Die Brotteröder

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Titel: Die Brotteröder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 537–529
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Brotteröder.
Ein Stücklein aus der Franzosenzeit.

Eine herzerquickende Erscheinung für den Touristen ist ein kräftiges, naturwüchsiges Völkchen. Ein solches sind die Bewohner des kurhessischen Landfleckens Brotterode am westlichen Fuße des Inselsberges, in einer Höhe von 1800–1900 Fuß über der Meeresfläche gelegen, mit 2700 Einwohnern in 368 Wohnhäusern. Diese ziehen sich bei dem wechselnden rauhen Terrain in einer Hauptstraße mit einigen Nebengassen fast eine halbe Stunde von einem Ende des Ortes bis zum andern hin, und bilden ein sehr verschiedenes Gemisch von Wohlhabenheit und Armuth, je nachdem ihr Aeußeres das Gepräge der Fabrikherren oder der ärmeren Feuerarbeiter trägt. Wohl nirgends spricht sich der Volkscharakter eigenthümlicher aus, als hier. An dieser merkwürdigen Erscheinung wirken verschiedene, in den örtlichen Verhältnissen begründete Umstände zusammen. Die alte Zunftordnung der Schnallenschmiede zur Verfertigung aller möglichen Metallarbeiten zu Pferdegeschirren und Wagen erbt als ein Privilegium von Geschlecht zu Geschlecht, bindet an den eigenen Heerd in der Familie, indem sie dem jungen Arbeiter das Wandern nicht auferlegt, so daß Mancher von ihnen nicht weit über die Gipfel seiner nahen Berge hinauskommt, und mit dem Handwerk die alten Gebräuche und Liebhabereien vom Vater ererbt.

Der Markt in Brotterode.

Der Brotteröder ist einfach in Sitte und Tracht, fleißig und genügsam, hämmert und feilt in rußiger Werkstatt vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Seine Mundart ist, ähnlich der Ruhlaer, ein ganz besonderes Idiom und für ein ungeübtes Ohr schwer verständlich. Auch der gebildetere Theil spricht dieselbe fast immer auf dem heimathlichen Boden, und auf Messen erregen die Brotteröder Kaufleute, wenn sie unter einander plaudern, nicht selten die Verwunderung der deutschen Landsleute, als wenn sie von einem fremden Menschenschlag abstammten.

Die kernige Constitution der Brotteröder ist größtentheils in localen Verhältnissen begründet. Nicht blos die frische Luft mit ihrem Reichthum an Sauerstoff und ihrem geringeren Luftdrucke in der beträchtlichen Thalweitung, in der Höhe von 1800–1900 Fuß, am Fuße des Inselsberges, sondern auch das herrliche krystallhelle, fast chemisch reine, überall aus Granit zu Tage gehende und daher immer kühle Quellwasser tragen viel zu einer dauerhaften Gesundheit der Bewohner bei. Hierzu kommt noch der auffallend erscheinende Umstand, daß in Brotterode die Tuberkelschwindsucht angeboren nicht vorkommt, daß diese Krankheit bei Fremden im dasigen Orte in ihrem weiteren Verlaufe aufgehalten wurde, sodaß ein wissenschaftlich gebildeter, sehr tüchtiger Arzt die Behauptung aufstellte, ein Schwindsüchtiger sei in Brotterode weit besser aufgehoben als in Nizza. Wegen dieser gesammten klimatischen Verhältnisse ist dort bereits eine Badeanstalt nicht blos für alle möglichen kalten Bäder, sondern auch für Fichtennadeldampfbäder eingerichtet worden. Für solche, die blos eine Molkencur zu brauchen beabsichtigen, ist hier die Milch der auf den kräuterreichen Bergen weidenden zahlreichen Ziegen vorhanden, und deshalb dem Gedeihen der Curanstalt mit Zuversicht entgegen zu sehen.

Die Fremde hat für den Brotteröder im Allgemeinen etwas Verächtliches, deshalb nimmt er selten eine „Fremde“, auswärts Geborne zur Frau, noch weniger aber will er einen fremden Mann in der Gemeinde haben. Ein Jude, deren es nicht weit davon in Massen gibt, darf unter keiner Bedingung in dieselbe aufgenommen [538] werden, ja früher soll nicht einmal ein Jude im Orte haben übernachten dürfen. Der Brotterode ist kühn, kurz angebunden zum Streit; ja, nicht selten ließ er in der Hitze schon Blut fließen, denn schnell blitzte sonst der scharfe Schnitzer in der nervigen Faust. Seine alten Ortsrechte, die Kaiser Karl V. mit Verleihung einer Fahne (die Fune von Karles Quintes genannt) einst dem Dorfe schenkte oder vielleicht nur erneuerte, ist er stets bereit, zu vertheidigen, besonders das heilige Symbol von der Väter Sitte selbst, die theure Fahne mit den Emblemen des Bergbaues, des früheren Gewerbes, und mit einer darüber stehenden Kaiserkrone und den Anfangsbuchstaben des kaiserlichen Gebers C. V. geziert.

Dabei ist er von Charakter im Allgemeinen gutmüthig, leicht aufgesetzt zu munterem Scherz, Musik und Tanz und allerlei Kurzweil, denn er ist rasch in seinen Bewegungen und führt eine geläufige Zunge, worin sich namentlich der weibliche Theil auszeichnet. Einige Brotterode Weiber im lebhaften Gespräch ihre Mundart sprechen zu hören, ist für einen Fremden eine Komödie.

Um die Leute in ihrer ganzen Volkseigenthümlichkeit zu sehen, beschloß ich, ihre Kirchweih zu besuchen, die zu Ende des Monats Juli fällt; heute war der Haupttag. Der Postwagen hatte auf der Landstraße von Schmalkalden her die südlich gelegene Anhöhe erreicht und rollte bergein dem Orte zu, der unter dem schönsten Himmelsblau sich ausbreitete, während er sonst häufig einen großen Theil des Jahres in dicke Nebel eingehüllt ist, die der Sturm vom nahen Inselsberg herabwälzt.

Zuerst suchte mein Blick die berühmte Fahne unter der Thurmkuppel, denn heute war ihr Ehrentag. Sie wehete hoch oben in der Luft, zum Zeichen, daß heute Brotterode noch in seinem alten Rechte sei, erst morgen früh sollte sie unter Glockengeläute und Musik wieder abgenommen werden, wie sie nach altem Branche unter gleichen Feierlichkeiten aufgesteckt worden. Der glänzende Thurmkopf erinnerte mich an die Worte, die auf einem Pergament in dem alten Knauf enthalten waren, und so recht die Zähigkeit der Brotteröder am Altherkömmlichen und ihre Kampfeslust für dasselbe bekunden. Sie lauteten: „Diese Kirche ist angefangen worden zu bauen, als ein Mönch, Namens Lutherus, wider die Papisten angefangen zu schreiben, dem aber das Maul bald gestopfet werden soll.“

Unter diesen und ähnlichen Betrachtungen über die Volkssitten zog ich im festlichen Orte ein und gelangte auf den Markt, wo eben eine Abtheilung Kirmsebursche mit ihren Mädchen den jubelnden Umzug hielt. Ich hatte manches Beispiel von der Kampfeslust der Brotteröder aus alter Zeit gehört, so daß sie vor vielen anderen einzig in ihrer Art dastehen. Einen interessanten Beleg hierzu liefert unter Anderem die Vertheidigung der genannten Fahne und noch mancher Beweis von kühner Entschlossenheit und Tapferkeit für das Vaterland gegen die Franzosenherrschaft. Ein Augenzeuge jener Ereignisse aus seiner Jugendzeit, ein alter Herr mit schneeweißem Haar, erzählte mir „auf der Höh", wie das Casino der Kaufleute schlechtweg genannt wird, mit großer Gefälligkeit die merkwürdigsten Begebenheiten aus Brotterode’s Geschichte.

„Es war auf dem Kirchweihfeste des Jahres 1805 oder 1806," erzählte er, „als uns die Schmalkälder die Fahne entführen wollten, in der Meinung, daß mit dem Verluste derselben auch die dem Ort durch dieselbe zuständigen Rechte verloren gingen. Die Bürger der Stadt Schmalkalden waren auf uns schon seit Jahren wegen des raschen Aufschwungs unseres Handels eifersüchtig, sie schienen es uns im Fleiße nicht gleich thun zu können, denn es herrschte damals, in der Zopf- und Haarbeutelzeit, bei ihnen das Sprüchwort: „Wenn wir uns des Morgens beim Anzuge noch pudern, haben sich die Brotteröder schon halb todt gearbeitet.“ Besonders war ihnen die Fahne von Karl V. ein Dorn im Auge, denn die Brotteröder steiften sich oft den Schmalkälder Behörden gegenüber auf ihre durch jene erhaltenen Rechte, als da sind: acht Tage Kirmes ohne obrigkeitliche Erlaubniß, acht Tage freie Fischerei und zuweilen etwas zu freier Gebrauch von dem großen Gemeindewald. Man hätte sich daher die Fahne, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, gern längst geholt, aber man kannte die Verehrung für dieses Panier und fürchtete sich deshalb vor unsern harten Fäusten. Da vermaß sich, gerade zu jener Kirmes 1806, zu Schmalkalden der Unteramtsschultheiß Becker in einem Gespräch mit seinen Vorgesetzen voll Groll über die Brotteröder, er wolle ihnen ohne Weiteres die Fahne vom Thurme nehmen, wenn er zu seiner Bedeckung eine kleine Escorte Militair erhielt. Es wurde um das Wagestück gewettet, und Becker zog mit seinen Feldjägern nach Brotterode ab, durch eine Seitengasse ein. hin nach dem Kirchplatz, während fast alle Leute fröhlich auf dem (damaligen) Schützenhofe beim Tanze waren. Er hatte gerade eine nagelneue gelbe Hose an und sich den Zopf recht schlank gedreht. Im Pfarrhofe sah ihn zufällig eine Botenfrau, als er an seinen Raub nach dem Thurme ging, erkannte ihn und seine Absicht, und bat ihn: „Ach, Herr Amtsschulz, thun Sie doch das nicht, da wird ja das ganze Dorf aufsässig.“ Er aber holte die Fahne. Unterdessen hatten sich einige neugierige Frauen eingefunden, als er mit der Fahne herabkam; unter diesen ein altes beherztes Weib, die sogenannte schwarze Margreth Christine, Wittwe eines Schnallenschmiedes, Namens Jüng, und eine andere, genannt Hühne Krette (Margarethe Huhn). Die alte Schwarze den Schmalkälder Unteramtsschulzen mit der Fahne in der Hand sehen, ihn an der Kirchenthür vermittelst einer Kartoffelhacke im Rockkragen einhaken, an sich ziehen, seinen Zopf fassen und ihn so zur Erde reißen, war das Werk einiger Augenblicke. Triumphirend hob sie mit der einen Hand den schön gewichsten Zopf, den sie dem Räuber ausgerissen hatte, in die Höhe, mit der andern hatte sie unter Beistand und „Zuschlag“ der Hühne Krette die Fahne gefaßt. Andere Weiber hatten die Feldjäger in „Beschlag“ genommen und die Schläge auf sie nicht gezählt. Die übrige Bevölkerung hatte die Schreckenskunde von dem Raube schnell herbeigezogen, aber die Männer fanden fast nichts mehr zu thun, die Weiber waren Sieger. Man ließ die Schmalkälder Sippschaft unter heller Verhöhnung laufen, und steckte unter lautem Jubel und Schalle der Musik die Fahne sofort wieder auf.“

Die Sache kam, wie ich von dem Erzähler weiter erfuhr, vor die Behörden von Schmalkalden, obgleich diese die Urheberin des Scandals selbst gewesen war, und der erboste Unteramtsschulze scheint dieselbe so zu seinem Vortheile dargestellt zu haben, daß die ihm für die Wette erfahrene Unbill hart bestraft wurde. Die schwarze Margreth Christine und Hühne Krette kamen mehrere Monate in’s Zuchthaus zu Kassel und einige Andere mußten geringer büßen. Doch die Rache der Brotteröder gegen den Schulzen Becker schlief nicht lange, dann bei einer anderen Gelegenheit, die das Resultat ihres kühnsten Patriotismus war, sollte sie von Neuem erwachen und ohne Rückhalt geübt werden.

Als gegen Ende des Jahres 1806 der Kurfürst von Hessen durch Napoleon verjagt und sein Land zu dem Königreich Westphalen unter Jerome Bonaparte geschlagen wurde, waren die Brotteröder von dem wüthendensten Hasse gegen das Franzosenthum erfüllt. Zu dieser Zeit war im Ort als französischer Maire – denn Schultheiß hieß es nun nicht mehr — ein gewisser Eichhorn, ein Mensch, der sich trefflich zu dem französischen Spionirsystem eignete und durch seinen Eifer auf seinem Posten einen weit höheren zu erschnappen hoffte. Der Haß gegen diesen war außerordentlich, überhaupt der Haß gegen die westphälische Herrschaft so groß, daß sich die jungen Militairpflichtigen durch die Flucht dem Dienste in der französischen Armee zu entziehen suchten und zu ihrem Aufenthalte die verstecktesten Schluchten und Winkel des Waldes aufzufinden wußten, wo sie Monate, ja, man sagt, Jahre lang von ihren Freunden mit Nahrung versorgt wurden. Nur auf diese Weise gelang es dem Maire Eichhorn nicht, sie auszuliefern, denn ein Brotteröder gab sich nicht zum Angeber her. Aber wahrlich nicht aus Feigheit, aus Scheu vor dem Kriegsdienste, nein aus Scheu davor, gegen die deutschen Brüder die Waffen tragen zu müssen, unterzogen sich die kühnen Söhne der Berge den Gefahren, denn beim ersten Erwachen der deutschen Begeisterung stellten sich Viele derselben sogar freiwillig unter die Fahnen des zurückgekehrten Landesherrn. Der Haß gegen den Maire Eichhorn brach jetzt, noch zur Zeit der westphälischen Regierung, fast zusammenfallend mit den Schlachttagen bei Leipzig, furchtbar hervor. Für die Brotteröder hatte er sein elendes Leben verwirkt; der Tod war ihm geschworen. Noch spät in der Nacht wollte man sich seiner bemächtigen, schon glaubte man seiner in seinem Bette gewiß zu sein, als er sich durch die Flucht zu retten wußte, ohne Zeit zu haben, seine Kleider anzulegen. Nur im Hemde, durch einen kühnen Sprung aus dem Fenster, entkam er mit Mühe und fand Zuflucht in Schmalkalden. Sogleich aber wurde sein Haus der Erde gleich gemacht, obschon man des Sieges der deutschen Waffen noch nicht ganz sicher war. Als zwei Tage darauf mehrere Brotteröder mit dem frohen Botschaft „die Kosaken kommen“ nach längerer Zeit zurückkehrten, fügten sie dieser Kunde sogleich mit freudestrahlenden Gesichtern und geballten Fäusten die Aufforderung hinzu: „Nun wollen wir dem [539] Maire das Haus demoliren!“ Da lachten die Andern sie aus mit den Worten: „Das haben wir schon vor zwei Tagen besorgt.“ Der Platz, auf dem das Haus gestanden, ist, trotz des Mangels an Bauplätzen mitten im Ort, bis heute noch nicht wieder bebaut, sondern scheint für alle Zeiten geächtet.

Doch wir haben der Schilderung von der Kühnheit der Brotteröder im Jahre 1806 vorgegriffen und kehren deshalb zum Anfang der westphälischen Regierung zu der genannten Zeit zurück, um auch dem Fahnendieb Becker wieder zu begegnen.

In Schmalkalden lag zu Ende des Jahres eine kleine Abteilung der französischen Armee, aus Fürst-Primas-Truppen bestehend. Sie hatten einen Transport von erbeuteten preußischen Kanonen aus der unglücklichen Schlacht bei Jena mit sich, von denen eine bespannt war und zwölf andere auf sechs Wagen sich befanden, um nach Mainz escortirt zu werden. Nachdem zu Brotterode schon am Christheiligabend (24. Decbr.) Volksaufläufe und heimliche Besprechungen statt gefunden, rottete sich am ersten Weihnachtsabend eine beträchtliche Anzahl Männer, größtentheils gewesene althessische Soldaten, unter Anführung des Kaufmannssohnes Andreas Ritter, eines wilden Raufboldes, zusammen; doch die Seele des Aufstandes war ein Schnallenschmied von der Classe der Sporer, Caspar Scheidler, später Ortsschultheiß, ein kühner, aber besonnener Mann. So zog der Insurgentenhaufen aus, über die Dörfer Kleinschmalkalden, Seligenthal, nach dem Dorfe Floh, überall Verstärkungen, sowohl von entlassenen Soldaten als Landleuten, an sich ziehend. Sogar Beamte, z. B. der Brotteröder Förster Leo, wie es scheint einer der Anstifter, befanden sich im Zug, Außer Andreas Ritter waren zwei Anführer der frühere Gardist Moritz Peter aus Floh und Gottlieb Ulrich aus Seligenthal, Vogellips genannt. So suchte sich das Volk auf eigene Faust zu helfen, da es vergebens auf den Beistand der hessischen Prinzen zu ihrem eigenen Vortheil gerechnet hatte, denn schon vor Ausbruch des Aufstandes ging der Förster Leo damit um, die entlassenen hessischen unzufriedenen Soldaten zu sammeln, begab sich aber erst nach Philippsthal, um sich bei den dort residirenden Prinzen Verhaltungsbefehle zu holen; allein diese hatten ihn eines Anderen belehrt.

In der Dunkelheit des Morgens vom zweiten Weihnachtstag kamen die Insurgenten vor der Stadt Schmalkalden an, erzwangen die Eröffnung des Weidebrunner Thores und zogen sogleich vor die Hauptwache. Nachdem hier ein Theil der französischen Soldaten (Italiener) verwundet und zwei gefangen genommen worden, auch die Hauptwache erstürmt war, suchten die übrigen das Weite. Hierauf bewaffnete sich die Schaar mit den von den Einwohnern abgelieferten Büchsen und sonstigen Waffen, die sich theils auf dem Rathhause, dem Oberamte und der Renterei befanden, um vor allen Dingen die franzosenfreundlichen Beamten zu züchtigen. Als solche galten besondes der Obereinnehmer Koch und der frühere Amtsschultheiß, jetzt Cantonsmaire Becker. Beiden wurden die Häuser demolirt, wobei Letzterem noch einmal auf eine handgreifliche Art von dem Schnallenschmied Caspar Schmauch der verfluchte Fahnenraub in’s Gedächtniß zurückgerufen wurde. „Damiet Dau weißt vun wäm Dau se kregt hahst die Mullschälle, ihch heiß Kopp[1] Schmuhch uhn bihn aus Brottero, Dau Kirmesdieb, Dau!“ Becker machte sich aber so schnell wie möglich aus dem Staube, da noch Mehrere Schmauch’s Beispiel nachzuahmen suchten. Die erbeuteten Kanonen wurden im Triumph nach Kleinschmalkalden, einem halb gothaischen und halb hessischen Ort, zunächst an Brotterode auf der Straße nach Stadtschmalkalden gelegen, gebracht und hier sogar ein Stück auf einen steilen Berg gefahren, um damit die Gegend beherrschen zu können, die andern vor dem Wirthshause auf hessischer Seite aufgefahren und von Posten in althessischen Uniformen bewacht. – Am dritten Weihnachtstag erscholl das Gerücht, die Franzosen kämen die Laudenbach (Ludemich in der Volkssprache), das Thal südwestlich unterhalb Brotterode, herauf, um an dem Ort Rache zu nehmen. Da wurde schnell die Sturmglocke gezogen und Alt und Jung, Männer und Weiber, gutwillig oder gezwungen, zogen das Thal hinab, mit allerhand improvisirten Waffen, Dreschflegeln, Aexten, Hacken, vor Allem mit den erbeuteten Gewehren, bis zum Drusenthale bei dem Dorfe Herges, einem wildromantischen Grunde, abwechselnd von hohen Felsen zu beiden Seiten gebildet. Auf diese kletterte man und faßte Posto, um durch Herabschleudern von Felsstücken den heranrückenden Feind zu vernichten. Doch dieser blieb aus; das Gerücht schien unbegründet, und Abends kehrte die kriegerische Schaar heim nach Brotterode.

Dem Gerichtsamtmann Reichard daselbst, einem sehr wackern und geachteten Mann, schien der tollkühne Aufstand gegen die französische Regierung denn doch zu gewagt, und auf seinen Rath wurden die Kanonen wieder nach Schmalkalden gebracht, von wo sie nach Meiningen geführt werden sollten, was aber erst am 1. Januar 1807 gelang, da man sich auf dem Wege nach Herrenbreitungen an der Werra derselben noch einmal bemächtigt hatte.

Bald aber kam die Kehrseite.

Am 6. Januar verlangte der französische General die Auslieferung der Rebellenführer bis zum 10. des Monats nach Hersfeld und Wiederablieferung der Waffen. Beiden Forderungen konnte die Behörde zu Schmalkalden nicht sogleich genügen, auch der Versuch einer Deputation von drei Schmalkaldern, die erst nach Cassel und dann nach Braunschweig zu dem Generalgouverneur Lagrange ging, um das Unheil abzuwenden, mißlang, denn es rückten Anfangs Februar einige Tausend Mann, zwei Regimenter Piemontesen, in der Herrschaft Schmalkalden ein, und eines schönen Morgens 3 Uhr war Brotterode von einem Bataillon Infanterie nebst Artillerie umzingelt. Nur den eifrigen Bemühungen des braven Amtmann Reichard gelang es, daß dem Orte, der leicht mit Feuer und Schwert hätte vernichtet werden können, eine schonendere Behandlung zu Theil wurde. Vier der Rädelsführer aber wurden mit weggeführt, Andreas Ritter, Caspar Schmauch, Caspar Kürschner und Caspar Scheidler. Schon am folgenden Tage wurde der Letztere mit einem gleichfalls weggeführten Färbergesellen zu Schmalkalden entlassen; ebenso nach einiger Zeit Caspar Kürschner. Ritter und Schmauch wurden nach Mainz, dann nach Metz und endlich nach Besannen geführt, ersterer auch zum Tode verurtheilt, aber noch begnadigt. Der schlaue Vogellips (Gottlieb Ulrich) aus Seligenthal rettete sich vor der Gefangennahme, als die damit beauftragten Italiener seine Wohnung umstellten und durchsuchten, dadurch, daß er rasch die Kleider seiner Schwester anzog, sich ganz unbefangen auf den Melkschemel unter die Kuh setzte und so lang melkte, bis er den günstigen Zeitpunkt ersah, über mehrere Dächer zu entkommen.

So endigte der tollkühne Aufstand der Brotteröder um Weihnachten des Jahres 1806. Auch die Dornbergische Insurrection 1809 hatte hier ihre Anhänger und besonders an einigen Kaufleuten Unterstützung gefunden, jedoch der verfrühte Ausbruch derselben in Ober- und Niederhessen hielt hier die weitere Bewegung gänzlich nieder. Das schlichte Bergvölkchen der Brotteröder aber hat gezeigt, zu welchem kühnen Muthe echte Vaterlandsliebe begeistern kann.



  1. Caspar.