Der stille See

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Autor: Adolf Ey
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Titel: Der stille See
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aus: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Schaltjahr 1924 S. 33–36
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[33]
Der stille See.
Von Adolf Ey.


     Es war einmal ein Bergmann, der mußte um Mitternacht anfahren. Es war in der Walpurgisnacht, in der Nacht auf den 1. Mai. Als er über die Wiesen am Steinbruch vorbei war, kam er in den Wald, in welchem der Stille See liegt. Die Nacht war sternenhell, aber unter den hohen Tannen war es stockdunkel. Er ging still für sich hin, stolperte auch ab und an einmal über eine Wurzel und merkte dann, daß er vom harten Wege abgekommen war. Plötzlich schien es ihm, als sähe er etwas Weißes in der Finsternis; da fing es ihn an zu gruseln, und er betete, was ihm eben einfiel. Dabei konnte er es aber nicht lassen und ging immer auf das Weiße zu, und als er ganz nahe kam, stand es auf einer kleinen Lichtung und war ein weißes Reh. Seine Lichter konnte er deutlich leuchten sehen; die sahen ihn an, als wollten sie sagen: Komm, folge mir! Das weiße Reh schritt langsam voran dem Stillen See zu, und der Bergmann mußte hinterher, mochte er wollen oder nicht. Als das Reh am Ufer des Sees angekommen war, ging es mitten in das Wasser hinein. Es war aber kein Wasser, sondern ein trockener, schön mit Kies bestreuter Weg, der zu einer Kirche führte, die sich langsam aus dem Wasser erhob. In dem Augenblick schlug es in Bergheim zwölf. Da singen die Glocken in dem spitzen, spinnenwebefeinen Kirchturm da oben an zu läuten, die Orgel dröhnte, und Menschen in schönem Sonntagszeug standen in dem weiten Raum, der von Kronenleuchtern erhellt und mit herrlichen Bildern geschmückt war. Es war eine Pracht, wie er sie noch nie gesehen hatte. Er stand und starrte. Das Reh sah ihn an mit seinen braunen Augen, als ob es ihn bitten wollte, doch ein Wort zu sagen. Aber welches? Er sann und sann, konnte aber keins finden, und dann stach ihn der Reichtum, den er sah, zu sehr in die Augen. Immer trauriger ward der blick des schönen Tieres, und da schlug es in Bergheim eins. Der Bergmann stand an dem Ufer des stillen Sees. Wohl spiegelten sich die Sterne in dem dunklen Wasser, aber das Reh, die Kirche, die Kronleuchter, die Bilder, die Orgel, die Glocken – nichts war mehr da. Er rieb sich die Augen. Die Tannen rauschten, der See plätscherte leise, und wie ein Trunkener wankte er ins Tal nach seiner Grube. Als er es dort erzählte, glaubten die Kameraden, er sei verrückt; doch ein alter Geleuchtausgeber wußte besser Bescheid: „Weshalb hast du das richtige Wort nicht gesprochen?“ sagte er. „Dann war all die Herrlichkeit dein.“ Da tat es dem Bergmann sehr leid, daß er geschwiegen hatte.

     So erzählte meine Großmutter, und ich fragte: „Wie heißt denn das Wort?“ „Daß weiß keiner,“ antwortete sie, „aber wenn man nur spricht, dann trifft es sich von selber.“ „Und weshalb war denn das Reh so traurig?” „Das war ja gar kein Reh, sondern eine verwunschene Prinzessin, die dann entzaubert wäre, und er wäre dann reich geworden, so reich! Doch nun geh’ mein Junge! Für heute ist’s genug.“

     Eigentlich hatte ich nie genug. Nichts war mir lieber, als wenn ich oben in der niederen Stube bei dem mit schwarzem Leder überzogenen Lehnstuhl der Großmutter auf einer Fußbank sitzen und ihren Märchen und Sagen lauschen konnte. Es war eine kleine, alte, etwas verhutzelte Frau in großer, weißer Nachtmütze und sauberem beiderwandenem Hauskleid. Sie trug eine große Brille, und, was mir damals gar nicht auffiel, sie rauschte jeden Morgen aus einer kurzen Pfeife. Das Päckchen leichter Varinaskanaster kostete nur wenige Pfennige: sie glaubte, es sei gut für die Augen. Jede Woche mußte ich ihr ein Paket vom „Glückauf“ holen.

     Was für Geschichten hatte sie mir schon erzählt, und während in den blauen Wölkchen ihrer Pfeife folgte, schien es mir, als ob diese die Gestalt der Waldwesen annähmen, die sie mir vorzauberte, und die langsam durch die Stube um den großen Ofen und die alte Wanduhr herumschwebten.

     Ich war erst sieben Jahre alt und glaubte fest an ihre Märchenwelt. Mir ist, als ob sie selbst daran geglaubt habe: wenigstens sagte sie nie, daß es keine Moosweibchen, keinen Bergmönch, keinen Hübich gebe; sie sprach immer ganz ernst. Meinen Eltern war es nicht recht, daß mir der Kopf so wirr gemacht wurde; sie nannten mich so schon einen Träumer, und, da ich immer alles verbaselte, kriegte ich oft Prügel. Wenn ich zum Kaufmann geschickt wurde, kam ich zwei- bis dreimal zurück weil ich die Bestellung vergessen hatte, und zuletzt rettete ich mich gewöhnlich dadurch, daß ich sie wie ein Gedicht mir immer hersagte bis zum Tresen; Doch nur zu häufig war es auch dann verkehrt. Gut war ich nur beim Spielen im Garten, auf dem Heuboden, auf der Wiese, im Walde, auf der Ruschelbahn, da gab es keinen Umsichteren, Unternehmenderen als mich. Furcht kannte ich ebensowenig wie Müdigkeit. Da die Eltern viel zu tun hatten, der Vater in der Grube, die Mutter im Stalle bei den Kühen, im Garten, auf der Wiese, so konnte ich viel umherlaufen und war mir meist selbst überlassen. Was die Großmutter erzählte, spukte mir im Kopfe, und hinter jedem Busche, in jeder Schlucht, im wallenden Nebel, überall vermutete [34] ich die Geister, die sie heraufbeschwor. Ich glaubte daran, wie ich nachher in der Sexta und Quinta an Jupiter, Athene und Apollo geglaubt habe. Die Götter hatten für mich früher ebensogut gelebt wie später Jesus Christus. Es war eine glückliche Zeit!

     Und doch so ganz glücklich? Meine Eltern waren arm. Beide arbeiteten unablässig. Kam der Vater von der Grube, so stellte er sich an die Drechselbank und brachte manchmal ganz zierliche Sachen, einen Nähtisch und dergleichen, zustande. Die Mutter hatte mit dem Haushlt und mit den Kühen im Stalle genug zu tun. Unser Häuschen war klein; wir wohnten unten, die Großmutter oben, wo in das Dach ein Erker hineingebaut war. Auch unsere Kammern lagen unter dem Dach. Wie oft habe ich da beim Wintersturm mit pochendem Herzen gelegen und zugehört, wie die Biberschwänze (Ziegel) am Giebel klapperten, und wie es immer schien, als ob Schritte auf die Kammertür zukämen und gerade vor der Schwelle wieder umkehrten, ruhe- und rastlos die ganze Nacht, bis ich einschlief!

     An dem Abend, als mir Großmutter die Geschichte vom stillen See erzählt hatte, kam mein Vater traurig nach Hause. Meine Mutter empfing ihn schon an der Schwelle und fragte ängstlich: „Na, wie ist’s!“

     Mein Vater nahm den Schachthut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte.

     „So sprich doch?“ sagte die Mutter dringend. „Er will nicht mehr warten?“

     „Nein,“ sagte der Vater. „Er hat die Hypothek gekündigt, und ich weiß keinen, der uns Geld leiht. Um Johanni wird das Haus verkauft und wir liegen auf der Straße.“

     „Geh’ doch zum Geldverleiher!“

     „Zu dem verdammten Halsabschneider! Der dreht uns einen Strick, ehe das Jahr um ist. Es ist ein Jammer, wir hatten alles in Ordnung, Haus, Stall, Garten, aber woher das Geld nehmen?“

     „Der Junge braucht’s nicht zu hören,“ sagte die Mutter. Sie gingen in die andere Stube und sprachen leise weiter, aber beide blieben am Abend und die folgenden Tage gedrückt und still. Es lastete schwer auf mir. Wir sollten aus unserem Hause, fort und all den Stätten, die ich mit einer Welt von Wesen mir bevölkert hatte? Den Eltern und mir mußte geholfen werden, und ich wollte und konnte helfen.

     Die Walpurgisnacht kam heran. Großmutter erzählte mir, wie es da auf dem Brocken herginge. Der Brocken lag uns mit seiner breiten, runden Kuppe gerade gegenüber; wir brauchten nur ostwärts aus dem Fenster zu schauen. Des Abends, wenn die Sonne unterging, glühten oft die Fenster des Wirtshauses da droben, als ob es über und über in Flammen stände.

     Während Großmutter eben erzählte, hörte ich wie meine Mutter laut aufschrie. Türen wurden geschlagen, und dann knarrte der Torweg. Ich lief die Treppe hinunter, Großmutter humpelte ans Fenster. Es hielt ein Pferd mit einer Schleife auf der Straße, und auf der Schleife lag die beste von unseren beiden Kühen. Meine Mutter rang die Hände, wie wenn eines von uns gestorben wäre; der Vater sah so finster und kummervoll aus, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Die Kuh war gestürzt, und um das Fleisch wenigstens zu retten, hatte der Hirte sie im Walde abgeschlachtet. Das Unglück saß auf unserer Schwelle. Konnte es noch schlimmer werden?

     In dieser Nacht noch mußte ich handeln.

     Den Tag über gab es viel wegen der Kuh zu tun. Als um 9 Uhr abends die Mutter, nachdem sie ihre eine Kuh besorgt hatte, aus dem Stalle kam, brach sie fast vor Schmerz und Müdigkeit zusammen. Ich schlief in einer Art Verschlag unter dem Schindeldach, die Eltern in einer Kammer daneben. Als ich in meinem Bette lag, kam die Mutter noch einmal, um mich zuzudecken und einen Kuchendeckel vorzustecken, damit ich nicht herausfiele. Die Tränen liefen ihr über die bleichen Wangen; ich küßte sie und flüsterte ihr ins Ohr es würde alles wieder gut werden und bald. Sie schluchzte nur stärker und drückte mich so, daß ich kaum Atem hatte, dann ging sie in ihre Kammer, und nach einer halben Stunde leisen Jammerns war alles still.

     Aufrecht saß ich in meinem Bettchen und horchte. Jetzt schliefen die Eltern; denn der Vater schnarchte, und die Mutter blies den Atem stoßweise durch den gespitzten Mund.

     Leise zog ich Höschen und Jacke an; die Schuhe nahm ich in die Hand; eine Mütze trug ich nur im Winter. Wenn eine Diele knarrte, blieb ich stehen, um zu hören, ob auch niemand aufgewacht sei. An der Treppe legte ich mich aufs Geländer und fuhr blitzschnell hinunter; die alten Stufen hätten mich gewiß verraten. Über die Steine der Diele glitt ich geräuschlos bis an die Hoftür, die nur verriegelt war. Ich schob den Riegel zurück und betete, daß doch kein Dieb sich einschleichen möchte, wenn ich fort wäre.

     Nun ging’s den Tritt hinunter über den Hof zwischen Stall und Holzhaufen durch in den Garten hinein. Die Gartentür war verschlossen; deshalb kletterte ich über den Zaun und sprang auf die Wiese. Da der Zaun für mich kleinen Kerl zu hoch war, plumpste ich die Länge lang hin, ohne mir aber Schaden zu tun.

[35]      Zuerst lief ich, ohne mich umzusehen, bis ich an den Pferdeteich kam. Da ging ich langsamer und sah auf unsere Straße und auf die im Schlummer liegende Stadt zurück. Es war eine sternenhelle Nacht. Hie und da brannte noch ein Lichtchen. Im Westen zog sich, wie auch nur in ganz undeutlichen Formen, der Hüttenrauch hin. Ich mußte an die Hexen denken, die jetzt nach dem Brocken ritten.

     Als ich an dem Steinbruch vorbei war, verlor ich die Stadt aus dem Auge. Nur Wiese und dahinter Wald. In der Ferne erklang das eintönige Anschlagen einer Geipelglocke. Meine Schritte hörte ich nicht auf dem weichen Wiesenwege. Es war sehr still, aber ich konnte noch sehen, und ich fing an überall etwas zu sehen. Da kam ein Ungeheuer her. Ich lief und duckte mich hinter einem kleinen Hügel. Als das Ding aber nicht weiterging, umkreiste ich es und fand zuletzt, daß es mitten auf der Wiese ein Gesträuch war, das im Wind hin und her wogte.

     Das Weinen stand mir nahe. Ich fürchtete mich beinahe mehr als vorher; doch vorwärts mußte ich.

     Da kam der Wald, erst niedere Fichten, zwischen denen der enge Wald, erst niedere Fichten, zwischen denen der enge Pfad hindurchführte. Ich konnte nur gerade vor und hinter mich sehen. Da stieg auf einmal der Gedanke in mir auf, wenn jetzt ein Arm sich hervorstreckte und dich faßte. Jeden Augenblick erwartete ich ein solches Hindernis, und siehe da, am Ende des Unterholzes, wo der Hochwald begann, stand diesmal leibhaftig eine mächtige Gestalt mit glühendem Gesicht und weit ausgebreiteten Armen. Zu gleicher Zeit stieß ein Käuzchen seinen Schrei aus. Mir wars als käme der Ton von dem leuchtenden Gesicht. Mein Mut war dahin, meine Beine zitterten, und ich dachte daran, wie sicher und gemütlich es doch in meinem Bette in dem Verschlage unter dem Dache wäre. Das Käuzchen schrie, und die Gestalt hielt die Arme ausgestreckt. Ich mußte daran vorbei; Das Gebüsch war rechts und links undurchdringlich. Da betete ich, was mir einfiel: „Der Tag ist wieder hin“ und „Ich bin klein“ und „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“, und damit schritt ich, wenn auch bebend, immer vorwärts auf das Ungeheuer los. Zurück wollte ich nicht. Heute mußte es sein, oder meine Eltern waren unglücklich auf immer.

     Als ich mich drei Schritte von der Erscheinung befand, sah ich, daß es ein Wegpfahl war in Gestalt eines Kreuzes, dessen oberer Teil faul und vermorscht war und deshalb leuchtete.

     Daß auch dieses zweite Abenteuer so gut abgelaufen war, erhöhte meinen Mut, und ich trat, wenn auch immer noch zitternd und bebend in den dunklen Hochwald ein. Da war es aber auch mit dem Sehen zu Ende. Nur wenn ich in die Höhe blickte, bemerkte ich wohl ein Sternchen. Ich durfte den harten Weg nicht verlieren; es war derselbe, den der Bergmann gegangen war. Zuweilen stieß ich gegen einen Baumstamm, zuweilen rollte ich einen kleinen Abhang hinab, aber vorwärts! Die eine Hand hielt ich nach vorn gestreckt, den linken Arm gebogen vors Gesicht, damit mich kein Zweig in die Augen träfe. Ich hörte Wasser gurgeln und schluchzen. Zuerst erschrak ich, weil es so menschlich klang, dann aber erfreute es mich; denn ich mußte, daß dieser Quell zum stillen See floß.

     Es ging so steil den Berg hinunter, daß ich mich in acht nehmen mußte, um nicht ins Laufen zu geraten. Steine lösten sich unter meinen Schritten und hüpften und sprangen und schlugen zuletzt plätschernd ins Wasser. Das war der See. Er mußte ganz nahe sein.

     Das Herz schlug mir vor Aufregung bis in die Kehle. Jetzt mußte das weiße Reh kommen. Ich riß die Augen weit auf, um die Dunkelheit, die mich überall anstarrte, zu durchdringen, aber ich sah nichts, nur die Stimmen des Waldes, das Rauschen der Wipfel, das Knarren eines abgebrochenen Astes, das träumerische Piepsen eines Vogels, das Murmeln des Quells, das Rollen eines Steines, sprachen zu meinem bangen Kinderherzen.

     Ich trat auf den Rasendamm, der den stillen See auf der einen Seite einschloß; sonst umringten ihn hochragende Tannen, deren Wipfel sich vom Nachthimmel abhoben und beim Sternenlicht in das tiefe, dunkle Wasser tauchten, so daß sie unendlich groß und doppelt bestanden.

     Da ich sehr müde war, setzte ich mich ins Gras und sah nach der Mitte des Sees; eine Viertelstunde verging und noch eine. In Bergheim hörte ich einhalb und dreiviertel zwölf schlagen. In einer Viertelstunde mußte das Wunder geschehen, aber was ich auch kämpfte, meine Augen fielen zu, und ich schlief so fest, daß ich wohl einmal fühlte, wie man mich rüttelte, daß man mich aufhob, daß ich aber erst aufwachte, als heller Lichterschein mich blendete, als das Dröhnen einer Orgel an mein Ohr drang, als ein weißes Reh mich mit seinem schönen braunen Augen freundlich ansah und mir voranging in einen weiten Raum, der von einem goldenen Kronleuchter erhellt und mit herrlichen Bildern geschmückt und mit Leuten in seinem Sonntagszeug angefüllt war. Ein Geistlicher stand in der Nähe eines kleinen Altars, kurz, es war alles, wie es mir die Großmutter beschrieben hatte. Ich rieb mir die Augen und, noch halb im Schlafe, fing ich an zu sprechen, um das richtige Wort zu sagen. Ich erzählte meiner [36] Eltern Not, daß sie Schulden hätten und daß heute die Kuh gestürzt und geschlachtet sei, und daß ich mich fortgeschlichen habe an den stillen See, um die Kirche und das weiße Reh zu entzaubern und meinen Eltern zu helfen.

     Die Leute hörten mich lächelnd an. Als ich aber das weiße Reh näher ansah, da war es ein allerliebstes Mädchen in weißem Kleide mit braunen Rehaugen; die faßte mich an die Hand und sagte: „Du, Junge, du gefällst mir. Komm wir wollen spielen! Erst iß aber Torte!“

     Da wurde ich verlegen, und ich sah, wie ärmlich und wie schmutzig ich war. Ein freundlicher Herr aber trat an mich heran, fragte mich nach meinem Namen, und als ein anderer Herr, der mit Bergmeister angeredet wurde, mit ihm leise gesprochen hatte, klopfte er mich auf den Kopf und sagte: „Deinen Eltern soll geholfen werden. Iß und trinke etwas, und dann soll dich jemand nach Hause bringen, damit sich deine Eltern nicht ängstigen.“

     Alles, was mich umgab, war so prächtig und so neu für mich, daß ich aus meinem Traume nicht herauskam, und besonders gefiel mir die kleine verwunschene Prinzessin, die ich erlöst hatte.

     Ein Mann brachte mich an unsern Garten, und ohne daß es meine Eltern bemerkten, kroch ich wieder in mein Bett. Ich schlief tief in den Tag hinein.

     Als meine Eltern am Morgen bekümmert ihrer Arbeit nachgingen, trat der Fabrikbesitzer Herr B. bei ihnen ein. Er sprach davon, daß er von ihrer Not gehört habe und ihnen gern das nötige Geld vorschießen wolle; dann erzählte er, daß nötige Geld vorschießen wolle; dann erzählte er, daß in der Nacht der Grabensteiger am stillen See vorbeigekommen sei und mich dort schlafend gefunden habe. Da er mich nicht habe aufwecken können, hätte er mich zu ihnen in das nahegelegene Haus getragen, wo sie nach einer taufe fröhlich beisammen gewesen wären. Seine Frau habe eben auf dem Harmonium gespielt, und ich hätte, offenbar in der Meinung, die Kirche sei aus dem See aufgestiegen, das ganze Leid der Eltern mitgeteilt. Meine mutige Tat habe ihn so gerührt, daß er nun zur Hilfe da sei.

     Nach dem ersten Schrecken waren die Eltern überglücklich, und ich? Mich schickte Herr B. ins Gymnasium, und nachher heiratete ich das – weiße Reh.