Dichterische Reliquien von Ernst Moritz Arndt
[115] Dichterische Reliquien von Ernst Moritz Arndt. Wer würde nicht freudig überrascht den eleganten Band begrüßen, welcher unter dem Titel „Spät erblüht“ (Leipzig, Th. Thomas) eine ganze Anzahl aufgefundener Gedichte von Ernst Moritz Arndt enthält! Und zwar sind diese Gedichte nicht in späten Lebensjahren geschaffen; sie erscheinen nicht im Silberhaar des ehrwürdigen Alters, es sind nicht Sinnsprüche und Gedankenspäne patriarchalischer Weisheit; sie gehören der Glanzepoche Ernst Moritz Arndts an, als ihn noch jugendliches Feuer beseelte; sie stammen aus jener Zeit, als Arndt durch Napoleon I. gezwungen wurde, nach Schweden zu flüchten, wo er bei der Familie der später in Karlsruhe lebenden Freifrau von Munk ein Asyl fand. Aus Dankbarkeit schrieb er dort das Liederbuch für Kinder für sie nieder. Aus deren Nachlaß erhielt es Joseph Viktor von Scheffel und von diesem die Herausgeberin A. von Freydorf zum Geburtstagsgeschenk, als sie noch ein kleines Mädchen war. Autographen von Arndt und Scheffel gereichen dem Büchlein zur besonderen Zier.
Wenn indeß auch der Dichter selbst, wie wir von der Herausgeberin erfahren, der Sammlung den Titel „Gebetbuch für zwei fromme Kinder“ gab, so würde man sich doch irren, wenn man deshalb glaubte, alle diese [116] Gedichte bewegten sich im Kreise naiver Kindlichkeit und seien nur auf das Verständniß der lieben Kleinen berechnet. So war es offenbar nicht gemeint; der Dichter wollte ihnen ein Geschenk für ihr ganzes Leben machen und hat aus seinem eigenen sehr vieles angebracht, viel von seinem Streben und Ringen, Kämpfen und Dulden, was erst einem späteren Verständniß zugänglich werden konnte. Es sind sehr schwunghafte Lieder darin im Psalmenton, andere wieder voll Gedankentiefe, und wir meinen, daß einige davon überhaupt zu dem Besten gehören, was der Dichter geschaffen.
Wie anmuthig ist nicht das folgende Gedicht:
„Unter Blumen spielen
Gern die kleinen Kinder;
Blumen sind süß und schön;
Wie den Sonnenkindlein,
Soll den Kindern das Herzchen stehn.
Denn die Blumen heben
Gern die Liebesäugelein
Liebend zum Lichte auf;
Sinken sie in Schlummer,
Stehn zugleich mit der Sonne auf.
Wißt, ihr kleinen Kinder:
Droben hoch auf Sternen
Tausend bunte Blumen,
Und die Englein winden
Kränze daraus im Himmelssaal.
Wenn die Kinder schlafen,
Ihnen am Bettchen auf,
Und in goldnen Träumen
Schließt der ganze Himmel
Sich mit Sternen und Blumen auf.“
Wie ganz anders aber greift der Dichter in die Saiten, wenn er seinen eigenen Gedanken und Träumen Gehör schenkt! Da stoßen wir auf Prachtstücke seiner Muse und zwei dieser Gedichte sind von keinen späteren übertroffen worden, was Gedankentiefe und schlagende Kraft des Ausdrucks betrifft. Das erste beginnt mit den Strophen:
„Traum ist das Leben,
Schatten von Träumen der Jugend Lust:
Wolken verschweben:
Also die Bilder der Menschenbrust;
Sinken und Steigen;
Selbst die Gedanken,
Sterblicher, sind nicht dein eigen.
Doch willst du bauen,
Doch willst du trauen
Dem, was das Maß der Sekunde mißt:
Trug aus Betruge
Spinnen und weben,
Eitler, das heißet dein Leben.“
Und die ersten Strophen des zweiten Gedichtes lauten:
„Träume der flüchtigen Minuten,
Wie auf Fluthen
Mondenschimmer wechselnd bebt,
Wie auf grünen Sommermatten
Flüchtig durcheinander schwebt,
Also stürzt des Lebens Welle,
Nacht und Helle
Wechselnd, sich ins eig’ne Grab,
Flieht als Schatten
Mit zur Schattenwelt hinab.“
Auch die folgenden Strophen beider Gedichte halten sich ganz auf der
Höhe der ersten. So helfen diese spät erblühten Blumen den Dichterkranz,
welcher Arndts Stirn schmückt, anmuthig und bedeutsam vervollständigen. †