Der alte Archivar
so weltverloren, so weltentrückt,
sitzet und forschet, wie manches Jahr,
also auch heute, der Archivar.
Da faltet die Hände der alte Mann
und sinnt, wie so flüchtig die Jahre enteilen,
und wie sein eigenes Leben verrann.
Sie haben sich draußen gehetzt und gejagt
und haben die Spanne der Erdenzeit
geachtet für eine Unendlichkeit.
Er wußte das anders, der Archivar;
denn er sah immer, was vordem war,
er wußt’ es, war allzeit wieder geschehen.
Was den andern die längste Vergangenheit,
das war ihm jüngst verflossene Zeit,
und an dem, was immer und immer gewesen,
Die bunten Lappen der Erdenpracht,
sie sanken vor ihm in Staub und Nacht,
und von manchen Kaisers vergilbter Hand
blies er gelassen ein Restlein Sand.
den Kern der Wahrheit schimmern gesehen
und weiß es fürder unbeirrt,
was bleibend gewesen und bleiben wird.
Und wenn ihm vollends die Feder entsinkt,
wenn die letzte Recherche am Ziele steht
und von ferne die höchste Entschließung winkt –
dann senkt er die Augen und bündelt in Ruh
den Akt des Lebens und schnürt ihn zu
sich fertig zur Fahrt in die Ewigkeit.
Anmerkungen Wikisource
Eine abweichende Version mit zusätzlicher letzter Strophe trug Sperl auf dem 12. Deutschen Archivtag in Würzburg vor (dieser Fassung entstammt auch die Überschrift, die im Roman Der Archivar fehlt). Nach Protokolle des Zwölften Deutschen Archivtags zu Würzburg, 1912, S. 5–7 zitiert das Gedicht eine Potsdamer Diplomarbeit über die Deutschen Archivtage (PDF). Der Schluss lautet:
Und hieß’ es etwa nach einiger Zeit,
geh wieder zur Erde – so wär’ ihm das leid.
Doch brächte ihn dann ein Engel hernieder
und sagte, nun wähle dein Glück! –
er ginge in sein Gewölbe zurück
und würde fürwahr
das zweitemal wieder
ein Archivar.