Die Verfassung der Republik Estland
WS:Inhaltsverzeichnis (nicht Teil der Vorlage)
- Aus der Ideenwelt der neuen Verfassung Estlands.
- Historische Einleitung.
- Der Beschluß des Estnischen Volkes betreffend die Einberufung einer Nationalversammlung
- Die Verfassung der Republik Estland
- Das Gesetz betreffend die Übergangszeit
einer Nationalversammlung und dem Gesetz betreffend die
Übergangszeit
In der Gegenwart befinden sich die Grundideen über das soziale
und politische Leben der Völker im Zustand der Gärung. Alte Ideen
haben vielerorts neuen Platz machen müssen, die neuen Ideen sind
aber nicht überall siegreich. Unter diesen Umständen ist es nicht
leicht, eine Verfassung zu schaffen, die die rechtlichen Grundlinien des
gesamten Volks- und Staatslebens bestimmen soll.
Der vorliegenden Schwierigkeiten war man sich in der die neue Verfassung Estlands schaffenden Nationalversammlung von vornherein bewußt. Umso interessanter ist es zu fragen, wie sich schließlich die Ideenwelt der neuen Verfassung gestaltet hat.
Zu Ende des Weltkrieges schien ein Zeitabschnitt anzubrechen, in dem jedes lebenskräftige Volk die politische Selbständigkeit auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker anstreben kann und in dem die Streitigkeiten zwischen den Völkern und Staaten auf friedlichem Wege, insbesondere mit Hilfe des Völkerbundes, geschlichtet werden.
Dagegen sind in der letzten Zeit Ideen aufgetaucht, die die Entscheidung über das Schicksal der Völker mit anderen Mitteln herbeizuführen versuchen. Die Verfassung Estlands ist der Idee der Selbstbestimmung der Völker unerschütterlich treu geblieben. Und man will das Selbstbestimmungsrecht nötigenfalls bis zur letzten Möglichkeit verteidigen; dementsprechend sind die Vorschriften über die Staatsverteidigung verhältnismäßig ausführlich gestaltet worden.
Die aus langen Zeiträumen sich ergebenden Lebenserfahrungen der Völker lehren, daß Gesetz und Recht die wichtigsten Grundlagen der staatlichen Ordnung sind. Die Verfassung Estlands bleibt dem alten Grundsatz treu, daß Gerechtigkeit, Gesetz und Freiheit die Grundlagen des Staates sein müssen. Dementsprechend kann die gesamte Staatsgewalt nur auf Grund der Verfassung und der mit dieser in Einklang stehenden Gesetze ausgeübt werden, wobei die Gerichte mit allen eine Rechtsprechung sichernden Hilfsmitteln ausgestattet sind. Denselben Grundsatz der Legalität bringt die gesamte Verfassung in ihren Vorschriften zum Ausdruck, weshalb diese Vorschriften in vieler Beziehung ausführlicher sind, als dies gewöhnlich in Verfassungen der Fall ist.
[04] Die Ideen des Individualismus und des Liberalismus, die vom 18. Jahrhundert bis zum Weltkriege siegreich waren, befinden sich in den letzten Jahrzehnten in einer heftigen Auseinandersetzung mit anderen Ideen. Die neue Verfassung Estlands ist den Grundsätzen des Individualismus und des Liberalismus treu geblieben, wie sich deutlich aus dem zweiten Hauptstück dieser Verfassung ersehen läßt. Jedoch werden die Rechte und Freiheiten, in denen diese Grundsätze zum Ausdruck gelangen, nicht als dem Menschen als solchen angeboren, sondern als aus der staatlichen Gemeinschaft entspringend betrachtet. Deswegen stehen sie dem Bürger zu, der in der entsprechenden staatlichen Gemeinschaft lebt, sie weisen Beschränkungen im Interesse derselben Gemeinschaft auf, und ihnen entsprechen aus den Bedürfnissen derselben Gemeinschaft sich ergebende Pflichten und Lasten. Mithin versucht die neue Verfassung, die Ideen des Individualismus und des Liberalismus in der Richtung sozialer Solidarität im Rahmen des Staates weiter zu entwickeln.
Die Idee der Demokratie oder der Volksherrschaft, die vom 18. Jahrhundert bis zum Weltkriege siegreich war, wird in den letzten Jahrzehnten von verschiedener Seite heftig angegriffen. Die neue Verfassung Estlands ist den Grundsätzen der Demokratie treu geblieben. Jedoch muß die demokratische Staatsgewalt bei der Betreuung der Lebensinteressen der Völker in ihrem Wesen ebenso effektiv und schmiegsam sein wie jede andere. Daher ist auf Grund derselben Verfassung der nach dem Willen der Volksmehrheit handelnde Apparat der Staatsgewalt mit allen Vollmachten ausgestattet, die zum Schutz des inneren und äußeren Friedens und zur Gewährleistung des gesellschaftlichen Fortschritts und des allgemeinen Nutzens der Nation erforderlich sind.
Im 18. Jahrhundert entstand die bekannte Lehre von der Gewaltenteilung, die später die Gestaltung der Staaten wesentlich beeinflußt hat. In letzter Zeit tauchen aber Ideen auf, nach denen die ganze Gewalt einheitlich und zentralisiert sein soll. Die neue Verfassung Estlands bejaht den Grundsatz der Gewaltenteilung. Dementsprechend umgrenzt sie ausführlich und möglichst genau die Zuständigkeit eines jeden einzelnen Staatsorgans. Gleichzeitig sorgt diese Verfassung jedoch mit peinlicher Sorgfalt dafür, daß kein Staatsorgan abgeschnitten oder isoliert von der übrigen Apparatur der Staatsgewalt dasteht, sondern daß jedes Organ im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeit sich in ständiger Zusammenarbeit mit allen anderen Organen befinden möge. Dementsprechend befindet sich in der Hand des Volkes die höchste Staatsgewalt, wie sie in der Erfüllung der in der Verfassung vorgesehenen Funktionen sich äußert. Vom Volk hängt die Gestaltung der Volksvertretung und in Zusammenarbeit mit der Volksvertretung die Bestimmung des Präsidenten der Republik ab. Die Volksvertretung besteht aus zwei Kammern, wobei die erste Kammer unmittelbar und die zweite mittelbar vom Volk gebildet wird. Beide Kammern arbeiten zusammen auf dem Gebiet der Gesetzgebung, des Staatsvoranschlages und auf sonstigen in der Verfassung bezeichneten Gebieten. Beide Kammern halten sich gegenseitig im Gleichgewicht und stehen zugleich in einer bestimmten Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der Republik und mit der Regierung der Republik. [05] Der Präsident der Republik ist der Träger der Einheit der Staatsgewalt und in allen wichtigen Fragen des Staatslebens von entscheidender Bedeutung. Doch befindet sich der Präsident der Republik bei der Erledigung aller wichtigeren Fragen in Zusammenarbeit mit der Volksvertretung, mit der Regierung der Republik, mit dem Staatsgericht und mit dem Oberbefehlshaber des Heeres. Die Regierung der Republik ist vor allem der tatsächliche Inhaber der vollziehenden Gewalt, wobei sie in eine Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der Republik, mit der Volksvertretung und mit einem engen Netz territorialer und berufständischer Selbstverwaltungen hineingestellt ist. Die Tätigkeit der sonstigen in der Verfassung vorgesehenen Organe der Staatsgewalt ist ebenfalls auf dem Grundsatz der Zusammenarbeit mit den übrigen Staatsorganen aufgebaut. Mithin ist das Prinzip der Gewaltenteilung in der Verfassung in logischer Folgerichtigkeit bis zum Prinzip der Zusammenarbeit weiterentwickelt worden, und beide Prinzipien bilden zusammen eine organische Ganzheit und das Gleichgewicht in der Organisation der gesamten Staatsgewalt.
Aus dem Vorhergesagten ist ersichtlich, daß bei der Schaffung der neuen Verfassung Estlands eine bestimmte Auswahl unter den auf die rechtlichen Grundlagen des Staatslebens bezüglichen Ideen der Gegenwart stattgefunden hat. Man könnte annehmen, daß diese Auswahl als Ergebnis einer subjektiven Beurteilung erfolgt ist, ohne daß objektive Tatsachen berücksichtigt worden wären. Eine solche Annahme wäre jedoch nicht zutreffend.
Von frühesten Zeiten bis zum heutigen Tage sind die Esten ein Volk gewesen, das seine politische Freiheit geliebt und diese Freiheit bis zur letzten Möglichkeit mit der Waffe in der Hand verteidigt hat. Dementsprechend ist in der Verfassung das Recht auf Selbstbestimmung und die Entwicklung der Staatsverteidigung besonders hervorgehoben worden.
Desgleichen sind die Esten ein Volk, das vom Gefühl des Rechts und der Gerechtigkeit tief durchdrungen ist, und das die Ungerechtigkeit unter allen Umständen beseitigen will. Deshalb haben die Prinzipien der Legalität und des gerichtlichen Schutzes einen so charakteristischen Ausdruck in der ganzen Verfassung gefunden.
Zugleich sind die Esten ein Volk, das, dem allgemeinen Grundzug seines Charakters entsprechend, der persönlichen Tätigkeit stark zuneigt, weniger der kollektivistischen, das aber doch beim Vorhandensein einer Sphäre persönlicher Freiheit für ein friedliches Zusammenleben sehr geeignet ist. Dadurch erklärt sich der Schutz des individualistischen Prinzips in der Verfassung sowie die Entwicklung desselben in der Richtung der sozialen Solidarität.
Wirtschaftlich, ihrer Bildung nach und gesellschaftlich ist die Bevölkerung Estlands verhältnismäßig einheitlich und liebt, ihrer alten Tradition entsprechend, ihren Beruf und ihr Arbeitsgebiet. Dementsprechend hat die Verfassung das ganze Staatsgebäude zum Schutz der schaffenden Arbeit des Volkes auf der Idee der Demokratie aufgebaut.
Endlich ist Estland hinsichtlich seiner sozialen Institutionen ein Land mit einer sehr alten und ehrwürdigen Vergangenheit, besonders bemerkenswert durch das enge Netz seiner örtlichen, territorialen und [06] ”“berufsständischen Selbstverwaltungen von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Deshalb wies auch der im Jahre 1917 neu entstehende Staat anfangs und nach der Verfassung von 1920 vor allem die historischen Spuren der örtlichen Selbstverwaltung auf, ohne ein festes Zentrum der Staatsgewalt zu schaffen. Erst die Verfassungsänderung im Jahre 1933 hat in stärkerem Maße auf eine Zentralisierung der Staatsgewalt gerichtete Ideen in die bisherige Selbstverwaltungsideologie hineingetragen, während die Vereinheitlichung dieser beiden Aufgabe der neuen Verfassung blieb. Dementsprechend hat die Beibehaltung der bisherigen historischen Institutionen und die Schaffung notwendiger neuer Institutionen in der neuen Verfassung im Grundsatz der Gewaltentrennung ihren Ausdruck gefunden, während sich aus der Notwendigkeit dieser Institutionen und einer Zentralisierung der Staatsgewalt als logische Folge der Grundsatz der Zusammenarbeit der Gewalten ergeben hat.
So ist also die Auswahl der Ideen in der neuen Verfassung nicht auf Grund einer subjektiven Beurteilung, sondern in Berücksichtigung jener Umstände erfolgt, die sich in Estland von frühesten Zeiten bis auf die Gegenwart entwickelt haben. In diesem Sinne ist die Ideologie der neuen Verfassung das Ergebnis einer realistischen Beurteilung; sie enthält nämlich eine Synthese zwischen den Tatsachen der historischen Entwicklung und den Erfordernissen des gegenwärtigen Staatslebens. Die rechtlich-politische Organisation, die auf Grund der neuen Verfassung entsteht, ruht also stark und fest auf den besonderen Verhältnissen Estlands.
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WS:Anmerkungen
- ↑ * 13. Januar 1890 in Kirbla, Gemeinde Lihula; † 9. Januar 1945 in Stockholm.
- ↑ Johannes Klesment (* 30. Mai 1896 Keila vald (estnische Landgemeinde); † 23. Dezember 1967 Washington).
Nach der endgültigen Zusammenfassung der Ergebnisse der am 23., 24. und 25. Februar 1936 stattgehabten Volksabstimmung hat das Hauptkomitee für die Volksabstimmung am 6. März 1936 auf Grund des § 8 Ziffer 7 und des § 53 des Gesetzes betreffend die Volksabstimmung zur Einberufung einer Nationalversammlung (Staatsanzeiger Nr. 3 – 1936) beschlossen, die Ergebnisse der bezeichneten Volksabstimmung folgendermaßen zu verkünden:
An der Volksabstimmung vom 23., 24. und 25. Februar 1936 über den Entwurf eines Beschlusses betreffend die Einberufung einer Nationalversammlung, der auf Grund der §§ 1 und 27 der Verfassung der Republik Estland durch Beschluß des Staatspräsidenten vom 8. Januar 1936 Nr. 3 (Staatsanzeiger Nr. 3 – 1936) dem Estnischen Volk zur Beschlußfassung unterbreitet wurde, haben 629.217 stimmberechtigte Bürger teilgenommen, wobei für den Antrag des Staatsältesten 474.218 Stimmen und gegen denselben 148.824 Stimmen abgegeben wurden, während 6175 Stimmen für ungültig erklärt worden sind, so daß das Volk auf Grund des § 52 des Gesetzes betreffend die Volksabstimmung zur Einberufung einer Nationalversammlung folgenden Beschluß angenommen hat:
Als Träger der höchsten Staatsgewalt Estlands hat das Estnische Volk in der Volksabstimmung vom 23., 24. und 25. Februar 1936 beschlossen:
1) den Staatspräsidenten zur Einberufung einer Nationalversammlung zu ermächtigen, deren Aufgabe es ist, die erforderlichen Änderungen an der geltenden Verfassung der Republik Estland anzunehmen [12] oder nötigenfalls eine neue Verfassung auszuarbeiten und anzunehmen;
2) für die Änderung der Verfassung oder für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung der Nationalversammlung die Richtlinie zu erteilen, daß Estland eine auf der Grundlage der Volksherrschaft zu regierende Republik bleibt, in der sich die höchste Gewalt in der Hand des Volkes befindet, und daß der Estnische Staat von einem gewählten Staatsoberhaupt in ausgeglichener Zusammenarbeit mit einer von ihm zu ernennenden Regierung und einer aus zwei Kammern bestehenden Volksvertretung regiert wird;
3) die Nationalversammlung zur Annahme der für die Inkraftsetzung der Verfassung erforderlichen Gesetze zu ermächtigen;
4) in bezug auf den Bestand und die Tätigkeit der Nationalversammlung folgendes zu bestimmen:
– die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern;
– die erste Kammer der Nationalversammlung besteht aus 80 Mitgliedern, die vom Volk in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Abstimmung nach dem Grundsatz der Persönlichkeitswahl in einem Verfahren gewählt werden, das in einem diesbezüglichen vom Staatspräsidenten zu erlassenden Wahlgesetz vorgesehen ist;
– die zweite Kammer der Nationalversammlung besteht aus 40 Mitgliedern; die zweite Kammer besteht aus Vertretern der Gerichte, der Selbstverwaltungen, der wirtschaftlichen und berufsständischen Selbstverwaltungen, der Kulturselbstverwaltungen der völkischen Minderheiten, der Universität Tartu, des Schutzkorps und der Kirchen entsprechend den vom Staatspräsidenten zu bestimmenden Grundlagen und aus zehn vom Staatspräsidenten aus der Zahl jener Personen, die über die zur Ausarbeitung der neuen Verfassung erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, zu ernennenden Mitgliedern;
– die erste und die zweite Kammer der Nationalversammlung arbeiten getrennt voneinander; wenn die Einigungsversuche, die auf den in der Geschäftsordnung der Nationalversammlung bezeichneten Grundlagen im Falle von Meinungsverschiedenheiten vorzunehmen sind, ergebnislos bleiben, treten beide Kammern zum Kongreß der Nationalversammlung zusammen, auf der die Angelegenheit durch Stimmenmehrheit entschieden wird;
– die Nationalversammlung muß die ihr übertragenen Obliegenheiten im Laufe von sechs Monaten, vom Tage ihres Zusammentritts an gerechnet, erledigen;
– die Mitglieder der Nationalversammlung erhalten kein Gehalt, doch werden ihnen die Kosten der Teilnahme an den Sitzungen ersetzt.
Das Estnische Volk in unerschütterlichem Glauben und in unwandelbarem Willen, den Staat zu festigen und auszubauen,
der auf Grund des unvergänglichen Rechts des Estnischen Volkes auf staatliche Selbstbestimmung geschaffen worden ist,
der auf Gerechtigkeit, Gesetz und Freiheit aufgebaut ist,
der dem Schutz des inneren und äußeren Friedens und den gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechtern zum Unterpfand ihres gesellschaftlichen Fortschritts und des allgemeinen Nutzens dient,
der eine auf der Grundlage der Volksherrschaft zu regierende Republik bleibt, in der sich die höchste Gewalt in der Hand des Volkes befindet, und die von einem gewählten Staatsoberhaupt in ausgeglichener Zusammenarbeit mit einer von ihm zu ernennenden Regierung und einer aus zwei Kammern bestehenden Volksvertretung regiert wird,
hat durch eine Volksabstimmung die Vollmacht gegeben, eine Nationalversammlung einzuberufen, die in Erfüllung des ihr durch dieselbe Volksabstimmung erteilten Auftrages folgende Verfassung angenommen hat:
§ 1. Estland ist eine selbständige und unabhängige Republik, in der das Volk Träger der höchsten Staatsgewalt ist.
§ 2. Das Staatsgebiet Estlands ist ein unteilbares Ganzes.
§ 3. Die Staatsgewalt kann niemand anders ausüben als auf Grund der Verfassung und der mit dieser in Einklang stehenden Gesetze.
Die Verfassung ist die unwandelbare Richtschnur für die Tätigkeit des Präsidenten der Republik, der Staatsversammlung, der Regierung der Republik und der Gerichte.
§ 4. In Estland gelten nur die von seinen eigenen Institutionen in Kraft gesetzten Gesetze.
Die allgemein anerkannten Vorschriften des Völkerrechts gelten in Estland als untrennbare Bestandteile seiner Rechtsordnung.
Niemand kann sich mit Unkenntnis des Gesetzes entschuldigen.
[14] § 5. Die Staatssprache Estlands ist die estnische Sprache.
§ 6. Die Staatsfarben Estlands sind blau, schwarz und weiß.
Die Gestalt der Staatsfahne und des Staatswappens wird durch Gesetz bestimmt.
§ 7. Bürger Estlands wird man durch Geburt oder durch einen später erfolgten gesetzlichen Akt.
Die näheren Bedingungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit werden durch Gesetz bestimmt.
§ 8. Es ist die höchste Pflicht eines jeden Bürgers, dem Estnischen Staat und seiner verfassungsmäßigen Ordnung treu zu sein.
Aus der Zugehörigkeit zur staatlichen Gemeinschaft ergeben sich die gesetzlichen Pflichten und Lasten des Bürgers.
Aus derselben Zugehörigkeit erwachsen die gesetzlichen Rechte und Freiheiten des Bürgers.
§ 9. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Es kann keine öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Rechtsbeschränkungen geben, die von der Geburt, dem Glauben, dem Geschlecht oder der Volkszugehörigkeit abhängen.
Es gibt keine Stände und Standestitel. Auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind, können Titel nur zur Bezeichnung eines Amts, eines Berufs oder eines wissenschaftlichen Grades verliehen werden.
§ 10. Die Unantastbarkeit der Person ist gewährleistet.
Gegen niemand kann ein Verfahren anders eingeleitet werden als in den Fällen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind.
Niemand kann anders verhaftet oder in seiner persönlichen Freiheit beschränkt werden als in den Fällen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind. Niemand kann länger als zweiundsiebzig Stunden ohne eine diesbezügliche Verfügung der Gerichtsbehörden in Haft gehalten werden. Die entsprechende Verfügung der Gerichtsbehörden muß dem Verhafteten im Laufe der nächstfolgenden vierundzwanzig Stunden bekanntgegeben werden.
Kein Bürger kann gegen seinen Willen dem Gericht, das auf Grund des Gesetzes für ihn zuständig ist, entzogen und einem anderen unterstellt werden.
§ 11. Niemand kann wegen einer Tat bestraft werden, wenn diese Tat nicht durch ein Gesetz für strafbar erklärt worden ist, das vor Begehung dieser Tat in Kraft getreten war.
§ 12. Das Heim ist unantastbar.
Ein Eindringen in die Wohnung und eine Durchsuchung derselben ist nur zulässig in den Fällen und in Erfüllung der Forderungen, die im Gesetz vorgesehen sind.
§ 13. Die Bewegungsfreiheit und Freizügigkeit ist unbehindert.
Diese Freiheit kann auf den Grundlagen und in der Ordnung eingeschränkt werden, die im Gesetz vorgesehen sind.
[15] § 14. Die Gewissens- und Glaubensfreiheit ist gewährleistet.
Die Zugehörigkeit zu Kirchen und Religionsgemeinschaften ist unbehindert.
Den größeren Kirchen können durch Gesetz öffentlich-rechtliche Grundlagen gewährt werden. Es gibt keine Staatskirche.
Die Ausübung religiöser Handlungen ist unbehindert, soweit hierdurch die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit nicht beeinträchtigt wird.
Das Glaubensbekenntnis kann nicht als Entschuldigung gelten für die Begehung eines Verbrechens oder für die Nichterfüllung der Bürgerpflichten.
§ 15. Die Gedankenäußerung in Wort, Druck, Schrift, Bild und Plastik ist unbehindert. Diese Freiheit kann zum Schutz der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Sittlichkeit und des guten Rufes des Bürgers durch Gesetz eingeschränkt werden.
Eine Zensur für Druckerzeugnisse gibt es nicht.
§ 16. Das Geheimnis der durch Post, Telegraph, Telephon oder auf einem sonst allgemein üblichen Wege übermittelten Nachrichten und Briefe ist gewährleistet. Ausnahmen können auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind, zur Bekämpfung von Verbrechen gemacht werden.
§ 17. Die Bürger haben das Recht, auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind, Versammlungen abzuhalten, wenn hierdurch die Anforderungen der öffentlichen Ruhe und Sicherheit nicht verletzt werden.
§ 18. Die Bürger haben das Recht, sich auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind, zu kulturellen, wissenschaftlichen, gemeinnützigen, beruflichen, politischen und sonstigen Vereinen und Verbänden zusammenzuschließen.
Durch Gesetz kann dieses Recht im Interesse der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit eingeschränkt werden.
§ 19. Jeder Bürger ist berechtigt, die Zugehörigkeit zu seinem Volkstum zu bewahren.
Die näheren Grundlagen der Volkszugehörigkeit werden durch Gesetz bestimmt.
§ 20. Die Angehörigen der völkischen Minderheiten können auf Grund und in der Ordnung des Gesetzes Selbstverwaltungsinstitutionen im Interesse der Kultur und des Fürsorgewesens ins Leben rufen.
§ 21. Die Familie als Grundlage der Erhaltung und des Wachstums des Volkes sowie als Grundlage des staatlichen Lebens steht unter dem Schutze des Staates.
Die Gesetze betreffend die Ehe beruhen auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Ehegatten, soweit dies mit dem Gesamtwohl der Familie, mit den Belangen der Nachkommenschaft und mit der gegenseitigen Hilfeleistung vereinbar ist. Die Vermögensverhältnisse der Ehegatten werden durch Gesetz geregelt, wobei der gesetzliche Güterstand die vermögensrechtliche Handlungsfreiheit eines der Ehegatten nicht einschränken kann.
Durch Gesetz wird der Schutz der Mütter und Kinder geregelt. Für kinderreiche Familien wird besonders gesorgt.
[16] § 22. Der Unterricht für die Kinder im schulpflichtigen Alter ist in dem durch Gesetz bestimmten Umfang verbindlich und in den Volksschulen unentgeltlich.
Der Staat und die Selbstverwaltungen unterhalten die erforderliche Anzahl von Volksschulen. Zur ununterbrochenen Fortsetzung des Bildungsganges entsprechend den staatlichen Belangen und den Lebensnotwendigkeiten des Volkes werden auch allgemeinbildende und Berufslehranstalten unterhalten.
Auf Grund des Gesetzes können Privatschulen und -lehranstalten eröffnet und unterhalten werden.
Der Unterricht erfolgt in der Staatssprache. In den Schulen und Lehranstalten, die für die völkischen Minderheiten eröffnet sind, erfolgt der Unterricht auf den Grundlagen und in den Grenzen, die im Gesetz bezeichnet sind, in der Sprache ihres Volkstums und in der Staatssprache.
Der Unterricht und die Erziehung in den Schulen und Lehranstalten muß im staatlichen Geiste Estlands nach Anordnung und unter Aufsicht des Staates erfolgen.
Die Erziehung der Jugend zu geistig, sittlich und körperlich tüchtigen und wertvollen Bürgern Estlands ist eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern sowie des Staates und der Selbstverwaltungen.
§ 23. Wissenschaft und Kunst sowie ihre Lehren sind frei und stehen unter dem Schutze des Staates. Ihre Verbreitung unterliegt der Oberaufsicht des Staates.
Den staatlichen wissenschaftlichen Institutionen und höheren wissenschaftlichen Lehranstalten wird in den im Gesetz vorgesehenen Grenzen Autonomie gewährleistet.
§ 24. Die Regelung des wirtschaftlichen Lebens muß nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit erfolgen, dessen Ziel es ist, die schaffenden Kräfte zu beleben, den allgemeinen Wohlstand zu fördern und hierdurch eine menschenwürdige Lebenshaltung zu gewährleisten.
§ 25. Auf den im Gesetz bestimmten Grundlagen haben die Bürger die Freiheit, einen Beruf zu wählen, Unternehmen zu eröffnen, sich auf wirtschaftlichen Gebieten zu betätigen und sich zu wirtschaftlichen Vereinen und Verbänden zusammenzuschließen.
§ 26. Das Eigentumsrecht ist gewährleistet. Einschränkungen dieses Rechts werden durch Gesetz bestimmt.
Eine Enteignung des Eigentums ohne Einwilligung des Eigentümers kann nur auf Grund und in der Ordnung des Gesetzes im Interesse der Allgemeinheit und gegen gerechte Entschädigung erfolgen. Im Streitfalle ist die Beschreitung des Rechtsweges gewährleistet.
§ 27. Arbeit ist Ehre und Pflicht eines jeden arbeitsfähigen Bürgers.
Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht, sich selbst Arbeit zu beschaffen. Der Staat trägt zur Arbeitsermöglichung bei.
Die Arbeit steht unter dem Schutze des Staates. Die Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten, auch auf dem Wege des Streiks, wird durch Gesetz geregelt.
[17] § 28. Die Fürsorge für einen Hilfsbedürftigen liegt vor allem seinen Familienangehörigen ob.
Auf Grund des Gesetzes wird die Hilfeleistung an die Bürger für den Fall des Alters, der Arbeitsunfähigkeit oder der Not auf dem Wege der sozialen Versicherung oder der Wohlfahrtspflege geregelt. Die freiwillige Wohlfahrtspflege wird begünstigt.
Arbeitsscheue, Personen, die als Familienangehörige ihre Fürsorgepflicht nicht erfüllen, und gesellschaftsschädliche Hilfsbedürftige können auf Grund des Gesetzes unter Zwangsfürsorge gestellt werden.
§ 29. Niemandem können öffentliche Abgaben oder Lasten anders als auf Grund des Gesetzes auferlegt werden.
Niemandem kann auf Kosten des Staates eine Vergütung oder Pension anders als in der gesetzlichen Ordnung zugebilligt werden.
§ 30. Die Bürger haben das Recht, Denkschriften und Eingaben an die zuständigen staatlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Institutionen zu richten. Die juristischen Personen haben dieses Recht im Rahmen ihres Aufgabenbereichs. Der Ausübung dieses Rechtes dürfen keine Merkmale eines Verbrechens eignen.
§ 31. Die Ordnung des Gebrauchs von Fremdsprachen bei der Geschäftsführung in den Gerichten und in sonstigen staatlichen Institutionen wird durch Gesetz bestimmt.
Die Bürger, die einer völkischen Minderheit angehören, können auf den im Gesetz vorgesehenen Grundlagen an Orten, wo die Mehrheit der Einwohner dieser völkischen Minderheit angehört, ihre Sprache im Geschäftsverkehr mit den örtlichen Selbstverwaltungsinstitutionen gebrauchen.
§ 32. Die Ämter in den Institutionen und Unternehmen des Staates und der Selbstverwaltungen werden auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind, mit Bürgern besetzt, die über dem betreffenden Amt entsprechende Fähigkeiten und Ausbildung verfügen. Nur auf den im Gesetz bezeichneten Grundlagen können diese Ämter mit Ausländern besetzt werden.
Zur gerichtlichen Belangung von Personen, die im Dienst von Institutionen und Unternehmen des Staates und der Selbstverwaltungen stehen, ist keine vorhergehende Erlaubnis erforderlich.
§ 33. Die Aufzählung der Rechte und Pflichten der Bürger im vorliegenden Hauptstück schließt andere Rechte oder Pflichten, die sich aus dem Sinn der Verfassung ergeben oder mit der Verfassung in Einklang stehen, nicht aus.
§ 34. Die höchste Staatsgewalt übt das Estnische Volk durch seine stimmberechtigten Bürger aus.
§ 35. Das Volk übt die Staatsgewalt aus:
1) durch die Wahl des Präsidenten der Republik auf Grund des § 40;
2) durch die Wahl der Abgeordnetenkammer;
[18] 3) durch die Wahl der Vertretungskörper der örtlichen Selbstverwaltungen auf Grund des § 123;
4) durch die Volksabstimmung.
§ 36. Stimmberechtigt ist jeder Bürger, der zweiundzwanzig Jahre alt geworden ist und wenigstens drei Jahre lang ununterbrochen die Staatsangehörigkeit Estlands besessen hat.
§ 37. Nicht stimmberechtigt sind: 1) Bürger, die für schwachsinnig oder geisteskrank erklärt worden sind, 2) Bürger, die als Blinde, Taubstumme oder Verschwender unter Pflegschaft stehen, 3) auf Grund der Wahlgesetze einige Gruppen von Bürgern, die dauernd in der Ordnung der öffentlichen Fürsorge unterhalten werden, und 4) die unter Zwangsfürsorge gestellten Bürger.
Durch Gesetz kann einigen Gruppen von gerichtlich bestraften Bürgern das Stimmrecht entzogen werden.
An der Abstimmung nehmen nicht teil: 1) die Bürger, die zur Zeit der Abstimmung zwecks Abbüßung einer vom Gericht verhängten Strafe oder in Durchführung der von den Gerichtsbehörden angeordneten Sicherungsmaßnahmen in Haft gehalten werden, und 2) die Bürger, die als ansteckende Kranke in der gesetzlichen Ordnung in einer entsprechenden Heilanstalt abgesondert sind.
An der Abstimmung nehmen die in Erfüllung ihrer Militärdienstpflicht im Heer befindlichen Bürger nicht teil.
§ 38. Der Präsident der Republik ist das Staatsoberhaupt.
Er ist der Träger der Einheit der Staatsgewalt und der Repräsentant des Staates. Er sorgt für die äußere Unantastbarkeit und die innere Sicherheit des Staates sowie für das allgemeine Wohlergehen von Staat und Volk und für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung.
§ 39. Der Präsident der Republik außer seinen sonstigen in der Verfassung vorgesehenen Obliegenheiten:
1) ernennt die Vertreter der Republik Estland in den auswärtigen Staaten und empfängt die Vertreter der auswärtigen Staaten;
2) ernennt und entläßt die höheren Staatsbeamten;
3) ernennt und entläßt kraft Sonderrechts die leitenden Beamten des beim Präsidenten der Republik befindlichen Dienstes;
4) erläßt Verordnungen im Einklang mit den Gesetzen;
5) überwacht kraft Sonderrechts die Tätigkeit der staatlichen und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Institutionen;
6) verleiht kraft Sonderrechts staatliche Ehren- und Verdienstabzeichen;
7) beschließt über Fragen, die ihm durch Gesetz zur Beschlußfassung anvertraut sind.
[19] § 40. Der Präsident der Republik wird auf sechs Jahre gewählt.
Als Kandidat für das Amt des Präsidenten der Republik kann jeder stimmberechtigte Bürger aufgestellt werden, der wenigstens fünfundvierzig Jahre alt ist.
Die Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik werden in geheimer Abstimmung aufgestellt:
1) ein Kandidat von der Abgeordnetenkammer;
2) ein Kandidat vom Staatsrat;
3) ein Kandidat von einer Vertreterversammlung, die von den Vertretungskörpern der Selbstverwaltungen gewählt wird, und die aus achtzig von den Vertretungskörpern der Landselbstverwaltungen und aus vierzig von den Vertretungskörpern der Stadtselbstverwaltungen gewählten Vertretern besteht.
Aus der Zahl der aufgestellten Kandidaten wählt das Volk den Präsidenten der Republik in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Abstimmung. In dieser Abstimmung gilt derjenige Kandidat als zum Präsidenten der Republik gewählt, der die meisten Stimmen erhalten hat. Wenn Kandidaten die gleiche Anzahl von Stimmen erhalten haben, gilt der älteste Kandidat als gewählt. Die Abstimmung muß spätestens im Laufe von zwanzig Tagen, von der Aufstellung der Kandidaten an gerechnet, stattfinden.
Wenn nur ein Kandidat aufgestellt worden ist, so wird eine vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer einzuberufende und von ihm zu leitende gemeinsame Wahlversammlung aller drei Institutionen, die den Kandidaten aufgestellt haben, abgehalten. Wenn der aufgestellte Kandidat auf dieser Wahlversammlung in geheimer Abstimmung wenigstens drei Fünftel aller Stimmen des gesetzlichen Bestandes der Wahlversammlung auf sich vereinigt, so gilt dieser Kandidat als zum Präsidenten der Republik gewählt, und die Abstimmung des Volkes unterbleibt.
Die nähere Ordnung der Aufstellung der Kandidaten und der Wahl des Präsidenten der Republik wird durch Gesetz bestimmt.
§ 41. Der Präsident der Republik gilt von dem Zeitpunkt an als im Amt befindlich, in dem er vor dem Kongreß der Staatsversammlung das folgende feierliche Gelöbnis an das Estnische Volk abgelegt hat:
- „Indem ich, N. N., nach dem Willen des Volkes das Amt des Präsidenten der Republik antrete, gelobe ich feierlich, die Verfassung und die Gesetze der Republik Estland unwandelbar zu schützen, gerecht und unparteiisch die mir übertragene Macht auszuüben und mit allen meinen Kräften und nach bestem Wissen meine Pflichten zum Wohl der Republik Estland und ihres Volkes treu zu erfüllen.“
Die Vollmachten des Präsidenten der Republik erlöschen mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten der Republik.
§ 42. Die Beschlüsse und sonstigen Akte des Präsidenten der Republik sind gültig, wenn sie mit der Unterschrift des Präsidenten der Republik und mit der Gegenzeichnung des Ministerpräsidenten und des zuständigen Fachministers versehen sind. Für diese Beschlüsse [20] und Akte ist die Regierung der Republik politisch und sind die Minister, die gegengezeichnet haben, auch dienstlich verantwortlich, wobei sie insbesondere die Verantwortung dafür tragen, daß der Beschluß oder Akt mit der Verfassung und den Gesetzen in Einklang steht.
Die Gegenzeichnung bedürfen nicht Beschlüsse und Akte, die der Präsident der Republik auf Grund der Verfassung kraft Sonderrechts erläßt.
§ 43. Das Amt des Präsidenten der Republik kann mit keinerlei sonstigem Dienst oder Beruf verbunden sein.
Wenn zum Präsidenten der Republik ein Mitglied der Staatsversammlung gewählt worden ist, so gilt dasselbe mit dem Antritt des Amtes des Präsidenten der Republik als aus der Staatsversammlung ausgeschieden.
§ 44. Das dem Präsidenten der Republik während seiner Amtszeit zustehende Gehalt wird durch ein Gesetz bestimmt, das erst in bezug auf den bei der nächsten Wahl zu wählenden Präsidenten der Republik geändert werden kann.
Dem aus dem Amt geschiedenen Präsidenten der Republik wird eine Pension in der Höhe von drei Viertel des Gehalts des Präsidenten der Republik gezahlt.
§ 45. Der Präsident der Republik kann während seiner Amtszeit nicht anders als auf Beschluß des Kongresses der Staatsversammlung und nur für Verbrechen gegen die höchste Staatsgewalt und für Staatsverrat gerichtlich belangt werden. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt kann der Präsident der Republik für diese Verbrechen und auch für die in Ausübung seines Sonderrechts begangenen Dienstvergehen ebenso nur auf Beschluß des Kongresses der Staatsversammlung gerichtlich belangt werden. In beiden Fällen kann die gerichtliche Belangung nur von der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Staatsversammlung beantragt werden. Die gerichtliche Belangung wird vom Kongreß der Staatsversammlung mit einer Dreiviertelmehrheit des gesetzlichen Bestandes des Staatsversammlung beschlossen. Für die Verhandlung und Entscheidung der Angelegenheit ist das Staatsgericht zuständig.
Im Falle, daß der Präsident der Republik während seiner Amtszeit gerichtlich belangt wird, wählt der im § 46 bezeichnete Wahlkörper einen Stellvertreter des Präsidenten der Republik, der die Obliegenheiten des Präsidenten der Republik ausübt, bis das freisprechende oder das die Belangung beendende Gerichtsurteil rechtkräftig wird, oder bis ein neuer Präsident der Republik sein Amt antritt. Der Stellvertreter des Präsidenten der Republik hat weder das Recht, die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer noch die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates anzuordnen.
Wenn das Gericht den Präsidenten der Republik freispricht oder das Verfahren gegen ihn niederschlägt, wird sofort die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates vorgenommen. Wenn das Gericht den Präsidenten der Republik verurteilt, wird sofort zur Wahl eines neuen Präsidenten der Republik geschritten.
Die nähere Ordnung der gerichtlichen Belangung und des Verfahrens wird durch Gesetz bestimmt.
[21] § 46. Wenn das Amt des Präsidenten der Republik vakant ist, oder wenn der Präsident der Republik in den im Gesetz bezeichneten Fällen an der Ausübung seiner Amtspflichten verhindert ist, so erfüllt die Obliegenheiten des Präsidenten der Republik der Ministerpräsident, wobei er die Obliegenheiten des Ministerpräsidenten für die Zeit, in der er die Obliegenheiten des Präsidenten der Republik ausübt, dem Stellvertreter des Ministerpräsidenten überträgt.
Wenn das Amt des Präsidenten der Republik vorzeitig vakant wird, so wird sofort die Wahl eines neuen Präsidenten der Republik in Angriff genommen. Wenn die Hindernisse bei der Ausübung der Amtspflichten des Präsidenten der Republik in den im Gesetz bezeichneten Fällen ununterbrochen über sechs Monate gedauert haben, so kann auf Beschluß des Wahlkörpers zur Wahl eines neuen Präsidenten der Republik geschritten werden.
Wenn während eines Krieges das Amt des Präsidenten der Republik vakant wird oder die Hindernisse bei der Ausübung der Amtspflichten des Präsidenten der Republik in den im Gesetz bezeichneten Fällen ununterbrochen über sechs Monate gedauert haben, so schreitet der Wahlkörper sofort zur Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten der Republik. Wenn die Hindernisse ununterbrochen über einen Monat gedauert haben, so kann der Wahlkörper aus staatlichen Erwägungen auch vor dem Ablauf von sechs Monaten zur Wahl des Stellvertreters des Präsidenten schreiten.
Dem Wahlkörper gehören an: der Ministerpräsident, der Oberbefehlshaber oder der Chef des Heeres, der Präsident der Abgeordnetenkammer, der Präsident des Staatsrates und der Präsident des Staatsgerichts. Der Wahlkörper wird vom Ministerpräsidenten entweder aus eigener Initiative oder auf Verlangen von wenigstens drei Mitgliedern des Wahlkörpers, zu denen im Kriegsfalle der Oberbefehlshaber des Heeres gehören muß, einberufen. Die nähere Ordnung der Tätigkeit des Wahlkörpers wird durch Gesetz bestimmt.
Die Vollmachten des Stellvertreters des Staatspräsidenten beginnen mit der Ablegung des feierlichen Gelöbnisses vor dem Wahlkörper und erlöschen mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten der Republik.
Der die Obliegenheiten des Präsidenten der Republik ausübende Ministerpräsident hat weder das Recht, die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer noch die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates anzuordnen.
Mit dem Amtsantritt des Stellvertreters des Präsidenten der Republik erlöschen die Vollmachten des bisherigen Präsidenten der Republik.
§ 47. Dem Präsidenten der Republik steht ein Justizkanzler zur Seite, den der Präsident der Republik kraft Sonderrechts ernennt und entläßt.
Aufgabe des Justizkanzlers ist die Überwachung der Gesetzmäßigkeit der Tätigkeit der staatlichen und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Institutionen. Er legt dem Präsidenten der Republik über seine Tätigkeit, über die aufgedeckten Mißstände und über die erlassenen Anordnungen Rechenschaft ab und unterbreitet Berichte über seine Tätigkeit der Abgeordnetenkammer und dem Staatsrat zur Kenntnisnahme.
Hinsichtlich der Leitung des ihm unterstellten Ressorts stehen dem Justizkanzler alle Rechte zu, die in den entsprechenden Gesetzen [22] für die Minister vorgesehen sind. Er hat das Recht, mit beratender Stimme an den Sitzungen der Regierung der Republik teilzunehmen.
Die näheren Aufgaben des Justizkanzlers und die Grundlagen seiner Tätigkeit werden durch Gesetz bestimmt.
§ 48. Die Regierung der Republik übt die Regierungsgewalt aus.
Die Regierung der Republik außer ihren sonstigen in der Verfassung vorgesehenen Obliegenheiten:
- 1. führt die Politik des Staates auf allen Gebieten;
- 2. sorgt für die Vollziehung der Gesetze;
- 3. unterbreitet dem Präsidenten der Republik Anträge hinsichtlich der zu dessen Zuständigkeitsbereich gehörigen Fragen, mit Ausnahme jener Fragen, über die der Präsident der Republik kraft Sonderrechts beschließt;
- 4. erläßt die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung der Beschlüsse des Präsidenten der Republik;
- 5. beschließt über Fragen, die ihr durch Gesetz zur Beschlußfassung anvertraut sind.
§ 49. Die Regierung der Republik besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.
Zur Betreuung der einzelnen Zweige der Verwaltung werden durch Gesetz diesbezügliche Ministerien gegründet.
Die nähere Organisation der Verwaltung wird durch Gesetz bestimmt.
§ 50. Die Regierung der Republik oder die einzelnen Mitglieder derselben werden vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts ernannt und entlassen.
Mit der Entlassung des Ministerpräsidenten scheidet die gesamte Regierung der Republik aus dem Amt.
Die Ernennung und Entlassung der einzelnen Mitglieder der Regierung der Republik geschieht auf Vorschlag des Ministerpräsidenten.
§ 51. Beim Amtsantritt legen die Mitglieder der Regierung der Republik dem Präsidenten der Republik das feierliche Gelöbnis ab, daß sie unwandelbar die Verfassung und die Gesetze wahren, und daß sie treu und unparteiisch ihre Pflichten erfüllen werden.
Die Regierung der Republik oder die einzelnen Mitglieder derselben gelten von der Ablegung des feierlichen Gelöbnisses an als im Amt befindlich.
Die Regierung der Republik scheidet mit dem Amtsantritt der neuen Regierung der Republik aus dem Amt. Ein einzelnes Mitglied der Regierung der Republik scheidet, von dem diesbezüglichen Beschluß des Präsidenten der Republik an gerechnet, aus dem Amt.
§ 52. Der Ministerpräsident vertritt die Regierung der Republik, leitet und vereinheitlicht die Tätigkeit der Regierung der Republik, führt den Vorsitz in den Sitzungen der Regierung der Republik, kann [23] von den einzelnen Ministern Rechenschaft über ihre Tätigkeit fordern und ihnen Richtlinien für ihre Tätigkeit geben.
Auf Vorschlag des Ministerpräsidenten ernennt der Präsident der Republik aus der Zahl der Minister einen Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Wenn weder der Ministerpräsident noch sein Stellvertreter die Aufgaben des Ministerpräsidenten erfüllen kann, so werden diese Aufgaben vom ältesten Mitglied der Regierung der Republik erfüllt.
§ 53. Der Minister leitet das Ministerium, regelt die den Tätigkeitsbereich des Ministeriums betreffenden Fragen und erfüllt die sonstigen Aufgaben, welche ihm auf der Grundlage und in dem Umfang, die durch das Gesetz bestimmt werden, auferlegt worden sind.
Der Präsident der Republik kann Minister ernennen, ohne daß ihrer Leitung ein bestimmtes Ministerium untersteht.
Wenn ein Minister wegen Krankheit oder sonstiger Hindernisse zeitweilig seine Obliegenheiten nicht erfüllen kann, werden diese Obliegenheiten vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Ministerpräsidenten einem anderen Minister übertragen.
§ 54. Die Regierung der Republik und die einzelnen Minister haben das Recht, auf der Grundlage und in dem Umfang, die im Gesetz vorgesehen sind, Verordnungen zu erlassen.
§ 55. Die Sitzungen der Regierung der Republik sind geschlossen. Bei besonders feierlichen Gelegenheiten können sie auf Anordnung des Präsidenten der Republik für öffentlich erklärt werden.
Die Regierung der Republik faßt ihre Beschlüsse auf Vorschlag des zuständigen Ministers. Die Beschlüsse der Regierung der Republik sind gültig, wenn sie die Unterschrift des Ministerpräsidenten, des zuständigen Ministers und des Staatssekretärs tragen.
§ 56. Wenn der Präsident der Republik auf der Sitzung der Regierung der Republik anwesend ist, so leitet er diese Sitzung.
Der Präsident der Republik kann von der Regierung der Republik und von jedem ihrer Mitglieder Berichte über die in ihren Wirkungsbereich fallenden Angelegenheiten anfordern.
Der Präsident der Republik kann die Regierung der Republik und die Mitglieder derselben zu Beratungen einberufen.
§ 57. Bei der Regierung der Republik befindet sich die unter Leitung des Staatssekretärs stehende Staatskanzlei. Der Staatssekretär arbeitet unter der Aufsicht des Ministerpräsidenten. Der Staatssekretär wird vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts ernannt und entlassen.
Hinsichtlich der Leitung des ihm unterstellten Ressorts stehen dem Staatssekretär alle Rechte zu, die in den entsprechenden Gesetzen für die Minister vorgesehen sind.
Die näheren Aufgaben des Staatssekretärs und der Staatskanzlei werden durch Gesetz bestimmt.
§ 58. Eine gerichtliche Belangung des Ministerpräsidenten und der Minister kann nur auf Beschluß des Kongresses der Staatsversammlung erfolgen, wobei dieser Beschluß mit einer Dreifünftelmehrheit des gesetzlichen Bestandes der Staatsversammlung gefaßt werden muß. Die gerichtliche Belangung kann vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts sowie auch von der Mehrheit des gesetzlichen [24] Bestandes der Abgeordnetenkammer oder des Staatsrates beantragt werden. Für die Verhandlung und Entscheidung der Angelegenheit ist das Staatsgericht zuständig. Die nähere Ordnung der gerichtlichen Belangung und des Verfahrens wird durch Gesetz bestimmt.
Mit der gerichtlichen Belangung scheidet der Ministerpräsident oder der Minister aus dem Amt.
§ 59. Die Abgeordnetenkammer kann durch einen diesbezüglichen Beschluß der Regierung der Republik oder einem einzelnen Mitglied derselben ihr ausdrückliches Mißtrauen aussprechen.
Ein Mißtrauensantrag kann während einer Tagung der Abgeordnetenkammer gestellt werden, wobei mindestens ein Viertel des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer eine diesbezügliche schriftliche Forderung vorbringen muß. Über diesen Antrag kann frühestens am Tage nach der Einreichung dieser Forderung entschieden werden, falls nicht die Regierung der Republik eine schnellere Entscheidung über den Antrag fordert. Das Mißtrauen gilt als ausgesprochen, wenn die Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer dafür ist.
Im Laufe von drei Tagen nach der Annahme der Mißtrauenserklärung kann der Präsident der Republik, falls er nicht die Regierung der Republik oder das einzelne Mitglied derselben ihres Amtes enthebt und keine Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer ausschreibt, dem Mißtrauensantrag dem Staatsrat zur Beschlußfassung unterbreiten, der seinen Beschluß auf der nächsten Sitzung nach Eingang des Beschlusses der Abgeordnetenkammer faßt.
Wenn sich der Staatsrat mit der Mehrheit seines gesetzlichen Bestandes dem Beschluß der Abgeordnetenkammer anschließt, so enthebt der Präsident der Republik die Regierung der Republik oder das einzelne Mitglied derselben ihres Amtes, falls er es nicht für notwendig hält, die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates anzuordnen. Schließt sich der Staatsrat nicht mit der Mehrheit seines gesetzlichen Bestandes dem Beschluß der Abgeordnetenkammer an, so enthebt der Präsident der Republik entweder die Regierung der Republik oder das einzelne Mitglied derselben ihres Amtes, oder er schreibt die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer aus.
Wenn der Präsident der Republik in der in den vorhergehenden Absätzen vorgesehenen Ordnung die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer ausgeschrieben oder die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates angeordnet hat, und wenn der neue Bestand der Abgeordnetenkammer im Laufe von sieben Tagen nach seinem Zusammentritt derselben Regierung der Republik oder demselben Mitglied der Regierung der Republik in der im zweiten Absatz dieses Paragraphen vorgesehenen Ordnung ein ausdrückliches Mißtrauen ausspricht, dann enthebt der Präsident der Republik die Regierung der Republik oder das einzelne Mitglied derselben ihres Amtes und ordnet gleichzeitig die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates an, falls sich der Staatsrat dem Beschluß der Abgeordnetenkammer gegen die ihres Amtes zu enthebende Regierung nicht in der Ordnung des vorigen Absatzes angeschlossen hatte.
[25]
§ 60. Die Staatsversammlung nimmt Gesetze an und erfüllt sonstige Aufgaben auf Grund der Verfassung.
Die Staatsversammlung ist eine aus zwei Kammern bestehende Volksvertretung. Sie besteht aus der Abgeordnetenkammer und dem Staatsrat.
§ 61. Die Staatsversammlung übt die ihr zustehende Macht auf dem Kongreß der Staatsversammlung, in der Sitzung der Abgeordnetenkammer und in der Sitzung des Staatsrates aus.
§ 62. Die innere Ordnung der Geschäftsführung der Staatsversammlung, der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates sowie ihrer Organe und ihr Geschäftsverkehr untereinander, desgleichen die Rechte und Pflichten der Mitglieder der Staatsversammlung auf dem Kongreß der Staatsversammlung, in der Abgeordnetenkammer und im Staatsrat sowie in den Ausschüssen derselben werden durch eine Geschäftsordnung der Staatsversammlung bestimmt, die durch Beschluß des Kongresses der Staatsversammlung angenommen wird.
Das Verhältnis der Staatsversammlung, der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates sowie ihrer Organe zu anderen Institutionen und die Ordnung des Geschäftsverkehrs zu denselben, desgleichen die Rechte und Pflichten des Präsidenten der Republik und der Mitglieder der Regierung der Republik auf dem Kongreß der Staatsversammlung, in der Abgeordnetenkammer und im Staatsrat sowie in den Ausschüssen derselben werden durch Gesetz bestimmt.
§ 63. Die Staatsversammlung, die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat haben das Recht, das Erscheinen des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister auf ihren Sitzungen zwecks Abgabe von Erklärungen zu fordern.
Der Ministerpräsident und die Minister haben das Recht, im Kongreß der Staatsversammlung, in der Abgeordnetenkammer und im Staatsrat sowie in den Ausschüssen derselben Erklärungen abzugeben.
§ 64. Der Kongreß der Staatsversammlung besteht aus den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates. Der Kongreß der Staatsversammlung ist beschlußfähig, wenn wenigstens die Hälfte des gesetzlichen Bestandes der Staatsversammlung anwesend ist. Mit Ausnahme der Fälle, die in der Verfassung anders geregelt sind, faßt der Kongreß der Staatsversammlung seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder.
[26] § 65. Das Präsidium des Kongresses der Staatsversammlung besteht aus den Präsidien der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates.
Der Kongreß der Staatsversammlung wird vom Präsidium des Kongresses der Staatsversammlung aus eigener Initiative oder auf Verlangen des Präsidenten der Republik einberufen.
Der Kongreß wird vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer, in dessen Abwesenheit oder in Fällen, in denen er aus irgendwelchen Gründen die Sitzung nicht leiten kann, vom Präsidenten des Staatsrates, wenn aber beide fehlen oder in Fällen, in denen beide die Sitzung nicht leiten können, von den übrigen Mitgliedern des Präsidiums geleitet.
§ 66. Außer zu sonstigen in der Verfassung vorgesehenen Aufgaben kann der Kongreß der Staatsversammlung zu feierlichen Gelegenheiten, sowie auch zur Entgegennahme von Erklärungen des Präsidenten der Republik oder der Regierung der Republik einberufen werden.
Während eines Krieges werden auf Verlangen des Präsidenten der Republik alle zum Wirkungsbereich der Staatsversammlung gehörigen Angelegenheiten, die wegen der Erfordernisse der Staatsverteidigung einer schnellen Entscheidung bedürfen, dem Kongreß der Staatsversammlung zur Beschlußfassung unterbreitet.
§ 67. Die Abgeordnetenkammer besteht aus achtzig Mitgliedern, die in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Abstimmung auf dem Wege der Persönlichkeitswahl nach dem Grundsatz der Mehrheitswahl gewählt werden.
Das Recht, an der Wahl der Mitglieder der Abgeordnetenkammer teilzunehmen, hat jeder stimmberechtigte Bürger Estlands, wenn er wenigstens ein Jahr lang vor den Wahlen in dem entsprechenden Wahlkreis oder innerhalb der Verwaltungsgrenzen der entsprechenden Selbstverwaltung seinen Wohnort oder seine Arbeitsstelle gehabt hat, wobei Personen, die aus beruflichen Gründen einen neuen Wohnort oder eine neue Arbeitsstelle haben oder von ihrem Wohnort oder ihrer Arbeitsstelle abwesend sind, das Wahlrecht im Wahlkreis ihres Wohnortes oder ihrer Arbeitsstelle haben.
Zum Mitglied der Abgeordnetenkammer kann jeder stimmberechtigte Bürger Estlands gewählt werden, der wenigstens fünfundzwanzig Jahre alt ist, und der wenigstens ein Jahr lang vor den Wahlen seinen Wohnort innerhalb des Staatsgebiets des Republik Estland gehabt hat.
Die nähere Ordnung der Wahl der Abgeordnetenkammer wird durch Gesetz bestimmt.
§ 68. Nach je fünf Jahren erfolgt die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer.
Der Präsident der Republik hat das Recht, vor Ablauf von fünf Jahren die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer [27] auszuschreiben, falls staatliche Erwägungen dieses erfordern. In diesem Falle muß die Wahl des neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer spätestens im Laufe von fünfundvierzig Tagen von dem Tage an gerechnet stattfinden, an dem der Präsident der Republik den Beschluß betreffend die Ausschreibung der Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer gefaßt hat.
Die Vollmachten der Mitglieder der Abgeordnetenkammer beginnen vom Tage, an dem die Ergebnisse der Wahl der Abgeordnetenkammer verkündet werden, und mit dem gleichen Tage erlöschen die Vollmachten der Mitglieder des vorherigen Bestandes der Abgeordnetenkammer.
§ 69. Bei der Übernahme seiner Amtspflichten legt jedes Mitglied der Abgeordnetenkammer ein feierliches Gelöbnis ab, in dem zum Ausdruck gebracht wird, daß es der Republik Estland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung treu bleiben wird. Die Ordnung, in der das feierliche Gelöbnis abgelegt wird, und der Wortlaut des Gelöbnisses werden durch das im zweiten Absatz des § 62 erwähnte Gesetz bestimmt. Wenn ein Mitglied der Abgeordnetenkammer sich weigert, das feierliche Gelöbnis abzulegen, oder dasselbe nur bedingt ablegt, so erlöschen die Vollmachten dieses Mitgliedes.
§ 70. Die Abgeordnetenkammer wählt auf ihrer ersten Sitzung nach den Wahlen den Präsidenten und die übrigen Mitglieder des Präsidiums. Diese Sitzung leitet bis zur Wahl des Präsidenten der bisherige Präsident der Abgeordnetenkammer.
§ 71. Die Abgeordnetenkammer tritt zu ordentlichen Tagungen am zweiten Dienstag des Januar und des Oktober eines jeden Jahres zusammen. Nach den Neuwahlen wird die Abgeordnetenkammer vom Präsidenten der Republik spätestens im Laufe von zwei Wochen nach der Verkündung der Wahlergebnisse zu einer ordentlichen Tagung einberufen.
Das Präsidium der Abgeordnetenkammer kann die Abgeordnetenkammer auch zu außerordentlichen Tagungen einberufen. Das Präsidium der Abgeordnetenkammer ist verpflichtet, die Abgeordnetenkammer einzuberufen, wenn der Präsident der Republik oder ein Viertel des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer dieses fordert. Die Abgeordnetenkammer ist verpflichtet, in einer auf Verlangen des Präsidenten der Republik einzuberufenden außerordentlichen Tagung nur diejenigen Angelegenheiten auf die Tagesordnung zu setzen und durchzuberaten, von denen der Präsident der Republik dieses fordert.
Die Tagungen der Abgeordnetenkammer werden vom Präsidenten der Republik geschlossen. Die am zweiten Dienstag des Januar zusammentretende ordentliche Tagung der Abgeordnetenkammer kann der Präsident der Republik nicht vor dem Ablauf von drei Monaten, die am zweiten Dienstag des Oktober zusammentretende – nicht vor dem Ablauf von zwei Monaten und die nach der Wahl des neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer zusammentretende – nicht vor dem Ablauf von zwei Wochen schließen, mit Ausnahme der Fälle, in denen der Präsident der Republik im Laufe dieser Fristen die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer ausgeschrieben hat, oder in denen sich die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat an den Präsidenten der Republik mit dem Vorschlag wenden, die Tagung früher zu [28] schließen. In die genannten Fristen wird die Zeit nicht eingerechnet, während der die Tagung der Abgeordnetenkammer durch den Präsidenten der Republik oder gemäß einem gemeinsamen Beschluß der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates unterbrochen gewesen ist.
Der Präsident der Republik hat das Recht, die ordentlichen und die außerordentlichen Tagungen der Abgeordnetenkammer einmal im Verlauf einer Tagung für die Dauer von bis zu zwei Wochen zu unterbrechen.
Die ordentlichen Tagungen der Abgeordnetenkammer mit Einschluß derjenigen außerordentlichen Tagungen, die vom Präsidium der Abgeordnetenkammer aus eigener Initiative oder auf Verlangen der Mitglieder der Abgeordnetenkammer einberufen worden sind, dürfen nicht länger als sechs Monate im Jahr dauern.
Auf ein diesbezügliches Verlangen des Präsidenten der Republik werden die einzelnen Ausschüsse der Abgeordnetenkammer auch in der Zeit zwischen den Tagungen der Abgeordnetenkammer einberufen.
§ 72. In der Zwischenzeit, gerechnet vom Ablauf der fünfjährigen Dauer der Vollmachten des Bestandes der Abgeordnetenkammer oder von der Ausschreibung der Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer durch den Präsidenten der Republik bis zur Verkündung der Ergebnisse der Wahl der Abgeordnetenkammer, kann die Abgeordnetenkammer zu Tagungen nur auf Verlangen des Präsidenten der Republik einberufen werden, der die Tagesordnung und die Schließung dieser Tagungen bestimmt.
§ 73. Während eines Krieges hat der Präsident der Republik das Recht, nach Anhören der Meinungen des Präsidiums des Kongresses der Staatsversammlung und des Oberbefehlshabers des Heeres die Tagungen der Abgeordnetenkammer ohne Rücksichtnahme auf die im § 71 vorgesehenen Fristen zu schließen.
Während eines Krieges können außerordentliche Tagungen der Abgeordnetenkammer nur auf Verlangen des Präsidenten der Republik, sowie auf Initiative des Präsidiums des Kongresses der Staatsversammlung mit Einverständnis des Präsidenten der Republik und mit einer vom Präsidenten der Republik festgesetzten Tagesordnung einberufen werden.
§ 74. Die Abgeordnetenkammer ist beschlußfähig, wenn wenigstens die Hälfte ihres gesetzlichen Bestandes anwesend ist.
§ 75. Die Sitzungen der Abgeordnetenkammer sind öffentlich. Nur in außerordentlichen Fällen, wenn hiermit wenigstens zwei Drittel der anwesenden Mitglieder einverstanden sind, kann die Abgeordnetenkammer den Ausschluß der Öffentlichkeit von ihren Sitzungen beschließen.
§ 76. Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer sind nicht durch Mandate gebunden.
§ 77. Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer können nicht im Staatsdienst stehen, sofern die Ernennung oder die Bestätigung im Amt durch den Präsidenten der Republik, die Regierung der Republik, die Regierungs- oder Gerichtsinstitutionen oder die Staatsunternehmen geschieht.
[29] Die Vorschrift des vorigen Absatzes bezieht sich nicht auf die Mitglieder der Regierung der Republik und diejenigen Personen, die auf Grund von Vorschlägen von privaten, von Selbstverwaltungs- oder von autonomen Institutionen ernannt oder im Amt bestätigt werden.
Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer dürfen weder Lieferungsaufträge vom Staat noch Konzessionen zur Nutzung von Staatsvermögen annehmen.
Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer können als solche keinerlei fremde Angelegenheiten im Namen und im Interesse anderer Personen in den Regierungsinstitutionen betreiben.
Die Einzelheiten betreffend die Anwendung dieses Paragraphen werden durch das im zweiten Absatz des § 62 bezeichnete Gesetz bestimmt.
§ 78. Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer tragen außer der in der Geschäftsordnung vorgesehenen keinerlei Verantwortung für ihre politischen Äußerungen, die sie im Kongreß der Staatsversammlung oder in der Abgeordnetenkammer oder in den Ausschüssen derselben getan haben.
Die Abgeordnetenkammer hat ein Ehrengericht. Die Ordnung seiner Bildung und Geschäftsführung und seine Befugnisse, soweit dieselben nicht außerhalb des Bestandes der Staatsversammlung stehende Personen berühren, werden durch die Geschäftsordnung der Staatsversammlung bestimmt.
Das Präsidium der Abgeordnetenkammer kann dem Ehrengericht auch Ehrensachen zwischen einem Mitglied der Abgeordnetenkammer und einer außerhalb des Bestandes der Abgeordnetenkammer stehenden Person, die ein Mitglied der Abgeordnetenkammer im Kongreß der Staatsversammlung oder in der Abgeordnetenkammer oder in den Ausschüssen derselben veranlaßt hat, zur Entscheidung unterbreiten. Die nähere Ordnung der Geschäftsführung und die Befugnisse des Ehrengerichts, soweit dieselben außerhalb des Bestandes der Staatsversammlung stehende Personen berühren, werden durch das im zweiten Absatz des § 62 bezeichnete Gesetz bestimmt.
§ 79. Ohne Einverständnis der Abgeordnetenkammer kann kein Mitglied derselben verhaftet werden, mit Ausnahme der Fälle, in denen dasselbe auf frischer Tat ertappt worden ist. Von der Verhaftung und ihren Gründen wird spätestens im Laufe von achtundvierzig Stunden dem Präsidium der Abgeordnetenkammer Mitteilung gemacht, das diese Mitteilung der Abgeordnetenkammer auf ihrer nächsten Sitzung zur Beschlußfassung unterbreitet.
Die Abgeordnetenkammer hat das Recht, eine Haft oder sonstige Beschränkung, die einem ihrer Mitglieder auferlegt worden ist, bis zur Zeit zwischen den Tagungen der Abgeordnetenkammer oder bis zum Ablauf der Vollmachten der Abgeordnetenkammer hinauszuschieben.
§ 80. Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer werden für die Dauer ihrer Vollmachten vom Militärdienst befreit.
§ 81. Die Mitglieder der Abgeordnetenkammer beziehen nur für die Dauer der Tagungen der Abgeordnetenkammer ein Gehalt. Außerdem erhalten die Mitglieder der Abgeordnetenkammer freie Fahrt oder Fahrgelder.
[30] Die Grundlagen des Gehalts der Mitglieder der Abgeordnetenkammer und der freien Fahrt oder der Fahrgelder werden durch ein Gesetz bestimmt, das nur in bezug auf den folgenden Bestand der Abgeordnetenkammer geändert werden kann.
§ 82. Jedes Mitglied der Abgeordnetenkammer hat das Recht, sich auf der Sitzung der Abgeordnetenkammer mit schriftlichen Anfragen an die Regierung der Republik oder einen einzelnen Minister zu wenden. Ein Viertel des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer hat das Recht, sich auf der Sitzung der Abgeordnetenkammer mit einer schriftlichen Interpellation an die Regierung der Republik zu wenden. Die Interpellation muß mit einer Erklärung beantwortet werden.
Die Abgeordnetenkammer hat das Recht, Enqueteausschüsse zu bilden, die vom Präsidium der Abgeordnetenkammer auch in der Zeit zwischen den Tagungen einberufen werden können.
§ 83. Wenn ein Mitglied der Abgeordnetenkammer sein Wahlrecht verliert, mit Genehmigung der Abgeordnetenkammer verhaftet ist, durch den Tod oder durch Rücktritt ausscheidet, die Ablegung des feierlichen Gelöbnisses verweigert oder dasselbe nur bedingt ablegt, findet im entsprechenden Wahlkreis Neuwahlen statt, wenn bis zum Ablauf der Vollmachten des derzeitigen Bestandes der Abgeordnetenkammer nicht weniger als drei Monate übriggeblieben sind. Das neue Mitglied tritt an die Stelle des ausgeschiedenen Mitgliedes bis zum Ablauf der Vollmachten des derzeitigen Bestandes der Abgeordnetenkammer.
§ 84. Mitglieder des Staatsrates sind:
- 1. von Amts wegen:
- a) der Oberbefehlshaber oder der Chef des Heeres;
- b) die Oberhäupter der zwei bedeutendsten und größten Kirchen in Estland;
- c) die Rektoren von zwei autonomen höheren wissenschaftlichen Lehranstalten;
- d) der Leiter der Emissionsbank;
- 2. auf Grund von Wahlen:
- a) von Landselbstverwaltungen – drei Mitglieder;
- b) von den Stadtselbstverwaltungen – ein Mitglied;
- c) von den berufsständischen Selbstverwaltungen – sechzehn Mitglieder; davon von der Landwirtschaft und der Fischerei – fünf, von der Industrie, dem Handwerk, dem Handel, der Schiffahrt und dem Genossenschaftswesen – fünf, von der Arbeitnehmerschaft – drei, vom städtischen Immobilienbesitz – eins, von den freien Berufen – eins, von der Hauswirtschaft – eins;
- d) vom Schutzkorps – ein Mitglied;
- e) vom Gebiet der Bildung und Kultur – ein Mitglied;
[31]
- f) vom Gebiet der Kultur der völkischen Minderheiten – ein Mitglied;
- g) vom Gebiet der Volksgesundheitspflege – ein Mitglied;
- 3) auf Grund von Ernennung:
- zehn Mitglieder, die vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts ernannt werden.
Auf Grund eines persönlichen Rechts haben die ehemaligen Präsidenten der Republik, die auf Grund der vorliegenden Verfassung im Amt gewesen sind, und die ehemaligen Oberbefehlshaber des Heeres, die während eines Krieges dieses Amt bekleidet haben, das Recht, Mitglieder des Staatsrates zu sein.
Die Mitglieder des Staatsrates müssen stimmberechtigte Bürger Estlands sein, die 1) wenigstens vierzig Jahre alt sind, 2) wenigstens drei Jahre vor ihrer Wahl oder Ernennung ihren Wohnort innerhalb des Staatsgebiets der Republik Estland gehabt haben und 3) sofern sie gewählt oder ernannt werden, den in § 85 vorgesehenen Anforderungen entsprechen.
Diejenigen Personen, die auf Grund von Wahlen Mitglieder des Staatsrates sind, müssen das Wahlrecht bei den Wahlen in den entsprechenden Institutionen besitzen.
Die nähere Ordnung der Bildung des Bestandes des Staatsrates wird durch Gesetz bestimmt.
§ 85. Bei der Wahl oder Ernennung der Mitglieder des Staatsrates gilt als allgemeine Richtschnur, daß die entsprechenden Bürger: 1) geachtete und würdige Persönlichkeiten mit anerkannter staatsbürgerlicher Tugend und staatlicher Denkweise sein müssen, und 2) daß sie über Kenntnisse und Lebenserfahrungen verfügen müssen, die für die Tätigkeit des Staatsrates von Nutzen sein können.
Durch das Gesetz betreffend die Bildung des Staatsrates wird als Grundlage für die Kenntnisse und Lebenserfahrungen die Dauer der Tätigkeit der Bürger in ihrer Berufsarbeit oder im öffentlichen Leben näher bestimmt, jedoch so, daß die erforderliche Mindestdauer dieser Arbeit oder Tätigkeit nicht weniger als zwei Jahre und die erforderliche Höchstdauer nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
Ein Gesetz, das den im vorigen Absatz bezeichneten Teil des Gesetzes betreffend die Bildung des Staatsrates ändert oder ergänzt, kann nur mit der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates angenommen werden, wobei die im letzten Absatz des § 95 enthaltene Vorschrift keine Anwendung findet.
§ 86. Nach je fünf Jahren erfolgt die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates.
Der Präsident der Republik hat das Recht, vor Ablauf von fünf Jahren die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates anzuordnen, wenn staatliche Erwägungen dieses erfordern. In diesem Falle muß die Bildung des neuen Bestandes des Staatsrates spätestens im Laufe von fünfundvierzig Tagen von dem Tage an gerechnet stattfinden, an dem der Präsident der Republik den Beschluß betreffend die Bildung des neuen Bestandes des Staatsrates gefaßt hat.
Die Vollmachten der Mitglieder des Staatsrates beginnen vom Tage, an dem die Ergebnisse der Bildung des Gesamtbestandes des Staatsrates [32] verkündet werden, und mit dem gleichen Tage erlöschen die Vollmachten der Mitglieder des vorherigen Bestandes des Staatsrates. Falls jedoch die Bildung des neuen Bestandes des Staatsrates vom Präsidenten der Republik gleichzeitig mit der Ausschreibung der Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer angeordnet worden ist, beginnen und erlöschen die Vollmachten der Mitglieder des Staatsrates gleichzeitig mit dem Beginn und dem Erlöschen der Vollmachten der Mitglieder der Abgeordnetenkammer.
§ 87. Die Tagungen des Staatsrates beginnen und enden gleichzeitig mit den Tagungen der Abgeordnetenkammer. Die auf die Tagungen der Abgeordnetenkammer bezüglichen Vorschriften finden auch auf die Tagungen des Staatsrates Anwendung.
§ 88. Niemand kann gleichzeitig Mitglied der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates sein.
§ 89. Die §§ 69, 70, 74, 75, 76, der dritte, vierte und fünfte Absatz des § 77, sowie die §§ 78, 79, 80 und 81 dieser Verfassung finden auch auf den Staatsrat und dessen Mitglieder entsprechende Anwendung.
§ 90. Jedes Mitglied des Staatsrates hat das Recht, sich auf der Sitzung des Staatsrates mit schriftlichen Anfragen an die Regierung der Republik oder einen einzelnen Minister zu wenden.
§ 91. Wenn ein Mitglied des Staatsrates das Recht verliert, Mitglied des Staatsrates zu sein, mit Genehmigung des Staatsrates verhaftet ist, durch den Tod oder durch Rücktritt ausscheidet, die Ablegung des feierlichen Gelöbnisses verweigert oder dasselbe nur bedingt ablegt, so wird anstelle dieses Mitgliedes, wenn bis zum Ablauf der Vollmachten des derzeitigen Bestandes des Staatsrates nicht weniger als drei Monate übriggeblieben sind, ein neues Mitglied in demselben Verfahren gewählt oder ernannt, in dem das ausgeschiedene Mitglied gewählt oder ernannt worden war. Das neue Mitglied tritt an die Stelle des ausgeschiedenen Mitgliedes bis zum Ablauf der Vollmachten des derzeitigen Bestandes des Staatsrates.
§ 92. Das Recht zur Beantragung von Gesetzen hat die Regierung der Republik mit Wissen des Präsidenten der Republik und wenigstens ein Fünftel des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer.
Die von den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer beantragten Gesetzentwürfe, die die Aufnahme neuer Ausgabenposten in den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates oder die Verringerung oder Streichung von Einnahmen des Staates bedingen, müssen von den Antragstellern mit den notwendigen finanziellen Kalkulationen versehen werden, in denen die zur Deckung der Unkosten erforderlichen Einnahmequellen anzugeben sind. Derartige Entwürfe können nur mit Zustimmung der Regierung der Republik und mit Wissen des Präsidenten der Republik in der Abgeordnetenkammer zur Beratung gelangen.
Das Recht zur Beantragung von Gesetzen, die die bewaffnete Macht des Staates und die Pflichten der Bürger auf dem Gebiet der Staatsverteidigung [33] betreffen, steht nur der Regierung der Republik mit Wissen des Präsidenten der Republik zu.
Die Abgeordnetenkammer wie auch der Staatsrat haben das Recht, sich auf Beschluß der Mehrheit ihres gesetzlichen Bestandes an die Regierung der Republik mit dem Vorschlag zu wenden, ein von ihnen als wünschenswert betrachtetes Gesetz zu beantragen.
§ 93. Die beantragten Gesetzentwürfe unterliegen zunächst der Annahme durch die Abgeordnetenkammer.
§ 94. Zu den von der Abgeordnetenkammer angenommenen Gesetzentwürfen muß der Staatsrat spätestens im Laufe von dreißig Tagen, gerechnet vom Empfang des Entwurfs seitens des Präsidiums der Abgeordnetenkammer, Stellung nehmen. In bezug auf einige Arten von Gesetzentwürfen kann diese Frist durch das im zweiten Absatz des § 62 bezeichnete Gesetz verlängert oder verkürzt werden. In den Fällen einer Schließung oder Unterbrechung der Tagung wird in diese Frist jene Zeit nicht eingerechnet, in der die Staatsversammlung nicht versammelt ist.
§ 95. Wenn der Staatsrat dem Präsidium der Abgeordnetenkammer sein Einverständnis zum Gesetzentwurf mitteilt, so gilt der Entwurf als von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz und wird zur Verkündung unterbreitet. Desgleichen gilt der Entwurf als von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz, wenn der Staatsrat im Laufe der in § 94 vorgeschriebenen Frist seine Stellungnahme nicht mitteilt.
Wenn der Staatsrat am Entwurf Änderungen vornimmt, gelangen dieselben in der Abgeordnetenkammer zur Beratung.
Wenn die Abgeordnetenkammer sich den vom Staatsrat angenommenen Änderungen anschließt, oder wenn die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat nach einem Einigungsverfahren, das in dem im zweiten Absatz des § 62 bezeichneten Gesetz vorgesehen ist, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt stellen, wird das Gesetz zur Verkündung unterbreitet.
Wenn die Abgeordnetenkammer ungeachtet der entgegengesetzten Stellungnahme des Staatsrates oder im Falle eines Scheiterns des Einigungsverfahrens entweder den gesamten Gesetzentwurf oder einzelne Teile desselben in der früheren von ihr angenommenen Fassung mit einer Stimmenmehrheit von drei Fünfteln ihres gesetzlichen Bestandes annimmt, so wird das Gesetz zur Verkündung unterbreitet.
§ 96. Die Gesetze werden vom Präsidenten der Republik verkündet.
Der Präsident der Republik hat das Recht, aus staatlichen Erwägungen ein von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz unverkündet zu lassen, wobei er dasselbe zur nochmaligen Durchberatung und Beschlußfassung an die Staatsversammlung zurückverweist. Seinen diesbezüglichen motivierten Beschluß teilt der Präsident der Republik spätestens im Laufe von dreißig Tagen nach Empfang des Gesetzes mit.
Wenn das Gesetz in der erneuten Beratung und Beschlußfassung von der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates unverändert angenommen wird, oder wenn die Abgeordnetenkammer dasselbe in den Fällen, die im letzten Absatz des § 95 bezeichnet sind, mit einer Stimmenmehrheit von drei Fünfteln ihres [34] gesetzlichen Bestandes annimmt, so verkündet der Präsident der Republik das Gesetz.
Wenn der Präsident der Republik den Beschluß, ein von ihm nicht verkündetes Gesetz an die Staatsversammlung zu nochmaliger Beratung und Beschlußfassung zurückzuverweisen, in einer Zeit gefaßt hat, in der von ihm auf Grund der §§ 68 und 86 die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates angeordnet worden ist, so berät und beschließt der neue Bestand der Staatsversammlung über dieses Gesetz in der im vorigen Absatz vorgesehenen Ordnung.
§ 97. Abgesehen von der im vierten Absatz des § 96 bezeichneten Ausnahme, gelten Gesetzentwürfe, die beim Ablauf der Vollmachten eines Bestandes der Staatsversammlung noch nicht endgültig angenommen worden sind, in der Staatsversammlung als fortgefallen.
§ 98. Wenn der Präsident der Republik im Interesse des Staates es für notwendig erachtet, in einer wichtigen Frage die Stellungnahme des Volkes zu erfahren, so hat er das Recht, mit Zustimmung des Präsidiums des Kongresses der Staatsversammlung diese Frage dem Volk auf dem Wege einer Volksabstimmung zur Beschlußfassung zu unterbreiten. Der Beschluß des Volkes wird mit Stimmenmehrheit der Abstimmungsteilnehmer gefaßt.
Der Beschluß des Volkes ist für die Staatsorgane bindend, und sie müssen unverzüglich dazu schreiten, die aus diesem Beschluß sich ergebenden Anordnungen zu treffen.
Auf dem Wege einer Volksabstimmung in der Ordnung des vorliegenden Paragraphen kann nicht über Angelegenheiten beschlossen werden, die sich auf eine Änderung der Verfassung, auf Abgaben, auf die Staatsverteidigung, auf völkerrechtliche Verträge oder auf die finanziellen Verpflichtungen des Staates beziehen.
§ 99. Der Präsident der Republik kann in der Zeit zwischen den Tagungen der Staatsversammlung im Falle unaufschiebbarer staatlicher Notwendigkeit Gesetze als Dekret erlassen. Die als Dekret erlassenen Gesetze werden zum Beginn der Tagung der Staatsversammlung übersandt, die Gesetze betreffend ihre Änderung oder Außerkraftsetzung annehmen kann. Die Staatsversammlung kann dieses tun, ohne sich an die für die Beantragung von Gesetzentwürfen vorgesehene Ordnung zu halten, wenn die Abgeordnetenkammer im Laufe von zwei Wochen, vom Beginn einer ordentlichen oder außerordentlichen Tagung an gerechnet, beschlossen hat, einen Gesetzentwurf betreffend Änderung oder Außerkraftsetzung des Dekrets in Beratung zu nehmen.
Der Präsident der Republik kann durch Dekret weder in Kraft setzen noch ändern:
- 1. das Gesetz betreffend die Volksabstimmung;
- 2. die Gesetze betreffend die Wahl der Abgeordnetenkammer und betreffend die Bildung des Staatsrates;
- 3. das Gesetz betreffend die Wahl des Präsidenten der Republik;
- 4. die Geschäftsordnung und das Gesetz, die im § 62 der Verfassung erwähnt werden;
- 5. die in § 39 Ziffer 7, § 101, § 134 Absatz 2 und § 138 der Verfassung erwähnten Gesetze;
[35]
- 6. die Gesetze betreffend das Gehalt des Präsidenten der Republik und der Mitglieder der Staatsversammlung;
- 7. die Gesetze betreffend die gerichtliche Belangung des Präsidenten der Republik und der Mitglieder der Regierung der Republik;
- 8. die Gesetze, die sich auf die Staatskontrolle beziehen;
- 9. das Gesetz betreffend die Gerichtsverfassung;
- 10. das Gesetz betreffend den Voranschlag des Staates;
- 11. die Gesetze, die sich auf äußere und innere Anleihen beziehen;
- 12. die Gesetze, auf Grund welcher Verträge abgeschlossen oder Verpflichtungen zu Lasten des Staates übernommen werden können, die die Aufnahme neuer Ausgabenposten in den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates für dasselbe Budgetjahr oder für die folgenden Budgetjahre bedingen;
- 13. die Gesetze, sie sich auf Konzessionen, Monopole und staatliche Fonds beziehen.
Der Präsident der Republik kann den Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates und die Akte, die nach der Verfassung von der Staatsversammlung in der Form von Beschlüssen angenommen werden müssen, durch Dekret weder in Kraft setzen noch ändern.
§ 100. Kein Gesetz tritt in Kraft, wenn nicht ein Beschluß des Präsidenten der Republik betreffend die Verkündung desselben vorliegt.
Wenn im Gesetz selbst keine andere Ordnung oder Frist vorgesehen ist, tritt das Gesetz am zehnten Tage nach seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger in Kraft.
§ 101. Der Präsident der Republik schließt und ratifiziert Verträge mit auswärtigen Staaten.
Von ihrer Ratifizierung durch den Präsidenten der Republik bedürfen die völkerrechtlichen Verträge der Bestätigung durch die Staatsversammlung. Die völkerrechtlichen Verträge werden der Staatsversammlung durch die Regierung der Republik zur Bestätigung unterbreitet. Durch Gesetz werden die Arten von völkerrechtlichen Verträgen bestimmt, die vor ihrer Ratifizierung keiner Bestätigung durch die Staatsversammlung bedürfen, oder derer Bestätigung in einem besonderen Verfahren erfolgt.
§ 102. Die Bestätigung der völkerrechtlichen Verträge erfolgt durch einen diesbezüglichen Beschluß der Staatsversammlung, der entsprechend den Vorschriften der §§ 94 und 95 gefaßt wird, wobei der Präsident der Republik das Recht hat, zu verlangen, daß die Beschlußfassung über die Bestätigung einzelner völkerrechtlicher Verträge auf dem Kongreß der Staatsversammlung erfolgt.
Die Staatsgrenzen können nur durch völkerrechtliche Verträge, die in dem für Verfassungsänderungen vorgesehenen Verfahren bestätigt worden sind, geändert werden.
[36]§ 103. Für jedes Jahr wird von der Staatsversammlung ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates angenommen.
Der Entwurf des Voranschlages wird von der Regierung der Republik mit Wissen des Präsidenten der Republik spätestens siebzig Tage vor dem Beginn des Budgetjahres der Staatsversammlung unterbreitet. Die Staatsversammlung kann nur mit Zustimmung der Regierung der Republik die im Entwurf des Voranschlages vorgesehenen Ausgaben vergrößern oder neue Ausgaben in den Voranschlag einstellen. Die Staatsversammlung kann die im Entwurf des Voranschlages vorgesehenen Ausgaben, die durch Gesetz bestimmt sind, weder streichen noch verringern.
§ 104. Der Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staates wird von der Abgeordnetenkammer und vom Staatsrat angenommen. Der Staatsrat faßt seinen Beschluß über den von der Abgeordnetenkammer angenommenen Voranschlag spätestens im Laufe von fünfzehn Tagen nach Empfang des Beschlusses der Abgeordnetenkammer.
Wenn der Staatsrat sein Einverständnis zu dem von der Abgeordnetenkammer angenommenen Voranschlag mitteilt, gilt der Voranschlag als von der Staatsversammlung angenommen. Desgleichen gilt der Voranschlag als von der Staatsversammlung angenommen, wenn der Staatsrat nicht im Laufe der im vorigen Absatz bezeichneten Frist seine Stellungnahme mitteilt.
Der Staatsrat kann mit der Mehrheit seines gesetzlichen Bestandes an dem von der Abgeordnetenkammer angenommenen Entwurf des Voranschlages Änderungen vornehmen.
Wenn die Abgeordnetenkammer sich den Änderungen des Staatsrates anschließt, oder wenn die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat nach dem Einigungsverfahren, das in dem im zweiten Absatz des § 62 bezeichneten Gesetz vorgesehen ist, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt stellen, gilt der Voranschlag als angenommen.
Wenn die Abgeordnetenkammer ungeachtet der entgegengesetzten Stellungnahme des Staatsrates oder im Falle eines Scheiterns des Einigungsverfahrens mit der Mehrheit ihres gesetzlichen Bestandes den Voranschlag in der früheren von ihr angenommenen Fassung oder unter teilweiser Berücksichtigung der Änderungen des Staatsrates annimmt, so gilt der Voranschlag als angenommen.
§ 105. In dem im zweiten Absatz des § 62 bezeichneten Gesetz werden die Fristen bestimmt, in deren Verlauf die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat die im vorigen (104.) Paragraphen vorgesehenen Beschlüsse fassen müssen. Wenn einer der Beschlüsse der Abgeordnetenkammer oder des Staatsrates nicht im Laufe dieser Fristen zustandegekommen ist, so gilt der Voranschlag in jener Fassung als angenommen, in der er bis zum vorgeschriebenen Termin von der Abgeordnetenkammer oder vom Staatsrat angenommen worden war. Wenn weder die Abgeordnetenkammer noch der Staatsrat den Voranschlag zum vorgeschriebenen Termin angenommen haben, so können bis zur [37] Annahme des Voranschlages für jeden Monat Beträge bis zur Höhe eines Zwölftels der im Voranschlag des Vorjahres vorgesehenen Budgetposten verausgabt werden; die nähere Ordnung hierfür wird durch das Gesetz betreffend den Voranschlag des Staates bestimmt.
§ 106. Der von der Staatsversammlung angenommene Voranschlag wird dem Präsidenten der Republik zur Verkündung unterbreitet und tritt vom Beginn des Budgetjahres an in Kraft.
§ 107. Die Aufnahme von Staatsanleihen erfolgt auf Beschluß der Staatsversammlung. Die diesbezüglichen Vorschläge werden der Staatsversammlung von der Regierung der Republik mit Wissen des Präsidenten der Republik unterbreitet.
Die Beschlußfassung erfolgt entsprechend den Vorschriften der §§ 94 und 95. Der Präsident der Republik kann verlangen, daß die Beschlußfassung über die Aufnahme von Anleihen auf dem Kongreß der Staatsversammlung erfolgt.
§ 108. Die Kontrolle über die wirtschaftliche Tätigkeit der Staatsinstitutionen und der Staatsunternehmen und über den Vollzug des Voranschlages des Staates wird von der Staatskontrolle ausgeübt. Die Organisation der Staatskontrolle und die näheren Grundlagen ihrer Tätigkeit werden durch Gesetz bestimmt. Desgleichen wird durch Gesetz bestimmt, wie die Kontrolle im Heer während eines Krieges durchgeführt wird.
Durch Gesetz kann die Staatskontrolle auch zur Überwachung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Selbstverwaltungen und der sonstigen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage sich betätigenden Institutionen, soweit sich deren Tätigkeit auf die Verwendung von Staatsmitteln erstreckt, herangezogen werden.
Durch Gesetz werden die besonderen Grundlagen und die Ordnung der Kontrolle über die wirtschaftliche Tätigkeit jener Privatunternehmen bestimmt, deren Aktienmehrheit sich in der Hand des Staates befindet.
§ 109. Die Staatskontrolle wird vom Staatskontrolleur geleitet. Der Staatskontrolleur wird vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts aus der Zahl der vom Kongreß der Staatsversammlung vorgestellten Kandidaten ernannt. Der Staatskontrolleur wird vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts entweder aus eigener Initiative oder auf Vorschlag des Kongresses der Staatsversammlung entlassen, wobei dieser Vorschlag von der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Staatsversammlung gemacht wird.
§ 110. Die Staatskontrolle ist in ihrer Tätigkeit auf der Grundlage des Gesetzes selbständig.
Der Staatskontrolleur unterbreitet dem Präsidenten der Republik sowie der Abgeordnetenkammer und dem Staatsrat Rechenschaftsberichte über die Durchführung der Kontrolle und über die Ergebnisse derselben.
[38] § 111. Der Staatskontrolleur hat das Recht, in den auf seinen Aufgabenkreis bezüglichen Angelegenheiten mit beratender Stimme an den Sitzungen der Regierung der Republik teilzunehmen. Hinsichtlich der Leitung des ihm unterstellten Ressorts stehen dem Staatskontrolleur alle Rechte zu, die in den entsprechenden Gesetzen für die Minister vorgesehen sind. Er gegenzeichnet die Beschlüsse des Präsidenten der Republik auf dem Gebiet der Staatskontrolle und nimmt die Verantwortung für diese Beschlüsse auf sich.
Die gerichtliche Belangung des Staatskontrolleurs geschieht auf den gleichen Grundlagen wie die gerichtliche Belangung der Minister.
§ 112. Die Rechtsprechung wird von Gerichten ausgeführt, die in ihrer Tätigkeit unabhängig sind.
§ 113. Das oberste Gericht ist das aus Staatsrichtern bestehende Staatsgericht.
Das Recht des zuständigen Ministers, eine Einsichtnahme in die Akten und in die Geschäftsführung der Gerichte anzuordnen und Rechenschaftsberichte über die Tätigkeit der Gerichte anzufordern, wird durch Gesetz bestimmt.
Die innere Aufsicht über die Gerichtsinstitutionen wird durch Gesetz bestimmt.
§ 114. Die Staatsrichter und die sonstigen Richter werden nach Anhören der Meinung des zuständigen Ministers aus der Zahl der vom Staatsgericht vorgeschlagenen Kandidaten vom Präsidenten der Republik kraft Sonderrechts ernannt. Die Grundlagen und die nähere Ordnung der Aufstellung und der Vorstellung der Kandidaten werden durch Gesetz bestimmt.
§ 115. Die Staatsrichter werden mit der Vollendung des siebzigsten und die übrigen Richter mit der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres ihres Amtes entbunden, wobei die Altersgrenze der letzteren in einzelnen Gruppen von Gerichten bis zur Vollendung des siebzigsten Lebensjahres heraufgesetzt werden kann.
Die Altersgrenze der zum Bestande von Spezialgerichten gehörigen Berufsrichter wird durch Gesetz bestimmt.
Wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit werden die Staatsrichter und Richter auf Grund eines diesbezüglichen Gesetzes ihres Amtes entbunden.
§ 116. Die Richter können nur durch Gerichtsurteil abgesetzt oder ohne ihr Einverständnis von einem Posten auf einen anderen versetzt werden.
In Fällen, die durch eine auf Grund des Gesetzes vor sich gehende Änderung des Bestandes der Gerichte bedingt sind, können die Richter auch ohne ihre Zustimmung von einem Posten auf einen anderen versetzt oder beim Fehlen entsprechender Freistellen ihres Amtes entbunden werden, wobei im letzteren Falle dem seines Amtes entbundenen [39] Richter ein seiner letzten Amtsstelle entsprechendes Gehalt im Laufe von zwei Jahren weitergezahlt wird.
Die gerichtliche Belangung der Richter für Dienstvergehen und die Ordnung des Verfahrens wird durch Gesetz bestimmt.
§ 117. Mit Ausnahme der im Gesetz vorgesehenen Fälle dürfen die Richter kein bezahltes Nebenamt bekleiden.
§ 118. Durch Gesetz können Spezialgerichte für gewisse Arten von Angelegenheiten oder Gebieten geschaffen werden.
Die Einsetzung des Bestandes der Spezialgerichte nach den Grundsätzen der Ernennung oder der Wahl erfolgt auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz vorgesehen sind. Desgleichen bestimmt das Gesetz die dienstliche Stellung dieser Richter, wobei im Falle der Ernennung von Berufsrichtern die Vorschriften der §§ 114–117 Anwendung finden.
§ 119. Außerordentliche Gerichte sind innerhalb der Grenzen des Gesetzes nur während eines Krieges, im Bereich des Ausnahmezustandes und auf Kriegsschiffen zulässig.
§ 120. Der Präsident der Republik kann kraft Sonderrechts einzelnen Personen die von den Gerichten verhängten und rechtskräftig gewordenen Strafen auf dem Gnadenwege erlassen oder mildern, oder die genannten Personen von den Folgen dieser Strafen befreien.
Nur auf Vorschlag des Kongresses des Staatsversammlung kann der Präsident der Republik kraft Sonderrechts den Mitgliedern der Regierung der Republik und dem Staatskontrolleur die Strafen, die ihnen vom Gericht wegen ihrer dienstlichen Tätigkeit auferlegt worden sind, erlassen oder mildern oder ihnen Befreiung von den Folgen dieser Strafen gewähren.
§ 121. Durch Gesetz wird die Anhängigmachung und die Ordnung des Verfahrens bestimmt, in dem die Gerichte über die Verfassungsmäßigkeit der Ausübung der Staatsgewalt befinden.
§ 122. Die Betreuung des Gebietes der örtlichen Verwaltung und die Förderung der örtlichen Lebensgebiete erfolgt auf der Grundlage des Gesetzes durch die örtlichen Selbstverwaltungen.
§ 123. Das anordnende Organ der örtlichen Selbstverwaltung ist der Vertretungskörper, der in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Abstimmung gewählt wird. Wähler sind die zum Gebiet der örtlichen Selbstverwaltung gehörigen stimmberechtigten Bürger, die innerhalb des Gebiets dieser Selbstverwaltung ihren ständigen Wohnort oder ihre Arbeitsstelle haben.
Die Organisation der Selbstverwaltungen zweiter Stufe und die Grundlagen der Bildung ihrer Vertretungskörper werden durch Gesetz bestimmt.
[40] Auf Grund des Gesetzes können Selbstverwaltungsverbände und gemeinsame Anstalten der Selbstverwaltungen organisiert werden.
§ 124. Die örtlichen Selbstverwaltungen haben das Recht, auf Grund und in den Grenzen des Gesetzes Verordnungen für ihr Gebiet zu erlassen.
Sie haben das Recht, zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf Grund des Gesetzes Abgaben zu erheben und Lasten aufzuerlegen.
§ 125. Die nähere Organisation der örtlichen Selbstverwaltungen und die Aufsicht über dieselben wird durch Gesetz geregelt.
§ 126. Zur Betreuung und Förderung der Berufsstände werden auf Grund des Gesetzes diesbezügliche Selbstverwaltungen ins Leben gerufen.
Die Organisation, die Aufgaben, die Befugnisse, die Grundlagen der Wahl und die Überwachung dieser Selbstverwaltungen werden durch Gesetz geregelt. Desgleichen wird die Ordnung der Zusammenarbeit zwischen diesen Selbstverwaltungen und den staatlichen und sonstigen Institutionen durch Gesetz bestimmt.
§ 127. Die berufsständischen Selbstverwaltungen haben auf Grund und in den Grenzen des Gesetzes das Recht, auf ihren Tätigkeitsgebieten für die den entsprechenden Selbstverwaltungen angehörigen Personen verbindliche Anordnungen in Kraft zu setzen, sowie von diesen Personen Abgaben zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu erheben.
§ 128. Alle Bürger Estlands sind verpflichtet, sich auf den Grundlagen und in der Ordnung, die im Gesetz bezeichnet sind, an der Staatsverteidigung zu beteiligen.
§ 129. Der oberste Führer der Staatsverteidigung und der bewaffneten Macht ist der Präsident der Republik. Er stellt auf Grund der Gesetze alle Kraftquellen in den Dienst der Staatsverteidigung.
Der unmittelbare Führer der bewaffneten Macht ist in Friedenszeiten der Chef des Heeres oder in den in der Verfassung bezeichneten Fällen der Oberbefehlshaber des Heeres und während eines Krieges der Oberbefehlshaber des Heeres. Den Oberbefehlshaber des Heeres und den Chef des Heeres ernennt und entläßt der Präsident der Republik kraft Sonderrechts.
§ 130. Von der Anordnung einer Mobilisation oder dem Beginn eines Krieges bis zur Verkündung des Abschlusses der Demobilisation kann der Präsident der Republik auf dem Gebiet der Organisation und Leitung der Staatsverteidigung und der bewaffneten Macht Gesetze auch während der Tagungen der Staatsversammlung als Dekret erlassen.
[41] § 131. Der Präsident der Republik erläßt auf den im Gesetz bezeichneten Grundlagen auf die Staatsverteidigung und auf die bewaffnete Macht bezügliche Dekretgesetze und Verordnungen.
§ 132. Der Präsident der Republik ordnet durch seinen Beschluß die Mobilisation und die Demobilisation an.
Der Präsident der Republik erklärt Krieg auf Grund eines entsprechenden Beschlusses des Kongresses der Staatsversammlung.
Im Falle eines Angriffs gegen die Republik oder in Fällen, die durch die Erfüllung eines zum gegenseitigen Schutz abgeschlossenen Bündnisvertrages bedingt sind, beschließt der Präsident der Republik den Beginn der Kriegstätigkeit, ohne den Beschluß des Kongresses der Staatsversammlung abzuwarten.
Der Präsident der Republik schließt die Friedensverträge ab, die vor ihrer Ratifizierung der Staatsversammlung zur Bestätigung unterbreitet werden.
§ 133. Von der Anordnung einer Mobilisation an beschließt der Präsident der Republik über den Voranschlag der Kriegskosten und im Falle ihrer Notwendigkeit über die Aufnahme von inneren und äußeren Anleihen zur Deckung der Kriegskosten.
Der diesbezügliche Beschluß wird der Staatsversammlung zur Kenntnisnahme mitgeteilt. Der Rechenschaftsbericht über die Kriegskosten wird nach seiner Fertigstellung der Staatsversammlung unterbreitet.
§ 134. Die vom Präsidenten der Republik auf dem Gebiet der Staatsverteidigung und der bewaffneten Macht erlassenen Gesetze in Dekretform, Dekretgesetze, Verordnungen, Beschlüsse und sonstigen Akte tragen außer der Gegenzeichnung des Ministerpräsidenten und des zuständigen Fachministers auch die Unterschrift des Oberbefehlshabers oder des Chefs des Heeres.
Die Fälle, in denen die vom Präsidenten der Republik an die bewaffnete Macht zu richtenden Befehle und Verfügungen gegengezeichnet werden müssen, werden durch Gesetz und die Regeln, nach denen diese Unterzeichnung stattfindet, durch den Präsidenten der Republik bestimmt.
§ 135. Für den Fall einer Mobilisation oder eines Krieges ernennt der Präsident der Republik einen Oberbefehlshaber des Heeres. Der Oberbefehlshaber des Heeres untersteht unmittelbar dem Präsidenten der Republik; er ist der unmittelbare Führer der gesamten bewaffneten Macht und leitet die Kriegstätigkeit nach seinem eigenen Ermessen.
Der Oberbefehlshaber des Heeres gibt nur dem Präsidenten der Republik Rechenschaft und verantwortet nur diesem gegenüber für seine Tätigkeit.
§ 136. Während eines Krieges hat der Oberbefehlshaber des Heeres auf dem Gebiet der Ausübung der Staatsverteidigung im Interesse der Kriegstätigkeit das Recht, Richtlinien und Verfügungen auch an die ihm nicht unterstellten Amtspersonen und Institutionen zu erlassen.
§ 137. Die näheren Befugnisse des Oberbefehlshabers und des Chefs des Heeres werden durch Gesetz bestimmt.
[42] § 138. Der Präsident der Republik hat das Recht, in den im Gesetz bezeichneten Fällen anstelle eines Chefs des Heeres einen Oberbefehlshaber des Heeres auch in Friedenszeiten zu ernennen. In diesen Fällen hat der Oberbefehlshaber des Heeres außer den Befugnissen des Chefs des Heeres das Recht, Richtlinien und Verfügungen auch an die ihm nicht unterstellten Amtspersonen und Institutionen auf dem Gebiet der inneren und äußeren Sicherheit des Staates auf den im Gesetz bezeichneten Grundlagen zu erlassen.
§ 139. Der Oberbefehlshaber oder der Chef des Heeres nimmt mit beratender Stimme an den Sitzungen der Regierung teil.
§ 140. Während eines Krieges hört der Präsident der Republik, wenn er über die Entlassung oder Ernennung der Regierung der Republik oder eines einzelnen Mitgliedes derselben beschließt, die Meinung des Oberbefehlshabers des Heeres an.
§ 141. Der Oberbefehlshaber des Heeres kann, solange er sich im Amt befindet, nicht anders als durch einen kraft Sonderrechts gefaßten Beschluß des Präsidenten der Republik und nur für Verbrechen gegen die höchste Staatsgewalt und für Staatsverrat gerichtlich belangt werden. Die gerichtliche Belangung des Oberbefehlshabers des Heeres nach seinem Ausscheiden aus dem Amt wegen derselben Verbrechen und auch wegen Dienstvergehen sowie die gerichtliche Belangung des Chefs des Heeres kann gleichfalls nur auf Grund eines kraft Sonderrechts gefaßten Beschlusses des Präsidenten der Republik erfolgen. Für die Verhandlung und Entscheidung der Angelegenheit ist das Staatsgericht zuständig.
§ 142. Dem Präsidenten der Republik als dem obersten Führer der Staatsverteidigung steht in Friedenszeiten als beratendes Organ ein Rat für Staatsverteidigung zur Seite, dessen Bestand und Befugnisse durch Gesetz bestimmt werden. Zum Bestande des Rates für Staatsverteidigung gehören der Ministerpräsident, fünf vom Präsidenten der Republik zu bestimmende Mitglieder der Regierung der Republik, der Oberbefehlshaber oder der Chef des Heeres und der Chef des Heeresstabes. Außer diesen gehören zum Bestande des Rates für Staatsverteidigung der Präsident der Abgeordnetenkammer und der Präsident des Staatsrates.
§ 143. Die im Militärdienst stehenden Bürger haben alle durch die Verfassung und durch die Gesetze gewährleisteten Rechte und Pflichten der Bürger, soweit nicht durch Gesetz Ausnahmen von diesen Rechten und Pflichten wegen der besonders gearteten Belange der Militärdisziplin und des Militärdienstes gemacht worden sind.
§ 144. Im Falle staatlicher Notwendigkeit verhängt der Präsident der Republik auf Grund eines diesbezüglichen Gesetzes den Ausnahmezustand im ganzen Staat oder in einzelnen Teilen desselben für eine Frist von nicht über einem Jahr. Der Ausnahmezustand tritt mit seiner Verhängung in Kraft, wobei durch Beschluß des Präsidenten der Republik bestimmt werden kann, daß einige Arten von Straftaten, die nicht früher als drei Tage vor der Verhängung des Ausnahmezustandes begangen worden sind, nach den in bezug auf den Ausnahmezustand in Kraft gesetzten Vorschriften zu verfolgen sind.
Der Beschluß des Präsidenten der Republik betreffend die Verhängung des Ausnahmezustandes wird spätestens im Laufe von sieben [43] Tagen nach der Verhängung der Staatsversammlung unterbreitet. Die Staatsversammlung beschließt über die Angelegenheit auf ihrem Kongreß. Wenn die Staatsversammlung mit der Mehrheit ihres gesetzlichen Bestandes beschließt, den Beschluß des Präsidenten der Republik unbestätigt zu lassen, tritt der Ausnahmezustand mit der Verkündung des Beschlusses der Staatsversammlung außer Kraft.
Im Falle der Anordnung einer Mobilisation tritt der Ausnahmezustand, ohne verhängt zu werden, im ganzen Staat in Kraft und dauert bis zur Verkündung des Abschlusses der Demobilisation.
Während der Dauer des Ausnahmezustandes können die im zweiten Hauptstück der Verfassung bezeichneten Rechte der Bürger auf Grund und in den Grenzen des Gesetzes eingeschränkt werden.
§ 145. Während eines Krieges verlängern sich die Vollmachten des Präsidenten der Republik, des jeweiligen Bestandes der Staatsversammlung und der jeweiligen Bestände der Vertretungskörper der Selbstverwaltungen. Im Falle einer derartigen Verlängerung der Vollmachten werden die Wahlen nicht später als drei Monate nach der Verkündung des Abschlusses der Demobilisation ausgeschrieben.
Wenn der Ausnahmezustand über den ganzen Staat verhängt worden ist, kann der Präsident der Republik mit Einverständnis der Staatsversammlung die Wahlen bis zu dem Zeitpunkt verschieben, an dem der Ausnahmezustand im ganzen Staat oder in einem Teil desselben beendet ist. Die Staatsversammlung faßt ihren diesbezüglichen Beschluß mit der Mehrheit ihres gesetzlichen Bestandes.
§ 146. Das Recht zur Beantragung einer Verfassungsänderung hat der Präsident der Republik sowie auch die Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der Abgeordnetenkammer oder des Staatsrates.
§ 147. Ein in der Ordnung des vorigen (146.) Paragraphen beantragter Verfassungsänderungsentwurf wird von der Staatsversammlung in der für die Annahme von Gesetzen vorgesehenen Ordnung angenommen, mit der Abweichung, daß der Entwurf in beiden Kammern mit der Mehrheit des gesetzlichen Bestandes der entsprechenden Kammer und in den im letzten Absatz des § 95 bezeichneten Fällen von der Abgeordnetenkammer mit einer Zweidrittelmehrheit ihres gesetzlichen Bestandes angenommen wird. Nach der Annahme des Entwurfs in der Staatsversammlung werden vom Präsidenten der Republik die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Bestandes des Staatsrates angeordnet, die spätestens im Laufe von drei Monaten, vom Tage der Annahme des Verfassungsänderungsentwurfs in der Staatsversammlung an gerechnet, stattfinden müssen.
Wenn der neue Bestand der Staatsversammlung in der im vorigen Absatz vorgesehenen Ordnung den vom vorherigen Bestand der Staatsversammlung angenommenen Entwurf unverändert annimmt, gilt das Verfassungsänderungsgesetz als angenommen und wird dem Präsidenten der Republik zur Verkündung unterbreitet.
[44] § 148. Ein von der Staatsversammlung in der Ordnung des zweiten Absatzes des vorigen (147.) Paragraphen angenommenes Verfassungsänderungsgesetz wird vom Präsidenten der Republik nach Ablauf von drei Monaten, von seiner Annahme an gerechnet, verkündet, wenn der Präsident der Republik im Laufe dieser Zeit nicht gefordert hat, daß dieses Gesetz dem Volk auf dem Wege einer Volksabstimmung zur Beschlußfassung unterbreitet wird.
Der Präsident der Republik kann einen von ihm beantragten Entwurf dem Volk auf dem Wege einer Volksabstimmung zur Beschlußfassung unterbreiten, wenn der neue Bestand der Staatsversammlung diesen Entwurf nicht im Laufe von drei Monaten, vom Zusammentritt dieses neuen Bestandes der Staatsversammlung an gerechnet, in der Ordnung des zweiten Absatzes des § 147 angenommen hat.
§ 149. Wenn derjenige Bestand der Staatsversammlung, dem ein vom Präsidenten der Republik beantragter Entwurf eines Verfassungsänderungsgesetzes unterbreitet worden ist, diesen Entwurf nicht im Laufe von drei Monaten, gerechnet von der Einbringung des Entwurfs in die Staatsversammlung, angenommen hat oder diesen Entwurf abgelehnt hat, kann sich der Präsident der Republik auf dem Wege der Volksabstimmung mit einer grundsätzlichen Anfrage über diesen Entwurf an das Volk wenden. Wenn das Volk mit Stimmenmehrheit der Abstimmungsteilnehmer die Anfrage bejaht, wird die Wahl eines neuen Bestandes der Abgeordnetenkammer und die Bildung eines neuen Bestandes der Staatsrates angeordnet. Der neue Bestand der Staatsversammlung nimmt spätestens im Laufe von sechs Monaten nach seinem Zusammentritt im gewöhnlichen gesetzgeberischen Verfahren ein Verfassungsänderungsgesetz entsprechend dem Beschluß des Volkes an. Inbezug auf diesen Entwurf findet die Vorschrift des ersten Absatzes des vorigen (148.) Paragraphen Anwendung.
§ 150. Ein Verfassungsänderungsgesetz gilt als vom Volk angenommen, wenn die Zahl der für dasselbe abgegebenen Stimmen die Zahl der Gegenstimmen übersteigt.
Ein in der Ordnung der Volksabstimmung angenommenes Verfassungsänderungsgesetz wird vom Präsidenten der Republik unverzüglich verkündet.
Die nähere Ordnung für die Volksabstimmung wird durch Gesetz bestimmt.
[45]§ 1. Das vorliegende Gesetz findet Anwendung für den Übergang von der bisherigen Verfassung der Republik Estland (Staatsanzeiger Nr. 113/114 — 1920 und Nr. 86 — 1933) zu der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland.
§ 2. Der Beginn des Inkrafttretens der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland ist der einhundertzwanzigste Tag nach ihrer Veröffentlichung im Staatsanzeiger, soweit sich nicht aus dem vorliegenden Gesetz etwas Abweichendes ergibt. Dementsprechend tritt die bisherige Verfassung außer Kraft.
Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Verfassung der Republik Estland treten folgende von der Nationalversammlung angenommene Gesetze in Kraft:
- 1. das Gesetz betreffend die Wahl des Präsidenten der Republik;
- 2. das Gesetz betreffend die Wahl der Abgeordnetenkammer;
- 3. das Gesetz betreffend die Bildung des Staatsrates;
- 4. die zeitweilige Geschäftsordnung der Staatsversammlung;
- 5. das Gesetz betreffend die Arbeitsordnung der Staatsversammlung;
- 6. das Gesetz betreffend das Gehalt des Präsidenten der Republik;
- 7. das Gesetz betreffend das Gehalt der Mitglieder der Staatsversammlung; —
und von der gleichen Zeit an treten außer Kraft:
- 1. das Gesetz betreffend die Wahl des Staatspräsidenten (Staatsanzeiger Nr. 5 — 1934);
- 2. das Gesetz betreffend die Wahl der Staatsversammlung (Staatsanzeiger Nr. 5 — 1934) ;
- 3. das Gesetz betreffend das Gehalt des Staatspräsidenten (Staatsanzeiger Nr. 5 — 1934).
Die Geschäftsordnung der Staatsversammlung (Staatsanzeiger Nr. 5 — 1934) und das Gesetz betreffend das Gehalt der Mitglieder der Staatsversammlung (Staatsanzeiger Nr. 30 — 1932) treten mit dem Erlöschen der Vollmachten der bisherigen Staatsversammlung außer Kraft.
§ 3. Von der Veröffentlichung der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland an übt der im [46] Amt befindliche Ministerpräsident in den Obliegenheiten des Staatspräsidenten die ihm zustehenden Obliegenheiten unter der Amtsbezeichnung Staatsverweser aus.
Der Staatsverweser übt aus:
- 1. bis zum Inkrafttreten der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland die Obliegenheiten des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten auf Grund der bisherigen Verfassung;
- 2. nach dem Beginn des Inkrafttretens der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland:
- a) bis zum Zusammentritt der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates — die Obliegenheiten des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten auf Grund der bisherigen Verfassung, wobei ihm die in der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland vorgesehenen Sonderrechte des Präsidenten der Republik zustehen;
- b) vom Zusammentritt der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates bis zum Amtsantritt des Präsidenten der Republik — die Obliegenheiten des Präsidenten der Republik auf Grund der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland.
Das Amt des Staatsverwesers kann mit keinerlei sonstigem Dienst oder Beruf verbunden sein.
§ 4. Wenn das Amt des Staatsverwesers vor dem Amtsantritt des Präsidenten der Republik vakant wird, tritt in das Amt des Staatsverwesers der zur Zeit der Veröffentlichung der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland im Amt befindliche Oberbefehlshaber des Heeres.
Wenn der im vorigen Absatz bezeichnete Oberbefehlshaber des Heeres fehlt, so wird sofort zur Wahl eines neuen Staatsverwesers durch den im vierten Absatz des § 46 der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland bezeichneten Wahlkörper geschritten, wobei in diesem Wahlkörper bis zum Zusammentritt der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates der Präsident der Ersten Kammer der Nationalversammlung, die die Verfassung angenommen hat, den Präsidenten der Abgeordnetenkammer und der Präsident der Zweiten Kammer derselben Nationalversammlung den Präsidenten des Staatsrates ersetzt.
§ 5. Die Regierung der Republik ist bis zum Zusammentritt der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates auf Grund der bisherigen Verfassung tätig.
§ 6. Die Wahlen der Abgeordnetenkammer und die Bildung des Staatsrates erfolgen zu einer vom Staatsverweser bestimmten Zeit, die so angesetzt werden soll, daß die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat spätestens am 23. April 1938 zusammentreten können.
Die ersten Sitzungen der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates eröffnet und leitet bis zur Wahl der Präsidenten das älteste Mitglied der entsprechenden Kammer.
[47] Die Vollmachten der bisherigen Staatsversammlung werden durch einen diesbezüglichen Beschluß des Staatsverwesers beendet.
§ 7. Die Wahl des Präsidenten der Republik erfolgt zu einer vom Staatsverweser zu bestimmenden Zeit im Laufe von sechs Monaten nach dem Zusammentritt der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates.
Aus staatlichen Erwägungen kann die Wahl des Präsidenten der Republik auf Beschluß eines Rates verschoben werden, dem unter dem Vorsitz des Staatsverwesers der Oberbefehlshaber oder der Chef des Heeres, der Ministerpräsident, der Präsident der Abgeordnetenkammer und der Präsident des Staatsrates angehören.
§ 8. Das vorliegende Gesetz tritt mit seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger in Kraft.
Das vorliegende Gesetz wird gleichzeitig mit der von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung der Republik Estland veröffentlicht.