Die drei Königskinder
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Ein König hatte nur einen Sohn, der war so alt geworden, daß er heirathen konnte. Er wollte aber keine aufgedrungene Prinzessin, sondern eine Frau nach seinem Gefallen und darum zog er im Lande umher und ließ sich alle Mädchen vorführen. Unter allen gefiel ihm keins besser, als eine Bauerntochter, die hieß Marie. Als er jedoch bei ihren Aeltern um sie anhielt, sagte der Vater rundheraus nein, das Mädchen bekäme er nicht, denn es sei die einzige Stütze seiner alten Aeltern und es ernähre sie. Da sagte der Königssohn, wenn weiter kein Hinderniß wäre, dafür wolle er schon sorgen und ihnen so viel Geld geben, daß sie leben könnten. Das that er und damit war die Sache abgemacht. Jetzt setzte er das Mädchen in seinen Wagen und fuhr sie in ein Erziehungshaus, wo sie Alles lernte, was die Prinzessinnen lernen, und als sie das Alles konnte, da holte er sie wieder ab und heirathete sie. Das war aber seiner Mutter gar nicht recht und dieß böse, stolze Weib trachtete jetzt auf alle Weise, die arme Königin zu kränken und in den Augen ihres Mannes herunter zu setzen. Das wollte ihr aber lange nicht gelingen.
Nach einiger Zeit genas die junge Königin eines schönen Mägdleins. Da der König grade auf der Jagd war, bestach die [169] Alte die Wehmutter und nahm der Königin das Mägdlein; dem König sagte sie, es sei eine so abscheuliche Mißgeburt gewesen, daß sie keinem Menschen ähnlich gesehn habe, darum hätten sie dieselbe vergraben. Das Kindchen setzten sie aber in eine Schachtel und warfen sie in den Bach und darauf schwamm sie fort und immer weiter bis in die Gegend einer Mühle. Die Müllerin stand am Fenster und sah die Schachtel und rief ihrem Manne zu, er solle sie aus dem Wasser holen und sehn, was darin sei. Das that er und sie freuten sich recht, als sie das schöne Mägdlein drin fanden und da sie doch keine Kinder hatten, sagte der Müller zu seiner Frau: „Wie wär's, wenn wir das Mägdlein an Kindesstatt annähmen?“ „Das denke ich eben auch,“ sprach die Frau und sie thaten es und sorgten besser dafür, als wenn es ihr eigen Kind gewesen wäre.
Die arme Königin härmte sich unterdessen ab über ihr großes Mißgeschick und auch der König war sehr betrübt; doch wurde ihre Trauer bald in große Freude verwandelt, als die Königin ihm eines Tags verkündete, daß Gott sie mit einem andern Kinde segnen werde. Als die böse Schwiegermutter das hörte, ärgerte sie sich in ihrem Herzen und trieb den König jeden Tag auf die Jagd. So geschah es, daß er wieder nicht zu Hause war, als der Storch das Kindlein brachte, und es wurde der Alten sehr leicht, den König wieder zu belügen und ihn weis zu machen, die Königin habe abermals eine Mißgeburt bekommen, die noch ärger ausgesehen hätte, wie die erste. Das Kind war aber wiederum ein Mägdlein und damit machten sie es, wie mit dem ersten und [170] legten es auch in eine Schachtel und warfen diese in den Bach. So schwamm es bis an die Mühle und wurde von den guten Müllersleuten eben so herzlich aufgenommen, wie sein Schwesterlein.
Das Herzeleid des Königs und der armen Königin ist gar nicht zu beschreiben. Sie weinten Tag und Nacht und weinten sich fast die Augen aus. Auch hatten sie gar keine Freude mehr, als sich die Hoffnung wieder zeigte, daß ihnen ein anderes Kind bescheert werde. Es war auch gut, daß sie sich nicht darauf freuten, denn die böse Mutter war wieder eben so schnell bei der Hand wie die beiden ersten male und vertauschte das schöne Knäbchen, welches die Königin geboren hatte, mit einer häßlichen Mißgeburt, welche zur selben Zeit in der Stadt auf die Welt gekommen war. Als der Köng die Mißgeburt sah, wurde er entsetzlich böse und sprach, er wolle nichts mehr von der Königin wissen und sie gar nicht mehr sehen. Da triumphirte die böse Alte und sprang vor Freude, daß ihre alten Knochen schlotterten.
Das Knäbchen nahm aber denselben Weg, wie seine zwei Schwestern, schwamm auch an die Mühle und wurde eben so gern empfangen, wie jene. Es wuchs mit ihnen auf und wurde ein schöner Jüngling und blieben in der Mühle, bis er fünfzehn Jahr alt war. Da geschah es, daß die Alte eines Tags an der Mühle vorbei fuhr. Als sie den Jüngling und die beiden Mädchen sah, überlief es sie gar sonderbar. Sie stieg aus ihrem Wagen heraus, ging in die Mühle und frug den Müller, ob das seine Kinder seien? „Nein,“ sprach der Müller. „Gott hat sie mir auf dem [171] Wasser zugeschickt,“ und erzählte ihr die ganze Geschichte, zeigte ihr auch die Schachteln, welche er sorgfältig aufgehoben hatte. Da erkannte die böse Alte, daß es die Kinder der Königin waren und sie sprach zu dem Müller, er müsse die drei Kinder tödten, wo nicht, dann werde er selber getödtet. Der Müller versprach, es zu thun, aber er that es doch nicht, sondern sagte den Kindern Alles und gab ihnen einen seiner Esel, damit sie darauf entfliehen könnten. Da nahmen sie am folgenden Tage mit weinenden Augen Abschied von einander; der Jüngling setzte sich auf den Esel und die Schwestern saßen in zwei Körben, auf jeder Seite des Esels eine.
Also zogen sie in die Welt hinaus. Als sie schon ein paar Tagereisen gemacht hatten, kamen sie in einen Wald und kaum waren sie einige Stunden weit darin, da sahen sie auf der Straße ein Büchlein liegen. Der Jüngling hob es auf und las die erste Seite. Da erhob sich vor ihm ein großer großer schwarzer Nebel, und als der verschwand, stand ein Geist da, welcher frug: „Was befiehlt mein Herr und Meister?“ Anfangs erschraken die Geschwister nicht wenig, doch erholten sie sich bald von ihrem Schrecken und der Jüngling sprach: „Baue uns ein schönes Schloß und bringe Alles hinein was nöthig ist.“ Da erhob sich abermals ein Nebel und als er wich, stand ein wunderschönes Schloß da mit prächtigen Gärten und viele Diener eilten heraus, die Geschwister als ihre Herren zu begrüßen. Sie traten hinein und wie war Alles da so schön! Sie konnten's gar nicht schöner wünschen.
Als die arge alte Königin von dem Schlosse der drei Geschwister [172] hörte, verkleidete sie sich und schlich herum, bis sie dieselben sah. Sie erkannte sie sogleich und ließ den Müller vor sich kommen. Der läugnete allerdings, aber es half ihm nichts, er mußte endlich bekennen, und von nun an ließ es ihr keine Ruhe. Sie sann Tag und Nacht auf Ränke, wie sie die drei Kinder ins Unglück bringen möge, denn sie fürchtete, ihre Verrätherei könne an Tag kommen, so lange dieselben am Leben seien.
Eines Tages zog sie Bettelkleider an und ging in das Schloß. Als die Geschwister ihr ein reiches Almosen gegeben, sprach sie, sie hätten wohl Alles, was man sich nur wünschen könnte, nur eins noch fehle ihnen und es sei jammerschade, daß sie das nicht auch noch besäßen. Sie frugen, was das sei? Da sagte die Alte: „Ein Zweig von dem Baum mit goldenen Früchten. Wenn ihr den in euren Garten pflanzt, dann wächst schnell ein Baum daraus und ach das wäre so prächtig!“ Da beriethen die Geschwister, wie sie den Zweig bekommen könnten und es wurde beschlossen, daß ihr Bruder ausziehen solle, um ihn zu holen.
Der Jüngling machte sich alsbald auf die Reise und zog von Land zu Land, bis er an den Garten kam, worin der Goldbaum stand. Da trat ein altes Männchen zu ihm und frug ihn, wohin er wolle? „Ich will mir einen Zweig von dem Baum mit goldnen Früchten holen,“ sprach er. „Ich rathe dir, das nicht zu thun,“ sprach das Männchen, „denn es ist große Gefahr dabei. Es wird dir allerhand aufstoßen und wenn du dich dabei nur einmal umsiehst, dann wirst du zur Salzsäule.“ „Das thut nichts, ich werde mich [173] schon in Acht nehmen,“ sagte der Jüngling, und trat in den Garten. Er ging grade auf den Baum zu und brach einen Zweig ab. Er war schon fast aus dem Garten heraus, als es hinter ihm schrie und tobte und Jemand ihn am Rock festhielt. Da sah er um, wer das sein könne, aber im selben Augenblick war er zur Salzsäule geworden.
Als der Jüngling schon einige Zeit weg war, kam die Alte wieder und zwar in Gestalt einer andern Bettelfrau und sprach zu den zwei Jungfrauen: „Dem schönen Schlosse fehlt nichts, als der sprechende Vogel und es ist jammerschade, daß ihr den nicht habt.“ – „Wo finden wir ihn denn?“ frugen die Schwestern. „In dem Garten, wo der Baum mit goldnen Früchten steht,“ sagte die Alte. Da sprach die älteste der beiden Schwestern: „Ich will den Vogel holen und zugleich sehen, wo unser Bruder bleibt;“ und sie ging auf Reise und kam auch zu dem Garten. Da stand das graue Männchen und frug sie, wohin sie wolle? „Ich will den sprechenden Vogel holen,“ antwortete sie „und sehen, was mein Bruder macht.“ „Unternimm das nicht,“ sagte das Männchen „und bleib lieber aus dem Garten; es ist zu große Gefahr dabei; denn wenn du dich auf dem Rückwege nur einmal umsiehst, dann wirst du gleich deinem Bruder zur Salzsäule.“ „Ich werde mich hüten,“ sagte die Jungfrau und ging in den Garten. Da brach sie einen Zweig von dem Goldbaume und nahm den sprechenden Vogel, welcher in einem Käfig nebenan stand. Als sie aber bald an der Thür war, rief Jemand hinter ihr her, grade als wenn es ihr Bruder gewesen wäre, sie hab etwas vergessen. Da sah [174] sie um, wurde auch zu einer Salzsäule und stand neben ihrem Bruder.
Das war eine Freude, als das falsche Weib sah, daß die Beiden nicht zurückkehrten. Es ging zu der jüngsten Schwester und zwar wieder als Bettelfrau gekleidet, bewunderte das Schloß und sprach: „Es fehlt hier gar nichts, als das springende Wasser; das gäbe einen sehr schönen Springbrunnen.“ „Wo findet man das springende Wasser?“ frug die Jungfrau und die garstige Alte sprach: „In dem Garten, wo der Baum mit goldnen Früchten steht und der sprechende Vogel ist.“ Da dachte die Jungfrau, sie müsse einen solchen Springbrunnen haben und würde zugleich ihre Sorge los denn sie könne ja dann erfahren, was aus ihrem Bruder und ihrer Schwester geworden sei. Sie machte sich alsbald auf den Weg und kam nach langem Reisen auch bei dem Garten an. Da fand sie das Männchen, welches sie beschwur und warnte, doch nicht hinein zu gehn, denn sie komme nicht heraus, und es gehe ihr, wie ihrem Bruder und ihrer Schwester. Als sie jedoch nicht anders wollte und durchaus darauf bestand, sagte das Männchen, dann solle sie sich nur nicht verleiten lassen umzusehn. Wenn sie aber von dem springenden Wasser habe, dann müsse sie damit die beiden Salzsäulen besprengen, die am Eingang des Gartens ständen denn das seien ihre Geschwister. Da ging sie in den Garten und fand den Brunnen, woraus das Wasser sprang, und sie füllte sich zwei Flaschen davon, ließ sich auch nicht schrecken, wie sehr es um sie herum schrie und heulte und brüllte, als ob die ganze Hölle losgelassen sei. Sie ging ruhig und muthig zurück und goß [175] eine Flasche des springenden Wassers über die beiden Salzsäulen aus; da verwandelten sie sich in ihre Geschwister und liefen mit ihr aus dem Garten hinweg. Wie war jetzt die Freude groß! Sie hatten sich wieder und dazu Alles, was sie wünschten, den Zweig von dem Baum mit goldenen Früchten, den sprechenden Vogel und das springende Wasser. Der Zweig wuchs in einer Nacht zu einem prächtigen Baum; in dessen Aesten saß der sprechende Vogel und an dessen Fuß stieg das springende Wasser aus einem goldenen Becken empor; man kann sich nichts prächtigeres denken.
Der Ruf von dem wunderschönen Schlosse der drei Geschwister drang von Tag zu Tage weiter und kam endlich auch zu den Ohren des Königs. Jetzt hörte er auch von den drei Wunderdingen, welche die Prinzessinnen aus der Fremde mitgebracht hätten und er wurde so neugierig, daß er sich aufs Pferd setzte und schnurstracks zu dem Schlosse ritt. Die Geschwister hießen ihn freundlich willkommen und wollten ihn sogleich im Schlosse umherführen, aber er konnte sich nicht satt genug an ihnen sehen. Es war ihm so wohl, wie seit langer Zeit nicht und er meinte grade, er müsse sie an sein Herz drücken und küssen. Er frug: „Saget mir doch, woher seit ihr und wer sind eure Aeltern?“ „Wir sind auf einer Mühle zu Hause und des Müllers Kinder,“ sprachen die Geschwister, aber da hub der Vogel an zu schreien: „Keine Müllerskinder, Königskinder!“ und er erzählte dem König Alles nach der Ordnung. Man kann sich wohl denken, wie der König und wie die drei Geschwister da erstaunt waren und was das für Freude gab. [176] Auf der Stelle wurde ein Wagen angespannt und sie fuhren Alle zu den braven Müllersleuten und frugen sie, woher die drei Kinder wären? Anfangs wollte der Müller nicht recht mit der Sprache heraus, und sprach, es seien seine Kinder; als der König ihm aber zu verstehen gab, daß Alles schon kund und offenbar sei, da bekannte der Müller, wie er sie aus dem Wasser geholt und wie die alte Königin ihm befohlen habe, sie zu tödten, nannte auch Tag und Stunde, wann die drei Schachteln bei der Mühle ankamen. Damit noch nicht zufrieden, ließ der König auch die Hebamme auf die Mühle bescheiden, denn er hätte so gern gehört, daß jemand Anderes im Spiel gewesen sei, als seine eigene Mutter. Aber auch die Hebamme erzählte Alles so, wie es der Vogel erzählt hatte und da blieb ihm denn kein Zweifel mehr. Er schloß seine lieben Kinder noch einmal an sein Herz und ritt weg, nachdem er sie vorher noch auf den folgenden Tag ins Schloß beschieden hatte.
Zu Hause befahl der König vor Allem, ein großes Gastmahl anzurichten, dann eilte er heimlich zu der armen Königin, welche am äußersten Ende des Gartens in einem kleinen Häuschen allein wohnte. Er bat sie unter Thränen um Verzeihung all des Unrechtes, welches er ihr angethan und erzählte ihr die ganze Geschichte. Es war ein Wunder, daß die gute Frau nicht vor Freude starb, als sie sich so plötzlich aus ihrer Verlassenheit und ihrem Unglück im größten Glücke der Erde fühlte und ihren Mann und ihre lieben Kinder auf einmal wieder erhielt.
Am folgenden Tage, als die Gäste recht heiter bei dem Mahle [177] saßen, frug der König: „Was meint ihr, was die drei Geschwister dafür verdient haben, daß sie so eigenmächtig und ohne mich zu fragen das schöne Schloß erbaut haben?“ Sogleich fiel die alte Königin ein: „Man soll sie in siedendes Oel werfen.“ Da öffnete sich die Thür und die Königin trat herein; sie hatte ihre Krone auf dem Haupte und hielt ihre zwei Töchter an der Hand, ihr Sohn folgte ihr; Alle trugen sie die prächtigsten Kleider, so daß ihre Schönheit recht hervorleuchtete. Der König aber küßte sie und erzählte den Gästen, wie sich Alles zugetragen hatte. Dann sprach er: „Der Tod, welcher ihnen zugedacht war, soll diejenige treffen, welche so verrätherisch an mir und ihnen gehandelt hat.“ Da sprangen die Soldaten schon herbei und faßten das alte böse Weib, aber die Mutter und die drei Geschwister baten den König so lange, bis er ihr das Leben schenkte und sie nur in den Kerker werfen ließ, wo sie bis zu ihrem Tode saß. Im Schlosse wohnte von nun an Freude und Friede und Glück und die ganze Königsfamilie war nur ein Herz und eine Seele.