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Der Olymp

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LXVI. Diodati am Genfersee Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXVII. Der Olymp
LXVIII. New-York
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OLYMPUS

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LXVII. Der Olymp.




Nördlich von Larissa, im türkischen Thessalien, streckt sich ein romantischer, aber öder Landstrich dem Meere zu. Schweigen und Einsamkeit beherrschen ihn so groß, als der Lärm der Menschen, die sich einst auf diesem Boden drängten. Man sieht hie und da Ueberreste Griechischer Straßen, wo kein Fuß mehr wandelt. Einige Maisfelder in den Thälern und kümmerliche Olivenpflanzungen sind die einzigen Zeichen gegenwärtiger Cultur. Zerstörte Dörfer und verwilderte Baumpflanzungen deuten auf eine noch vor Kurzem reichere Bevölkerung hin; sie sind die noch frischen Verwüstungen des Kriegs. Hohe Trümmer von Wasserleitungen, Grabmälern und Tempeln schauen aus dichtem Gestrüpp, das auf dem Staube wuchert, in den die Zeit den harten Marmor zerdrückte. Scheue, tiefgebräunte, hagere Gestalten, denen man ansieht, daß das Joch des Treibers noch auf sie lastet, hüten die einsamen Hütten.

Dort erhebt sich der Göttersitz der Griechischen Vorwelt mit weißglänzender Firne wie ein großer Schatten. Den Ossa ausgenommen, erscheinen die Berge um ihn her wie Zwerge; und da er aus einer Ebene, die fast im Niveau des Meeres liegt, emporsteigt, so ist seine scheinbare Höhe noch weit größer, als seine absolute.[1] Die ältesten Griechen hielten ihn für den höchsten Berg und den Mittelpunkt der ganzen Erde, die man sich damals wie eine Scheibe vorstellte und von des Berges Gipfel ganz überschauen zu können vorgab. Dieser Begriff, das Majestätische auch in seiner Form, führte zur Idee, er sey die irdische Wohnung der Götter. Ueber dem Haupte desselben glaubte man eine Oeffnung im metallnen Gewölbe des Himmels, die Pforte für die unsterblichen Mächte. Zwei andere Thore dachte man sich am Himmelsgewölbe, an dessem äußersten Rande, in Ost und in West. Durch diese stiegen der Phöbus (der Sonnengott) und die Nacht mit ihrem Gefolge aus dem Ozean zum Firmamente empor und wieder hinunter. Auf dem Olymp rathschlagten die großen Götter. Zwölf an der Zahl bildeten sie den Rath der Alten, Zeus ihr Haupt. Sie entschieden die Geschicke der Welt und die Angelegenheiten des Himmels. Die übrigen Götter gehörten zur allgemeinen Versammlung, welche Zeus in wichtigen Dingen berief. Krystallene Palläste bedeckten des Berges Gipfel, der Götter Wohnungen, denen kein Sterblicher zu nahen sich erdreistete. So die Mythe der Griechen zur Zeit des Homer. – Als in der Folge die Begriffe von der Größe des Weltalls und der Gottheit sich erweiterten, da entrückten die [48] schlauen Priester die Olympier dem alten Sitze und verwiesen sie auf die äußerste Himmelssphäre, den Namen Olympos auch für diesen neuen Wohnort beibehaltend. Indeß galt lange noch der entgötterte Berg für einen Ort von großer Heiligkeit. – Erst in der Blüthenzeit der Griechischen Bildung, wo schon geläuterte Begriffe einer einzigen Gottheit, ihrer Allwissenheit, Allgegenwart, Güte und Gerechtigkeit aus dem Munde der Philosophen in das Volk drangen, nahm die Ehrfurcht vor dem Ursitze des Zeus ab. Sokrates und dessen Nachfolger verbreiteten gereinigte Grundsätze und vor dem Lichte religiöser Aufklärung fiel die starre Glaubenslehre der Priester immer mehr in Mißachtung. Das engverschlungene Mythenknäuel löste unmerklich sich auf. Der erregte Geist des Volks suchte frühere Vorstellungen mit neu gewonnenen Einsichten zu vereinigen. Es gewöhnte sich, in jedem Gotte den andern und in allen einen wieder zu finden und seit ihm durch die Erklärungen der Philosophen auch die Mysterien nicht fremd blieben, sank die Ehrfurcht vor den geheiligten Orten vollends. Schon lange vor dem Eindringen des Christenthums war auch der Nimbus verschwunden, der den Olymp so lange umhüllt hatte. –

– Versetzen wir uns auf seinen Gipfel! welch ein Umblick! Ein Land, die Wiege aller neuern Cultur, breitet sich vor uns aus, in dem ehemals zwanzig berühmte Völkerschaften lebten. Dieß jetzt so entvölkerte Thessalien und jenes verwüstete Hellas, sie zählten einst über hundert mächtige Städte; ihre blühenden Felder waren mit Dörfern und Flecken bedeckt, überall drängten sich Wohnungen, Tempel und die Denkmäler des Gedeihens, des Ueberflusses, der Gesittung und der höchsten geistigen Cultur. – Der Griechen Unternehmungsgeist, ihr Fleiß und ihre Kraft höhlten an diesen Küsten tiefe Häfen aus, trockneten pesthauchende Sümpfe und bedeckten die verödeten Gewässer mit ihren Schiffen, deren Flagge alle damals bekannten Meere beherrschten. Was ist geworden aus alle Diesem in der Spanne Zeit von anderthalb Jahrtausenden, ein Tropfen im Meere der Ewigkeit? Von den meisten Orten der Vorzeit kennt man ihre Stätte nicht mehr. Wilde Thiere hausen in den Ruinen der Paläste der Könige; Heerden weiden auf der Schwelle der eingestürzten Tempel und auf der unwirthlichen Höhe, von wo Zeus seine Blitze schleuderte, forstet sein Adler nur noch. Alt-Griechenland’s ganze gigantische Schöpfung, Zeuge der höchsten Cultur, der Menschheit Stolz, ist bis auf wenige Spuren verschwunden, die den Fußtapfen gleichen, welche ein Riese dem Boden eindrückte, den er vorlängst verlassen! Heilige und gläubige Völker sind jetzt dünn über diese Länder gesäet und die Erde trägt unter ihren Händen nur Dornen und Wermuth. Dem Kriege, der Hungersnoth, der Pest, der fremden Unterdrückung fallen sie fort und fort zum Opfer. Versumpft sind die Küsten und hauchen Seuchen aus; die Häfen sind verschlämmt oder vertrocknet; die wenigen Städte gleichen Skeletten; die allgemeine Armuth ist an die Stelle des Reichthums, Mangel und Entbehrung sind an die des Ueberflusses und der Ueppigkeit getreten, das ganze Land, einst der Schauplatz so vieler Pracht, ist ein Bild der Verödung und des Elends. – Mußte, so fragt der schwache Mensch, betäubt von dem schrecklichen Wechsel, diese Verwandlung seyn? Nein! Nicht Gott hat sie verhängt, nicht [49] das Schicksal sie gewollt. Ihre Ursache war nicht im Schooße der Gottheit verborgen. Der Quell von Wohl und Wehe der Nationen, so lehrt auch Griechenland’s Geschichte, ist in den Völkern selbst, so gewiß, wie der vom Wohl und Wehe des einzelnen Menschen in seinem Ich zu suchen.




  1. Ohngefähr 6500 Fuß.