Die Thorsperre in Hamburg (Sievers)
An dem festen Eisenangel
Hängt das Thor von Eisenguß,
Das durch Sperrung manchem Mangel
Hier in Hamburg helfen muß.
Rinnet oft der Schweiß
Abends, wenn die großen Schaaren
Laufen, um die Sperr’ zu sparen.
Die Republik hier einzusperren
Bezahlt die Sperre meine Herren,
Dann geht durch’s Thor in die Natur;
D’rum laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten
Was durch das Thor für Thoren gehn,
Das seines Gleichen nicht gesehn.
Daß viele Thoren dadurch geh’n,
Und wenn das Geld im Kasten klinget,
Nehmt vier Schilling aus der Casse,
Lös’t papierne Karten ein,
Laufet mit des Volkes Masse
Dann zu Fuß in’s Thor hinein. –
Denn man ist bereit
Für vier Schilling euch zu fahren,
Und die Sohlen könnt ihr sparen.
Und was die vielen Omnibusse
Das muß der Staat sich am Genusse,
Das muß sich mancher Thor entzieh’n.
Es dauert schon seit langen Tagen,
Und rühret vieler Menschen Ohr
Bim, bam, es schließet sich das Thor,
Und wer dann draußen ist geblieben,
Kommt ohne Sperre nicht nach Haus,
Und wer dann drinnen ist geblieben,
Schon hör’ ich die Glocken läuten,
Und das Thor bleibt offen doch?
Nun, so will ich es euch deuten:
In der Republik,
Doch in Hamburg’s Stadt und Hafen
Geht die Freiheit Abends schlafen.
Und mit der Glocke Feierklange
Wie mit der großen Feuerzange
Die Köchin manchen Freiersmann.
Ihm ruhen noch im Zeitenschooße
Die schwarzen und die heitern Loose;
Sie drücken ihn vielleicht schon morgen, –
Die Liebe fliehet pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich schnell der Knabe,
Er stürmt durch’s Thor so wild hinaus,
Macht nicht genug zur Sperre aus,
Und gräßlich bei’m Laternenschimmer,
Wie ein Gespenst in dunkler Nacht,
Sieht er am Thor den Mann, der immer
Da faßt ihn namenloses Grauen,
Er meint, das Thor sei schon gesperrt,
Doch – darf er seinen Augen trauen? –
Ihm wird der Eingang nicht verwehrt!
Noch ging man frei hier ein und aus,
Er fürchtete sich zu verspäten,
Und hinter diesem läuft so hitzig,
Der Handelsjude Levy Itzig,
Ihm läßt die Sperre keine Rast.
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Ich komme noch zur rechten Zeit,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit –
Ach, daß es ewig offen bliebe,
Ich wollt’s, aus Geld- und Freiheitsliebe.
Wieder hör’ ich Glocken läuten,
Doch von diesen Massen Leuten
Bleiben viele, ach! davor.
Es ist nach der Zeit,
Wer ihr Herr’n auch seid,
Die vier Schilling sind verloren.
Denn wenn die Sperre eingetreten,
Da hilft kein Winseln und kein Beten,
Da heißt es gleich, mein Freund bezahl’!
Ob seine Casse auch wird langen,
Und weh’ ihm! findet er sie kahl.
In der Armuth stillen Hütten
Fehlet oft des Geldes Klang,
Und es ist die schönste Feier,
Wenn man einem armen Mann,
Sei’s durch Gulden oder Dreier,
Doch Sperre, ihr Leut’,
Die zahlt man nicht gerne,
Hört man das Geläut’
Man läuft schon von ferne
Will wirken und streben,
Und eilen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Will wetten und wagen,
Doch kömmt man zu spät, trotz all’ dem Laufen,
Da muß man sich doch eine Sperrmarke kaufen,
Muß Sperre zahlen; ein ärgerlich Geld.
Und drinnen waltet
Und handelt und wandelt,
Und herrschet weise
Im hamburg’schen Kreise,
Und schützet die Guten,
Will zu seiner Ehre
Ermäßigt die Sperre,
Denkt in seinem Sinn:
Das mehrt den Gewinn.
Die machen sich selbst und der ganzen Welt weiß,
Die Sperre erhebe die Grundstück’ im Preis.
Sie sagen: die Rundstück’ sei’n kleiner hier immer,
D’rum seh’n Alle mit frohem Blick,
Die in Hamburg erbgesess’nen Bürger,
Auf die Sperre als auf ein Glück;
Und sie nennen die endlosen Summen,
Unermeßlich und auch unentbehrlich,
Doch glauben sie’s selber wohl schwerlich,
Stopfen nur Andern den Mund.
Fest wie der Erde Grund
Bleibt dies Gespenst der Nacht;
Doch mit allen finstern Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten,
Und das Gaslicht brennet schon.
Es ist zehn, die Sperre steigt,
Wie sie emsig vorwärts schreiten,
Daß das Thor noch werd’ erreicht –
Sperre ist erhöh’t,
Muß acht Schillinge verlieren,
Oder draußen auch campiren.
Es bringt uns Freiheit auch zur Nacht;
Sich für acht Schilling Freiheit käuft,
So kömmt man billiger doch fort
Als sonst an irgend einem Ort,
Wohin gar Mancher in der Nacht
Leicht wird Keiner losgelassen
Den sie einmal attaquirt,
Durch die volkbelebten Gassen
Wird zur Wache er geführt;
Sie ihn dann ganz ungenirt. –
Last und Wonne,
Glück und Leiden,
Schmerz und Freuden,
Auf der Welt.
Dieser raffet
Es zusammen,
Jener streut es eifrig aus;
Wendet es
Weise an.
Jener wieder speculiret
Bis er all’ sein Geld verlieret,
Denn Concurs anjetzt zu machen
G’hört zu den modernen Sachen.
Handschuhmacher, Zimmerleute,
Musikanten,
Schacherjuden, Jollenführer,
Sieht man jetzt als Banquerottirer.
Durch der Hände lange Kette
Fliegt der Wechsel, prompt zu zahlen,
Wenn der Stichtag angekommen,
Steh’n darauf die großen Summen,
Doch die Zahlung bleibet aus,
Solchem Treiben sollt man wehren
Lieber, als das Thor zu sperren.
Überzählet man die Massen
Banquerotte uns’rer Zeit,
Sie sind, um sich kurz zu fassen,
Riesengroß.
Hoffnungslos
Zeigt der Gläubiger den Wechsel,
Bietet man für diesen Fetzen.
Aber nun
Ganz entschlagen
Von der Schulden schwere Plagen,
Banquerotteure
Den Betrug.
Prahlen laut
In den Schenken:
Gestern Banquerott gemacht
Kann mir’s heute Keiner wehren,
Von dem was ich mir Schmu gemacht,
Ging auch mein Renome verloren,
So hat’s mir doch was eingebracht.
Wieder hör’ ich die Glocken läuten,
Himmel hilf’, das ist schon elf;
Oder zahlt an Sperre zwölf
Schilling; heil’ge Zeit!
Ist das Kleinigkeit?
Weh’ über euch ihr freien Leute,
Die Nacht bricht ein, es herrschet Stille
In uns’rer sonst so regen Stadt,
Die Lampen brennen öd’ und matt,
Und heimlich zirpet schon die Grille,
Nur einen Wand’rer seh’ ich wallen
Der heute ohne Nachtquartier;
Die sagten seinen Zustand mir.
Schwer und lang
Ging die Treppe
Er entlang.
Auch der letzte Schilling war vertrunken,
Ach! der Schlachter ist’s, der dicke,
Der im Mäßigkeitsvereine,
Da er g’rad sich übernommen
Einst als Mitglied aufgenommen.
Brach er, und man stieß ihn fort;
Denn im Mäßigkeitsverein’
Muß ein Jeder nüchtern sein.
Trinkt man hier gleich gute Weine,
Und der Mann, den ich hier meine,
War zu sehr daran gewöhnt.
Zwar wollt’ er nach Hause laufen,
Doch zehn Schilling war’n nur sein;
Kauft sich also Branntewein.
Wieder hör’ ich Glocken läuten,
Das ist zwölf, ist Mitternacht;
Wo die Geister schaurig schreiten
Hört den Geisterchor!
Von dem Kirchhofsthor
Zieht wie Sturm und Ungewitter
Er vor unser Eisengitter.
Diese Mitternachtsgestalten,
Unhörbar sind ihre Tritte.
In des Leichentuches Falten
Eng gehüllet,
Hört man schaurig
Noch ein dumpfes Schwindsuchtsröcheln.
Alle sind
Hingeopfert
Sie beschafften
Ihre Arbeit
In der Stadt,
Wohnten aber vor dem Thore
Hörten sie die Glocken läuten,
Eilten sie im raschen Laufe,
Um der Sperre zu entkommen;
Doch das Stadtthor schloß sich knarrend.
Standen Alle
In der Kälte, leicht bedecket
Vor dem Thor’,
O du Sperre! alt gewöhnte,
Aber auch schon lang verpöhnte,
Die du Tod und Unheil bringest,
Die du furchtbar Geld verschlingest,
Lange noch zum Spott gedeihen?
Willst du, trotz dem vielen Schreiben,
Länger noch ein Schandfleck bleiben?
Denn ich glaube doch, daß Sperre
Tausend fleiß’ge Hände regen,
Helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
In der Freiheit heil’gem Schutz,
Und die Sperre muß zerrinnen,
Trotz dem fahlen Eigennutz.
Freiheit ist des Bürgers Zierde,
Freiheit ist uns größ’re Würde
Als Ordensband und Herrscherthron.
Freiheit, Friede,
Weilet, weilet
Wo die Thore offen stehen.
Keine Sperre
Halte vom Spazierengehen
Treib’ uns eilig nicht nach Hause
Aus der göttlichen Natur.
Nun, die Nacht ist schon geschieden,
Und der junge Tag begrüßt
Und das Thor, das sich noch schließt.
Ja, das Thor ist zu;
Geht die Sonn’ zur Ruh’
Und bei ihrem Auferstehen,
Vor’m Thore sammelt sich die Menge
Und harret dort der rechten Zeit,
Und eilet dann in das Gedränge
Wenn man sie endlich nun befreit.
Die Eimer mit der Milch herab,
Um sie hernach durch’s Thor zu tragen,
Und leer folgt dann der Wagen nach.
Doch haben sie das Thor im Rücken,
Und fahren fort mit frohen Blicken,
Und bieten ihre Milch zu Kauf.
Wozu es nützt, wozu es sei?
‘s ist kein Geheimniß just’ dabei.
Ein jeder Wagen, der beladen,
Der zahlt am Thor ein Brückengeld,
D’rum wird die Milch durch’s Thor getragen,
Noch bleibt das Thor für sie verschlossen,
Die lange Weile plagt sie gar,
Da machen sie dann ihre Possen,
Und liegen sich zuletzt im Haar.
Doch das verdrießt den Bräutigam,
Der heut’ mit Eiern und Radiesen
Zum Gelderlös’ nach Hamburg kam.
Sie streiten sich, gleich gift’gen Hähnen,
Annliese steht in heißen Thränen
Und händeringend stumm dabei.
Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Abscheulich ist der Sperre Wucht,
Das ist und bleibt die Eifersucht.
Sie bringt dem Weibe bitt’re Leiden,
Den Mann hat sie zum Zwist bethört,
Und manche häuslich stille Freuden
Endlich öffnet sich das Thor;
Jetzt herein, zu Fuß, zu Wagen,
Wie’s ein Jeder sich erkor.
Dem Büreau vorbei,
Keiner wird es jetzt noch wagen
Euch nach Karten nur zu fragen.
Herein, herein
Euch des Gewinn’s am heut’gen Tag zu freu’n,
Um fleißig, regsam und vergnügt zu sein,
Und kehrt zur Gattin Mittags froh nach Hause,
Und labt euch dort am würzig kräft’gen Schmause.
Bald sei die Sperre fort von hier!
Sie soll uns nicht die alten trüben Zeiten,
Ein Überbleibsel aus der Knechtschaftszeit,
Sie soll uns nicht der Knechtschaft Spuren deuten,
Bald sei sie nirgend mehr zu finden
Als in der Chronik ganz allein,
Und alle Knechtschaft möge schwinden,
Frei soll Hammonia stehts sein.
Und des Schicksals herber Schlag
Mög’ Dir stets vorüberziehen,
Fern dir sein das Ungemach.
Mögen auch die Neider alle
Hämisch auf dich niederseh’n;
Und wie alles Leid vergehet,
Zeige dann die Sperre auch,
Als veralteter Gebrauch.
Darum wachet, kämpfet, streitet,
Wahret eure Freiheit euch;
Was der Freiheit widerstreitet
Hebt im raschen Lauf
Nun die Sperre auf,
Und seid noch nach tausend Jahren
Frei, wie eure Väter waren.