Die Dresdner Ausstellung von 1808 und Prof. Seidelmanns Kopie der Madonna von Raphael
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Die dießmalige öffentliche Ausstellung glich einem Gastmahl, wo die ausgesuchtesten Lieblichkeiten zuletzt aufgesetzt werden. Denn so viel auch Anfangs noch vermißt wurde, so merkwürdig und anziehend wurde sie gegen das Ende derselben. Die Schreier, welche gleich Anfangs über Dürftigkeit und Unzulänglichkeit ihre Stimmen erhoben, mußten also, wie fast immer, nur noch zu einiger Geduld verwiesen werden. Hoffentlich erhalten wir von Hartmanns Magdalena, die dem Herrn, nachdem sie ihm die Füße gewaschen und getrocknet hatte, mit Inbrunst die Füße küßt, während der Meister himmlische Worte ausspricht und die Gesellschaft sich in sinnige Hörer und sinnliche Genießer theilt, eben sowohl, als von Matthäis reichen Skizzen (Biton und Cleobis getuscht, die Dioscuren dem Orest erscheinend, nach dem Schluß der euripideischen Electra, schön in Oelfarbe ausgeführt) und von Näkes (eines treflichen Schülers unsers verdienstvollen Grassi) heiliger Familie Umrisse, die wenigstens über die Idee auch das größere Publikum zum Richter machen können. Die Landschaften unseres Klengels erhielten den ihnen gebührenden Beifall. Ein eignes bittersüßes Gefühl durchdrang die Beschauer beim Anblick der sechs herrlichen Landschaften unseres unvergleichlichen Mechau. Sie sind die letzte Frucht seines vieljährigen Studiums und entrücken uns in einen andern Himmel und eine andre Erde, indem der genialische Künstler die Geschichte Abrahams als einen eignen Cyclus dabei zum Grunde legte. Welche Klarheit, Bestimmtheit, Lieblichkeit! – Freilich ärgerten sich hier und da Unkundige darüber, daß die Kunst ihre letzte Vollendung, ihre Toilette, wenn ichs so nennen darf, nicht daran gesetzt hatte, sprachen von schreiendem Grün u. s. w. Aber was konnte der arme Mechau davor, daß der strenge Bote ihn abrief, bevor diese letzte schmückende Hand angelegt wurde. Dieß thut aber den Bildern selbst nicht den geringsten Eintrag. Mit leichter Mühe kann dieß hinzugethan werden. Mechau wollte sie nach Wien schicken, wo sie gewiß die Zierde der Gräflich Friesischen oder einer andern Kunstsammlung geworden wären. Glücklich, wer sie nun noch aus der Verlassenschaft erwerben kann. Eine Landschaft, die Gegend am See Kastel Gandolfo, wo einst unser Winkelmann bei seinem großherzigen Albani so genußreiche Sommertage verlebte, von Kaaz, versetzt uns wirklich ganz in jenes Zauberland der alten und neuen Hesperidengärten. Kaaz versteht es, mit geringem Kraftaufwand größere Wirkungen hervorzubringen, als mancher durch alle seine Anstrengungen erreichen vermag, der dann freilich bei der Beurtheilung seiner Geschöpfe auch die Schweißtropfen mit gezählt haben will, die ihm das Angstwerk kostete. Aber der Gast fragt nicht, wie wurde es gekocht, sondern wie schmeckts? An Porträts fehlte es auch dießmal nicht. Doch war im Verhältniß diese Ausstellung weit weniger mit Pinseleien und Sudeleien der Art heimgesucht. [619, 620] Unser ehrwürdiger Veteran Graff hatte seine Tochter mit ihrem Kinde und ihren Mann, dem eben genannten trefflichen Landschafter Kaaz gemalt und auch hier seinen alten Ruhm, ein Charakteristiker zu seyn, nicht verläugnet. – Noch mehr aber gefiel des Professor Bause Porträt, voll sprechenden Ausdrucks. Es erhielt dadurch noch einen größeren Reiz, daß wenig Schritte davon Bauses neuester schöner Kupferstich nach da Vinci, Christi Erklärung des vornehmsten Gebots, aufgehangen war. Vogels Porträts und Kindergruppen waren auch dießmal mit aller diesem Meister eigenen Lieblichkeit ausgestattet. Der jüngere Vogel, sein Sohn, hatte aus Dankbarkeit das Bild eines verdienstvollen Lehrers in der Philologie mit so viel Ausdruck gemalt, daß dieß Bild die Aufmerksamkeit aller Liebhaber auf sich zog. Pochmann, Rößler und mehrere andere verdiente Künstler waren auch nicht zurückgeblieben. Allein die allgemeinste Aufmerksamkeit zog Grassis eigenes von ihm selbst gemaltes Porträt auf sich. Die originelle Art der Beleuchtung und die treflichen Effekte des Helldunkels nöthigten gleichsam jeden auch noch so eiligen Vorübergehenden zur genauen Beschauung und wie gern ließ man sich diese Zunöthigung gefallen, die man bei aufmerksamer Betrachtung hier alles in verstärkter Kraft wieder fand, was Grassis Zauberpinsel oft nur im einzelnen zu spenden pflegt. Doch ich überlasse billig geübtern Beurtheilern die ausführliche Aufzählung aller Schönheiten und Schauwürdigkeiten der dießmaligen Ausstellung und bemerke nur noch, daß unter den ausgeführten Zeichnungen eine sehr genialisch gedachte und kräftig ausgezeichnete Fürstengruft von unserm braven Architekten Klinsky und eine mit Kreide unvergleichlich ausgeführte Kopie des Antinous en relief,, der einst die Zierde der Villa Albani und der angebetete Liebling unsers Winkelmanns war, von dem jungen Schnorr in Wien, ein jedes in seiner Art, gewiß auch eine ruhmvolle Auszeichnung verdiente. Allgemein beklagte man, daß es weder dem geist- und kunstvollen Kügelgen, noch dem originellen Friedrich dießmal gefallen hatte, dem darnach gelüstenden Publikum etwas von ihren Werken sehen zu lassen. Auch vermißten besonders unsre Damen zum Theil ungern die herrlichen und in vieler Rücksicht noch immer unübertroffenen Produkte der Meißner Porzellan- und Emaillemalerei, womit frühere Ausstellungen oft Fremde und Einheimische in Erstaunen setzten.
Dafür ward aber allen Freunden des Schönen und Gelungenen in der Kunst gleich nach dem Schluß des Salons auf der Brühlschen Terrasse ein andres Schauspiel auf der Gemälde-Gallerie aufgethan, welches in der That genannt zu werden verdient. Mehrere Tage dauerte ununterbrochen die Wallfahrt zu dieser Schaustellung, und wer schon öfter da gewesen war, ging immer aufs neue hin, wäre es auch nur gewesen, um die Beschauenden und Staunenden selbst sich zum Schauspiel zu machen. Wer kennt nicht die Monochromen oder die in Sepia und Bister in einer einzigen Farbe, braun, getuschten Gemälde unsers Prof. Seidelmann? Er ist bekanntlich selbst Erfinder dieser Manier und hat sie zu einer Vollkommenheit gebracht, worin er bis jetzt noch keinen Mitbewerber fand, der ihm den Preis streitig zu machen wagen dürfte. Auf ausdrücklichen Befehl Sr. Majestät des Kaisers Alexander hatte Seidelmann schon vor drei Jahren die Magdalena von Battoni in voller Größe des Originals meisterhaft ausgeführt und vom Kaiser, der selbst geringere Produkte oft kaiserlich belohnte, mehr als er verlangt hatte, großmüthig gezahlt erhalten. Die zweite Aufgabe schien allerdings eine halbe Unmöglichkeit zu fordern und schreckte durch ihren Umfang. Die Jungfrau mit dem Kinde und mit den Anbetenden, dem heiligen Sixt und der heiligen Barbara, von Raphael, der köstlichste Juwel unsrer an Köstlichkeiten so reichen Galerie, sollte von ihm – so war des Kaisers Wille – ganz in der Größe des Originals in Sepia nachgemalt werden. Nur der kann das Kühne dieser Aufgabe und das Gewagte des Künstlers, der sie zu lösen unternahm, ermessen, der die himmlische Erhabenheit und Anmuth des Originals, welches so Raphael selbst, erstünd er noch einmal, vielleicht nicht wieder malte, auf der einen, so wie die Beschränkung der Kunstmittel, die bei der Sepiamanier allein angewandt werden können, und die Mühsamkeit der hier unerläßlichen Technik mit gehöriger Sachkunde abwägen und durch eigene Anschauung begreifen lernte. Eigene Vorrichtungen waren dazu nöthig, um nur dem Canvaß, worauf gemalt werden sollte, die gehörige Dichtigkeit und Haltbarkeit zu geben. Das Ganze mußte in Theile getrennt und das theilweis Gemalte mit besondrer Kunst zusammengefügt und in einander verschmolzen werden. Der sinnende Künstler wußte doch für dieß alles Rath zu finden. Vielfache Versuche und eine unablässige Anstrengung brachten zum Ziele. Es war die Arbeit von beinahe zwei Jahren, wobei selbst dem härtesten Winterfrost zu trotzen dem Künstler, den eine ganz andere Fackel erwärmt, nicht zu mühsam schien. [621, 622] Denn der Ort, wo das Original allein kopirt werden konnte, gestattete durchaus keine Heizung.
[629, 630] Hätte Seidelmann sich selbst und aus eigenem Antrieb eine so schwere, ja man fühlt sich gedrungen zu sagen, halsbrechende Aufgabe zum Gegenstand seiner Kunstfertigkeiten gewählt, so möchte ihn allerdings der Vorwurf treffen: er habe das Unmögliche begehrt. Da ihm aber das Ganze anbefohlen wurde, so kann hier nicht mehr die Frage seyn, ob alle ätherische Klarheit und die ganze Stralenglorie, von welcher umflossen Raphael die Hochgebenedeiete unter den gedrängten, aber nur wie lichte Wölkchen hervorschauenden Engelsköpfchen hervortreten läßt, ob die Fülle der erhabensten Himmelshuld in der Jungfrau, die zu- und abgewandte Andacht und Anbetung in den zwei Heiligen, und das Göttliche im Kinde hier ganz wiedergegeben wurden; sondern nur das kann gefragt werden, ob der geist- und gemüthvolle Künstler alles leistete, was bei seinen Kunstmitteln zu leisten möglich war. Dieß wird kein Unbefangener leugnen. Keiner – es müßte ihm denn eine selbstische Leidenschaft das Urtheil trüben – wird in Abrede stehn, daß der brave Meister die Herrlichkeit des Urbilds und die Kräfte, die jener schaffende Genius zur Hervorbringung dieses in seiner Art selbst unter Raphaels Werken einzigen Bildes brauchte, – mit wenigen unaussprechlich vieles und großes – vollkommen erkannte und in sich auffaßte; daß er über der mühsamsten Ausführung des Einzelnen den Eindruck des Ganzen, und den Effekt, den er bezweckte, nie aus dem Auge verlor und daß er so ein Bild erschuf, das durch die Kraft des Helldunkels und die gewaltig hervortretenden Massen eine Wirkung hervorbringt, die eben so ergreifend beim ersten Anblick, als dauerhaft und motivirt bei der genauern Zergliederung genannt werden muß. In der gehörigen Form und aus dem richtigen Gesichtspunkt genommen gleicht diese Wirkung wirklich einem Zauberschlag. Rußlands Glasfabriken werden die Aufgabe zu lösen haben, für solchen Umfang deckende Glastafeln hervorzubringen, deren schirmender Ueberzug eben sowohl für die Dauer nothwendig seyn wird, als ihre mildernde Durchsichtigkeit dem Ganzen zusagen muß. Aber auch die nächste Beschauung bleibt hier nicht ohne Lohn. Viele einzelne Partien des Nackenden, der Gewänder, besonders am heiligen Sixt, und manche Theile des Gemäldes, die im Urbild sehr gelitten haben, treten hier frisch und erneut wieder hervor. Die Hauptsache bleibt aber immer der meisterhafte Pinsel, der diese einzige Farbe so verständig abzustufen und durch alle Mitteltöne durchzuführen wußte, daß Dürftigkeit zum Reichthum, das Beschränkteste zum Mannigfaltigsten geworden zu seyn scheint. Denn wenn man sich auf der einen Seite auch nicht verbergen mag, daß eigentlich das Monochrom an die Kindheit der Kunst erinnert: so versöhnt doch eine solche Behandlung sogleich jeden Widerwillen, der etwa über diesen vermeinten Rückschritt in uns entstehen könnte. Auch mag, wer über die zu starke Schattenmasse, wodurch die äußersten Umrisse der Hauptfigur gegen den weißen Lichtgrund hervorgehoben werden mußten, seine in andrer Rücksicht nicht ungegründeten Bedenklichkeiten äußert, sich nur selbst fragen, wie matt und unvollendet das Ganze da stehn würde, wenn dießmal diese Abweichung von der Regel, die hier durch eine höhere Forderung gleichsam aufgehoben wurde, von dem alles erwägenden und ordnenden Künstler nicht für unerläßlich gehalten worden wäre. Kurz, dieß Bild – wir dürfen es kühn behaupten – wird stets die Bewunderung aller Menschen von Geschmack und eine der ersten Zierden des Kaiserpalastes machen, für den es bestimmt ist. Schon die Figur des heiligen Sixtus allein, unstreitig eine der gerathensten, wäre ein beneidenswerther Besitz, geschickt die Andacht zu beflügeln und uns in andere Himmel zu entrücken. Möge das schöne Bild die lange Landreise, die es nun schon angetreten hat, ohne alle Gefährde und Verletzung vollenden!
Schon ist die Nacht von Correggio auf ein Gerüste gestellt, um nun auch in derselben Manier, gleichfalls in voller Größe und Treue, von Seidelmann dargestellt zu werden. Auch dieß Bild bestimmte die Wahl des Kaisers selbst und so schwierig auch diese Aufgabe in so mancher Rücksicht seyn muß, so sehr verbürgt das Gelingen der erstern den Erfolg der zweiten, da hier weit größere Massen und Gegensätze von allen Seiten sich darbieten und der hohe Gedanke von dem Materiellen der Malerei weit mehr getragen und unterstützt wird. Auch dieß Bild muß, in Sepia vorgetragen, die außerordentlichste Wirkung hervorbringen, aber auf ganz andern Wegen und durch eine ganz verschiedene Behandlung. Den Schluß wird dann, als Gegenstück zur Magdalena, Guidos Venus machen und so die lieblichsten Kunstblüthen der Königl. Galerie zu einem Kranz vereinigt seyn, der es werth ist, dort, wo so viel Wunder der Kunst zum Schmuck und Genuß sich verbündeten, unter die seltensten und köstlichsten gerechnet zu werden.