Der hannoverische Schützenkönig

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Textdaten
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Autor: B.
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Titel: Der hannoverische Schützenkönig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 243–244
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[236]

Ein Schützenkönig im Hannöverschen.
Nach seinem Oelbilde auf Holz gezeichnet von Conrad Beckmann.

[243] Der hannoverische Schützenkönig. (Mit Abbildung, Seite 236 und 237.) Im hannoverschen Dorfe J. war Schützenfest, begünstigt vom herrlichsten Wetter. Wenn man die lange, staubige, mit Obstbäumen bepflanzte Landstraße entlang auf das im ernsten, dunkeln Eichengrün liegende Dorf zuschritt, konnte man bald den festlichen Donner der Pauke, das Jubeln des Tenorhornes vernehmen. Im Dorfe selbst, vor, oder eigentlich besser hinter dem Wirthshause im sogenannten Obstgarten, ging es äußerst lebhaft und heiter zu; dort waren die Tische sauberer gedeckt, als draußen auf der Festwiese, und was im Dorfe sich als zur Honoration gehörig fühlte, hatte hier im Schatten Platz genommen und that sich gütlich. Das hohe, alterthümliche Haus war ganz mit Eichen umstanden, welche ihre Kronen stolz über die Dachfirste desselben hinaus dem Himmel entgegenstreckten, Lieblinge des niedersächsischen Bauern, der sie pflegt und hegt, sodaß man selten einen Hof findet, der nicht durch einen kleinen Eichenbestand geziert wäre. Die niedersächsische Art, wo Jeder, ein kleiner Herrscher auf eigenem Gebiete, seinen Hof in gewisser Entfernung vom Nachbar baut, umzäunt und bewallt, läßt so recht das germanische Blut erkennen. Das Wirthshaus, ein alterthümliches düsteres Gebäude aus dem Jahre 1610, wie die über dem Thore in’s Holz geschnitzte Inschrift besagt, wo auch die Namen der Erbauer der dörflichen Nachwelt aufbewahrt sind, gehörte dem biderben Hinnerk Stechmann, ein unvergängliches Nest, ganz aus Eichenbäumen gezimmert und geschnitzt und noch immer schmuck, wenn auch etwas verwittert, doch nirgend zeigt es eine Spur von Baufälligkeit, trotz der Jahrhunderte, deren Stürmen es getrotzt.

Die hannoversche Chronik erzählt, daß dieser mächtige, düstere Bau einst ganz im Wald gestanden habe, der sich ja einstmals in großer Ausdehnung um die getreue Stadt Hannover zog und der Lieblingsaufenthalt des Räubers Hanebusch gewesen sei, der dort von seinen unzähligen Blutthaten ausruhte, um sein Gewissen durch tüchtige Räusche einzuschläfern; anderen Nachrichten zufolge hat es ein schwedischer Trompeter bewohnt, der, „des langen Haders müde“, in den blauen Augen einer niedersächsischen Dirne den westphälischen Frieden eher, als alle seine Vorgesetzten gefunden hat. Wie dem auch sei, die heutigen Gäste fühlten sich unter der düsteren Firste äußerst gemüthlich. Es wurde lebhaft debattirt, denn die Helden des Tages waren draußen auf der Festwiese, bei den Scheibenständen und rangen um den Preis, wie das ununterbrochene Knattern ihrer Büchsen errathen ließ. Die meiste Anwartschaft auf die Königswürde schien der Forstwart zu haben, welcher auch als tüchtiger Schütze weit und breit bekannt war, was sein Beruf schon forderte, und obendrein hatte er seinem Könige und Kaiser als Scharfschütze unter den Goslar’schen Jägern gedient.

Keine Stimme erhob sich für den neunzehnjährigen Kunrad Wendt, worüber das schmucke Bauerntöchterchen, die in der Nähe der Debattirenden saß, äußerst betrübt war, da sie dem braven Jungen herzlich gut war; selbst der leibliche Vater Kunrad’s sagte zu ihr: „Meßföhren un [244] flietig arbeiten, dortau hett he Kunnevieten. äwer de Scheetprögel is keene Meßfork (Mistfahren und fleißig arbeiten, dazu hat er Geschick, aber der Schießprügel ist keine Mistgabel).“

Doch alle diese Debatten, Wetten und Vermuthungen wurden plötzlich durch ein lärmendes, fröhliches Geschnatter und Gejauchze unterbrochen, begleitet von herausforderndem Trommelwirbel; das Schießen hatte aufgehört, und in stolzem Zuge, voran der bekränzte Schützenkönig, dem die errungene Scheibe als Preis nachgetragen wurde und dem der alte Veteran und Nachtwächter, die Trommel schlagend, voranschritt, bewegte sich der Menschenschwarm zum Wirthshause, woselbst der Held des Tages den Honoratioren und den Seinigen vorgestellt werden sollte. – Doch wer sitzt denn da plötzlich, Gewitterwolken auf der Stirn, und stiert in seinen Bierkrug? Das ist ja der vielbelobte Held des Tages, der Forstwart, und neben ihm der reichste Bauernsohn des Dorfes, verschnupft und mit geballter Faust. Der fleißige Arbeiter und schlechte Schütze Kunrad hatte den Preis errungen, und noch dazu mit einer Flinte ältester Construction, dem Feuersteinschloß, doch was eigentlich die Hauptsache dabei ist, beglückt vom hartnäckigsten „Schlump“ – denn um des greisen Vaters Worte zu gebrauchen „der Scheetprögel is keene Meßfork“. – Der ingrimmige Forstwart murmelte denn auch vernehmlich genug in den Bart: „De dümsten Buern hebben de dicksten Kartuffeln“ und andere tröstliche Sprüchwörter mehr, während der reiche Bauernsohn zu thätlicher Rache aufzustacheln suchte. Das Glück Kunrad’s wurde jedoch hierdurch nur gehoben, der von den Seinigen mit Jubel und frohem Staunen begrüßt wurde, von der Geliebten mit selig blitzenden Augen, vom ungläubigen Vater mit ausgebreiteten Armen und entkorkter Flasche, von den Uebrigen mit Staunen, Wohlwollen und herzlichen Glückwünschen.

Daß die eitlen Verspieler weidlich geneckt wurden, kann ihnen nicht schaden, denn – unfehlbar ist Keiner unter der Sonne.
B.
Das ist der Gegenstand des Bildes. Wir haben den obigen Zeilen nur noch hinzuzufügen, daß das von Conrad Beckmann, einem geborenen Hannoveraner, mit brillanter Technik gemalte Bild in den deutschen Ausstellungssalons ungetheilten und ungewöhnlichen Beifall gefunden hat. Besonders ist es die frappante Natürlichkeit des psychologischen Ausdruckes, welche demselben so viele Bewunderer erworben hat. – Sicherlich wird es auch unter unseren Lesern zahlreiche Freunde finden.
D. Red.