Die Familie des Messias

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Titel: Die Familie des Messias
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 574–575
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Familie des Messias.

Sada-Góra ist ein gräuliches Judennest in der Bukowina, das in geringer Entfernung von Czernowitz liegt. Man trifft da nur Kaftane und Pelzturbans, herabwallende Peies (Juden-Locken) und von Branntwein erhitzte Gesichter. Und doch hat dieses versteckte und häßliche Städtchen eine Anziehungskraft, einen Magnet, der alle wundergläubigen Israeliten von weit und breit mit derselben Sicherheit anzieht, wie nur je irgend ein wunderthätiges Madonnenbild des mittelalterlichen Italien die gesammte wundergläubige Christenheit angezogen bat. Dieser Magnet ist die Familie des Messias. In Sada-Góra lebt nämlich gegenwärtig eine der Familien, aus welchen, alten Traditionen, Verheißungen, Prophezeiungen und Stammbäumen zufolge, der jüdische Messias hervorgehen soll. Zu Bels in Galizien, zu Kozk in Podlachien, zu Kozienica im Sandomirschen und in vielen Judenorten des Czarenreiches leben solche Familienhäupter des zukünftigen Messias, die man Zadiks, d. h. Fromme, nennt, und die für große Provinzen und Kreise eine Anziehungskraft haben. Diese Zadiks haben ihre Entstehungsgeschichte. Als der fünfundzwanzigjährige schwärmerische Jüngling Sabbatai Zebi aus Smyrna im Jahre 1666 sich als wunderthätiger Juden-Messias ausgab, wurden die leichtgläubigen Israeliten in Europa, Asien und Afrika in eine excentrische Bewegung versetzt und Hunderttausende sahen in ihm den künftigen Erlöser aus der Knechtschaft. Tausende schwuren noch auf ihn, als er zum Islam übergetreten war und als er von 1676 an zu einem muhammedanischen Heiligen canonisirt wurde. Ein Theil der enttäuschten Massen wurde ernüchtert, ein anderer warf sich aus Schamgefühl dem mächtigen Katholicismus in die Arme, an dessen Spitze später der erst vor kurzem in der Gartenlaube geschilderte wunderliche Frank mit seinen unerschöpflichen Reichthümern stand, und den dritten größeren Theil bildete [575] zur Zeit Moses Mendelssohn’s eine abenteuerliche, wundersüchtige, höchst bizarre Secte, zu der zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung unter den Slaven gehörten. Der Begründer dieser messianischen Secte, die unter dem Namen Chasidim in dem bürgerlichen und staatlichen Leben figurirt, war ein gewisser Isrolka in Podolien, der sich für einen Zweig der königlichen Familie Davids hielt, aus welchem Sabbatai war und aus welchem der zukünftige Messias wiedergeboren werden soll. Das jetzige Haupt eines großen Theils der Chasidim, der Hausvater der Familie des Messias und der vorläufige Repräsentant desselben zu Sada-Góra ist ein früh gealterter, triefäugiger Mann Namens Isrolka, wie sein Ahn in Podolien in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geheißen hat. Isrolka ist der reichste Jude Rußlands und Polens, und wer die zuweilen ungeheuern Reichthümer kennt, welche die Juden des Ostens in ihren baufälligen Nestern aufgehäuft haben, wird wissen, wie viel das sagen will.

Die Familie Isrolka, deren jedesmaliges Haupt als Wunderthäter (Baal-Schem) weit und breit gerühmt wird, hat seit hundert Jahren durch den phantastischen Messias-Glauben slavischer Juden Millionen zusammengescharrt. Sada-Góra ist gegenwärtig der vorgezogenste Wallfahrtsort polnischer und russischer Juden, der Juden von Galizien, Bukowina, Moldau und Walachei. Es ist den Anhängern dieser Familie, die nach Hunderttausenden zählen, eine unabweisbare Glaubenspflicht, den Stammhalter der messianischen Familie wenigstens einmal im Leben zu sehen und zu beschenken. Man behängt die Familie wie ein Götzenbild mit Schmuck und überschüttet sie mit Ducaten und Imperials. Der krampfhafteste Geiz reißt sich ein Geldstück aus der verschlossenen Brust, um es dem Aberglauben zu opfern und sich bei der Familie des Messias einzuschmeicheln. Weder die betheiligten noch die solchen Irrwahn bedauernden Israeliten pflegen von diesen Spenden zu sprechen, und deshalb ist in weitern Kreisen von diesen Wallfahrten nach Sada-Góra Nichts bekannt. Hingegen wissen wir von den Polen und erzählen die durch Sada-Góra reisenden Fremden von der Pracht und dem Glanze des Messiaspalastes, der, was seine ärmliche Umgebung und seine eigenen zur Schau gestellten Reichthümer betrifft, in seiner Art einzig dastehen soll.

Sada-Góra ist, wie gesagt, ein einsames, schmutziges, in einer wüsten Gegend der Bukowina gelegenes Judenstädtchen, das einem Edelmann gehörte, der auf Verbesserung seiner Finanzen und bessere Verwerthung seiner Branntwein-Brennereien zu sehen Ursache hatte. Seit vor ungefähr vierzig Jahren das Haupt der Familie des Messias in das elende Sada-Góra eingezogen, ist der Edelmann reich geworden und die eingezogene messianische Familie, aus Rosienne im Gouvernement Wilna kommend, hat seitdem den alten Glanz fortgesetzt. Mitten unter den baufälligen Häusern der Handelsleute und Wucherer erhebt sich ein Palast im wahrsten Sinne des Wortes, umgeben von einer Anzahl kleinerer eleganter Häuser, welche den Schwiegersöhnen und Töchtern Isrolka’s zum Aufenthalt dienen. Was man an Pracht und Luxus kennt, ist in den Gemächern dieser Häuser aufgethürmt. Der Palast besitzt ein Silberzimmer, welches alle erdenklichen Silbergefäße ältester und neuester Form aufzuweisen hat und welches man im Werthe von einigen hunderttausend Rubeln schätzt. Die prachtvollsten türkischen Teppiche, die schwersten Damast-Vorhänge sind in den Wohnzimmern aufgehäuft. Und alle diese prächtigen Gegenstände sind die frommen Opfergaben slavischer Israeliten! Geschmackvoll eingerichtete Gewächshäuser begrenzen den großen Park. Das Ganze ist ein mit dem raffinirtesten Luxus ausgestattetes großes Hotel, welches zwischen den schmutzigen Baracken von Sada-Góra hervorschimmert wie ein verbannter Feenpalast. Und der Herr dieser Reichthümer und dieser Pracht, in dessen Hand sogar jetzt der ganze Güter-Complex gelangt ist, der Vater, aus dessen Lenden der Messias hervorgehen soll, das geheiligte Gefäß einer erhofften glorreichen Zukunft, der Sproß David’s, den zu sehen von den jüdischen abergläubischen Massen schon für ein Glück gehalten wird, dessen bloßer Anblick mit reichen Geldopfern erkauft und der als Heiliger verehrt wird – ist der verthierte Blödsinn.

Rebiche Isrolka, so heißt der Mann, ist blödsinnig. Unter seinen weißen Haaren lebt kein denkender und ordnender Geist, in seiner Brust lebt kein Gefühl; er ist ein greiser Jüngling mit stumpfem Sinn. Er vermag nur auf einen Führer gestützt zu gehen, nicht aus Schwäche, sondern aus thierischer Bewußtlosigkeit. Seine Sprache besteht aus unarticulirten Tönen, welche nur seiner Familie und seinem vertrauten Secretair verständlich sind. Er ist verdummt im höchsten Grade, bewegt sich ganz thierisch, stößt wie ein Thier Töne hervor und brütet vor sich hin in thierischer Weise. Und wenn er sich auf der Gasse zeigt, so ist es schon einige Stunden vorher bekannt geworden, und die Fenster und Thüren, die Straßen und Plätze sind gedrängt voll Menschen. Auf Bäume und Dächer klettern die Leute, um den Stammhalter der messianischen Familie zu sehen; man schlägt sich, man läßt sich erdrücken, um den Götzen zu schauen.

Rebiche Isrolka hat eine Frau und Töchter und Söhne. Die meisten seiner Töchter werden schon als Kinder verheirathet. Jedem seiner Schwiegersöhne, die natürlich unter den Reichsten der Reichen ausgesucht werden, wird es zur Pflicht gemacht, nach Sada-Góra zu ziehen und in der nächsten Nähe des väterlichen Hauses ein ähnliches kleineres Haus zu bauen. Seine Töchter gehen auch im Hause in Sammt und Seide gekleidet. Die täglichen Kaftane seiner Söhne und Schwiegersöhne sind von den kostbarsten Stoffen. Die kleineren Kinder haben französische, englische, deutsche und russische Bonnen, Gouvernanten und Hofmeister, wie junge Prinzen. Zahlreiche Secretaire versehen „die Geschäfte“ des Hauses, die meistens in der Empfangnahme frommer Geldopfer und in andern Gaben bestehen. Vormittags ertheilt Rebiche Isrolka Audienzen, d. h. er empfängt im Beisein seines Leibsecretairs einige seit lange vorgemerkte fremde Wallfahrer, läßt sich, ohne einen Laut von sich zu geben, eine Weile anstarren und acceptirt zuletzt das herkömmliche Opfer, welches nie weniger als zehn österreichische Gulden betragen darf. Manchmal fährt dieser Heilige spazieren. Eine Zeit lang folgte seinem Wagen ein zweiter Wagen, auf welchem sich eine Musikbande befand, die während der Dauer der Promenadenfahrt die hübschesten Stücke spielte. Diese Begleitung ist gegenwärtig, vermuthlich durch die Behörde veranlaßt, eingestellt. Als sein Urgroßvater vor länger als vierzig Jahren in Rußland eine ähnliche öffentliche Pracht entwickelte und sogar die Kühnheit hatte, zwanzig Leibkosaken zu halten, die stets neben seinem Wagen reiten mußten, ließ der verstorbene Kaiser Nikolaus, als er gerade zu diesem sonderbaren Schauspiel kam, dasselbe verbieten und bei einer renitenten Wiederholung ließ er den Heiligen in der Festung Kiew einsperren. Die zahlreichen Anhänger und der Reichthum machten es dem Urgroßvater des Sada-Góra-Heiligen leicht, von Kiew zu entfliehen und nach dem neuen Bethlehem, nach Sada-Góra, zu kommen. Kaiser Nikolaus reclamirte ihn als russischen Unterthan, allein die Macht des Geldes war stärker: zwölf Bukowinaer Bauern schwuren, daß er in Sada-Góra geboren sei.

Vor einigen Jahren wurde Rebiche Isrolka der Falschmünzerei beschuldigt. Von seinem Hause aus war falsches Geld in Umlauf gesetzt. Das war für die Christen eine willkommene Gelegenheit, sich an der arroganten jüdischen Heiligkeit zu reiben, die sich mit wahrhaft kaiserlicher Grandezza gebehrdete. Der gute Isrolka wurde schonungslos arretirt, trotz allen Höllengeschreies, welches die Juden erhoben. Und bei der Arrestation wurden Spiegel zertrümmert, Geschirre in Stücke gehauen, Tapeten zerrissen. Isrolka saß also im Gefängniß und wurde verhört. Aber so oft man ihn auch verhörte, es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Die Anhänger im Allgemeinen und die Familie des Heiligen insbesondere vereinigten sich natürlich mit Geld und That, um den Messias-Vater zu befreien. Aber zufällig war der Landes-Gerichtsrath, welchem die Untersuchung übertragen war, ein Mann, den alle Reichthümer Golkonda’s nicht bewegen konnten, einen Angeklagten freizugeben, gegen den eine so schwere Verdächtigung vorlag. Da der Beamte durch Bestechung oder Einschüchterung nicht zu gewinnen war, so wollte man es mit einer Verleumdung nach oben hin versuchen, was man mit Hülfe des Geldes zu erringen hoffte. Allein auch das mißlang. Da kamen die Anhänger auf die Idee, den strengen Beamten dadurch von der Untersuchung zu verdrängen, daß man eine höhere Beförderung für ihn auszuwirken suche. Eine Deputation mit goldnen und diplomatischen Empfehlungen ging nach der Residenz, der Beamte wurde Ober-Landesgerichtsrath und nach einer bessern Station versetzt und der Nachfolger sprach den Heiligen aus Mangel an Beweisen frei. Die Quelle der Falschmünzerei wurde später anderweitig entdeckt und es stellte sich sodann heraus, daß man Unrecht hatte, dem Heiligen und seinem bethörten Anhang die Fähigkeit zur Falschmünzerei zuzutrauen. Der nackte Blödsinn hatte nicht einmal das Geschick zu einem Verbrechen.