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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane/Drittes Kapitel

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Zweites Kapitel Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)
von Alfred Wegener
Viertes Kapitel
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Drittes Kapitel.


Geodätische Argumente.


     Wir beginnen die Beweisführung mit dem Nachweis heutiger Kontinentverschiebungen durch wiederholte astronomische Ortsbestimmung, und zwar aus dem Grunde, weil vor kurzem auf diesem Wege der erste wirkliche Nachweis für die von der Verschiebungstheorie vorausgesagte heutige Verschiebung Grönlands erbracht worden ist, und weil diese auch zahlenmäßig gute Bestätigung der Verschiebungstheorie von der Mehrzahl der Forscher vermutlich als ihr exaktester und einwandfreiester Beweis gewertet werden wird.

     Es ist ein großer Vorzug, den die Verschiebungstheorie vor allen anderen Theorien mit ähnlich weitreichenden Aufgaben voraus hat, daß sie sich durch exakte astronomische Ortsbestimmungen prüfen läßt. Wenn die Kontinentverschiebungen so lange Zeiträume hindurch tätig waren, so ist es auch wahrscheinlich, daß sie auch heute noch fortdauern, und es ist nur die Frage, ob die Bewegungen schnell genug sind, um sich unseren astronomischen Messungen innerhalb nicht allzu langer Zeiträume zu verraten.

     Um hierüber ein Urteil zu gewinnen, müssen wir auf die absolute Zeitdauer der geologischen Abschnitte etwas eingehen. Die Bewertung derselben ist bekanntlich unsicher, aber doch nicht in dem Maße, daß es eine Beantwortung unserer Frage unmöglich macht.

     Der seit der letzten Eiszeit verflossene Zeitraum wird von A. Penck auf Grund seiner alpinen Glazialstudien auf 50000 Jahre, von Steinmann auf mindestens 20000, höchstens 50000 Jahre, von Heim nach Berechnungen aus der Schweiz und ebenso von den Glazialgeologen der Vereinigten Staaten nur auf etwa 10000 Jahre geschätzt. Milankovitch kommt durch astronomische Untersuchungen auf einen klimatischen Höhepunkt der letzten Eiszeit etwa vor 25000 Jahren (die Hauptphase derselben Eiszeit allerdings| schon vor 75000 Jahren) und ein unmittelbar folgendes Klimaoptimum (das in Nordeuropa geologisch bestätigt ist) vor 10000 Jahren. De Geer schließt aus seinen Auszählungen von Lehmhorizonten, daß der zurückgehende Eisrand vor 14000 Jahren Schonen (Südschweden) passiert hat, vor 16000 Jahren aber noch in Mecklenburg lag. Die Gesamtlänge des Quartärs ergibt sich nach Milankovitchs Rechnungen zu etwa 0,6 bis 1 Million Jahre. Für unsere Zwecke reicht die Übereinstimmung dieser Zahlen bereits völlig aus.

     Für die älteren Zeiten hat man aus der Mächtigkeit der Sedimente ein Urteil über die Zeitdauer ihrer Ablagerungen zu gewinnen versucht und ist dabei nach Dacqué [171] und Rudzki [170] z. B. für die Länge der Tertiärperiode auf eine Größenordnung von 1 bis 10 Millionen Jahre gekommen. Für das Mesozoikum findet man etwa die dreifache, für das Paläozoikum etwa die zwölffache Länge.

     Sehr viel größere Zeiten, zumal für die älteren Perioden, liefern die Altersbestimmungen auf Grund der radioaktiven Vorgänge, die heute das größte Ansehen genießen [207]. Sie beruhen auf dem allmählichen Zerfall der Uran- und Thoratome, wobei α-Strahlen (das sind Heliumatome) ausgesendet werden und die Substanz sich schließlich nach Durchlaufung mehrerer Zwischenstadien in Blei verwandelt.

     Man unterscheidet drei Methoden der Altersbestimmung auf dieser Grundlage. Die erste ist die Heliummethode, bei welcher die relative Menge des entwickelten und im Mineral sich allmählich anreichernden Heliums gemessen wird. Diese Methode liefert kleinere Zahlen als die folgenden, wie man meint, weil das Helium teilweise allmählich entweicht, so daß diese Methode für weniger gut gehalten wird. Zweitens kann man die relative Menge des Endproduktes Blei feststellen und daraus auf die Zeit schließen. Und die dritte Methode ist die der „pleochroitischen Höfe“, die dadurch entstehen, daß die ausgeschleuderten Heliumatome einen farbigen Hof von sehr geringer Ausdehnung um die radioaktive Substanz herum im Gestein erzeugen, der im Laufe der Zeit größer wird, und aus dessen Größe man daher die Zeitdauer ermitteln kann.

     Auf diesem Wege hat man nach Born (in Gutenberg [45]) für ein miozänes Gestein ein Alter von 6 Millionen Jahren, für ein miozän-eozänes Gestein ein solches von 25 Millionen Jahren und für ein spätkarbonisches ein Alter von 137 Millionen Jahren gefunden. Diese drei Werte beruhen auf der Heliummethode. Nach der Bleimethode ergibt sich wesentlich mehr, nämlich für Spätkarbon bereits| 320 Millionen Jahre, und für das Algonkium, wo die Heliummethode nur 350 Millionen Jahre liefert, sogar 1200 Millionen Jahre. Diese Werte sind ganz erheblich größer als die Schätzungen nach der Mächtigkeit der Sedimente[1].

     Da wir es aber hier hauptsächlich nur mit den Zeiten seit dem Tertiär zu tun haben, wo die verschiedenen Methoden noch leidlich gleichartige Ergebnisse liefern, so genügen diese Angaben für unsere Zwecke. Wir dürfen daher etwa die folgenden Zahlen zugrunde legen:

Seit Beginn des Tertiärs verflossen . . . 20 Millionen Jahre
Eozäns . . . 15
Oligozäns . . . 10
Milozäns . . . 6
Pilozäns . . . 3
Quartärs . . . 1
Postquartärs . . . 10 bis 50000

     Mit Hilfe dieser Zahlen und der von den Kontinenten zurückgelegten Wege können wir uns ein ungefähres Bild von dem Betrag der jährlichen Verschiebung machen, wenn wir annehmen, daß diese Verschiebung mit gleichförmiger Geschwindigkeit vor sich ging und noch weiter geht. Diese beiden Annahmen sind allerdings ziemlich unkontrollierbar; nimmt man dazu die Unsicherheit der Altersbestimmung, die leicht um 50, vielleicht 100 % falsch sein kann, und weiter die Unsicherheit der Zeitsetzung des Abrisses, so ist ohne weiteres klar, daß die folgenden Zahlen nur als eine ungefähre Orientierung dienen können, und daß man sich nicht wundern darf, wenn sich bei der Nachmessung etwa wesentlich andere Ziffern ergeben. Trotzdem ist diese Überschlagsrechnung sehr nützlich, da sie das Augenmerk auf solche Stellen lenkt, wo Aussicht besteht, die Verschiebung in kürzerer Zeit messen zu können.

     Die Tabelle auf S. 25 gibt die zu erwartende jährliche Abstandsvergrößerung für eine Reihe besonders interessanter Stellen.

     Die größte Änderung ist also bei dem Abstand Grönlands von Europa zu erwarten, dann auch bei demjenigen Islands von Europa| und Madagaskars von Afrika. Bei Grönland und Island ist die Bewegung eine ostwestliche, die astronomischen Ortsbestimmungen können also nur eine Vergrößerung der Längendifferenz, nicht der Breitenunterschiede, ergeben.


Zurück-
gelegte
Entfernung

km
Trennung
vor
Millionen
Jahren
etwa
Jährliche
Bewegung

m
Sabineinsel—Bäreninsel
Kap Farvel—Schottland
Island—Norwegen
Neufundland—Irland
Buenos Aires—Kapstadt
Madagaskar—Afrika
Vorderindien—Südafrika
Tasmania—Wilkesland
1070
1780
0920
2410
6220
0890
5550
2890
0,05—0,1
0,05—0,1
0,05—0,1
2—4
30
0,1
20
10
21—11
36—18
18—9
1,2—0,6
0,2
9
0,3
0,3


     Man ist nun in der Tat bereits seit einiger Zeit auf diese Vergrößerung der Längendifferenz Grönland—Europa aufmerksam geworden. Der historische Hergang dieser Entdeckung ist nicht ganz ohne Interesse. Als ich die Verschiebungstheorie in ihrer ersten, skizzenhaften Form ausgearbeitet hatte, waren die Längenbestimmungen der Danmarkexpedition nach Nordostgrönland (1906 bis 1908 unter Leitung von Mylius-Erichsen), an denen ich selbst als Assistent teilgenommen hatte, noch nicht ausgerechnet. Es war mir aber bekannt, daß aus dem Arbeitsgebiet unserer Expedition schon ältere Längenbestimmungen vorhanden waren, und daß durch ein Dreiecksnetz die Verbindung dieser älteren, auf der Sabineinsel gelegenen Längenstationen mit der unserigen, am Danmarkshavn gelegenen, erreicht war. Ich schrieb deshalb an den Kartographen der Expedition, J. P. Koch, teilte ihm meine Hypothese der Kontinentverschiebungen kurz mit und fragte, ob unsere Längenbestimmungen in der erwarteten Weise von den älteren abwichen. Koch machte darauf einen provisorischen Abschluß der Rechnungen und teilte mir mit, daß tatsächlich ein Unterschied von der erwarteten Größenordnung vorhanden sei, daß er aber nicht glauben könne, daß derselbe auf einer Verschiebung Grönlands beruhe. Bei der definitiven Berechnung hat Koch dann die Fehlerquellen mit besonderer Rücksicht auf diese Frage untersucht und kam nun zu dem Schluß, daß die Verschiebungstheorie tatsächlich die plausibelste Erklärung sei [172]: „Aus dem Vorangehenden geht| hervor, daß die Fehlerquellen weder einzeln noch vereinigt genügen, um den Unterschied von 1190 m zu erklären, der zwischen der Lage von Haystack nach den Bestimmungen der Danmarkexpedition und der Germaniaexpedition (1869 bis 1870) besteht. Die einzige Fehlerquelle, die in dieser Verbindung überhaupt in Betracht kommt, ist die astronomische Längenbestimmung. Aber um die Abweichung durch die fehlerhafte Lage des Observatoriums zu erklären, müßten wir den wirklichen Fehler der astronomischen Längenbestimmung vier- bis fünfmal größer annehmen als dessen mittleren Fehler …“

     Da auch schon Sabine im Jahre 1823 die Länge in Nordostgrönland bestimmt hat, so lagen dort im ganzen sogar drei Bestimmungen vor. Freilich sind diese ältesten Messungen nicht ganz an derselben Stelle ausgeführt; Sabine beobachtete am Südufer der nach ihm benannten Insel, und leider bestehen hier auch noch gewisse, freilich nicht sehr wichtige Unsicherheiten über den genauen Beobachtungsort, der nicht markiert wurde. Börgen und Copeland beobachteten auf der Germaniaexpedition 1870 ebendort, aber einige 100 m östlicher, Kochs Beobachtungen dagegen sind weit nördlicher, am Danmarkshavn auf Germanialand angestellt, wurden aber durch ein Dreiecksnetz mit der Sabineinsel verbunden. Die aus dieser Übertragung entspringende Ungenauigkeit wurde von Koch genau untersucht mit dem Ergebnis, daß sie gegenüber der viel größeren Ungenauigkeit der Längenbestimmung selber vernachlässigt werden darf. Die Beobachtungen liefern folgende Vergrößerungen des Abstandes zwischen Nordostgrönland und Europa:

im Zeitraum von 1823 bis 1870 . . . 0420 m oder 09 m pro Jahr
1870 1907 . . . 1190 m 32 m

     Und die mittleren Fehler der drei Beobachtungsreihen betragen:

1823 . . . . . . . . etwa 124 m
1870 . . . . . . . . 124 m
1907 . . . . . . . . 256 m
     Nun hat allerdings Burmeister [173] mit Recht eingewendet, daß im vorliegenden Falle, wo es sich um Mondbeobachtungen handelt, der mittlere Fehler nicht wie in anderen Fällen die Realität verbürgen kann, vor allem, weil bei Mondbeobachtungen auch systematische Fehler auftreten können, die im mittleren Fehler nicht zum Ausdruck kommen, und die im ungünstigsten Falle ihrer| Größe nach das Ergebnis erreichen oder vielleicht sogar überschreiten können. Man konnte daher nur so viel aus diesen Beobachtungen schließen, daß sie ausgezeichnet zu den Annahmen der Verschiebungstheorie passen und sich am besten durch sie erklären lassen, daß sie aber noch nicht den Charakter eines exakten Nachweises tragen.

     Seitdem hat sich dankenswerterweise die dänische Gradmessung (jetzt Geodätisches Institut in Kopenhagen) der Frage angenommen. P. F. Jensen [174] hat im Sommer 1922 aus diesem Anlaß in Westgrönland neue Längenbestimmungen ausgeführt, und zwar nunmehr mit der viel genaueren Methode der funkentelegraphischen Zeitübermittlung. Berichte über seine Ergebnisse sind in deutscher Sprache von A. Wegener [175] und Stück [176] veröffentlicht worden. Jensen hat dort zwei Arbeiten durchgeführt. Einmal hat er nämlich die frühere Längenmessung bei der Kolonie Godthaab wiederholt, um auch hier einen Vergleich mit älteren Beobachtungen zu erhalten. Die früheren Messungen stammen teils aus dem Jahre 1863 (von Falbe und Bluhme) und teils aus dem internationalen Polarjahr 1882/83 (von Ryder) und sind natürlich auch mit dem Mond erhalten und mit entsprechender Ungenauigkeit behaftet. Jensen schlägt sie daher zu einer mittleren, dem Jahre 1873 entsprechenden Messung zusammen, der er nun seine eigene, viel genauere und vor allem von der Möglichkeit größerer systematischer Fehler freie Messung gegenüberstellt. Das Ergebnis ist auch hier eine Verschiebung Grönlands in der Zwischenzeit um 980 m oder um 20 m pro Jahr nach Westen.

     Das Ergebnis dieser Messungen habe ich [175] zusammen mit demjenigen der ostgrönländischen Beobachtungen zur Veranschaulichung in Abb. 6 dargestellt, wobei der Radius der einzelnen Kreise nach Maßgabe der Skala auf der Abszissenachse gleich dem mittleren Fehler der Messungsreihe in Metern gewählt ist, wodurch sogleich die viel größere Genauigkeit der Jensenschen Beobachtungen in die Augen springt. Die Beobachtungen unter I beziehen sich auf die Sabineinsel in Nordostgrönland, die unter II auf Godthaab in Westgrönland. Hier sind neben dem oben genannten Mittel der älteren Beobachtungen auch noch die Werte von 1863 und von 1882/83 selbst eingetragen; ihr Unterschied würde allerdings in entgegengesetzter Richtung gehen, allein bei der Kürze der Zwischenzeit darf man hierin wohl nur den Einfluß ihrer Ungenauigkeit sehen. Jede von ihnen gibt aber, mit Jensens viel späteren Beobachtungen verglichen, eine mit der Zeit wachsende geographische| Länge. Im ganzen lagen also nunmehr bereits folgende vier voneinander unabhängige Vergleiche vor:
KochBörgen und Copeland,
KochSabine,
JensenFalbe und Bluhme,
JensenRyder,

welche sämtlich im Sinne der Verschiebungstheorie ausfielen. Wenngleich also alle diese Vergleichungen ganz oder teilweise an dem Umstand kranken, daß sie auf Mondbeobachtungen beruhen, die mit unkontrollierbaren systematischen Fehlern behaftet sein können, so wurde doch durch diese Häufung gleichartiger Ergebnisse, denen anders geartete nicht gegenüberstehen, bereits die Annahme, daß es sich überall nur um unglückliche Anhäufung extremer Beobachtungsfehler handele, in hohem Maße unwahrscheinlich.

Abb. 6.

Verschiebung Grönlands nach den älteren Längenbestimmungen.

     Die dänische Gradmessung hatte aber glücklicherweise eine Wiederholung dieser Längenbestimmungen in regelmäßigen Zeitabständen in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen, und dementsprechend bestand die zweite Arbeit Jensens in der Anlage einer für solche Zwecke geeigneten Station bei Kornok in dem klimatisch begünstigten inneren Teil des Godthaabfjords und der Ausführung der ersten grundlegenden Bestimmung von deren geographischer Länge mit Hilfe der genauen funkentelegraphischen Zeitübertragung. Er fand für die Länge von Kornok im Jahre 1922 den Wert:

aus Sternbeobachtungen: 3h 24m 22,5s ± 0,1s w. v. Gr.
Sonnenbeobachtungen: 3 24 22,5 ± 0,1 w. v. Gr.
|      Diese Längenbestimmung in Kornok ist nun im Sommer 1927 durch Premierleutnant Sabel-Jörgensen wiederholt worden [209], und zwar unter Anwendung des modernen unpersönlichen Mikrometers, also unter Ausschaltung des persönlichen Fehlers, wodurch die Genauigkeit noch wesentlich weiter getrieben werden konnte als bei Jensens Messung.

     Das mit Spannung erwartete Ergebnis lautet[2]: Länge von Kornok 1927: 3h 24m 23,405s ± 0,008s.

     Der Vergleich mit Jensens Messung ergibt eine Vergrößerung der Längendifferenz gegen Greenwich, das ist des Abstandes Grönlands von Europa um 0,9 Zeitsekunden in fünf Jahren oder um etwa 36 m pro Jahr.

     Da der Betrag neunmal größer als der mittlere Fehler der Beobachtungen ist, und größere systematische Fehlerquellen bei der Methode der funkentelegraphischen Zeitübertragung nicht in Betracht kommen, so ist hiermit der Nachweis der noch im Gange befindlichen Verschiebung Grönlands nunmehr erbracht, es sei denn, daß man die sehr unwahrscheinliche Hypothese aufstellt, Jensens persönlicher Fehler habe 9/10 Zeitsekunden betragen.

     Die Messungen in Kornok sollen auch weiterhin von fünf zu fünf Jahren nach der unpersönlichen Methode fortgesetzt werden. Es wird von Interesse sein, den Betrag der jährlichen Verschiebung quantitativ noch genauer zu bestimmen und festzustellen, ob die Verschiebung mit gleichförmiger Geschwindigkeit vor sich geht oder Schwankungen unterliegt.

     Durch diesen ersten exakten astronomischen Nachweis einer Kontinentverschiebung, der auch quantitativ die Voraussage der Verschiebungstheorie vollauf bestätigt, wird die ganze Diskussion über diese Theorie meines Erachtens auf eine neue Basis gestellt, indem das Interesse jetzt von der Frage nach ihrer grundsätzlichen Richtigkeit sich auf diejenige nach der Richtigkeit bzw. dem weiteren Ausbau ihrer Einzelaussagen verlagert.

     Weniger günstig als in Grönland liegen die Dinge für die Messung der Abstandsänderung Nordamerikas für Europa, wie unsere Tabelle lehrt. Allerdings hat man hier insofern günstigere Bedingungen, als man nicht auf Mondbeobachtungen angewiesen ist, da auch die| älteren Längenbestimmungen in Nordamerika bereits auf telegraphischem Wege mit dem Kabel gewonnen wurden. Zum Entgelt ist aber die zu erwartende Änderung hier sehr klein. Unsere Tabelle gibt dafür etwa l m pro Jahr, aber diese Zahl gilt als Mittel seit dem Abriß Neufundlands von Irland. Seitdem dürfte aber eine Bewegungsänderung Nordamerikas durch den Abriß von Grönland (der noch im Gange ist) eingetreten sein, vermutlich in dem Sinne, daß Nordamerika seitdem relativ zur Unterlage mehr nach Süden gleitet. Dies scheint aus der heutigen relativen Lage der korrespondierenden Küstenpunkte von Labrador und Südwestgrönland hervorzugehen und wird auch bestätigt durch die Sprungrichtung bei der Erdbebenspalte von San Franzisko sowie die beginnende Stauchung der kalifornischen Halbinsel. Es läßt sich deshalb schwer sagen, wie groß der zu erwartende heutige Längenzuwachs ist; jedenfalls dürfte er noch etwas kleiner sein als der berechnete Wert von l m pro Jahr.

     Aus den älteren, mit dem Kabel gewonnenen transatlantischen Längenbestimmungen von 1866, 1870 und 1892 hatte ich seinerzeit auf eine tatsächliche Vergrößerung des Abstands um sogar 4 m im Jahre geschlossen. Nach Galle [177] soll dies Ergebnis aber auf einer ungünstigen Kombination der Messungen beruhen. Diese Kombination ist aus dem Grunde schwierig, weil diese älteren Messungen sich nicht auf die gleichen Orte in Europa und Nordamerika beziehen, so daß noch die Längenunterschiede innerhalb der Kontinente zu berücksichtigen sind, für die man auf verschiedenen Wegen etwas verschiedene Ergebnisse erhält, was das Resultat beeinflußt. Kurz vor dem Weltkrieg war mit Rücksicht auf unsere Frage eine neue Längenbestimmung mit Amerika im Gange, die auch durch eine funkentelegraphische Messung kontrolliert wurde. Obwohl die Messung durch Zerschneiden des Kabels bei Kriegsbeginn vorzeitig abgebrochen wurde und infolgedessen das Resultat nicht die wünschenswerte Genauigkeit besitzt, scheint doch daraus hervorzugehen, daß die Veränderung noch zu klein ist, um sich schon jetzt mit Sicherheit nachweisen zu lassen. Es wurde nämlich für den Längenunterschied Cambridge—Greenwich gefunden [178]:

1872 . . . . . . . . 4h 44m 31,016s
1892 . . . . . . . . 4 44 31,032
1914 . . . . . . . . 4 44 31,039

Die älteste Bestimmung, für welche ich 4h 44m 30,89s gefunden hatte, ist hier als angeblich zu ungenau fortgelassen worden.

|      Seit 1921 werden nun mit Hilfe der funkentelegraphischen Zeitsignale fortlaufende Bestimmungen der Längendifferenz zwischen Europa und Nordamerika ausgeführt, die Wanach [179] bis zum Jahre 1925 diskutiert hat. Da es sich hier nur um 4 Jahre handelt, ist es nicht verwunderlich, daß in diesen Beobachtungen eine Vergrößerung des Abstands noch nicht deutlich erkennbar ist. Doch sprechen auch diese Beobachtungen keineswegs gegen eine solche; im Gegenteil, wenn man sie vereinigt, so ergeben sie eine jährliche Bewegung Amerikas nach Westen im Betrage von 0,6 m, allerdings ± 2,4 m. Wanach schließt: „Einstweilen läßt sich also nichts weiter sagen, als daß eine etwaige Verschiebung Amerikas gegen Europa im Betrage von wesentlich mehr als l m jährlich sehr unwahrscheinlich ist.“ Und ebenso urteilt Brennecke [229]: „Das so gewonnene Material spricht zwar nicht zugunsten einer Verschiebung der Kontinente in den oben genannten Beträgen, es spricht aber auch keineswegs dagegen. Die Entscheidung muß also noch abgewartet werden.“ Zu beachten ist, daß bei diesen neuen funkentelegraphischen Bestimmungen die älteren, mit dem Kabel gewonnenen ganz außer acht gelassen sind. Dies ist zwar insofern berechtigt, als die Kabelbeobachtungen merklich ungenauer sind als die funkentelegraphischen. Es könnte aber doch sein, daß dieser Mangel durch die viel größere Zeitspanne, die dann zur Verfügung stände, ausgeglichen wird und es sich daher dennoch lohnen würde, die alten Beobachtungen mit den neuen zu verbinden. Dies muß den Geodäten überlassen bleiben. Ich zweifle aber nicht daran, daß es in nicht allzu ferner Zeit auch glücken wird, die Verschiebung Nordamerikas relativ zu Europa exakt zu messen.

     Auch bei Madagaskar ist man neuerdings auf die Änderung der geographischen Koordinaten aufmerksam geworden. Die geographische Länge des Observatoriums in Tananariva ist 1890 mit Hilfe von Mondkulminationen und nach der Zerstörung und dem Wiederaufbau an gleicher Stelle in den Jahren 1922 und 1925 auf funkentelegraphischem Wege bestimmt worden [180]. Nach einer dankenswerten brieflichen Mitteilung von Professor Ch. Maurain in Paris sind die drei Positionen folgende:

Jahr Beobachter Methode Länge ö. v. Gr.
1889-1891
1922
1925
P. Colin
P. Colin
P. Poisson
Mondkulminationen
Funkentelegraphie
3h 10m 07s
30 100 13
30 100 12,4
|      Diese Werte weisen auf eine Verschiebung Madagaskars relativ zum Meridian von Greenwich um den großen Betrag von 60 bis 70 m pro Jahr hin. In unserer Tabelle S. 25 ist ein wesentlich kleinerer Betrag für die Verschiebung relativ zu Afrika genannt. Es scheint also, als ob auch Südafrika sich relativ zu Greenwich nach Osten bewegt, worüber die Verschiebungstheorie wegen der großen Entfernung dieser Gebiete voneinander keine brauchbaren Aussagen mehr machen kann. Es ist zu hoffen, daß auch die Längen von Südafrika künftig überwacht werden, um auf diese Weise auch die Längendifferenz Madagaskars gegen Südafrika, auf die es in der Verschiebungstheorie am meisten ankommt, kontrollieren zu können. Auch wären wiederholte genaue Breitenbestimmungen an beiden Stellen notwendig, um auch die andere Komponente der relativen Bewegung Madagaskars zu Afrika messend verfolgen zu können. Jedenfalls aber geht die beobachtete Längenänderung Madagaskars im Sinne der Verschiebungstheorie vor sich. Zu beachten ist natürlich auch hier, daß die älteste Messung mit dem Monde ausgeführt ist, woraus sich ähnliche Einwände ergeben wie [im Original wir] für die oben besprochenen Messungen in Nordostgrönland. Aber die Gesamtverschiebung, die hier fast 21/2 km beträgt, ist doch so groß, daß die Annahme, sie beruhe vollständig auf Beobachtungsfehlern, sehr wenig Wahrscheinlichkeit beanspruchen darf. Auch auf Madagaskar ist aber Vorsorge für weitere Wiederholungen der Messungen getroffen, so daß voraussichtlich in kurzem auch von dort einwandfreie Ergebnisse vorliegen werden.

     Auf dem Geodätenkongreß im Jahre 1924 in Madrid und weiter auf der Tagung der internationalen astronomischen Union im Jahre 1925 ist ein umfangreicher Plan zur Verfolgung der Kontinentverschiebungen mittels funkentelegraphischer Längenbestimmungen aufgestellt worden, wonach solche Messungen nicht nur zwischen Europa und Nordamerika stattfinden sollen, sondern auch auf Honolulu, in Ostasien, Australien und Hinterindien. Die erste Vermessungsserie gemäß diesem Programm ist im Herbst 1926 zur Durchführung gelangt; über die von französischer Seite erhaltenen Ergebnisse hat soeben G. Ferrié berichtet [213]. Etwaige Änderungen werden sich natürlich erst bei späteren Wiederholungen zeigen können. Wie es scheint, ist übrigens bei diesem Plane nur wenig Rücksicht auf die Frage genommen, an welchen Stellen der Erde nach der Verschiebungstheorie meßbare Änderungen zu erwarten sind. Doch läßt das Beispiel Grönlands und Madagaskars hoffen, daß der Beobachtungsplan nach dieser Richtung noch ausgebaut wird.

|      Man sieht jedenfalls, daß die exakte Nachprüfung der Verschiebungstheorie durch wiederholte astronomische Ortsbestimmungen bereits in großem Ausmaß im Gange ist, und daß die ersten Nachweise für ihre Richtigkeit bereits erbracht sind.

     Zum Schlusse sei noch an die seit langem an den europäischen und nordamerikanischen Sternwarten beobachteten Breitenänderungen erinnert.

     Wie Günther [181] berichtet, betrachtete A. Hall folgende Breitenabnahmen als gesichert:

     Bei Paris in 28 Jahren um 1,3''; bei Mailand in 60 Jahren um 1,51''; bei Rom in 56 Jahren um 0,17''; bei Neapel in 51 Jahren um 1,21''; bei Königsberg i. Pr. in 23 Jahren um 0,15''; bei Greenwich in 18 Jahren um 0,51''. Auch für Pulkowa ergab sich nach Kostinsky und Sokolow eine säkulare Breitenabnahme. Dazu kommt in Nordamerika bei Washington eine Abnahme in 18 Jahren um 0,47''.

     Da man die Entdeckung machte, daß durch die sogenannte „Saalrefraktion“ in der Kuppel systematische Fehler ähnlicher Größe entstehen konnten, war man lange Zeit geneigt, alle solche Abweichungen auf diese Fehlerquelle zu schieben.

     Indessen mehren sich neuerdings die Stimmen, nach denen solche Änderungen dennoch als reell zu betrachten sind, insbesondere seitdem Lambert [182] gezeigt hat, daß die Breite von Ukiah in Kalifornien und anderer nordamerikanischer Stationen sich gegenwärtig offensichtlich ändert. In einer neueren Arbeit [221] sagt Lambert: „Die internationalen Stationen (des Breitendienstes) sind nicht die einzigen, an denen überraschende Änderungen der Breite aufgetreten sind. Rom hat anscheinend seine Breite seit 1855 um 1,45'' geändert. Ein systematisches Studium solcher Anomalien wäre höchst wünschenswert.“

     Auffallenderweise geht diese gegenwärtige Änderung aber im umgekehrten Sinne vor sich als die oben angeführten älteren, denn die Breite von Ukiah wächst.

     Die Deutung dieser Breitenänderungen ist aus dem Grunde schwierig, weil sie sowohl auf Kontinentverschiebung als auch auf Polwanderung beruhen können, welche letztere nicht mit relativer Lagenänderung der Kontinente zueinander verbunden zu sein braucht. Wie später eingehender gezeigt werden wird, hat man in jüngster Zeit aus den Messungen des internationalen Breitendienstes eine gegenwärtige Polwanderung nachweisen können, vermöge welcher sich der Nordpol in Richtung auf Nordamerika verlagert,| wodurch für die nordamerikanischen Stationen eine Erhöhung der Breite folgt. Aber der Betrag dieser Polwanderung ist nach den bisherigen Ergebnissen kleiner als die in Nordamerika beobachtete Breitenzunahme. Wenn sich also nicht etwa künftig die Polwanderung doch noch als größer herausstellen sollte, so käme man zu dem Schluß, daß sich Nordamerika relativ zur übrigen Erdoberfläche nordwärts verschiebt, was sehr auffallend wäre, da mancherlei Anzeichen dafür sprechen, daß es sich relativ zur Unterlage nach Süden bewegt. Die vollständige Deutung dieser Dinge wird wohl erst auf Grund längerer Beobachtungsreihen möglich sein. Und ob man zu einer klaren Deutung der älteren Veränderungen überhaupt je kommen wird, erscheint unter diesen Umständen zweifelhaft.



  1. Wenngleich nicht daran zu zweifeln ist, daß die geologischen Perioden im allgemeinen um so längere Zeiträume umfassen, je älter sie sind, so kommt mir Dacqués Standpunkt [171] doch nicht ganz unberechtigt vor, wenn er meint, daß eine so gewaltige Streckung der älteren Perioden mit der Mächtigkeit der Ablagerungen im Widerspruch steht, und er deswegen der radioaktiven Altersbestimmung Mißtrauen entgegenbringt. Für die hier allein betrachteten jüngeren geologischen Zeiten spielt diese Frage indessen keine Rolle.
  2. Dem Direktor des Geodätischen Instituts in Kopenhagen, Herrn Professor Nörlund, sei für seine Erlaubnis, dies noch nicht veröffentlichte Ergebnis hier mitzuteilen, herzlich gedankt.


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