Deutsches Erzieherinnenheim in Wien

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Titel: Deutsches Erzieherinnenheim in Wien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 226
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[226] Deutsches Erzieherinnenheim in Wien. Eines der lesenswerthesten und ergreifendsten Hauptstücke in K. Emil Franzos’ „Bildern aus Halbasien“ ist dasjenige, welches von dem Elend vieler deutschen Erzieherinnen in den Ländern an der unteren Donau handelt. Es werden hier viele ebenso schreiende als leider glaubhafte Fälle von Noth und Schmach erzählt, welche durch verrätherische Bosheit und barbarische Rohheit über deutsche Mädchen und Frauen gebracht wurden, die sich dem Erzieherinnen- und Lehrerinnenberufe widmen. Natürlich sind noch viel häufiger als die Fälle gewissenloser Ausbeutung solcher Opfer diejenigen, in welchen durch ein unvorhergesehenes widriges Geschick solche Erzieherinnen mit einem Mal ihre Stelle verlieren, in der Fremde allein und hilflos dastehen oder, auf der Rückkehr ins Vaterland begriffen, in Ermangelung weiterer Reisemittel in Wien, dem großen Durchgangsplatz nach dem Osten, bleiben müssen und allen Gefahren des großstädtischen Lebens preisgegeben sind.

Längst haben es die Angehörigen fremder Völker in Wien als eine Ehrensache erkannt, sich ihrer Landsmänninnen in der Bedrängniß anzunehmen. Schweizer, Engländer und Franzosen haben hier Erzieherinnenheime gegründet, die zum Theil Musteranstalten in ihrer Art sind. Und es muß dem deutschen Hilfsverein in Wien nachgerühmt werden, daß er schon vor sieben Jahren die Gründung eines ähnlichen Erzieherinnenheims für deutsche Reichsangehörige in den Bereich seiner ausgedehnten und ersprießlichen Wirksamkeit eingezogen hatte, und auch die „Gartenlaube“ ist seinerzeit (vgl. 1885, S. 130) für seine Bestrebungen eingetreten. Allein durch anderweitige Aufgaben und Pflichten vollauf in Anspruch genommen, konnte der Hilfsverein bisher den schönen Plan nicht zur Ausführung bringen und insbesondere nicht die nöthigen Geldbeträge vereinigen. So ist es denn als eine hochverdienstliche That zu begrüßen, daß jetzt die Gemahlin des deutschen Botschafters in Wien, Frau Prinzessin Reuß VII., Herzogin zu Sachsen, den schon aufgegebenen Plan mit Entschlossenheit wieder aufgenommen und der Ausführung desselben ihre ganze Thatkraft, sowie ihre großen und werthvollen Verbindungen zur Verfügung gestellt hat.

Prinzessin Reuß hat sich zu diesem Zwecke zunächst mit einem Ausschuß, bestehend aus dem Prinzen Reuß, den Herren Dr. Brauneis, Schriftsteller W. Lauser, Bankier Pflaum und Vicekonsul von Vivenot, umgeben, um zunächst die Grundlagen für einen Verein des deutschen Erzieherinnenheims zu schaffen, die Satzungen für denselben, die Hausordnung für das Heim festzustellen und Mittel und Helfer für das edle Unternehmen zu werben. Da es ohne Zweifel Werth hat, in den weitesten Kreisen die Kenntniß von der Einrichtung und den Bestrebungen des Vereins zu verbreiten, so theilen wir hier die Hauptsache aus seinen Satzungen mit.

Der Verein des deutschen Erzieherinnenheims wird unter dem Protektorate der Gemahlin des deutschen Botschafters in Wien oder, in Ermangelung einer solchen, der Gemahlin eines Gesandten der in Wien vertretenen deutschen Staaten stehen. Sein Zweck ist, deutsche reichsangehörige Mädchen und Frauen, welche sich der Erziehung, dem Unterricht oder der Kinderpflege widmen und stellenlos sind, aufzunehmen, ihnen Schutz und Beistand zu gewähren und ihnen nach Möglichkeit die Unterbringung in achtbaren Familien unentgeltlich zu vermitteln. Für die Leitung des Heims gilt als Grundsatz: aufgenommen werden ohne Unterschied der Religion alle, die sich entsprechend ausweisen können; Personen von zweifelhafter Sittlichkeit werden abgewiesen, und die vom Verein aufgestellte Vorsteherin hat das Recht, die Aufnahme ohne Angabe von Gründen zu verweigern; im allgemeinen darf der Aufenthalt im Heim nicht länger als einen Monat dauern; der Preis für die Unterbringung und Verpflegung daselbst ist vorläufig auf einen Gulden täglich festgesetzt. Im Fall sich der Verein auflösen müßte, würde sein Vermögen dem deutschen Hilfsverein in Wien zufallen.

Der Verein selbst besteht aus Stiftern, Förderern und Mitgliedern; Stifter ist derjenige, der einen einmaligen Beitrag von mindestens 1000 Mark stiftet; Förderer derjenige, welcher einen einmaligen Beitrag von 500 Mark beisteuert oder einen durch mindestens fünf Jahre fortlaufenden Jahresbeitrag von wenigstens 100 Mark zahlt; Mitglieder sind diejenigen, welche einen einmaligen Beitrag von 50 Mark zahlen oder einen fortlaufenden Jahresbeitrag von mindestens 10 Mark leisten.

Inzwischen hat in Wien selbst die Thätigkeit des Vereins unter der Hand schon in vielversprechender Weise begonnen. Durch Spenden des Prinzen Reuß sowie einzelner Mitglieder unseres Finanzadels und unserer Großindustrie ist bereits ein recht ansehnlicher Stock zustande gekommen, den es nunmehr durch Beiträge aus dem Deutschen Reiche derart zu erhöhen gilt, daß in kurzer Frist zur Gründung des deutschen Erzieherinnenheims in Wien geschritten werden kann. Zu diesem Zweck hat sich Frau Prinzessin Reuß soeben in einem Schreiben an die deutschen Fürsten und an die Bürgermeister der größeren Städte Deutschlands gewandt, um sie unter Darlegung des Bedürfnisses sowie der Vereinszwecke zur werkthätigen Betheiligung an dem menschenfreundlichen und vaterländischen Unternehmen einzuladen. Zugleich ergeht an die Zeitungen und Zeitschriften des Vaterlandes der folgende Aufruf, der, wie wir hoffen dürfen, bei keinem Deutschen auf taube Ohren stoßen wird.