Der Silhouettenschneider
[724] Der Silhouettenschneider. (Zu dem Bilde S. 717) Vor zwanzig Jahren gab es in Berlin einen wahrhaft genialen Silhouettenschneider. Es war ein kleiner Mann mit einem fragenden, gleich die Personen auf ihre besondere Eigenartigkeit im Gesichtsausdruck prüfenden Blick, und man traf ihn überall, wo das Publikum sich zusammenfand, um des Tages Last und Mühe abzuschütteln. Oft fragte er, mit der Schere in der Hand, ob er ein Porträt anfertigen dürfe, vielfach setzte er sich ohne Auftrag von seinem „Opfer“ an einen nicht zu weit entfernten Tisch, fertigte mit wahrer Virtuosität ein Profilbild an und bot dann sein Kunstwerk gegen beliebige Bezahlung zum Kaufe an. Und der Berliner ist daheim viel zu kameradschaftlich und zu gutmüthig, um in solchem Fall nicht in die Tasche zu greifen. Er giebt, was seinen Verhältnissen entspricht, und der kleine Mann stellte – ich habe ihn häufig beobachtet – auch niemals höhere Forderungen. Ich besitze noch ein aus jener Zeit herrührendes, überraschend ähnliches Bildchen, aus schwarzem Papier geschnitten, und es weckt die Erinnerung an die in belebten Berliner Vororten oder in Konzertsälen, Bierschenken, kleinen Theatern und Belustigungslokalen verlebten frohen Stunden.
Unser Zeichner giebt eine treffliche Skizze von einem „Bildschneider“
aus neuester Zeit. In einer Wirthschaft sitzt eine Familie um den Tisch
und läßt eines ihrer Mitglieder, das lächelnd gradausschauende, die Hände
auf die Stuhllehne stützende achtzehnjährige „Mariechen“, zunächst
abkonterfeien. Sehr lebensvoll, der Wirklichkeit trefflich abgelauscht ist
namentlich der Künstler selbst und die mittlere Gruppe der Alten. Aber
auch auf den Gesichtern der übrigen ist der Ausdruck des gespannten
Interesses an dem Vorgang überzeugend wiedergegeben. – g