Die Bäume des Paradieses
Als Gott den Menschen ins Paradies einführte, neigeten sich vor ihm die Bäume des Paradieses mit ihren Wipfeln, und jeder derselben bot dem Lieblinge Gottes seine Früchte, seine Zweige, seinen erquickenden Schatten dar. „O daß er mich erwählte, sprach der Palmbaum, ich wollte ihn speisen mit den Trauben meiner Brust und mit dem Weine meines Saftes ihn tränken. Von meinen Blättern wollte ich ihm eine friedliche Hütte baun und ihn überschatten mit meinen Zweigen.“ „Mit meinen Blüthen wollte ich dich bestreuen, sprach der Apfelbaum, und dich mit meinen besten Früchten laben.“ So sprachen alle Bäume des Paradieses und Gott führte Adam zu ihnen, nannte ihm die Namen derselben und erlaubte ihm den Genuß ihrer aller, außer der Frucht vom einzigen Baum der Erkänntniß des Guten und Bösen.
[212] „Ein Baum der Erkänntniß des Guten und Bösen? sprach Adam in seinem Herzen. Alle andere Bäume geben mir nur irdische, leibliche Nahrung; und dieser, der meinen Geist stärkt, der die Kräfte meines Gemüths erhebet, wäre mir verboten?“ Noch unterdrückte er den Gedanken; als aber das Beispiel und eine Stimme der Verführung zu ihm sprach, kostete er von der Frucht, deren Saft noch jetzt in aller Menschen Herzen gähret. Alle schätzen wir geringe, was uns vergönnet ist und sehnen uns nach dem Verbotnen: wir wollen nicht glücklich seyn durch das, was wir sind, sondern haschen nach Etwas, das über uns ist und außer unserm Kreise lieget.
„Du hast den Menschen ein hartes Verbot gethan, sprachen die Engel der Eigenschaften, als Gott vom Paradiese zurück kehrte: denn was ist
[213] reizender für ein Geschöpf, dem du die Gabe der Vernunft gegeben, als daß es Erkänntniß des Guten und Bösen lerne? Und deshalb willt du ihn, wenn er dein Gebot übertritt, mit dem Tode strafen?“ „Wartet, wie ich ihn strafen werde, sprach Gott: denn selbst im Wege seines Irrthums, auf welchem ich ihn mit Schmerzen der Reue durch stechende Dornen führe, leite ich ihn zum Baum eines höhern Lebens.“