Die Frage der „Selbstentzündung“ (2)
Die Frage der „Selbstentzündung“.
Am 13. Juni 1847 wurde in Darmstadt Emilie Gräfin von Görlitz in ihrer Wohnung tot und halb verbrannt aufgefunden. In dem Augenblicke, als man in das Zimmer eindrang, stand in demselben ein Schreibtisch, ein sogenannter Kaunitz, in Brand und die Leiche der unglücklichen Gräfin lag etwa zwei Fuß von demselben entfernt auf dem Boden. Ihr Anblick war schauerlich; der Kopf war auf ein Drittel seines ursprünglichen Umfanges zusammengeschrumpft und in einen runden unförmlichen schwarzen Klumpen verwandelt, der Hals war weniger zerstört als das Haupt, immerhin aber erstreckten sich die Spuren des Feuerbrandes über die Brust bis einen Zoll unter der Herzgrube.
Von seiten des Gerichts wurde eine Untersuchung eingeleitet, die mit dem Ergebnis abschloß, daß die Gräfin durch irgend einen unglücklichen Zufall ums Leben gekommen war, und selbst von gerichtsärztlicher Seite wurde der Möglichkeit Raum gegeben, daß der Tod in diesem Falle die Folge einer „Selbstverbrennung“ sein könnte.
Die öffentliche Meinung jedoch begnügte sich nicht mit diesem Gutachten; es erhoben sich vielmehr in Zeitungen Stimmen, welche rundweg erklärten, daß an der Gräfin ein Verbrechen begangen, daß sie ermordet worden sei und daß der Mörder die Leiche nachträglich verbrannt habe, um die Spuren seiner That zu verwischen. Die Angelegenheit erregte um so mehr Aufsehen, als in einigen Zeitungen, wie z. B. in der Nummer des „Deutschen Zuschauers“ vom 1. Oktober 1847, der Graf von Görlitz, der Gatte der Verbrannten, des Mordes beschuldigt wurde. Der Artikel des „Deutschen Zuschauers“ wurde in jener bewegten Zeit eifrig nachgedruckt; war doch seine Spitze gegen die „Korruption der höheren Stände“ gerichtet. Er erinnerte an die kurz zuvor erfolgte Ermordung der Herzogin von Praslin durch ihren Gatten und erwähnte mit Wohlgefallen, daß unter den Pariser Proletariern der Vorschlag gemacht worden war, einen Verein zur sittlichen Besserung der höheren Stände zu gründen. Diese empörende Verdächtigung veranlaßte den Grafen von Görlitz zu einer dringenden Eingabe an das Hofgericht um Einleitung eines Verfahrens gegen ihn und seine Diener, und in der That wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens beschlossen und der Mörder ermittelt; aber nicht der Graf war schuldig, sondern nach dem Wahrspruch der Geschworenen Johann Stauff, ein Diener der Gräfin, der, wie er später selbst gestand, sein Opfer erdrosselt, aus dem Kaunitz Goldsachen gestohlen und, um die Spur seiner That zu verwischen, die Leiche zum Teil verbrannt hatte.
Der „Prozeß Görlitz“ wurde damals als „denkwürdigster Kriminalfall“ bezeichnet und in der That ist er für die Geschichte der gerichtlichen Medicin von hoher Bedeutung, da während der Verhandlungen die höchst sonderbare Lehre von der Selbstverbrennung des menschlichen Körpers, die beinahe zwei Jahrhunderte lang von Gerichtsärzten und Richtern geglaubt worden war, zu Grabe getragen wurde.
Von verschiedenen Seiten wurde anfangs behauptet, daß die Gräfin von Görlitz durch „Selbstverbrennung“ ums Leben gekommen sei. Was verstand man wohl unter dieser Selbstverbrennung? Im Jahre 1663 tauchte zuerst die Nachricht auf, daß ein Mensch sich von selbst entzündet habe und verbrannt sei. Seit jener Zeit bis zum Jahre 1850, also im Laufe von 187 Jahren, wurde die gerichtsärztliche Litteratur durch 45 „wohlverbürgte“, sehr umständlich mit Nennung der Namen, des Ortes und der Personen, des Jahres und des Tages erzählte Fälle von Selbstverbrennung bereichert.
Wir wollen nur kurz beispielshalber einige der berühmtesten Selbstverbrennungen erzählen:
Ein italienischer Priester, Namens Bertholi, ging auf den Markt in Filetto, um Geschäfte daselbst zu besorgen, er übernachtete bei einem seiner dort wohnenden Schwäger; in seinem Zimmer ließ er sich ein Sacktuch zwischen Schulter und Hemd legen und nachdem er allein war, begab er sich an das Lesen seines Gebetbuches beim Lichte einer Oellampe. Einige Minuten darauf hörte man ein ungewöhnliches Geräusch und den Priester schreien. Einige Leute, die nun herbeieilten, fanden Bertholi auf dem Boden liegen und umgeben von einer leichten Flamme, die sich mit der Annäherung der Leute entfernte und zuletzt verschwand. Bei der Untersuchung des Verletzten fand sich die äußere Haut des rechten Armes und der Fläche von den Schultern abwärts bis zu den Lenden von dem Fleische abgelöst. Die Schultern, welche von dem Sacktuch geschützt waren, waren nicht verletzt, das Sacktuch selbst zeigte keine Spur von Brand, an allen beschädigten Teilen war das Hemd vom Feuer verzehrt und überall, wo die Kleidungsstücke nicht verbrannten, war auch am Körper kein Brandmal zu bemerken. Ueber diesen von einem italienischen Bader, Namens Battaglia, verbürgten Fall wurden lange Abhandlungen geschrieben und als Ursache der Erscheinung „menschliche Elektricität“ angenommen, an die brennende Oellampe hat keiner der Gelehrten des achtzehnten Jahrhunderts gedacht!
In einem zweiten Falle handelte es sich um eine achtzigjährige Frau, die gar nichts mehr trank als Branntwein, sie fing an zu brennen, auf einem Sessel sitzend, und verbrannte, obwohl man reichlich Wasser auf sie goß, bis alles Fleisch am Körper verzehrt war; es blieb nur das Skelett, im Sessel sitzend, zurück. Ein Pfarrer, Namens Boineau, erzählte in einem Schreiben vom 22. Februar 1749 von diesem Ereignis; er selbst wohnte der Verbrennung nicht bei und sah die Flamme nicht.
Einer dritten Person begannen die Finger der rechten Hand von selbst zu brennen, welche bei Berührung die Beinkleider und die Finger der linken Hand entzündeten; dieses Feuer brannte fort im Sande und konnte durch Wasser nicht gelöscht werden.
In den meisten Fällen, in welchen Selbstverbrennung vorgekommen sein sollte, hatte niemand den Vorgang des Verbrennens selbst beobachtet, sondern man hatte in der Regel nur die verbrannten Leichen gefunden und auf Selbstverbrennung geschlossen. So fand man auch im Jahre 1725 die Ueberreste der Frau eines Einwohners von Reims, Namens Millet, verbrannt in der Küche, anderthalb Fuß von dem offenen Kamin entfernt. Es erhob sich gegen den Mann der begründete Verdacht, er sei der Mörder seiner Frau, aber Sachverständige erkannten eine menschliche Selbstverbrennung und Millet wurde als unschuldig freigesprochen.
Die absonderliche Idee der Selbstverbrennung entstand zu [622] einer Zeit, da man über das Wesen und die Ursache der Verbrennung überhaupt eine ganz falsche Vorstellung hatte. Was bei einer Verbrennung überhaupt vorgeht, ist ja erst vor etwas mehr als hundert Jahren durch Lavoisier ermittelt worden. Vor der Begründung der chemischen Wissenschaft tappte man in den Versuchen, die Feuererscheinungen zu erklären, völlig im Dunkeln und so läßt es sich erklären, daß die Lehre von der Selbstverbrennung des menschlichen Körpers von Gerichtsärzten anstandslos angenommen wurde. Nachdem sie nun einmal vom Katheder verkündigt und in Lehrbücher aufgenommen worden war, bildete sie für das jüngere Geschlecht eine Art Dogma und ließ sich nur schwer ausrotten.
Da man an die Möglichkeit des Vorgangs glaubte, so konnte man ihn auch „wissenschaftlich“ erklären und begründen. Durch die gewöhnliche Flamme und Hitze wird der menschliche Körper gar nicht so leicht zerstört, das wußte man damals ebensogut wie heute; bei der Selbstverbrennung mußten also andere Verhältnisse vorliegen, entweder war der Körper anders beschaffen oder die Flamme eine andere. Man lehrte also, daß der Leib der Säufer mit Spiritus derart versetzt werde, daß er mit Leichtigkeit sich anzünden lasse; man nahm an, daß durch gewisse noch unbekannte krankhafte Zustände die Säfte des Körpers in leicht oder gar selbstentzündliche Verbindungen verwandelt werden können, und was die besondere Art von Feuer anbelangt, so nahm man seine Zuflucht zu der wunderbaren, rätselhaften Elektricität, die ja die eigenartigsten Licht- und Wärmeerscheinungen erzeugt. Die Führer der fortschreitenden Naturwissenschaft mußte ein Grauen erfassen, als sie den Wust phantastischer Annahme lasen, der mitunter sogar vom Lehrstuhl einer Universität herab verteidigt wurde, und so zog sechzig Jahre nach Lavoisiers Tode der Reformator der Chemie, Justus Liebig, in einer besonderen Schrift gegen die Lehre von der sogenannten Selbstverbrennung des menschlichen Körpers zu Felde, bewies klar die Unhaltbarkeit derselben und kennzeichnete sie als ein albernes Märchen. Die älteren Anhänger dieser Lehre vermochte er allerdings nicht zu überzeugen, und in der Schrift, die gelegentlich des Prozesses gegen den Grafen von Görlitz entstanden war, erwiderte Medizinaldirektor Dr. Graff, indem er den berühmten als Arzt und Chemiker überall geachteten Orfila citierte: „Der menschliche Körper kann verbrennen, einige seiner Teile können in Asche verwandelt werden, durch eine Ursache, die nicht leicht zu erkennen ist und die man bis jetzt einem eigentümlichen Zustande des Organismus zuzuschreiben hat. Diese mit dem Namen Selbstverbrennung bezeichnete Erscheinung muß trotz ihrer Unerklärbarkeit angenommen werden.“ Dieser Ausspruch wurde in dem „Handbuch der gerichtlichen Medicin“ Orfilas im Jahre 1849 (!) gedruckt, und indem Dr. Graff noch eine Anzahl anderer Autoritäten anführte, schloß er seine Erwiderung mit den Worten: „und wenn ich darum die historisch bis jetzt gebotenen höchst seltenen Thatsachen in fraglicher Beziehung nicht zu verwerfen vermag, so sehe ich mich wenigstens immer noch in sehr guter und achtbarer Gesellschaft.“ Erst langsam verschaffte sich die gesunde Anschauung Liebigs unbestrittene Geltung; denn der berühmte Gerichtsarzt Johann Ludwig Casper schrieb noch in der vierten Auflage seines „Praktischen Handbuchs der gerichtlichen Medizin“: „Es ist betrübend, daß in einem ernsten wissenschaftlichen Werke im Jahre 1864 noch von der Fabel der Selbstverbrennung die Rede sein muß, die niemand je gesehen, niemand beobachtet hat, deren angeblich beweisende Thatsachen sämtlich auf Aussagen von ganz unglaubwürdigen Laien, auf Weitererzählungen, zum Teil auf Zeitungsgeschichtchen beruhen und die allen bekannten physikalischen Gesetzen Hohn sprechen.“ In der That lassen sich die bekannt gewordenen Fälle von Selbstverbrennung viel einfacher und natürlicher durch zufällige Unglücksfälle und fein gesponnene Schandthaten erklären.
Es müssen aber doch einige merkwürdige und wahre Thatsachen im Laufe der Zeit bekannt geworden sein, die wenigstens scheinbar zu der Annahme berechtigten, daß der animalische Körper brennbare Stoffe entwickeln könne. Liebig erwähnt solche wirklich verbürgten Beobachtungen. Da hat z. B. ein Metzger in Neuburg einen Ochsen gehabt, der krank und sehr angeschwollen war, er tötete und öffnete ihn und es strömte aus dem Bauch eine brennbare Luft, die sich anzünden ließ und mit einer fünf Fuß hohen Flamme brannte. Dieselbe Erscheinung beobachtete Morton an einem toten Schweine und Ruysch und Bailly an menschlichen Leichnamen, welche durch Luftentwicklung ganz ungewöhnlich angeschwollen waren. Auf diese Thatsachen gestützt, nahmen die Verteidiger der Selbstverbrennung an, daß sich in dem Körper des Menschen durch Krankheit ein Zustand erzeugen könne, in welchem er ein brennbares Gas entwickle, das sich im Zellgewebe ansammle und, durch eine äußere Ursache oder einen elektrischen Funken entzündet, die Verbrennung desselben bewirke. Liebig erklärte nun auf Grund seiner Erfahrungen, daß solche Gase im tierischen und menschlichen Körper nur nach dem Tode desselben als Folge der Zersetzung sich bilden könnten. „Was erzählt wird von Flammen, die aus dem Halse Betrunkener herausschlagen, ist alles völlig unwahr,“ meint er, „niemand hat dergleichen Flammen je gesehen, immer hat es der Erzähler gehört.“
Hierin hat nun Liebig nicht völlig recht gehabt, denn es können sich nach unseren heutigen Erfahrungen auch im lebenden kranken Körper brennbare Gase bilden. Wiederholt wurde diese seltene Erscheinung bei Magenkranken beobachtet, man hat diese Gase, die durch Zersetzungen im kranken Magen entstehen, chemisch untersucht und gefunden, daß sie aus Kohlenwasserstoffen, zumeist aus Gruben- oder Sumpfgas bestehen. Ein solcher Kranker leidet auch an Aufstoßen und so konnte es denn geschehen, daß, wenn er z. B. seine Cigarre oder Pfeife anzünden wollte und mit dem brennenden Zündholz dem Munde nahe kam, die Gase sich entzündeten; dann gab es eine schwache Explosion und vor dem Munde des Kranken wurde eine Flamme sichtbar. Diese Thatsache ist unbestreitbar; diese Entzündungen brennbarer Gase sind jedoch äußerst schwach, dauern nur einen Augenblick und vermögen kaum eine leichte Rötung der Haut, geschweige denn eine Verbrennung oder Verkohlung derselben zu verursachen. Im Volke, das die gelehrten Abhandlungen gar nicht kennt, sind in vielen Gegenden Erzählungen über Kranke, denen Flammen aus dem Munde herausschlugen, verbreitet. Zweifellos haben sie ihren Ursprung in der sehr selten vorkommenden Bildung von Grubengasen im kranken Magen. Auf diese Kleinigkeit schrumpft, im Lichte der heutigen Wissenschaft betrachtet, die einst so „geist- und sinnreich“ begründete Lehre von der Selbstverbrennung des menschlichen Körpers zusammen.
Was nun die „menschliche Elektricität“ anbelangt, so weiß heute jedermann, daß unter gewissen Umständen aus dem menschlichen Körper elektrische Funken springen können; vielfach sind ja diese Erscheinungen während der Gewitter, namentlich auf hohen Bergen, wie z. B. auf den meteorologischen Hochwarten, beobachtet worden. Sehr oft wandeln dort die Meteorologen und auf Besuch heraufgestiegene Touristen mit einem „Heiligenschein“ um das Haupt umher, aber keiner von ihnen ist versengt, geschweige denn verbrannt worden.
Die Selbstverbrennung des Menschen, sei es durch Bildung brennbarer Gase oder durch die Wunderkraft Elektricität, ist sicher ein Märchen; die neueste Wissenschaft hat aber inzwischen gezeigt, daß unter Umständen die Lebensprozesse derart gesteigert, derart heiß werden können, daß sie Selbstentzündung verursachen. Mit der Betrachtung dieser merkwürdigen Erscheinungen wollen wir unsere Mitteilungen schließen.
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Gärtner und Landwirte wissen wohl, daß Gährung und Zersetzung Wärme erzeugen; um in der kalten Jahreszeit den Boden zu erwärmen und früheres Wachstum der Pflanzen zu veranlassen, bereiten sie Mistbeeterde; sie wissen auch, daß der festgestampfte Mist bei ruhigem windstillen Wetter sich derart zu erhitzen vermag, daß aus ihm Rauch und Flammen hervorschlagen. Daß frisch gemähtes Gras sich gleichfalls erwärmt, weiß jedes Bauernkind, und im erhitzten Heu nimmt der Tiroler im Herbste sein „Heubad“, in dem er tüchtig schwitzt. Kein Landmann zweifelt daran, daß Heu, wenn es feucht eingefahren wurde, sich von selbst entzünden kann, und er wunderte sich wohl, als die hohen Gerichtshöfe noch vor dreißig Jahren Sachverständige vernehmen ließen, ob dies denn überhaupt möglich sei.
Da steht ein großer Heuschober und verbreitet den aromatischen süßlichen Duft; er steht schon einen Monat da und wird sich wohl über den Winter halten. Eines Tages aber bemerken wir an ihm nicht mehr den schönen Heuduft, sondern einen unangenehm brenzligen Geruch. Sehen wir zu, was in ihm vorgeht. Außen ist das Heu wohl erhalten, von grünlich gelber Farbe; nehmen wir aber die obersten Lagen weg, so stoßen wir auf bräunlich [623] gewordenes Heu und merken, daß dieses bedeutend wärmer ist als die Luft. Je tiefer wir nun eindringen, desto brauner, dunkler ist das Heu, desto größer die Hitze, und nun dampft es aus dem Haufen; noch ein paar Gabelstiche, da stoßen wir auf verkohltes Heu, das schwarz aussieht, und nun schlagen uns Rauch und Flammen entgegen.
Wie hat sich hier das Heu von selbst entzündet? Nun, ein kleines Wesen hat den Brand gestiftet, und wer ein Mikroskop besitzt, kann es mit Leichtigkeit betrachten. Es ist ein Bacillus, ein stäbchenförmiges bewegliches Gebilde, das man mit dem Namen Heubacillus belegt hat, da es stets auf Gräsern und im Heu vorkommt. Wird nun das Heu nicht gehörig getrocknet, zu großen Mieten oder Haufen zusammengestapelt, dann lebt der Bacillus in der Feuchtigkeit fort auf Kosten der Reste der Grassäfte. Er zersetzt sie dabei, und indem er atmet, erzeugt er Wärme. Im Innern des Heuhaufens, wo Milliarden und Milliarden der Bacillen wuchern, kann die Wärme nicht verfliegen; denn das Heu ist ein schlechter Wärmeleiter und läßt die Wärme nicht nach außen dringen. So steigt die Temperatur im Herzen des Heuhaufens auf 50, ja 70 Grad Celsius und die Bacillen leben noch in dieser Hitze fort, als ob sie „Heißluftatmer“ wären. In dieser Wärme beginnen nun die Bestandteile der Grashalme sich zu zersetzen, und auch diese chemischen Prozesse erzeugen Wärme, nun steigt die Hitze auf 100 Grad Celsius und darüber. Jetzt sterben die Bacillen in der Glut, die sie selbst angeregt haben, aber der Zerfall der Grasfasern schreitet vorwärts. Sie verkohlen schließlich, werden schwarz, bestehen fast aus reiner Kohle, obwohl man an diesen schwarzen Massen noch deutlich die feine Struktur jedes Hälmchens und jedes Blättchens sieht. Diese neu entstandene Kohle ist nun in hohem Grade porös und wie frisch geglühte Holzkohle saugt sie begierig und verdichtet die Gase, die sich bei der Zersetzung gebildet haben. Da entsteht neue Wärme durch Verdichtung und die verkohlten Fasern beginnen zu glühen. So frißt der Brand im Heuhaufen weiter, bis er an die Oberfläche gelangt, dann genügt ein leiser Luftzug, um die glimmende Masse in hellen Flammen auflodern zu lassen. So haben in diesem Falle winzige Lebewesen den Anstoß zur Selbstentzündung gegeben und dieselben Heubacillen sind auch, wie Prof. Cohn in Breslau nachgewiesen hat, die Brandstifter der so oft qualmenden Misthaufen.
Wir ersehen aus dieser Darstellung, daß nur große Heumieten, in welchen die Wärme sich ansammeln kann, der Gefahr der Selbstentzündung ausgesetzt sind; die Landwirte haben das lange, bevor man die Heubacillen entdeckte, gewußt und wußten auf verschiedene Weise sich vor diesen Unfällen zu schützen. Man setzt das Heu in kleineren von allen Seiten freien Haufen auf, oder legt im Innern der größeren Schächte an, die ins Freie münden. Durch diese Kanäle streicht die Luft und nimmt Wärme fort, der Haufen kann sich darum in seinem Innern nicht in gefährlicher Weise erhitzen. In Holland sucht man der Selbstentzündung der Heuhaufen vorzubeugen, indem man Salz zwischen Heu streut. Salz zieht Feuchtigkeit an und ist ein gährungswidriges Mittel; es macht also in der That den brandstifterischen Heubacillen das Leben schwer. Vielfach werden auch die Heuhaufen mit eisernen Stangen untersucht, ob sie sich im Inneren erhitzt haben; man kann, wenn man die Erwärmung frühzeitig wahrnimmt, das Heu auseinanderwerfen und umarbeiten, wodurch die Entzündung verhütet wird. Von außen läßt sich die Gefahr nicht bemerken; denn die äußerste Schicht ist noch kühl, während im Inneren ein Brandherd mit einer Glut von 300 Grad Celsius lodert – so schlecht leitet Heu die Wärme.
Wir haben vor den Augen unserer Leser ein eigenartiges Gebiet wissenschaftlicher Forschung entrollt, Fragen berührt, die für all und jeden von Interesse und Bedeutung sind, und wir schließen diese Skizzen mit den wahrheitsvollen Worten Dr. L. Häpkes: „Gesetze und Verordnungen, die doch nur zu häufig übertreten werden, helfen (bei Verhütung von Brandschäden) wenig. Viele Unglücksfälle entstehen aus Leichtsinn, noch viel mehr aber aus Unwissenheit. Das wirksamste Gegenmittel besteht in Belehrung sowie Schärfung der Aufmerksamkeit und des Gefühls der Verantwortung. Die zahllosen Entdeckungen, die in unseren Tagen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften gemacht sind und der Menschheit den Kampf ums Dasein erleichtern, finden immer mehr Anwendung im praktischen Leben. Es ist daher ein dringendes Bedürfnis, das Verständnis für dieselben zu wecken und die Kenntnisse der elementaren Begriffe der Physik und Chemie im Volke zu verbreiten, damit die häufigen Unglücksfälle nicht bloß bei Selbstentzündungen, sondern überhaupt vermieden werden.“