Die Asche Napoleon’s und deren Grabmal in Paris

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Titel: Die Asche Napoleon’s und deren Grabmal in Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 519–520
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[519]

Die Asche Napoleon’s und deren Grabmal

in Paris.

Eine arme Familie kommt aus einer fernen Insel nach Paris und bittet für eines ihrer Kinder, einen mürrischen Knaben, um eine Stelle in der Miiitärschule.

Der Junge macht Festungen von Schnee in Brienne und stürmt sie.

Der Junge ist ein Jüngling geworden und kanonirt auf die Engländer in Toulon.

Wird von den Engländern in Aegypten geschlagen.

Der Junge ist Mann geworden und kartätscht das Volk nieder, stürzt die Regierung, wird Consul, Consul auf Lebenszeit und in Notre-Dame gekrönter Kaiser.

Das Grabmal Napoleon’s.

Ueberwunden und wieder auferstanden wird er bei Waterloo von Wellington und Blücher geschlagen, geächtet, als Gefangener nach der englischen Insel Helena gebracht und sein ganzes Geschlecht für immer von Frankreich verbannt.

Zunächst kommt seine Asche nach Paris zurück.

Die Asche wird lebendig und wählt den Neffen der Asche zum Präsidenten der demokratischen Republik.

Die demokratische Republik wählt den Präsidenten zum Kaiser.

„Das Kaiserthum ist der Friede."

Das Kaiserthum ist der Krieg.

[520] Das Kaiserthum ist Versöhnung mit dem halbtausendjährigen Erzfeinde England. England vergöttert den Kaiser in London.

Die kaiserlich gewordenen Pariser vergöttern die Königin von England in Paris.

Königin Victoria mit Familie steht in der Nacht neben der Asche Napoleon’s des Ersten, geführt vom Dritten.

Waterloo ist gerächt. Die lebendig gewordene Asche Napoleon’s – wird sie nun sterben und Frieden haben und halten?

Welches Mährchen aus Tausend und einer Nacht klingt so phantastisch, als diese trockne Zusammenstellung von neuern und neuesten geschichtlichen Thatsachen?

All’ der fabelhafte Pomp, der die Königin von England in Paris stets umdrängte und Millionen verwüstete, hat zusammengeschmolzen und legirt nicht den hundertsten Theil der geschichtlichen Bedeutung, welche in dem stillen, nächtlichen, dem Volke unzugänglichen Heranschreiten der Vertreterin der englischen Nation zu der Asche des größten Feindes Englands am Arme Napoleon’s III. lag, des Beherrschers von Frankreich und des Siegeshauptes über den Trümmern von Sebastopol. England bat in diesem Akte um Vergebung der Sünden von Waterloo und Helena, um Vergebung des Blutes von einigen Millionen Menschen, welche die Kriege zwischen England und Frankreich verschlungen hatten, ohne zugleich einen Ablaß bei dieser Gelegenheit mit einzureichen für die siebentausend Millionen Thaler Kriegsschulden, die es seinem Volke größtentheils deshalb aufgebürdet hatte, um Napoleon und dessen Geschlecht der Legitimität und der Bourbonen wegen für immer von Frankreich zu verbannen – bat in diesem Akte um Vergebung aller seiner Legitimitätskriege und huldigte – obgleich die aristokratischste, conservativste Regierung – doppelt der Revolution, dem großen Sohne derselben und dem – Dritten.

Am Tage, als die Königin von England das Grab des großen Napoleon besuchen wollte, war das Volk ausgeschlossen. Die Königin kam erst Abends an. Die glänzenden Uniformen ihres Gefolges erbleichten in dem aufleuchtenden Triumphe der alten verwitterten Gesichter Napoleon’scher Invaliden, in deren Kapelle ihr Abgott ruht. Die Fackeln und Kerzen belebten mit ihrem Geflacker die steinernen Wände und Engel, welche den Sarkophag umschützen. Die Orgel spielte: „God save the queen!“ als sie am Arme der lebendig gewordenen Asche an die todte herantrat. Aus den acht Abtheilungen der Kapelle, in deren Mitte der Sarkophag die Mitte bildet, blickten die Augen alter, gegenwärtiger und zukünftiger Helden stumm und andächtig herein, getroffen von der Nemesis der Geschichte, feierlich angeregt durch die nobeln künstlerischen Architektur- und Sculpturformen, an welchen sich der höchste Kunstgeschmack Frankreichs erschöpfte, vielleicht auch von Fragen durchzuckt: Wird diese mährchenhafte, aller blutigen Kriege und der tiefsten, listigsten Weisheit der Staatskunst spottende Wendung der Geschichte nun aufhören, uns für die Sünden an der Civilisation zu bestrafen?

Wird sie sich bei dem Humbug, den wir mit „westlicher Civilisation“ treiben, jetzt den Spott gefallen lassen? Wohl nicht, denn schon jetzt scheint es uns, als sei selbst der Fall Sebastopols nur ein Pyrrhussieg, der mehr Verlust als Gewinn einschließt und das nächste Jahr den Franzosen noch abermals tausend Millionen Franks und den Engländern hundert Millionen Pfund Sterling abborgen wird, um sie so wenig zurückzugeben, wie die Tausende von Jünglingen und Männern, die fielen und noch fallen werden.

Bis jetzt war und ist der Krieg von allen Seiten nur ein Todtengräber der Civilisation, wie Napoleon der Große es im ganzen letzten Viertel seiner Laufbahn war.