Der Spaziergang (Friedrich Schiller)
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Der Spaziergang.
Sey mir gegrüßt mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel,
Sey mir Sonne gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint,
Dich auch grüß ich belebte Flur, euch säuselnde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Aesten sich wiegt,
Um das braune Gebirg, über den grünenden Wald,
Auch um mich, der endlich entflohn des Zimmers Gefängniß
Und dem engen Gespräch freudig sich rettet zu dir,
[50] Deiner Lüfte balsamischer Strom durchrinnt mich erquickend,
Kräftig auf blühender Au erglänzen die wechselnden Farben,
Aber der reizende Streit löset in Anmuth sich auf,
Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich,
Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad,
Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichten Klee,
Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste,
Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft.
Doch jetzt braust’s aus dem nahen Gebüsch, tief neigen der Erlen
[51] Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein,
In des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald giebt
Ueberraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.
Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne,
Tief an des Berges Fuß, der gählings unter mir abstürzt,
Wallet des grünlichten Stroms fließender Spiegel vorbei.
[52] Endlos unter mir seh’ ich den Aether, über mir endlos,
Blicke mit Schwindeln hinauf, blicke mit Schaudern hinab,
Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin.
Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber,
Und den fröhlichen Fleiß rühmet das prangende Thal.
Jene Linien, sieh! die des Landmanns Eigenthum scheiden,
Freundliche Schrift des Gesetzes, des Menschenerhaltenden Gottes,
Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand,
Aber in freieren Schlangen durchkreuzt die geregelten Felder
Jetzt verschlungen vom Wald, jetzt an den Bergen hinauf
Auf dem ebenen Strom gleiten die Flöße dahin,
Vielfach ertönt der Heerden Geläut im belebten Gefilde,
Und den Wiederhall weckt einsam des Hirten Gesang.
Muntre Dörfer bekränzen den Strom, in Gebüschen verschwinden
Nachbarlich wohnet der Mensch noch mit dem Acker zusammen,
Seine Felder umruhn friedlich sein ländliches Dach,
Traulich rankt sich die Reb’ empor an dem niedrigen Fenster,
Einen umarmenden Zweig schlingt um die Hütte der Baum,
Theilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz.
[54] Deine Wünsche beschränkt der Aernten ruhiger Kreislauf,
Wie dein Tagewerk, gleich, windet dein Leben sich ab!
Aber wer raubt mir auf einmal den lieblichen Anblick? Ein fremder
Spröde sondert sich ab, was kaum noch liebend sich mischte,
Und das Gleiche nur ist’s, was an das Gleiche sich reiht.
Stände seh ich gebildet, der Pappeln stolze Geschlechter
Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig daher,
Dieses Dienergefolg meldet den Herrscher mir an.
Prangend verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln,
Aus dem felsigten Kern hebt sich die thürmende Stadt.
[55] In die Wildniß hinaus sind des Waldes Faunen verstoßen,
Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen. Enger wird um ihn,
Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt.
Sieh, da entbrennen in feurigem Kampf die eifernden Kräfte,
Großes wirket ihr Streit, größeres wirket ihr Bund.
Brüsten, von einem Gefühl glühend, ein einziges Herz,
Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze,
Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrtes Gebein.
Nieder steigen vom Himmel die seligen Götter, und nehmen
[56] Herrliche Gaben bescheerend erscheinen sie; Ceres vor allen
Bringet des Pfluges Geschenk, Hermes den Anker herbei,
Bacchus die Traube, Minerva des Oelbaums grünende Reiser,
Auch das kriegrische Roß führet Poseidon heran,
In das gastliche Thor zieht sie als Bürgerinn ein.
Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzer der Menschheit,
Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Sitten und Kunst,
Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren,
Auf den Mauren erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter
Blickten dem Heerzug nach, bis ihn die Ferne verschlang.
[57] Betend stürzten sie dann vor der Götter Altären sich nieder,
Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch.
Eurer Thaten Verdienst meldet der rührende Stein:
„Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“
Ruhet sanft ihr Geliebten! Von eurem Blute begossen
Munter entbrennt, des Eigenthums froh, das freie Gewerbe,
Aus dem Schilfe des Stroms winket der bläulichte Gott.
Zischend fliegt in den Baum die Axt, es erseufzt die Dryade,
Hoch von des Berges Haupt stürzt sich die donnernde Last.
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab.
Mulcibers Ambos tönt von dem Takt geschwungener Hämmer,
Unter der nervigten Faust sprützen die Funken des Stahls,
Glänzend umwindet der goldne Lein die tanzende Spindel,
Fern auf der Rhede ruft der Pilot, es warten die Flotten,
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß,
Andre ziehn frohlockend dort ein, mit den Gaben der Ferne,
Hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz.
Seltsamer Sprachen Gewirr braust in das wundernde Ohr.
[59] Auf den Stapel schüttet die Aernten der Erde der Kaufmann,
Was dem glühenden Strahl Afrikas Boden gebiert,
Was Arabien kocht, was die äußerste Thule bereitet,
Da gebieret das Glück dem Talente die göttlichen Kinder,
Von der Freiheit gesäugt wachsen die Künste der Lust.
Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen,
Und vom Meißel beseelt redet der fühlende Stein,
Und den ganzen Olymp schließet ein Pantheon ein,
Leicht, wie der Iris Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von der Senne
Hüpfet der Brücke Joch über den brausenden Strom.
[60] Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel
Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben,
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Aether dem Strahl,
Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern,
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht.
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.
Da zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes,
Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht.
Seine Fesseln zerbricht der Mensch. Der Beglückte! Zerriß er
[61] Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde,
Von der heil’gen Natur ringen sie lüstern sich los.
Ach, da reissen im Sturm die Anker, die an dem Ufer
Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der flutende Strom,
Hoch auf der Fluten Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn,
Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne,
Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott.
Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue
In der Herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Geheimniß
Drängt sich der Sykophant, reißt von dem Freunde den Freund,
[62] Auf die Unschuld schielt der Verrath mit verschlingendem Blicke,
Mit vergiftendem Biß tödtet des Lästerers Zahn.
Wirft des freien Gefühls göttlichen Adel hinweg,
Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der Betrug sich
Angemaßt, der Natur köstlichste Stimmen entweiht,
Die das bedürftige Herz in der Freude Drang sich erfindet,
Auf der Tribune prahlet das Recht, in der Hütte die Eintracht,
Des Gesetzes Gespenst steht an der Könige Thron,
Jahre lang mag, Jahrhunderte lang die Mumie dauern,
Mag das trügende Bild lebender Fülle bestehn,
An das hohle Gebäu rühret die Noth und die Zeit,
Einer Tigerinn gleich, die das eiserne Gitter durchbrochen
Und des numidischen Wald’s plötzlich und schrecklich gedenkt,
Aufsteht mit des Verbrechens Wuth und des Elends die Menschheit,
O so öffnet euch Mauren, und gebt den Gefangenen ledig,
Zu der verlassenen Flur kehr’ er gerettet zurück!
Aber wo bin ich? Es birgt sich der Pfad. Abschüssige Gründe
Hemmen mit gähnender Kluft hinter mir, vor mir den Schritt.
Hinter mir jegliche Spur menschlicher Hände zurück.
[64] Nur die Stoffe seh’ ich gethürmt, aus welchen das Leben
Keimet, der rohe Basalt hofft auf die bildende Hand,
Brausend stürzt der Gießbach herab durch die Rinne des Felsen
Wild ist es hier und schauerlich öd’. Im einsamen Luftraum
Hängt nur der Adler, und knüpft an das Gewölke die Welt.
Hoch herauf bis zu mir trägt keines Windes Gefieder
Den verlorenen Schall menschlicher Mühen und Lust.
Herzen wieder, Natur, ach! und es war nur ein Traum,
Der mich schaudernd ergriff, mit des Lebens furchtbarem Bilde,
Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab.
[65] Reiner nehm’ ich mein Leben von deinem reinen Altare,
Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig
Wiederholter Gestalt wälzen die Thaten sich um.
Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne
Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz,
Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut,
Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter;
Unter demselben Blau, über dem nehmlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,