Der Medizinmann

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Autor: Robert Kraft
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Titel: Der Medizinmann
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Erscheinungsdatum: (1896)
Verlag: Germania-Verlag
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Erscheinungsort: Dresden
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Eine phantastische, elektrische Erzählung im Wilden Westen.
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Der Medizinmann.



Erzählung

von

Robert Kraft.



Dresden,

Germania-Verlag.


Alle Rechte vorbehalten.

Der alte Samuel Peters in San Franzisko war ein Sonderling durch und durch, und wer mit ihm in Verkehr trat, den zog er mit hinein in sein geheimnisvolles Treiben.

Sein Vater war einer der ersten Goldgräber in Kalifornien gewesen und dabei einer der glücklichsten. Als er durch seine Hacke ein schwerreicher Mann geworden war, zog er sich aber nicht zur Ruhe zurück, sondern fing an zu spekulieren, und zwar auf eine Weise, daß man ihn für einen Narren hielt. Er kaufte sämtliche erschöpfte Goldgruben, alle Schutthaufen, natürlich für einen Spottpreis, wartete geduldig, und als sich wieder Arbeitskräfte meldeten, zeigte es sich, wie schlau er gehandelt hatte. Jetzt begann er erst die richtige Ausbeute, mittelst eines patentierten Verfahrens zog er aus jedem Kieselstein das letzte Quentchen Gold, Silber, Kupfer und Blei, er spekulierte weiter, und als er starb, gab es in ganz Amerika keine Mine, Petroleumquelle oder Eisenbahn, von der sein Sohn und einziger Erbe Samuel nicht Besitzer oder Hauptaktionär gewesen wäre.

Samuel war zum Ingenieur ausgebildet worden und hatte an den berühmtesten Hochschulen des In- und Auslandes seine Studien getrieben. Als er beim Tode des Vaters nach San Franzisko zurückkehrte, glaubte man, der noch junge Mann mit dem ungeheuren Vermögen würde sich nun in den Strudel des Lebens stürzen.

Statt dessen zog er sich in die tiefste Einsamkeit zurück. Er ließ sich in der Umgegend der Stadt ein großes Haus bauen, aus allen Weltteilen trafen Maschinen und Arbeiter ein, mit denen er sich schon früher verständigt haben mochte, und – seitdem bekam man Samuel Peters nie wieder zu sehen, ebensowenig einen seiner Leute, darunter auch Frauen.

Das Grundstück, auf dem er wirtschaftete, war und blieb der Bevölkerung von San Franzisko ein Rätsel. Das fabrikähnliche Haus besaß vornheraus keine Fenster, sie mußten nur nach dem Hofe oder nach dem ungemein großen Garten gehen, der aber von einer sehr hohen Mauer umgeben war, sodaß niemand darüber hinwegsehen konnte.

Von früh bis abends wurde in diesem Hause gepocht und gehämmert, die Schornsteine qualmten, von der Stadt führte eine eigene Eisenbahn bis vor die Thür, Eisengießereien, Stahlwerke, Glashütten und andere Fabriken bekamen große Aufträge, Fleischer und Gemüsehändler lieferten ihre besten Waren, aber hinein kam niemand.

Starb jemand oder wurde ein Kind geboren, so wurde die Behörde davon mit dem eigenen Telegraph benachrichtigt, aber kein Priester geholt, denn ein solcher befand sich selbst in der kleinen Kolonie.

So meldete Peters eines Tages auch nur kurz, daß ihm ein Sohn geboren worden wäre, welcher in der Taufe den Namen Frank erhalten hätte. Man wußte nicht einmal, daß er verheiratet war, das kam erst ans Tageslicht, als er einige Jahre später den Tod seiner Frau depeschierte.

Die Behörde ließ den alten Sonderling, dem fast ganz San Franzisko gehörte, in Ruhe, desto mehr beschäftigte sich die öffentliche Meinung mit ihm.

Die seltsamsten Gerüchte zirkulierten über ihn. Daß er als Ingenieur Erfindungen zu machen beabsichtigte, und zwar elektrotechnische, bewiesen die gelieferten Rohmaterialien. Überhaupt sollte in dem Hause alles elektrisch „zugehen“, wie die Leute sagten. Der unsichtbare Garten sollte ein wahres Paradies sein, in dem großen See sollte sich unter Wasser ein prächtiger Glaspalast befinden, durch Elektrizität getriebene Schiffe sollten darauf fahren, die nach Belieben auch in die Tiefe versanken, die seltsamsten Fuhrwerke sollten im Garten spazieren fahren u.s.w. u.s.w. Aber es blieb eben nur Vermutung, denn es kam weder jemand hinein noch heraus, nicht einmal der Geschäftsführer in der Stadt, der das große Bureau leitete und die geschäftlichen Interessen von Samuel Peters vertrat, aber auch nur brieflich oder telegraphisch mit ihm verkehrte.

Es fehlte nicht an Neugierigen, welche ein Eindringen in das Haus versuchten, immer vergeblich. Zwei Zeitungsreporter hatten einmal die Gartenmauer erstiegen, obgleich überall Plakate vor Selbstschüssen warnten, und waren oben kleben geblieben, jämmerlich um Hilfe schreiend, und wurden nicht eher aus ihrer Lage befreit, als bis die telegraphisch herbeigerufene Polizei kam. Sie waren mit einem elektrischen Kabel in Berührung gekommen, dessen Strom sie wie mit eisernen Zangen festhielt, bis er abgestellt wurde.

Als die erste Pacificbahn gebaut wurde, bestand Samuel darauf, daß Stocktown eine Station würde, man sah eine Notwendigkeit gar nicht ein, aber man mußte ihm gehorchen, weil man ohne sein Vermögen nichts beginnen konnte, und von Stocktown aus ließ er eine eigne Bahn nach Süden legen, wohin, wußte vorläufig noch niemand, bestellte für sich eigne Lokomotiven und Wagen.

Der kleine Frank mochte etwa 10 Jahre alt sein – daß er noch lebte, wußte man nur daher, weil der Vater seinen Tod noch nicht gemeldet hatte – als sich eines Tages die Portale des geheimnisvollen Hauses weit öffneten und Arbeiter in die bereitstehenden Waggons zu verladen begannen: Möbel, Maschinen und Gegenstände, wie man sie noch nie gesehen hatte.

Auch Samuel Peters bekam man endlich zu Gesicht, einen alten Herrn mit ergrautem Haar und klugen, freundlichen Augen, eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, an der Hand einen hübschen goldlockigen Knaben führend.

Diese bestiegen zuerst den Zug, fuhren davon, der Zug kam zurück, wurde wieder vollgeladen, und so ging es fort, bis das große Haus ganz ausgeräumt war und unter der Obhut einiger Wächter blieb.

Seitdem bekam man von dem Sonderling noch weniger zu hören. Es hieß, nun treibe er sein geheimnisvolles Handwerk in einem versteckten Winkel des Felsengebirges fort.

So war es auch. Die Tiere und die Indianer flohen vor dem Lärm, der plötzlich in einem unwirtlichen Teile der Sierra Nevada begann. Zuerst, als die Eisenbahn dorthin gelegt wurde, hatten die Arbeiter mehrfach blutige Kämpfe mit den Indianern zu bestehen, als es aber erst in den Bergen donnerte und krachte, feurige Garben zum Himmel aufstiegen, centnerschwere Steinblöcke umherflogen, zogen sie sich scheu zurück und lauschten aus weiter Ferne den Arbeiten, die dort ein großer Medizinmann betrieb, jeden Augenblick zur Flucht bereit.

Doch sie blieben unbelästigt. Das laute Lärmen verstummte, keine Explosion erfolgte mehr, kein Rauch stieg mehr auf, und nichts als die manchmal hin- und herfahrende Eisenbahn, welche in einem Felsen verschwand, verriet, daß hier Menschen hausen mußten.

Nach und nach wurden die Indianer daran gewöhnt, die alte Raublust erwachte, von benachbarten Stämmen hatten sie das Aufreißen der Schienenstränge gelernt, um den mit wertvollen Waren angefüllten Zug zum Entgleisen zu bringen, wollten es einmal hier probieren, kamen aber übel an.

Sie waren in der besten Arbeit, die Schienen zu lockern, als plötzlich alle, die daran arbeiteten, einen so furchtbaren Schlag durch den ganzen Körper erhielten, daß sie laut aufbrüllten und in toller Flucht fortstürzten, die andern mit.

Seitdem vermieden die Indianer ängstlicher denn zuvor die Umgegend des Zauberberges, in dem ein Medizinmann wohnte, der auch von weitem unsichtbare Schläge austeilen konnte.

— — — — — — — — — — —

Es war am späten Nachmittag eines Sommermonates, die Sonne vergoldete schon die Bergspitzen, als ein Mann, an seiner ganzen Tracht als Trapper kenntlich, durch die Schluchten des Felsengebirges irrte.

In den Armen trug er einen scheinbar leblosen Indianer, dessen Schulter mit einem blutigen Tuche verbunden war. Wie die Feder in der Skalplocke fehlte, so auch jedes andere Kriegsabzeichen, auch die Malerei war verwischt.

Es gehörte die ganze Kraft des weißen Jägers, eines noch jungen Mannes dazu, mit seiner Last über den unebenen Boden zu marschieren, oft mußte er über breite Spalten springen oder von Stein zu Stein balancieren, dabei behinderte ihn noch die schwere Büchse auf dem Rücken, und einen wie weiten Weg er schon zurückgelegt hatte, merkte man seiner mit Staub bedeckten ledernen Kleidung und den abgenutzten Mokassins an.

Er keuchte, von der Stirn floß der Schweiß, doch ließ er den Indianer nicht sinken, und da er manchmal an einer abzweigenden Schlucht zögerte und hilfesuchend um sich blickte, mußte er sich verirrt haben.

„Wasser,“ murmelte der Indianer, sich der englischen Sprache bedienend, „Schnellfuß verdurstet.“

„Armer Kerl, wenn ich nur welches entdecken könnte“, sagte der Jäger mitleidig, „oder wenn ich nur wenigstens Deine schnellen Füße hätte. Nicht einmal ein grüner Grashalm wächst hier, mit dem ich Deinen Gaumen erfrischen kann.“

Lauschend blieb er stehen und schritt dann, einen Fluch auf gut deutsch in den Bart murmelnd, schnell weiter.

Ein dumpfes Geräusch von sprudelndem Wasser war in sein scharfes Ohr gedrungen, aber das hatte er schon oft vernommen, und wenn er hinkam, fand er keins. Das Wasser mußte unterirdisch fließen, und doch trieb ihn die Hoffnung immer wieder an.

Da, als er aus einer schmalen Spalte in eine breitere kam, stieß er einen lauten Jubelruf aus. Zu seinen Füßen zogen sich zwei Eisenbahnschienen hin.

„Hurrah, die Eisenbahn! Jetzt, Schnellfuß, nimm Dich zusammen, daß Du noch nicht in die ewigen Jagdgefilde hinüberwanderst. Und wenn ich die ganze Pacificbahn abrennen muß, ich bringe Dich doch auf eine Station. Aber die Pacificbahn ist das nicht, die ist zweispurig. Habe früher immer geglaubt, die Eisenbahn sei nur dazu da, den Menschen das Leben zu verbittern, und jetzt – – – ja, wohin aber nun, links oder rechts?“

Da war guter Rat teuer. Links sah es trostlos aus und rechts ebenso. Befahren wurde die Strecke, die Schienen waren blank, sogar auffallend blank.

Der Trapper hob ein Steinchen auf und warf es über den Kopf hinter sich. Es fiel nach links.

„Nach links also? Nein, nun gehe ich gerade rechts, nur kein Aberglaube,“ und damit eilte er mit Riesenschritten nach rechts.

Er war erst zehn Minuten so gegangen, als ihm ein Zug entgegenkam, wenigstens sah er einen Wagen auf sich zukommen, die Lokomotive mußte schieben.

Sicherlich hatte der Trapper lange keine Eisenbahn mehr gesehen, sonst wäre ihm die Kleinheit des Waggons aufgefallen. Er war nicht größer als ein Schubkarren, aber auf hohen Rädern ruhend.

Schnell ließ der Jäger den Indianer zu Boden gleiten, sprang zwischen die Schienen, riß den verwetterten Filz vom Kopfe und schwenkte ihn durch die Luft.

„Hallo, he, halt, stopp!“ schrie er, mußte aber noch schneller beiseite springen und sich an die Felswand drücken, sonst hätte der Zug ihn überfahren.

Caracho di lognietti! Himmelkreuzschockschwerebrett! Ja – wa – was ist denn das?“ stotterte er. „Da fährt wohl der Teufel spazieren?“

Es war nur ein einziger Wagen, der vorbeisauste, auch noch bergan, und keine Lokomotive schob ihn, keine Maschinerie war zu sehen, kein Rauch, dagegen sprühten da, wo die Räder die Schienen berührten, lange, weiße Funken knisternd hervor.

„Unsinn, nur kein Aberglaube,“ brummte der Trapper, nahm den Indianer wieder auf die Arme und setzte seinen Weg mit verdoppelter Schnelligkeit fort.

Sein Zweifeln an jedem Aberglauben sollte auch bald belohnt werden. Zwar versperrte eine himmelhohe Felswand die Schlucht, aber da, wo die Schienen verschwanden, befand sich ein mächtiges eisernes Thor und in diesem wieder eine kleinere Thür.

„Mag ein Bergwerk sein, da werde ich auch erfahren, mit was die eigentlich ihre Karren bergauf fahren lassen,“ dachte der Trapper, legte den bewußtlosen Indianer abermals sanft nieder und stieß mit dem Gewehrkolben gegen das Thor.

Sofort ward die kleine Pforte geöffnet und der Trapper sah einen Mann vor sich stehen, von einem blendendweißen Licht umflossen, daß er die Augen schließen mußte.

„Wenn ihr Christen seid, erbarmt euch dieses sterbenden Indianers – o, verflucht, bei euch ist’s aber hell – er ist bald verschmachtet – brennt ihr denn immer soviel Licht?“

Der Pförtner sagte gar nichts, er legte hilfsbereit Hand an, sie trugen den Indianer hinein, die Thür schlug zu. Der Trapper hatte jetzt keine Zeit, sich umzusehen, obgleich ihm seine ganze Umgebung schon recht merkwürdig vorkam.

„So, hier hinein in Nummer acht, geht nur heraus, wenn die Thür aufspringt. Der Meister weiß schon alles, ehe ihr hinaufkommt.“

Damit war schon der Trapper durch eine Thür in ein Kästchen geschoben, auf dessen gepolsterter Bank der Indianer bereits lag.

„Zum Teufel, doch erst Wasser für .....“

Schwupp, flog ihm die Thüre vor der Nase zu, und der Trapper glaubte nicht anders, als er sei in eine Falle gelockt und gefangen worden. Ehe er sich aber besinnen konnte, fühlte er, wie sich der Boden unter seinen Füßen emporhob, und ehe er noch weiter das Kämmerchen, in dem eine Lampe intensives Licht verbreitete, mustern konnte, hielt der Fahrstuhl, dessen Namen er noch nicht einmal kannte, eine Thür sprang auf, da standen drei Männer und ein etwa vierzehnjähriger Knabe und auch schon ein Bett.

Ein riesenhafter Neger legte den Indianer darauf und zog den Trapper, dessen Verblüffung wuchs, ohne weitere Umstände heraus.

„Sie haben den Indianer gefunden?“ fragte ihn ein Herr mit langem, weißen Bart. „Er ist verschmachtet?“

„Ja, so ist es – das heißt, ganz tot wird er wohl noch nicht sein – zum Teufel, bin ich denn nur verhext? – Unsinn, nur kein Aberglaube – wo bin ich denn eigentlich hier?“

„Er lebt,“ ließ sich ein anderer Herr vernehmen, der sich mit dem Bewußtlosen beschäftigte, „in der Schulter steckt noch eine Kugel, zerschmettert wird nichts sein – ich muß sie herausschneiden – er scheint fast verschmachtet zu sein. Jupiter, faß an, in die Krankenstube.“

Der Schwarze fuhr das Rollbett hinaus, der Arzt ging mit.

„Der Indianer ist hier gut aufgehoben und unser Arzt versteht sich auf so etwas,“ sagte der alte Mann zu dem Trapper, „nun erzählen Sie, wie Sie ihn gefunden haben. Kennen Sie ihn denn?“

Der Trapper konnte nur immer mit maßlosem Erstaunen um sich blicken. Nichts war hier vorhanden, was sonst bekannt war, es seien denn die Zeichnungen und Bücher auf den Tischen, aber diese selbst waren keine richtigen Tische, mit sonderbaren Apparaten bedeckt, ebenso wie die Wände. Schnüre liefen durch das Zimmer oder hingen von der Decke herab, Schienen gingen am Boden entlang, überall strahlten Lampen das weißeste Licht aus.

Während der Trapper erzählte, mußte er sich denn auch immer durch Fragen unterbrechen.

„Ich bin ein freier Waldläufer, habe keine Heimat, wo ich mich hinlege, da ist mein Bett und jede Nacht schlafe ich wo anders. So bin ich durch ganz Amerika gewandert, von Nord nach Süd, von Ost nach West, von meiner Büchse lebend.“

„Heute morgen kam ich nun in diese Gegend. Vielleicht 20 englische Meilen von hier fand ich den Indianer liegen, neben ihm zwei andere tot. Es mußte ein Kampf stattgefunden haben. Der Indianer, Schnellfuß heißt er, blutete noch aus einer Schulterwunde, ich verband sie ihm. Die Toten gehörten zum Stamme der Crows, das sah ich aus ihrer Malerei, aber nicht, was Schnellfuß für ein Indianer war, denn seine Malerei ist verwischt.“

„Offenbar hat er schon am Marterpfahl gestanden, denn seine Leggins sind versengt, an den Füßen hat er auch Brandwunden. Man hat ihm den Schmuck aus der Skalplocke und aus den Ohren gerissen – – ja, zum Teufel, wo habt ihr denn hier Fenster zum Hinaussehen?“

„Wir brauchen keine Fenster,“ lächelte der Alte.

„Er ist geflohen, wurde verfolgt, hat seine Verfolger niedergemacht und blieb selbst verwundet liegen, kalkuliere ich. Die Spur zurückgehen konnte ich nicht, sonst wäre ich seinen Feinden in die Hände gelaufen, nahm ihn also auf und marschierte weiter – was ist denn das für ein Gebrause?“

„Der Wasserfall, der der Maschinerien treibt.“

„Dacht’ ich’s mir doch gleich. Wo ich einmal gewesen bin, finde ich mich immer wieder zurück, aber hier war ich noch nie gewesen. Ich kam in ein wildes Felsengebiet, kurz und gut, ich wußte nicht mehr, wo aus und ein. Der Indianer wimmerte nach Wasser und meine Flasche war bald leer und Wasser fand ich nicht.“

„Hat der Indianer nichts erzählt?“

„Nichts weiter, als daß Schnellfuß verdurste, also heißt er Schnellfuß. Sonst war er nicht zu sprechen, fiel immer aus einer Ohnmacht in die andere. Mit was brennt ihr denn hier die Lampen? Mit Öl oder mit Petroleum? Sind verdammt hell.“

„Das sind elektrische Lampen.“

„Aha, dacht’ ich’s mir doch gleich,“ meinte der Trapper bedächtig und rieb sich mit dem Zeigefinger die Nase, „hm, ich hatte als Kind auch eine Elektrisiermaschine – sie ging aber immer nicht – und – eine elektrische Klingel hatten wir auch – die ging aber noch viel weniger. Da war das wohl auch eine elektrische Karre, die mir auf den Schienen begegnete?“

„Unsere Briefpost nach Stocktown.“

„Aha, dacht’ ich’s mir doch gleich – nur keinen Aberglauben. Ja, da habe ich den Burschen so ziemlich sieben Stunden getragen, bis ich endlich an das eiserne Thor kam. Ob der Indianer am Leben bleibt?“

„Frank, frage den Arzt.“

Der kräftige, schlanke Knabe mit der hohen Stirn und den blitzenden, blauen Augen ging an einen Apparat, der einige Ähnlichkeit mit unserem Telephon hatte, und sprach hinein.

„Wie heißt der?“ schrie der Trapper plötzlich.

„Frank. Es ist mein Sohn.“

„Donner und Doria!“ und der Waldläufer klatschte auf seine Schenkel. „Da ist es ja der andere!“

„Was meinen Sie damit?“

„Hurrah, frank und frei! Ich heiße nämlich Frei, Richard Frei.“

„Sie sind Deutscher?“

„Direkt aus Hamburg.“

Samuel Peters schüttelte ihm herzlich die Hand.

„Da sind wir ja sozusagen Landsleute. Mein Vater war ein geborener Hamburger und meine selige Frau auch eine Deutsche.“

„So ein Zusammentreffen, da soll man nun nicht an Aberglauben glauben – aber ich thu’s doch nicht!“

Der Arzt kam herein, die Brillengläser putzend.

„Die Kugel ist heraus. Der Mann wäre bald an Entkräftung gestorben, er muß furchtbar lange gehungert und gedurstet haben. Jetzt ist er gerettet.“

„Aber ich noch nicht,“ fiel Richard ein, „ich bin auch dem Verschmachtungstode näher als dem Ertrinken.“

„Frank, bewirte den Herrn, er ist unser Gast.“

Der Knabe führte den Trapper, und schon unterwegs bekam er wunderbare Dinge zu sehen, über die er sich keine Rechenschaft abgeben konnte. Jede Thür ging wie von unsichtbarer Hand geöffnet von selbst auf, schloß sich wieder, jedes dunkle Zimmer erleuchtete sich, sobald man es betrat, es gab kein Fenster, und doch war überall frische Luft, alles überaus wohnlich eingerichtet.

„Ich zeige Ihnen alles, wenn Sie gegessen haben,“ sagte der Knabe, in einem geräumigen Zimmer Halt machend, das aber nichts enthielt als Stühle, „was wollen Sie essen?“

„Möglichst viel und gut,“ war die prompte Antwort.

„So setzen Sie sich dahin,“ entgegnete Frank und sprach wieder in ein Telephon.

Richard saß auf einem Stuhle mitten in der Stube und blickte mißtrauisch um sich. Wollten die ihn zum Narren haben? Zum Essen gehört doch mindestens ein Tisch, wenigstens wenn man sich in einem Hause befindet.

Es waren noch nicht zehn Minuten vergangen, als sich plötzlich vor ihnen der Boden öffnete, aber ehe noch der Erschrockene zurückspringen konnte, tauchte aus dem dunklen Loche schon ein mit Speisen und Getränken besetzter Tisch auf.

„Ah, ah, das lasse ich mir gefallen,“ schmunzelte er, „das ist wohl das Tischlein deck dich? Wo bin ich nur eigentlich hier? Das ist ja das reine Zauberhaus.“

„In der Werkstatt meines Vaters, eines Ingenieurs, der hier eigene Erfindungen verwirklicht. Ein ganzer Berg ist ausgehöhlt worden. O, Sie sollen dann mehr sehen. Also Sie sind weit in der Welt herumgekommen?“

Während Richard wacker zulangte, erzählte er von seinen Abenteuerfahrten, und dann berichtete Frank, wie in nächster Zeit die Probefahrt mit einem elektrischen Wagen gemacht werden solle, wo er auch mitführe und ob er, Richard Frei, auch mitkäme, denn wenn er so viele Indianersprachen verstünde, könnte man ihn gerade gut gebrauchen.

„Wollen sehen“, meinte Richard, den letzten Bissen kauend, „gefahren bin ich früher auch, als Kind, im Kinderwagen, aber elektrisch war er nicht, geschoben mußte er werden. Na, was giebts nun?“

Frank führte ihn herum, durch Zimmer und Arbeitssäle, wo Männer die größten und die kleinsten Maschinen bedienten, er zeigte ihm die Familienwohnungen und die Speisesäle, eine Bibliothek, wo Richard erstaunt meinte, er hätte gar nicht geglaubt, daß es überhaupt so viele Bücher auf der Welt gäbe. Aber alles ohne Fenster.

„Nein, hier hielt ich’s keine zwei Tage aus, hier müßte ich trotz aller frischen Luft ersticken. Die Sonne will ich sehen, die Sterne, den grünen Wald.“

„Den sollen Sie auch sehen.“

Ein Fahrstuhl brachte sie eine Etage höher. Beim Passieren eines Felsenganges erschrak Richard fast vor dem donnernden Getöse, das neben ihm in der Wand erscholl.

„Das ist der unterirdische Wasserstrom, welcher all unsere Maschinerien, Elektrizitätswerke und Ventilatoren treibt, hier bildet er den Fall“, erklärte Frank und öffnete eine Thür.

Schaudernd blickte der Trapper in einen krachenden und zischenden Abgrund. War er auch an großartige Naturspiele gewohnt, so etwas Gräßliches hatte er noch nie gesehen.

Ein leichter Hebeldruck des Knaben genügte, und statt den Fall hinabzustürzen, floß der Strom friedlich einen anderen Lauf.

Er ging wieder in den Fahrstuhl, immer höher hinauf und mit einem freudigen Ah! stand Richard plötzlich unter Gottes freiem Himmel. Und wie herrlich war es hier oben! Ein Paradies. Das ganze ungeheuere Felsplateau war in einen Wald und Garten verwandelt worden und in der Mitte befand sich ein großer See. Es gab keine Bergspitze, von der aus man höher hätte sehen können und Frank erklärte, wie dies alles künstlich von seinem ingeniösen Vater geschaffen worden sei. Gute Erde war von weit her hier herauf transportiert, Bäume und Sträucher gepflanzt worden, das Bassin des Sees hatte man erst gesprengt und gemeißelt, in fünf Minuten konnte er abgelassen und durch hydraulischen Druck wieder gefüllt werden.

Der einfache Trapper war vor Staunen außer sich.

Von des Tages Anstrengung erschöpft, begehrte er bald zu schlafen und eine Felsenhöhle ward ihm angewiesen, die zwar nicht so komfortabel wie ein Hotelzimmer eingerichtet war, dafür aber alle nur erdenklichen Bedürfnisse enthielt, die der Trapper nur zum geringsten Teile kannte.

Als Richard erwachte, wies die über der Thür befindliche Uhr auf 18; weil sie in 24 Stunden eingeteilt war, gab es hier weder Tag noch Nacht.

Ein Druck auf einen Knopf hatte Licht erzeugt, ein zweiter ließ nach einigen Minuten eine Klappe in der Wand fallen und in der Öffnung stand das Frühstück.

„Das lasse ich mir gefallen“, rief Richard und sprang mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett, „wenn ich ein reicher Mann wäre, so 1000 Thaler Vermögen hätte, ließe ich mir auch so ein Haus bauen“, und sich nachdenklich hinterm Ohr kratzend, setzte er hinzu: „es möchte doch nicht ganz reichen.“

Auch die Einrichtung des Bades wollte er noch probieren, da aber kam schon Samuel Peters, der Meister. Der Indianer war zum Bewußtsein erwacht und hatte erzählt.

Die Crows hatten seinen Stamm, die Cocktaws, bei Nachtzeit hinterlistig überfallen, und was nicht niedergemacht worden, gefangen fortgeführt, hauptsächlich Frauen und Mädchen, darunter seine Schwester. Die Männer sollten gemartert werden, die Weiber blieben in den Wigwams der Feinde. Schon am Marterpfahl stehend, zu den Füßen die flackernden Gluten, war es Schnellfuß gelungen, sich zu befreien und die Flucht zu ergreifen. Indem er eine Waffe erbeutete, tötete er einen Verfolger nach dem andern, auch die beiden letzten, bei denen er, selbst verwundet, vor Erschöpfung zusammenbrach. Unter den getöteten Verfolgern sei auch der Häuptling.

„Ein braver Kerl“, zollte Richard Beifall und griff schon nach der Büchse, „habt Ihr Männer? Ich meine wirkliche Männer, die mit einem Gewehre umgehen können. Der Tod des Häuptlings kann den Gefangenen das Leben retten. Nach der Flucht von Schnellfuß wurden die Martern unterbrochen, drei Tage vergehen, ehe der Häuptling begraben wird, und erst dabei werden die Gefangenen geopfert. Wir haben noch Zeit, sie zu befreien – auf alle Fälle sie zu rächen.“

„Oder doch die Crows zu bestrafen. Kennen Sie in der Umgegend eine Fichte, die sich oben in zwei Stämme teilt?“

„Das ist die Doppelfichte, und ob ich sie kenne! In der Mitte hängt ein Eichbaum seine Zweige hinein.“

„Das sagt auch Schnellfuß.“

„Ich kenne jeden Baum, nur in dieser verdammten Steinwildnis weiß ich keinen Bescheid. Was ist damit?“

„Dort steht das Lager der Crows.“

„Dann schnell hin. Wie weit ist es von hier?“

„Keine vier Stunden zu marschieren. Schnellfuß ist im Zickzack geflohen, Sie haben sich verlaufen.“

„Habt Ihr Gewehre?“

„Meine Männer stehen schon bereit. Schnellfuß schätzt die Feinde auf 100 Köpfe, ich stelle zwar nur sechs .....“

„O, wenn sie mit Gewehren umzugehen wissen und schon Pulver gerochen haben, genügt das auch.“

Richard eilte zu dem Indianer, ihn um Näheres fragend, und eine Viertelstunde später rückte die kleine Schar aus, eben als die Sonne aufging.

Es waren nur sechs Mann in Arbeitsblusen und schweren Schuhen, an der Spitze ein Ingenieur, den Peters Mister Stephan nannte und dem er nochmals die Obhut seines Sohnes anvertraute, denn dieser ging mit.

Kopfschüttelnd und mißmutig musterte Richard die kleine Schar, welche nicht aussah, als wollte sie gegen Indianer in den Kampf ziehen, sondern als wollte sie unter Leitung des Werkmeisters auf Arbeit gehen.

„Ja, nehmt ihr denn keine Waffen mit? Ich sehe ja nicht einmal ein Messer.“

„Wir haben Waffen bei uns“, entgegnete Mister Stephan, ein noch junger Mann, dessen ganzes Äußere aber eiserne Energie verriet, „Freund, wir nehmen Euch als Kundschafter und eventuell als Dolmetscher mit, die Führung überlaßt mir.“

„Wollen’s abwarten, und Proviant?“

„Den wird’s wohl im Indianerlager geben, wir wollen uns nicht unnötig belasten. Marsch!“

Der Zug setzte sich in Bewegung, brummend und noch immer kopfschüttelnd schloß sich Richard an, nicht einsehend, was diese Männer in Arbeitskitteln denn anders bei den Indianern wollten, als ihren Skalp verlieren.

Aber er dachte auch an das Innere des Zauberberges, was ihm alles gewaltigen Respekt eingeflößt hatte. Die wußten wohl, was sie thaten und wollten.

Unterwegs unterhielt sich der Ingenieur lebhaft mit dem Trapper, vor allen Dingen wollte er wissen, was die Indianer thäten, wenn sie solch einen unbewaffneten Trupp anrücken sähen.

„Das will ich Euch sagen. Entweder sie laufen alle davon, weil sie Euch für verrückt halten und weil sich die Indianer nicht an Wahnsinnigen vergreifen, oder sie überfallen Euch, binden Euch und braten Euch knusprig.“

„Werden sie nicht aus dem Hinterhalte ohne vorherige Warnung auf uns schießen?“

„Auf keinen Fall. So blutdürstig ist keine Rothaut, daß sie ein Blaßgesicht nicht lieber am Marterpfahl schmoren sieht.“

„Und würde nicht ein einzelner auf uns schießen.“

„Der holt erst seine Sippschaft herbei.“

„Das wollte ich nur wissen.“

Nach zweistündigem Marsche verließ man das unwirtliche Felsenlabyrinth, es zeigte sich Vegetation, und gleich kannte sich der Trapper aus. Bis hierher hatte Ingenieur Stephan als Führer gedient, ein Zeichen, daß er doch öfters den Zauberberg verließ und sich in der Umgegend orientierte.

Als man um einen Felsvorsprung bog, stieß man unerwartet mit einem großen Trupp von Rothäuten zusammen. Beide Teile machten Halt, die Wilden waren im ersten Augenblick verdutzt, hier unbewaffneten Weißen zu begegnen.

Sie gehörten dem kalifornischen Stamme an, welcher sich von allen nordamerikanischen Indianern durch Feigheit und Hinterlist auszeichnet, während man bei den anderen Stämmen ritterliche Tugenden nicht vermißt, z. B. Tapferkeit, Gastfreundschaft und Halten des einmal gegeben Wortes. Sie waren schlecht gekleidet und sahen verhungert aus, die Raublust blitzte aus ihren Augen, sie trugen Messer, Tomahawk, Pfeil und Bogen und nur wenige alte Feuersteinflinten.

„Jetzt haltet Eure Waffen bereit“, flüsterte Richard, seine Büchse unbemerkt schußbereit machend, „seht nur, wie habgierig die uns beschielen. Für einen Schuhriemen schneiden die Euch die Kehle durch.“

Aber die sechs Männer trafen keine Vorbereitungen zu ihrer Verteidigung, sie blickten nur auf Stephan, welcher einige Schritte vorgetreten war.

Auch die Indianer hatten leise Worte gewechselt. Sie konnten sich das furchlose Verhalten der weißen Männer, wie sie so nahe noch keinen gesehen hatten, nicht erklären, jedenfalls vermuteten sie eine bewaffnete Macht hinter ihnen, sonst hätten sie sich schon längst auf sie gestürzt.

„Wer ist der Häuptling unter Euch?“ fragte Stephan.

Ein federgeschmückter Krieger trat vor, größer und wohlgenährter als die anderen.

„Tausend Cheyennes folgen dem Kriegsruf der kriechenden Schlange“, entgegnete er stolz in ziemlich geläufigem Englisch, „was haben die Blaßgesichter in seinen Jagdgründen zu suchen?“

„Die kriechende Schlange wird uns erlauben, durch sein Gebiet zu ziehen.“

„Sind die Blaßgesichter allein?“ war die lauernde Antwort.

„Der große Medizinmann im Zauberberg schickt uns aus und die kriechende Schlange mag sich dann Geschenke bei ihm holen.“

Offenbare Bestürzung entstand unter den Indianern, einige schienen Lust zu haben, gleich Reißaus zu nehmen, auch der Häuptling wollte bestürzt zurücktreten, beherrschte sich aber.

„Die Bleichgesichter sind Abgesandte des großen Medizinmannes, der dort im Berge wohnt?“ fragte er mit unsicherer Stimme.

„So ist es, und wenn wir zurückkehren, soll die kriechende Schlange mit uns kommen und Friedenskalumet mit ihm rauchen und Geschenke mitnehmen.“

„Der große Medizinmann ist ein mächtiger Zauberer.“

„Und wir sind seine Diener, die er ausschickt, mit Euch Freundschaft zu machen.“

„Wie wirkt seine Medizin?“

„Er hat den Blitz in seiner Hand und kann ihn senden, wohin er will.“

„Das Blaßgesicht lügt!“

„Ich will es Dir beweisen, gieb mir Deine Hand.“

Als Stephan seine beiden Hände ausstreckte, sprang der Häuptling doch erschrocken einen Schritt zurück.

„Glaubt mein Bruder, ich will ihn töten, wo ich doch sein Freund sein möchte? Oder fürchtet sich der tapfere Häuptling der Cheyennes?“

Mit einem trotzigen Entschluß trat der Häuptling wieder heran, die Hand ausstreckend. Angesichts seiner Krieger durfte er keine Feigheit zeigen, und wenn es auch in den Tod ging.

Stephan ergriff die gebotene Hand mit der einen und legte die andere auf die nackte Schulter des Indianers. In demselben Augenblick stieß dieser ein furchtbares Gebrüll aus, brach in die Knie zusammen und krümmte sich wie ein Wurm.

Es währte nur einen Moment, dann ließ ihn Stephan los, der Häuptling raffte sich auf, stürzte zurück und riß die anderen mit sich fort.

„Der große Medizinmann – der Zauberer vom Berg“, heulte es im Chor, sie vernahmen noch ein donnerndes Krachen hinter sich und waren im Nu verschwunden. Das helle Gelächter von Frank folgte ihnen.

Stephan hatte mit der flachen Hand auf die Felswand geschlagen, dies hatte einen Donnerschlag erzeugt.

In sprachlosem Erstaunen, ja in Entsetzen stand Richard da.

„Habt Ihr denn wirklich Blitz und Donner in Euren Händen?“ ächzte er.

„Jeder von uns“, lachte Frank, „und wenn Sie damit umzugehen wissen, sollen Sie ihn auch bekommen.“

Dabei hatte er schnell beide Hände des Trappers ergriffen, und jetzt benahm sich dieser ebenso wie der Indianer vorhin, er fiel auf die Knie und bat um Erbarmen. Er fühlte einen prickelnden Strom durch den ganzen Körper gehen, der ihm alle Sehnen und Flechsen zusammenzog.

„Noch stärker?“ fragte Frank. „Sie brauchen’s bloß zu sagen.“

„Halt – stopp – ich – ich – kann nicht mehr“, heulte Richard.

Frank ließ ihn los, das unbeschreibliche Gefühl war zwar augenblicklich verschwunden, Richard konnte sich aber vor Schreck noch nicht erheben.

„Und das ist der nachfolgende Donner“, lachte Frank, schlug ihm nur leise auf den Rücken, ein furchtbares Krachen, und der Trapper fiel platt auf die Nase, so liegen bleibend.

„Stehen Sie doch auf, es fehlt Ihnen ja gar nichts, oder thut Ihnen etwas weh?“

Langsam erhob sich Richard und befühlte seine Glieder.

„Ne – ne – weh thut mir gerade nichts – aber solche Späße möchte ich mir für die Zukunft doch ernstlich verbitten“, sagte er mit kläglicher Miene, „und da soll man nun nicht an Aberglauben glauben? Wie macht Ihr denn das eigentlich?“

„Wir haben jeder eine elektrische Batterie in der Tasche – und noch anderes.“

„Und der Donner?“

Frank zeigte ihm eine Art von Armband, das er um das Handgelenk trug.

„Hier wird eine Platzpatrone eingeschoben, ganz unschuldig, aber krachen thut sie fürchterlich.“

Stephan ermahnte zur Eile, es handelte sich darum, die Gefangenen vor dem Tode zu bewahren.

„Wir wollen den Indianern vorläufig nur Respekt beibringen“, erklärte Frank unterwegs dem Trapper, „und wenn sie nicht hören, da läuft es nicht mehr unschuldig ab, wir haben auch noch andere Mittel bei uns. In nächster Zeit soll ich durch ganz Amerika fahren, in einem elektrischen Wagen, den ich selber führe, Mister Stephan und Jupiter begleiten mich nur, zwei Personen fehlen aber noch zur Bedienung. Wissen Sie, Mister Frei, da Sie so viele Indianersprachen kennen, wie die Sitten unter den Rothäuten, wie wäre es, wenn Sie mich begleiten?“

„Frank und Frei, wir paßten zusammen. Will’s mir überlegen.“

Nach nochmals zweistündigem Marsche erreichten sie ein offenes Thal und bald sah man auch den Rauch von Lagerfeuern aufsteigen.

Der Kriegsplan war schon verabredet. Er war sehr einfach. Richard sollte als Kundschafter vorausgehen und eine Vermittelung einleiten, und war er innerhalb einer Stunde nicht zurück, so ging die ganze Truppe vor und griff eventuell an.

Ingenieur Frank suchte mit seinen Leuten ein passendes Versteck aus, von wo aus er das zwischen Bäumen befindliche Lager im Auge behalten konnte, und Richard ging ab, direkt auf die Feuer zu.

Noch gestern hatte im Lager der Crows die unbändigste Freude geherrscht. Die Flucht von Schnellfuß hatte die Freude in Schmerz und Zorn verwandelt.

Sechs tapfere Krieger hatte er allein getötet, indem er sie während der Flucht immer einzeln in einen Hinterhalt lockte und sie dann jählings überfiel, und darunter war der Häuptling, der graue Bär, der noch von keinem Feinde besiegt worden war.

Vier abgehauene Baumstämme waren in den Boden gerammt, eine Büffeldecke darüber gespannt, und auf dieser lag die Leiche des grauen Bären aufgebahrt.

Unten tanzte der mit seltsamem Schmuck behängte Medizinmann des Stammes in grotesken Sprüngen, die Männer saßen im Kreise und heulten monotone Lieder, ab und zu stand ein angesehener Krieger auf und pries mit überschwenglichen Worten die Tugenden des Ermordeten.

Nach einer gewissen Zeit wurde dann der neue Häuptling gewählt, welcher das Martern der Gefangenen zu Ehren des Begräbnisses anordnete.

Die Gefangenen standen noch immer aufrecht gebunden an den Baumstämmen, schon länger als 48 Stunden. Wenn der Schlaf sie befiel, mußten sie in ihren Banden hängen, die tief ins Fleisch schnitten.

Als Schnellfuß geflohen war, hatte man den schon zu ihren Füßen flackernden Brand gelöscht.

Erst waren es nur Mannen gewesen, die man hatte martern wollen, Frauen und Mädchen sollten als Sklavinnen unter den Crows bleiben, wodurch ihre Squaws Erleichterung bekamen, den der Indianer arbeitet ja nicht, er überläßt die schwere Arbeit den Frauen, die leichte, häusliche, den Mädchen.

Jetzt standen auch alle Frauen und Mädchen der Cocktaws an Pfählen gebunden und die Weiber der Erschlagenen ließen ihnen und den Männern alle nur denkbare Schmach angedeihen, schlugen sie mit Fäusten, rissen ihnen die Haare aus, spieen sie an und beschimpften sie, ihnen schon jetzt die Kleider vom Leibe reißend.

Wachen waren bei ihnen postiert, um zu verhindern, daß sie von den wütenden Megären nicht schon jetzt zerfleischt wurden.

Die Gefangenen wußten, was ihrer wartete.

Stoisch blickten sie vor sich hin, kein Laut kam über ihre Lippen; galt es doch zu zeigen, wie sehr sie die feigen Crows verachteten. Auch die Frauen betrugen sich so.

Ein lautes Triumphgeheul erscholl, das Singen der Indianer brach ab. Wachen brachten einen weißen Mann geführt.

Einer ging in den Kreis der Krieger und stattete Bericht ab. Nach kurzer Beratung erhob sich ein Indianer, dessen Gesicht ganz blau bemalt war, und winkte, den Mann zu ihm zu führen.

„Hugh! Dradly Deasch – der tötende Blitz,“ murmelte es im Kreis.

Sie hatten Richard erkannt, der vor Jahren einmal friedlich unter ihnen geweilt hatte.

„Was will Dradly Deasch an den Feuern der Crows?“ begann der Sprecher finster.

„Mich schickt der große Medizinmann. Gehe hin zu den Crows, welche ich als tapfere Krieger kenne, sagte er zu mir, und frage sie, ob ich ihr Freund oder ihr Feind sein soll.“

„Er ist als Freund uns willkommen. Warum sollte er unser Feind sein?“

„Wenn der große Medizinmann Euer Freund ist, so sollt Ihr die gefangenen Cocktaws freigeben, welche er ebenso liebt wie Euch, denn auch sie sind Kinder des großen Geistes.“

Einen Augenblick herrschte Stille, dann erhob sich ein Sturm der Entrüstung.

„Der große Medizinmann ist ein Narr, sage ihm das,“ donnerte der blaue Biber den Trapper an, „die Cocktaws sterben.“

„So ist der Medizinmann Euer Feind.“

„Wir fürchten ihn nicht.“

Richard hob plötzlich seine Büchse und drückte sie ab, die Indianer stürzten über ihn her, entwaffneten ihn, schleppten ihn nach einem noch leeren Baumstamme und fesselten ihn dort.

„Elende Feiglinge,“ schrie Richard, „so halten die Crows die Freundschaft mit dem, der mit ihnen die Friedenspfeife geraucht hat? Pfui, die Crows haben eine doppelte Zunge.“

„Drei Sommer sind verflossen, seit Dradly Deasch unsere Wigwams gemieden hat, und er kommt als Feind zu uns, denn er fordert von uns, wir sollen die Cocktaws freigeben, er will uns damit beschimpfen. Doch seinen Tod wollen wir nicht, er soll zusehen, wie die Crows ihre gefangenen Feinde töten und das soll er dann seinem Medizinmann erzählen.“

„Wehe Euch, Ihr Crows, er wird über Euch kommen und Euch mit seinem Blitz zerschmettern.“

„Die Crows sind Männer, sie zittern nicht vor Donner und Blitz.“

„So fahrt zur Hölle!“ schrie Richard.

Der Schuß und der Lärm im Lager hatte die Wachtposten herbeigelockt, nun stand unvermutet zwischen den Indianern ein weißer Mann, der einen schönen, schlanken Knaben zur Seite hatte.

Die Crows erstarrten plötzlich zu Statuen, scheu schweiften ihre Augen umher, mehr Blaßgesichter in der Nähe suchend.

Sie sammelten sich erst wieder, als sie bemerkten, daß die beiden völlig unbewaffnet waren.

„Warum schleichen sich die Bleichgesichter ins Lager der Crows ein?“ fragte der blaue Biber herrisch.

„Ich sehe, Ihr habt den Abgesandten des großen Medizinmannes gefangen genommen“, begann Stephan, „jetzt kommt sein Sohn, Euch nochmals zu fragen, ob Ihr Krieg oder Frieden haben wollt.“

„Was haben wir mit Euch zu thun?“ war die finstere Antwort.

„Sprich, Häuptling,“ sagte Frank mit heller Stimme, „im Namen meines Vaters frage ich Euch, ob Ihr die Gefangenen freigeben wollt oder nicht.“

„Was spricht der Knabe?“ lächelte trotzig der blaue Biber. Und listig fügte er hinzu: „Das ist also der Sohn des großen Medizinmannes?“

„Ich bin sein Sohn und auch ich .....“

„Dann wollen wir tauschen!“ rief der blaue Biber und warf sich auf den Knaben, um ihn gefangen zu nehmen.

Hinter seinem Rücken hatte er mit der Hand schon ein Zeichen gemacht, gleichzeitig stürzten sich die umstehenden Indianer auf Stephan.

Sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

„Nun ist es genug“, rief der Ingenieur mit weithin schallender Stimme, „Feuer, keine Schonung mehr!“

Richard sah, wie Stephans Hand dem nächsten Indianer vor die Brust schlug, unter einem Feuerstrom brach der Getroffene zusammen, der blaue Biber wälzte sich schon in Zuckungen und unter einem furchtbaren Geheul am Boden, links und rechts stürzten die Indianer zu Boden, wirklich wie vom Blitz getroffen, obgleich sie nicht berührt wurden, auch keine Schüsse fielen.

Was die noch stehenden Indianer sahen, genügte, um die übrigen davonstürmen zu lassen.

Noch immer stürzten einige von ihnen während des Laufens zu Boden und blieben liegen.

Da bemerkte Richard die sechs Arbeiter, die aus einem Dickicht hervortraten und kleine Gegenstände in den Händen hielten, ähnlich geformt wie Pistolen und doch wieder ganz anders. Waren das die Waffen, aus denen sie lautlos geschossen hatten?

Der blaue Biber lag leblos da.

„Er ist nicht tot,“ sagte Frank, „ich habe ihn wenigstens nicht getötet.“

„Es schadet nichts, wenn auch er eine Kugel erhält“, meinte der Ingenieur.

Da plötzlich schnellte der blaue Biber auf und war mit einigen Sätzen im Gebüsch verschwunden.

„Laßt ihn laufen, der hat seine Lektion weg und kommt nicht wieder.“

Zuerst wurde Richard befreit, dann wandte man sich an die Gefangenen und durchschnitt ihre Banden.

Deren Entsetzen war nicht geringer als das der Crows. Erst als man sagte, daß Schnellfuß den großen Medizinmann getroffen und ihn gebeten habe, seine Stammesgenossen zu retten, beruhigten sie sich.

Nur eine zeigte wirklich Freude, das war ein junges Mädchen, Schnellfuß’ Schwester, als sie hörte, daß der Bruder gerettet worden war.

An einen Rückmarsch war heute nicht mehr zu denken. Die Crows besitzen keine Pferde, man mußte ihn zu Fuß antreten, und vor der Hand konnte man die Befreiten auch noch nicht sich selbst überlassen, denn sie vermochten kein Glied zu rühren.

Nur ein Mann brach auf, dem alten Peters Mitteilung von dem glücklichen Gelingen zu machen. Die übrigen richteten sich häuslich in den Wigwams ein.

Richard untersuchte die Gefallenen; sie waren tot, mausetot und dennoch konnte er nicht die geringste Verletzung an ihnen finden. Er rief Frank herbei.

„Nun soll man nicht an Hexerei glauben! Womit schießt Ihr denn eigentlich?“

„Ebenfalls mit Elektrizität, also wirklich mit Blitzen. Sehen Sie hier den roten Punkt in der Backe des Indianers? Da hat ihn die kleine Glaskugel getroffen, die mit aufgespeicherter Elektrizität geladen ist. Die Kugel selbst zerplatzt, Sie würden nichts mehr von ihr finden. Woran sie aber zerplatzt, das wird wie vom Blitz getroffen. Verstehen Sie das?“

„Ja – so ist es – ja wohl – ich verstehe es zwar nicht im geringsten, aber ich dachte mir[WS 1] doch gleich, daß es so ist. Und womit wird denn geschossen? Mit Pulver?“

Frank zeigte ihm das kleine Instrument, vorn wie eine Kinderpistole, hinten aber mit einem dicken Kolben.

„Mit komprimierter Luft, die hier hinten eingepumpt ist, und hier vorn liegen die elektrischen Kugeln, dreißig Stück und dreißigmal kann man auch damit schießen, so lange reicht die Luft aus.“

Vorsichtig trat der Trapper zur Seite.

„Also mit kom – konpi – kopierter Luft wird daraus geschossen – ja ja – dachte es mir doch gleich, daß da kopierte Luft drinn steckte ....“

„Komprimierte, zusammengepreßte Luft.“

„Weiß schon, wußte es gleich – hm, – wie weit geht denn so ein – halt, faßt mich nicht an, ich fürchte mich zwar nicht, bin aber verflucht kitzlich – wie weit geht denn diese kom – kom – Luft?“

„Diese Pistole trägt so weit, wie jedes moderne Gewehr, und sicherer, denn die Kugel steigt nicht.“

„Und der Mann ist allemal gleich tot?“

„Stets.“

„Hm, das dachte ich mir auch gleich. Da muß Euer Vater solche Pistolen an Länder liefern, an Soldaten ....“

„Nein, das thut er nicht; fragt ihn selber, warum nicht. Er bedarf dieser Waffen zu seinem Schutz, aber diese Erfindung, die patentiert ist, verkaufen, das würde er niemals. Sie wäre zu mörderisch. Wir haben auch solche Gewehre.“

„Wißt, Frank, jetzt komm’ ich auf Euren elektrischen Wagen mit. Da muß man ja sicher wie in Abrahams Schoße darauf sein.“

„Man muß auch mit Zufällen rechnen. Wenn die Batterie einmal versagt, oder gar, wenn der Wagen etwa gestohlen würde ....“

„Nanu, wer sollte denn den Wagen stehlen?“

„Es giebt Leute, die gern wissen möchten, was dahinter steckt. Deshalb soll einer mit, welcher sich auch ohne solche Apparate durchhelfen kann, ich meine in der Wildnis. Oder hätten Sie gezögert, die Gefangenen zu befreien, wenn Sie sechs entschlossene Männer hinter sich gehabt hätten, nur mit Feuerwaffen versehen?“

„Allein sogar.“

„Sehen Sie, dann könnte ich Sie gut gebrauchen.“

„Gut, ich komme mit, hier meine Hand darauf.“

Am andern Morgen brachen die Bleichgesichter auf. Nur die Schwester von Schnellfuß schloß sich ihnen an. Ohne Abenteuer erreichte man den Zauberberg.

Einige Tage darauf jedoch trafen die Häuptlinge der benachbarten Stämme ein, dem großen Medizinmann im Zauberberg ihre Geschenke und Ehrfurcht zu bringen und verließen reich beschenkt den Berg.

Frank aber konnte, begleitet von Stephan, Jupiter, Richard und Schnellfuß, ruhig seine Reise antreten, ohne fürchten zu müssen, in den benachbarten Indianern Feinde zu finden.

Der Ruf des kleinen Medizinmannes hatte sich schon weit verbreitet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wir