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Der geizige Bauer

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der geizige Bauer
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 83–84
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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[83]
35. Der geizige Bauer

Es war einmal ein Bauer, der führte Birnen nach dem Markt. Weil sie sehr süß und duftend waren, hoffte er einen guten Preis dafür zu bekommen. Ein Bonze in zerrissener Mütze und zerfetzten Kleidern trat an den Wagen heran und bat um eine. Der Bauer wies ihn ab, doch der Bonze ging nicht. Da ward der Bauer böse und begann ihn zu beschimpfen. Der Bonze sprach: „In Eurem Wagen habt Ihr viele hundert Birnen. Ich bitte Euch ja nur um eine. Das bringt Euch doch nicht großen Schaden. Warum werdet Ihr gleich so böse?“

Die Umstehenden sagten, er solle ihm doch eine der geringeren geben und ihn gehen lassen. Aber der Bauer wollte durchaus nicht. Ein Handwerker sah es von seinem Laden aus, und weil ihm der Lärm lästig war, so holte er Geld, kaufte eine und gab sie dem Bonzen.

Der Bonze bedankte sich und sprach: „Unsereiner, der die Welt verlassen hat, darf nicht knickrig sein. Ich habe schöne Birnen und lade Euch alle ein, mitzuessen.“ Es sagte einer: „Wenn du Birnen hast, warum ißt du denn nicht deine eigenen?“ Er sprach: „Ich brauche erst einen Kern zum Stecken.“

Damit begann er die Birne schmatzend aufzuessen. Als [84] er fertig war, hielt er einen Kern in der Hand, nahm seine Hacke von der Schulter und grub ein Loch von ein paar Zoll. Er steckte den Kern hinein und bedeckte ihn mit Erde. Dann verlangte er von den Marktleuten Suppe, um ihn zu begießen. Ein paar Neugierige holten in einer Straßenherberge heißes Wasser, und der Bonze begoß damit den Kern. Tausend Augen waren auf die Stelle geheftet. Schon sah man einen Keim herauskommen. Allmählich wuchs er und war im Augenblick zu einem Baum geworden. Zweige und Laub sproßten hervor. Er blühte, und alsbald waren die Früchte reif: lauter große, duftende Birnen, die in dichten Mengen am Baum hingen. Der Bonze stieg auf den Baum und gab sie den Umstehenden. Im Augenblick war der Baum leergegessen. Da nahm er seine Hacke und hackte den Baum ab. Krach, krach ging es eine Weile, da war er ab. Er nahm den Baum auf die Schulter und ging mit gemächlichen Schritten weg.

Als der Bonze seinen Zauber hatte spielen lassen, da hatte auch der Bauer sich unter die Zuschauer gemischt. Mit langem Hals und stieren Augen hatte er dagestanden und seinen Birnenhandel ganz vergessen. Als der Bonze weg war, da sah er sich nach seinem Wagen um. Die Birnen waren alle fort. Da merkte er, daß, was jener verteilt hatte, seine eignen Birnen gewesen waren. Er sah näher zu, da fehlte an dem Wagen auch die Deichsel. Man konnte ganz deutlich sehen, daß sie frisch abgehackt war. Er ward aufgebracht und lief, so schnell er konnte, dem Bonzen nach. Als er um eine Ecke kam, lag das fehlende Stück der Deichsel unten an der Stadtmauer. Da merkte er, daß der abgehackte Birnbaum seine Deichsel war. Der Bonze aber war nirgend zu finden. Und der ganze Markt brach in lautes Gelächter aus.

Anmerkungen des Übersetzers

[394] 35. Der geizige Bauer. Quelle: Liau Dschai Yän Yi.

„Bonze“ in der Übersetzung für „Taoist“ im Urtext.

Deichsel, im Chinesischen eigentlich die eine Handhabe. Die kleinen chinesischen Wagen sind einrädrige Schubkarren mit zwei Handhaben.