Der neue Präsident des Reichsgerichts
Der neue Präsident des Reichsgerichts.
Es ist noch nicht so lange her, daß der 80. Geburtstag des langjährigen Präsidenten des obersten deutschen Gerichtshofes, Eduard von Simsons, festlich begangen wurde und dem mit Recht gefeierten Manne aufrichtige Huldigungen eintrug. Schon damals wurden Stimmen laut, daß sich der Mann, der über ein halbes Jahrhundert für die Wohlfahrt und den Ruhm seines Vaterlandes thätig gewesen war, in das Privatleben zurückziehen wolle. Und die Gerüchte wurden zur Wahrheit, Eduard von Simson hat das Amt eines Präsidenten des Reichsgerichtes niedergelegt. Als er 1879 auf diese Stelle berufen wurde, lag bereits ein vielbewegtes Leben hinter ihm, aus dem die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1888 ihren Lesern einige Züge vorgeführt hat. Nicht nur als akademischer Lehrer im Dienste der Rechtswissenschaft, sondern vor allem auch im öffentlichen Leben hatte er sich immergrünen Lorbeer verdient. Er war es, der als Präsident der Frankfurter Nationalversammlung an der Spitze der Kaiserdeputation im Frühjahr 1849 Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone antrug, er war es, der in dem denkwürdigen Erfurter Parlament von 1850 als Präsident die Verhandlungen leitete, der 1861 bei der Krönung Wilhelms I. in Königsberg als Präsident des preußischen Volkshauses die Glückwünsche der Nation darbrachte, der 1867 bis 1874 das Präsidium erst des norddeutschen, dann des deutschen Reichstages führte, und der seit 1879 bis jetzt als ein Muster treuester Pflichterfüllung, als ein Mann von Milde und Thatkraft unserem höchsten Tribunal vorgestanden hat. Es war eine schwierige Aufgabe, einen Ersatz für Simson zu finden. Das Augenmerk des deutschen Kaisers, welcher nach dem Gerichtsverfassungsgesetz auf Vorschlag des Bundesrathes den Präsidenten zu ernennen hat, richtete sich auf den Mann, dem die nachfolgenden Zeilen gewidmet sind.
Der neue Reichsgerichtspräsident und bisherige Staatssekretär des Reichsjustizamtes, O. von Oehlschläger, ist als der Sohn eines ostpreußischen Rittergutsbesitzers am 16. Mai 1831 geboren, vollendet also demnächst sein 60. Lebensjahr. Er betrieb seine Studien in der Rechts- und Staatswissenschaft an der Universität Königsberg, die er Ostern 1850 bezog. Im Jahre 1858 wurde er zum Gerichtsassessor ernannt und war in Schwetz und Löbau zunächst als Richter thätig, um dann die staatsanwaltschaftliche Laufbahn einzuschlagen, auf die ihn Neigung und Befähigung besonders hinwiesen. Diese Laufbahn führte ihn schließlich nach der „Stadt der reinen Vernunft“ zurück, indem er als Erster Staatsanwalt beim Stadtgericht in Königsberg angestellt wurde. Schon während seiner Thätigkeit als solcher war man im preußischen Justizministerium auf den intelligenten, mit juristischem Scharfsinn und eisernem Fleiße begabten Beamten aufmerksam geworden und behielt ihn für einen höheren Posten im Auge. Mittlerweile war die glorreiche Erhebung Deutschlands und seine Einigung nach dem deutsch-französischen Kriege erfolgt, und es galt nunmehr, die Reichsjustizgesetze, welche für ganz Deutschland einheitliche Rechtsgrundsätze schaffen sollten, vorzubereiten. Bei der bunten Wirthschaft, welche bisher auf dem Rechtsgebiete in den deutschen Staaten geherrscht hatte, war das keine kleine Aufgabe, denn es galt, Bestimmungen zu treffen, welche für alle Bundesstaaten, für Nord und Süd, für Ost und West, sich als praktisch und durchführbar erweisen sollten. Zur Mitarbeit an diesem wichtigen Reformwerke erschien Oehlschläger der Regierung besonders geeignet. Er wurde im Januar 1874 als vortragender Rath in das preußische Justizministerium berufen und entfaltete in dieser neuen Würde eine erfolgreiche, fruchtbringende Thätigkeit. Bis zum Dezember 1879 gehörte er dem Körper des Justizministeriums an. In dieser Periode seines Schaffens trat er auch der parlamentarischen Thätigkeit näher, obwohl er einer bestimmten politischen Partei zum Unterschied von seinem Vorgänger Simson, der zur nationalliberalen Fahne hielt, wohl niemals angehört hat. Er hatte vielfach die Regierung im preußischen Landtage und besonders in der Reichsjustizkommission des deutschen Reichstages zu vertreten. So ist seinem Wirken und Streben ein nicht zu unterschätzender Antheil an der neuen Prozeßgesetzgebung zuzuschreiben, und sein Name wird mit diesen Gesetzen auch in Zukunft genannt werden müssen.
Im Dezember des Jahres 1879 wurde er durch den Titel eines Wirklichen geheimen Oberjustizraths geehrt und als Generalauditeur an die Spitze der Militärjustiz der Armee und Marine gestellt. Es war dies ein neuer Beweis des hohen Vertrauens, welches man an höchster Stelle auf seine Leistungsfähigkeit setzte. Bis zum Jahre 1884 verblieb Oehlschläger in seinem neuen Amte, am 1. Januar 1885 aber wurde er zum Präsidenten des Kammergerichtes in Berlin, das zu den angesehensten Gerichtshöfen Deutschlands zählt und auf eine große Vergangenheit zurückblickt, ernannt. Daneben erfolgte seine Ernennung zum preußischen Kronsyndikus und seine Berufung in das Herrenhaus, wie auch bei der Wiedererrichtung des preußischen Staatsrathes Oehlschläger ebenfalls nicht unter denen fehlte, welche zu Mitgliedern dieser hohen Gemeinschaft auserlesen wurden. Durch Kaiser Friedrich III. in den Adelsstand erhoben, rückte Oehlschläger, als im Jahre 1889 der Justizminister von Friedberg zurücktrat und Schelling an seinen Posten beordert wurde, zum Staatssekretär des Reichsjustizamtes vor, zu derjenigen Stellung, Welche er bis jetzt bekleidet hat. Der neue Reichsgerichtspräsident ist außerdem Vorsitzender der Kommission, welche behufs Vornahme einer zweiten Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich eingesetzt worden ist.
Otto von Oehlschläger übernahm bereits am 28. Februar sein neues Amt; am 2. März leistete er vor den versammelten Präsidenten, Räthen, Reichs- und Rechtsanwälten des Reichsgerichts den vorgeschriebenen Diensteid und sprach die Worten „So stehe ich denn fortan auf der höchsten Warte des Reichs, um Wacht zu halten zum Schutze des Rechts, über Deutschland Wacht zu halten mit Ihnen, meine Herren. Denn so ist meine Auffassung von unserer Aufgabe, daß wir zusammenwirken sollen, jeder für seinen Berufsantheil; alle gleichwerthig und gleichberechtigt sollen wir im Bunde zusammenwirken im Streben und Ringen nach der Rechtswahrheit!“ Solche Gesinnung gibt uns die Gewähr, daß auch unter seiner Führung das Reichsgericht das bleiben wird, was in der von Kaiser Wilhelm II. vollzogenen und in den Grundstein des neuen Reichsgerichtsgebäudes versenkte Urkunde von ihm zu lesen ist. „Zum Wohle des Volkes soll es ein unabhängiger Hüter des im Deutschen Reiche geltenden Rechtes sein!“ Hermann Pilz.