Die Campmeetings

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Campmeetings
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 366-369
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ein Bild religiösen Lebens aus Nordamerika
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[366]
Die Campmeetings.
Ein Bild religiösen Lebens aus Nordamerika.
Das Leben auf einer Lagerversammlung. – Zur Geschichte der Lagerversammlungen – Die Methodisten. – Ein weiblicher Apostel.

Es war auf meinen Irrfahrten während der ersten Jahre meines Aufenthaltes in Amerika, daß ich nach dem Eastern Shore an der atlantischen Küste der Vereinigten Staaten verschlagen wurde. Auf dieser Halbinsel, die im Osten vom Ocean und im Westen von der Chesapeak-Bai eingeschlossen wird, weilte ich längere Zeit bei einem gastfreundlichen Farmer in Queen Anne’s County, Md. Dort war es, wo ich zuerst einem Campmeeting oder einer Lagerversammlung, wie der Deutsch-Amerikaner diese eigenthümlichen Andachtsübungen nennt, beiwohnte. Ich hatte schon viel von den Versammlungen gehört und gelesen, aber nie Gelegenheit gehabt, diese religiöse Narrheit aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Als daher eines Tages von Seiten eines Bekannten die Aufforderung an mich erging, mit ihm nach einer Lagerversammlung zu fahren, sagte ich mit Freuden zu und fuhr mit ihm gleich am nächsten Morgen in einem sogenannten Buggy (kleinem Wagen) zu dem einige Meilen von Church Hill, Queen Anne’s County, gelegenen Platze der Versammlung.

Wer noch nie auf einem Campusmeeting war, vermag sich kaum eine Vorstellung von einem solchen zu machen. Man gewinnt im ersten Augenblick den Eindruck, als ob man sich einem Platze näherte, der erst vor wenigen Wochen von Colonisten gegründet worden. Mitten im Walde, unter hohen schattigen Bäumen sind Wege angelegt, und an beiden Seiten derselben reiht sich eine Hütte an die andere; sie sind roh aus Holz gezimmert; daneben erblickt man auch viele Leinenzelte. So unscheinbar diese Hütten und Zelte auch von außen sind, im Innern sind doch manche recht wohnlich eingerichtet. Ein feiner Brüsseler Teppich entzieht oft die rohen Bretter des Fußbodens den Augen des modernen Zeltbewohners, während die Möbel, welche die inneren Räumlichkeiten schmücken, gar häufig aus den ersten Magazinen der Großstädte stammen. Andere Hütten sind allerdings einfacher eingerichtet. Eine Strohmatte vertritt mitunter die Stelle des Teppichs, und oft fehlt auch diese. Den Mittelpunkt einer solchen Zeltstadt bildet die für die Geistlichen errichtete Kanzel oder der „Stand“. Vor diesem Stande sind zahlreiche Bänke angebracht, auf denen die Andächtigen oft vom frühen Morgen bis zum späten Abend den Predigten lauschen, die fast ohne Unterbrechung gehalten werden.

Trotz der frühen Stunde unserer Ankunft wimmelt das ganze Gehölz von einem Getümmel der buntesten Art. Während hier ausgeschirrte Pferde in großer Anzahl inmitten einer förmlichen Wagenburg stehen und an mächtigen Heubündeln oder vollen Hafersäcken ihren Hunger stillen, lärmen dort Schaaren von Kindern – meist halbwüchsige Buben – tiefer im Walde umher. An heimlichen Plätzen legt auch wohl eine Gruppe von Schönen die letzte Hand an die Toilette, oder es wandert ein glückliches Paar umschlungen durch das lauschige Waldesgrün. In den Kosthäusern herrscht schon ein reges Leben. Da kocht, bäckt und schmort bereits eine große Auswahl von Gerichten der bevorstehenden Mahlzeit entgegen. Eiserne Kochöfen wurden sammt den dazu gehörigen Utensilien in’s Lager transportirt und ermöglichen nun die sorgfältigste Ausübung der Kochkunst.

In dem großen offenen Schuppen am Ende des Platzes hat sich unterdeß eine ehrbare, ehrwürdige Gesellschaft von Herren in schwarzen Röcken, weißen Halsbinden und hohen Cylinderhüten eingefunden. Es sind Methodistenprediger – das sieht man an ihrer Kleidung und Haltung, an ihrer salbungsvollen Begrüßung und gemessenen Unterhaltung. Ihre Bewegungen sind bedächtig, ihre Mienen süß – Alles an ihnen ist mild, sanft, christlich, brüderlich.

Die Herren stehen oder sitzen in Gruppen; allein ihrer Rede fehlt der rechte Fluß, denn alle Augenblicke erscheinen entweder neue Collegen, oder es nahen sich Mitglieder der

[367]

Ein Methodisten-Campmeeting.
Nach der Natur aufgenommen von S. C. Allison.

[368] Gemeinde, Männer, Frauen, selbst junge Mädchen, welche ihren Seelsorgern die schuldige Hochachtung bezeigen wollen, und bei jeder Unterbrechung wiederholt sich das Lächeln, die salbungsvolle Begrüßung, das feierliche Handschütteln.

Zuletzt jedoch scheint die Zahl vollständig zu sein, denn man schielt nach der Uhr und der Sonne, welche schon ziemlich heiß auf die Menge herabzuscheinen beginnt. In die Versammlung kommt eine tumuluarische Bewegung, welche indessen nur der Vorläufer einer tiefen darauf folgenden Stille ist. Auf den Bänken des offenen Platzes ordnet sich die zahlreiche Gemeinde; die Prediger reihen sich die Sitze entlang, welche an den inneren Wänden des Schuppens hinlaufen, und einer von ihnen, ein Mann von ehrwürdigem Alter und Aussehen besteigt die Tribüne und erklärt die Uebungen für eröffnet. Er leitet dieselben durch eine kleine Rede ein, in welcher er auf den gottgefälligen Zweck der Zusammenkünfte hinweist. Alsdann kniet er nieder, und die ganze Gemeinde folgt seinem Beispiele. Man erhebt sich plötzlich von den Sitzen, dreht sich, kniet auf den Erdboden und birgt die Gesichter auf den Bänken. Bei diesen demüthigen Geberden vergessen die Andächtigen aber keineswegs die nöthige Sorgfalt für ihre neuen Anzüge. Während die Frauen ihre Oberkleider aufschlagen, ballen die Männer ihre baumwollenen Sacktücher zusammen und stützen das eine Knie darauf. Erst nach diesen praktischen Vorsichtsmaßregeln wendet die Gemeinde ihr Ohr dem Gebete zu, welches der Geistliche gen Himmel sendet. Wer mit dem Eifer der Methodisten nicht vertraut ist, möchte an diesem Gebete schon einen ziemlichen Grad von Ekstase entdecken – nicht so der Eingeweihte. Er beurtheilt dasselbe sichtlich als das mäßige Vorspiel zu einer gewaltigen Melodie, als das Wehen des Windes, welcher den furchtbaren Orkan einleitet. Wie das Rad, welches einen Abhang hinunter rollt, von Secunde zu Secunde an Schwung gewinnt, so arbeitet sich die betende Methodistengemeinde erst allmählich in jenen Paroxysmus hinein, welcher den Uneingeweihten förmlich mit Entsetzen erfüllt.

Sobald das Gebet beendigt ist, betritt ein anderer Geistlicher die Tribüne und theilt der Gemeinde mit, daß man eine Hymne singen und dann der Predigt eines gewissen Bruders lauschen werde. Dieses Programm wird auch ohne Verzug in Ausführung gebracht und ein fanatischer Gesang zu der Melodie: „Du, Du liegst mir im Herzen“, nicht etwa vierstimmig, sondern vielstimmig abgeleiert. Dann betritt der Prediger die Tribüne. Der geistliche Herr ist eine starke, vierschrötige Gestalt mit groben Gesichtszügen, unheimlich leuchtenden Augen und struppigen Haaren, welche – vielleicht berechnet – wild um den Kopf herhängen. Wie der Prediger, so ist auch die Predigt: rauh, fast wild, aber kräftig, aufregend, ja markerschütternd brausen die Worte umher, und nach dem Eindrucke, den sie selbst auf mich, den passiven Beobachter, den kritisirenden Laien machen, vermag ich wohl die Wirkung zu begreifen, welche diese Feuerrede auf schwache, empfängliche, gläubig gesinnte Gemüther haben muß. Wie alle Zeloten, verweilt der Mann weniger bei der Schönheit und Harmonie der Tugend, bei der Liebe und Barmherzigkeit seines Gottes, als bei der Abscheulichkeit des Lasters, dem berückenden Einflusse der Sünde, der Furchtbarkeit des Höllenpfuhls.

Still und schaudernd sitzt die Gemeinde beim Schlusse da, und wie nun ohne Zeitverlust ein frischer Geistlicher auftritt und die Brüder und Schwestern auffordert, vereint mit ihm zu beten, leuchtet hier und dort schon ein Auge in fanatischem Feuer auf. Sonderbarer Weise scheinen die Alten die Empfänglichsten: vielleicht, daß sie – in Folge langjähriger Uebung – weniger Schwierigkeit finden, sich in die erwünschte Ekstase hineinzuarbeiten.

Rasch nimmt die Gemeinde die knieende Stellung ein, und zwar jetzt mit weniger Rücksicht für die neuen Kleider, als das erste Mal. Während der Prediger eifrig zu beten beginnt und heiß und immer heißer sein Flehen gen Himmel sendet, sprühen allenthalben die ersten Funken der Begeisterung von der Menge auf. Die alten Männer bekräftigen die ihnen am meisten zusagenden Stellen des Gebetes mit wiederholtem, energischem „Amen!“ und die Matronen schreien mit schriller Stimme in einem fort ihr: „O Jesus, my redeemer!“ dazwischen. Die Jugend verhält sich noch ziemlich ruhig; wie nun aber ein drittes Gebet folgt, wie diesem sich ein viertes, fünftes, sechstes anreiht und einen immer wachsenden Fanatismus entfaltet, da wird Jung und Alt in den Strudel der Begeisterung hingerissen. Die Ausrufe werden so zahlreich, daß kein einziges Wort des Vorbeters unbekräftigt bleibt. Die anfängliche Ruhe der Gemeinde weicht einer fieberhaften Bewegung; hier und dort erhebt sich eine Gestalt und fuchtelt wild mit den Armen in der Luft umher. Manche trippeln hin und wieder und reiben sich die Hände vor Entzücken; Andere steigen auf die Bänke und stoßen laute Schreie von solcher Wildheit aus, daß sie an jedem anderen Platze und zu jeder anderen Zeit ernstliche Besorgnisse um den normalen Zustand ihres Verstandes erregen würden. Die Eltern freuen sich der Verzückung ihrer Kinder und die Kinder jubeln den rasenden Eltern nach. Je lauter das Geschrei, je wilder die Verrenkungen der Glieder, desto höher auch die Gnade Gottes, desto gewisser die Aussicht auf Errettung aus den Klauen des Satans, die Aussicht auf die Freuden des Himmels.

Nach dem sechsten Gebet folgt eine Pause. Wie die Drescher nach mehrstündigem Schwingen des Flegels ihre Arbeit einstellen, das leere Stroh wegräumen und das gewonnene Getreide einsammeln, so überschauen jetzt die Seelenhirten das Feld ihres Wirkens und sammeln die Opfer ihrer Thätigkeit. Sie scheinen befriedigt, und als von allen Ecken und Enden reuige Sünder auf sie zuwanken, gleitet ein freudiges Lächeln über ihre Züge. Manche dieser Sünder sind so ermattet von ihrem unsinnigen Wüthen gegen sich selbst, daß sie nicht allein gehen können, sondern von Freunden geführt werden müssen. Sie nehmen sämmtlich auf der „Sünderbank“ Platz, einem langen Sitze unmittelbar vor der Tribüne, wo die ganze Gemeinde Zeuge ihrer Zerknirschung und Bußfertigkeit ist und augenscheinlich sein soll. Die Mehrzahl sind Weiber und Mädchen, welche der Paroxysmus, in dem sie sich befinden, ganz und gar gegen das Peinliche ihrer Lage abgestumpft hat. Die nächsten Uebungen der Gesellschaft gelten ausschließlich diesen reuigen Sündern auf der vordern Bank. Mehrere Geistliche reden ihnen nach einander eindringlich in’s Gewissen. Zum Schlusse wird noch ein inbrünstiges Gebet für sie gesprochen. Jetzt endlich geht die Gemeinde aus einander, um den Speisen zuzusprechen, welche in den verschiedenen Buden, Schuppen und Kosthäusern ihrer warten. Belustigend ist der Eifer, womit die guten Leute sich um ihre Seelsorger als Gäste reißen. – Gegen zwei Uhr Nachmittags sammelte sich die verstreute Gemeinde von Neuem auf den Bänken vor der Tribüne, und die Scenen des Morgens wiederholten sich. Ich male dieses Bild nicht weiter aus. Genug, daß das Betfieber stetig um sich griff und gegen Abend in ein förmliches Delirium ausartete. Die Sünderbank wurde zuletzt so voll, daß eine zweite herbeigeschafft werden mußte, um die Bußfertigen alle zu fassen. Wer weiß, wie lange der Unfug in die Nacht hinein gedauert hätte, wenn durch physische Erschöpfung nicht endlich ein Aufhören bedingt worden wäre. Dennoch dunkelte es stark, als endlich das letzte Amen in der Abendluft verhallte. Sofort erfolgte eine erneute Stärkung des Leibes. Es war mir ein räthselhaftes Phänomen, wie schnell diese Leute ihre fromme Stimmung bei Seite setzen und sich in das lebhafteste Gespräch über die allermateriellsten Gegenstände vertiefen konnten. Die Prediger bildeten keine Ausnahme, und ich hörte mit eigenen Ohren, wie zehn Minuten nach dem Schlusse der Andacht zwei von ihnen eine vorteilhafte Landspeculation besprachen. – –

Es ist in den letzten Jahren viel hin und her gestritten worden, namentlich unter den Methodistengeistlichen selbst, wo und wann die Campmeetings entstanden seien. Lange Zeit hielt man Logan-County in Kentucky für die Wiege der Versammlungen. Dies ist ein Irrthum. Die Lagerversammlungen wurden zuerst von den Baptisten in Virginien in’s Leben gerufen. Vor hundert Jahren war es den in Virginien wohnenden Baptisten nicht gestattet, sich in Kirchen und Bethäusern zu versammeln und daselbst Andachtsübungen abzuhalten. Die Kirchen in Virginien standen zu jener Zeit unter der Controlle der bischöflichen Kirche von England, und nur die bischöfliche Lehre durfte von den Kanzeln verkündigt werden. Die Baptisten aber ließen sich dadurch in ihren Andachtsübungen nicht stören. Sie kamen in Privatwohnungen, in Scheunen oder an anderen Plätzen, wo sie sich vor den Episcopalen sicher glaubten, zusammen.

Einer der feurigsten und entflammtesten ihrer Geistlichen [369] war ein gewisser John Waller. Dieser begab sich im Jahre 1774, nachdem er monatelang wegen Predigens in Gotteshäusern in dem Gefängnisse zu Urbana in Middlesex-County geschmachtet hatte, nach Spotsylvania-County, wo er einen Aufruf an alle Baptisten Virginiens erließ und dieselben aufforderte, nach einem Walde in jenem County zu kommen, um daselbst unter dem schattigen Laubgezelt der Bäume gottesdienstliche Versammlungen im Freien abzuhalten. Aus einer Entfernung von mehr als hundert englischen Meilen strömten die Menschen nach diesem ersten jemals abgehaltenen Campmeeting. Mitten im Walde, abgeschnitten von aller Welt, kam, sobald John Waller seine Worte ertönen ließ, eine gewaltige religiöse Begeisterung über die Leute. John Waller, welcher bald einsah, daß er einen Funken in die Herzen des Volkes geworfen, predigte fortan in keiner Kirche mehr, dagegen veranstaltete er überall Campmeetings, und bald brachte er es dahin, daß die Zahl der Baptisten sich schnell mehrte. Die Anhänger der Staatskirche gingen häufig, anfangs wohl nur aus Neugierde, in die Wälder, um den eigenthümlichen Versammlungen beizuwohnen. Als sie dann die religiöse Begeisterung sahen, in welche die Massen geriethen, da war es auch um sie geschehen. Abergläubisch und unwissend, wie damals die Bevölkerung Virginiens war, glaubte sie in dem wahnsinnigen Gebahren der Baptisten das Walten Gottes zu erkennen, und bald gingen sie zu ihnen über und machten vereint mit denselben Front gegen die Mutterkirche.

Im Jahre 1789 wanderten zwei Baptistenprediger, Namens John und Lewis Craig, die häufig auf den Waller’schen Campmeetings gepredigt hatten, nach Kentucky aus und suchten jene Versammlungen auch dorthin zu verpflanzen. Dies wollte ihnen anfangs nicht gelingen, denn die Baptisten Kentuckys waren in verschiedene Fractionen gespalten und mehr geneigt, mit ihren Principien zu prahlen, als dieselbe durch einem frommen Wandel zu bethätigen. Hierzu kam noch, daß in Kentucky die Presbyterianer und Methodisten die Oberhand hatten und die Baptisten bei jeder Gelegenheit zu unterdrücken suchten. Schließlich wandten sich die Brüder Craig ganz von den Baptisten ab, brachten eine Vereinigung unter den Presbyterianern und Methodisten zu Stande, und im Sommer des Jahres 1800 fand die erste, bereits oben erwähnte Lagerversammlung in Logan-County, Kentucky, statt. In Virginien setzten die Baptisten diese Art der Gottesverehrung noch eine geraume Zeit fort, als aber die bischöfliche Kirche schließlich immer mehr an Ansehen verlor (ihre weltliche Macht büßte sie bereits ein, sobald die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten erfolgt war), stellten die Baptisten ihre Campmeetings ein und bauten sich ihre eigenen Gotteshäuser. Die Vereinigung der Presbyterianer und Methodisten in Kentucky währte auch nicht lange. Bald trennten sich die beiden religiösen Gemeinschaften; die Presbyterianer kehrten zur alten hergebrachten Art der Gottesverehrung zurück, während die Methodisten die Sitte des Abhaltens von Lagerversammlungen bis auf den heutigen Tag beibehalten haben.

Unter allen in den Vereinigten Staaten existirenden Religionssecten befindet sich keine, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte in größerem Maße ausgedehnt und mehr Proselyten gemacht hat, als die Secte der Methodisten. Schon heute übertreffen die Methodisten an Zahl die in Nordamerika wohnenden Lutheraner und Katholiken um ein Bedeutendes. Nichts hat in höherem Grade zur Vermehrung der Anhänger der Methodistenlehre beigetragen, als die Lagerversammlungen, die gegenwärtig so häufig veranstaltet werden, daß man in vielen Staaten der Union, namentlich in den östlichen, die ganzen Sommermonate auf Campmeetings zubringen kann, denn kaum hat die eine aufgehört, so fängt schon eine andere an. Reiche Gemeinden haben in der letzteren Zeit damit begonnen, romantisch gelegene bewaldete Plätze käuflich an sich zu bringen und dieselben für ihre Versammlungen einzurichten. Diese Plätze sind häufig mehrere hundert Morgen groß und mit Hôtels, großartigen Restaurationen (in denen jedoch selbstverständlich keine geistigen Getränke verkauft werden) und riesigen Schlafsälen für solche fromme Brüder, denen ihre bescheidene Mitteln weder die Einrichtung eines eigenen Zeltes noch den Aufenthalt im Hôtel gestatten, bebaut. Auf diesen in großartigem Stil eingerichteten Plätzen finden sich im Juli, wenn die Meetings beginnen, häufig fünfzehn- bis zwanzigtausend Menschen ein, und die ersten Methodistengeistlichen des Landes sehen es als eine Ehre an, in den Versammlungen zu reden.

Großes Aufsehen hat in den letzten Jahren das Erscheinen eines weiblichen Apostels auf den Campmeetings erregt. Diese Verkünderin der Methodistenlehre führt den Name Maggie van Cott und war noch vor zehn Jahren die Frau eines ehrsamen New-Yorker Kaufmanns. Als ihr Gatte plötzlich starb und sie trauernd zurückließ, erschien ihr, nach ihrer eigenen Aussage, Christus mit der Dornenkrone auf dem Haupte und forderte sie auf, sein Evangelium zu verkünden. Und dies hat sie seither gründlich gethan. Kaum war jene überirdische Erscheinung von ihr gewichen, als sie eine gewaltige Veränderung in ihrem innersten Sein und Wesen verspürte. Sie war nicht länger die arme verlassene Wittwe, die den Tod ihres Gatten und Ernährers betrauerte; sie fühlte plötzlich eine ungeahnte Kraft über sich kommen, und ohne Angst und Scheu begab sie sich in die Tempel der Methodisten und begann mit der Erfüllung ihrer Mission. Bald sprach man allenthalben von der großen, feurigen Rednerin, und ihr Ruf scholl durch alle Staaten der Union. Sie hat allmählich jeden Staat besucht, und selbst die Territorien blieben nicht von ihr verschont. Wohin sie kam, wußte sie die Andächtigen durch die Macht ihrer Rede zu packen, und wenn man ihren Aussagen Glauben schenken darf, hat sie in den letzten sechs Jahren nicht weniger als dreißigtausend Menschen zur Lehre der Methodisten bekehrt.