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Der alte Schmuggler

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Textdaten
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Autor: Ludwig Rosen i.e.:
Ludwig Volrath Jüngst
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Titel: Der alte Schmuggler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23-26, S. 321-324, 337-340, 349-352, 361-364
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[321]
Der alte Schmuggler.
Novelle von Ludwig Rosen, Verfasser des „Buchenhofes“.


I.

Der Lieutenant von dem Busch ging höchst mißmuthig in seinem Zimmer auf und ab. Mit dem frohesten Gesichte von der Welt trat dagegen sein Freund und Camerad, der Lieutenant Schellenberg, ein und begann sogleich mit munterem Geplauder:

„Du kannst mir nun Glück auf den Weg wünschen, denn morgen oder übermorgen tret’ ich spätestens meine Rheinreise an; meine Ersparnisse vom Honorar für die Beiträge zum militärischen Journal reichen, denk’ ich, für einen Monat aus, und den Urlaub hab’ ich schon seit vorgestern in der Tasche.“

„Du bist ein Glückskind!“ sagte Busch mürrisch.

Mit fröhlichem Lachen rief Schellenberg: „Das hat mir, so viel ich weiß, noch Niemand gesagt, und am wenigsten erwartete ich es vom reichen Freiherrn Busch zu hören. Hab’ ich doch gar nichts auf der weiten Welt, als mein Patent und meine bescheidene Gage, nicht einmal Eltern und Geschwister! Aber Dir muß etwas Unangenehmes begegnet sein, Du siehst ja ganz griesgrämlich aus!“

„Ich habe wohl Ursache, denn das Glück hält mich geradezu zum Narren. Es ist Dir hinlänglich bekannt, daß ich zu den zahlreichen Verehrern der Tochter des Präsidenten von Bevernförde gehöre, und ich kann wohl sagen, daß mein ganzes Lebensglück vom günstigen Erfolge meiner Bewerbung abhängt. Ohne alle Koketterie, nur aus der Unsicherheit eines noch unentschlossenen Herzens, hat Bertha keinem ihrer Anbeter bisher auch nur den geringsten Vorzug gewährt; in den letzten Tagen sprachen jedoch manche günstige Anzeichen für mich, ja, der Vater hat mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, daß er mich für den nächsten Monat in Wiesbaden zu treffen wünsche, wohin er sich in Begleitung seiner Tochter begibt. Er will offenbar die Gelegenheit herbeiführen, daß wir uns gegenseitig näher kennen lernen; dies ist also der rechte Augenblick – jetzt oder nie! Denn von Wiesbaden aus werden sie eine große Reise antreten, darauf einige Monate in der Residenz zubringen; dem reizenden, geistvollen, mit Glücksgütern jeder Art reich bedachten Mädchen werden die ausgezeichnetsten Freier nicht fehlen, es wird seine Wahl getroffen haben, bevor uns das Geschick wieder zusammenführt, und so stirbt, wenn ich diese Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lasse, die zarte Pflanze meiner Hoffnung für immer dahin.“

„Aber das ist ja ganz einfach: Du nimmst Urlaub, reisest nach Wiesbaden und streckst Deine Hand nach dem winkenden Ziele aus.“

Traurig erwiderte Busch: „Meine Hoffnungen sind schon gescheitert. Ich ging heute Morgen zu dem Obristen, um den Urlaub zu erbitten, erhielt aber einen abschlägigen Bescheid. Der Obrist sagte, daß fast schon mehr Officiere beurlaubt seien, als der Dienst verstatte; so eben wäre der Befehl gekommen, daß das Corps ein starkes Commando nach Eversburg im Gebirge zu senden habe, um dem höchst frechen und gewaltthätigen Treiben der dortigen Schmuggler zu steuern, und ich sei zur Führung dieses Commando’s bestimmt. Denke Dir nur: statt den glücklichsten und hoffnungsreichsten Stunden meines Lebens entgegenzugehen, soll ich mich im Gebirge mit armseligen Schmugglern herumschlagen! Ich käme augenblicklich um meinen Abschied ein, wenn ich dies ohne Einwilligung meiner Familie konnte und dürfte; auch würde über dem weitläufigen Geschäftsgänge doch die rechte Zeit versäumt werden.“

Nach kurzem innerem Kampfe sagte Schellenberg: „Ich gehe sogleich zum Obristen, verzichte auf meinen Urlaub und übernehme statt Deiner das Commando.“

Fast erschrocken vor Ueberraschung rief Busch: „Du wolltest die Reise aufgeben, auf welche Du Dich so lange gefreut hast?“

„Ich mache sie im nächsten Jahre.“

„Bedenke nur: statt der herrlichen Rheinufer das wilde einsame Gebirge – –“

„Das hat auch seinen Reiz.“

„Und der widerwärtige Auftrag – –“

„Man muß allerlei Lagen und Verhältnisse kennen lernen. Die Sache ist abgemacht, ich gehe zum Obristen.“

Schon nach Verlauf von einer Stunde kehrte Schellenberg zurück und rief gleich beim Eintreten: „Stelle heute noch Deinen schriftlichen Antrag, der Obrist ist mit dem Arrangement vollkommen einverstanden.“

Busch umarmte gerührt den hülfreichen Cameraden. „Du bist der edelmüthigste der Freunde, wie soll ich Dir diesen Dienst vergelten?“

„Indem Du als glücklicher Bräutigam zurückkehrst. Mir selbst ist eine ähnliche Hoffnung versagt, es ist also die höchste Genugthuung für mich, wenn ich einmal lieben Freunden zu solchem Glücke verhelfen kann.“

„Aber warum sollte Dir bei Deinen Eigenschaften die Hoffnung versagt sein, ein Mädchen zu treffen, welches gegen Deine Vorzüge hinlängliches Vermögen zur Gründung eines häuslichen Heerdes einsetzt?“

Mit traurigem Kopfschütteln erwiderte Schellenberg: „Der Mann ohne Heimath und Eltern, ohne Familie und Verwandte [322] wird keine Gattin finden, er müßte denn seine Ansprüche tiefer stellen, als ich zu thun gesonnen bin.“

„Wenn Du auch nur der Adoptivsohn des verstorbenen Majors Schellenberg gewesen bist, so gehörst Du doch ohne Zweifel zu seiner Familie, die ja sehr achtungswerth ist.“

„Nein, lieber Freund, ich gehörte nie zu seiner Familie. Er traf mich als kleinen Knaben bei einer ärmlichen Kunstreitertruppe, nahm aus irgend einem Grunde Antheil an mir, kaufte mich den Leuten förmlich ab, ließ mich erziehen und nahm mich später an Kindesstatt an.“

Busch zeigte bei dieser Eröffnung ein so eigenthümlich verblüfftes Gesicht, daß Schellenberg wohl begriff, er sei in seiner Offenherzigkeit zu weit gegangen. „Du machst an Dir selbst die Erfahrung,“ sagte er, „wie der Heimathlose, von der Straße aufgelesene Findling bei der Welt kein Zuvorkommen, sondern nur Abstoßung oder höchstens Duldung zu erwarten hat. Du hast mich seit Jahren als Deinen Freund betrachtet, Du glaubst in diesem Augenblicke mir Dank für einen Dienst schuldig zu sein, und doch stutzest Du und schämst Dich gewissermaßen meiner, sobald Du hörst, daß ich aus einer Vagabundengesellschaft hervorgegangen bin, ohne einmal unter dieser meine Eltern zu kennen.“

Erröthend und verwirrt sagte Busch: „Du bist im Irrthum, lieber Schellenberg - -“

„Ich bin gewiß nicht im Irrthum, mache auch dem Freiherrn, der seinen Stammbaum Jahrhunderte hinauf verfolgen kann, keinen Vorwurf daraus, wenn er die Niedrigkeit und Unsicherheit meiner Herkunft für ein unersetzliches Unglück ansieht.“

Mit Beschämung und Rührung des Freundes Hand ergreifend, sagte Busch: „Du ersetzest durch Kopf und Herz zehnfach Alles, was Dir sonst abgeht; Du überragst uns Alle weit an tiefer Bildung und hochherzigem Edelmuth. Aber, nicht wahr, Du wirst vor der Welt über diese Verhältnisse schweigen?“

„Ich werde sie eben nicht an die große Glocke hängen, aber unter Umständen auch kein Geheimniß daraus machen.“

Sinnend sprach Busch: „Ich kann mir nicht denken, daß Du wirklich der Sohn solcher Leute gewesen sein solltest, die ja öfter schon Kinder guter Eltern geraubt haben. Hast Du nie an diesen Fall und an die Möglichkeit der Auffindung Deiner wahren Eltern gedacht?“

„So wenig mir, wie meinem Pflegevater, lag der Gedanke an diese Möglichkeit fern. Die Kunstreiter hatten auf das Heiligste betheuert, daß sie selbst von meiner Herkunft nicht das Geringste wüßten, sondern mich von andern Herumstreichern erhalten hätten. Sie händigten meinem Wohlthäter einen Ring ein, den sie zugleich mit mir bekommen, als das Einzige, was möglicher Weise auf die Entdeckung meiner wahren Eltern führen könne.“

„Und besitzest Du diesen Ring noch?“ fragte Busch gespannt. Schellenberg knöpfte seine Weste auf und zog einen unscheinbaren goldenen Ring hervor, den er an einem Bande um den Hals trug; in der Mitte war ein geschliffener Stein eingesetzt. Busch gab nach genauer Betrachtung den Ring zurück, indem er enttäuscht sagte: „Es ist kein Familienwappen, sondern dem Anscheine nach eine antike Kamee. Dennoch läßt sich immerhin annehmen, daß nur Leute aus den besseren Ständen im Besitze dieses Stückes gewesen sind. An geeigneten Versuchen zur Auffindung einer Spur werdet Ihr es nicht haben fehlen lassen?“

„Mein Pflegevater hat zahlreiche Ankündigungen erlassen, hat alle möglichen alten Zeitungen durchstöbert, doch umsonst. Aber lassen wir nun diesen Gegenstand fallen. Vom Obristen erfuhr ich, daß ich mein Hauptquartier nicht in Eversburg selbst, sondern eine Stunde davon hart an der Grenze bei einem wohlhabenden Landwirthe aufschlagen soll, welcher die Absendung des Detachements am eifrigsten betrieben hat.“

„So hast Du wenigstens auf guten Willen Deines Quartiergebers zu rechnen.“

Nachdem die Freunde noch dies und jenes besprochen, nahmen sie Abschied voneinander. Am nächsten Tage erhielt Schellenberg seine Instruction und am folgenden Morgen trat er mit fünfzig Mann des Schützencorps den Marsch nach Eversburg an. Am dritten Tage erreichte er das Städtchen, ließ darin den größeren Theil der Mannschaft unter dem ältesten Unterofficier zurück und folgte mit dem Rest einem Führer nach dem Vorwerk „Wolfsgrund“.


II.

Nach einem Marsche durch dichte Wälder sah man den Wolfsgrund vor sich. Ein neuerbautes Wohnhaus mit ausgedehnten Nebengebäuden lag in einem kesselförmigen Thal, das hier am Hauptgebirgsstocke begann. Die tiefsten Stellen am kleinen Bergwasser bildeten Wiesen, zunächst um das Haus dehnten sich Gärten aus, die Berghalden hinauf zogen sich wohlgepflegte Aecker. Mit diesem freundlichen Anblicke stand die weitere Umgebung in scharfem Gegensatze: Berge von wechselnden Formen stiegen ringsum zu bedeutender Höhe empor, tiefe Schluchten zwischen sich mehr errathen, als erblicken lassend, ein gleichförmiger Wald bedeckte das Ganze, nur unterbrochen durch einige senkrechte Felsen. Tiefe Stille herrschte überall?

„Dies ist wundervoll!“ rief Schellenberg dem jungen Unterofficier Winrich zu, der neben ihm herging.

Trocken entgegnete Winrich: „Das werden die Schmuggler auch meinen. Mir kommt es aber etwas unheimlich vor, besonders da es hier ganz an lebenden Wesen zu fehlen scheint.“

Darin irrte sich indessen Winrich, denn die nahende Einquartierung wurde allerdings bemerkt und beobachtet. In dem Garten neben dem Hause standen zwei Männer so, daß sie den Weg übersehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Der ältere Mann in halbländlichem Anzug war von großem und starkem Körperbau, sein braunrothes Gesicht stach gegen das weiße Haupthaar seltsam ab, unter den ergrauten buschigen Brauen leuchteten sonderbare wasserhelle Augen hervor, die zuweilen Gemüthsbewegungen oder Leidenschaften wie in raschen Blitzen zeigten. Der Andere in städtischem Anzug, welcher freilich sehr vernachlässigt und in keinem seiner Theile zusammenpassend war, konnte die jüdische Abkunft nicht verleugnen; in seinem wechselvollen Gesicht sprachen sich unmittelbar hintereinander und oft fast gleichzeitig die verschiedenartigsten und sogar widersprechendsten Eigenschaften oder Stimmungen aus.

Der Jude sagte: „Mit dem Officier hab’ ich gezählt zwölf Mann; ’s ist ein schöner Haufen und wird Euch kosten manchen schönen Thaler Geld für die Beköstigung.“

Ausweichend erwiderte der Andere: „Du solltest machen, daß Du fortkommst, Feibes, denn die Soldaten brauchen Dich hier nicht zu sehen.“

Mit verzogenem Grinsen seines häßlichen Gesichtes sagte Feibes: „Bin nicht neugierig auf die Herren Soldaten, werde später schon machen die nähere Bekanntschaft. Auf Wiedersehen, Marx!“

Als Schellenberg mit seinen Leuten auf dem Hofraume des Gutes Wolfsgrund anlangte, erhoben einige Kettenhunde ein furchtbares Gebell, worauf hier und da ein aus seiner Mittagsruhe gescheuchter Knecht aus dem Nebengebäude trat oder eine Magd mit stumpfer Neugierde hervorglotzte, aber Niemand schien Miene zu machen, sich der Fremden anzunehmen. Doch jetzt kam Marx in seiner stattlichen Erscheinung aus der Hofthüre. Der Officier näherte sich ihm und sagte: „Ich bin der Lieutenant Schellenberg vom Schützencorps und mit dieser Mannschaft nach dem Wolfsgrunde detachirt; sehe ich den Besitzer des Gutes in Ihnen vor mir?“

Marx war bei dem Anblicke und den Worten des Officiers ein wenig zusammengefahren und hielt die breite Hand über die Augen, als wolle er den Sprecher möglichst genau betrachten. Dann sagte er rauh: „Ich bin der Besitzer vom Wolfsgrund, aber als ich mich zur Aufnahme des Officiers und einiger Mannschaft erbot, rechnete ich nicht auf eine so starke Anzahl. Ich kann nur etwa sechs oder sieben Mann unterbringen.“

Verstimmt entgegnete Schellenberg: „Meine Instruction schreibt mir freilich nicht vor, wie viele Schützen ich mit hierher nehmen solle, aber es ist jedenfalls von großem Vortheil, wenn sich hier so unmittelbar an der Grenze ein möglichst starker Posten befindet, und der Obercontroleur in Eversburg meinte, es ließen sich im Wolfsgrunde recht gut so viele Leute unterbringen.“

„Das mag der Herr Obercontroleur immerhin meinen, aber ich nehme außer Ihnen höchstens sechs bis sieben Mann auf.“

„Und wo sollen die Uebrigen bleiben?“

Nach kurzem Besinnen sagte Marx: „Die können auf den Waldhof gelegt werden, ein altes adliges Haus, eine gute Viertelstunde von hier; es ist zwar etwas verfallen, aber es fehlt nicht an bewohnbaren Räumen. Auch liegt eine Mühle dabei, und der [323] Müller wird wohl die Beköstigung übernehmen; ich will an Stroh, Kartoffeln und dergleichen hinschaffen lassen, was ihm fehlt.“

„Ist denn das Herrenhaus nicht bewohnt?“

„O ja, aber nur von einer Dame, die sich nicht sehen läßt, und ihrem Dienstmädchen.“

„So will ich denn gleich selbst dorthin gehen und mir den Ort ansehen. Finde ich aber keine genügende Räumlichkeit für meine Leute, so müssen sie einstweilen hier bleiben.“

Ohne auf das undeutliche Murmeln seines unfreundlichen Wirthes zu achten, traf Schellenberg die vorerst nöthigen Anstalten zur Verpflegung seiner Mannschaft und fragte dann Marx nach dem Wege zum Waldhofe. Nach erhaltenem Bescheid ließ er seine Leute unter Winrich’s Aufsicht zurück und trat seinen Weg an, wenig erbaut von der mürrischen und zurückstoßenden Weise seines Wirthes. Aber die Schönheit der Natur nahm ihn bald in Anspruch. Die Thalweitung des Wolfsgrundes verengerte sich, der Bach rauschte über verworrenes Gestein, rechts eine steile Felswand bespülend, links kaum dem Pfade zwischen sich und dem jähen Bergabhange Raum lassend. Plötzlich verbreiterte sich das Thal wieder und eine Landschaft von hohem Reiz lag vor dem einsamen Wanderer. Aus einem Seitenthälchen kam ein zweiter Bach hervor, auf der Landzunge vor der Vereinigung beider Gewässer lagen die Gebäude des Waldhofes, theils in Ruinen gesunken, theils noch erhalten; dahinter füllten saftige Wiesen die Thalsohle aus, indem eine Kette von Erlen und Weiden den gewundenen Lauf des nun verstärkten Baches bezeichnete; prachtvolle Laubwälder, von einzelnen Nadelgehölzen unterbrochen, bedeckten die Berge, bis diese, sich voreinander schiebend, die Aussicht schlossen. Das trümmerhafte Aussehen des Waldhofes stimmte vortrefflich zum großartigen Charakter der Gegend und vermehrte den Eindruck sanfter Schwermuth, der über dem Ganzen ausgebreitet war und der jetzt Schellenberg’s Gemüth wie mit schmerzlich-süßen Schauern überfiel. „So mag das Heimweh sein,“ flüsterte er, „wie mir jetzt zu Muthe ist, oder die Sehnsucht nach Liebe.“

Ganz in der Nähe betrachtet, verlor freilich die elegische Romantik des Waldhofs manches von ihrem Reiz, indem die mit gänzlichem Verfall kämpfenden Reste der Gebäude doch einen niederschlagenden Eindruck machten. Das Ganze mochte ehemals stattlich genug gewesen sein, aber die Ringmauer war jetzt fast überall umgestürzt, der Graben hatte sich mit Trümmern gefüllt, das Eingangsthor war zusammengesunken. Vom Schloßgebäude stand nur noch ein Seitenflügel unversehrt; die verschlossene Eingangsthüre und die mit Gardinen sowie mit blühenden Gewächsen versehenen Fenster des Erdgeschosses deuteten Bewohntsein an. Der übrige Theil des Schosses war einer Feuersbrunst erlegen, wie sich an dem geschwärzten Gemäuer und den halbverkohlten Balken erkennen ließ, doch fanden sich im entgegengesetzten Flügel einige ziemlich erhaltene Räume, die im Nothfall bewohnbar sein oder gemacht werden konnten. Die ehemaligen Nebengebäude waren völlig verödet, nur eine Mühle, ganz seitwärts am Bach gelegen, ließ sich als den Menschen zur Wohnstätte und zu industrieller Benutzung dienend erkennen. Einige Reihen hochstämmiger Linden und Ulmen beschatteten den Hofraum, und das flüsternde Gesäusel ihrer Zweige unterbrach allein die tiefe Stille.

Schellenberg betrat diese Stätte der Verödung und des Schweigens mit ernsten Gefühlen. Also in diesen verfallenen Resten eines ehemals prunkenden Schlosses hausete eine menschenscheue alte Dame, wahrscheinlich der letzte Zweig eines absterbenden Geschlechtes, keine Blüthen und Früchte mehr treibend, von Schutt und Moder umgeben, von den Menschen vergessen! Es war Schellenberg zu Muthe, als müßte er sich der Einsamen und Verlassenen nähern, ihr irgend einen Dienst leisten, auf ihren freudelosen Pfad eine Blume menschlicher Theilnahme werfen. Wer weiß, wie lange kein wohlwollendes Wort in dieses der Außenwelt verschlossene Ohr erklungen, kein gefühlvoller Blick auf dieses sorgendurchfurchte Gesicht gefallen war!

Es trieben sich einige Kinder mit einem Hündchen bei der Mühle umher, aber Kinder und Hund flüchteten beim Anblick des Fremden. Schellenberg folgte den einmal in ihm angeregten Empfindungen, als er nicht auf die Mühle, sondern auf den bewohnten Theil des Herrenhauses zuschritt und an die verschlossene Thüre pochte. Es wurde von einer jungen weiblichen Person geöffnet, muthmaßlich der Dienerin, von der Marx gesprochen hatte, denn die Kleidung war für eine Bäuerin zu fein, für eine Vornehme zu einfach. Sie fragte schon während des Oeffnens: „Seid Ihr schon wieder aus der Stadt zurück, Niklas?“ Aber sie trat nicht wenig erschrocken zurück, als sie den jungen Officier vor sich sah. Schellenberg’s Auge ruhte mit Wohlgefallen auf der tiefen Purpurröthe, die sich über Gesicht und Nacken des allerliebsten Mädchens ergoß; er trat rasch ein, denn es schwebte ihm lebhaft die Ahnung vor, daß ihm sonst die Thüre vor der Nase zugeschlagen würde.

„Nein, schönes Kind,“ begann er, „kann ich die Herrin sprechen?“

„Zu wem wollen Sie?“ fragte sie verwundert.

„Zu der Dame, welcher diese Besitzung gehört. Können Sie mich nicht bei ihr melden?“

Nach einigem Besinnen und Zögern antwortete sie: „Die Dame ist nicht zu sprechen.“

„Das thut mir leid, denn ich habe etwas Nothwendiges mit ihr zu verhandeln, und ich wünsche um Alles nicht, ihr lästig zu fallen, möchte daher gern vorher die Sache mit ihr besprechen.“

„Kann ich es nicht bestellen?“

„Warum nicht? Die Sache ist in Kürze folgende. Ich bin mit einem starken Commando von Soldaten hierher geschickt, um den Steuerbeamten Beistand gegen die Schmuggelei zu leisten, und glaubte mit zwölf meiner Leute Unterkommen im Wolfsgrund zu finden, der Besitzer aber weigert sich, uns Alle aufzunehmen, und es fragt sich nun, ob etwa fünf Soldaten hier auf dem Waldhof bleiben können. Der Müller übernimmt vielleicht gegen entsprechende Vergütung die Verpflegung, und im Wolfsgrund ist man bereit, das etwa Fehlende hierher zu schaffen.“

Das Mädchen versank in überlegendes Nachdenken und beachtete dabei nicht, mit welcher Theilnahme die Blicke des Officiers auf ihm ruhten. Aber es war auch eine Lust, die holde Erscheinung zu betrachten; die zarte Gestalt entwickelte alle Formen in vollendetem Ebenmaße; um die hohe Stirn legten sich reiche Flechten eines glänzend braunen Haares; die langen Wimpern beschatteten tiefblaue Augen; der volle Mund besaß jenes wunderbare Schwellen, welches der jugendlichen Heiterkeit eben so verwandt scheint, als dem Gewohntsein an Schmerz, welches ungewiß läßt, ob zunächst ein fröhliches oder trauriges Wort über seine Lippen gehen wird; die Hände, obwohl sie mit der Arbeit vertraut genug schienen, zeigten sich dennoch fein und weiß. Um der Schwankenden mehr Zuversicht zu geben, fuhr der junge Mann fort:

„Ich würde die Leute unter den Befehl eines bewährten Unterofficiers stellen und für ihr tadelfreies Betragen einstehen. Ich bin so weit davon entfernt, der alten Dame auch nur die allergeringste Unannehmlichkeit zu bereiten, daß ich vielmehr jede Gelegenheit benutzen werde, mich ihr gefällig zu bezeigen, ja daß es mir eine recht innige Freude machen würde, wenn ich ihr einen Dienst erzeigen könnte.“

Ein eigenthümlicher Ausdruck überflog die Züge des Mädchens, die Lippen schlossen sich fester, um ein leichtes Lächeln nicht herauszulassen, die Wimpern senkten sich rasch, um den kleinen Muthwillen zu verdecken, der aus den Augen hervorleuchten wollte. Dann sagte sie, ohne aufzublicken:

„Woher rührt denn die Theilnahme, die Sie für die Dame gefaßt zu haben scheinen?“

Mit treuherziger Offenheit erwiderte er: „Man braucht nur die tiefe Abgeschiedenheit dieses Aufenthaltes, den verfallenen Zustand dieser Wohnung zu beachten, um vollständig zu begreifen, daß allein die härtesten Schläge des Lebens, die schmerzvollsten Empfindungen des Gemüths ein weibliches Wesen dazu bestimmen konnten, hier eine Zuflucht zu suchen.“

Mit einiger Verwirrung fragte sie: „Finden Sie denn wirklich diesen Aufenthalt so entsetzlich?“

Der Officier rief lebhaft: „Die Gegend ist voll von romantischer Schönheit, man möchte sich nie einen reizenderen Aufenthalt wünschen, aber – man müßte ihn theilen mit einem geliebten Wesen! Wird sonst nicht das Herz in dieser schwermüthigen Einsamkeit sich verzehren an ungestillter Sehnsucht?“

Unter andern Umständen hätte sich Schellenberg wohl mit einiger Beschämung bei solchen Ergüssen gegen ein Mädchen dieser Art ertappt, aber in der gehobenen Stimmung des Augenblicks halte er das überzeugende Gefühl, verstanden zu werden, und er wurde wirklich verstanden. Das Mädchen erhob seine sinnigen Augen voll zu dem belebten Gesicht des Jünglings, dann senkte es rasch seinen Blick und sagte weich:

[324] „Sie mögen in gewisser Beziehung Recht haben.“

Eifrig fuhr Schellenberg fort: „Und in welcher traurigen Menschenumgebung befindet sich hier ein vereinsamtes weibliches Wesen! Der nächste Nachbar scheint ein harter, unzugänglicher Mann, die übrigen Nachbarn mögen wohl nur aus Schmugglern und Wilddieben bestehen, das Städtchen Eversburg ist für den Verkehr zu entfernt – – an wen soll sich da ein alleinstehendes Weib anlehnen? Welcher Sonnenstrahl kann in die Verdüsterung seines Gemüthes fallen? Zwar erkenne ich darin einen großen Trost für die Einsame, daß ihr in Ihnen ein jugendliches Wesen von großer Aufopferungsfähigkeit zur Seite steht, aber woher gewinnt Ihre junge Seele auf die Dauer den nöthigen Lebensmuth, um eine so trostreiche Gefährtin zu bleiben?“

Er hatte in seinem Eifer die Hand des Mädchens ergriffen, es entzog ihm dieselbe erröthend und sagte leise: „Es ist meine Bestimmung, hier mein Leben zu verbringen.“

Angelegentlich rief Schellenberg: „Sie verdienen aber die schönste, die lieblichste Lebensbestimmung!“

Sie schüttelte mit dem Kopfe. „Die Vorsehung leitet Jeden auf den ihm geeigneten Pfad,“ sagte sie. „Was übrigens die Absicht betrifft, die Sie hierher führte, so glaube ich, daß mit Hülfe des Müllers und mit Beistand aus dem Wolfsgrund einige Ihrer Leute hier ein Unterkommen finden werden. Senden Sie dieselben nur her. Der Müller ist augenblicklich nicht da, aber ich werde mit ihm reden.“ – Eine leichte Verneigung verabschiedete den Officier, aber plötzlich drehte sie sich wieder um und sagte: „Hüten Sie sich übrigens vor Marx im Wolfsgrund!“ Dann war sie verschwunden.

In eigenthümlicher Aufregung trat Schellenberg seinen Rückweg an. Die Warnung, die ihm noch zuletzt zugerufen worden war, beschäftigte ihn weniger, als die Warnerin, welche einen gewissen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Wo man vor der Biegung des Pfades den Waldhof’ zum letzten Male übersehen konnte, da blieb der junge Mann stehen und sagte zu sich selbst: „Doch – doch, es ließe sich hier wohnen und glücklich sein, wenn man ein geliebtes Wesen zur Seite hätte, an dem das Herz mit voller Liebe hinge. Aber allein – ganz allein – das ist hart.“

Gedankenvoll und bewegt setzte er langsam seinen Weg fort.

[337]
III.

Nach der Rückkehr in den Wolfsgrund wurde die Absenkung von vier Leuten unter Winrich’s Befehl zum Waldhofe besorgt und zugleich die sorgfältigste Rücksicht für die Dame eingeschärft. Marx erwies sich jetzt freundlicher gegen seinen Gast, theilte das Abendessen mit ihm und besprach bei einem Glase ganz trinkbaren Weines die geeignetsten Maßregeln, um die Zwecke der Expedition zu fördern. Gesprächsweise äußerte Schellenberg: „Wo die Schmuggelei so ausgedehnt betrieben wird, wie hier, da besitzt sie gewöhnlich eine mehr oder weniger geordnete Organisation, daher auch in der Regel ein anordnendes und lenkendes Haupt. Hat man nun Niemand in der Gegend im Verdacht, an der Spitze der Schmugglerbande zu stehen?“

„Hm, der meiste Verdacht ruht wohl auf Feibes Itzig in Eversburg,“ sagte Marx.

„Also ein Jude – was ist’s für eine Art von Mann?“

„Er ist ein durchtriebener Geselle, mehr weiß ich nicht von ihm zu sagen. Aber was ich fragen wollte: haben Sie denn Fräulein von Schöneberg auf dem Waldhofe selbst gesprochen?“

„Ich wurde nicht zugelassen und sprach nur mit der Dienerin, die aber ein ganz verständiges Frauenzimmer zu sein schien.“

„Ja, die Henriette ist eine gewandte Person, sie ist die Tochter des verstorbenen Schulmeisters in Walbröl und könnte es viel besser haben, wenn sie nicht am Fräulein hinge, wie eine Klette.“

„Sagen Sie mir nur, Herr Marx, wie in aller Welt kommt das Fräulein in diesen halb verbrannten, halb verfallenen Schutthaufen?“

Marx zögerte einige Augenblicke und schien sich nur ungern auf folgende Auskunft einzulassen.

„Die adelige Familie, welcher das Gut gehörte, war ausgestorben, da fanden denn die Gerichte noch dieses Fräulein als eine Verwandte von der letzten Gutsherrin heraus. Weil die Person sonst nirgends zu bleiben wußte und auch keinen Käufer für den Plunder fand, so zog sie mit ihrer Dienerin hierher.“

„Wovon lebt sie denn?“

„Von dem Pachtgelde der Mühle und einigen geringen Gefällen solcher Waldbauern, die zu arm zur Ablösung waren. Es ist zu wenig, um ordentlich zu leben, und doch zu viel, um eigentlich zu verhungern.“

„Sie sollten das Anwesen kaufen, Herr Marx.“

„Der Himmel soll mich behüten! Doch was ich sagen[WS 1] wollte: ich pflege so vor dem Schlafengehen noch ein Glas Punsch zu nehmen, das gibt eine geruhige Nacht. Machen Sie meine Gewohnheit mit, Herr Lieutenant?“

„Warum nicht?“

Marx ließ heißes Wasser kommen und mischte dann im Nebenzimmer zwei Gläser des dampfenden Getränkes. Schellenberg würde auf eigene Gedanken gekommen sein, wenn er gesehen hatte, wie der Alte in eins der Gläser ein feines Pulver schüttete, aber er merkte nichts davon und trank arglos das dargebotene Glas aus, das ihm, wenn es ihm auch recht stark vorkam, doch ganz gut schmeckte. Er begab sich nun auf sein Zimmer, verschloß es sorgfältig von innen und suchte baldmöglichst das Lager auf.

Obschon der ermüdete Jüngling fast augenblicklich in einen anscheinend tiefen Schlummer fiel, so blieb doch sonderbarer Weise ein Theil seines Seelenlebens wach, aber ganz nach innen gekehrt mit gänzlicher Verzichtleistung auf die Thätigkeiten der äußeren Sinne, dieselben gleichsam durch ein unmittelbares geistiges Schauen ersetzend, aus diese Weise Eindrücke rasch und stark aufnehmend, ohne aber sich ihrer vollkommen klar bewußt zu werden. So schien es ihm, während er mit festgeschlossenen Augen dalag und kein Glied zu rühren vermochte, als öffnete sich ein Theil der Wand beim Ofen, eine Hand mit einer Blendlaterne streckte sich hervor, dann schob sich gekrümmt eine ganze Gestalt durch, dann richtete sich die Gestalt in ihrer vollen Höhe auf – es war Marx, der Besitzer des Hauses, aber noch viel grimmiger aussehend, wie am Tage, ja wahrhaft unheimlich durch den zornig zusammengepreßten Mund und die tief herabgezogenen Brauen. Schellenberg wollte aufspringen und den Eindringling zur Rede stellen, aber er vermochte nicht einmal das kleinste Glied zu regen, er konnte blos wahrnehmen, was der unheimliche Besuch begann. Leise schlich dieser zum Bett, ließ das volle Licht der Laterne auf den Schlafenden fallen und nickte dabei gleichgültig mit dem Kopfe, als sei die Untersuchung eigentlich überflüssig gewesen. Dann beleuchtete er den Tisch und fiel mit gieriger Eile über die starkgefüllte Brieftasche her; er setzte die Laterne hin und begann den Inhalt der Brieftasche auszupacken. Das Papiergeld, welches ihm zuerst in die Hände fiel, legte er ohne die geringste Berücksichtigung bei Seite, aber die Dienst-Instruction, auf die er nun stieß, schlug er mit hastiger Eile auseinander und las den Eingang, indem er murmelte: „Schellenberg – wirklich Lieutenant Schellenberg – er kann’s also nicht sein!“ – Mit mehr Ruhe las er nun das ganze Schriftstück durch, wobei zuweilen ein boshaftes Grinsen über sein Gesicht zog. Dann öffnete er ein zweites [338] Papier, das Officiers-Patent, und las mit einer gewissen Befriedigung: „Friedrich Schellenberg, Sohn des Majors Schellenberg.“ Er legte die Papiere wieder in die Brieftasche, nahm die Laterne und leuchtete noch einmal flüchtig über den Schlafenden hin. Da bemerkte er etwas, was ihn stutzig machte: er griff nach der Schnur, welche um den Hals des Schlafenden hing, zog sie hervor und erblickte so den daran befestigten Ring – seine Augen quollen fast hervor, als er einen vollen Lichtstrahl auf denselben fallen ließ. Der Schläfer machte – oder glaubte doch, die höchsten Anstrengungen zu machen, um sich zu bewegen, um nur zu ächzen oder zu stöhnen – umsonst, die bleierne Gewalt des Scheintodes lag bewältigend auf ihm. Marx sagte: „Also doch! Mein Rachewerk ist also noch nicht beendigt! Unglücklicher, der Ring ist Dein Verderben!“ – Noch einen wüthenden Blick auf den Schläfer werfend, entfernte er sich dann wieder durch die Oeffnung in der Wand, die sich hinter ihm schloß, und Alles war vorüber. Der Zustand Schellenberg’s verwandelte sich allmählich in einen wirklichen Schlaf voll fieberhaft wirrer Träume, aus welchem er spät am Morgen mit empfindlichen Kopfschmerzen erwachte.

Ja, er wachte nun wirklich: die Sonne schien freundlich in das Zimmer, vor ihm lagen seine Kleidungsstücke, auf dem Tische befanden sich seine Pistolen, seine Uhr, seine Börse, seine Brieftasche – beim Anblick der Brieftasche überfiel ihn plötzlich die Erinnerung an die nächtliche Scene, und er sagte zu sich: „War das Traum oder Erlebnis? Kann man so träumen oder kann man solches erleben?“ – Er stand rasch auf und öffnete die Brieftasche; es war Alles darin, was hinein gehörte. In seinen Gedanken hin- und herschwankend, kleidete er sich an und begann eine genaue Untersuchung der Wand in der Nähe des Ofens, aber es ließ sich nichts Besonderes entdecken. Beim hellen Tageslichte, indem das Gespräch und das Gelächter seiner Soldaten vom Hofe heraufklang, war zwar alles Grauen der Nacht gewichen, aber das Räthselhafte blieb. Er begab sich hinunter zu den Schützen; sie befanden sich wohl und guter Dinge, mit allem Nöthigen reichlich versorgt; der Hausherr war, wie ihm berichtet wurde, schon früh in Geschäften ausgegangen. Er kehrte wieder auf sein Zimmer zurück, wohin man ihm ein Frühstück brachte.

Da kam Winrich, um Meldung vom Waldhofe zu bringen, und dies zog die Aufmerksamkeit des zerstreuten Officiers wieder auf die Außenwelt. Nach Winrich’s Bericht war man leidlich untergebracht, mit Stroh und Decken versehen, an Speise und Trank nicht Mangel leidend.

„Zwar der Müller,“ schloß Winrich, „sieht aus, wie ein rechter Spitzbube, und ich möcht’ ihm nicht viel Gutes zutrauen, aber Henriette, die Dienerin des Fräuleins, das ist ein Prachtmädchen!“

Es hatte für Schellenberg etwas Unangenehmes und Beunruhigendes, sich das feine sinnige Mädchen mit den Soldaten in Zusammenhang gebracht zu denken, und er fragte ablenkend: „Ist das Fräulein selbst zum Vorschein gekommen?“

„Nein, das scheint wie eine Eule in seinem alten Neste zu sitzen. Aber die Henriette ist ein so fixes Wesen, wie ich nur je eins gesehen habe; überall wußte sie Rath, für Alles einen Ausweg, und wo’s doch fehlte, da machte ihr freundliches Gesicht Alles gut.“

„Unsere Leute haben sich doch ordentlich benommen?“

„Wie Geistliche in einem Kloster! Sie hat so die rechte Art, jeden in ordentlicher Entfernung zu halten, und dann war ich ja auch da mit der Instruction von Ihnen. Ich wollt’ es keinem rathen, ihr auch nur mit einem Schritte zu nahe zu kommen! Uebrigens zog sie sich auch, als die Einrichtung getroffen war, wieder in’s Haus zurück und wir haben sie mit keinem Blicke wieder gesehen.“ Bald langte auch der Obercontroleur von Eversburg an, und der Vormittag verging unter mancherlei Besprechungen. Den Schützen war heute noch Ruhe gegönnt, von morgen an sollte aber ein regelmäßiger Grenzdienst beginnen. Zu Mittag war nur für Schellenberg und den Steuerbeamten gedeckt, denn Marx war noch nicht zurückgekehrt. Der Officier suchte etwas Näheres über den ihm jetzt so unheimlichen Mann zu erfahren, aber der Beamte wußte nur zu sagen, daß Marx wegen seiner Wohlhabenheit in Ansehen stehe, wegen seines harten und strengen Charakters jedoch zugleich gefürchtet sei. Am Nachmittage ging Schellenberg mit nach Eversburg, und als er spät Abends zurückkam, hatte sich Marx bereits zur Ruhe begeben. Die Nacht verging ohne die geringste Störung.



IV.

Der Dienst der Schützen hatte begonnen. Die Dispositionen pflegten auf dem Wolfsgrunde entworfen zu werden, wo Marx durch seine genaue Ortskenntnis;, sowie durch seinen durchdringenden Verstand sich sehr nutzbar erwies; das Verhältnis; desselben zu Schellenberg war innerlich gespannt, doch äußerlich ungestört. Uebrigens schien die Anwesenheit der Soldaten der Schmuggelei erfolgreich zu steuern, denn mit Ausnahme einiger gelegentlicher kleiner Paschereien von Ungeübten, die leicht entdeckt wurden, stieß man auf keinen jener Versuche, die früher mit so unerhörter Frechheit betrieben worden waren.

Nach Verlauf von etwa einer Woche verlangte Winrich ein besonderes Gehör bei seinem Lieutenant.

„Ich glaube,“ begann er, „wir können jetzt einen tüchtigen Schlag ausführen. Die Schmuggler waren vor unseren Büchsen dermaßen in Respect gerathen, daß sie sich bisher ganz ruhig gehalten haben. Aber sie machen’s nur wie die Ratten, die bei einem neuen Geräusche ihre Löcher aufsuchen, sich aber bald wieder hervorwagen und die alte Unverschämtheit zeigen. Sie scheinen’s nun nicht länger aushalten zu können, denn ich habe die sichere Nachricht, daß der Jude Feibes Itzig aus Eversburgs drüben in der Stadt Quendelheim bedeutende Einkäufe gemacht hat und übermorgen damit herüberkommen wird. Die Zeit kann ich nicht genauer angeben, was aber die Stelle betrifft, so wird’s am „Kniebrech“ oder da herum sein.“

„Woher wissen Sie das, Winrich?“

Obgleich er auf diese Frage vorbereitet sein mußte, so antwortete Winrich doch mit einiger Verlegenheit: „Ich will’s Ihnen nur offen heraussagen, Herr Lieutenant, ich hab’s von der Henriette, die ein übermäßig gescheites Mädchen ist, und die Henriette hat’s vom Müller auf dem Waldhofe, der wohl so halb und halb ein Spießgeselle der Schmuggler sein mag; er hat sich im Sprechen verschnappt, und da hat’sie nicht eher geruht, bis sie ihm das Geheimniß abgefragt hat. Ich sollte meinen, wir könnten guten Gebrauch von dieser Nachricht machen. Fangen wir den Juden mit seinen Helfershelfern und mit seiner Contrebande, so bringt’s eine nachhaltige Furcht unter das Gesindel, Ihnen wird’s gut aufgenommen und auch unsereinem trägt’s seinen Nutzen.“

„Sie meinen die Prisengelder?“

„Nicht doch, Herr Lieutenant! Sie wissen, meine bedungene Dienstzeit ist bald um, wo ich mich denn entscheiden muß, ob ich weiter dienen oder mich um eine Stelle im Civil bewerben will. Wenn’s uns nun diesmal recht ordentlich glücken wollte und Sie ein gutes Wort für mich einlegten, daß ich nämlich einiges Verdienst um die Ertappung der Schmuggler gehabt habe, so bekomm’ ich vielleicht den Posten eines Grenzbeamten, und mein höchster Wunsch ist erfüllt; ich nehme mir dann die Henriette zur Frau und Sie glauben gar nicht, was das für eine prächtige Frau sein wird.“ Unangenehm von dieser Eröffnung berührt, sagte Schellenberg verdrießlich: „Sie überlassen sich doch nicht, wie es den Soldaten nur gar zu leicht geschieht, eiteln Voraussetzungen, die sich nachher als Täuschungen erweisen? Wie können Sie denn bei der nur oberflächlichen Bekanntschaft mit dem jungen Mädchen gleich wissen, daß es Ihre Frau werden will?“

„O nein, Herr Lieutenant, so sehr oberflächlich ist die Bekanntschaft nicht mehr, und was das Uebrige betrifft, so merkt man einem rechtschaffenen Mädchen bald ab, ob es die Werbung eines rechtschaffenen Mannes annehmen wird. Auch sind schon einige Worte gefallen, die man als eine günstige Einleitung dazu ansehen kann.“

Eine gewisse Bitterkeit bemächtigte sich Schellenberg’s und er sagte mehr für sich hin, als zu Winrich: „So geht’s mit der Liebe und Treue der Menschen. Ich glaubte, die Henriette hinge mit treuer Liebe an ihrer Herrin und würde sie nicht verlassen; kaum kommt aber der Freier im bunten Rocke, so folgt man ihm und läßt die unglückliche Herrin in ihrem einsamen Elend.“

„O nein, Herr Lieutenant, so ist’s nicht gemeint. Drum wollt’ ich ja eben so gern den Posten als Steueraufseher haben, daß ich mich könnte beim Eversburger Steueramt anstellen lassen, und wenn ich darum anhalte, auf dem Waldhofe wohnen zu dürfen, so wird’s gewiß genehmigt, da ein Grenzaufseher gar nicht besser wohnen kann. Dann wird Henriette nicht von ihrer Herrin getrennt, und diese hat’s viel besser, wenn treue und zuverlässige Leute bei [339] ihr wohnen, als wenn sie nur von lauter Galgenvolk umgeben ist. Und eben darum wünscht’ ich sehr, daß wir einen Schlag gegen den Juden Feibes und seine Bande ausführten, weil das meinem Gesuche ohne Zweifel großen Vorschub thäte.“

„Das ist ja Alles prächtig überlegt. Nun, es versteht sich von selbst, daß ich Ihre Mitteilung berücksichtige.“

Schellenberg theilte dem Obercontroleur mit, was er erfahren hatte, und der Beamte kam mit einem seiner Untergebenen am andern Morgen zum Wolfsgrunde, wo ein förmlicher Kriegsrath abgehalten wurde. Die beiden Steuerbeamten schenkten der Anzeige unbedingt Glauben und legten großes Gewicht darauf. Marx schien weniger davon erbaut und äußerte sich, als er zum Sprechen dringend aufgefordert ward, in folgender Weise:

„Der Feibes mag immerhin schmuggeln, wie die ganze Welt behauptet, aber er ist ein höchst durchtriebener Bursche, der sich schwerlich wird fangen lassen. Es kommt mir sonderbar vor, daß sein Plan sollte so bekannt geworden sein; doch da der Herr Lieutenant seine Quelle nicht mittheilen will, so lasse ich das dahingestellt und will zugeben, daß die Sache immerhin möglich ist. Ist es aber die Absicht des Juden, in der Gegend des Kniebrechs über die Grenze zu kommen, so ist das gerade eine Oertlichkeit, die nicht besser ausgewählt sein könnte und die Ihnen wenig Aussicht darbietet, ihn mit seinen Begleitern zu fangen. Es kreuzen sich da Holzwege und Köhlerpfade in unglaublicher Menge, und es würde eine große Anzahl von Aufpassern dazu gehören, um diese Passagen alle zu besehen, zumal da er seine Helfer wahrscheinlich theilt, um, wenn auch der Eine oder der Andere abgefangen werden sollte, doch die Uebrigen mit ihrer Waare glücklich herüberzubringen..“

Der Grenzaufseher, dessen Einbildungskraft schon ganz mit dem zu hoffenden Fange beschäftigt war, rief eifrig: „Ei, an Menschen fehlt es uns doch jetzt nicht, Herr Marx! Wir sind außer dem Herrn Obercontroleur unser sechs Aufseher, und dann sind fünfzig Schützen da, die sich über eine weite Linie vertheilen können. Wenn wir diesmal den verdammten Juden nicht kriegen, so kriegen wir ihn niemals!“

Marx wiegte ungläubig den Kopf und sagte: „Ich dachte freilich nicht, daß Sie alle zusammen, Aufseher und Schützen, sich aufmachen wollten, um dem erbärmlichen Feibes Itzig aufzulauern, der am Ende nur für ein paar Thaler Kattun für seinen Laden holt.“

Weniger hitzig als sein Unterbeamter, aber doch auch mit Eifer sagte der Obercontroleur: „Es ist allerdings der Mühe Werth, Herr Marx, den abgefeimtesten Schmuggler dieser ganzen Gegend auf der That zu ertappen, wenn es auch nur mit einigen Ellen Kattun wäre, und ich sehe nicht ein, warum wir nicht alle zusammen, Aufseher und Schützen, den Versuch machen wollten; ja, ich halte es sogar für unsere Schuldigkeit. Was meinen Sie, Herr Lieutenant?“

„Ich bin zu Allein bereit, und stelle mich und meine Leute zu Ihrer Disposition, nur muß ich bemerken, daß ich meine Nachricht gebe wie ich sie empfangen habe, als eine Denunciation durch die dritte Hand.“

Der Aufseher sagte: „Auf eine andere Art wird man nie Nachrichten empfangen, denn die Schmuggler hängen ihre Gänge eben nicht an die große Glocke.“

Es wurde also beschlossen, die ganze verfügbare Mannschaft in einer zusammenhängenden Kette so weit über die Gegend des Kniebrechs auszudehnen, daß es auch einem einzelnen Pascher unmöglich sein würde, unbemerkt durchzukommen, und Marx, da er sich überstimmt sah, verfehlte nicht, auf diejenigen Punkte aufmerksam zu machen, die man am meisten im Auge zu halten habe. Die Vorbereitungen wurden möglichst still und unbemerkt getroffen, die Mannschaften zogen scheinbar nach ganz verschiedenen Punkten ab, und von der Frühe des bezeichneten Tages an war die ganze Linie besetzt. Schellenberg machte mit dem Obercontroleur die Runde bei allen Posten.

Schon war Mittag vorüber, und noch hatte sich nichts gezeigt. Die beiden Befehlshaber kamen eben zu jenem Punkt, welchen Marx der Aufmerksamkeit besonders empfohlen hatte, als ihnen Winrich und der Grenzaufseher, der an der Berathung Theil genommen hatte, entgegentraten und flüsternd mittheilten, man glaube den Hufschlag eines sich nähernden Pferdes zu hören. Es verbargen sich eilig Alle um die Stelle, wo verschiedene mehr oder weniger betretene Pfade sich kreuzten, in dem Gebüsch, in welchem bereits eine Anzahl von Schützen Platz genommen hatte. Die Tritte eines Pferdes wurden deutlicher und näherten sich.

„Es ist nur ein einziges Pferd!“ flüsterte Winrich dem Grenzaufseher zu.

„Es werden schon Packträger genug hinterher folgen,“ entgegnete dieser.

Aber es wir wirklich nur ein einziges Pferd, geführt vom Juden Feibes Itzig, und es ließ sich Niemand dahinter blicken. Die im Hinterhalt Lauernden waren einigermaßen enttäuscht, indessen trug das Pferd einen anscheinend sehr schweren Mantelsack, und wenigstens der Obercontroleur begnügte sich mit der Aussicht, den berüchtigten Pascher endlich einmal auf der That zu ergreifen. Schellenberg fühlte sich von der ganzen Sache nicht sehr aufgeregt, er kam sich mehr als Zuschauer wie als Beteiligter vor. Feibes warf beständig seine scheuen Blicke nach allen Seiten; als er die Höhe erreicht hatte, machte er Halt und schien sein Pferd wieder besteigen zu wollen. In diesem Augenblicke brachen die Bewaffneten hervor, und der Jude sah sich rings eingeschlossen. Er ließ seine hervorquellenden Augen im Kreise umherirren, bemeisterte aber sogleich seinen Schrecken weit genug, um seinen Hut abzuziehen und mit einer grinsend demüthigen Höflichkeit, welche sich mit dem angstvoll verzogenen Gesicht zu einem wahrhaft scheußlichen Gesammtausdruck verschmolz, zu sagen:

„Gehorsamer Diener, meine Herren! Hab’ ich doch nicht gemeint, auf dem Kniebrech eine so schöne Gesellschaft anzutreffen. Ich bin erfreut, ich bin außerordentlich erfreut, Sie zu sehen, meine Herren. Ich mache Ihnen mein Compliment, Herr Obercontroleur; wie steht’s Befinden? Was macht die werthe Frau Gemahlin? Wie geht’s den lieben Kindern?“

Mit ernster Würde sagte der Beamte: „Ich danke für die Nachfrage; aber sagen Sie, Feibes, wie kommen Sie auf diesen Weg, der, wie Sie recht gut wissen, Allen verboten ist, welche steuerbare Gegenstände führen?“

Aber Feibes hatte sich schon vom strengen Gesicht des Obercontroleurs weggewandt, und redete den Grenzaufseher in seiner widerwärtig kriechenden Weise an: „Ich freue mich, Sie auch hier zu sehen, Herr Grenzaufseher; wie ich zu bemerken die Ehre habe, so tragen Sie die Weste, die Sie von mir kauften; ist’s nicht ein schöner Stoff, und spottwohlfeil? Ich hab’ auch gehabt den bittersten Schaden bei dem Handel, aber ich hab’ gemeint, Feibes, verkauf’ mit Schaden, du machst dir dadurch den Herrn Grenzaufseher zum Freund.“

„Davon ist hier keine Rede,“ sagte der Aufseher grob, „sondern von der Contrebande, die Ihr mit Euch führt.“

„Contrebande!“ schrie der Jude, sich ganz in sich selbst zusammenziehend, „o weh’ geschrieen, was sprechen Sie von Contrebande, Herr Controleur? Hab’ ich doch in meinem Leben noch keine Contrebande mit mir geführt! Wie werd’ ich wagen, etwas zu thun gegen das Gesetz, wo so ausgezeichnete Männer aufpassen, daß nichts geschieht gegen das Gesetz? Aber ich hab’ auch das große Vergnügen, da vor mir zu sehen einen Herrn Officier; das ist gewiß der Herr Officier, der die Soldaten commandirt und berühmt ist durch seine große Klugheit und Wachsamkeit. Ich empfehle mich bestens der Bekanntschaft des Herrn Hauptmanns, und wenn der Herr Hauptmann etwas brauchen an Stoffen von Seide. Leinwand oder Baumwolle, extrafeinen Cigarren, echten Havannah, und beispiellos wohlfeil – –“

„Laßt doch einmal das verdammte Gewäsch,“ fiel der Aufseher barsch ein, „nehmt den Mantelsack herunter und öffnet ihn!“

Mit sehr erschrockenen Mienen rief Feibes: „Was sagen der Herr Grenzaufseher? ich soll offen machen meinen Mantelsack?“

„Nun ja, das versteht sich von selbst.“

„Sie werden mich nicht machen wollen so unglücklich! Herr Obercontroleur, haben Sie die Güte und lassen Sie mich ruhig gehen nach meinem Hause, befehlen Sie nicht, daß ich soll offen machen meinen Mantelsack.“

„Allerdings sollen Sie ihn offen machen und das sogleich ohne weitere Umstände.“

„Herr Officier, legen Sie ein für mich ein gutes Wort bei den Herren Steuerbeamten, daß ich nicht offen zu machen brauche den Mantelsack.“

„Ich kann kein gutes Wort für Sie einlegen.“

„O weh, so bin ich ein geschlagener Mann! Aber was ich Ihnen kann sagen und versichern, meine Herren: lassen Sie mich [340] ruhig gehen, und es wird Ihnen selbst sein sehr lieb; bestehen Sie aber darauf, daß ich soll offen machen den Mantelsack, so wird es Ihnen gewiß sein sehr unlieb.“

Ohne auf den jammernden Juden zu achten, hob der Aufseher mit Hülfe eines Schützen den schweren Mantelsack auf die Erde und verlangte die Oeffnung desselben mit so dringenden Worten und Gebehrden, daß Feibes niederkniete und das kleine Vorlegeschlößchen wirklich öffnete, indem er für sich hinmurmelte: „Die Herren werden es bereuen, sie werden wünschen, daß sie Gehör gegeben hätten den Worten von Feibes Itzig.“

Mit eifriger Hast half der Aufseher dem Geschäft des Oeffnens nach, und die Uebrigen beugten sich alle über, um den Inhalt des Mantelsacks zu sehen. Aber wer malt die Verzerrung in den Zügen des Aufsehers, wer die verblüfften Gesichter des Obercontroleurs und des Officiers, wer den Zorn Winrich’s, wer die dumme Verwunderung der Schützen?

„Was ist es?“ hatte der Obercontroleur gefragt, indem er sich tief niederbückte, aber er fuhr zurück, wie von einer Schlange gebissen.

„Verdammter Jude,“ brach die Wuth des Aufsehers los, „was soll das sein?“

„Was soll es sein, Herr Grenzaufseher, als Pferdemist?“ „Also wirklich?“ stotterte der Obercontroleur, „es ist also wirklich“

„Pferdemist!“ rief der Aufseher, sich die Finger reinigend, die er voreilig etwas mit dem Inhalt des Mantelsacks beschmutzt hatte. Dann sprang er auf und faßte, außer sich vor Zorn, den Juden an der Brust mit den Worten: „Wie kannst Du Dich unterstehen, infamer Kerl, königliche Beamte so zum Besten zu haben?“ Feibes hatte keinen Augenblick den unterwürfigen Ausdruck seines Gesichtes verloren, aber indem er von unten herauf lauernde Blicke von Einem zum Andern gleiten ließ, brach unter dieser Maske eine so satanische Bosheit hervor, daß der Aufseher fast wahnsinnig wurde, während die übrigen Betheiligten sich sehr dumm unter einander anblickten. Der Jude machte sich ohne sichtliche Anwendung von Gewalt, aber mit weit größerer Kraft, als man ihn, zugetraut hätte, von den Händen des Aufsehers los und sagte mit seinem demüthig jammernden Tone:

„Gott’s Wunder, was wär’ mir das? Erst soll ich einführen Contrebande, und dann soll ich mir herausnehmen, die königlichen Herrn Beamten zum Besten zu haben? Herr Obercontroleur, Sie werden nicht leiden, daß mich der Herr Aufseher, von dessen Zorn ich doch nicht verstehe die Ursache, beschädigt, und Sie, Herr Officier, rufe ich an als einen Befehlshaber der bewaffneten Macht, daß Sie nicht einem unschuldigen Mann, der seine Steuern richtig bezahlt, zufügen lassen ein Leid. Ich rufe aber alle anwesenden Herren an als Zeugen, wenn ich mich vor Gericht beklagen muß wegen angethaner Gewalt, und noch dazu geschehen von Jemand, welcher handelt im königlichen Dienst.“

Der Aufseher war durch die letzten Worte hinreichend eingeschüchtert, um seinen Angriff nicht zu wiederholen, sein Vorgesetzter aber sagte: „Das kann ja ein Kind begreifen, Feibes Itzig, daß Sie uns einen boshaften Possen gespielt haben.“

„Was nenn’ ich einen boshaften Possen? Ist das ein boshafter Possen, daß ich hinübermache mit meinem Roß nach Quendelheim, um mir Pferdemist zu holen von da für meine raren Topfgewächse? Was kann ich dafür, daß in Eversburg nicht zu haben ist guter Pferdemist? Und meine Gewächse in den Töpfchen sind etwas Rares und etwas Schönes; wenn ich mache für sie den weiten Weg, um zu haben einen guten Dünger, so spiel’ ich höchstens einen Possen mir selbst und nicht andern Leuten, am wenigsten königlichen Beamten, vor denen ich habe den höchsten Respect, und mit denen ich noch zu machen denke manches hübsche Geschäftchen. Kann ich nun gehen meiner Wege, oder wollen die Herren noch mehr zu thun sich machen mit dem Pferdedünger?“

„Gehen Sie zum Teufel! Wir sprechen uns wohl ein ander Mal wieder.“

„Soll mir immer sein ein großes Pläsir und eine mächtige Ehre, Herr Obercontroleur.“

Mit verbissenem Lachen halfen zwei Schützen den Mantelsack wieder aufladen, der Jude setzte sich auf, grüßte demüthig mit seinem Hute und entfernte sich mit den Worten: „Ich empfehle mich den Herren sämmtlich und wünsche Ihnen eine gute Verrichtung, als Sie doch wahrscheinlich vorhaben ein wichtiges Geschäft und viel- leicht zu machen denken einen großen Fang!“

Die Zurückbleibenden waren so kleinlaut, daß sie, mit Ausnahme einiger Flüche und Verwünschungen, sich für jetzt über den Vorfall nicht weiter aussprachen, sondern die Postenkette einzogen und den Rückweg antraten. Schellenberg namentlich war über alle Begriffe ärgerlich, er sprach darum kein Wort, nahm von den Steuerbeamten einen nur flüchtigen Abschied und sagte erst beim Wolfsgrund, als Winrich sich von ihm trennte, mit verbissenem Zorn: „Sie haben uns eine schöne Suppe eingebrockt, denn Sie sind Veranlassung geworden, daß unser ganzes Detachement sich lächerlich gemacht hat; ich gebe von nun an für seine Wirksamkeit keinen Schuß Pulver mehr. Wenn die Unannehmlichkeit auch zunächst und vorzugsweise nur mich trifft, so sind doch Ihre eigenen Pläne und Aussichten nun auch gründlich verhagelt.“

Winrich erwiderte mit einer Mischung von Traurigkeit und Zorn: „Es ist uns allerdings ein bitterböser Streich gespielt worden, aber ich bitte Sie, Herr Lieutenant, seien Sie nicht zu unwillig gegen mich; ich mache denen, die uns so arg hinter’s Licht geführt haben, meine Gegenrechnung, oder ich will diesen Rock nicht länger tragen.“



V.

Die Stimmung Schellenberg’s und der Steuerbeamten wurde nicht gebessert durch die Nachricht, welche sich mit glaubwürdiger Sicherheit verbreitete, daß genau zu derselben Zeit, als die ganze Mannschaft die Gegend um den Kniebrech besetzte, eine Meile weiter ein großer Transport von Waaren durch eine zahlreiche Schaar von Schmugglern über die Grenze geschafft worden sei. Der Dienst wurde von den Aufsehern und Schützen verdrossen fortgeführt; wenn auch diejenigen Pascher, die sich in den nächsten Tagen etwa hätten betreten lassen, gewiß keine Schonung zu erwarten hatten, so lähmte doch ein allgemeiner Unmuth die Energie der Maßregeln, und namentlich Schellenberg mußte sich sagen, daß er trotz des besten Willens den übernommenen Auftrag keineswegs in anerkennenswerther Weise ausführe. Da verlangte ihn Winrich, der in diesen Tagen fast tiefsinnig den Kopf hatte hängen lassen, allein zu sprechen, und mit mehr Zuversicht und Selbstvertrauen, als er seither gezeigt, begann er: „Ich glaube, Herr Lieutenant, ich habe eine Spur!“ „Hat Ihnen Henriette wieder eine Mittheilung gemacht?“

Eine kleine Empfindlichkeit unterdrückend, erwiderte Winrich: „Allerdings ist die Henriette mit im Spiele. Sie war außer sich vor Verdruß, daß sie Veranlassung gewesen ist, uns in die Dinte zu bringen, mir meine hübschen Pläne zu verderben und Ihnen, Herr Lieutenant, Unannehmlichkeit zu bereiten. Ihr erster Gedanke ging darauf hinaus, daß der Schurke von Müller mit Absicht ihr die Geschichte vom Juden Feibes mitgetheilt hat, weil er ihr Einverständniß mit mir merkte und darauf rechnete, daß sie’s mir wiedersagen würde. Das Ganze war also ein wohlangelegter Plan, um an einer andern Stelle Waaren sicher über die Grenze bringen zu können, und sie haben den Plan auch pfiffig genug ausgeführt. Offenbar handelte der Müller nicht aus sich selbst, sondern in fremdem Auftrag. Nun hat die Henriette nicht eher geruht, sie hat so lange auf jeden Schritt und Tritt des Müllers gelauert, bis sie herausgebracht hat, daß er in heimlichem Verkehr mit dem Juden Feibes Itzig steht, daß Botschaften zwischen ihnen hin und her gehen, daß der Jude sogar zu Zeiten in der Nähe des Waldhofes herumschleicht, um geheime Zusammenkünfte zu halten.“ „Das ist Alles ganz richtig, Winrich, und ungefähr so habe ich mir auch die Sache zusammengereimt, aber ich sehe nur nicht ein, wie uns das im Geringsten dazu helfen kann, die Scharte auszuwetzen, die wir durch dieses Complot erlitten haben.“ „Hören Sie nur weiter, Herr Lieutenant. An den geheimen Zusammenkünften nimmt auch Jemand Theil, von dem Sie es gewiß nicht erwartet hätten.“

„Nun, wer denn?“

„Ihr Hauswirth Marx.“

„Marx?“ rief Schellenberg überrascht, und ein unwillkürliches Erschrecken durchlief ihn.

[349] Winrich fuhr fort: „Ich würde den Namen hier im Hause, wo leicht die Wände Ohren haben konnten, nicht genannt haben, wenn ich nicht eben den alten Sünder hätte über den Hof gehen sehen. Marx kommt mit dem Juden zu heimlichen Zwiegesprächen zusammen; das mag wohl früher hier auf dem Wolfsgrunde gewesen sein, aber weil Sie nun hier sind, so haben sie sich einen anderen Ort suchen müssen.“

„Ihre Nachricht, Winrich, ist viel Werth,“ entgegnete Schellenberg, „sie kann vielleicht von großem Nutzen sein. Ich glaube mich nicht zu irren: Marx ist vielleicht das eigentliche Haupt der Schmugglerbande, er ist aber so klug gewesen, daß die Steuerbeamten in Eversburg, an deren Scharfsinn ich schon längst gezweifelt habe, keine Ahnung davon besitzen; er hat uns alle hinter’s Licht geführt, indem er sogar an unseren Besprechungen Theil nahm, und es ist also kein Wunder, daß wir noch nichts ausrichten konnten. Wir wollen dem Burschen das Spiel verderben!“

„Was haben wir zunächst zu thun, Herr Lieutenant?“

„Wir sprechen zu Niemand ein Wort, nicht einmal zu den Steuerbeamten; wir verdoppeln unsere Aufmerksamkeit, ohne daß es auffallen darf; die kluge Henriette setzt ihre Beobachtungen fort; ich warte ab, bis Marx uns wieder mittelbar oder unmittelbar einen Rath gibt, wir thun dann gerade das Gegentheil oder handeln sonst den Umständen gemäß. Da wir einmal wissen, wo unser Hauptfeind steckt, so müßte es schlimm sein, wenn wir ihn nicht mit seinen eigenen Waffen schlügen. Aber ist die Nachricht auch sicher, daß er mit dem Juden heimlich zusammenkommt?“

„So sicher, wie das Weltmeer! Die Henriette ist an sich klug, jetzt aber ist sie aus Aerger und – meinetwegen und meiner Pläne wegen doppelt klug; sie hat ein heimliches Gespräch des Juden mit Marx von weitem gesehen und kann darauf schwören. Sie können’s sicher glauben, Herr Lieutenant.“

„Ich glaub's auch, denn es stimmt nur zu sehr mit Allem, was ich mir jetzt in die Erinnerung zurückrufe. Also vor allen Dingen reinen Mund und die allergrößte Vorsicht!“

„Sorgen Sie nicht. Sie, ich und die Henriette wollen zusammen ein Complot bilden, das den verfluchten Schmugglern einen Stein in den Weg legen soll, der ihnen schwer genug zu überspringen sein wird.“

Am nächsten Vormittage näherte sich Winrich seinem Vorgesetzten auf eine geheimnißvolle, aber etwas bedrückte Weise und flüsterte ihm zu:

„Ich soll Ihnen ein Compliment sagen von der Henriette, und ob Sie nicht in Zeit von einer halben Stunde einen Spaziergang nach dem Waldhofe machen wollten, aber ganz allein?“

„Will sie mir etwas anvertrauen?“

„Es muß wohl so sein, aber sie thut selbst gegen mich so verschwiegen und zurückhaltend, daß ich ordentlich bedenklich geworden bin.“

Seine eigene Verlegenheit unter einem Scherze verbergend, sagte Schellenberg: „Sie sind doch nicht eifersüchtig?“

„Offenherzig gestanden, ich würde es sein, wenn Sie es nicht wären, Herr Lieutenant, aber ich habe zu Ihnen ein felsenfestes Vertrauen. Warum die Henriette es nicht durch mich abmachen kann, sehe ich freilich nicht ein.“

„Nun, ich werde gehen. Bleiben Sie so lange hier, Winrich, und sorgen Sie dafür, daß Niemand von unseren Leuten mir nachfolgt.“

Einigermaßen gespannt trat Schellenberg bald darauf seinen Weg an, mit dem Anscheine, als wolle er ein wenig umherschlendern. Er mußte sich gestehen, daß damals bei der ersten Zusammenkunft das Mädchen einen nicht geringen Eindruck auf ihn gemacht hatte, er ging daher dieser zweiten nicht ohne eine gewisse Aufregung entgegen. Vor jeder Schwäche schützte ihn freilich der Umstand, daß er die Beziehung des Mädchens zu Winrich kannte und daß Beide ihm vertrauten, aber er schrak doch ein wenig zusammen, als er an der engsten Stelle des Weges, kurz vorher, ehe sich der Blick auf den Waldhof öffnete, die weibliche Gestalt erblickte; sie saß wartend auf einem Steinblock, in derselben Kleidung, wie früher, doch in eine Art von Regenmantel gewickelt, wie sie in dortiger Gegend bei Frauenzimmern der niederen und mittleren Stände üblich war. Als sie den Herankommenden gewahrte, stand sie auf und ging ihm einen Schritt entgegen, seiner Anrede mit den Worten zuvorkommend: „Ich würde nicht so kühn und so anmaßend gewesen sein, Sie um eine Zusammenkunft zu ersuchen, wenn ich Ihnen nicht eine Angelegenheit von der allerhöchsten Wichtigkeit mitzutheilen hätte, welche auf keine andere Weise sicher und vollständig zu Ihnen gelangen konnte.“

„Was es auch sein mag,“ erwiderte Schellenberg, „so freue ich mich, daß es mir Veranlassung gab, Sie wieder zu sehen.“

Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und sagte: „Es handelt sich um nichts Geringeres als um Ihr Leben.“

Mit ungläubigem Erstaunen sagte er:

„Das wäre freilich für mich die allerwichtigste Angelegenheit, aber ich kann nicht glauben, daß es Jemand gebe, der es auf das [350] Leben eines so unbedeutenden und harmlosen Menschen, wie ich bin, abgesehen haben sollte.“

„Und doch gibt es einen solchen, und zwar Ihren Hauswirth Marx.“

Schellenberg wurde ernst. „Dieser unheimliche Mensch, der sich wie ein Gespenst in meinen Weg drängt!“ murmelte er. „Ja, ich glaube wohl, daß von ihm mir Unheil drohen kann, obwohl ich nicht im Entferntesten ahne, wodurch ich seinen Haß auf mich gezogen haben mag.“

„Das weiß ich auch nicht, aber hören Sie an, was ich Ihnen zu berichten habe. So viel ich weiß, sind Sie schon in Kenntniß gesetzt, daß Marx mit dem Juden Feibes Itzig in der Nähe des Waldhofes Zusammenkünfte gehabt hat; daß er in Verbindung mit den Schmugglern stehe, habe ich schon seit einiger Zeit vermuthet und nur eine List darin vorausgesetzt, daß er Sie mit Ihren Soldaten in sein Haus nahm. Heute Morgen in der Frühe, wo ich glauben mußte, daß meine Umgebungen noch schliefen, machte ich, wie ich in solchen einsamen Stunden wohl zu thun pflege, einen Spaziergang in das Gehölz, wo in tiefster Abgeschiedenheit die Grabstätte der Bewohner des Waldhofes liegt, die zwar jetzt sehr verwildert ist, die aber für mich das Anziehende hat, daß dort eine Störung nicht zu besorgen ist. An einen Grabstein hingelehnt, wurde ich aus mancherlei Gedanken durch Schritte und Stimmen emporgeschreckt; ich erkannte Marx und den Juden Feibes Itzig, und weil mir beide Männer gleich viel Widerwillen einflößen, so beugte ich mich tief in das wilde Gebüsch, so daß sie mich nicht bemerken konnten, daß ich aber jedes Wort ihrer Unterredung verstand, da sie sich ganz in meiner Nähe auf einem alten Grabe niederließen. Der Inhalt dieses Gespräches war folgender. Sie sollen dadurch, daß ein Versuch der Schmuggelei Ihnen dem Anscheine nach verrathen wird, mit Ihren Leuten an eine Stelle gelockt werden, wo man Sie mit Uebermacht überfallen und ermorden will. Ihre Leute sollen auf eine Weise, die ich nicht recht verstehen konnte, des Gebrauches ihrer Waffen beraubt und dadurch unschädlich gemacht werden; wenn ich recht vermuthe, so will Marx das Pulver auf irgend eine Weise unbrauchbar machen. Es soll dann vor der Welt erscheinen, als seien Sie bei einem Zusammentreffen mit Schmugglern zufällig verunglückt. Der Jude bestand darauf, daß er diesmal allein den Gewinnst des Geschäftes davontrage, wofür Marx die Genugthuung der befriedigten Rache habe. Das sind meine Nachrichten, Herr Lieutenant, und leider kenne ich den wilden und grausamen Sinn meiner Umgebungen nur zu gut, um nicht von der ganzen Größe der Ihnen drohenden Gefahr überzeugt zu sein.“ Schellenberg hatte mit größter Spannung zugehört und sagte nun herzlich: „Gewiß ist die Gefahr drohend und ich möchte ihr leicht erlegen sein, wenn nicht in Ihnen ein freundlicher Engel über meine Sicherheit gewacht hätte; jetzt, wo ich die Gefahr kenne, hat sie ihr Bedrohliches verloren. Aber wie werde ich Ihnen meinen Dank abstatten können? Zwar werde ich Alles thun, was in meinen Kräften steht, um zur Sicherung Ihrer Zukunft Einiges beizutragen, aber das sagt nichts, das hätte ich auch sonst gethan, mein dankbares Herz wird sich dadurch nicht erleichtert fühlen, und ich wünschte – – wenn nicht bereits andere Umstände eingetreten wären – – wenn die Verhältnisse darnach wären – – ich hätte Ihnen den Beweis führen wollen, wie tief und innig die Gefühle meines Herzens sind.“

Unwillkürlich hatte er bei diesen verworrenen und unverständlichen Ergüssen die Hand des Mädchens ergriffen, das sie ihm auch einige Augenblicke ließ, das tieferglühende Gesicht abwendend; dann aber zog es die Hand sanft aus der seinigen und sagte mit weichem Tone: „Sie sind wohl in einem Irrthume befangen, den es aber jetzt nicht die Mühe lohnt, aufzuklären. Ich muß mich entfernen, damit man keinen Verdacht schöpft, denn es gibt hier manches Späherauge; nur weil ich den Müller auf einige Stunden entfernt wußte, konnte ich diesen Ausgang wagen. Beachten Sie nur ja, was ich Ihnen erzählt, und entgehen Sie glücklich jeder Gefahr!“

Damit enteilte sie mit flüchtigen Schritten, den Pfad abwärts verfolgend.

Er schaute ihr sinnend nach. „Mit den anderen Gefahren hat’s weniger auf sich,“ sprach er für sich, „wenn ich nur derjenigen entgehe, mein Herz nicht gehörig zu hüten. Aber was wollte sie damit sagen, daß ich in einem Irrthume befangen sei? Hat sich Winrich einer Täuschung hingegeben, indem er sein Einverständniß mit ihr so ansieht, als erwidere sie seine Neigung? Nein, ich kann selbst unmöglich glauben, daß sie ihn liebt; ihre Gefühls- und Denkweise, selbst ihre Art, sich auszudrücken, steht zu hoch über dem Standpunkte des braven, aber doch immer ungebildeten Winrich. Nun, das muß sich aufklären, wenden wir uns jetzt dem Nächsten zu. Woher rührt nur der unbegreifliche Haß dieses Marx gegen mich? Wenn er auch, wie es immer mehr den Anschein gewinnt, das eigentliche Haupt der Schmugglerbande ist, so hat er doch an mir keinerlei Rache zu nehmen und gewinnt nichts durch meinen Tod, im Gegentheil, er ruft eine genaue Untersuchung und damit die Möglichkeit der Entdeckung herbei. War sein nächtlicher Besuch in der ersten Nacht auf dem Wolfsgrunde kein Traum, sondern Wirklichkeit? Wie aber hängt der Mensch mit mir und meinem Schicksale zusammen?“

Als er aus dem Gebüsche trat, begegnete er dem zum Waldhofe zurückkehrenden Winrich.

„Ich habe sie gesprochen,“ sagte er zu ihm, „und sie hat mir allerdings Eröffnungen von der größten Wichtigkeit gemacht, die sich aber augenblicklich hier nicht wohl besprechen lassen. Kommen Sie heute Nachmittag um fünf Uhr zu mir, dann reden wir weiter, aber thun Sie nicht, als seien Sie bestellt, sondern als hätten Sie etwas zu melden.“


VI.

Am Nachmittage wünschte Marx den Lieutenant zu sprechen und kam auf dessen Stube in Begleitung eines Knechtes.

„Herr Lieutenant,“ sagte er, „mein Knecht bringt mir da eine besondere Nachricht, die ich Ihnen mittheilen zu müssen glaube. Ich hatte ihn in das Dorf Ellerhagen geschickt, wo ihm ein alter Jugendfreund, denn er ist selbst aus dem Dorfe gebürtig, sagte – – aber sprich lieber selbst, Hans Heinrich, damit es der Herr Lieutenant genau hört und ich nicht vielleicht im Wiedersagen etwas verändere.“

Hans Heinrich nahm das Wort.

„Er hat zu mir gesagt,“ begann er, „heute Vormittag wäre der Jude Feibes dagewesen und hätte im Geheim drei Ellerhäger Burschen gedungen, daß sie ihm in dieser Nacht drei Waarenpacken vom Bertelskruge jenseits der Grenze abholten und herübertrügen bis in’s Dorf Aßhausen jenseits Eversburg. Sie solllen jeder drei Thaler haben und eine gute Zehrung. Am Abend sollen sie im Bertelskruge sein, um elf Uhr will der Jude mit ihnen ausbrechen, sie kommen dann über den Hirschkopf, steigen den kühlen Grund herunter, gehen unter dem Waldhofe bei der Hofwiese über den Bach und dann bei Eversburg vorbei nach Aßhausen.“

Schellenberg hatte den Berichterstatter scharf in’s Auge gefaßt, aber wenn ihn seine Menschenkenntniß nicht völlig täuschte, so berichtete der Bursche in gutem Glauben, was er gehört hatte; der listige Marx hatte ihn muthmaßlich unter Vorwand irgend eines Auftrages nach Ellerhagen geschickt, damit ihm dort von einem Vertrauten des Juden diese Nachricht mitgetheilt würde, die er dann aus freien Stücken oder auf geschicktes Ausfragen seinem Herrn erzählte. Ueberhaupt glaubte Schellenberg bemerkt zu haben, daß die Knechte aus dem Wolfsgrunde dumme, aber ehrliche Dienstboten waren, die ihr Herr wohl kaum zu Mitwissern seines Treibens machte, wie er denn möglicher Weise selbst manchen Schmugglern kaum als ihr Haupt bekannt sein und das Meiste durch Feibes Itzig oder einige andere Vertraute besorgen lassen mochte. Nur verstohlen hatte ein Blick Schellenberg’s während des Berichtes des Knechtes das Gesicht von Marx gestreift, aber er traf nur dieselben unveränderlichen, wie aus Erz gegossenen Züge.

„Um wie viel Uhr,“ fragte Marx, „glaubst Du also, daß die drei Ellerhäger mit dem Juden über den Bach unten kommen werden?“

„Gegen zwei Uhr in der Nacht; weil sie schwer zu tragen haben, können sie nicht früher kommen.“

„Und ist das Alles die genaue Wahrheit? Hast Du uns Wort für Wort wiedergesagt, was Du hörtest? Hast Du uns Alles gesagt und nichts verschwiegen?“

„Bei meiner Seele Seligkeit, es ist mir Wort für Wort so gesagt und weiter hab’ ich auch nichts gehört.“

„Es ist gut, Du kannst gehen, sprich aber zu keinem Menschen ein Sterbenswörtchen, sonst geht’s Dir schlimm.“

[351] Als der Knecht fort war, fragte Marx: „Was halten Sie davon, Herr Lieutenant?“

Schellenberg erheuchelte einen hohen Grad von Gleichgültigkeit, indem er antwortete: „Es wird wieder auf eine Prellerei herauskommen, wie wir das schon einmal erlebt haben.“

„Das glaub’ ich nicht. Damals schenkte ich der Angabe keinen Glauben, aber diesmal thu’ ich’s wohl.“

„Freilich, Herr Marx, wenn wir damals Ihrer Ansicht gefolgt wären, so hätten wir uns Aerger und Beschämung erspart. Ich erkenne gern an, daß ich die hiesigen Verhältnisse nicht scharf genug zu beurtheilen verstehe, und ordne mich Ihrer besseren Einsicht bereitwillig unter. Was rathen Sie also?“

„Das will ich Ihnen offen und ehrlich sagen. An Ihrer Stelle würde ich den Steuerbeamten in Eversburg nichts sagen, denn die haben, die Wahrheit zu sagen, das Pulver nicht erfunden; auch Ihren Soldaten in der Stadt würde ich nichts mittheilen, denn der Jude ist zu klug und hat zu viele Kundschafter, die ihm augenblicklich, sobald sie die geringste Bewegung merken, entgegeneilen und ihn veranlassen, zurückzubleiben oder einen andern Weg einzuschlagen; aus demselben Grunde würde ich der Mannschaft auf dem Waldhof nichts wissen lassen, denn auch da herum fehlt’s vielleicht nicht an Augen, die im Dienste des Juden sind. Ich würde die Sache ganz still bei mir behalten, die Leute auf dem Hofe um zwölf Uhr wecken und, ohne daß sie selbst eine Ahnung von dem Unternehmen gehabt haben, um den Waldhof herum auf die Hofwiese führen. Sie können dieselbe nicht fehlen, sie liegt gerade zehn Minuten unter dem Waldhof und beginnt da, wo die alte hölzerne Wasserschleuße im Wiesengraben liegt. Wenn Sie von der Schleuße an das rechte Ufer des Baches mit Ihren Leuten besetzen, so fallen Ihnen die Schmuggler auf jeden Fall in die Hände, und zwar gerade in dem Augenblick, wo sie sich nicht wehren oder fliehen können, nämlich wo sie aus dem Bach das ziemlich hohe Ufer hinansteigen. Die Erlen und Weiden verbergen Sie völlig, und wenn Sie sich selbst das Vergnügen machen wollen, den Juden zu fangen, so nehmen Sie nur in der Mitte Ihrer Leute bei dem hohen Espenbaume Ihren Platz, denn es ist zehn gegen eins zu wetten, daß Feibes da herüber kommt, weil an den übrigen Stellen das Ufer zu steil und das Wasser zu tief ist.“

„Ich danke Ihnen, Herr Marx, und werde genau Ihren Anweisungen folgen.“

In diesem Augenblick meldete ein Schütze, daß der Unterofficier Winrich unten auf dem Hofe sei und frage, ob morgen Brod aus Eversburg geholt werden solle. Schellenberg antwortete: Allerdings, und es soll zugleich bestellt werden, daß ich übermorgen eine Musterung dort abhalten will - - doch ich muß wohl den Befehl dazu dictiren, ich komme selbst herunter.“

Als er in den Hof trat, stellte er sich mit Winrich in die Mitte desselben, ließ den Unterofficier seine Brieftasche hervornehmen, und gab ihm abwechselnd mündliche Befehle und Dictate, je nachdem der mißtrauische Marx, der ihm gefolgt war und lauernd auf und ab ging, in seine Nähe kam oder sich entfernte. Winrich begriff seinen Officier ganz gut, als dieser bald leise und rasch, bald laut und langsam sprach: „Sie gehen augenblicklich nach Eversburg zum Oberjäger Lasing und befehlen ihm, zwanzig Mann einzeln auf elf Uhr zum Abmarsch zu bestellen, mit Androhung der schwersten Strafe, wenn sie ein Wort kund werden lassen – – um elf Uhr Vormittags tritt das Commando auf dem Sammelplatze an – – Sie dirigiren die Mannschaft in das Gebüsch, fünf Minuten unter dem Waldhof an der rechten Seite des Baches, wo ich um zwölf Uhr zu weiteren Befehlen mich einfinden werde – – das Lederzeug wie die Knöpfe müssen untadelig geputzt, die Waffen im besten Zustande sein – – Sie selbst begeben sich augenblicklich nach dem Waldhof zurück, und bewachen den Müller genau, daß er sich nicht entferne oder Niemand entsende, Sie können ihn nur lieber gleich arretiren und bis morgen festhalten – – jeder Mann muß vorzeigen, wie viele Patronen er besitzt – – Sie schlagen natürlich jetzt gleich den Weg zum Waldhof ein, biegen aber rechts ab, sobald Sie von hier aus nicht mehr gesehen werden können – – die Löhnung soll am Ende der Musterung ausgezahlt werden. Weiter ist nichts zu bemerken. – – Ich hole Sie nach elf Uhr vom Waldhof ab.“

„Sehr wohl, Herr Lieutenant!“ Winrich grüßte militairisch und entfernte sich.

Marx schien ganz befriedigt mit dem Ausfall seiner Horcherei, er trat jetzt zum Officier heran, zwang sein Gesicht zu einer gewissen Freundlichkeit und sagte: „Da Sie mit Ihren Leuten gewiß schon gegen Mitternacht aufbrechen werden – –“

„Ich denke um elf Uhr abzugehen.“

„– – so erlauben Sie mir vielleicht, daß ich den Soldaten ein Versprechen halte, welches ich ihnen schon längst gegeben, nämlich sie mit einigen Flaschen Wein zu bewirthen?“

„Ich habe durchaus nichts dagegen, nur darf es nicht zu viel sein, damit die Leute nicht untauglich für den bevorstehenden Dienst werden.“

„Lassen Sie mich nur sorgen, ich werde die Mannschaft auf gute Weise bis elf Uhr munter halten, so daß Sie dann gleich abmarschiren können.“

„Gut. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr Marx.“

Schellenberg zog sich auf sein Zimmer zurück, wohin ihm später, wie jetzt immer geschah, sein Abendbrod mit einer Flasche Wein gebracht wurde, und hielt sich hier ganz ruhig. Er konnte wohl denken, daß Marx das Trinkgelage der Soldaten benutzen werde um die Büchsen unschädlich zu machen, aber er hütete sich wohl, ihn darin auch nur im mindesten zu stören oder zu belauern, denn er hatte mit einem sehr scharfsinnigen Mann zu thun, der nur dann in die ihm bereitete Falle ging, wenn sein Argwohn durchaus nicht geweckt war. Man hörte die Soldaten singen und jubeln, und Schellenberg ließ sie, wie ihren arglistigen Wirth, völlig gewähren. Zehn Minuten vor elf Uhr trat er plötzlich unter die erstaunten Leute und überraschte sie nicht wenig durch den Befehl, ihm augenblicklich zum Dienst zu folgen. Sie rannten erst ein wenig verwirrt hin und her, um sich in gehörigen Stand zu setzen, waren aber alsbald bereit und marschirten mit ihrem Officier ab. Marx sah sie in das Dunkel der Nacht abziehen, kleidete sich dann rasch um, so daß er einem gewöhnlichen Landmann ähnlich sah, steckte ein paar Pistolen, die er vorher genau untersucht hatte, nebst einer schwarzen Gesichtsmaske zu sich, trat dann durch eine Seitenpforte in’s Freie und glitt in die Nacht hinaus, nach der linken Seite des Thales hin.

Schellenberg traf auf dem Waldhof die Leute wach und in Bereitschaft; sie hatten den Müller in ein leeres Gelaß ohne Ausgang gesperrt. Auf des Officiers Befehl untersuchte man die Büchsen genauer, die man vom Wolfsgrund mitgebracht hatte, und fand die Zündlöcher mit feinen Stiftchen verstopft; man ließ also die für den Augenblick unbrauchbaren Gewehre zurück, sowie zwei Leute, um den Müller zu bewachen, und die Männer, die ohne ihre Hauptwaffe waren, nahmen Stricke mit, die für die Transporte aus der Stadt gedient hatten. So brach die Truppe auf und erreichte bald das Wäldchen, welches zum Zusammentreffen bestimmt war, und wo auch nicht lange nachher die Mannschaft aus Eversburg eintraf. Schellenberg bildete eine bogenförmige Kette von Posten um den Platz, den er am Bache einnehmen wollte, damit er nicht im Rücken überrascht werden konnte, und besetzte darauf das Ufer längs der Hofwiese, besonders den ihm von Marx bezeichneten Punkt, mit der Weisung, die muthmaßlich kommenden Schmuggler bis ans diesseitige Ufer gelangen zu lassen und dann zu verhaften, Leute aber, die etwa ohne Gepäck herüber kommen wollten, anzurufen und auf sie, wenn sie nicht ständen und antworteten, zu schießen. Er selbst hielt sich vorzugsweise in der Nähe des hohen Espenbaumes auf, weil er da einen Hauptangriff erwartete. So harrte man ruhig einige Stunden.

Jetzt hörte man auf der andern Seite sich nähernde Schritte, und bald konnte man, da die Nacht nicht sehr dunkel war, Gestalten erkennen, die theils belastet, theil ledig über den Bach zu setzen begannen; fünf bis sechs Männer, dem Anschein nach nicht beladen, drangen rasch auf die Espe los. Schellenberg rief sie an, aber sie beeilten sich um so mehr, während eine dumpfe Stimme rief: „Drauf los!“ Da ließ Schellenberg die beiden Schützen feuern, die neben ihm standen. Ein Fall in’s Wasser wurde gehört, hier und da ertönten noch mehr Schüsse, auch auf der äußeren Postenkette, wilde Flüche und Verwünschungen wurden laut, man vernahm das Ringen und Stöhnen Einzelner, eine Stimme von drüben rief: „Es ist geschehen ein Verrath, weil sie schießen dennoch; rette sich, wer kann!“ Darauf wurde es still, indem die Schritte einiger Flüchtiger bald sich in die Nacht verloren. Nur bei der Espe regte es sich noch, denn man schien da einen Todten oder Verwundeten das Ufer hinauf zu schaffen. Winrich war mit noch einigen Schützen herbeigeeilt [352] und fragte: „Sollen wir hinüber und festhalten, was wir finden?“

Doch Schellenberg antwortete: „Nein, wir wollen kein unnützes Blut vergießen; wer entfliehen kann, möge entfliehen!“ Als er darauf die übrigen Stellen besuchte, wo er seine Leute aufgestellt hatte, fand er, daß sie sich etwa eines halben Dutzends von Schmugglern bemächtigt hatten, sowie eines ansehnlichen Waarentransportes; die Gefangenen waren gebunden und wurden streng bewacht. Die Außenposten berichteten, daß sich ihnen eine Anzahl verdächtiger und dem Anschein nach bewaffneter Gestalten genähert habe; auf die ersten Schüsse aber seien Alle sogleich auseinander gestoben. Schellenberg ließ nun sogleich den Oberjäger mit einigen Schützen zur Meldung nach Eversburg abgehen, die Gefangenen aber und die Waarenballen vorläufig nach dem Waldhof schaffen. Als Alles besorgt war, brach der Tag an, und es dauerte dann nicht mehr allzu lange, so kamen die Steuerbeamten und Gerichtspersonen aus der Stadt an. So unzufrieden die ersteren sein mochten, daß Alles ohne sie geschehen war, so konnten sie doch dem vollständig gelungenen Unternehmen ihren Beifall nicht versagen. Es wurde sogleich ein Protokoll aufgesetzt, dann traf man die nöthigen Anstalten, die Gefangenen mit Einschluß des Müllers und die Waaren nach der Stadt zu schaffen, und nun kehrte Schellenberg mit seinen Leuten zum Wolfsgrund zurück.

Hier traf man das Gesinde in einer gewissen Verstörung, doch wurde ein Frühstück für die Mannschaft sowie für den Officier besorgt. Aber kaum hatte dieser mit der Erquickung, deren er so dringend bedurfte, begonnen, so kam der Knecht Hans Heinrich auf sein Zimmer und sagte:

„Herr Lieutenant, ich sollte Sie von meinem Herrn bitten, ob Sie nicht einmal zu ihm kommen wollten.“

„Wo ist denn Dein Herr?“

„Unten in seiner Stube, er ist krank und liegt im Bette.“ Bereitwillig folgte Schellenberg und wurde von dem Knechte in ein Zimmer geführt, das ungefähr unter dem seinigen lag; Hans Heinrich entfernte sich sogleich wieder. Der Officier schritt langsam und ernst zu dem Bett, worin Marx lag, und sagte:

„Sie haben mich zu sprechen gewünscht?“

„Ja, Herr Lieutenant, ich muß mit Ihnen reden, bevor ich sterbe.“

„Sie stellen sich Ihre Gefahr zu groß vor!“ rief Schellenberg mit Theilnahme.

„Nein, nein, die Kugel Ihres Schützen hat zu gut getroffen, ich werde den heutigen Tag nicht überleben.“

„Also es ist so, wie ich vermuthete!“ sprach Schellenberg vor sich hin.

„Ja, es ist so, einer ihrer Schützen, die an der Espe standen, hat mich durch den Leib geschossen. Sie sind auf irgend eine Art hinter meinen Anschlag gekommen, und das war ein Glück für Sie, denn sonst würden Sie wohl statt meiner dran gemußt haben.“ Ablenkend sagte Schellenberg: „Haben Sie denn schon nach einem Arzte geschickt? Und wenn Sie die Gefahr für so groß halten, wollen Sie nicht einen Geistlichen kommen lassen?“ „Nach dem Arzt ist geschickt. Einen Geistlichen kann ich nicht brauchen und will ich nicht haben, statt dessen habe ich ein paar Gerichtspersonen verlangt, denn ich will meinen letzten Willen aufschreiben lassen. Die Beruhigung für das Sterben, die mir ein Geistlicher doch nicht verschaffen könnte, erwarte ich von Ihnen, Herr Lieutenant.“

„Von mir?“

„Ja. Aber ich höre den Wagen vorfahren, es werden die verlangten Leute aus Eversburg sein. Lassen Sie mich eine Zeit lang mit ihnen allein, aber gehen Sie nicht aus dem Hause fort, daß Sie gleich bei der Hand sind, wenn ich Sie rufen lasse. Was ich, Ihnen zu sagen habe, ist nicht weniger wichtig für Sie, als für mich selbst.“

Da in diesem Augenblick der Knecht meldete, daß der Doctor und die Gerichtsleute aus Eversburg da wären, so entfernte sich Schellenberg auf sein Zimmer, höchst aufgeregt durch das, was er vernommen, und sehr gespannt auf das, was er noch vernehmen sollte.



VII.

Nach ziemlich langer Zeit wurde der junge Officier wieder zu dem Kranken gerufen, mit dem man ihn allein ließ. Als er an das Bett trat, fühlte er sich eigenthümlich erschüttert bei dem Anblicke des alten Mannes, dessen strenge Gesichtszüge durch den Ausdruck körperlicher Leiden gemildert waren und zugleich den Charakter gefaßter Ergebung trugen.

„Hat man Ihnen nicht bessere Hoffnung gegeben?“ fragte Schellenberg sanft.

„Nein,“ antwortete Marx ruhig, „es ist so, wie ich mir dachte, der Schuß hat die innern Theile unheilbar verletzt, und daß die Wunde fast kein Blut gebracht hat, ist nur der größere Beweis ihrer tödtlichen Beschaffenheit. Ich freue mich aber, daß ich bis zum Tode bei völliger Besinnung und in der Gewalt meiner Sprache bin, weil ich Ihnen wichtige Mittheilungen zu machen habe. Setzen Sie sich hier auf den Stuhl neben mich, dann brauch’ ich nicht so laut zu reden.

„Als der Waldhof noch ein schönes Schloß war, wozu viele Aecker, Wiesen und Waldungen gehörten, da war hier im Wolfsgrund blos ein Vorwerk mit zwei kleinen Pachterwohnungen; in der einen wohnte der verwittwete Pächter Klusner mit seiner erwachsenen Tochter, in der andern die Wittwe Lohmann mit ihrem Sohne, welcher die Pachtung auf seinen Namen übernehmen und dann zugleich die Christine Klusner heirathen wollte; dieser junge Mensch, welcher nichts vor sich sah, als frohe Lebensaussichten, war ich. Man hielt mich allgemein für einen braven Burschen, man lobte mich als einen guten Sohn, als einen treuen Bräutigam und als einen fleißigen und verständigen Landmann; aber es wußte Niemand darum, und ich selbst am wenigsten, daß in meinem Charakter ein gewaltiger Jähzorn lag, der freilich wie im Schlummer gehalten wurde, weil ihn das Leben noch nicht geweckt hatte. Auf dem Waldhof lebte der Herr von Lohfels mit seiner Frau und zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen. „Eines Tages ging ich mit Christine spazieren. Zufällig begegnete uns der „Herr Baron“, wie wir ihn zu nennen pflegten, und erlaubte sich vertrauliche Liebkosungen gegen meine Braut, die an sich wohl so schlimm nicht gemeint sein mochten, aber das Mädchen so erschreckten, daß es bei mir Schutz suchte; ich trat also vor den Baron hin und erklärte ihm, daß ich solches nicht leiden könne und mir verbitten müsse. Er schlug mit dem Stöckchen, das er in der Hand hatte, nach mir; ich entriß ihm aber dieses, warf es ihm zerbrochen vor die Füße und setzte mich in Bereitschaft, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Er ließ die gehobene Faust sinken und ging drohend weg. Gleich darauf kündigte er meiner Mutter den Pachtvertrag, worauf auch Klusner seinerseits kündigte, und so wären wir zwar in Unfrieden, doch sonst ohne Schaden auseinander gekommen, aber der Baron wollte mich so wohlfeilen Kaufes nicht entlassen. Er wußte es auf eine Art, die jetzt zu weitläufig zu erzählen sein würde, so einzurichten, daß ich von seinen Forstaufsehern als Wilddieb aufgegriffen und, da ich mich wehrte, wegen gewaltthätiger Widersetzlichkeit in einen bösen Proceß verwickelt wurde. Wie gesagt, ich will die kurze mir zugemessene Zeit nicht mit einer ausführlichen Auseinandersetzung dieser Sache verschwenden, aber Sie können es den Worten eines Sterbenden glauben, daß ich vollkommen unschuldig war und daß die Forstaufseher einen Meineid schworen. Ich wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt und sollte dahin abgeführt werden, als eben Christinens Vater an einem hitzigen Fieber gestorben war, meine Mutter aber vor Gemüthsbewegung todtkrank darniederlag und nur von meiner treuen Braut gepflegt wurde; die Pachtzeit war abgelaufen und der Baron bestand darauf, daß beide Frauenspersonen das Vorwerk räumen sollten. Ich ließ mich zu ihm führen, fiel vor ihm auf die Kniee, sagte ihm, daß ich nicht nur keinen Zorn nachtragen, sondern daß ich ihm zu ewigem Danke verpflichtet sein würde, wenn er meine Mutter in dem Hause ließe, bis sich ihre Krankheit so oder so entschieden hätte – er stieß mich mit dem Fuße weg und sprach die entsetzlichsten Flüche aus. Da war mein Herz wie umgewandelt; ich kehrte mein Gemüth von Gott und Menschen ab, ging mit stummem Trotz in das Zuchthaus, vernahm dort mit dumpfer Gleichgültigkeit, daß meine Mutter und Christine wirklich aus dem Hause geworfen waren, daß die arme kranke Frau im Walde, bis wohin sie sich geschleppt hatte, noch an demselben Tage gestorben, meine Braut aber wahnsinnig geworden und als unheilbar in eine Irrenanstalt gebracht sei.“

[361] „Das ist ja gräßlich!“ rief Schellenberg nach einer kurzen Pause entsetzt aus.

Marx wandte ihm sein Gesicht zu und sagte: „Nicht wahr, es ist mehr, als ein Mensch, den es trifft, ertragen kann? wenigstens wird’s unter Hunderten kaum Einer ertragen. Nachdem Sie dies gehört haben, werden Sie vielleicht über das, was Sie nun hören sollen, weniger erschrecken.“

„Nach solchem Leid,“ sprach Schellenberg, „wüßte ich fast keine Unthat, die der gequälte Mensch an seinem Quäler verüben könnte und die man nicht verzeihen müßte.“

Mit einer gewissen Erleichterung begann Marx: „Mögen Sie gesegnet sein für dieses Wort, aber mögen Sie es auch nicht vergessen bei dem, was nun kommt. Doch bevor ich fortfahre, reichen Sie mir doch das Glas, das da auf dem Tische steht, daß ich mich ein wenig erfrische. – So, nun will ich Ihnen weiter berichten. Der Aufenthalt im Zuchthaus war schlimm für mich; meine Seele brütete über Rachegedanken, von meinen Umgebungen lernte ich viel Böses. Als ich frei war, ging ich nach dem Irrenhause, aber Christine war bei einer Gelegenheit den Wächtern entsprungen und hatte sich in’s Wasser gestürzt. Dann suchte ich die Stelle, wo meine Mutter begraben war; man hatte sie neben den Begräbnißplatz vom Waldhof eingescharrt. Ich gab mich Niemand zu erkennen, aber als ich den Waldhof vor mir liegen sah, sprach ich einen harten Fluch und einen gewaltigen Schwur aus: daß ich nicht ruhen und rasten wolle, bis die ganze Familie vernichtet und der Waldhof verödet sei. Ich verband mich mit Wilddieben und Schmugglern, aber nur, um die Saaten des Barons zu vernichten, sein Vieh zu tödten oder fortzutreiben, sein Eigenthum auf jede Weise zu beschädigen. Ich sorgte dafür, daß die Forstaufseher keinen Meineid wieder schwuren, daß kein Pachter es aushalten konnte, fast kein Dienstbote sich annehmen lassen wollte. Ich stahl den Knaben des Barons unter solchen Umständen, daß die Eltern ihn für verunglückt halten mußten und keine Nachfrage anstellten, und dieser Knabe waren Sie, Herr Lieutenant.“

„Ich konnte es schon denken!“ murmelte Schellenberg.

„Soll ich auch fortfahren?“

„Gewiß, fahren Sie fort.“

„Ich hätte Sie tödten können, aber ich wollte es nicht, ich wollte, daß der letzte Lohfels als ein Lump und armseliger Strolch ein unglückliches und schlechtes Leben führen und, wie es mit solchen Leuten meist geht, in Schimpf und Schande enden sollte. Darum brachte ich den Knaben, ohne daß ein Mensch in der Welt außer mir um seine Herkunft wußte, unter eine Bande von Gauklern, aber ich gab ihm einen Ring mit, den ich einmal von einem Herumstreicher erhandelt hatte, als wenn der Knabe daran seine Angehörigen wieder erkennen könnte, und machte es den Vagabunden zur Pflicht, diesen Ring dem Knaben zu lassen, theils um ihn, wenn er erwachsen wäre, sich in vergeblichen Versuchen abmühen zu lassen, theils um vielleicht selbst einmal mein Opfer an diesem Zeichen zu erkennen und mich an seiner Herabwürdigung zu freuen. So stieß ich den Knaben in’s Leben, hörte von dem Jammer der Eltern und sprach zu mir: die Rache ist süß!“

„Fürchterlich!“ rief Schellenberg.

„Soll ich weiter erzählen?“

„Ja, erzählen Sie weiter.“

Nach einer Pause fuhr Marx fort: „Auf eine Zeit lang ging ich in das benachbarte Herzogthum, verschaffte mir dort falsche Papiere, kehrte unter dem Namen Marx zurück und kaufte dem Baron. der bereits mit eiligen Schritten völliger Verarmung entgegen ging, das vernachlässigte Vorwerk ab, auf dem ich geboren war. Meine früheren Genossen und Spießgesellen waren meist verkommen und verschollen, nur mit dem Juden Feibes Itzig war ich in fortwährender Verbindung geblieben, und ich muß ihm zum Ruhme nachsagen, er hat sich immer als treuer Bundesgenosse bewiesen. Durch seine Vermittelung vollzog ich auch den Ankauf dieses Vorwerks. Von da an wurde ich ein thätiger Landmann und bald wohlhabend, aber mein beständiges Augenmerk war, dem immer mehr verarmenden Baron einen Acker, eine Wiese, eine Waldung nach der andern abzukaufen. Um baares Geld in den Händen zu haben, organisirte ich mit Feibes ein großartiges und sehr gewinnreiches Schmuggelgeschäft, wobei ich selbst mich persönlich ganz zurückhielt, während Feibes, der immer ein großes Vergnügen daran gefunden hat, sich bei der unmittelbaren Ausführung gern betheiligte. Als ich glaubte, daß der Baron den bitteren Trank des Armwerdens genug gekostet habe und nun wirklich beim Armsein angelangt war, da steckte ich ihm sein Schloß in Brand; in der Feuersbrunst kamen seine Frau und seine Tochter um, weil sie in der tiefsten Nacht unter ihren Zimmern ausbrach, ihn selbst rettete ich fast mit eigener Gefahr, nachdem er sich im vergeblichen Bemühen, die Seinigen den Flammen zu entreißen, lebensgefährlich beschädigt hatte. Ich schaffte ihn nach dem Wolfsgrunde, und während ich ihn scheinbar mit großer Theilnahme pflegte, entdeckte ich ihm, wer ich sei und wie ich seine Unthat gegen mich vergolten habe. Unter dem Entsetzen dieser Mittheilung verschied er. Als [362] ich an seinem frischen Grabe stand, von wo man die verkohlten Reste des Waldhofes sehen konnte, da sagte ich zu mir selbst: die Rache ist süß!“

Schellenberg verhüllte sein Gesicht und stöhnte: „Es ist zu viel!“

„Soll ich aufhören?“ fragte Marx.

Nach einer Pause erwiderte Schellenberg: „Vollenden Sie Ihren grauenhaften Bericht. Aber es waren ja meine Eltern, von denen ich so schreckliche Dinge erfahre, darum ergreifen sie mich so.“

Marx fuhr fort: „Der Waldhof ging nunmehr an eine ziemlich entfernte Verwandte der Baronin über, die denn auch mit ihrer Magd in den Trümmern des Schlosses einzog. Mit diesen Leuten hatte ich keine Abrechnung zu halten, ich verübte also auch keine Feindseligkeiten gegen sie. Ich hatte nun Alles erreicht, was mir die Aufgabe meines Lebens gewesen war, ich hatte mich vollkommen gerächt: der Waldhof lag in Asche und Schutt, das Geschlecht von Lohfels war von der Erde verschwunden. Aber ich war doch nicht glücklich in meinem neuerbauten Hause, in meinem Wohlstande, in meiner vollführten Rache. So sehr ich mich gegen den Gedanken wehrte, so kam er doch immer mächtiger über mich, nämlich der Gedanke: die Rache ist bitter! Von den Beängstigungen meines Gemüthes, die sich immer stärker einstellten, will ich nicht reden, Sie können sich dieselben ohnehin wohl vorstellen. Als die Rede davon war, daß Soldaten hier an die Grenze gelegt werden sollten, bewarb ich mich selbst um Einquartierung, theils um jeden Verdacht fern zu halten, theils um das Auftreten der Soldaten unschädlicher für die Schmuggler zu machen. Wie Sie hier ankamen und ich zuerst Ihre Stimme hörte, erinnerte mich dieselbe auffallend an die Stimme des verstorbenen Barons, ich glaubte auch eine gewisse Gesichtsähnlichkeit zu erkennen. Darum schlich ich mich in der ersten Nacht in Ihr Zimmer und erkannte Sie an dem Ringe, den Sie um den Hals tragen.“

Schellenberg nickte blos, ohne den Redenden mit einem Worte zu unterbrechen, mit dem Kopfe.

„Obgleich ich längst gemerkt hatte, daß die Rache bitter sei, so lebte doch die Erinnerung an meinen Schwur fort, es erwachte in mir von Neuem der Zorn gegen das Geschlecht der Lohfels, und ich beschloß Ihren Tod. Wie Sie hinter meinen Anschlag gekommen sind, weiß ich nicht, will es auch nicht wissen, denn es interessirt mich nicht mehr. Als ich den Schuß bekommen hatte und mich hierher schleppte, als ich nachher einsam in meinem Bette lag und meinen Tod vor Augen sah, da ging mir die Einsicht auf, daß der Himmel meinen Thaten der Rache ein Ziel gesetzt habe, daß ich ein großer Sünder und Verbrecher sei und daß mir eine schwere Abrechnung bevorstehe. Und doch gehe ich meinem Tode mit Fassung und Muth entgegen. Aber um meine Verantwortung, wenn es möglich ist, etwas zu erleichtern, will ich an Ihnen so viel gut machen, wie in meinen Kräften steht. Ich habe Ihnen Ihre Herkunft mitgetheilt und Sie mögen nach Ihrem Gefallen danach handeln. Ich habe Sie in meinem Testamente zum alleinigen Erbin eingesetzt, denn Ihnen kommt der ganze Grundbesitz zu. Dort über dem Ofen ist in der Decke eine Klappe, die sich leicht aufheben läßt; stellen Sie einen Stuhl an den Ofen, steigen Sie auf diesen, heben Sie die Klappe auf und treten Sie in den kleinen Verschlag; Sie werden da zwei Brieftaschen und einige Rechnungsbücher finden – bringen Sie mir das Alles hierher. Aus dem Verschlage geht auch eine Thüre in Ihr Zimmer, die über nur von innen aufgedrückt werden kann. Eilen Sie, denn es kommt mir vor, als wollte meine Kraft mich verlassen.“

Schellenberg that nach den Worten des Sterbenden und legte die Brieftaschen und Bücher vor ihn hin.

„Diese Staatspapiere,“ fuhr Marx fort, „sind Ihr gutes ehrliches Eigenthum, sie sind, wie dieses eine Buch genau nachweist, aus dem Ertrage des Bodens erworben, der eigentlich Ihrer Familie gehört. Diese andere bedeutende Summe in Papiergeld, worüber in dem zweiten Buche Rechnung geführt ist, haben meine Handelsgeschäfte abgeworfen, die ich durch Feibes Itzig betrieb; daß diese Geschäfte auf Schmuggelei beruhten, wissen Sie, und Sie können sich darüber entscheiden, was Sie mit dem auf diese Weise gewonnenen Gelde anfangen wollen. Nehmen Sie die Brieftaschen und die Bücher mit auf Ihr Zimmer, denn das Gericht braucht seine Nase nicht hineinzustecken, wenn es vielleicht nach meinem Tode vorerst meine Habseligkeiten versiegelt. Nach Eröffnung des Testamentes wird man Ihnen alles Uebrige übergeben. Wahrscheinlich verkauft Ihnen das Fräulein von Schöneberg gern den Waldhof, dann können Sie das Schloß wieder herstellen und dort wohnen. Wenn es Ihnen da gut geht, so ist der Fluch gelöst, den ich einst in meinem Zorne ausgesprochen habe. Können Sie nun einem Manne, der so viele Verbrechen an Ihrer Familie verübt hat, ein gutes Wort mitgeben in seinen Tod, ein Wort der Verzeihung und Versöhnung?“

„Das kann ich,“ rief Schellenberg, „und thu’ es aus vollem aufrichtigem Herzen! Von meinem Vater ist schwer gegen Sie gefehlt, ich als Sohn spreche Verzeihung und Versöhnung mit Bereitwilligkeit aus, und auch vor einem höheren Richterstuhle wird das, was Sie gelitten, zur Abrechnung gegen das, was Sie gethan, in’s Gewicht fallen. Gott schenke Ihnen einen sanften, ruhigen Tod und einen milden Spruch!“

„Amen!“ sprach langsam mit einer gewissen Befriedigung der Kranke. „Gehen Sie jetzt mit diesen Sachen fort und schicken Sie mir den Knecht herein. Mein Gesinde werden Sie nicht fortschicken, es ist ehrlich und treu. Es gehe Ihnen gut!“

Schellenberg war so ergriffen, daß er nicht sprechen konnte; er drückte sanft die Hand des Sterbenden, über dessen starre und strenge Züge jetzt eine gewisse milde Verklärung sich ausbreitete. Dann verließ Schellenberg das Zimmer, begab sich auf das seinige und überließ sich in ungestörter Einsamkeit den mannichfachen Empfindungen und Gedanken, welche die Erfahrungen der letzten Stunde in ihm hervorgerufen hatten.

Als der Knecht Hans Heinrich eintrat und mit tiefer Trauer verkündete, daß sein Herr so eben gestorben sei, da beugte der junge Mann sein Haupt und weinte bitterlich.



VIII.

Die nächsten Tage vergingen einförmig. Die ergriffenen Schmuggler wurden in die gewöhnlichen Strafen verurtheilt, da sie aber weder auf Feibes Itzig, noch auf den verstorbenen Marx aussagten, so knüpfte sich eine weitere Untersuchung nicht daran, nur hatte Feibes bei dem Vorfalle einen so großen Schaden erlitten, daß er zu einem ferneren Versuche nicht aufgelegt zu sein schien. Daß sich ein Mann, wie Marx, dazu hergegeben hatte, mit den Schmugglern gemeinschaftliche Sache zu machen, fiel in diesen verwilderten Grenzbezirken nicht sehr auf und man bedauerte ihn nur, daß er dabei eine tödtliche Wunde erhalten hatte; von dem eigentlichen Beweggrunde seines Auftretens mochte wohl nur Feibes Kunde haben, und dieser zeigte sich vollkommen verschwiegen. Schellenberg wurde vom Gerichte vorgeladen und in Kenntniß des Testamentes gesetzt, welches ihn zum alleinigen Erben von Marx einsetzte, weil dieser „im Lieutenant Schellenberg den einzigen rechtmäßigen Erben des Gutes Waldhof erkannt habe“. Dem außerordentlichen Aufsehen, welches hierdurch hervorgerufen wurde, trat der junge Officier mit der Erklärung entgegen, daß allerdings Marx an untrüglichen Zeichen in ihm den früher verloren gegangenen Sohn des Herrn von Lohfels zu entdecken geglaubt und ihn darum zum Erben eines Besitzthumes, das aus den Bestandtheilen der Lohfels’schen Güter gebildet sei, eingesetzt habe; er selbst lasse die Wahrheit dieser Entdeckung auf sich beruhen, da er jedenfalls als Adoptivsohn des Majors Schellenberg dessen Namen beibehalten werde. Er verschwieg auch nicht, daß ihm von dem Verstorbenen eine Summe Geldes eingehändigt sei, was übrigens auch Marx den Personen, die bei Abfassung seines Testamentes anwesend gewesen waren, mitgetheilt hatte, als eine freiwillige Schenkung bei Lebzeiten, damit nicht etwa weitläufige Untersuchungen über den Verbleib des baaren Geldes angestellt werden möchten. Da keine Spur von sonstigen Erbberechtigten vorhanden war, so wurde gegen Erlegung der üblichen Erbschaftssteuer das Testament in Kraft gesetzt. Man sprach in dieser Zeit von nichts, als von der wunderbaren Begebenheit, daß Marx den todtgeglaubten Sohn des Barons von Lohfels aufgefunden und zu seinem Erben gemacht habe, und man wunderte sich am meisten darüber, daß der Erbe keine Schritte thue, seine Abkunft sicher zu stellen und seinen adligen Namen in Anspruch zu nehmen; er selbst wies jedes hierauf zielende Ansinnen mit dem Bemerken zurück, daß der Glaube des verstorbenen Marx sich nie durch genügende Beweise würde zur Gewißheit erheben lassen. Mit Feibes Itzig hatte er eine lange und geheime Unterredung, aus welcher der Jude ungewöhnlich ernst hervorging und welche [363] die Wirkung auf ihn zu haben schien, daß er der Schmuggelei ganz und für immer entsagte. Diese schien überhaupt völlig aufgehört zu haben und man machte dem jungen Officier kein geringes Verdienst daraus, daß sein Auftreten von einem so außerordentlich günstigen Erfolge begleitet war. – Den Müller vom Waldhofe hatte man wieder entlassen. Weil sich zwar großer Verdacht hinsichtlich seiner Mitwissenschaft erhob, aber kein bestimmter Beweis führen ließ.

Es fiel Schellenberg sehr auf, daß Winrich in den letzten Tagen auffallend gedrückt und tiefsinnig zu sein schien. Bei nächster Gelegenheit sprach er ihn an: „Was ist das mit Ihnen, Winrich? Sie sind ja gar nicht mehr der Alte? An, Ende beneiden Sie mich um das freilich seltsame Glück, welches ich in diesen Bergen so unerwartet gefunden habe.“

„Gewiß und wahrhaftig nicht, Herr Lieutenant! Möge mich Gott strafen, wenn ich nicht einen herzlichen Antheil an dem Guten nehme, was das Schicksal Ihnen bescheert hat.“

„Nun also, warum sind Sie denn so traurig und niedergeschlagen? Das Glück kann Sie in diesen Bergen so gut finden, wie mich, und Sie hatten ja schon einige allerliebste Pläne, deren Ausführung doch eigentlich nun näher gerückt ist. Denn es ist kein Zweifel, daß man mit unserer Thätigkeit zufrieden sein wird und daß sowohl für den Oberjäger, wie für Sie, eine Belohnung in Aussicht steht. Eine Anstellung als Grenzjäger kann ich Ihnen fast sicher versprechen, wenn auch nicht gleich, doch nach einiger Zeit.“

„Ach, Herr Lieutenant, Sie wissen, warum ich eine solche Anstellung wünschte. Die Henriette will aber nach den letzten Vorfällen nichts davon wissen, die Frau eines Grenzbeamten zu werden.“

„Nun, Winrich, ich habe die feste Absicht, für Sie und Ihre Henriette zu sorgen, so gut ich irgend kann. Ist’s nichts mit der Stelle als Grenzaufseher, so findet sich etwas Anderes. Wie wäre es z. B., wenn ich meinen Abschied nähme und mich hier in dem Besitzthume niederließe, das mir auf so wunderbare Weise zu Theil geworden ist? Ich würde einen tüchtigen Forstmann und Sie als dessen Unterbeamten anstellen; Sie haben ja früher schon die Lehrjahre bei einem Förster durchgemacht. An einer hübschen Wohnung und einem hinreichenden Auskommen soll’s nicht fehlen.“

Einen Augenblick lang erheiterten sich Winrich’s Gesichtszüge, dann aber nahm auf ihnen wieder die frühere Niedergeschlagenheit Platz, und er sagte traurig: „Auf solche Weise erfüllten sich freilich meine liebsten Wünsche, aber ich will es nur offen heraussagen, daß ich mein Herz nun einmal zu sehr an die Henriette gehängt habe, um ohne sie glücklich zu sein, wenn ich auch Oberförster würde. Die Henriette aber will mit aller Gewalt bei dem Fräulein von Schöneberg bleiben.“

„Nun, und Fräulein von Schöneberg ist ja eben hier.“

„Da steckt’s gerade. Fräulein von Schöneberg will in irgend eine Stadt ziehen, um sich ihren Unterhalt mit weiblichen Arbeiten zu verdienen, und die Henriette will ihre bisherige Herrin nicht verlasse.“

„Wie? Fräulein von Schöneberg will fort? Und warum denn?“

„Weil sie gehört hat, daß nun der eigentliche Erbe vom Waldhofe sich gefunden hat, so will sie ihm den Wohnsitz räumen, auf den sie kein Recht hat, wie sie meint.“

„Dummes Zeug! Gehen Sie gleich auf den Waldhof, Winrich, und lassen Sie durch Henriette sagen, ich wünsche Fräulein von Schöneberg zu sprechen, und zwar würde ich bereits in einer halben Stunde eintreffen.“

Winrich entfernte sich rasch mit zwar unbestimmten, aber doch neu aufgefrischten Hoffnungen, und Schellenberg machte einige Toilette, um sich einer Dame vorstellen zu können. Es hatte ihn ein unklares Gefühl bisher abgehalten, zum Waldhofe zu gehen und die Bekanntschaft der einsiedlerischen Dame zu machen, die ja sogar seine Verwandte war; eines Theils war er noch nicht ganz mit sich im Reinen, welcher Art die Vorschläge sein sollten, die er dem Fräulein machen und wodurch er ihm eine gesicherte und möglichst angenehme Zukunft bereiten wollte; andern Theils fühlte er sich höchst befangen, jenes Mädchen wieder zu sehen, das von Anfang an einen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht und zuletzt seinem ganzen Geschick eine unerwartete Wendung gegeben hatte, ja seine Lebensretterin geworden war. Er machte sich jetzt ernste Vorwürfe, seinen Dank so lange verzögert und zugleich die alte Dame in Ungewißheit gelassen zu haben, ob er als näherer Erbe den Waldhof in Anspruch nehme; er ging daher jetzt festen und eiligen Schrittes den Weg zum verfallenen Stammhause seiner Familie hinunter.

Winrich empfing ihn auf dem Hofraume und sagte ihm, daß er vom Fräulein erwartet würde. Er trat also durch die diesmal offene Hausthüre und wurde von einem blühenden Mädchen empfangen, in dessen hübschem Gesicht sich Gutmüthigkeit und Entschlossenheit vereinigte; es öffnete ihm eine Stubenthüre und bat ihn, einzutreten. Er fand Niemand in der Stube, als seine alte Bekannte, die in gewählterer, aber doch einfacher Kleidung ihm mit würdigem Anstande entgegentrat, während sich das Mädchen, das ihn empfangen hatte, zurückzog. Verwirrt blieb er stehen und vermochte seine Gedanken nicht sogleich zu ordnen; er brachte mit verlegenem Stottern die Worte hervor:

„Ich hatte Fräulein von Schöneberg um eine Unterredung ersuchen lassen – –“

Sie unterbrach ihn mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme: „Ich bin Thekla von Schöneberg.“

Wie ein Blitz durchzuckte es Schellenberg. „In welchem seltsamen Irrthum bin ich befangen gewesen!“ rief er überrascht, „wie unendlich fühl’ ich mich beschämt!“ Aber in seinem Herzen flüsterte eine leise jauchzende Stimme: „Wie unendlich fühl’ ich mich beglückt!“

Mit einem Tone, der immer mehr an Sicherheit gewann, sagte sie: „An diesem Irrthum bin ich allein Schuld. Sie verwechselten mich bei unserem ersten Zusammentreffen mit meiner Henriette, und sowohl der bescheidene Aufzug als die Beschäftigung, worin Sie mich trafen, machten diesen Irrthum sehr erklärlich, ich aber konnte durchaus nichts Beschämendes darin finden, mit meiner treuen Henriette verwechselt zu werden, die mir mehr eine Freundin als eine Dienerin ist. Für den Augenblick fand ich keine Veranlassung, das Mißverständniß aufzuklären, und später - - fand sich keine rechte Gelegenheit dazu.“

Schellenberg legte die Hand an die Stirn und sagte: „Wo in aller Welt hatte ich meine Augen, und noch mehr – wo hatte ich meinen Verstand, daß ich Sie für eine Dienerin halten konnte? Nie werde ich mir diesen unverzeihlichen Fehlgriff verzeihen.“

Sie blickte in ihrer bezaubernd gütigen Weise zu ihm auf, indem sie erwiderte: „Ich versichere nochmals, daß die Verwechslung auch nicht das geringste Unangenehme für mich hatte, ich freute mich im Gegentheil, daß sie mir die wohlthuende Gelegenheit gab, von Ihnen die gütigen Gesinnungen zu vernehmen, die Sie für die einsame Bewohnerin des Waldhofes hegten, ohne sie zu kennen.“

„Was habe ich Ihnen nicht Alles zu verdanken, mein Fräulein!“ rief er lebhaft. „Ohne Sie wäre ich ohne Zweifel als das Opfer der Rachsucht gefallen, durch Sie ist mir nicht blos das Leben bewahrt, sondern auch ein eben so bedeutender als unerwarteter Zuwachs äußern Glückes zu Theil geworden.“

„Ich habe mich recht gefreut,“ sagte sie herzlich, „daß Ihnen eine glückliche Enthüllung Ihre Familie und Ihr Erbe wiedergegeben hat. Ich selbst habe hierbei nicht das geringste Verdienst, denn eine That läßt sich nie nach ihren zufälligen Folgen, sondern nur nach ihrem eigentlichen Werthe schätzen. Ich wollte weiter nichts, als Sie vor einer Gefahr schützen, über welche mich der Zufall in Kenntniß gesetzt hatte, ich konnte natürlich nicht entfernt ahnen, daß meine Entdeckung so tiefgreifende Folgen für Sie haben und mich um einen Verwandten bereichern würde.“

„Ja, das ist wahr,“ rief er, „wir sind ja verwandt! Denn wenn ich auch vor der Welt meine Abkunft von der Familie Lohfels nicht beweisen kann und will, schon um dessen willen nicht, dem ich die Enthüllung des Geheimnisses verdanke, so bin ich doch von der Wahrheit der Enthüllung überzeugt. Zu meiner Freude scheinen Sie diese Ueberzeugung zu theilen, da Sie mich als Verwandten betrachten.“

„Gewiß, ich theile sie.“

„Aber wie stimmt damit die Nachricht, die mir Winrich mitgetheilt hat, daß Sie daran dächten, den Waldhof zu verlassen?“ Sie senkte wieder das Gesicht und erwiderte: „Es versteht sich wohl von selbst, daß ich eben darum, weil ich in Ihnen den rechten Erben erkenne, mein Anrecht aufgebe, welches ja nur auf dem Irrthum des Ausgestorbenseins der Familie Lohfels beruhte, und daß ich Ihnen also den Platz räume, der einzig Ihnen zukommt.“

[364] Schellenberg schüttelte den Kopf. „Ich werde diesen Platz nie einnehmen,“ sagte er, „wenn ich Sie vorher daraus verdrängen müßte! Sie haben mir solche Beweise eines tief gefühlvollen Herzens gegeben, daß ich überzeugt sein kann, Sie verstehen und würdigen meine Empfindung in diesem Falle; Sie wissen recht gut, daß ich eines Besitzes niemals froh werden würde, wenn auf ihm der Fluch lastete, meine Retterin einer Zufluchtsstätte beraubt zu haben. Es wäre eine Grausamkeit, wenn Sie einen solchen Gedanken noch einmal laut werden ließen.“

„Aber Sie werden,“ sagte sie schüchtern, „doch das Haus Ihrer Väter wieder in einen würdigen Stand setzen lassen, Sie werden vielleicht den Kriegsdienst verlassen und hier wohnen wollen, Sie begreifen also – –“

Er unterbrach sie: „Ich könnte ja im Wolfsgrund wohnen, aber fort mit aller Rückhaltung! Warum soll ich Ihrem schönen Herzen gegenüber mein Herz nicht frei und offen aussprechen? Wohnen bleiben müssen Sie nun einmal schlechterdings auf dem Waldhof, doch warum sollen wir nicht zusammen darauf wohnen? Das Schicksal hat uns in diesem einsamen Winkel der Erde auf seltsame Weise nahe gebracht, mein Herz hat sich rasch und bestimmt entschieden; erkennen auch Sie in den Fügungen des Schicksals eine führende Hand der Vorsehung, und vereinigen Sie Ihr Geschick mit dem meinigen, beglücken Sie mich durch Ihre Hand, werden Sie die Meinige!“

Thekla wandte das Haupt um, das aus tiefer Purpurröthe in völliges Erblassen übergegangen war.

Weniger stürmisch, aber mit sanfter Eindringlichkeit fuhr er fort: „Halten Sie meinen Antrag nicht für übereilt und unzart, in meinem Herzen ist er fürwahr gereift genug, und der Drang der Verhältnisse, Ihr eigener Entschluß, den Waldhof verlassen zu wollen, macht ihn nothwendig. Freilich sehe ich wohl ein, daß ich Ihnen so gut wie ganz unbekannt bin, daß Sie keinen Anhaltpunkt haben, um sich von dem Werth meines Charakters zu überzeugen. Die Angst, Sie möchten meinen Vorschlag abweisen, zwingt mich, als mein eigener Anwalt und Schutzredner aufzutreten. Glauben Sie mir, ich besitze die Eigenschaften des Herzens, um ein weibliches Wesen wahrhaft lieben und glücklich machen zu können. Von dem ersten Augenblicke an, wo ich Sie sah, sprach mein Gefühl für Sie, und ich habe mich gewaltsam beherrschen müssen, daß ich nicht täglich hierher kam und Sie aufsuchte. Ich beherrschte mich, weil ich Sie für Ihre Dienerin Henriette hielt, nicht als wenn ich des Standes wegen meinem Herzen hätte Gewalt anthun wollen – denn meine Gedanken auf dem ersten Rückweg vom Waldhof sprangen sogleich über diese Schranke hinweg – sondern weil ich durch meinen Unterofficier Winrich erfuhr, daß zwischen ihm und Henriette ein Einverständnis gegenseitiger Neigung stattfinde, und weil ich demnach als ehrlicher Mann doppelt auf meiner Hut sein mußte. Vertrauen Sie mir, und Sie sollen es gewiß niemals zu bereuen haben. Doch Sie schweigen sind Sie eben so entschieden gegen eine solche Verbindung, wie ich sie mit glühender Seele wünsche?“

Er legte die Hand auf ihr Haupt und drehete es sanft um, so daß er ihr in’s Angesicht schauen konnte, und er sah, wie unter den gesenkten Wimpern hervor einige große Thränen über die nun wieder in Purpur erglühenden Wangen rollten. Und als sie nun die Wimpern erhob, und als aus der Tiefe ihrer Augen ein warmer entzückender Strahl seinem ängstlich forschenden Blick begegnete, da bedurfte er keiner weiteren Antwort, da wußte er, daß er glücklich war, und schloß die Liebliche in seine Arme.



IX.

Bei der späten Rückkehr zum Wolfsgrund fand Schellenberg einen Brief von dem Freihern von dem Busch vor, worin dieser ihm freudevoll seine Verlobung meldete und seinen stürmischen Dank aussprach, da nur die Aufopferung des Freundes es ihm möglich gemacht habe, zu dem ersehnten Ziele zu gelangen. Schellenberg wandte die Nacht dazu an, dem Freunde seine eigenen Erlebnisse zu berichten, jedoch so, daß die eigentliche Schuld des unglücklichen Marx verschwiegen blieb, über welche er nun einmal für immer einen dichten Schleier werfen wollte; er erklärte sich seinerseits für nicht weniger dankbar, weil nur sein Eintreten für den Freund ihn auf den Weg zu seinem Glück geführt hatte. Aber er begnügte sich nicht damit, sondern er setzte eine Denkschrift auf, worin er die großen Nachtheile entwickelte, welche für diese Grenzbezirke aus der Schmuggelei entstanden. Die Verhandlungen mit dem Nachbarstaate wegen einer Zolleinigung hatten sich bis jetzt zerschlagen, aber die Denkschrift wies nach, wie die Zugeständnisse, welche verlangt wurden, nicht im Verhältniß ständen zu der Verarmung, Verwilderung und Entsittlichung der Grenzbewohner, und sie legte es daher der Landesregierung warm an’s Herz, lieber einige Ansprüche fallen zu lassen und eine Vereinigung herbeizuführen. Der Präsident der Regierung dieser Provinz, der ja nun der Schwiegervater des Lieutenants von dem Busch wurde, hatte den bedeutendsten Einfluß auf die Entscheidung in dieser Frage, und daher bat Schellenberg seinen Freund dringend, bei Uebergabe der Denkschrift deren Inhalt angelegentlichst zu bevorworten. – Als er darauf auch noch sein Abschiedsgesuch aufgesetzt hatte, legte er die Feder nieder, löschte die Lichter aus und sah der Morgenröthe, welche eben die Bergspitzen vergoldete, mit hoffnungsreicher, glücklicher Seele entgegen.

Die Antworten, welche Schellenberg auf seine Schreiben erhielt, waren in hohem Grade befriedigend. Der Präsident begleitete das Glückwunschschreiben seines Schwiegersohnes mit einem sehr freundlichen Briefe, worin er dem schönen Eifer, der sich in der Denkschrift ausgesprochen hatte, die vollste Anerkennung ausdrückte, seinerseits die bereitwilligste Thätigkeit versprach und einen günstigen Erfolg in sichere Aussicht stellte. Von seinen Vorgesetzten erhielt Schellenberg die schmeichelhafteste Belobung für seine erfolgreiche Wirksamkeit zur Unterdrückung der Schmuggelei; man bedauerte sehr, daß er aus dem Dienste treten wolle, aber man gewährte ihm den Abschied in den ehrenvollsten Formen.

Als Schellenberg mit seiner jungen Gattin den einen wiederhergestellten Flügel des Waldhofes bezog, Winrich und Henriette sich in einem allerliebsten Försterhause niedergelassen, da langte auch die Nachricht an, daß die Zollvereinigung zu Stande gekommen sei, und zugleich traf die Begnadigung der verhafteten Schmuggler ein. Schellenberg wandte nun die ganze Summe, die ihm Marx als aus seinen Handelsgeschäften gewonnen bezeichnet hatte, dazu an, um segensreich in seinen Umgebungen zu wirken. Durch Geschenke oder Vorschüsse setzte er die verarmten Familien in Stand, sich auf die Betreibung der Viehzucht zu legen, oder das Köhlergewerbe zu ergreifen, oder Steinbrüche zu eröffnen, oder andere Unternehmungen zu beginnen; er sorgte dafür, daß durch die Anlage guter Straßen die Erzeugnisse der Gegend einen gesicherten und erleichterten Absatz fanden; er war mit Rath und That überall bei der Hand, wo man seines Beistandes bedurfte.

Als die Wiederherstellung des Waldhofes vollendet war, da sah sich Schellenberg nicht blos durch den Besitz eines trefflichen Weibes beglückt, sondern er gewahrte auch in seinen Umgebungen bereits die schönsten Erfolge seiner Bemühungen, und eine hohe Anerkennung ward seinem Wirken von allen Seiten zu Theil.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sage