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Der Monte Pincio in Rom

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Textdaten
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Autor: Dr. Albert Bacher
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Titel: Der Monte Pincio in Rom
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 517, 520, 528–530
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[517]

Die Piazza del Popolo in Rom.
Von der Terrasse des Monte Pincio aus gesehen.

[520]

Ein Abend auf dem Monte Pincio zu Rom.
Nach dem Leben gezeichnet von F. Müller-Münster.

[528]

Der Monte Pincio in Rom.

Von Dr. Albert Zacher.0 Mit den Bildern S. 517, 520, und 521, 529.

Rom ist nicht nur auf sieben Hügeln gebaut, Hügel umgeben es auch, und auf zwei derselben, dem Monte Pincio und dem Monte Gianicolo, finden sich herrliche Aussichtsterrassen, die eine weite Umschau über die Ewige Stadt und ihre Umgebung bieten. Während sich aber der Gianicolo jenseit des Tiber über der Vorstadt Trastevere erhebt, schließt sich der Pincio unmittelbar dem Hauptquartier des modernen Roms an, das zwischen ihm und dem Corso nach der Porta del Popolo, dem Nordende der Stadt zu, sich ausdehnt. Natur und Kunst haben schon von alters her miteinander gewetteifert, den Pincio zur Lieblingspromenade der Römer zu machen. Prachtvolle Anlagen entfalten oben die üppige Pracht der südlichen Flora. Schattige Spazierwege führen an Statuen und Brunnen vorbei zur Villa Borghese mit ihren kostbaren Kunstschätzen. Eine breite Fahrstraße zieht sich von der Piazza del Popolo zu diesen Anlagen hinauf, durchkreuzt dieselben und senkt sich wieder zur Piazza della Trinita de’ Monti mit ihrer stattlichen Kirche gleichen Namens und dem gewaltigen Obelisken davor. Und hier mündet die großartige Spanische Treppe, die den wundervollen Aufstieg zum Pincio von der Piazza di Spagna, diesem Hauptcentrum des Fremdenverkehrs mit seinen großen Gasthöfen und eleganten Kaufläden, her bildet.

Wer eine Romreise thut, pflegt denn auch, kaum daß er sich von Staub und Rauch gereinigt hat, zum Monte Pincio zu eilen, um hier in gedrängter Uebersicht die Genüsse, die ihm winken, aus der Vogelschau zu bewundern. Der Gang zum Pincio ist also die Ouvertüre zum Aufenthalt in Rom. Die Ewige Stadt ist aber nicht an einem Tage erbaut, kann drum auch nicht an einem Tage erschaut werden. Mag daher der nordische Fremdling, der zum ersten Male den „Hügel der Gärten“, wie er bei den Alten hieß, betritt, auch überrascht, überwältigt sein, die intime Schönheit des Gartenbollwerks geht uns erst bei wiederholtem Besuche auf, und namentlich dann, wenn wir uns ein wenig im Werden und Wandeln der ewigen Roma umgesehen haben. Dann ist uns der Pincio nicht bloß mehr ein Aussichtspunkt, dann ersetzt er uns Schule und Museum und wird zur Offenbarung, kurz zur Kultusstätte des Schönen.

Vielleicht in keiner anderen Stadt der Welt drängt sich dem empfänglichen Wanderer der Geist der Vergangenheit so gebieterisch auf wie in dem ewig jungen Rom, und das schafft ja eben den unvergänglichen Reiz, jenen Zauber, dem jeder Rompilger unterliegt, und schafft auch das Heimweh, das jeder, der einst Rom geschaut, im Norden nach ihm empfindet. Auf Schritt und Tritt löst sich dem schönheitsfreudigen Wanderer das Schweigen der Vorzeit, und nicht nur die Steine reden ihm von der Pracht des Gewesenen. Das erfährt besonders der Reisende, der, anstatt von der Piazza del Popolo aus zum Monte Pincio aufzusteigen, von der Via Sistina aus dem Höhenrücken folgt, welcher in langsamer Steigung zu dem Hügel leitet, der den nördlichen Eingang Roms beherrscht. Hat man die Sistinische Straße durchschritten, so steigt der Obelisk vor der Kirche Trinita de’ Monti vor uns auf und mahnt uns an das Hieroglyphenland und seine römischen Bezwinger. Wenige Schritte – und entzückt schweift unser Auge über das im Thalkessel gebettete nördliche Rom. Zu unsern Füßen aber geleiten, wie es die Abbildung auf S. 529 zeigt, die mächtigen Stufen der Spanischen Treppe, die Innocenz XIII gebaut, zum Spanischen Platze hinunter. Farbenfrohes Treiben auf den weißen Marmorfliesen, Modelle in bunter Hirtentracht, die des dingenden Malers harren, verscheuchen sich die Wartezeit, die lästige, mit Singen und Tanzen. Hoch zu unserer Rechten erklingt Orgelgebraus und süßer Frauensang dazwischen. Wir blicken auf zu der mächtigen Kirche, die uns von Karl VIII und der französischen Invasion erzählt, und lauschen: die frommen Nonnen von Sacre Coeur singen vielleicht gerade eine von den Motetten, die einst Felix Mendelssohn für sie komponierte.

Weiter geht der Weg. Zur Linken drängen sich flache Dächer an die Brüstung heran. Junge Seminaristen in schwarzem Talar wandeln auf ihnen, aber in andres Sinnen vertieft als einst Joseph Scheffel auf Don Paganos flachem Dachlabyrinth in Capri. Weiter! Die hohen Hallen aus immergrünen Steineichen nehmen uns auf. Wir stehen vor der berühmten Brunnenschale, über welcher ein Kreisausschnitt in der grünen Wand den herrlichsten Rahmen zur lichtgebadeten Peterskuppel schafft (vgl. das Bild auf Seite 529). Zur Rechten aber türmt sich die Villa Medici auf, seit Jahren das Heim der französischen Maler, die nach siegreichem Wettkampf daheim den Preis für einen Studienaufenthalt in Rom davontrugen, die Accademia di Francia, die Französische Akademie. Im Weitergehen macht sich die lebendige Gegenwart sinnfällig geltend; zur Linken begleiten den Wanderer auf sanftem Abhang Blumenbeete, Treibhäuser, in romantischem Dunkel plätschernde Brunnen, am Thalrand drängt sich Atelierhaus an Atelierhaus, und manchen bekannten deutschen Malersmann entdeckt man bei der Arbeit auf luftiger Terrasse. Zur Rechten aber wuchert an steiler Felswand üppigste Flora: Epheu, wilder Wein, Agaven, Riesenkakteen …

Endlich ist man oben auf der von weit ausladender Steinbrüstung umrahmten Aussichtsterrasse. Man steht geblendet. Abgebraucht ist es zwar, das Thema vom römischen Himmel, von der römischen Sonne, und doch ist’s dem Glücklichen, der es erlebt, ewig neu! Licht überall, von allen Seilen drängen, schmiegen und schmeicheln sich seine Strahlen und die von diesen geschaffenen blendenden Farben uns zu; ja man scheint sie einzuatmen, diese köstliche Helle, einzusaugen mit allen Poren, und mit ihr zugleich die sonnigste Heiterkeit. Den Armen müssen schon bittere Qualen foltern, der hier nicht jauchzend aufatmet. Welch Panorama vor der Terrasse! Die Peterskuppel in ihrer erhabenen Pracht blickt feierlich auf den gedemütigt staunenden Beschauer, und vergebens mühen sich daneben in dem Türme-, Häuser- und Palastgewimmel unter uns die Dutzende und aber Dutzende von Kuppeln, sich aufzurecken, um Beachtung zu erzwingen. Im Süden ragt das Kapitol auf und der baumgekrönte Palatin, im Südosten die Königsburg auf dem Quirinal, und auf dem grünen Rücken des Janiculus im Westen schimmern die bunten Villen, blitzt der dreifache Wassergruß der Acqua Paola und reitet der eherne Garibaldi auf hohem Sockel, Wache haltend gegenüber dem Vatikan, in dessen grüner Gartenpracht die weiße Kuppel der Sternwarte blinkt. In der Mitte des Häusermeeres jenseit des Tibers trotzt die Masse des Hadriansgrabes, die Engelsburg, auf deren Spitze Erzengel Michael das blitzende Schwert schwingt. Jahrtausende schauen zu uns herauf; denn zuletzt haftet unser trunkener Blick an dem Obelisken, der das weite Rondell zu unsern Füßen, die Piazza del Popolo (siehe Abbildung S. 517), schmückt, und an den beiden Schiffsschnäbelsäulen, [529] die auf der ersten Terrasse der dort beginnenden Pincioanlagen von dem ersten Seesiege der Römer erzählen. Jetzt bewundern wir auch, wie die Erbauer dieser Anlagen den Weg von unten zur Basteiplattform, auf der wir stehen, künstlerisch zu beleben verstanden haben: mit Terrassen, Arkaden, Statuen und Springbrunnen.

Die Spanische Treppe.

Die Fülle der Eindrücke ist zu groß. Man wendet sich zum Atemholen nach rückwärts und fällt in neues Staunen; denn man erblickt eine Gartenpracht, die selbst den Reisenden überrascht, der schon in Nervi, Pegli, Nizza lustwandelte. Unmittelbar vor uns, hinter den Ruhebänken der Terrasse, ein weiter Sandplatz, abgeschlossen durch ein Halbrund von Palmen, über das sich, ein wirksamer Hintergrund für die Musiktribüne, eine dunkelgrüne Wand von Steineichen erhebt (vgl. das untenstehende Bild). In der Mitte öffnet sich die Wand, und der nordische Gartenfreund, der in der Heimat nur die Treibhauspracht kennt, bewundert hier im Freien neben der Fächerpalme den Mahagonibaum, die Aloë, den Akanthus, den Granatbaum etc., dazwischen Magnolien, Oleander und Rhododendron in einer Schönheit und Ueppigkeit, die alle Erwartungen schlagen. Man wagt kaum noch, diese harmonische und duftende Symphonie der Farben in ihre einzelnen Teile zu zerlegen, und träumt sich allmählich in die Vergangenheit hinüber, in die Zeit, da der Schwelger Lucullus an diese Stätte asiatische Blumenpracht verpflanzte und so die nach seinem Namen benannten Gärten schuf, deren Pracht noch nach hundert Jahren so erstaunlich war, daß Messalina, um in ihren Besitz zu kommen, nicht den Mord an ihrem Eigentümer Valerius Asiaticus scheute.

Der Brunnen vor der Villa Medici.     
 Die Terrasse des Monte Pincio.

Nach Messalinas Ermordung blieben die Gärten kaiserlich, bis sie an die Familie der Pincii gelangten. Nach den Gotenkriegen, während deren Belisar hier oben wohnte, ward der Gartenhügel durch fromme Mönche zum Weinhügel gewandelt, bis Napoleon I und später Mazzini ihn dem alten Berufe zurückgaben. Napoleon schuf die jetzigen Anlagen, und Mazzini [530] verschönerte sie, namentlich auch dadurch, daß er die zahlreichen Büsten der berühmtesten Italiener in den Alleen aufstellte.

Die Klänge von Wagners „Walkürenritt“ wecken uns. Es ist vier Uhr geworden, und das römische Stadtorchester in seinen grünen Umformen und den grünbebuschten Bonapartehüten hat unter Meister Vessellas trefflicher Leitung das Konzert begannen.

Ein wackerer Mann, dieser Herr Vessella, auch in Deutschland nicht unbekannt, da er schon eine Tournee durch die größten deutschen Städte gemacht hat. Was schier unmöglich schien, erreichte er. Es giebt kein konservativeres Volk als das römische, und darum wehrte es sich verzweifelt gegen die „Invasion der Wagnerschen Disharmonien“. Vessella jedoch, taub gegen alle akustischen Zeichen des Mißvergnügens, blieb fest und spielte in jedem Konzerte so lange Wagner, bis „Lohengrin“, „Walküre“ und „Götterdämmerung“ dem Publikum vertraut wurden.

Das Publikum! Wir sehen es auf unserem Bilde S. 520 und S. 521. Kosmopolitisch ist’s; denn es ist Spätherbst, und die Reise- und Pilgersaison hat wieder begonnen. Hier die in roter und blauer Seide funkelnde Amme aus dem Sabinerlande, dort gleißen die purpurroten Talare der Priesterkadetten aus dem Collegium Germanicum. Vor dem deutschen Fremden im Lodenmantel drängt das Blumenmädchen, ein Hirtenkind aus dem Volskergebirge, dem römischen Stutzer ein Sträußchen auf. Im Vordergrunde aber disputieren vor dem befrackten Carabiniere aus den Schneebergen Piemonts zwei französische Geistliche … Dem Völkergemisch entspricht das Sprachengewirr. Im Hintergrunde erblicken wir auf der breiten Straße – die Wagenburg.

Der Pincio ist die Krone der täglichen Korsofahrt, und dieser tägliche Korso bildet ja den Lebenszweck aller römischen Damen, die zur Gesellschaft gehören. Den halben Tag bleibt die feine Römerin im Negligé daheim, bis es Zeit ist, Korsotoilette zu machen; dann besteigt sie mit dem Gatten die Carozza, und nachdem sie in mehrfacher Hin- und Herfahrt auf der Via del Corso den täglichen Appell über die übrigen Mitglieder der „Gesellschaft“ abgehalten hat, geht es nach einem kurzen Abstecher nach der Villa Borghese zur Rast auf den Pincio, der so zum Stelldichein alles dessen geworden ist, was sonst die Politik grausam trennt. Neben der „schwarzen“ ist auch die „weiße“ Aristokratie vertreten, ja auch die Königin kommt oft in ihrem mit den Lakaien in roter Livree besetzten Hofwagen, ebenso die Prinzen, falls sie in Rom sind, während der König, der lieber vors Thor fährt, seltener erscheint. Die glänzendsten Namen der römischen Geschichte des Mittelalters sieht man vertreten, in reichen Toiletten erscheinen die Damen der Häuser Aldobrandini, Colonna, Borghese, Odescalchi, Doria, Chigi etc. Zu ihnen gesellen sich die Damen des diplomatischen Korps. Kaum halten die Wagen, so eilen die Herren, um im Zickzackgang Besuche abzustatten, von Equipage zu Equipage. Recht formgewandt huldigt man in Rom den Damen, denn die Römerin, die sehr auf guten Anzug, auch bei den Herren, hält, sieht auch sehr auf feine Sprache. Plötzlich stockt die Unterhaltung. Ein Galawagen zieht auf, besetzt von Lakaien in Kniehosen und rotem Frack. Würdevoll, ernst thut Principe di Massimi seine tägliche Pflichtfahrt. Da er von Fabius Maximus Cunctator abstammt, rangiert er unter den souveränen Familien, folglich fährt er auch mit souveränem Pomp.

Wir retten uns aus dem Gedränge in die hinteren Alleen, welche schöne Ausblicke auf den borghesischen Park und die nördlichen Hügel bieten. Viele glückliche Menschen wandeln still zu Zweien, einsame Damen schmachten auf umschatteten Bänken à la Duse – „duseggiare“ nennt der Römer ihr kokettes Thun, nach der berühmten Schauspielerin – vom Kindertummelplatz mischt sich Jubelgeschrei in die Klänge des Orchesters.

Der Abend sinkt. Wir treten zur Terrasse zurück. Der westliche Himmel flammt auf. Die Peterskirche ist auf Goldgrund gemalt. Die Konturen der Stadt verschwinden, die Hunderte von Türmen und Kuppeln versinken im violetten Duftmeer und gespenstisch wächst Michelangelos Riesenschöpfung, die Kuppel des Petersdoms, in die Höhe. Der Pincio leert sich, nur manch ein empfindsamer deutscher Rompilger, der an die Abfahrt denken muß, weilt noch seufzend an der Balustrade, festgebannt von dem Goldmeer, in dem der Vatikan schwimmt. Wie gerne möchte er dem davoneilenden Sonnenwagen in die Speichen fallen. Doch die Nacht bricht ein – und nachts wird der Pincio geschlossen.