigstens theilweise, nach London marschiren würde, um in irgend welche Conserve gesteckt zu werden, dann aber, noch immer nicht zu Ruhe begnadigt, unter englischer Etiquette wieder nach Berlin zurückreisen müßte, um hier endlich als Vielgewanderter seine Laufbahn auf lucullischer Tafel zu beschließen.

In den Markthallen zu Paris werden täglich im Sommer durchschnittlich dreihundert Körbchen, jedes mit circa achtzig Stück Krebsen, die zum größten Theile aus Hoppegarten stammen, verauctionirt. Seit den letzten dreizehn Jahren ist, mit Ausnahme der Belagerungszeit und der Herrschaft der Commune, selbst in den Tagen vom Friedensschluß bis zur Commune, auch nicht ein Tag im Jahre vergangen, an dem Micha nicht Krebse nach Paris gesandt hätte. Im Winter ist der Verkauf dort geringer, da Krebse im Winter sehr schwer in den gewöhnlichen Krebskästen zu erhalten sind. Deshalb wird schon im October für Wintervorrath in Hoppegarten gesorgt. Anfangs November vorigen Jahres war derselbe beisammen; er bestand aus zwölftausend Schock, von denen ungefähr tausend Schock während des Winters in den Behältern sterben und daraus entfernt werden müssen. Die Winterkrebse dienen in Paris hauptsächlich zur Decoration der Gerichte. Bei jeder Festlichkeit, jedem Diner oder Souper bedarf der Franzose der écrevisses de Berlin; ohne diese ist ihm eine Ausschmückung der Tafel kaum denkbar, und so sind es selbst im härtesten Winter täglich sechszig Körbe mit ungefähr fünftausend in Flachs, Schilf, Papier oder Stroh verpackten Krebsen, welche durch Zahlung einer hohen Steuer sich nach der Reise von Hoppegarten Eingang in Paris verschaffen.

Die Stadt Paris belastet den Verkauf von Fischen und Krebsen sehr hoch. Bis 1870 mußten zehn Procent von der Brutto-Einnahme gezahlt werden, seit Beendigung des Krieges aber sind fünfzehn Procent festgesetzt worden. Micha hat im Jahre 1875 allein 84,000 Mark Krebssteuer zahlen müssen – selbst die Berliner Krebse müssen herhalten, um zur Deckung der fünf Milliarden beizutragen.

Die Fracht nach Paris ist bedeutend, der Verlust durch Absterben unterwegs beim Gewitter und in heißen Monaten oft sehr groß, und so kann es nicht Wunder nehmen, wenn die Krebse in Paris recht theuer sind. Ist die Zufuhr aber reichlich ausgefallen und die Nachfrage nicht groß, so kommt es auch vor, daß die Händler in Paris, welche die Krebse in den Straßen gekocht feilbieten, unter Berliner Preisen verkaufen. Die größten Krebse bleiben meist in Berlin; sie werden hier so gut bezahlt wie in Paris, besonders im Mai und Juni. Daß diese Thiere in den Monaten ohne „r“ sehr schmackhaft sind, ist bekannt; weniger bekannt dürfte es sein, daß sie im Monat September am wohlgenährtesten, am schönsten sind.

Zum Fangen bedient man sich der Reusen, geflochtener Holzkörbe, welche von beiden Seiten nach innen spitze, trichterförmige Eingänge haben. Auf einen Stock wird ein Weißfisch gesteckt, und am frühen Morgen bei Sonnenaufgang hebt der Fischer die Körbe, nimmt die Krebse heraus und steckt einen frischen Fisch auf. Der Krebs läßt sich mit einem verdorbenen oder angefressenen Fisch nicht fangen – der beste Beweis, meint unser Gewährsmann, daß der Krebs nicht nach faulendem Fleische geht. In der Gefangenschaft werden die Krebse mit Rüben, Fleisch und Fischen gefüttert. Die Fischer der Spree aber fangen sie mit Hammelgeschlingen. Daran ist in der Hauptfangzeit der Bedarf so groß, daß in den dem Fange nahe liegenden Städten, wie Beeskow, Fürstenwalde etc. diese Hammelgeschlinge zwei- auch dreimal so theuer bezahlt werden, wie sonst.

Es wird vielfach behauptet, man sei auf dem besten Wege, die Krebse auszurotten. So schlimm ist es freilich nicht, ein Gesetz aber, welches durch Vorschrift der Größe der Löcher in den Reusen und Fangkästen das Fangen zu kleiner Krebse nicht gestattet, wäre ein großer Segen. Das jetzige Gesetz über Schonzeit ist deshalb ohne Bedeutung, weil jeder Regierungsbezirk [188] dieselbe auf die ihm angemessen scheinende Zeit verlegen kann, eine gemeinsame Ruhe also nicht erzielt wird. So kommt es, daß im Regierungsbezirk Königsberg, Gumbinnen etc. der Krebsfang für Mai und Juni, die beste Krebszeit, verboten ist, während in anderen Gegenden der April, der August oder gar der September für die Schonzeit bestimmt worden ist.

Die Oder hat früher größeren Krebsreichthum aufzuweisen gehabt, als jetzt. An der Abnahme jedoch sind natürliche Ursachen schuld: Gewitter zur Laichzeit, schlechtes Wasser etc., denn kein Fluß wird seit Urzeiten durch die Jagd auf seine Bewohner wohl so viel ausgenützt, wie die Spree – in dem kleinen Orte Beeskow wohnen allein vierzig Familien, die sich vom Fisch- und Krebsfang recht gut ernähren – und jetzt noch hat sie mächtigen Reichthum an großen und schönen Krebsen. Aus einem See bei Feldberg in Mecklenburg werden seit dreißig Jahren unausgesetzt Krebse genommen, ohne daß irgendwie eine Abnahme sich bemerkbar machte.

Schon lange ging unser Gewährsmann damit um, die Krebse, welche er im August und September in so großen Mengen erhält, daß ihre Anzahl für den augenblicklichen Bedarf zu groß ist, für den Winter aufzubewahren. Er wählte im Jahre 1873 einen kleinen See bei Biesenthal von zwei Morgen Ausdehnung und außerordentlicher Tiefe. Von zehntausend Schock, welche hineingesetzt wurden, starben, trotz guter Fütterung und Pflege, über die Hälfte. Der nächste Herbst brachte noch spät sehr heiße Tage; tausende von Krebsen krochen wunderlicher Weise auf’s Land und starben. Endlich schien das schöne klare Wasser bei Hoppegarten der rechte Ort zu sein. Das Fließ wurde mit Schleußen und Gittern versehen und im Herbste wurden achttausend Schock hineingesetzt, doch der Boden war sehr weich – und die Krebse gruben sich in die Ufer; bald hatte ihre Legion den ganzen Uferrand unterminirt; derselbe stürzte zusammen, und die Thiere kamen um. Jetzt sind die Ufer und die Sohle mit Holzwänden bedeckt. Eine Lage Kies wurde hineingeschüttet. Jede der zehn Abtheilungen kann zwölfhundert Schock aufnehmen, und seit dem Monat November bis Anfangs Februar haben die schmackhaften Insassen nicht weniger als vierzig Wispel Runkelrüben verspeist.

Wir bewundern den großartigen Handel New-Yorks mit Austern, staunen über die Ausdehnung der Schlächtereien in Fray Bentos, Chicago und Ohio, der Sardinenfischerei Frankreichs, des Hummerfangs an Schwedens Küsten – nun, wir können doch wohl auch stolz sein auf den in der Welt einzig dastehenden Krebshandel Berlins, welcher besonders durch die Ausdauer und das Verständniß eines einzelnen Mannes zur Blüthe gekommen und welcher bei uns wie in der Ferne gar vielen Menschen das tägliche Brod verschafft.