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Der alte Dschang

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der alte Dschang
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 104–109
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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[104]
41. Der alte Dschang

Es war einmal ein Mann, den nannte man den alten Dschang. Er lebte in der Nähe von Yangdschou auf dem Lande als Gärtner. Sein Nachbar, namens We, hatte ein Amt in Yangdschou. Seine Tochter war eben im Alter, daß sie heiraten sollte. Darum berief er eine Ehevermittlerin und trug ihr auf, [105] einen hübschen Bräutigam zu suchen. Der alte Dschang hörte das und war erfreut. Er richtete Wein und Speisen zu, lud die Ehevermittlerin ein und sagte zu ihr, sie solle ihn als Bräutigam empfehlen. Die Alte aber ging scheltend und keifend weg.

Am andern Tag lud er sie wieder ein und gab ihr Geld. Die Alte sprach: „Ihr wißt nicht, was Ihr begehrt. Wie sollte die schöne Tochter eines großen Herrn sich dazu hergeben, einen armen, alten Gärtner zu heiraten! Selbst wenn Ihr steinreich wäret, so würdet Ihr mit Eurem weißen Haar und kalten Blut nicht zu ihr passen. Es kann keine Rede von der Heirat sein.“

Der alte Dschang ließ nicht ab, sie inständig zu bitten: „Versucht es nur einmal, mich zu nennen! Wenn sie nicht auf Euch hören, so muß ich mich mit meinem Schicksal zufrieden geben.“

Die Alte hatte Geld von ihm angenommen; darum wußte sie sich nicht zu helfen, und obwohl sie fürchtete, gescholten zu werden, redete sie zu dem Herrn We von ihm. Der wurde böse und wollte die Alte hinauswerfen.

„Ich wußte, Ihr würdet mirs übelnehmen“, sprach die Alte, „aber weil der Greis mich so bedrängte, so konnte ich nicht anders, als Euch von seiner Absicht sagen.“

„Sprich du zu dem Greis, wenn er mir heute noch zwei weiße Jaspissteine und vierhundert Lot gelbes Gold bringt, dann wolle ich ihm meine Tochter zur Frau geben.“

Er wollte aber nur die Torheit des Alten verspotten; denn er wußte, daß jener das doch nicht herbeischaffen konnte. Das Weib ging zum alten Dschang und sagte es ihm an. Der wars zufrieden und brachte sofort das Gold und die Edelsteine vollzählig in das Haus des Herrn We. Der erschrak sehr, und als seine Frau davon hörte, begann sie laut zu jammern und zu klagen. Das Mädchen sprach ihrer Mutter zu: „Mein Vater hat das Wort einmal gesprochen und darf es nicht brechen. Ich weiß mein Schicksal zu ertragen.“

[106] So gab der Herr We seine Tochter dem alten Dschang. Der gab auch nach der Hochzeit seine Gärtnerei nicht auf. Er schleppte Dünger, hackte das Feld und verkaufte Gemüse wie bisher. Seine Frau mußte selber Wasser holen und Feuer machen zum Kochen. Sie tat das alles, ohne sich zu schämen. Ihre Verwandten machten ihr Vorwürfe; aber sie ließ sich nicht abhalten.

Einst kam ein vornehmer Verwandter zu dem Herrn We und sprach: „Wenn Ihr wirklich arm seid, so gab es doch genug junge Herren in der Gegend für Eure Tochter. Warum mußtet Ihr sie gerade an solch einen alten, verrunzelten Gärtner verheiraten? Nun habt ihr sie einmal weggeworfen, da wäre es besser, die beiden zögen aus der Gegend fort.“

Da bereitete der Herr We ein Mahl und lud seine Tochter und den alten Dschang zu sich. Als sie tüchtig Wein getrunken hatten, ließ er den Gedanken ein wenig durchblicken.

Der alte Dschang sprach: „Ich bin nur hier geblieben, weil ich dachte, ihr würdet Euch nach Eurer Tochter sehnen. Da Ihr unser überdrüssig seid, will ich gerne weg. Hinter den Bergen hab ich ein kleines Landhaus. Morgen in aller Frühe wollen wir reisen.“

Am andern Morgen, als es eben dämmerte, kam der alte Dschang mit seiner Frau, Abschied zu nehmen. Herr We sprach: „Wenn wir später Heimweh haben, kann ja mein Sohn nach Euch fragen.“ Der alte Dschang setzte seine Frau auf einen Esel und gab ihr einen Strohhut auf den Kopf. Er selber nahm einen Stock zur Hand und ging hintendrein.

Es vergingen ein paar Jahre, ohne daß Nachricht von den beiden kam. Herr We und seine Frau hatten Heimweh nach ihrer Tochter und sandten ihren Sohn, nach ihr zu fragen. Als der hinter den Bergen angekommen war, traf er einen Knecht, der mit zwei gelben Stieren pflügte. Er fragte ihn: „Wo ist das Landhaus des alten Dschang?“

[107] Der Knecht ließ den Pflug stehen, verneigte sich und sprach: „Ihr seid lange nicht gekommen, Herr. Das Dorf ist nicht weit von hier. Ich will Euch den Weg zeigen.“

Sie kamen über einen Berg. Unten an dem Berge floß ein Bach. Als sie den Bach überschritten, mußten sie wieder einen Berg hinauf. Allmählich änderte sich die Gegend. Vom Gipfel aus zeigte sich ein Tal, in der Mitte eben, von schroffen Bergen umschlossen und von grünen Bäumen beschattet, zwischen denen Häuser und Türme hervorlugten. Das war das Landhaus des alten Dschang. Vor dem Dorfe floß ein tiefer Bach mit blauem, klarem Wasser. Sie gingen über eine steinerne Brücke, dann kamen sie an das Tor. Blumen und Bäume standen in dichtem Gewirr. Pfauen und Kraniche flogen umher. Von weitem hörte man Flöten- und Saitenspiel. Reine Töne stiegen zu den Wolken auf. Ein Bote in purpurnem Kleid empfing den Gast am Tor und führte ihn in einen Saal, der überaus herrlich war. Fremde Düfte füllten die Luft, und Perlenglöckchen klangen. Zwei Dienerinnen kamen heraus und begrüßten ihn. Ihnen folgten zwei Reihen schöner Mädchen in langem Zuge. Hinter ihnen kam ein Mann in einem weichen Turban, in Scharlachseide gekleidet, in roten Pantoffeln, schwebend heran. Der Gast begrüßte ihn. Er war ernst und würdevoll und dabei doch jugendlich frisch. Erst kannte er ihn nicht; als er aber näher zusah, da wars der alte Dschang. Der sagte lächelnd: „Ich freue mich, daß du den weiten Weg nicht gescheut hast. Deine Schwester kämmt sich eben die Haare. Sie wird dich gleich empfangen.“ Dann ließ er ihn sitzen und Tee trinken.

Nach einer kleinen Weile kam eine Dienerin und führte ihn in die hinteren Gemächer zu seiner Schwester. Die Balken ihres Gemachs waren aus Sandelholz, die Türen aus Schildpatt, die Fenster mit blauem Jaspis eingelegt, die Vorhänge aus Perlenschnüren, und die Stufen waren aus grünem Nephrit. Seine Schwester war prächtig gekleidet [108] und noch viel schöner als früher. Leichthin fragte sie, wie es ihm gehe und was die Eltern machten. Doch war sie nicht besonders herzlich. Nach einer herrlichen Mahlzeit richteten sie ihm eine Wohnung zu.

„Meine Schwester will mit der deinen einen Ausflug machen nach dem Feenberg“, sagte der alte Dschang zu ihm. „Um Sonnenuntergang sind wir wieder zurück. Du kannst so lange hier ausruhen.“

Da erhoben sich farbige Wolken im Hof, und eine liebliche Musik ertönte. Der alte Dschang bestieg einen Drachen, seine Frau und seine Schwester ritten auf Phönixen, das Gefolge auf Kranichen. So stiegen sie in die Luft und verschwanden nach Osten zu. Nach Sonnenuntergang erst kamen sie zurück.

Der alte Dschang und seine Frau sagten zu ihm: „Dies ist ein Haus der Seligen. Du darfst hier nicht allzulange weilen. Morgen wollen wir dir das Geleite geben.“

Am andern Tag beim Abschied gab ihm der alte Dschang achtzig Lot Gold und einen alten Strohhut. „Wenn du Geld brauchst“, sagte er, „kannst du nach Yangdschou gehen und in der Nordvorstadt nach der Apotheke des alten Wang fragen. Dort kannst du zehn Millionen Kupferstücke holen. Dieser Hut ist die Anweisung darauf.“ Dann befahl er einem Knecht, ihn wieder heimzubringen.

Von den Leuten zu Hause, denen er seine Erlebnisse erzählte, dachten manche, der alte Dschang sei ein Heiliger, andere hielten das Ganze für einen Zauberspuk.

Nach fünf, sechs Jahren war das Geld des Herrn We zu Ende. Da ging sein Sohn mit dem Strohhut nach Yangdschou und fragte dort nach dem alten Wang. Der stand gerade in seiner Apotheke und mischte Kräuter. Als er von seinem Anliegen hörte, da sagte er: „Das Geld ist da. Ist der Hut auch echt?“ Er nahm den Hut und sah ihn prüfend an. Ein junges Mädchen kam aus dem inneren Zimmer hervor und sprach: „Ich hab den Hut für den alten Dschang selber geflochten, es muß ein roter Faden [109] drin sein.“ Und richtig war es so. Da gab er die zehn Millionen Kupferstücke dem jungen We, und dieser glaubte nun dran, daß der alte Dschang wirklich ein Heiliger war. Darum ging er wieder über die Berge, um nach ihm zu sehen. Als er auf den Gipfel kam, da war der Weg verschwunden. Er fragte die Wildheuer, aber sie wußten auch nichts. Traurig kehrte er um und wollte sich beim alten Wang erkundigen, doch auch der war weg.

Nach mehreren Jahren kam er wieder einmal nach Yangdschou und ging auf dem Anger vor dem Tor spazieren. Dort traf er den Knecht des alten Dschang. Der fragte ihn: „Wie gehts, wie stehts?“ und zog zehn Pfund gelbes Gold hervor; die gab er ihm und sprach: „Meine Herrin hat mir gesagt, ich soll Euch das bringen! Mein Herr trinkt gerade Wein mit dem alten Wang dort in der Herberge.“ Er ging dem Knecht nach und wollte den Schwager begrüßen. Als er aber zur Herberge kam, war dort niemand zu sehen. Er wandte sich um, da war auch der Knecht verschwunden. Seither hat niemand mehr etwas vom alten Dschang erfahren.

Anmerkungen des Übersetzers

[395] 41. Der alte Dschang. Vgl. Schen Siän Dschuan.

„Ehevermittlerin“: Zur Eheschließung ist nach chinesischer Sitte – die sich mit der Sitte anderer orientalischer Völker deckt – eine Vermittlung zwischen den beiden Familien unbedingt nötig. Es gibt ältere Frauen, die sich gewerbsmäßig diesem Berufe widmen.