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Die Insel Hiddensee

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Textdaten
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Autor: Jodocus Donatus Hubertus Temme
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Titel: Die Insel Hiddensee
Untertitel:
aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. S. 166–169
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Nicolaische Buchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[166]
127. Die Insel Hiddensee.

Nordwestlich von der Insel Rügen liegt die Insel Hiddensee. Dieselbe hat in alten Zeiten mit der Insel Rügen zusammengehangen. In welcher Zeit sie davon getrennt ist, weiß kein Mensch mehr, so lange ist es schon her; aber auf welche Weise es geschehen ist, das erzählt man sich noch.

Es lebten nämlich einmal im ganz grauen Alterthum auf der Insel Rügen zwei Frauen; von denen war die Eine eine fromme und mildthätige, die Andere aber eine böse und geizige. Nun traf es sich, daß eines Abends, da es ein gar stürmisches Wetter war, zu der bösen Frau ein [167] alter fremder Mann kam, der sah hungrig und zerlumpt aus wie ein Bettler, und war von Frost und Regen beinahe erstarrt. Einige sagen, es sey einer von den Corveier Mönchen gewesen, denen damals die Insel Rügen gehörte. Der bat die Frau, sie möge ihm ein Nachtquartier geben in ihrem Hause, und ein Stücklein Brod, damit er sich wieder trocknen könne und nicht verhungern müsse. Das geizige Weib aber wollte nichts von dem Bettler wissen, schalt ihn, und jagte ihn mit bösen Worten wieder in das Unwetter hinaus.

Darauf kam der alte fremde Mann zu der frommen Frau, und als er bei dieser seine Bitte anbrachte, da nahm sie ihn gleich mildthätig auf und pflegte sein, und theilte mit ihm ihren letzten Bissen Brod, denn sie war arm und hatte selbst nicht viel. Daran erlabte sich der Mann, und wurde wieder stark und rüstig, und man sah, daß er seine rechte Freude hatte.

Als nun der alte Mann am anderen Morgen wieder von dannen zog, so dankte er ihr vielmals für die Wohlthat, die sie ihm erzeigt, und sprach zu ihr, sie solle das auch nicht umsonst gethan haben, denn das Erste, was sie nun unternehmen werde, das solle ihr den ganzen Tag gelingen. Damit schied er. Die Frau aber freute sich, daß sie ein gutes Werk gethan habe, und dachte der Worte des alten Mannes nicht weiter nach, denn sie hielt ihn für einen schlichten Bettler.

Desselbigen Morgens hatte sie für Eines ihrer Kinder ein Hemde zu machen. Sie ging deshalb an ihren Koffer, in welchem sie noch ein kleines Röllchen Leinewand liegen hatte, und nahm eine Elle mit, um zu messen, ob es auch noch drei Ellen wären, denn so viel hatte sie zu dem Hemde nöthig. Wie sie nun aber anfing zu messen, so fand sie, daß es mehr war; denn sie hatte schon die drei Ellen abgemessen, [168] und noch immer wollte das Röllchen nicht kleiner werden. Darüber verwunderte sie sich, und sie wollte doch sehen, wie viel Leinewand sie denn eigentlich noch hätte; sie maß deshalb weiter, nochmals drei Ellen, und wiederum so viel, und die Leinewand wollte noch immer nicht zu Ende gehen. Und das Wunderbarste war, daß sie immer weiter messen mußte, und gar nicht aufhören konnte, wenn sie auch gewollt hätte. So mußte sie denn stehen und messen, den ganzen Tag, und sie entsann sich nun der Worte des alten Mannes, den sie für einen Bettler gehalten hatte. Sie maß also lustig und fröhlich weiter, denn der Berg von Leinewand, den sie abmaß, wurde immer größer und größer, daß im Hause kein Platz mehr dafür war, und sie zuletzt bis vor die Thür und weit in das Feld hinein messen mußte, Alles von dem einen Röllchen, das in ihrem Koffer gelegen hatte. Das dauerte bis die Sonne unterging; da erst konnte sie aufhören; nun war sie aber auch eine reiche Frau.

Die Geschichte wurde bald bekannt, und auch die geizige Frau erfuhr sie. Die ärgerte sich recht boshaft in ihrem Sinne. Sie hatte aber den alten Bettler weggehen sehen, und sich die Gegend gemerkt, in die er gegangen war. Der Geiz und der Neid trieben sie daher, daß sie ihm nachlief, so böses Wetter es auch war. Sie fand ihn wirklich noch auf der Insel, denn bei dem Sturme hatte ihn Keiner übersetzen mögen. Sie redete ihn alsbald mit heuchlerischen Worten an, und bat ihn um Verzeihung, daß sie ihn des vorigen Abends nicht aufgenommen, und lud ihn ein, daß er für die folgende Nacht in ihrem Hause sein Quartier nehmen möge. Der alte Mann war das zufrieden, und kehrte mit ihr heim; und sie pflegte sein, und gab ihm vom Besten, was sie hatte. Denn sie dachte in ihrem heuchlerischen Sinne, daß er auch zu ihr sagen [169] werde, das Erste, was sie unternehme, das werde ihr den ganzen Tag gelingen, und sie wollte sich dann schon eine Arbeit aussuchen, die sie auf einmal zu der reichsten Frau in der Welt machen sollte. Der alte Mann ließ sich Alles wohl gefallen, und als er am anderen Morgen wieder weiter zog, da dankte er auch ihr, und sprach zu ihr, wie zu der frommen Frau, das Erste, was sie nun unternehmen werde, das solle ihr den ganzen Tag gelingen.

Darüber freute das böse Weib sich gar übermäßig, und so wie der Mann fort war, hatte sie sich auch schon Etwas ausgedacht, was sie nun vornehme, und wodurch sie eine ganz reiche Frau werden wollte; sie wollte nämlich das Geld in ihrem Spartopfe zählen. Damit sie darin aber nicht gestört werde, sondern ruhig den ganzen Tag dabei bleiben könne, ging sie erst vor die Thür, um einem Antriebe der Natur zu genügen. Aber welch ein Wunder geschah da! So wie sie sich einmal niedergehuckt hatte, konnte sie nicht wieder aufstehen, und sie mußte den ganzen Tag fortfahren in dem, was sie begonnen hatte. Dadurch entstand ein See, der immer größer wurde, und zuletzt so groß, daß er alles Land überschwemmte, und das Stück Landes, welches jetzt die Insel Hiddensee heißt, von dem Lande Rügen abtrennte. Erst als die Sonne unterging, konnte die geizige Frau zur Ruhe kommen.

Also ist die Insel Hiddensee entstanden.

Mündlich.
Vgl. auch Grümbke, Darstellung der Insel Rügen, II. 21. 22.