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Die Frau

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Autor: anonym
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Titel: Die Frau
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Carl Winiker
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Erscheinungsort: Brünn
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Die Frau


1859.




Brünn.
Druck von Carl Winiker.




1859.
Man suche die Flachheit und Frivolität der heutigen Tage nicht in dem Luxus und der Verschwendung Einzelner, die wieder Einzelne nachäffen, um sich eine sogenannte Stellung in der Welt zu geben, oder den sinnlosen Richtungen ihrer Sinne zu folgen. Zu allen Zeiten, überall und immer hat es Leute gegeben, die ihr Vermögen ruinirt, Schulden gemacht haben, Generationen, die in sorgloser Verschwendung und entwürdigender Immoralität untersanken. – Will man sich jedoch die Mühe geben, jene Zeiten, und nehme man selbst diese, wo ein Richelieu und Mazarin Verbrechen und Ausschweifungen aller Art zur allgemeinen Seelen- und Sitten-Verderbniß in ihr Jahrhundert streuten, mit den Unsrigen zu vergleichen, so wird man damals noch einen gewissen Schwung und Geschmack, Sinn für Schönes und Chevalereskes finden, was heut zu Tage überall und Allem fehlt, abgesehen davon, daß sich die Leute in ihrer Verderbtheit ganz fürchterlich langweilen, während sie sich in jenen Zeiten doch reizend unterhielten.

Ferne sei es von mir, sie deßwegen in Schutz zu nehmen; ich will nur damit sagen, daß unsere sittlichen und geistigen Verhältnisse noch an einer anderen Krankheit dahinsiechen und diese heißt – Gedankenlosigkeit!

„Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit!“

So sprach einst ein edler Marquis zu einem despotischen Könige. Was würde dieser Marquis mit diesem herrlichen Geschenke jetzt anfangen, wo jeder seine Freiheit nur benützt, um sich frei zu machen von den Gesetzen des Edlen und Schönen, Sklave aber seiner niederen Tendenzen und seiner Geisteserschlaffung wird, wo sich die ganze Existenz von Ideen und Gedanken nur auf das ausdehnt, was Existenz oder Nutzen bringt, wo die Menschen nur denken, um zu leben, nicht leben, um zu denken, und zu jener Vollkommenheit zu gelangen, die der Geist anstreben kann, anstreben soll, die einzige Vollkommenheit, die ohne Schranken, ohne Zwang, frei von den Fesseln der Convenienz zu erreichen ist.

Jeder mit seiner eigenen Menschenwürde unbekannt, sucht und ehrt sie nicht an Anderen. Güte ist kein Enthusiasmus mehr für höhere Zwecke, sondern nur vernunftlose Schwäche, Seelenstärke nur Geistesermattung und Indolenz. Die Flügel der Einbildungskraft tragen nicht mehr über die engen Grenzen der Gegenwart und Selbstliebe aufwärts zu dem Streben nach Vervollkommnung und Veredlung. Der Begriff von Recht und Unrecht fehlt jedem Urtheile. Die alles erhebende, heilige Religion erweckt nicht mehr das Handeln nach dem hohen Ideale der Menschen-Bestimmung, ihr Gebet ist nicht mehr die Frucht der Gottesanbetung und Ehrfurcht, nur die der Furcht.

Lernen und erfahren, was Andere vor uns gewußt und gesammelt haben, ist gewiß nützlich und lobenswerth. Allein, um es praktisch zu machen, muß es dem rechten Sinn, dem Nachdenken übergeben werden, sonst sinkt das Wissen zu einer gemeinen Mechanik herab. Nur immerwährendes Nachdenken über Alles, das Unscheinbarste in und außer uns, kann Mannigfaltigkeit der Ideen, Harmonie des Ideales und Wissens, so wie die moralischen Kräfte zur Ausgleichung der Gefühle mit der Vernunft wecken.

Der Gedanke selbst an und für sich ist etwas Unwillkürliches, mit dem Augenblicke entfliehend, der ihn erzeugte, wenn er seine Kraft nicht aus dem Denken schöpft; jedes Gefühl nur ein schwaches, werthloses Rohr, wenn ihm die Weihe des denkenden Bewußtseins fehlt.

Es ist kein leichtes Geschäft, und erfordert ein fortgesetztes Nachdenken, um zur Bekanntschaft seiner Selbst zu gelangen. Der ewige Streit des Göttlichen mit dem Menschlichen in uns, das Räthsel, welches wir uns stets selber bleiben, fesseln uns mit Irrthümern, bevor uns klar wird, wo wir als Mensch, wo als höheres Wesen empfunden und gehandelt haben, bevor das glückliche Gleichgewicht des menschlichen Geistes mit der menschlichen Natur hervorgebracht wird, damit jener den Sieg über die Schwächen dieser erringe, ohne ihre Triebe auf eine unnatürliche Weise verläugnen und vernichten zu wollen; denn Menschen sind und bleiben wir, so lange wir auf Erden leben, so lange unser Körper gebunden ist an die Gesetze und Mängel irdischer Bedürfnisse. Aber der freie Geist kann sich auf den Flügeln der Phantasie die überirdischen Waffen holen, um den Kampf mit dem bösen Dämon zu beginnen, nur muß, da Geist und Phantasie reizbar, und ungezügelt den Feind erschlagen würden, den sie nur lähmen und gegen Mißbrauch unschädlich machen sollen, die Vernunft sich ins Mittel legen.

Auch ich habe erst in späteren Jahren, nach manchem Lebenskampfe gelernt, unausgesetzt über mich und Andere, über Alles in mir und um mich nachzudenken. Glück und Unglück muß der Mensch kennen gelernt haben, gelitten und gekämpft haben, bevor er jene Höhe erklimmt, wo er über die kleinlichen Gewöhnlichkeiten dieses Lebens mit der Ruhe des Selbstbewußtseins hinüberblickt und sich das Recht erwirbt, seinen eigenen Werth und den Anderer mit dem gerechten Stolz der Überlegenheit zu erkennen und geltend zu machen. Möge die Welt den Geist, der den meinen leitend, mir zur Seite stand, mich das Wesen vom Schein trennen, denken und erkennen lehrte, der, ihr Urtheil verachtend, ihr und ihrer schalen Zeit stolz seine Schätze hinwirft, das Auge abgewendet von ihrer Unempfindlichkeit für das Schöne und Echte, aufwärts gerichtet nach seiner Würde und dem Ideale, das ihm als Ziel in der Seele glüht, – erkennen und benützen.

Doch die, die es noch gibt, die mit hellen Geist sich und die Welt erfassen, majestätische Charaktere, berufen Großes zu leisten, gehen stumm an einander vorüber und erkennen sich höchstens an dem gleichen Druck der Hand, wie einst die ersten Christen, die ihren Glauben verläugnen und verbergen mußten.

Die gemeine Art, das Schöne aufzufassen und zu empfinden, muß natürlich die nachtheiligen Folgen am Deutlichsten und Schädlichsten an den Frauen äußern, als den Repräsentantinnen und Würdenträgerinnen alles Schönen und Ästhetischen.

Diese interessanten, wichtigen und gefährlichen Wesen der menschlichen Gesellschaft, von Gott mit so viel Liebereiz, so edel ausgestattet, um sie wie ein heiliges Amt zur Veredlung der Männer zu benützen, die Beherrscherinnen und Weckerinnen der Sitte und großen Gefühle sein zu lassen! Die merkwürdige Vielseitigkeit des schönen Berufes, den eine Frau zu erfüllen hat, ihre schwierige Stellung zwischen dem naiv-poetisch-exaltirten, von der Natur angewiesen, und den bestehenden Grundsätzen der Erziehung so wie der praktischen Anwendung in der Welt; die Seelenstärke und Selbstverläugnung, die er bedingt, in immerwährendem Conflict mit der großen Reizbarkeit ihrer zarten Constitution, und der Einfluß ihres Seelenlebens auf die leicht erregten Nerven zu lösen versteht, mit jenem geheimnißvollen, unerklärlichen Zauber, womit sie weit mehr Einfluß ausübt, als der Mann durch seine mächtigen Vorrechte, eigentlich doch nur begründet auf die überwiegende physische Kraft, die ihn von diesem Standpunkte aus betrachtet als den Sieger unter den Schwachen herrschen läßt, und ihn zu jener über Alles und in Allem ausgedehnten Freiheit zu berechtigen scheint, in deren Namen er so viel Unrecht begeht.

Männer! sucht den Umgang edler Frauen, damit sich eure Sitte bilde; nur ein gesunkenes Ehrgefühl, Gemeinheit des Geschmackes, Rohheit der Seelenbildung flieht ihn. –

Frauen! sucht den Umgang geistreicher, aufgeklärter Männer, damit sich euer Geist kläre; ist er es, dann zieht den ihren in das Reich der Empfindungen und reichen Phantasie, wo ihr allein regiert und Richterinnen seid. Ist der männliche Geist geschmückt mit den unzähligen Blüthen eurer Pflanzungen, nähren euch seine Früchte, stimmen dann die ungleichen Töne in eine Harmonie zusammen, dann begegnet euch in dem schönsten Punkte des irdischen Lebens auf derselben Stufe. Vorherrschender Umgang der Frauen unter einander verdirbt sie. Ihre Schwächen und Kleinlichkeiten regen sie gegenseitig auf, führen immer Krieg, ohne sich zu bekämpfen; sich genau kennend, haßt, verfolgt und fürchtet Jede die Macht und die Kunstgriffe der Anderen, in denen sie instinktmäßig immer einen bösen Feind ahnt, der ihr ihre Siege, ihre Triumphe, ihr ganzes Glück auf einmal rauben kann. Daher auch augenblicklich die Intrigue die Hauptrolle übernimmt und sich ausbildet, wo halbwegs interessante und geistreiche Frauen in einen häufigeren Verkehr treten. Bei minder geistreichen und gemeineren Naturen artet es in die weit berühmte, in alle Verhältnisse Unheil oder wenigstens Mißstimmung bringende Klatschsucht.

Sonderbar, daß die Frau überhaupt als einzelne Erscheinung gewinnt. Nicht etwa, daß ihr der Vergleich immer Schaden brächte, nein, es ist mehr Harmonie und Ruhe in ihrem ganzen Wesen, die Grazie ihrer Bewegungen und ihres Geistes sind freier. Ich habe Frauen gesehen mit Heiterkeit und Anmuth einen Kreis beherrschen; kaum gesellten sich mehrere ihres Geschlechtes dazu, und ohne Gründe besonderer Rivalität wurden sie einsilbig, langweilig, oder bitter und aufgeregt bei jedem Ideenaustausch. In der Regel – keine ohne Ausnahmen – vertragen und mögen sich die Frauen selten und sind beinahe nie ganz wahr gegen sich. Jene exaltirten schwärmerischen Liebesfreundschaften zwischen zwei weiblichen Wesen, die sind nur in der allerersten Jugend begreiflich und verzeihlich, wo das sich füllende Herz sich nicht mehr mit dem Kanarienvogel oder der Turteltaube begnügt, sondern einen erwiedernden Gegenstand sucht, der in der Gestalt der Jugendgespielin so lange genügt, bis der Eigentliche entdeckt und gefunden ist, dann kann die Freundin ihren Bündel schnüren und schauen, daß sie auch einen Eigentlichen wo findet. Dauert eine solche sentimentale Frauenwirthschaft fort über die gesetzmäßige Zeit der 16 Jahre, so war entweder der Eigentliche noch nicht erschienen, oder er war nicht der Rechte.

Und wäre es denn ein Wunder, wenn Frauenherzen mehr denn je auf allerlei Irr- und Abwege geriethen?

Nicht gepflegt, ihr eigentlicher Werth weder erkannt, noch geachtet, ihre Würde verletzt, nicht benützt ihr richtiges Gefühl, der angeborne Takt und Scharfblick, womit sie die unscheinbarsten Beziehungen überblicken und beurtheilen, den Schlüssel zu manchen wichtigen Resultaten liefern, sehen sie sich frivolen Gegenständen gleichgestellt, die höchstens das sinnliche Auge der Empfindungen vorübergehend beschäftigen, ohne den moralischen Adel zu heben nur als schöne Zierde oder Staffage in den Vordergrund gezogen.

Vernachläßigt, nicht gebraucht, gehen sie spurlos verloren, oder sinken in der jämmerlichen Alltäglichkeit unter, ohne daß man beachtet, wie nachtheilig und schädlich ihre Vernachläßigung auf die Sitte einer ganzen Generation wirkt; denn nur Wenige gibt es, die erkannt und gewürdigt das schöne Ziel ihrer Sendung erreichen, noch Wenigere, die größer als ihr trauriges Loos mit stummer Verachtung die herrlichen Gaben, die ihnen die Natur verliehen, unentweiht bewahren, und ohne Anerkennung zu erbetteln, sie großmüthig verschenken.

Im allgemeinen kennen die Männer die Frauen nicht, während diese sie meistens durchblicken, genau ihre Schwächen und Leidenschaften studiren – und wenn es ihnen darum zu thun ist – auch zu benützen und zu beherrschen wissen, so wie sie mit einem merkwürdigen Scharfblick den Grad der Empfindungen ablauern, den sie erwecken. Allerdings werden ihnen diese Studien dadurch sehr erleichtert, daß die Männer gewöhnlich jener Fertigkeit entbehren, rasche Übergänge ihrer Gefühle durch die Reflexion anfzuhalten, wo es Noth thut, und im Sturme der Leidenschaft selten jene Mäßigung finden, die ihrer Äußerung allein die Grenze setzen kann, wie weit sie gehen dürfen, ohne die Form zu verletzen, oder sie der Beurtheilung der Welt preiszugeben.

Die Verstellungskunst, diese scharfe Frauenwaffe, die sie, ohne falsch zu sein, führen müssen, ist den Männern nicht eigen, mögen wir es ihnen zur Ehre gereichen lassen; eben darin liegt auch das große Geheimniß der so falsch verstundenen Pantoffelherrschaft, sowie die ganze Macht und der ausgebreitete Einfluß einer Frau nur in der Vielseitigkeit liegt, die ihre Berufserfüllung erheischt und schon darum von der Natur in ihr Seelen- und Gedankenleben angewiesen wurde. Das dürfte auch die Ursache sein, daß man bei ihr mehr Ausdauer und Beständigkeit als bei dem Manne antrifft, dem die Abwechslung, die er in äußeren Eindrücken sucht und findet, zur Beständigkeit nothwendig ist, da sie in der Einseitigkeit seines momentanen Gefühles fehlt.

Denn schichtenweise in Zeit und Raum, trägt er immer nur einem Gefühl auf einmal Rechnung, und meint, hingerissen von Form und Schein, jede neue Phase der Empfindung, in die er getreten, müsse die der frühern schmälern, weil sein Egoismus den Mittelpunkt seiner Liebe in sich selber errichtet, und nicht in der fremden Glückseligkeit.

Egoismus lähmt der schönsten Männerliebe die Flügel zum Emporschwingen.

Die Frau hingegen findet die reichste Abwechslung in ihrer Seele, in der nie Einförmigkeit eintritt, sondern alle Gefühle gleich mächtig vertreten sind. Leidenschaftlich, aber doch begeistert von dem hohen Schwung gleich gestimmter Seelen, hingebend und aufopfernd, wird sie zugleich ruhige, überlegende, Licht und Wärme verbreitende Freundin und glühende Geliebte sein.

Schon in den Berufspflichten eines Mannes kommt häufig eine so desperate Monotonie vor, daß er es sich zum Gesetz machen muß, seinem Geist und seinen Gewohnheiten eine Abwechslung zu suchen, sonst setzt er sich der Gefahr aus, daß jener darunter leidet, diese davon beherrscht werden, wie wir es leider nur zu häufig an unseren Gelehrten und Geschäftsmännern wahrnehmen.

Wer erkennt nicht auf hundert Schritte an der hageren Gestalt, an dem glatten, schwarzen Perückchen, oder perückenartig aussehenden eigenen Haare, den Justizbeamten, der durchdrungen von seiner Gerechtigkeitsaufgabe und Liebe, Haare, Cravatte und Halskragen, sowie sein ganzes Persönchen in so gerechte Formen bringt, daß Einer wie der Andere aussieht, und es einem sogar vorkömmt, als wäre die etwas kupferig werdende Nase noch mehr in der Mitte des Gesichtes als bei anderen Menschen.

Wer erkennt nicht die, namentlich in Deutschland einheimische komische Figur, die mit heraushängenden Taschen, schmutzigen Händen, schief geknüpftem Halstuch in einem Salon einfällt. Comme une chauve souris dans une boutique de cristaux.

Wer sie nicht gleich erkennt, der nehme nur

viel Bücherstaub,
einen Sack voll Gedächtniß,
eine Butte Fleiß,
einige Haberkörnchen natürlichen Verstandes,
die nothwendige Dosis Zerstreutheit,

pulverisire und menge das Alles so lange, bis ein Qualm unverständliches Zeug aufsteigt, und der Gelehrte ist fertig.

Wer hat nicht Gelegenheit gehabt, die Hausfrauen in Verzweiflung bringende Einseitigkeit eines echten Bureaukraten oder Comptoiristen kennen zu lernen, der oft stundenlang – unbeschäftigt – aber an seinem Pulte sitzt, und eher Himmel und Erde zu Grunde gehen ließe, als daß er es verließe, bevor die bestimmte Kanzleistunde abgelaufen oder die Post angekommen wäre?

Gäste sind zu Tische geladen, die gegebene Stunde längst verstrichen, der Herr vom Hause noch immer nicht da. Die Conversation stockt, Alles langweilt und sehnt sich nach dem Augenblick, wo das Klirren der Teller und Gläser eine so wohlthätige Abwechslung darbieten; welcher Sterbliche weiß nicht von solchen Augenblicken zu erzählen, und wären es auch nur von eines Pfarrers Diné’s selige Erinnerungen.

Ein Diener winkt nun dem Fräulein vom Hause, welches sich ungesäumt dem Regierungsohr der Mama nähert, und wohl zuflüstert, daß die Köchin nicht mehr für verbratene Fasanen und verdorbene Mehlspeisen einsteht, was eine Sturmpetition an den gnädigen Herrn veranlaßt. Doch umsonst. – Athemlos keuchend kehrt der Abgesandte mit dem Bescheid zurück: „Die Post habe sich verspätet und man möge sich, ohne auf den Festgeber zu warten, zu Tische setzen“, was auch ohne weiteres Bedenken, und ohne daß die Eßlust und Heiterkeit im mindesten gestört wäre, geschieht.

Zum schwarzen Caffee erscheint endlich der lang Erwartete, nicht Vermißte. Die Herren stürzen auf ihn zu, um die politischen Neuigkeiten zu hören, die die Post gebracht, und die ihn der Gesellschaft entzogen haben.

„Nichts, meine Besten, gar nichts. Das Haus Baroch Levy in Berlin hat fallirt. Es war keine Potenz. Wolle flau. Börse günstige Stimmung; 5% Papiere sind von 69 auf 58 gefallen. Kurse fest. Tendenz gut.“

Ein andermal soll der Papa das Töchterchen ins Concert begleiten. Wie gewöhnlich ist dieses nach der Weise unserer Concertgeber zu einer ungeschickten Stunde, denn man muß die des Speisens verändern. Fräulein Rosa, eine Enthusiastin für Musik, wandert in stummer Verzweiflung von einem Fenster zum andern, bis endlich, aber viel zu spät, das Schlachtopfer des Staates und der Musikpassion seiner Tochter – er hat gar keine – eintritt, und mit einigen eben nicht ganz dem Familienverhältnisse anpassenden Bemerkungen empfangen wird. Alles war verstimmt, das Concert nur halb gehört und warum? Weil heute der Minister seine gewöhnliche Promenade vor Tische nicht gemacht hat und um den Herrn Hofrath hätte schicken können, was aber durch zehn Jahre noch nie der Fall war.

Und nun der Familienvater. Wie selten trifft dieser das rechte Maß, seinen Einfluß, sein Wirken auf den ganzen Charakter des Hauses, der Erziehung, der Disciplin heilsam und praktisch anzuwenden? Entweder kümmert er sich um gar nichts, und ist Niemanden Stütze, oder er mengt sich in Alles, in jedes kleinliche häusliche Detail, wird brummig, zuwider und, o Schauer alles Schauerlichen – ein Häferlgucker.

Einseitigkeit ist es dann, was der Mann sowohl in seinem Wesen, wie in seinen Bestimmungen so oft zu bekämpfen und zu vermeiden hat, Vielseitigkeit hingegen das herrlichste Geschenk, welches die Natur dem Frauenleben und Wirken verliehen hat. Durch diese herrscht die Frau, diese allein erringt ihr den Sieg bei den ungleichen Waffen der Stärke und Rechte dem Manne gegenüber. Sehr irrig daher der Begriff und Grundsatz, daß die erste, ja die einzige Bestimmung der Frau sich auf Küche, Kinderstube und Strickstrumpf ausdehnt. Eine Frau, die nicht ihre Pflichten als Hausfrau erfüllt, nicht sorgsame Mutter und treue Verwahrerin des Familieneigenthums ist, die verachte ich.

Aber nicht nur die Schlüssel zum häuslichen Leben sind ihr anvertraut; das ganze Reich der Grazien, ästhetischer Form, frommer Sitte, schöner Gefühle, alle Blumen und Blüthen, Perlen und heilige Thränen, haben die Frauen zu verwahren, zu erschließen, das himmelblaue Band in Händen, das Geist und Gefühl verbindet.

Es gibt unter ihnen welche, die in einem wunderbaren Grade von dem Zwange gesellschaftlicher Gesetze befreit zu sein scheinen, glückliche, schöne Wesen voll Grazie, die von Geburt an unter dem Schutze freundlicher Mächte gestanden, die sorglos für den nächsten Augenblick, erinnerungslos für den Vergangenen, sich gleichsam durchs Leben tändeln und spielen mit jener Sicherheit und Ruhe immer glückender Bewegungen, wie der Schwan auf seiner glatten Wasserfläche, der die brausende Welle nicht kennt, noch fürchtet, weil der Grund nicht tief genug ist, um daß sie vom Sturme gepeitscht würde. Diese Geschöpfe sind wohl anmuthig, anziehend und verlockend, aber meistens ungeprüft vom Leben und Leiden, begreifen sie Andere nie, die gelitten haben; leichtsinnige von der Außenwelt zu betäubte, weniger zarte Seelen. Solche heften sich und fesseln nur wechselnd und vorübergehend.

Dann gibt es zarte, sinnige, recht hübsche Wesen, voll ästhetischer Manieren und liebenswürdiger Empfindungen, aber beschränkt. Ohne zu einem Begriff zu kommen, ohne Selbstständigkeit, ohne Energie. Ein melancholisches Lächeln, verschwommene Blicke, zur Seite geneigter Kopf und viele Seufzer sind Alles, was ihnen zu Gebote steht. Sie weinen über einen Regentag, über ein nicht passendes Kleid und eine unartige Kammerjungfer; an Körper und Geist arme Narren, verzärtelte Glashauspflanzen, die in der rauhen Lebensluft nur vom Morgen bis zum Abend blühen, und deren Anziehungskraft und Einfluß von eben so kurzer Dauer ist. Diese sind Null.

Ganz anders sind jene kräftigen Naturen, gewiß treffliche Charaktere voll Pflichtgefühl, zweckerfüllender Thätigkeit, sorgsame, immer schaffende Hausfrauen und Mütter, die mit lauter Stimme und kräftigem Schritt jede Minute des Tages ihr Wirken verkünden, welches sie formlos, ohne Anmuth, gleichsam fabriksmäßig betreiben, dem Anscheine nach, als wären sie Schlachtopfer des täglichen Broderwerbes. Endlich aber zieht der scheidende Tag seine Feierabendschranke jedem Handwerke. Die letzten Strahlen der sinkenden Sommersonne machen den ersten Sternen das Lichtrecht streitig, als schon der mächtige Nachtbeherrscher mit seiner noch bleichen Scheibe den Streit endet, und still duftend legt sich die Natur zur Ruhe. Der Augenblick ist gekommen, wo das Frauenherz seinem inneren von der Welt abgeschlossenen Leben Rechnung trägt, die Edelsteine seines verborgenen Schatzes überzählt, ob ihm keiner verloren ging in dem Gewühle und Gedränge der Lebenssorgen. Jedes Bauernweib sehen wir noch in später Stunde auf der harten Eingangsstufe ihrer armseligen Hütte sitzen, und ohne zum Bewußtsein zu kommen, was sie eigentlich aus der dumpfen Stube hinauszieht, schwermüthig in den Mond stieren. Aber, es stiert ihn an.

Unsere riegelsame Hausfrau nun, oft aus den gebildetsten Ständen, wer glaubt es, wirft nicht einen Blick auf Gottes Herrlichkeiten!

Der Mond ist ja keine Kolatsche, die Thautropfen sind keine abgestrickten Maschen. Sie schließt sich ein, strickt und wickelt, und wickelt und windet, – keine himmlischen Rosen – aber viele Strümpfe ins irdische Leben. Ausgefüllt von diesem Wirken, zufrieden mit sich und Allem, was ihr beschieden ist, selbst ihren Empfindungen die eisernen Ketten schwungloser Genügsamkeit anlegend, gehen ihre sonst schätzenswerthen Eigenschaften werthlos, unbeachtet unter, weil sie formlos und einseitig sind und diese Einseitigkeit jeder Anschauung, jedem Urtheile aufdringen.

Von dem Richterstuhle ihrer Auffassung wird jede Grazie verurtheilt, weil keine an ihrer Wiege gestanden ist. Liebenswürdigkeit, ja nur anständige Artigkeit heißt Affektation. Mit Ausdruck Klavier spielen, Gedichte lesen oder sonst so etwas von Poesie des Lebens, oder Seelenzustände (leider hat die Seele nicht stricken, nähen und kochen gelernt) sprechen, heißt Exaltation; Mondabende unbeschäftigt auf Promenaden oder im Garten zubringen, oder etwa gar selbst ein Gedicht machen, Schwärmerei und schon sehr gefährliche Tendenzen.

Ich wiederhole es, achtungswürdige Frauen, die aber die zauberischen Geheimnisse weiblicher Bestimmung eben so wenig ahnen, als sie sie erfüllen, die haben den Schlüssel zu den Prachtgemächern und gesammelten Schätzen ihrer Seelenahnen verloren oder nie bekommen, und nur den in Händen, der Wohnzimmer, Keller und Speicher aufschließt. Die Lebensgeschichte ihres Herzens hat an dem Tage begonnen, wo sie ihr Mann begehrt hat und schließt am Hochzeitstage.

Schweigend will ich über jene hinübergehen, die verwahrlost, aufgewachsen unter dem Beispiele und Anleitungen schlechter Grundsätze, oft Noth und Elend preisgegeben, auf Irrwege geriethen, wo der ganze unermeßliche Schatz weiblichen Fühlens und Frauenwürde, meuchlerisch angefallen, aus dem Herzen gestohlen wurde. Wer wagt es, den Stein gegen diese unglücklichen Geschöpfe zu heben, welches weibliche Wesen hat den Muth, für sich die Hand ins Feuer zu geben, daß sie unter gerade solchen Verhältnissen nicht gerade so geworden wäre? Wer hat die Thränen gezählt, die ein solches Herz geweint hat, wenn es zu spät zum Bewußtsein seines Jammers kam, wer die Seufzer gezählt, die an dem Flitter glänzenden Elendes hängen?

Schweigend und mit verächtlichem Bedauern über solche, welche den Geist, der ihnen verliehen wurde, zu einem bösen Geiste ausbilden, den Adel ihrer Seele gemeinen Leidenschaften unterordnen, deren Gefühl nur in dem Kopf und in den Sinnen liegt, die einem Götzenbilde – der Eitelkeit – Weihrauch streuen. Diese werden vielleicht edle Handlungen begehen, wenn ihr Verstand und ihre Eitelkeit Lorbeeren brauchen, sie werden aber nie edel sein.

In einem Gewebe lügenhafter Intriguen verwickeln sie sich selbst zu einem schmählichen Ende. Nur eine kurze Zeit (genug oft, um Schmerz und Elend zu bereiten) werden sie höher und edel Denkende mit den Schlangenwindungen ihres Geistes bestechen und täuschen, die ihnen schmählicher Weise nicht einmal über das Nichtdurchblicktwerden hinübergeholfen haben.

Ich habe Extreme angeführt, da wir meistens durch sie zur Wahrheit gelangen, zu dem Mittelpunkt, in dem die Existenz vielseitig vereinter Kräfte eine ganze Summe harmonischer Thätigkeiten hervorbringt, denn Contraste bedarf es keiner, um das Bild einer Frau, wie sie ihrer schönen Bestimmung nach sein soll, in ein glänzendes Licht zu stellen und den Beweis zu liefern, wie sich das Nützliche mit dem Schönen, das Praktische mit Exaltation, ohne daß eines oder das andere darunter Schaden litte, gewinnen läßt.

Jedes große, reiche Gemüth wird und soll sich exaltiren für Großes, Schönes, Edles, sei es nun durch Form, Handlung oder Gefühl angeregt. Wo keine Exaltation ist, da fehlt auch Schwung und wo kein Schwung ist, da werden bald Berechnung und Egoismus sich die Thore öffnen. Die Exaltation nie unpraktisch werden zu lassen, das ist die Aufgabe, und diese Aufgabe löst jene Frau, die ihre Welt überblickt und die Erscheinungen derselben beherrscht, oder sich nach ihnen fügt, deren Geist sich mit eben so viel Sicherheit als Grazie darin bewegt, die im Augenblicke des Handelns, als wie der Ruhe die strenge Nothwendigkeit mit dem feinsten Ton und Geschmack zu verknüpfen versteht, die in Glück und Unglück sowie aus der Gemeinheit der Alltäglichkeit sich die Bahn durchbricht und glänzend aus ihrem eigenen Bau hervortritt.

Sehen wir sie nicht am Morgen mit schlichter Bürgerlichkeit die Hand an ihr Hauswesen legen, mit Ordnung und Sparsamkeit die Bedürfnisse einer ganzen Familie besorgen, ohne ihr Äußeres dabei im Mindesten zu vernachläßigen, überall wo nur möglich die verletzende Form vermeidend, das Nothwendige anordnen, die Fehler ausstellen? Verhindert sie das, eine Stunde später in ihrem Cabinet, ihren Geist mit Lecture, Musik, Poesie, Betrachtungen die Nahrung zu reichen, die er verlangt? Eben so wenig als sie dieses ihren heiligen Pflichten als Mutter entziehen wird, die sie nach ihren Kräften erfüllend stets vor Augen hat. Dieselbe Frau treffen wir von Schwärmerei und Sehnsucht umflossen sich von einer schönen Gegend hinreißen lassen, mit den Sternen von Geistermacht träumen, ohne daß für den Geringsten im Hause darüber des Abendbrod vergessen würde. Dieselbe Frau sehen wir mit jener angebornen Eleganz, die keines Luxus bedarf, und das unscheinbarste Gewand zur Geltung bringt, mit jenem distinguirten Wesen in Gang und Haltung, welches den Adel der Seele wie des Ranges angibt, in der Welt erscheinen. Mit Takt, Grazie und Unbefangenheit wird sie die Stellung einnehmen, die ihr darin angewiesen wurde ohne Anmassung, aber auch ohne sich zu vergeben. Sie wird nie etwas sagen, was sie nicht sagen will, die Welt und ihr Urtheil verachtend ihr das Lächeln der Liebenswürdigkeit, aber nie ihre Seele entgegenbringen. Zu was auch? Sie verlangt ja nichts anderes als das Lächeln der Heiterkeit, um für sie gestimmt, oder in ihr nicht gestört zu werden. Was kümmert sich die Welt um ein gebrochenes Herz? Wenn die gesetzmäßige Zeit vorüber ist, die der Anstand des Mitleids erfordert, so wähnt sie den Kummer mit verstrichen und Frauenthränen, mögen sie auch aus der tiefsten Quelle verletzter Gefühle oder schweren Kummers rinnen, sind ja nur – Weiberthränen. – Wird da die Verstellungskunst nicht zum Gesetze, die Intrigue nicht zur Nothwendigkeit? Und was sind denn Beide anderes als unser trauriges Spiel der Welt gegenüber, die uns immer mehr und mehr von der strengen Wahrheit abkommen macht, weil sie niemand mehr verträgt, da sie die Schuldigen verwundet; die uns zwingt ohne falsch zu sein, anders zu reden als wir denken, weil Aengstlichkeit der Ansicht jede freie Gesinnung einschränkt, uns zwingt Umschweife zu machen, und Dinge mit einem künstlichen Namen zu bezeichnen, weil sie den Rechten nicht begreift, oder eine gemeine Bedeutung gibt?

Die Frau von Verstand und Gefühl wird aber auch im Gedränge der Weltklugheit den rechten Weg zu finden wissen, auf dem ihr von ihrem inneren Werth nichts abgestreift wird, wenn auch nach manchen heißen Kämpfen mit ihren Schwächen und Leidenschaften den Standpunkt erringen, von welchem aus sie die schwierigsten und peinlichsten Verhältnisse, in die sie ihr Schicksal geworfen hat, schlau umgehen, oder ihnen die Stirne bieten kann, sie wird die feine Intrigue nur dann benützen, wo sie einen edlen oder gerechten Zweck damit erreicht, oder wo sie ihr als Werkzeug der Justitia Divina[WS 1] zu ihrer eigenen Vertheidigung und Vergeltung in die Hand gegeben ist, nie aber die Grenze überschreiten, wo sie das Reich gemeiner Bosheit der Rache betritt, nie intriguant sein, nie es sein wollen, und dadurch ihre Macht und ihren Einfluß schmälern, ja ganz verlieren, sobald sie sich damit prahlen würde. Dumas sagte einmal von Jemanden, der seine Zwecke nicht erreichte, »C’est qu’il n’est pas assez grand pour se faire petit.«

Die Frau, die nur im rechten Augenblicke zu scheinen und erscheinen, nicht aber im rechten Moment zu verschwinden versteht, deren Macht und Einfluß wird in Nichts dauern. Die Frau, die nur intriguant ist, macht sich verhaßt, kann beherrschen, aber wird nicht anziehen, nicht fesseln.

Jene aber wird nicht nur Leidenschaften erregen, sondern wenn sie verraucht sind, die Neigung mit unzähligen Fäden an sich gefesselt, sich unentbehrlich, unersetzlich gemacht haben. Sie wird den würdigen Gegenstand ihrer Liebe mit verschwenderischer Großmuth die Reichthümer ihres Herzens verschenken – verschenken, was der Mann nur leiht, um es jede Minute wieder zurückfordern zu können.

Mißbraucht, verkannt, getäuscht wird sie am gebrochenen Herzen sterben, oder wenn die physische Natur dem moralischen Schmerz trotzt, ohne Klage mit stetem Selbstbewußtsein den Schein des Glückes um die Stirne flechten, Liebe und Treue im Herzen bewahren, damit sie nicht vergehe auf der Erde.

Glücklich aber, erkannt, geliebt, wird sie unerschöpflich im Beglücken sein.

Solche Frauen waren es, welche mit unsterblicher Größe auf den Blättern der Geschichte unser Interesse erregen. Solche Frauen sehen wir die größten Opfer bringen, nur solche Frauen können im Stande sein mit kräftiger Selbstverläugnung eine Krone von ihrem Haupte zu werfen, wenn sie es für heilsam erachten.

Solche Frauen gibt es noch mehr, als wir ahnen und daß wir sie zu den Ausnahmen zählen müssen, liegt in den falschen Grundsätzen unserer Erziehung, die gleich im ersten Keim Blüthe und Frucht erstickt.

Unsere Töchter lernen, je nach den Verhältnissen, oft recht vieles, mitunter sogar gründlich. Man lernt ihnen aber nicht denken, nicht fühlen, nicht (die Grundlage des Verstandes) sich, die Welt, Andere richtig und gerecht beurtheilen. Mit einem Wort, man lernt ihnen nicht leben, nicht den tiefen Ernst des Lebens. Alles dreht sich darum zu gefallen. Das Schöne und Erhabene wird nie als solches zum Muster aufgestellt, sondern höchstens als Mittel zum Zwecke, das heißt einen Mann zu erreichen, und es bleibt eine merkwürdige Erscheinung, wie Mütter, die in ihren Verbindungen unglücklich und nichts weniger als in einem Traume rosiger Täuschungen lebten, ihre Töchter à tout prix[WS 2] verheirathen und ihnen die Ehe nur von der Flitterwochenseite, nie von den Ernsten, Pflichten, Opfern und Selbstverläugnung aller Art Erheischenden zeigen. Mag es auch nicht Leichtsinn, sondern Zärtlichkeit einer Mutter sein, den Schleier so lange als möglich über das dunkle Angesicht der wirklichen Welt und so vielen bittern und bösen Verhängnissen, die sie bringen kann, zu werfen, es ist eine falsch verstandene Schonung. Nur bekannt mit den Gefahren können wir ihnen ausweichen oder gewaffnet entgegen treten. Viele Thränen bitterer Enttäuschung könnten erspart werden.

Die zwei gefährlichsten Begleiterinnen weiblicher Würde und Schönheit, die Eitelkeit und Coquetterie wählt man ihnen von der frühesten Kindheit an zu Gespielinnen, beide so verderblich, wenn sie die enge Grenze überschreiten, wo die, allen weiblichen Wesen angeborne und erlaubte Gefallsucht in Frivolität übergeht.

Bemächtigt sich diese eines weiblichen Herzens und Wesens, so ist Alles dahin.

Die edelsten Gefühle werden geopfert, die herrlichsten Anlagen und Absichten verlieren sich gedankenlos in einem Chaos von Gehaltlosigkeit, dringen nicht einmal in das Bewußtsein des Gedächtnisses, und irren zerstreut hin und her, hinauf, hinab, wahre Irrlichter, die manchen Wanderer schon irregeleitet haben –

Und Frivolität ist das Grundprincip unser jetzigen Erziehung.

Mütter, die ihr edle Frauen bilden wollt, erzieht zuerst eure Kinder zu denkenden, fühlenden Mädchen, erweckt und fordert Ehrfurcht, lehrt ihnen das Nichtige vom Wesentlichen unterscheiden. Männer, die ihr sie besitzen wollt, erzieht euch eure jungen Frauen, aber mit Delicatesse, Liebe, Rücksicht und Anerkennung, nicht durch Vernachlässigung, Rohheit und Geringschätzung vom ersten Augenblicke an. Eure eigene Schuld dann, wenn ihr sie schon verloren habt, bevor sie noch ganz euer waren.

Man wird diesen Blättern vielleicht zum Vorwurfe machen, daß sie eine Classe von Frauen übergangen haben, welche leider schon zu Nationen herangebildet der Schauder und die bètes noires[WS 3] aller Männer sind. Jene nämlich, welche im Reiche der Capricen, Launen, Fachsen ihr furchtbares Unwesen treiben. Wer hat im Verkehr mit der Welt, ja in seiner eigenen Familie nie Solches kennen gelernt und darunter gelitten? Zu was also noch alle die zahllosen Krümmungen und Auswüchse dieser sich und den Anderen das Leben erschwerenden, verderbenden Charaktere aufzählen und schildern, wo wir täglich Beispiele der traurigsten Folgen erleben.

Ein zweiter und weit gerechterer Vorwurf trifft diese Blätter, wenn man fragt, zu was sie überhaupt geschrieben wurden? Darauf könnte ich nun als erste Antwort den unter den Menschen viel zu wenig berücksichtigten Grund angeben, „weil es mich gefreut hat“ und jeder recht hat – sobald er kann und es etwas Erlaubtes ist – wenn er das thut was ihn freut. Eine zweite Frage wäre dann freilich diese, „ob er auch das Recht hat, Andere mit seinen Freuden zu langweilen?“

Ueber diesen Punkt habe ich mein Gewissen damit beruhigt, daß sehr viel Schlechtes und Langweiliges auf dieser Welt geschrieben wird, und die Leute sich so langweilen, daß sie oft das Langweiligste unterhaltet. Nebstbei verschaffe ich ihnen damit das Vergnügen, den Verfasser errathen zu wollen, um an seinen Namen ihren gerechten Zorn auszulassen, und ihn noch vor den Blättern zu zerreißen, bei welchem letzteren Geschäfte ich noch verspreche, von Herzen mitzuhelfen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. lat.: „göttliche Gerechtigkeit“
  2. frz.: „um jeden Preis“
  3. frz.: „schwarze Biester/Ungeheuer“