Zum Inhalt springen

Deutsche Frauen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Fr. Fr.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Deutsche Frauen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 30–32
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[30]

Deutsche Frauen.

Deutschland kann stolz sein auf seine Frauen, denn in seinen schwersten und trübsten Tagen haben viele von ihnen ein so muthiges, von edelster Vaterlandsliebe erfülltes Herz gezeigt, wie es manchem Manne zu wünschen gewesen wäre. Eine deutsche Frau war es, die 1806 ihrem Gatten, dem Commandanten von Küstrin, dem Oberst von Ingersleben, zu Füßen fiel und auf den Knieen ihn beschwor, seine und des deutschen Namens Ehre zu retten und die Festung nicht zu übergeben. Eine deutsche Frau war es, welche das Geschick damals an die Spitze eines großen Staates gestellt hatte, die, von echtem deutschem Sinne belebt, fast allein nicht Herz und Muth verlor, als Alles verloren zu sein schien – Louise, die Königin von Preußen. Deutsche Frauen sind, als der Freiheitskampf entbrannte, aus edelster Begeisterung hinausgetreten aus des Weibes Kreise, haben mitgekämpft für Deutschlands Recht und Ehre und sind mit freudigem Herzen für ihr Vaterland gestorben. Wir wollen hier nur an jene einundzwanzigjährige Eleonore Prohaska erinnern, welche unter den Lützowern mitkämpfte und in dem Gefecht an der Göhrde fiel.

Und wie viele andere Namen, die dem weiblichen Geschlechte zur Ehre gereichen, könnten wir nennen, wenn wir von den Blättern der Geschichte absehen und in die Privatkreise blicken wollten. Doch das ist nicht unser Zweck. Wir wollen den Blick unserer Leser auf mehrere deutsche Frauen richten, deren Namen nur Wenigen bekannt sind und die doch vor Allen verdienen, als Vorbilder hingestellt zu werden für künftige Tage und Zeiten. –

Am Morgen des 22. April 1809 herrschte in dem hessischen Städtchen Homberg – 9 Stunden von Cassel entfernt und ebensoweit von Marburg – welches damals zum Werra-Departement (Präfectur Marburg) gehörte, ein aufgeregtes, fast stürmisches Leben. Auf den nahen Dörfern tönten die Sturmglocken und aus der ganzen Umgegend strömten Landleute und ehemalige Soldaten, mit Gewehren, Säbeln, Heugabeln. Sensen und zum Theil auch nur mit Knütteln bewaffnet, dem Städtchen zu und wurden dort mit Jubel empfangen.

Auf dem Marktplatze waren zwei Schwadronen des ersten Cürassier Regiments, von dem Rittmeister von Weißen und dem Lieutenant Giesewald commandirt, aufmarschirt und wurden mit lautem Hurrah von den Landleuten begrüßt. Bürger mischten sich unter sie, Krüge mit Bier und Flaschen mit Branntwein in den Händen, um die weither Gekommenen zu stärken und die Begeisterung in den Köpfen frisch zu erhalten. Der greise Metropolitan der Stadt, Martin, wendete sich auf erhöhtem Standpunkte an die einige Tausend Köpfe zählenden Versammelten, um ihnen mit begeisterten Worten darzulegen, daß es ein rechtmäßiges, ehrenvolles Werk sei, welches sie vorhätten, und eine Proclamation vorzulesen. Mit klaren Worten sprach dieselbe aus, daß der Aufstand, an dessen Spitze der Oberst von Dörnberg stehe, keinen andern Zweck habe, als „Kurhessen, ganz Westphalen, ja wo möglich ganz Deutschland vom Joche der Fremden zu befreien und zu ehrenvoller Selbstständigkeit zurück zu führen.“ Der angestammte Landesherr solle wieder auf seinen rechtmäßigen Thron gesetzt werden.

Das erfaßte die Herzen der Bauern. Ein Lebehoch um das andere wurde dem Kurfürsten gebracht und noch lauter allen Franzosen Tod und Verderben geschworen.

Die Begeisterung ließ nicht nach, obschon der Tag weiter vorrückte. Der Sohn des greisen Metropolitan, der Friedensrichter Martin, suchte, mit einer bunten Uniform angethan, in den wirren Haufen Ordnung zu bringen und die Landleute nach Gemeinden abzutheilen, damit sie in Ordnung gegen Cassel ziehen könnten. Die Bauern aus den nächstliegenden Ortschaften wurden an die Spitze gestellt, dann kamen alte Soldaten, Jäger und Forstleute, fast die Einzigen, welche mit Schießwaffen versahen waren.

Während die aufgeregte Volksmasse in den Straßen der Stadt hin und herwogte und Manche sich auch wieder heimlich entfernten, waren die Anführer des Aufstandes in der Neustadt Homberg in dem Gebäude des Fräulein Stiftes von Wallenstein versammelt. Dort waren der Rittmeister von Weißen, der Lieutenant von Giesewald, der Metropolitan und Friedensrichter Martin, der Provisor Rommel und einige andere Männer, und mitten unter ihnen saßen fünf Frauen und nahmen an den ernsten Berathungen mit Theil.

Es waren die Aebtissin des Stiftes von Gilsa, die Dechantin Marie Anna von Stein, die Kanonissin von Metzsch und Sophie von Baumbach nebst deren Nichte Caroline von Baumbach.

Ein Theil der Männer war für das Aufgeben des ganzen Unternehmens, weil die Begeisterung der Bauern im Laufe des Tages schon sichtbar abgenommen hatte und nur mit einer tapfern, entschlossenen Schaar das gewagte Unternehmen auszuführen war. Da erhob sich Marianne von Stein, eine Frau von einigen sechzig Jahren und einer unscheinbaren Gestalt, aber aus ihren blauen klaren Augen, aus den bewegten geistvollen Zügen, aus der hohen Stirn, welche eine auffallende Aehnlichkeit mit der ihres Bruders Karl, des Retters von Preußen und Deutschland, zeigte, sprach ein überlegener Geist.

Mit bestimmten, klaren Worten wies sie darauf hin, daß das einmal begonnene Werk nicht aufgegeben werden dürfe. „Dörnberg erwartet Euch in Cassel,“ sprach sie, „gebt ihn und all die Männer, welche ihm zur Seite stehen, nicht preis. Die Saaten sind längst reif zum Schneiden. Tausende werden zu Euch strömen, sobald Ihr entschlossen vordringt, denn in hunderttausend Herzen lebt das Verlangen nach der Freiheit. Dem Muthigen gehört die Welt! Ich selbst würde mich nicht scheuen, mit Euch zu ziehen, wenn mein schwacher Arm nützen könnte. Steht nicht zurück, nun dieser lang ersehnte Tag endlich gekommen, bedenkt Eure – unsere Brüder an der Weser, an der Werra, der Saale und der Elbe, auf dem Harze – soweit der Druck der verhaßten Fremden reicht und die Freiheit darnieder liegt – sie Alle, Alle blicken auf Euch und erwarten von Euch, daß Ihr Männer seid, bereit, für des Volkes Höchstes Euer Höchstes – das Leben zu wagen!“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und weckten auf’s Neue die wankenden Hoffnungen. Da stürmte Dörnberg in’s Zimmer, der, das Unternehmen verrathen glaubend, von Cassel entflohen und, von dem scharfen Ritte in Schweiß gebadet, Nachmittags 5 Uhr in Homberg angekommen war.

Sein Erscheinen rief Freude und Erstaunen zugleich hervor. Mit wenigen Worten erzählte er den Grund seiner Flucht. „Noch ist nichts verloren,“ rief er, „wenn wir schnell zu handeln verstehen. Heute noch müssen wir aufbrechen, morgen früh vor Cassel stehen, wo Alles bereit ist; wir wollen den Feind aufrütteln, ehe er von selbst erwacht. König Jerôme ist nicht gewöhnt, früh aufzustehen. Ich habe Nachricht aus Berlin von Schill; er erwartet nur das Zeichen durch unser Losbrechen – noch ist Alles zu retten! – Können wir uns auf die Landleute mit Zuversicht verlassen?“ wandte er sich fragend an den Friedensrichter Martin.

„Ich stehe für sie ein, Herr General,“ entgegnete Martin. „Einige Tausend sind in der Stadt, ich habe sie organisirt, und unterwegs dürfen wir noch auf einen starken Zuzug rechnen.“

„General?“ wiederholte Dörnberg lächelnd und nicht ohne einiges Erstaunen auf die Uniform des Friedensrichter blickend.

„Gewiß,“ rief Martin. „Sie sind unser General, und ich habe mich Ihnen freiwillig als Ihr Oberst untergeordnet. Etwas müssen wir doch auch für unsere Mühen haben.“

„Gott ist mein Zeuge,“ unterbrach ihn Dörnberg, „daß ich an mein Interesse noch nicht gedacht habe. Der Freiheit und dem Vaterlande! ist mein Wahlspruch, ihm will ich getreu bleiben! – doch wir müssen aufbrechen, die Zeit drängt.“

„Noch einen Augenblick,“ sprach Marianne von Stein vortretend. „Von dem ersten Entstehen dieses Unternehmens an haben wir daran Theil genommen, unter unsern Augen ist es herangewachsen, und nun es endlich in’s Leben tritt, muß unser schwacher Arm zurückstehen. Aber im Geiste werden wir bei Ihnen bleiben, und ich bitte Sie, dies Zeichen von meiner Hand anzunehmen und zu tragen!“

Sie überreichte ihm eine geschmackvoll gestickte Schärpe, welche Dörnberg, ihr die Hand küssend, in Empfang nahm und ausrief: „In Ihrem Geiste will ich sie tragen.“ Auch die Aebtissin von Gilsa, die Kanonissin von Metzsch und Sophie von Baumbach überreichten den Anführern selbstgestickte Schärpen. Nur die jugendliche Caroline von Baumbach blieb ruhig, sinnend am Fenster stehen und blickte hinab auf die Straße. Die Anführer des Unternehmens verließen das Stift und brachen auf. Es war Abends gegen sieben Uhr. Auf dem Marktplatze waren die gesammten Streitkräfte aufmarschirt. Der Oberst von Dörnberg mit den übrigen [31] Officieren erschien vor der Fronte. Die tiefste Stille trat ein. Rings hatte sich ein großer, dichtgeschlossener Kreis von Neugierigen und Zuschauern gebildet.

Eben war Dörnberg im Begriff, an die versammelte Mannschaft eine kurze Anrede zu halten, da öffnete sich der Kreis der Zuschauer und eine jugendlich schöne Frauengestalt drängte sich hindurch. Aus ihren Augen leuchtete eine schwärmerische Begeisterung, ihre Wangen glühten, und die letzten Strahlen der scheidenden Sonne, welche mit röthlichem Schimmer auf sie fielen und ihre ganze Gestalt umglühten, ließen sie in diesem Augenblicke fast wie eine Heilige erscheinen. Diesen Eindruck machte sie auch auf all die Versammelten. Fast Niemandes Brust wagte auszuathmen, und doch schlugen die Herzen darin lauter und schneller. Diese Frauengestalt war Caroline von Baumbach. In ihrer Rechten trug sie ein roth-weißes Banner mit der von ihrer Hand hineingestickten goldenen Devise: „Sieg oder Tod, im Kampfe für das Vaterland!“

Wie die Jungfrau von Orleans stand sie da, wahrhaftig erhaben und groß, als sie das Banner entfaltete und Dörnberg überreichte. Mit entblößtem Haupte empfing dieser die Fahne und rief mit lauter Stimme die Worte nach: „Ja, Sieg oder Tod!“

Eine lautlose Stille hatte bis dahin geherrscht, jetzt brach sich die Erregung der Menge durch den von tausend Lippen wiederholten Ruf „Sieg oder Tod!“ Raum. Ja, es loderte eine wahre und edle Begeisterung in diesem Augenblicke in Aller Herzen, und wären sie jetzt sogleich dem Feinde entgegengeführt worden, sie würden die schwachen Stützen, auf denen König Jerôme’s Thron aufgebaut war, zertrümmert haben, und einige Jahre früher würde die Sonne der Freiheit über Deutschland aufgestiegen und von deutschem Boden der Feind verjagt worden sein, den jedes deutsche Herz jetzt wie damals hassen und verachten muß, weil er das nicht achtet, was des Deutschen Stolz und Größe ist: die Ehre seines Namens und seines Hauses!

Gegen acht Uhr brachen die versammelten Streitkräfte von Homberg auf gen Cassel. Das Ende dieses Zuges und des ganzen Unternehmens ist bekannt. Es mißglückte, und mit ihm sanken all die Hoffnungen in den Staub, die darauf gebaut waren. Unsere Absicht ist nur, den Blick auf die Frauen zurückzulenken, die so eng damit verknüpft waren. Das Fräulein-Stift zu Homberg kann man mit Recht den geistigen Heerd dieses ganzen Unternehmens nennen. Dort trafen sich die Vertrauten und Verbündeten, dorthin konnten sie unbeachtet unter dem Namen von Eltern und Verwandten der Stiftsdamen kommen, und dort wurden all die einzelnen Flammen angezündet, welche einst zusammenschlagen und den schmachvollen Thron der Tyrannei in Asche legen sollten.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte eine Erbtochter des 1745 im Mannsstamm erloschenen Geschlechtes der Freiherren von Wallenstein das Fräulein-Stift in Homberg gegründet, in welches nur Töchter des ältesten Adels, welche mindestens sechzehn Ahnen ausweisen konnten, aufgenommen wurden. 1809 zählte die Anstalt dreizehn Pfründnerinnen, allein nur drei derselben, die Aebtissin von Gilsa, die Dechantin Maria Anna von Stein, welche später Aebtissin dieses Stiftes wurde, und die Kanonissin von Metzsch, waren damals im Stifte selbst wohnhaft.

Marianne von Stein, die jüngste Schwester des Ministers von Stein, welche ihm in geistiger Beziehung am nächsten stand und bis zu seinem Tode seine Vertraute und Lieblingsschwester blieb, war gleichsam die Anführerin des Unternehmens unter den Frauen. Ihr schlossen sich noch an: die in Homberg wohnende Schwester des 1808 verstorbenen kurhessischen Ministers von Baumbach, Sophie, und deren Nichte Caroline von Baumbach, dann die gleichfalls in Homberg wohnende Schwester Georg von Dalwigk’s, Frau Wolff von Gudenberg, geborene von Dalwigk, und einige andere Damen vom Adel.

Marianne von Stein, welche mit ihrem Bruder, dem Minister, und dem Grafen Münster in fortwährender Correspondenz stand und von ihnen Rathschläge empfing, war durch Dörnberg von Anfang an in das Unternehmen eingeweiht. Durch ihre klare, scharfe Auffassung, ihren hellen Verstand, ihre begeisterte Vaterlands- und Freiheitsliebe war sie würdig und fähig dazu, wie kaum eine zweite Frau, und sie hat ein Wesentliches dazu beigetragen, daß das Unternehmen zur Ausführung kam. An dem Mißlingen desselben trug sie keine Schuld, ebenso wenig wie irgend einer der Anführer. Marianne von Stein war in Eugen von Hirschfeld’s Plan, in Katte’s und Schill’s Unternehmen gleichfalls eingeweiht, und sie vermittelte die einzelnen Beziehungen und Nachrichten zwischen den verschiedenen Anführern. In dem Stifte zu Homberg trafen sich die einzelnen Vertrauten aus der ganzen Umgegend, denn soweit reichte der Scharfblick der französisch-westphälischen Polizei nicht, um zu errathen, daß dort unter den Augen und zum Theil mit von der Hand einer deutschen Frau Fäden gesponnen wurden, welche das ganze schmachvolle westphälische Königthum zusammenreißen sollten. Und wie klug diese Frauen an dem Werke mitgearbeitet haben, zeigte sich an den Folgen und den Verfolgungen, denen sie nach dem Scheitern ausgesetzt wurden.

Der westphälische „Moniteur“, ein ebenso serviles, erbärmliches Blatt wie der französische Moniteur, brach erst am 25. April über den ganzen Vorfall sein Schweigen, indem er nun in echt französischer Weise mit napoleonischen Rodomontaden die Posaunen des Triumphs ertönen ließ und des Königs Sieg verkündete über „einige Landleute, welche sich von Feinden des Vaterlandes hätten verleiten lassen.“ An demselben Tage erschien der General-Commissär der Polizei, von Wolff, mit dem Gensd’armerie-Capitain Dudon d’Envals in Homberg zur Untersuchung. Er kehrte schon am folgenden Tage zurück, ohne Etwas entdeckt zu haben, denn er berichtete nach Cassel, daß nur „Anscheinspuren einer Theilnahme in Homberg vorfindlich gewesen“. Für ihn erschien schon am Abend des 26. April ein besser unterrichteter Polizeibeamter, von einem Militair-Detachement begleitet. Er verhaftete sofort außer verschiedenen anderen Personen die Stiftsdamen von Gilsa, von Stein und von Metzsch, die Gattin des Escadronschefs Wolff von Gudenberg, Sophie und Caroline von Baumbach und führte sie nach Cassel, wo die Frauen wegen Ueberfüllung des Castells einstweilen im Gefangenhause untergebracht wurden.

Am 4. Mai erschien endlich in Nr. 53 des „Moniteur“ ein Decret vom 30. April: „In Erwägung, daß die Aebtissin und die Kanonissinnen des Stifts Wallenstein zu Homberg nicht allein die Absichten der Empörer in unserem Königreiche begünstigt, sondern sogar die Schärpen der Aufrührer gestickt und ihnen noch 3000 Thaler zur Unterstützung in diesem Aufruhr gegeben, verordnen wir: Art. 1. Der Aebtissin und den anwesenden Kanonissinnen des Stifts Wallenstein zu Homberg sind ihre Pfründen genommen. Art. 2. Beschlagnahme und Sequestration der in unseren und anderen Landen gelegenen Güter und Einkünfte genannten Stiftes etc.“

Daß von den dreizehn Stiftsdamen nur drei in dem Stift gewesen waren und an dem Unternehmen Theil genommen, machte nichts aus – französische Gerechtigkeit! Jerôme überwies später das auf 451,000 Thaler geschätzte Stiftsvermögen an den von ihm gestifteten Kronenorden. Dies Urtheil war gefällt und ausgeführt, ehe die Stiftsdamen überhaupt nur verhört waren. Das erste Verhör mit Marianne von Stein und der Kanonissin von Metzsch fand am 18. Mai statt. Es führte zu keinem Resultate, da ihnen namentlich ein Briefwechsel mit dem Freiherrn v. Stein während der letzten zwei Jahre nicht nachzuweisen war. Während die Aebtissin gar nicht verhört war, wurde allen drei Stiftsdamen am 20. Mai Abends 7 Uhr durch einen Gensd’arm angekündigt, daß sie sich zur Reise nach Mainz in Bereitschaft zu halten hätten. Es wurde ihnen freigestellt, ob sie zu Fuß oder durch Brigaden escortirt auf Leiterwagen oder mit der Post auf eigene Kosten reisen wollten. Sie wählten den letzten Weg, wozu ihnen der Bruder der Aebtissin das Geld verschaffte. Um 10 Uhr Abends bei Sturm und Regen reisten sie von zwei Gensd’armen begleitet ab und trafen am 23. in Mainz an, wo sie vorläufig in einem Privathause unter Bewachung untergebracht wurden.

Marianne von Stein, auf welche das Mißlingen des Unternehmens, auf das sie ihre schönsten Lebenshoffnungen, die Freiheit des Vaterlandes, so fest gebaut hatte, einen weit tieferen Eindruck hervorgerufen, als ihre eigene Verhaftung und unwürdige Behandlung, war leidend – krank. Trotzdem wurde sie schon am 25. Mai nach Paris geschleppt und dort in das Präfecturgefängniß gebracht. Hier schien sie gänzlich vergessen zu sein, da nicht einmal ein Verhör mit ihr angestellt wurde, bis es endlich den Bemühungen ihrer Nichte und deren Gemahls, des sächsischen Gesandten, Grafen Senfft-Pilsach, gelang, ihre Freiheit zu erwirken. Erst im Winter 1809–10 durfte sie indeß nach Deutschland zurückkehren.

Die Aebtissin von Gilsa und Fräulein von Metzsch blieben [32] als Gefangene in Mainz. Frau Wolff von Gudenberg, der nichts weiter zu beweisen war, als daß sie ihrem Manne ein rothes Bändchen, das Erkennungszeichen der an dem Unternehmen Betheiligten, gesandt habe, welches der Polizei in die Hände gefallen war, wurde bald wegen Kränklichkeit entlassen.

Auch Sophie von Baumbach erhielt wegen mangelnder Beweise die Freiheit, indeß weigerte sie sich, ihre Nichte Caroline zu verlassen, und folgte ihr in das Gefängniß, wo sie schon am 8. Mai starb. Die Brüder von Baumbach, von Siebertshausen, Sontra und Lenderscheid kauften mit 200 Thaler ihren Leichnam vom Einscharren los und ließen ihn in der Kirche zu Sontra beisetzen.

Caroline von Baumbach hatte in dem Verhöre mit entschlossenem Muthe gestanden, daß sie Dörnberg die Fahne übergeben und dieselbe selbst gestickt habe. Auf sie und Marianne von Stein schien Jerôme seinen ganzen Groll geworfen zu haben. Vergebens wandte sie sich brieflich aus dem Castell zu Cassel an den König und ihm nahe stehende Personen, um ihre Freiheit wieder zu erlangen.

Ihr Vater und Oheim kauften sie endlich im Juni mit 12,000 Francs los. Sie richtete 1813 auf dem von Baumbach’schen Burgsitze zu Sontra ein Lazareth für kranke und verwundete Preußen ein, deren Pflege sie sich selbst widmete, und starb im Februar 1814 am Typhus, den sie sich durch ihre aufopfernde Thätigkeit zugezogen.

Da den Stiftsdamen keine Theilnahme an dem Aufstande bewiesen werden konnte, so erhielten sie später, nach wiederholtem Drängen, für ihr bedeutendes Einlagecapital eine geringe Abfindungssumme. Nach der westphälischen Zeit wurde das Stift wieder hergestellt und Maria Anna von Stein die Aebtissin desselben.

Nicht ohne Bewegung können wir auf die hochherzige und muthige Gesinnung dieser Frauen zurückblicken. Ihre Thaten füllen einige schöne Zeilen in der Geschichte Deutschlands; um so schmerzlicher muß es uns indeß berühren, wenn wir sehen, wie schon damals die edelsten Handlungen verkannt und mißdeutet wurden. Die Magdeburger Zeitung von 1809 sagt in Nr. 60 v. 23. Mai über diesen ganzen Vorfall:

„Die Revolutionsgeschichte in Hessen kann einem Schriftsteller Stoff zu einem weitläufigen Roman geben, denn es kommen, wie in allen Romanen, auch Frauenzimmer und, was die Hauptsache ist, auch Liebesgeschichten vor. Man weiß, daß die Kanonissinnen des evangelischen Stifts Wallenstein zu Homberg den Insurgenten die Feldbinden gestickt haben. Höchst wahrscheinlich hatte sich jede dieser edlen Fräulein einen Ritter in dem Häuflein auserkoren, den sie durch dieses Panier zu einem Roland stempeln wollte. Das Fräulein von Stein hatte sich den von Dörnberg zum Mann ihres Herzens erkoren. Diesem Anführer weihte sie eine große Fahne, worin sein und ihr Name verschlungen gestickt war.“ –

Ebenso empören muß uns aber auch das Benehmen des Kurfürsten von Hessen, Wilhelm I., der in Prag weilte. Ihn auf den Thron zurückzuführen, war mit der Zweck des ganzen Unternehmens, daran setzten so viele Männer ihre Freiheit und ihr Leben, und als Dörnberg’s Bruder Fritz im Februar nach Prag zu ihm gesandt war, um ihn um Unterstützung zu bitten, wurde er kalt aufgenommen und erlangte von dem Kurfürst nicht mehr, als eine Anweisung auf 30,000 Thaler mit der mehr als seltsamen Clausel: „zahlbar, wenn die Pläne gelungen sind!“ Kurfürst Wilhelm I. hätte von Frauen seines Landes lernen können, welche Opfer ein edler, hochherziger Sinn zu bringen im Stande ist!

Fr. Fr.