Der letzte Brief eines Unglücklichen

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Titel: Der letzte Brief eines Unglücklichen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 19–20
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[19] Der letzte Brief eines Unglücklichen. Aus einer österreichischen Stadt, deren Namen wir vorläufig noch nicht nennen, geht uns nachstehender Brief zu, den wir hiermit auf Wunsch des Einsenders veröffentlichen:

„Geehrter Herr Redacteur! Diese Zeilen kommen von einem Manne, welcher, wenn selbe von Ihnen gelesen werden, nicht mehr unter den Lebenden ist; sie sind gleichsam meine letzte Arbeit, weshalb auch nicht Egoismus, Hülfebedürftigkeit oder Rache mir die Feder führt. Diese Zeilen sollen einzig und allein eine Warnung und für jene Männer, welche bei uns in Oesterreich Gesetze machen, ein Fingerzeig sein, ob nicht etwa einer furchtbaren Epidemie Einhalt gethan werden kann, die vor mir schon Hunderte in’s Elend und in die Arme des Todes gejagt hat und nach mir wohl noch Hunderte dazu drängen wird. Ich bin Beamter einer großen Unternehmung, diene siebenzehn Jahre und habe Frau und Kinder; Letztere sind nothdürftig versorgt, und ich bin überzeugt, daß sie ihre Mutter ebenso nothdürftig erhalten werden. Eine lange Krankheit meiner Frau brachte mich dahin, bei meinem nicht hohen Gehalte Schulden zu contrahiren; weil ich Niemanden hatte, dessen Hülfe ich in Anspruch nehmen konnte, mußte ich mich an Wucherer wenden. Anfänglich waren es Leichenkosten für ein mir verstorbenes Kind, 50 Gulden gegen einen Wechsel; dann stieg die Schuld immer höher, weil ich monatlich 8 Gulden Zinsen zahlen mußte; nun fiel ich in Hände, die nicht gegen Wechsel, sondern gegen Schuldschein borgen. Diesen Leuten giebt man Schuldscheine, in denen man sich verpflichtet, ihnen 10% per Monat für das geliehene Capital zu zahlen, auch in jenem Falle, wenn man gerichtlich eingeklagt wird und die zu beziehende Gage mit Beschlag belegt werden kann. Solche Schuldscheine werden sammt den Zinsen von der Behörde anerkannt, und diese hohen Zinsen zum Capital geschlagen. Ich wurde nun vier solchen Geldgebern binnen sieben Jahren 1800 Gulden schuldig, sodaß ich jährlich 2160 Gulden Zinsen zahlen sollte, ohne daß 1 Kreuzer vom Capitale abgezahlt wäre. Da ich nur einen Gehalt von 1200 Gulden habe, so kann ich unmöglich die Zinsen, vielweniger das Capital je im Leben zurückzahlen, und ich würde, wenn man mir meine Gage beispielsweise zehn Jahre abzieht, nach zehn Jahren eine horrende Summe, das heißt viel mehr schulden als ich zur Zeit der Klage schuldig war. Dieses unmögliche arithmetische Räthsel wird vom Gesetze anerkannt und durchgeführt.

Nun besteht bei uns in Oesterreich ein Gesetz, welches vorschreibt, daß jenen Beamten, welche ein fixes Gehalt haben und Schulden halber verklagt werden, unbedingt 600 Gulden bleiben müssen, und ich wäre glücklich gewesen und hätte, nachdem die Kinder halb versorgt waren, mit meiner armen Frau fortleben können – da wurde ich wegen Lähmung des rechten Armes (was Euer Wohlgeboren aus meiner Schrift ersehen werden), hauptsächlich aber wegen der besagten Schulden pensionirt. Es besteht aber für Pensionisten kein Gesetz mit obiger Wohlthat, und von demselben Tage an, an dem ich pensionirt, beziehen die Gläubiger die ganzen Bezüge, und ich, der ich nun unfähig bin, mir anderweitig mein Brod zu verdienen, müßte als Pfründner einer kleinen Gemeinde zur Last fallen und täglich in einem anderen Bauernhause das Mitleid anflehen, denn ich bin alt und krank.

Begreifen Sie nun, hochgeehrter Herr Redacteur, wie namenlos unglücklich ich bin, und wie mir nur der eine Weg des Selbstmordes übrig bleibt? Gott verzeihe mir! Mein armes Weib! Meine armen Kinder!

Wenn Sie, hochgeehrter Herr Redacteur, diese Zeilen erhalten, liege ich bereits in einer Schlucht unserer Alpen, wo ich sicher Ruhe vor meinen herzlosen Gläubigern, denen Gott verzeihen wolle, haben werde.

Ich bin im Augenblicke ein dem Tode Ausgesetzter; ich nenne keinen [20] Namen und auch den meinen nicht, um Niemandem in meinen letzten Stunden zu schaden und meiner Familie die Schande zu ersparen; mein einziger Trost ist der, daß vielleicht durch gütige Veröffentlichung dieser Zeilen in Ihrem Weltblatte dieses traurige Gesetz geändert und nach mir keiner mehr durch dasselbe zur Verzweiflung getrieben wird.

     Mit größter Hochachtung

Ein Unglücklicher.