Die Gartenlaube (1863)/Heft 35

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1863
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[545]
Der verhängnißvolle Ring.[1]
Ein Danziger Erlebniß,
mitgetheilt von W. v. R.

Wenn der weise Rabbi Ben Akiba behauptet, daß sich im Leben Alles wiederhole, so glaube ich doch, daß das unten mitgetheilte Ereigniß, welches hier sich wirklich zugetragen und von mehreren noch lebenden Augenzeugen bestätigt werden kann, schwerlich schon vorgekommen ist und sich wiederholen wird.

An einem heiteren Septembertage im Jahre 1811 waren die Bewohner der Stadt Danzig, zumal die ganze vornehme Welt, in großer Aufregung, und schon in den Morgenstunden sah man sämmtliche Fenster der Häuser des Langenmarkts, und zwar am meisten die der Südseite, dicht mit Zuschauern, größtentheils Damen, bis zu den Giebelfenstern besetzt. Der Grund dieser Aufregung war ein außerordentlicher: es sollte ein französischer Officier, der als Capitain in der Garnison stand und Ehrenlegionair war, öffentlich, im Beisein der Garnison, als Dieb gebrandmarkt werden.

Der Unglückliche war eine allgemein beliebte Persönlichkeit. Es wurde kein Fest, sowohl beim Militair, als auch beim Civil, ohne sein Gutachten angeordnet, kein Polterabend, der in den höheren Cirkeln stattfinden sollte, ohne seine Beihülfe vollzogen. Zu den öffentlichen Fastnachtsaufzügen, die abgehalten wurden, vertheilte er die Rollen unter den Garnisonsmitgliedern, und Jeder unterzog sich bereitwillig seinem Arrangement. Noch kam hinzu, daß er geläufig deutsch sprach, zur Guitarre deutsche und französische, meistens komische Lieder anmuthig sang, Kunststücke verschiedener Art zur Belustigung der Gesellschaft machte, graziös tanzte und oft an den Spielen der Kinder des Hauses Theil nahm. Er war ein schöner Mann von einigen 40 Jahren und hatte sich bei der Elite die Achtung dadurch mit erworben, daß er sich in der Gesellschaft stets anspruchslos bewegte und nirgends erschien, wo er nicht besonders eingeladen war.

Capitain Alswanger wohnte schon geraume Zeit bei einem Galanteriehändler, dessen Geschäft aber sehr gesunken und so zu sagen aus der Mode gekommen war. Der Eigner stand daher demselben nur allein vor, wurde vom Capitain, der mehr Freund als Einquartierter war, bei seinen Verkäufen als Dolmetscher unterstützt und oft von diesem in seiner Abwesenheit vertreten.

Später fand auf Beschwerde einiger Hauseigenthümer, die längere Zeit Officiere inne gehabt, eine Umquartierung statt, und der Capitain mußte auf Ordre ein anderes Logis beziehen, was den Wirth wie dessen Familie sehr schmerzte. Mit Thränen im Auge entließ man den geliebten Freund.

Kurze Zeit nach dem Abzuge vermißte der Besitzer einen Siegelring, fast das werthvollste Stück seines Lagers. Man konnte sich nicht erklären, auf welche Weise er verschwunden sei, da derselbe stets in einem Glaskasten mit anderen Goldsachen aufbewahrt wurde, und da kein Fremder, selbst das Hausmädchen nicht, den Laden betrat, so war das Verschwinden des Werthstücks um so unerklärlicher. Der Verdacht auf den Capitain wurde von der Familie mit Entrüstung verworfen, und man suchte endlich, da keine Spur zu finden war, den Verlust zu verschmerzen.

Einige Monate nach diesem Vorfalle besuchte der Kaufmann, wie sonntäglich, die Wachtparade auf dem Langenmarkt, um das stets glänzende Schauspiel mit anzusehen; dort traf er einen Bekannten, an dessen Finger er den vermißten Siegelring erblickte. „Herr, wo haben Sie diesen Ring her?“ frug er mit Heftigkeit, sogleich hinzusetzend: „Der ist mir gestohlen!“

Jener gab gleichgültig zur Antwort: „Den habe ich von einem französischen Officier für 5 Thaler gekauft.“

„Was war das?“ Mit dieser Frage trat ein Officier, der deutsch verstand, zu den beiden Herren heran, die höchlichst erschrocken sich entfernen wollten. Ein gebieterisches Halt! nöthigte sie wieder zurückzukommen. Eine Schreibetafel ziehend, fragte er sie nach Namen, Stand und Wohnung, die mit der Aeußerung notirt wurden, daß diese Aussage näher untersucht werden müsse, und ebenso fragte er den Ringinhaber, ob er den Officier kenne. Jener verneinte es und wurde aufgefordert, denselben zu beschreiben; doch kaum hatte derselbe Einiges erwähnt, so sprach der Bestohlene mit Entrüstung: „Das ist Capitain Alswanger!“ Der Examinator erschrak so heftig, daß es einer Weile bedurfte, ehe er sich erholte und mit gepreßter Stimme endlich die Frage tat: „Bleiben Sie beide bei Ihrer Aussage?“ und da gegenseitig ein kräftiges „Ja“ erfolgte, so verbot er denselben, bei Vermeidung von Unannehmlichkeiten, die Stelle zu verlassen. Den beiden Herren that es sehr leid, daß die Sache so schnell zur Publicität gekommen sei, und sie hätten es lieber gesehen, wenn das unangenehme Verhältniß unter der Hand ausgeglichen worden wäre. Aber es war zu spät, da selbst das umstehende Publicum die Unterhaltung mit angehört hatte und sich um die Kaufleute drängte, um den weiteren Erfolg des Drama’s abzuwarten.

Nur mit Mühe konnte ein Stabsofficier in Begleitung des Anklägers und des herbeigerufenen Capitains sich durch die Masse drängen. „Kennen Sie diese Herren?“ frug er den Capitain. Der Sturz aus seinem Himmel in die alltägliche Wirklichkeit war [546] zu plötzlich gekommen, er erblaßte, gerieth außer Fassung und stammelte ein kaum hörbares „Ja“ über seine Lippen. Der Oberst ließ sich den Ring einhändigen und fragte weiter: „Haben Sie diesen Ring an den Herrn verkauft?“ Da Jener gepreßt „Ja“ antwortete, fuhr der Frager fort. „Wo haben Sie denselben her?“ Etwas gefaßter gab er zur Antwort, daß er denselben von seiner verheiratheten Schwester, die sich jetzt in Paris aufhalte, geschenkt erhalten habe. „Was haben Sie hierauf zu sagen?“ wurde der Bestohlene gefragt. Dieser wandte sich an den Capitain mit der Frage: „Kennen Sie das Geheimniß dieser Ringes?“ Stutzig betrachtete er denselben und sagte gedehnt „Nein“.

„Nun, Herr Oberst, so werde ich Ihnen den Beweis führen, daß der Ring mein früheres Eigenthum ist, und Ihnen das Geheimniß mittheilen.“

Beide traten auf einen etwas freieren Platz, wo der Eigenthümer mit einem Federmesser einen der kleinen Knöpfe, die den Stein umgaben, drückte, wodurch nach innen eine Platte aufsprang und unter dem Steine eine Vertiefung sichtbar wurde, die groß genug war, um ein feingefaltetes Blatt Papier oder auch ein Päckchen Gift darin aufzunehmen. Der Oberst betrachtete stillschweigend den Ring, drückte die Platte langsam in die Fuge und blieb eine Weile nachdenkend stehen. Langsamen Schrittes traten dann die Beiden zu den Zurückgebliebenen, und beklommen sagte er zu den beiden Officieren: „Folgen Sie mir.“

Der Oberst stattete dem commandirenden General Bericht ab, welcher vier Unterofficiere beorderte, den Capitain hinter die Fronte zu führen. Eben kam der Gouverneur Rapp, heiter wie immer, mit seiner glänzenden Suite in vollem Trabe heran, ritt die Linie hinab, stellte sich vor dieselbe auf und ertheilte dem Platzmajor Befehl zu der Ausführung des gegebenen Manövers. Noch war aber vom Commandirenden nicht das „Marsch“ erschollen, als der Gouverneur von dem Vorgefallenen unterrichtet war. Höchst entrüstet übertrug er dem meldenden General im nahen Junkerhofe (Börsensaal) die Voruntersuchung, befahl ihm das Resultat mitzutheilen, das Manöver einzustellen. Auf die Frage, ob der verhaftete Capitain vorgeführt werden sollte, verneinte er dasselbe mit abwehrender Handbewegung und abgewandtem Gesichte. Ohne den üblichen Parademarsch abzuhalten, sprengte er auf seinem Berber mit solcher Hast in gestrecktem Carrière davon, daß seine Umgebung ihm kaum folgen konnte.

Nach Abzug der Truppen waren bald die zurückgebliebenen Officiere im Junkerhofe zusammengetreten und das Verhörgericht angeordnet. Vorgeführt redete der Generalauditeur, ein vieljähriger intimer Freund des Angeklagten, ihn mit zitternder Stimme an: „Capitain Alswanger, Sie sind wegen Veruntreuung eines Siegelringes angeklagt; was haben Sie darauf zu antworten?“

Mit fester Stimme sagte er: „Die Sache liegt klar, und ich werde der Wahrheit die Ehre geben. Ich habe mich leider verblenden lassen, den Ring zu entwenden, und bin dumm genug gewesen, denselben hier am Orte zu verkaufen.“

Alle schwiegen vor Erstaunen, und es dauerte eine Weile, ehe der vorsitzende General zu Worte kommen konnte. „Capitain,“ sagte er, „kennen Sie die Folgen, denen Sie auf diese Selbstanklage unterworfen sind?“

„Ja, Excellenz. Da mir die Kriegsgesetze wohl bekannt sind, so weiß ich, ich werde entehrt aus dem Officiercorps gestoßen und darf Frankreichs Boden nicht wieder betreten.“

Auf Befehl des Vorsitzenden wurde das Protokoll geschlossen und von dem Verhafteten mit fester Hand unterschrieben. Dem Gouverneur wurde dasselbe durch einen Adjutanten überbracht. Stehend, auf einen Tisch gestützt, hörte dieser mit den anwesenden Officieren die Vorlesung mit an. Nach Beendigung derselben warf er sich mit bedeckten Augen in die Sophaecke, ein über das andere Mal rufend: „Unerhört, unerhört von solch einem Manne!“ Indeß faßte er sich bald, um seine Funktion als Gouverneur auszuüben. Er befahl dem Capitain den Degen abzunehmen und ihn, bei strenger Bewachung, zum leichten Arrest abzuführen.

Nach dem Eintreffen der Untersuchungscommission trat der General Rapp vor die Versammlung und sprach: „Meine Herren, wir haben heute einen unerhörbaren Fall erlebt und durch sein Geständniß einen Mann verloren, den wir Alle achteten, ja liebten, denn er war ein braver Soldat, ein treuer Freund und ein lieber Gesellschafter. Um so schwerer wird es uns werden, ihn nach den Militairgesetzen zu verurtheilen. Durch sein Selbstbekenntniß ist das Verfahren sehr vereinfacht, es kann daher schon morgen das Kriegsgericht hier zusammen treten, bei welchem Sie, Herr General O., gefälligst den Vorsitz übernehmen werden. Lassen Sie uns das schwere Geschäft ohne Aufschub vornehmen.“

Der Generalauditeur wurde auf seine Bitte von der Theilnahme an diesem Gerichte, aus persönlicher Rücksicht, entbunden.

Die Speisen, die der Inhaftirte erhielt, waren bereits klein geschnitten. Mit einem leichten Achselzucken und der Aeußerung „unnütze Vorsicht,“ bediente er sich des beigelegten Löffels. Von den ihn besuchenden Commilitonen und Freunden wurde er stürmend gebeten, einen Ausweg anzugeben, den sie bereitwillig unterstützen würden. „Meine Herren,“ entgegnete er, „ich danke für Ihre Theilnahme, lehne aber den angebotenen Beistand ab. Meine Rolle ist ausgespielt. Ich werde mich der Strafe, die das Gesetz verordnet, unterwerfen und bitte Sie inständigst, mich mit ferneren Besuchen gütigst zu verschonen.“

Am folgenden Tage trat das Kriegsgericht vorschriftsmäßig zusammen. Nach dreistündiger Sitzung wurde das Protokoll, welches die Verurtheilung enthielt, von sämmtlichen Beisitzern unterschrieben und vom Vorsitzenden fünf Personen als Deputirte ernannt, um dasselbe dem Gonverneur zur Bestätigung vorzulegen. Bei ihrer Meldung empfing General Rapp die Herren, sich langsam von seinem Sitz erhebend, und hörte die Vorlesung wieder stehend an. Das Protokoll lautete (mit Weglassung der Eingangsformel) in der Hauptsache dahin:

„Da der Hauptmann Alswanger sich durch das unterschriebene Protokoll der Voruntersuchung für schuldig erklärt habe, so sei er als gemeiner Dieb zu bestrafen. Er solle vor der Fronte seiner Compagnie infam cassirt, aus dem Officiercorps als moralisch todt gestrichen, auf ein Jahr zur Festung verurtheilt und dann als Gemeiner in seiner bis daher geführten Compagnie eingereiht werden. Für seine frühere gute Führung und Dienstleistung solle er jedoch der Gnade des Kaisers empfohlen werden.“

Mit einem tiefen Athemzuge erwiderte der Gouverneur: „Das Urtheil, meine Herren, ist hart, doch da das Verbrechen des Capitain Alswanger von der niedrigsten Art ist, so können wir zur Ehre der kaiserlichen Armee es nicht anders sühnen. Dem Inhaftirten muß heute noch das Urtheil mitgetheilt werden, und ich ernenne den General N. zur Vollstreckung desselben am morgenden Tage auf dem Langenmarkt im Beisein sämmtlicher Officiere der Garnison.“[2]

Der Verurtheilte wurde dann in verhängtem Wagen herbeigeholt und ihm die Strafsentenz im Beisein des ganzen Kriegsgerichts vorgelesen. Er zitterte und antwortete auf die Frage, ob er gegen das Urtheil appelliren wollte, ein festes „Nein“. Auch das Anerbieten, die Gnade des Kaisers nachzusuchen, lehnte er ab, indem er sich der Strafe unterwerfen werde. Das hierauf aufgenommene Separatprotokoll unterschrieb er mit zitternder Hand, worauf zwei Soldaten mit leichten Handschellen hereintraten, um ihm dieselben anzulegen. Er bat inständigst, ihm dieses zu erlassen, als aber der Vorsitzende versicherte: „das Gesetz schreibe es so vor,“ sagte er nur leise: „Nun, auch das noch!“ und ließ sich die Kette an beiden Händen anlegen. Mitleidig ließ ihm der General einen Mantel umhängen, und so wurde er zu Fuß nach seinem Gewahrsam transportirt, wobei ihm manches thränende Auge nachblickte.

Wie ein Lauffeuer war die zu vollziehende Execution bekannt geworden, und schon früh waren nicht nur sämmtliche Fenster des Langenmarkts mit Zuschauern besetzt, sondern auch der Platz selbst mit wogenden Menschenmassen angefüllt. Das Militair wurde in Hufeisenform aufgestellt, und nachdem die Officiere im Innern Platz genommen und der beauftragte General vor der Front mit seinem Stabe erschienen war, wurde der Unglückliche vorgeführt. Nachdem man ihm den Mantel und die Handschellen abgenommen, stand er in vollkommener Paradeuniform da. Der Auditeur trat ihm mit der Frage entgegen, ob er noch etwas zu sagen habe. Auf sein entschiedenes „Nein“ kamen zwei Officiere heran, wovon der eine ein rothsammtnes Kissen trug. Der andere schnitt den Orden mit einer Scheere von der Brust, küßte ihn und legte ihn auf das Kissen, welches sogleich weggetragen wurde. Hierauf zog der Officier ihm den Degen aus der Scheide und warf ihn, mit einem kräftigen Fußtritt zerbrochen dem Verurtheilten vor die Füße. Dann traten zwei Unterofficiere heran, welche die Schärpe durch- und die Silberschnur-Verzierung des Czakos abschnitten, die Epauletten gleichzeitig mit Heftigkeit abrissen, so daß die Achselstücke der Uniform herabhingen, ihm dann [547] den Czako abnahmen, eine ordinaire Feldmütze aufstülpten und alle seine getrennten Sachen ihm zu Füßen legten. Mehrere Damen wurden während dieser Execution ohnmächtig fortgetragen, viele Leute seiner Compagnie weinten.

Nach vollstreckter Execution wollte man ihm wieder die Handschellen anlegen, da sprach er vortretend zu dem General: „Excellenz, geruhen Sie mir einen Augenblick frei zu lassen, da ich eine wichtige Mittheilung zu machen habe.“

„Sprecht,“ gab jener zur Antwort.

„Ich habe als verurtheilter Capitain meine Strafe erlitten, darum gebe ich Ihnen auch meinen bisher geführten Namen zurück. Ich bin nicht der Sohn des verstorbenen Bankiers Alswanger in Rom, sondern der Sohn des Kleinhändlers Diderici aus Straßburg“

„Wie hängt das zusammen?“

„Excellenz! die Sache ist zu weitläufig, als daß ich es hier auf der Straße mittheilen kann; geruhen Sie, daß wir dorten (nach dem Junkerhofe zeigend), eintreten und ich will Ihnen getreue Auskunft geben, die ich mit Schriftstücken belegen kann.“[3]

General Rapp, dem sofort von diesem Zwischenfall rapportirt wurde, erstaunte nicht wenig darüber und äußerte, daß ihn jetzt die vollzogene Execution weniger unangenehm berühre, da dieselbe offenbar einen Betrüger getroffen habe. Indeß müsse er gestehen, daß der Mensch, sei er wer er wolle, sich ehrenhaft benehme.




Im Artushofe wurden schnell die Tische für die Protokollführer, wie Sitze für die höheren Officiere eingerichtet und, als diese eingenommen waren, der Bestrafte vorgeführt. Er trat aus dem Kreis der ihn umgebenden Officiere und sprach:

„Excellenz, bis heute habe ich den achtungswerthen Namen Alswanger geführt und durch meine militärische Carriere und übrige Führung in Ehren gehalten. Mein unglückliches Verhängniß legt mir jedoch die Pflicht auf, denselben, von meiner Seite, gegen Schande zu wahren; darum bekenne ich frei, daß ich nicht der Sohn des vor zwei Jahren verstorbenen Bankiers Alswanger in Rom, sondern der Sohn des Kleinhändlers Diderici aus Straßburg bin. In meiner weitern Mittheilung werde ich so kurz als möglich sein.

Ich war ein wilder Bursche, der Platz hinter dem Schreibtische war mir zu enge, halbe Tage lang schweifte ich im Freien herum, lernte durch Zwang nothdürftig lesen, rechnen, schreiben und wurde im 9. Jahre zu einem Schuhmacher in die Lehre gegeben. Nach siebenjähriger Lehrzeit, in der der Spannriemen oft den sprudelnden Geist niederdrückte, wurde ich freigesprochen. Jubelnd wie die Lerche zog ich aus den Thoren Straßburgs und traf nach einigen Tagemärschen auf eine herumziehende Truppe Schauspieler und Gaukler, denen ich mich freudig anschloß. Rasch eignete ich mir alle ihre Kunststücke an, lernte mit Leichtigkeit zur Guitarre Lieder singen und wurde bald der Buffo der Gesellschaft. Aber nach einigen Jahren widerte mich das Verhältniß an, ich sehnte mich nach reellerer Beschäftigung, quittirte meinen Dienst und setzte mit der Guitarre meine Wanderschaft allein fort. Leider wurde ich überall, wo ich mich zur Arbeit meldete, abgewiesen, da man Deutsche, die auf schwere Lederarbeiten geübt waren, suchte, und ich nur die Anfertigung von Damenschuhen erlernt hatte. So kam ich nach Lyon, aber auch hier fand ich keine Arbeit, erhielt mich einige Zeit durch das neu Erlernte und zog getrosten Muthes nach Marseille. Vergeblich waren auch hier meine Bemühungen nach Beschäftigung, und ich sah mich wieder genöthigt, mein Leben in Wirthshäusern und Kneipen durch mein Bänkelsingen und Kunststückemachen zu fristen. In einem dieser Locale traf ich einen Schiffscapitain, der in argen Conflict mit der Gesellschaft gerathen war, und den ich glücklich durch mein muntres Auftreten aus den Händen seiner Gegner befreite. Aus Dankbarkeit nahm er mich mit nach Livorno, denn mir war es gleichgültig, wo ich hinkam. Reich beschenkt, nach damaliger Lage, entließ er mich. Auch hier fand ich trotz aller Mühe keine Arbeit, verließ mich auf meine Guitarre, die mir bisher Unterhalt gewährt hatte, und wanderte muthig weiter. So kam ich, nach mehr als Jahresfrist, nach Aquila und saß mißmuthig in einer Limonadenboutique. Da in der letztern Zeit der Verdienst sehr gering ausgefallen war, ich auch hier keine Arbeit fand, so kam ich beim Anblick mehrerer Officiere, die sich im Local befanden, auf den Gedanken, mich anwerben zu lassen. Bald bemerkte ich eine auffallende Bewegung unter denselben, und es schien mir, daß ich die Veranlassung zu ihren lebhaften Gesprächen sei, was mich verdroß und schließlich veranlaßte fragend hinüberzublicken. Doch kaum hatten sie mein volles Gesicht erblickt, so brachen sie in ein allgemeines Gelächter aus. Einer der Herren trat dann auf mich zu und fragte, wer ich sei. Wie erschrak ich, als ich ihn ansah! Ich glaubte nicht anders als in einem Spiegel mein Portrait zu erblicken, so vollständig ähnlich war mir der Mann, daß selbst das kleine Stutzbärtchen nicht fehlte. Vor Erstaunen vermochte ich nur zu antworten, daß ich ein wandernder Schuhmachergeselle sei. „Nun gut, so seid Ihr frei“ entgegnete der Officier, „und ich frage an, ob Ihr bei mir als Kammerdiener eintreten wollt.“ Mit Freuden sagte ich zu, da ich dadurch meiner Lebenssorge enthoben wurde.

Tages darauf wurde ich eingekleidet und war nun der wohlbestallte Kammerdiener des Lieutenant Alswanger, einzigen Sohns des Bankiers Alswanger in Rom. Mein Dienst war leicht, da ich es nur persönlich mit meinem Herrn zu thun hatte und die übrigen Arbeiten von der anderen Dienerschaft besorgt wurden. Nach der Einkleidung, und nachdem mein langgetragenes Haar kurz verschnitten war, trat die Aehnlichkeit mit meinem Herrn noch mehr hervor, so daß die zu einem Festmahl versammelten Herren stutzig wurden und meinten, daß Zwillingsbrüder nicht ähnlicher sein könnten. Bei diesen Zusammenkünften, theils in, teils außer dem Hause, ging es in der Regel so hoch her, daß ich oft meinen Herrn, den ich stets begleitete, kräftig unterstützen mußte, um ihn mit Sicherheit nach Hause und zu Bette zu bringen. Mehrmals ging der Herr in meiner Livrée aus, um seine Gäste in seinem Namen einzuladen, was ihm, wie er sagte, vielen Spaß gemacht habe. Einmal mußte ich bei einer ähnlichen Versammlung seine Uniform anziehen und seine Stelle am Tische einnehmen, doch hütete ich mich, viel zur Unterhaltung beizutragen, um nicht durch Dialekt und Redeweise die Täuschung bemerklich zu machen. Da rief einer derselben: „Jack, sing uns eines Deiner lustigen Lieder.“ Lachend zog der Herr die Livrée mit den Worten aus, daß er sich einen Spaß gemacht habe, wodurch die Anwesenden sehr unangenehm berührt wurden; doch der neu aufgetragene Syracusaner und Cyprier stellten bald das Gleichgewicht wieder her, und der Scherz wurde belacht.

An einem naßkalten Herbsttage geleitete ich wie immer den schwergehenden Herrn nach Hause, der über heftigen Kopfschmerz und Schwindel klagte. Ich bereitete schleunigst eine kühlende Limonade.“

„Oder vielleicht ein Glas Gift!“ unterbrach ihn der General.

„Geruhen Excellenz,“ erwiderte der Angeklagte, „gefälligst weiter zu hören. Die Limonade, wie der kalte Umschlag um den Kopf schienen ihn zu beruhigen, und nach einer Stunde konnte ich ihn ziemlich erholt zu Bette bringen, nachdem ich einen zweiten Umschlag gemacht hatte. Den Morgen darauf trat ich in das Schlafzimmer, um gewohntermaßen die Chocolade zu bereiten, die der Herr im Bette einzunehmen pflegte. Ich bemerkte, daß derselbe auffallend blaß aussehe, trat näher und erschrak, denn er war todt, kalt und steif. Wie ein Blitz schlug ein Gedanke durch mein Hirn. Was war natürlicher, als daß ich augenblicklich die Wäsche wechselte, was mir wahrlich nicht leicht war, und den Todten sofort in mein Bett und mich in das seinige legte. Nach einer Stunde rief ich nach Jack, und da er nicht kam, klingelte ich die übrige Dienerschaft zusammen, die nach der Untersuchung meldete, daß Jack todt im Bett läge. Ich ließ mich nothdürftig ankleiden und befahl schleunigst den Regimentsarzt, wie zwei Civilärzte, herbeizuholen. Nach einer Stunde erschienen die Herren. Während dieser Zeit hatte ich eine tüchtige Collation von dem feurigen Weine zu mir genommen. Nachdem die Doctoren von dem Vorfall unterrichtet waren, trat der Regimentsarzt, der meine Hinfälligkeit bemerkt hatte, zu mir heran, fühlte nach dem Puls und meinte, erst müsse für den noch Lebenden gesorgt werden, worauf ein Recept zur schleunigen Besorgung abgeschickt wurde. Nach genauer Untersuchung der Leiche erklärten sämmtliche Aerzte, daß hier ein Gehirnschlag eingetreten sei, und ich ließ mir ein Attest ihres Gutachtens ausfertigen, was die drei Herren unterschrieben. Der Regimentsarzt, der mich zu Bette gehen hieß, versprach Nachmittag wieder vorzukommen. Ich bat denselben, da ich mich von dem gehabten Schreck sehr angegriffen fühle, den General um einen Urlaub von acht Tagen zu ersuchen. Den erhaltenen Urlaub benutzte ich, aus den vorgefundenen Papieren und Briefen die Familien- und Freundschaftsverhältnisse [548] genau zu erfahren und mir die Schreibart und Unterschrift des Verstorbenen anzueignen. Gegen meine nunmehrigen Freunde spielte ich den sehr Angegriffenen und äußerte, daß ich meinem von ihnen sogenannten Zwillingsbruder bald nachfolgen werde, was sie mir ausredeten und mich durch muntere Unterhaltung aufzuheitern suchten. Nach Ablauf des Urlaubs meldete ich mich bei der Parade, um den Dienst wieder anzutreten, der höchst oberflächlich war und stets stillschweigend verrichtet wurde. Cameraden und selbst der General bedauerten den Vorfall, durch den ich alterirt scheine. Letzterer empfahl mir fleißigen Besuch der Bälle und lud mich zu dem morgen bei ihm stattfindenden freundlichst ein, dessen Besuch ich jedoch am andern Tage wegen Unwohlsein höflich ablehnte. Das erhaltene Attest der Aerzte schickte ich mit der genauen Berechnung der Löhnung und des Ueberschusses wie Effecten des verstorbenen Kammerdieners, dem Bürgermeister mit der Bitte, von ersterem eine Abschrift zu nehmen, das Original visirt mir wieder zuzustellen, letztere laut beigelegter Adresse an die Angehörigen desselben nach Straßburg zu senden. Daß kein Verdacht einer möglichen Täuschung, weder beim Militair noch im Civil rege wurde, da doch unser Aehnlichkeitsverhältniß stadtkundig war, ist mir bis heute ein Räthsel geblieben. Ich nahm keine Einladung zu Gelagen an, hielt selbst bei mir keine der früheren Zusammenkünfte mit den Cameraden und zeigte mich öffentlich stets kopfhängerisch.

Bei einem der täglichen Besuche des Regimentsarztes meinte derselbe nach der dritten Woche, das könne so nicht länger gehen, ich müsse fort von hier, was ich mit heimlicher Freude aufnahm und ihn inständigst um seine Vermittelung bat, meine Versetzung nach Frankreich zu befürworten. Väterlich unterstützte mich derselbe, denn er brachte mir nach drei Tagen einen Urlaubschein auf vier Wochen, theilte mir mit, daß der General selbst sich für mich verwenden wolle, und da ich sicher zu meinen Eltern nach Rom gehen würde, so sollte ich dorten das Weitere abwarten. Mit wahrem Entzücken vernahm ich die Nachricht, verabschiedete mich bei dem General dankend, nahm auf der Parade von sämmtlichen Commilitonen Abschied, die mich ohne Abschiedstrunk nicht fortlassen wollten, was ich mit scheinbarem Widerwillen annahm, übertrug einem derselben den Verkauf meiner zurückgelassenen Effecten, dessen Betrag an meine Eltern nach Rom zu schicken wäre, und reisete am Nachmittag ohne Diener nach Ancona ab, wo ich meine bisherige schwerfällige Maske etwas lüftete. Ich studirte fleißig das Italienische, las viel und versuchte selbst schriftliche Aufsätze, da mir noch eine schwere Prüfung bevorstand und zwar in dem Besuche meiner nunmehrigen Eltern. Diese hatte ich schriftlich von meinem Verhältniß unterrichtet und den Besuch zugesagt, wenn sich die Witterung einigermaßen gebessert haben würde. Endlich mußte ich doch hinüber, wurde vom Vater mit herzlicher Freude, von der Schwester mit Entzücken, von der Mutter jedoch etwas kühl, fast mit halber Scheu empfangen. Die Klugheit rieth mir, dieses nicht zu bemerken, da ich auch später bei unserem Zusammensein oft mißtrauischen Blicken begegnete, in denen ich sehr wohl ihre Ahnung las, daß hier eine Täuschung obwaltete. Ich besuchte flüchtig die Verwandten und Freunde der Eltern und hielt mich so viel als möglich, der Localkenntnisse wegen, im Freien auf. Vier Tage nach meiner Anwesenheit erhielt ich von dem General die Ordre, mich schleunigst nach Lyon zu begeben, indem ich in das verstärkte Corps des General Soult eintreten solle. Fast hätte ich vor Freude meine Maske ganz fallen gelassen. Unter dem Schein der Traurigkeit, daß ich so schnell aus den Armen meiner Lieben gerissen werden solle, nahm ich endlich Abschied. Mit herzlicher Umarmung und reich beschenkt wurde ich vom Vater mit seinem Segen, von der Mutter mit einem „geh mit Gott“, von der Schwester mit einem mehr als brüderlichen Kusse entlassen. Ich habe Alle nicht wiedergesehen. Mit welch erleichterter Brust ich Frankreichs Boden betrat, brauche ich wohl nicht zu erwähnen, denn der Zwang war gewichen, und meine angeborne Heiterkeit entfaltete bald ihre vollen Schwingen. Meinen Bericht schließe ich mit dem Bemerken, daß die militärischen Acten es nachweisen, bei welcher Gelegenheit ich Premier-Lieutenant, wann Capitain und für mein Verhalten bei Jena decorirt wurde. Meine Papiere werden meine Aussage bestätigen.“

Stillschweigend hielt er seine Hände hin, wurde gefesselt und abgeführt. Alle Anwesenden blickten dem Verurtheilten fast mit thränenvollen Augen nach und bedauerten seinen Fall.

General Rapp, der natürlich Mittheilung erhielt, wurde so wüthend, daß er von sofortigem Füsiliren sprach. Nie hatte man ihn in solcher Aufregung gesehen, und es kostete den anwesenden Generalen Mühe ihn zu beschwichtigen, da der Kaiser sich alle Todesurtheile vorbehalten habe. Das Erste sei wohl, daß man die Effecten untersuche, ob Beweise für oder wider die Wahrheit seiner Aussagen sich darin befänden. Es wurden der Generalauditeur und zwei Officiere beordert, das schon bei der Verhaftung amtlich versiegelte Logis näher zu untersuchen. Man fand eine Masse Briefe theils von seinen usurpirten Eltern, wie der Schwester, und früheren Cameraden, wie auch eine Menge billet doux von Damen vor, welche augenblicklich verbrannt wurden, ebenso ein versiegeltes Pack Papiere unter Kreuzband mit der Aufschrift: „Mein Testament“. Es enthielt ein vollständiges curriculum vitae bis zu seiner Anstellung in Frankreich, viel weitläufiger als seine Mittheilung, und dabei manche interessante Episoden aus seinem Wanderleben, die mit lebhaften Farben geschildert waren. Es wurde ein genaues Verzeichnis mit Zuziehung seines Wirthes angefertigt. Das baare Geld, wie Schriftstücke wurden mitgenommen, und das Zimmer abermals mit dem Versprechen versiegelt, daß dasselbe innerhalb acht Tagen dem Wirthe zur Disposition gestellt werden solle.

Der Kaiser erhielt eine umständlichen Bericht mit den Beilagen und wurde um weiteres Verhalten gegen den Degradirten gebeten.

Gleichzeitig wurde der Wittwe Alswanger in Rom die Nachricht über diesen Vorfall mitgetheilt. Sie antwortete einige Wochen darauf, daß sie beim ersten Anblick des jungen Mannes angenehm überrascht gewesen sei, indem sie den vermeintlichen Sohn gekräftigter, als vor zwei Jahren gefunden, daß aber doch ein leiser Argwohn in ihr aufgestiegen sei, da seine unstäte Bewegung und sein fast scheuer Blick nicht mit dem freundlichen Aeußeren ihres Sohnes, wie auch mit dessen kindlichem Benehmen, hauptsächlich gegen sie, übereingestimmt. Als sie gegen den Vater diese auffallende Veränderung bemerkt, habe er geäußert, das möge wohl das flotte Garnisonsleben bewirkt haben. Ihr Zweifel wurde noch mehr durch die erhaltenen Briefe bestärkt, in denen sie die früheren zarten Ausdrücke ihres Sohnes schmerzlich vermißte. Sie danke herzlich für die Mittheilung, die ihr Herz zwar sehr erschüttert, ihr aber doch die Beruhigung gegeben, daß nicht ihr Sohn unwürdig gehandelt, und sie freue sich, daß ihr mütterliches Auge sie nicht getäuscht habe.

Mehrere Monate später ging vom Kaiser aus Paris der Bescheid ein, daß er das ganze Verfahren gegen den Capitain für Recht erkenne, der nunmehrige Diderici von dem Verdachte der Tödtung des Lieutenants Alswanger zwar freizusprechen sei, dagegen aber für die Anmaßung eines fremden Namens, wodurch er die Familie Alswanger getäuscht und die Unterstützung erschlichen habe, als Dieb zwischen den Schultern zu brandmarken, vorläufig nach der Festung Weichselmünde abzuführen, und bei geeigneter Gelegenheit nach Brest zur lebenslänglichen Haft zu schicken sei. Dieses Urtheil nahm der Unglückliche mit Gleichgültigkeit auf.

Bei der Execution wiederholten sich die herzbrechenden Scenen der Degradation in verstärktem Maße; es regnete förmlich gefüllte Börsen und Blumensträuße auf das Schaffot, welche erstere, nach der Vollstreckung des Urtheils, der Auditeur an sich nahm, letztere der Delinquent, rundum dankend, unter seine Jacke barg.

Das verhängnisvolle Jahr 1812 beschäftigte die Militairbehörde so ausschließlich, daß das ganze Ereigniß in den Hintergrund trat. Bei einem mißlungenen Fluchtversuch hatte sich der Gefangene nicht nur eine körperliche Strafe zugezogen, sondern wurde auch mit schweren Ketten belastet. Nach der Uebergabe der Festung, Ende 1813, fand in sämmtlichen Gefängnissen, wie auch zu Weichselmünde eine Revision statt; die bürgerlichen Personen, denen kein Verbrechen nachgewiesen werden konnte, wurden frei gelassen, diejenigen vom Militair den übrigen Capitulirten beigeordnet. Der uns interessirende Mann aber wurde nicht vorgefunden, und im Gefängnißbuche neben seinem Namen stand nur die kurze Bemerkung: „verschollen“. Der mehrjährige invalide Commandant meinte auf Befragen, daß der schwerbelastete Gefangene sich wahrscheinlich, von der Schildwache ungesehen, bei einer Promenade vom Wall in die Weichsel gestürzt habe.


[549]
Die Wöbbeliner Festgräber.

In diesem Jahr der unaufhörlich wallenden Jubelfahnen werden viele auch mit dem Flor der Trauer behangen zu den Ruhestätten großer lieber Todten getragen. Von den unzähligen Opfern der Befreiungsschlachten, deren Asche zertreten, deren Staub verweht ist, hat die Dankbarkeit des Volkes noch viele Namen erhalten, theils eingegraben in die Gedächtnißtafeln der Kirchen und Friedhöfe, theils in die der Geschichte, theils in die Herzen aller Vaterlandstreuen für alle Zeiten. Unter diesen letzteren ist kein Geliebterer und darum Glücklicherer, als Theodor Körner. An der Stätte, die sein Grab und die Gräber seiner Lieben birgt, feierte

Die Körnergräber bei Wöbbelin.

man am 26. Aug. das größte aller Erinnerungsfeste für einzelne Kämpfer, und darum wird den Freunden der „Gartenlaube“ ein Bild dieser nun wieder so stillen Gräber wohl willkommen sein, dem wir folgende authentische Beschreibung derselben beigeben.

In einem Rasenkreise befinden sich fünf Grabhügel. Unter dem mittleren schläft der vielbeweinte Heldensänger, rechts von seinem Haupte die Mutter, links der Vater; zu Rechten seiner Füße ruht seine einzige Schwester Emma, zu Linken seine Tante, die witzige und talentvolle Pastellmalerin Dorothea Stock. Und über dieser Erdenscholle, die so viel des Theuren birgt, breitet der alte, „mit Moos und Schorfe bedeckte“ Wachposten, von welchem Rückert den um Mitternacht der Gruft entsteigenden Heldengeist singen läßt:

„Die Eich’ ob meinem Scheitel,
Wie ist der Kranz so groß“ –

schützend und segnend seine gewaltigen Arme.

Das am Fußende des Dichtergrabes aufgerichtete, in Berlin gefertigte Denkmal trägt folgende Inschriften. Dem Grabe zugekehrt:

Karl Theodor Körner
geboren zu Dresden am 23. September 1791,
widmete sich zuerst dem Bergbau, dann der Dichtkunst,
zuletzt dem Kampfe für Deutschlands Rettung.
Diesem Beruf weihte er Schwert und Leyer und opferte ihm die schönsten
Freuden und Hoffnungen einer glücklichen Jugend.
Als Lieutenant und Adjutant in der Lützow’schen Freischaar wurde er bei
einem Gefecht zwischen Schwerin und Gadebusch am 26. August 1813
schnell durch eine feindliche Kugel getödtet.

Auf der entgegengesetzten Außenseite liest man:

Hier wurde
Karl Theodor Körner
von seinen Waffenbrüdern mit Achtung und Liebe zur Erde bestattet.

Die beiden anderen Seiten enthalten die Körner’schen Strophen:

Dem Sänger Heil! erkämpft er mit dem Schwerte
Sich nur ein Grab in einer freien Erde.

und

Vaterland! Dir woll’n wir sterben.
Wie Dein großes Wort gebeut!
Unsre Lieben mögen’s erben,
Was wir mit dem Blut befreit.
Wachse, Du Freiheit der deutschen Eichen.
Wachse empor über unsre Leichen!

Die Grabhügel von Theodor’s Eltern zieren nur kleine Eisentafeln mit Angabe der Geburts- und Sterbetage.

Christian Gottfried Körner,
geb. zu Leipzig 2. Juli 1756, gest. zu Berlin am 13. Mai 1831.

Anna Maria Jacobina Körner,
geb. zu Nürnberg am 11. Mai 1762, gest. im Berlin am 20. August 1843.

[550]
Dorothea Stock ward im Juni 1832 beigesetzt.


Emma’s Gruft deckt ein breiter Sandstein, auf dem nur noch die Palmen- und Lilienzweige und die Thränenkrüge sichtbar sind; die Inschrift hat Zeit und Wetter verlöscht. Sie lautete:

Unter den Nachgelassenen
Theodor Körner’s
folgte ihm zuerst
seine gleichgesinnte Schwester
Emma Sophia Louise.
Sie war geboren zu Dresden
am 19. April 1788.
Durch Charakter, Geist und Talente
verschönerte sie die Tage der Ihrigen
und erfreute Alle, die sich ihr näherten.
Den geliebten Bruder betrauerte sie,
wie es der deutschen Jungfrau ziemte.
Aber indem sich die Seele zu ihm erhob,
wurde der Körper allmählich entkräftet.
Ein Nervenfieber endete ihr irdisches Leben
zu Dresden, am 15. März 1815.

Den Begräbnißplatz schenkte der Herzog von Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz I., der Familie. Dagegen erwarb diese die Eiche als Eigenthum für den abgeschätzten Preis von 16 Thlrn.

Der Baum theilt sich scheinbar, in der Mitte des Stammes eine Oeffnung lassend, in zwei Arme, welche sich beim Ansatz der Krone wieder vereinigen. Dieses wunderbare Spiel der Natur erklärt sich jedoch daraus, daß wir in Wahrheit zwei Eichen vor uns haben, und zwar eine Winter- und eine Sommer-Eiche, die wie zu einem Stamm verwachsen sind, eine kurze Strecke in ihrer selbstständigen Natur auseinander gehen, um sich endlich in der Krone wieder recht innig zu vereinen. Ueber diesen Baum hatte Körner’s Vater in das (1815 bei einer Feuersbrunst verloren gegangene) Wöbbeliner Stammbuch folgende Verse geschrieben:

 Den Manen der Kinder.
Heil Euch, seliges Paar! Hoch schwebet Ihr über der Erde;
     Wir verweilen noch hier, wandelnd auf dornichter Bahn.
Aber in Blumen und Sternen, in jeder Zierde des Weltalls
     Sieht der sehnende Blick seine Geliebten verklärt.
Auch in der Eiche, die hier die bethränten Gräber beschattet,
     Zeigt, was Ihr waret und seid, uns sich als liebliches Bild.
Nah’ an der Wurzel entstehn aus dem Herzen des Stammes zwei Aeste,
     Kräftig strebt einer empor, ihm schließt der zweite sich an.
Bald, wie durch fremde Gewalt, seh’n wir sie gehemmt und vereinigt,
     Aber der höhere Trieb siegt über irdische Macht.

Die Erhaltungskosten des Platzes werden von dem Ertrag einer Seitens der Körner’schen Familie angekauften großen Wiese bei Ludwigslust – der sogenannten Körnerwiese – bestritten; außerdem ist den Armen zu Wöbbelin ein jährliches Legat von 32 Thalern ausgesetzt.

Am Stamm der alljährlich sich verjüngenden Beschirmerin der Gräber hängt außer einem Turner-Album, welches bei Gelegenheit einer Turnfahrt der Männer-Turnvereine zu Schwerin und Grabow nach Wöbbelin von letzterem gestiftet ward, die „Eisenbraut“ eines ehemaligen Lützowers. Eine daneben befestigte Eisentafel giebt folgende kurze Erklärung:

Dies Schwert von Eisen stark und gut
Führte mit eisenfestem Muth,
Dess’ Namen mit Ehren wird genannt,
Gottlieb Schnelle aus dem Mecklenburger Land.

Drei Feldzüge hatt’ er wohl vollbracht,
Da fiel er in einer Heldenschlacht,
Die geschlagen worden zur guten Stunde
Und geheißen die Schlacht vom schönen Bunde. –

Schnelle stammte aus einer angesehenen Familie Mecklenburgs und trat, nachdem das Lützow’sche Freicorps aufgelöst war, in das 26. Linienregiment, mit dem er am 16. Juni 1815 im Feuer bei Ligny stand.

Nach Verabredung mit zwei Cameraden, daß, wer zuerst von ihnen im Befreiungskampfe untergehe, sein Schwert an die Wöbbeliner Eiche heften lassen solle, kam dasjenige Schnelle’s hierher, als der tapfere Träger desselben in jener Schlacht den Heldentod gefunden hatte.

Der Name Theodor Körner’s, den seine Kampfbrüder in das von der Rinde befreite Holz eingegraben haben, ist jetzt wieder überwachsen und von dem ursprünglichen

TH. KÖRNER
26. AUG.
13.

– die Angabe des Jahrhunderts (18) ist später eingeschnitten – sind nur noch wenige Buchstaben sichtbar.

Das Dichtergrab wird selten leer von Kränzen und Blumen und ist den Schulen, Gesang- und Turnvereinen der umliegenden Städte ein oftmaliges Ziel ihrer Fahrten; ziemlich ununterbrochen bis zum Jahre 1834 war hier an jedem 26. August eine Todtenfeier gehalten, zu welcher nicht selten aus entfernten Gegenden die Theilnehmenden herbeiströmten.

Warum seit jenem Jahre diese Gedächtnißtage im Volke einschliefen? Weil das Volk selbst in der großen Reactionswiege lag und durch so ernsthafte Sachen im süßen Schlummer jeder vaterländischen Herzensregung und politischen Willenskraft nicht gestört werden sollte. Die Zeit des großen Weckrufs kam, und mit ihr stand auch der Cultus am Grabe des geliebten Dichters und Kämpfers der Freiheit wieder auf. Zur Eiche von Wöbbelin wallfahrtete wieder das an Deutschlands Zukunft von Neuem glaubende Volk, von großen Nationalfesten sandte man diesen Gräbern Ehrenkränze, und der Eiche grüner Schmuck wanderte nach Leipzig, um am Turnerfest das Denkmal der Kugeln aus der Völkerschlacht als Kranz zu zieren. So führt jede große Zeit den Geist der großen Todten in ihr neues Leben zurück.

Zum Schluß, zum Abschied von Körner und seinen Gräbern, rede die Geschichte seines Todes noch ein mahnendes Wort an die deutsche Nation.

Es ist keine Vermuthung mehr, sondern helle Wahrheit, daß Theodor Körner durch die Hand eines Deutschen gefallen ist. Einer der Goldgreise dieses Jubeljahrs, ein Lützower, der Rechnungsrath Kutzbach in Trier, weist uns auf einen schon im Jahr 1834 in der Beilage Nr. 31 der Allgem. Zeitung durch einen preußischen Premierlieutenant a. D. Storck zu Martinstein veröffentlichten Artikel hin, in welchem ein alter braver Schullehrer, Namens Schönborn, zu Dhaun bei Kreuznach, als ein Erlebniß aus seiner französischen Kriegsdienstzeit den Tod Körner’s erzählt. Die Erzählung des alten Schönborn ändert nichts an der des alten Ackermann, die wir in Nr. 31 als „Noch eine Erinnerung an Wöbbelin“ mitgetheilt haben; sie berichtigt nur die gewöhnliche Angabe, daß der Transport von Lebensmitteln, Zwieback etc. nicht von zwei Compagnien, sondern nur von 90 Mann unter der Führung eines Lieutenants begleitet gewesen sei, die zur Hälfte als Musketiere, zur Hälfte als Grenadiere dem 105. französischen Linien-Infanterie-Regimente angehört hätten.

„Den Wagen,“ so lautet Schönborn’s Bericht, „ging eine Avantgarde voraus, und hinter denselben folge eine Abtheilung Arrièregarde von einem Unterofficier und 10 Mann.

Zu dieser Arrièregarde gehörten der Musketier Franz, jetzt (d. h. 1834) Ackerer in Bibern, Kreis Simmern, und ich, damals Grenadier in dem Regimente. Der Lieutenant, im Rücken der Armee keine Gefahr ahnend, hatte die übrigen Mannschaften bei den Wagen, auf welchen die Soldaten mehrentheils schlafend lagen, vertheilt, und keine Seitenpatrouillen ausgesandt.

Die Straße, worauf sich die Wagen fortbewegten, ging durch einen Wald; rechter Hand war ein geschlossener Fichtenwald, und linker Hand ein Gebüsch von kleinen gemischten Holzgattungen.

Als die Arrièregarde eben den Saum des Waldes zum Eintreten in denselben erreicht hatte, stürzten aus dem Fichtenwalde preußische schwarze Jäger zu Pferde auf dieselbe, welche ins Gebüsch sprang und ein Tirailleurfeuer eröffnete. Ein Officier der Jäger hieb auf den Musketier Franz ein, der von Jugend auf recht gut mit dem Gewehr umzugehen wußte. Er bog dem Hiebe aus, ließ sich in den Straßengraben fallen, schlug an und gab Feuer. Das Pferd des Officiers fiel sogleich zusammen, und er selbst ebenfalls getroffen herunter.

Während der Zeit hatten die schwarzen Jäger, weil die Franzosen die Flucht in das Gebüsch ergriffen, das Convoi genommen. Wir machten uns nun auch davon, sahen aber auch deutlich, wie der blutende Officier von seinen Cameraden weggetragen wurde.

Aufmerksam bin ich auf den Gegenstand geworden durch die Lebensgeschichte des Theodor Körner, die ich während meiner jetzigen Beinkrankheit, durch welche ich bereits seit einigen Monaten das Bett hüten muß, gelesen habe. Ich fand, daß sein darin beschriebener Tod mit demjenigen, was ich als Augenzeuge dabei gesehen und erfahren, ganz übereinstimmt.“

Ja, es stimmt ganz, es stimmt zum Erbarmen überein! Körner fiel von deutscher Hand!

[551] So unaussprechlich elend war Deutschland geworden, daß Deutsche unter französischen Fahnen „Victoria!“ über Deutsche jubelten und daß Deutschlands herrlichster Jüngling, in Vaterlandsliebe und Lebensreinheit das ewige Muster der männlichen Jugend Deutschlands, hingestreckt wurde durch eine deutsche Hand, die Frankreich den Fahneneid hatte schwören müssen.

Sollen solche Tage sich erneuern? Wenn irgend Etwas aus den Herzen der ganzen Nation ein ehern tönendes „Nein!“ hervorpreßt, so ist’s der Mahnruf der Trauer und der Schmach: ein Deutscher hat unsern Theodor Körner mit der französischen Kugel gemordet! Und dieser Ruf schlage an die Herzen, so oft die Verführung winkt und der Uebermuth droht, – dann wird der Mahnruf der mächtigste Weckruf zum Kampf für die Freiheit und Ehre des deutschen Geistes und der deutschen Erde sein.

Fr. Hfm.




Das Licht im Vergleich zu dem Schalle.
Von Bruno Hasert.

Das Licht, die Quelle alles Lebens, stammt für unsere Erde von der Sonne und ist das Product einer gewaltigen, rings um diesen Weltkörper vor sich gehenden Verbrennung, demnach der Vereinigung des Sauerstoffgases mit andern Elementarkörpern. Diese Vereinigung ist nun stets von einer sehr rapiden zitternden Bewegung der beiden sich vereinigenden Körper begleitet, und diese zitternde Bewegung erzeugt die Erscheinung ebenso des Lichtes, wie der Wärme und der Elektricität dadurch, daß sie sich dem überall vorhandenen Aether mittheilt. Je nach der Schnelligkeit dieses Zitterns (dieser Wellenbewegung) entstehen dann die drei innig mit einander verwandten Erscheinungen des Lichtes, der Wärme und der Elekricität. Sie alle haben also ihren Grund in der Bewegung des Aethers. In ähnlicher Weise wird der Schall durch die zitternde Bewegung der gröbern Körper erzeugt, und indem sich diese Schwingungen der Körper durch die Luft fortpflanzen, wird der Schall auf größere Entfernungen hörbar. Alle diese Schwingungen des Aethers und der Luft können sich andern Körpern mittheilen und werden also in diesen ebenfalls Licht, Wärme, Elektricität und Schall erregen.

Die Verbrennung erzeugt nun aber nicht immer Licht, sondern kann auch ohne dieses Wärme oder Elektricität entwickeln. So geht z. B. im menschlichen und thierischen Körper fortwährend im Blute mit Hülfe des eingeathmeten Sauerstoffs ein Verbrennungsproceß vor sich, der nur Wärme (die sog. thierische oder Lebenswärme) hervorruft. Und auf gleiche Weise scheint sich die Elektricität in den Nerven zu bilden.

Die innige Verwandtschaft des Lichtes, der Wärme und der Elektricität läßt sich dadurch beweisen, daß Wärme und Elekricität unter veränderten Bedingungen der Strahlung sich in das intensivste Licht umwandeln können. Das Knallgas z. B. brennt mit einer Flamme, deren Licht beinahe Null ist, da es noch nicht den 20. Theil der Lichtstärke einer Spiritusflamme erzeugt, dagegen ist die durch dieses Gas hervorgebrachte Wärme so stark, daß man Eisen mit Leichtigkeit und selbst das in allen anderen Feuern unschmelzbare Platin schmelzen kann. Leitet man nun aber diese fast lichtlose Flamme auf Thon oder ungelöschten Kalk, so entsteht ein so starkes Licht, daß es dem Auge unerträglich ist. Ebenso lassen sich die elektrischen Schwingungen in die intensivsten Lichtschwingungen umwandeln, wenn ein starker elektrischer Strom durch Kohlenspitzen geleitet wird, wobei ein noch stärkeres Licht als das vorige entsteht.

Das von der Sonne zu uns kommende Licht enthält stets außer den Lichtstrahlen auch noch Wärme- und elektrische Strahlen. Sodann zeigt sich ferner, daß durch starke Reibung von Körpern zuerst Wärmestrahlen, dann bei höherer Steigerung auch elektrische und Lichtstrahlen entwickelt werden.

Fangen wir nun einen Lichtstrahl durch ein Prisma auf, so zeigt sich derselbe, nachdem er durch das Prisma hindurchgegangen ist, nicht mehr als einfaches, weißes Licht, sondern er ist in einer Reihe verschiedenfarbiger, parallel neben einander liegender und hier und da durch dunkle Linien getrennter Bänder zerlegt. In dem Bilde des zerlegten Lichtstrahls finden sich alle Farbennüancen vor, und die Reihenfolge der Farben ist dieselbe, wie wir sie im Regenbogen sehen: zuerst Roth, dann Orange, dann Gelb, dann Grün, Blau und Violett. Zwischen diesen Hauptfarben liegen alle möglichen Mischfarben, welche durch verschiedene Vermischung der Grundfarben entstehen können. Es ist demnach das weiße Licht eine Verbindung von einer großen Menge verschiedenfarbiger Strahlen.

Bezeichnet man jede verschiedene Farbe mit dem Worte Lichtton, so ist das weiße Licht das harmonische Zusammenklingen aller Lichttöne, es ist der in vollen Klängen tönende Lichtaccord. Die drei Grundtöne dieses Accordes sind die Farben Roth, Blau und Gelb, durch deren gegenseitige Verbindung alle übrigen Farben erzeugt werden können. Vergleichen wir nun Licht und Schall, sowie das Verhältniß der verschiedenen Körper zu Beiden. Sowie das Licht durch die schnellschwingende Bewegung des Aethers fortgepflanzt wird, so pflanzt sich auch der Schall auf ähnliche Weise durch die Wellenbewegung der Luft fort. Beide Schwingungsbewegungen entstehen nicht von selbst, aus freiem Antriebe, sondern müssen durch Erzittern bestimmter Stoffe angeregt werden; für das Licht kennen wir als Quelle die verbrennenden Substanzen an der Sonne, ebenso wie bei jedem künstlich erzeugten Licht. Töne werden erzeugt durch jede Kraft, welche einen elastischen Körper durch einen Anschlag in schwingende Bewegung versetzt. Eine gespannte Saite z. B., die mit dem Finger berührt wird, giebt, durch diese Berührung in Schwingungen versetzt, einen bestimmten Ton von sich. Verändert man die Spannung dieser Saite und berührt sie wieder, so ist der Ton ein anderer geworden; ebenso geben verschieden dicke Saiten verschiedene Töne. Kurz, es steht fest, daß die Art des Tones bedingt ist durch die Dicke des tönenden Körpers und durch die Spannung desselben. Alle Körper nun, die wir um uns erblicken, haben ein bestimmtes Verhalten zum Schalle; je nachdem sie mehr oder minder elastisch in ihren Theilen sind, werden sie langsamere oder schnellere Schwingungen machen können, und davon hängt dann die Beschaffenheit des Tones ab, welchen sie von sich geben können. Je schneller die Schwingungen, desto höher wird der Ton; je langsamer, desto tiefer. Manche Körper, wie z. B. ein Stück weichen Thons oder lose zusammengeballte Wolle (Watte), gerathen beim Anschlagen in gar keine Schwingung und geben also keinen Ton von sich, sie besitzen keine Schallelasticität.

Ein ganz ähnliches Verhalten wie für die Schallschwingungen besitzen die uns umgebenden Körper auch für die Lichtschwingungen. Je nach der besondern inneren Struktur und Spannung haben dieselben eine größere oder geringere oder gar keine Lichtelasticität und können demnach die Lichtwellen mehr oder weniger vollkommen in ihrer Substanz fortpflanzen. Diejenigen Körper, welche vollkommen lichtelastisch sind, werden alle Lichtschwingungen in ihrer Substanz fortpflanzen, das Licht wird ungehindert durch sie hindurchgehen und wieder ziemlich ungeschwächt aus ihnen heraustreten, um seinen Weg weiter zu verfolgen. Diese vollkommen lichtelastischen Körper, welche auch alle Lichttöne zugleich wiedergeben, nennt man durchsichtige farblose, wie das Glas, das Wasser, die Luft etc. – Andere Körper dagegen sind vermöge ihres Baues nur im Stande einen oder den andern bestimmten Lichtton wieder zu geben und denselben im Innern ihrer Substanz fortschwingen zu lassen, so daß er an der anderen Seite wieder austritt. Diese Körper sind also nur lichtelastisch für einen Lichtton, wie z. B. das rothe durchsichtige Glas und der Rubin für den rothen Lichtton, das gelbe Glas und der Topas für den gelben Lichtton, das blaue Glas und der Sapphir für den blauen Lichtstrahl. Das weiße Licht, welches auf einen solchen Körper von bestimmter Lichtspannung trifft, wird also nur theilweise durch denselben hindurchgelassen, teilweise zerstört. Diejenigen farbigen Strahlen des weißen Lichtes, deren Schwingungsgeschwindigkeit der bestimmten Lichtelasticität eines solchen Körpers entspricht, werden, indem sie diese seine Lichtelasticität in Thätigkeit versetzen, von den Körpern fortgepflanzt oder weiter vibrirt, die andern dagegen, indem sie kein Echo in ihm wachrufen, können von ihm nicht wiedergegeben werden und gehen aus dem Zustande der Bewegung in den der Ruhe über. [552] Da aber das Licht in seinem ganzen Wesen doch nur ein Bewegungszustand ist, so hört derjenige Theil des Lichtes, welcher in den Ruhezustand tritt, vollständig auf zu sein.

Jeder Ton hat eine bestimmte Anzahl Schwingungen in der Secunde, der tiefste Baßton macht 16 Schwingungen, der höchste Discantton 8000 in dieser Zeit; zwischen diesen beiden Extremen der musikalischen Töne liegen die Schwingungszahlen aller übrigen Töne, jedem dieser Töne entspricht eine bestimmte Spannung der tönenden Saite. Nehmen wir nun drei oder mehrere Saiten und spannen dieselben so, daß die eine 100, die andere 500, die dritte 1000 Schwingungen in einer Secunde macht, so wird jede dieser Saiten bei dieser bestimmten Spannung stets nur den ihr möglichen bestimmten Ton von sich geben können. Schlagen wir nun auf einem anderen musikalischen Instrumente, welches in einer bestimmten Entfernung von den gespannten Saiten steht, einen Accord an, der jene drei Töne dieser Saiten enthält, so werden diese letzteren, ohne berührt worden zu sein, von selbst in Schwingung kommen und jede einzelne den Ton wiederholen, der in dem angeschlagenen Accorde, ihrer Spannung entsprechend, enthalten war.

Ganz ähnlich wie dieses Mitklingen der nicht berührten Saiten durch einen von fern hertönenden Accord, wo jede mitklingende Saite je nach ihrer besonderen Spannung einen bestimmten Ton aufnimmt und wiederklingt, ist auch das Verhalten der in ihrem Innern verschieden angespannten Körper der Außenwelt unter der fortwährenden Einwirkung der mächtigen Lichtaccorde, die von der Sonne mittelbar oder unmittelbar auf sie niederströmen. Alle denkbaren Lichttöne (Farben) sind in diesen der Sonne entströmenden Lichtaccorden enthalten, und jeder Körper nimmt nur den Ton auf, der seiner besonderen Bestimmung (Lichtelasticität) entspricht, und klingt nur diesen Lichtton nach. Durch diese verschiedenartige Lichtspannung der Körper entstehen demnach die so verschiedenartigen Färbungen, die wir im Lichte an diesen Körpern wahrnehmen, und deswegen sehen wir ihre Farbe auch nur im Lichte. Je heller das Licht, desto stärker treten die Farbenunterschiede hervor, und wo kein Licht ist, da kann auch keine Farbe sein; im Finstern sind die Körper also nicht farbig, und es existirt gar kein Farbestoff. – Sowie es nun Körper giebt, welche beim Anschlagen keinen Ton von sich geben, so giebt es auch solche ohne Lichtelasticität, welche gar keinen Lichtton von sich geben können, wie die Kohle und andere schwarze Gegenstände, die also das Licht weder zurückwerfen, noch durch sich hindurchlassen. Diese Körper besitzen häufig jedoch noch einen Elasticitätsgrad, der ausreichend ist, um die weit weniger energischen Schwingungen der Wärme wiedergeben zu können, und der beständige Anprall der Lichtwellen mag die Wärmeschwingungen in ihnen noch steigern, woher es kommt, daß diese Körper, wenn sie den Sonnenstrahlen ausgesetzt werden, sich leichter erhitzen als solche Körper, welche die Lichtstrahlen in einer oder der andern Weise wiederzugeben vermögen. – Noch andere Körper haben eine so starke Lichtelasticität, daß sie die Lichtschwingungen noch lange fortvibriren, nachdem das Licht aufgehört hat, sie durch Bescheinen zur Activität anzuregen. Solche Körper werden noch nach Sonnenuntergang in die Nacht hinein leuchten können, wie die sogenannten phosphorescirenden Körper (faules Holz, Diamant).

Daß die Fähigkeit Licht fortzupflanzen nicht in den chemischen Stoffen oder Elementarstoffen, welche die Körper zusammensetzen, liegt, zeigt am deutlichsten der Kohlenstoff, welcher als Diamant die höchste Lichtelasticität besitzt, während die Kohle das Licht gar nicht fortpflanzt. Aehnliches findet sich bei allen Metallen, welche in gediegener Form für das Licht schon in geringen Dicken undurchdringlich sind, während sie in ihrer Verbindung mit Sauerstoff so lichtelastisch werden, daß sie Lichtwellen mehr oder weniger vollkommen wiederzugeben im Stande sind.




Schwabendichterstreiche.
Eine Jugenderinnerung von Ludwig Storch.

Selbst wenn das Bild bedeutender Menschen historisch und psychologisch schon festgestellt und vom klarsten Licht beleuchtet ist, wird man gern noch einzelne kleine und feine Züge darin nachtragen sehen, die seine Wahrheit bestätigen und seine Treue vervollkommnen. Ich bin im Stande, einen solchen kleinen, aber höchst liebenswürdigen Zug zu Ludwig Uhland’s historischem Portrait zu liefern, welcher zwar keine neuen Aufschlüsse über den vortrefflichen Charakter des als Dichter und Mensch gleich großen Mannes zu geben vermag, den vorhandnen aber vollkommen entspricht.

Ich hatte im Jahre 1826, während eines einjährigen Aufenthaltes in Leipzig, als angehender schüchterner Schriftsteller vorübergehend die Bekanntschaft eines thüringischen Landsmannes von mir gemacht, der zwar mit mir in gleichem Alter stand, auf der Schriftftellerlaufbahn aber – wenigstens wie ich damals glaubte – Riesenschritte vor mir vorausgemacht hatte, und zu dem ich mit einer Art ehrfurchtsvollem Anstaunen emporsah. Dies war der Dichter E.... G...., dessen Namen freilich heutzutage Niemand mehr kennen dürfte, der jedoch zu jener Zeit nichtsdestoweniger einiges Aufsehen machte. Er war aus Mühlhausen in Thüringen gebürtig, von armen Eltern niedern Standes und, ich weiß nicht mehr auf welche Weise, als Knabe auf das Gymnasium nach Hannover und in das Haus eines Consistorialraths gekommen, von dessen Unterstützung er gelebt hatte. Dafür hatte er mit der kleinen hübschen Tochter seines Wohlthäters ein heimliches Verhältniß gepflegt. Die beiden jungen Leute hatten, kaum zwanzig Jahre alt, die Flucht nach Leipzig ergriffen und hier ihre eheliche Verbindung ermöglicht. Herr G. hatte zu jener Zeit schon ein Trauerspiel „Graf Waldemar“ (wenn ich den Titel recht behalten habe) veröffentlicht, in welchem Sachverständige ein nicht unbedeutendes poetisches Talent erkennen wollten.

Zu Leipzig hatte G. die Bekanntschaft H...... S....... gemacht, der kurz vorher von Göttingen gekommen war und im schönsten Liebesfrühling mit seiner nachherigen Gattin stand. S....... war mit G. in gleichem Alter, und die beiden jungen Dichter schlossen einen Freundschaftsbund, dessen schönste Blüthe ein Band „Griechenlieder“ war. Es war die Zeit der Schwärmerei für die junge Hellenenfreiheit, von der man damals nur erst die Lichtseite kannte. Die Gedichte von S....... und G. gaben dieser Schwärmerei einen würdigen schwungvollen Ausdruck und machten deshalb Glück.

Die beiden Dichter hatten nicht unterlassen, ihr Werk an die damaligen Koryphäen der deutschen schöngeistigen Literatur zu schicken, und unternahmen dann eine Vergnügungsreise in das südliche Deutschland, wo sie in Bayreuth von Jean Paul Friedrich Richter und in Stuttgart von Ludwig Uhland auf das Wohlwollendste aufgenommen wurden. Von dieser Reise erfuhr ich sowohl durch S......., der mein Mitschüler und Freund auf dem Gymnasium zu Gotha gewesen war, als auch später von G. interessante Details, namentlich über ihre Aufnahme bei Uhland.

Ohngefähr ein Jahr später machte G. noch mehr von sich reden durch eine vorgebliche Uebersetzung noch unbekannter Gedichte Byron’s, die er im „Gesellschafter“ abdrucken ließ und womit er selbst gute Kenner von Byron’s Muse dergestalt täuschte, daß sie stürmisch nach den Originalen fragten. Da stellte sich heraus, daß G. der glückliche Nachahmer des Briten gewesen war. So etwas hilft. Herr G. war von nun an ein von den Verlegern gesuchter Schriftsteller. Eine bombastisch geschriebene Geschichte oder Legende der heiligen Ida mit dem geführten Beweise, daß die Sprossen des preußischen Königshauses directe Nachkommen dieser Heiligen seien, brachte ihm ein glänzendes Geschenk des Kronprinzen, nachherigen Königs Friedrich Wilhelm IV., ein. Dieses schnelle Glück machte Herrn G., der ohnedies eine starke Anlage zur Selbstüberschätzung hatte, übermüthig und dünkelhaft. Er spielte den kleinen Goethe und aufgeblasenen literarischen Mäcen gegen angehende Schriftsteller und legte es auf eine förmliche Selbstvergötterung an. In dieser Hinsicht waren die köstlichsten Anekdoten von ihm im Schwange. Unvergleichlich komisch war später Karl Herloßsohn in der Erzählung und Darstellung der carikirt vornehmen Art und Weise, mit welcher er, als mittelloser entsprungener Jesuitenzögling nach Leipzig gekommen, von G. von oben nach unten behandelt worden war. Natürlich erwarb sich G. mit diesem Wesen keine Freunde.

[553] Eine weitere Folge dieser Treibhausvornehmheit war die Unproductivität ihres Praktikanten. Unter dem Vorwande, daß er seine poetische Kraft nicht versplittern dürfe, um einen großen Roman, an dem er arbeite, in einer Vollendung zu geben, wie die Welt noch nichts gesehen, entnahm er von Verlegern, die sich mit ihm eingelassen, Geld, ohne etwas dafür zu liefern. Dergleichen Verfahren hält nie lange aus. – Der Segen seiner Ehe war indeß rasch auf fünf kleine Häupter gestiegen. Noch während meiner Anwesenheit in Leipzig erfuhr ich belustigende Geschichten über die Art, wie er sich Geld zu verschaffen suchte, ohne zu arbeiten. So hatte er eines Tages eine nicht geringe Anzahl namhafter junger Männer, Schriftsteller, Schauspieler, Buchhändler etc. zur Geburtstagsfeier seiner Frau zusammen gebeten und tractirte sie sogar mit Chierwein. Einige Tage später erhielt jeder der Theilnehmer eine hohe Rechnung mit dem Bemerken des Festgebers, er erwarte von der Generosität seiner Gäste, daß seiner Casse nicht die Zumuthung gemacht werde, die Kosten eines so schönen Festes allein zu tragen. Natürlich beeilte sich Jeder, dem noblen Festgeber den Betrag der Rechnung einzuhändigen.

Die Familie verfiel bald genug in drückende Noth, und es geschahen wirksame Schritte zu ihrer Unterstützung. Vorzüglich war es der bekannte vielseitige Schriftsteller Adolph Wagner, ein in jeder Hinsicht trefflicher Mann, der sich ihrer thätig annahm, obgleich ihm G.’s anmaßliches Wesen, wie ich aus seinem eignen Munde wußte, sehr zuwider war.

Wagner war in Bezug auf G.’s Verhältnisse mit dem ihm befreundeten Ludwig Tieck in Dresden in irgend welche Unterhandlung getreten, und, wie ich glaube, in Folge derselben wurde G. veranlaßt, nach Dresden zu ziehen. Die nähern Umstände dieser Uebersiedlung sind mir freilich nicht bekannt.

Wenn sich Tieck hatte bestimmen lassen, helfend und fördernd auf G.’s Schicksal zu wirken, so bekam ihm diese Menschenfreundlichkeit in der That sehr übel; denn er sah sich bald in die moralische Nothwendigkeit versetzt, ganz und gar für die Existenz der Familie G. zu sorgen. Da nun der von seiner hohen Poetenbestimmung über und über erfüllte Familienvater zu nichts zu bringen und zu verwenden war, womit er sein und der Seinigen Leben hätte gewinnen können, so versuchte es Tieck in stiller Verzweiflung mit der Familienmutter. Wahrscheinlich ließ ihn nur die tägliche Sorge für den Unterhalt einer zahlreichen Familie zu der Ueberzeugung gelangen, die kleine niedliche Frau G. habe Talent für die Bühne und müsse bei Fleiß und Uebung eine gute Soubrette werden. Er nahm sie in die Schule und studirte ihr Rollen ein. Aber es ist bekannt, daß Tieck in dieser Richtung entschiedenes Unglück gehabt hat. Außer der Rettig hat er keine dramatische Größe gebildet, mit wie vielen er es auch versucht hat. In Bezug auf das theatralische Talent seiner Schüler befand er sich in einer steten merkwürdigen Selbsttäuschung. So erging’s ihm auch mit Frau G. Die kleine Frau hatte wenigstens guten Willen, einen bessern als ihr Mann. Es war ihr ein heiliger Ernst, ihn, von dessen hohem Dichterberufe sie eben so überzeugt war, als er selbst, von der drückenden und störenden Sorge für das materielle Leben zu befreien und ihre Kinder anständig zu ernähren.

Zu jener Zeit war Franz Eltzholz aus Berlin, der sich durch eine beliebte dramatische Kleinigkeit „Komm her!“ und durch ein Lustspiel „Die Hofdame“ einen schnell vorübergehenden Namen gemacht hatte, Intendant des eigentlich erst in der Entstehung begriffnen herzoglichen Hoftheaters zu Coburg, und wahrscheinlich war er als solcher nobilitirt worden. Durch seine dramatischen Leistungen war Herr von Eltzholz in Verbindung mit seinem Landsmanne Tieck gekommen, und dieser suchte ihn nun zu bestimmen, Frau G. an dem neuen Hoftheater zu placiren. Nach der glänzenden Schilderung, welche Tieck dem jüngern Berliner Freunde von dem Talente seiner Schülerin machte, ging dieser mit Freuden auf den Plan des berühmten Dichters und Dramaturgen ein, freilich unter dem natürlichen Vorbehalt, „wenn die angehende Künstlerin dem Herzoge gefiele.“

Das G.’sche Ehepaar reiste nach Coburg mit den schönsten Hoffnungen und ließ seine Sprossen, unter Obhut einer Schwester der Frau und der treuen Vatersorge Tieck’s anheimgegeben, in Dresden zurück. Aber die Kinder nicht allein, auch ein artiges Sümmchen Schulden, so daß jene gewissermaßen als lebendige Pfänder in Versatz blieben. Wenn ich mich recht erinnere, nahm ein Wohlthätigkeitsverein die armen Geschöpfe in Atzung und Pflege, um sie dem doch wahrlich auch nicht in glänzenden Umständen sich befindenden Tieck nicht über dem Halse liegen zu lassen; es starb aber doch nach einigen Monaten eins der Geschwister, ein Knabe, fern von den Eltern.

Frau G. betrat in Coburg die Breter, die die Welt bedeuten, und mißfiel zum unwilligen Erstaunen ihres Gemahls, der von ihrem eminenten dramatischen Genie eben so fest überzeugt war, wie sie von seinem poetischen, so entschieden, daß sie mit einem Geschenk entlassen wurde. Herr G. erklärte die Coburger sammt ihrem Herzog für Böotier und begab sich mit seiner Gattin nach Nürnberg, wo es ihm ebenfalls gelang ihr Auftreten zu erwirken. Aber in der fast republikanischen Stadt war der Erfolg noch schlimmer, und die Kritik der Tageblätter fiel unbarmherzig über die arme angehende Künstlerin her, und Herr G. beging die Dummheit, in einem Aufsatze, dessen Druck in ein Tageblatt er bezahlen mußte, die Nürnberger in hochfahrender impertinenter Weise über das Kunstgenie seiner Frau aufklären zu wollen. Es gab einen Scandal; Jedermann war empört über die empfangene Beleidigung, und es fehlte nicht viel, daß Herr G. öffentlich Schläge erhalten hätte. Er entging schlimmen Erfahrungen nur durch eine eilige Flucht bei Nacht und Nebel aus der Stadt am Stecken, ohne Geld, ohne Aussicht, wiederum mit Hinterlassung einiger angebundenen Bären und der unglücklichen Frau als lebendiges Pfand. Jetzt waren die Kinder in Dresden verpfändet und die Frau in Nürnberg, und wie die Dresdener an jenen, so übten die Nürnberger an dieser Barmherzigkeit. Er aber wanderte bettelnd nach Stuttgart, um mich dort aufzusuchen und meine Hülfe in Anspruch zu nehmen, der ich damals selbst nicht auf Rosen gebettet war. Dies war im Sommer 1829.

Ich war nicht wenig bestürzt, als G. mir bald nach seiner Ankunft sein ganzes Elend enthüllte und mich versicherte, er habe sein Heil einzig und allein auf mich gesetzt. Zu Uhland zu gehen, der ihn doch fünf Jahre früher so gut aufgenommen, verweigerte er geradezu.

Die Sache machte mir großen Kummer, und ich überlegte lange, was zu thun sei, um dem einst so übermüthigen, nun so sehr herabgekommenen Manne gründlich zu helfen. Zuerst gab ich ihm, was ich entbehren konnte, um die bedauernswerthe Frau in Nürnberg aus der ärgsten Bedrängniß zu reißen. Das Resultat aller meiner Lucubrationen war, ihm ein festes Engagement bei der Cotta’schen Buchhandlung zu verschaffen. Dazu konnte Cotta der Sohn, der sich mir wohlwollend gezeigt, nichts thun. So lange der Vater lebte, war er nicht beim Geschäft betheiligt. Aber Frau von Cotta, die zweite Gemahlin des alten Herrn, eine geborne Freiin von Hügel und von Geist und Herz gleich ausgezeichnet, hatte viel moralischen Einfluß und war eigentlich die Seele der Redaction des Morgenblatts. Gelang es mir, diese fein gebildete Dame für G. zu gewinnen, so durfte ich mich der Hoffnung hingeben, daß seine Lage gesichert sei. Ich hatte mich schon früher dieser trefflichen Frau vorstellen lassen und war schon im Begriff zu ihr zu gehen, um für G. zu sprechen. Herr von Cotta, der Vater, war nämlich damals auf längere Zeit von Stuttgart abwesend. Nun wußte ich aus der besten Quelle, wie hoch Uhland von Frau von Cotta als Dichter und Mensch geschätzt wurde, und daß Einer, den er ihr empfahl, bestens empfohlen war. Um also ganz sicher zu gehen, entschloß ich mich, mich zuerst Uhland zu entdecken und ihn um seine Mitwirkung zu bitten. Schon hatte ich den Hut in der Hand, um zu ihm zu gehen, als mir beikam, es sei besser ihm zu schreiben, dann könne er meinen Brief Frau von Cotta vorlegen, wodurch die Sache sehr abgekürzt werde. Ich schrieb ihm also und schilderte G.’s Lage ausführlich. Der Gegenstand mochte meiner Darstellung eine lebhafte Färbung gegeben haben. Der Brief war noch keine Viertelstunde fort, als mir Uhland’s Dienstmädchen eine Geldrolle mit einem Briefe überbringt, worin er mir kurz schreibt: „Ich schicke Ihnen Alles, was ich eben habe; es hilft wenigstens der brennendsten Noth ab. Mit Frau von Cotta spreche ich heute noch. Herr G. soll guten Muthes sein. Es wird und muß glücken.“

In der Rolle waren 56 Gulden. – Ich war erschüttert von dieser edlen und großmüthigen Handlungsweise, so daß mir Thränen aus den Augen stürzten. Herr G. lächelte selbstgefällig; er schien in Uhland’s Liebesgabe nur die seiner eignen Dichtergröße gebührende Huldigung zu sehen.

[554] Einige Stunden später sehe ich einen Schiebkärrner ein Eimerfaß in das von mir bewohnte Haus fahren, und gleich darauf bringt mir mein Dienstmädchen folgenden Brief:

„Ich komme so eben von Uhland, wo ich Ihren Brief las. Für Abhülfe der größten Noth hat er gesorgt; ich schicke Ihnen ein Fäßchen guten Wein, damit Sie sich mit Herrn G. frohen Muth trinken. In Schwaben soll kein Dichter traurig sein. Herrn G. wird ganz gewiß geholfen werden.            Gustav Schwab.“

Wie soll ich das Erstaunen und die Rührung, die mich während des Lesens überkamen, schildern! Das war wieder ein Schwabendichterstreich, der mir die Thränen in die Augen trieb.

G. ließ nun seine Frau von Nürnberg kommen, und ich gab jetzt Beiden, wie früher ihm allein, Monate lang freie Kost und Wohuung. Auf Uhland’s und Schwab’s Verwendung erhielt G. noch im Herbst eine Anstellung bei der Allgemeinen Zeitung in Augsburg. Ob er sich bei Uhland und Schwab bedankt, weiß ich nicht, zweifle aber daran. Mir dankte er, indem er kleine Geldsummen, die ich bei einer dortigen Verlagshandlung stehen hatte, hinter meinem Rücken zu erheben versuchte, und bei der Abreise mit dem Vorwurfe, ich habe ihn und seine Frau nicht anständig genug bewirthet, ich sei nicht werth, einen solchen Gast, wie er sei, zu beherbergen.

Während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes bei mir war er spazieren gegangen und hatte keine Feder angerührt, kein Buch angesehen, sondern nur immer von den unsterblichen Werken gesprochen, die er schreiben werde.

In seiner Stellung in Augsburg blieb er kein volles Jahr. Die Julirevolution rüttelte seinen Genius plötzlich aus der Lethargie empor. Und nie hat ein Hochrother heftigere Ausfälle gegen eine Regierung drucken lassen, als G. gegen die baierische. Sein Styl bestand eigentlich aus lauter Keulenschlägen, die vorzüglich gegen den König gerichtet waren. Das ließ sich nicht wegleugnen, es war Geist in seinem Radicalismus. Er war einer der wenigen Jakobiner des südlichen Deutschlands und hatte sich in den unteren Schichten der Gesellschaft schnell einen nicht gering zu schätzenden Anhang verschafft. Kaum war die Sturmfluth etwas verlaufen, so wurde er verhaftet, vor Gericht gestellt und wegen Majestätsbeleidigung zu mehrjähriger Festungshaft verurtheilt. Seine Familie fiel der öffentlichen Mildthätigkeit anheim, und wenn ich einer mir zugegangenen Sage Glauben schenken darf, so haben sich Uhland und Schwab im Stillen dabei betheiligt.

Nach seiner Entlassung wandte sich G. mit den Seinigen nach der Schweiz, wo er in der S.’chen Buchdruckerei in A. eine Anstellung als Corrector fand.

Die Leute, von welchen ich in dieser kleinen Episode zu berichten hatte, sind fast alle todt: ob G. noch lebt, vermag ich nicht zu sagen. Ich habe nichts wieder von ihm vernommen. Wenigstens hat er von den Hoffnungen und Erwartungen, die er vor vierzig Jahren in so hohem Grade zu erwecken verstand, keine einzige erfüllt.




Wilhelm Bauer’s unterseeische Fahrten.
Von Fr. Hofmann.
1.
(Mit Abbildung.)

Jetzt, nachdem für eine Erfindung unsers Wilhelm Bauer auch in Deutschland der Sieg ein vollendeter ist, nachdem er den ehemals baierischen, nun seinen Dampfer „Ludwig“ aus der Tiefe von mehr als 70 Fuß gehoben, auf dem Niveau transportirt und endlich ausgepumpt und wieder flott gemacht hat – in jeder Beziehung ein Meisterwerk der Schiffhebung, wie die Welt noch keines gesehen! – jetzt, hoffen wir, ist auch für die übrigen Erfindungen Bauer’s in Deutschland das volle Vertrauen gewonnen, jetzt erst ist die Zeit gekommen, wo wir sie unseren Landsleuten vorführen können mit der Zuversicht, daß ihnen die rechte Beachtung zu Theil werde.[4]

Wir gehen mit diesem Artikel zu der ersten Erfindung Bauer’s zurück, welche die Grundlage aller späteren ist: zur unterseeischen Schifffahrt.

Die unterseeische Schifffahrt ist bis jetzt vernachlässigt worden, weil für das Hauptseevolk der Erde bis heute durch eines jener wunderlichen Gesetze, die gerade in England das zäheste Leben haben, die Ausübung derselben untersagt ist, und zwar aus dem Grunde, „weil die Submarine nicht controlirbar sei und darum dem Schmuggel besonders förderlich werden möchte.“ Im englischen Volke selbst hat sie nur vorübergehend Freunde gefunden; im Allgemeinen ist der Stolz und die Zuversicht auf die oberseeische Flotte dort so groß, daß für eine unterseeische bis jetzt das Bedürfniß noch nicht gesprochen hat.

Erst in der jüngsten Zeit wird der unterseeischen Schifffahrt wieder regere Theilnahme zugewendet. Den Anstoß dazu gab unser Wilhelm Bauer, dem die alleinige Ehre gebührt, der erste Erfinder der Submarine zu sein. Denn er ist’s, der zuerst, d. h. im Jahre 1849, also lange vor der Zeit, welcher alle übrigen ähnlichen Versuche angehören, auf den Gedanken kam, das unterseeische Boot vollkommen unabhängig von der atmosphärischen Luft zu machen und ihm dadurch die selbstständigste Bewegung und das Vordringen bis zu Tiefen von bedeutendem Atmosphärendruck zu ermöglichen. Das ist seine Idee, und er hat sie zuerst praktisch durchgeführt und durch 134 glückliche Fahrten auf das Vollkommenste bewährt gezeigt.

Wie in meinen Artikeln „Ein deutscher Erfinder“ (1861, Nr. 41), „W. Bauer’s Taucherkammer“ (1862, S. 331) und „W. Bauer’s Erfindungen etc.“ (1862, S. 566 der Gartenlaube) vorläufig angedeutet ist und wie ich früher schon in Payne’s Panorama des Wissens und der Gewerbe (Bd. 1, S. 207 und 369) zu erzählen Gelegenheit hatte, wurde Bauer durch einen echt patriotischen und soldatischen Trieb auf den ersten Gedanken seiner Erfindung geleitet. Wilhelm Bauer, 1822 zu Dillingen geboren, war, wie sein großer Landsmann Burgschmiet, seines Zeichens ein Drechsler, ehe er seinen höheren Weg im Leben einschlug. Ins baierische Militair eingetreten, diente er sieben Jahre bei den Chevauxlegers,

[555] bis man, auf seine technische Begabung aufmerksam geworden, ihn zur Artillerie versetzte. Als Artillerieunterofficier kam er mit den baierischen Truppen nach Schleswig-Holstein. Hier war es der Ingrimm über die Zerstörungen, welche die dänische Flotte ungestraft an deutschen Küsten verüben konnte, der in ihm den Entschluß erweckte, die feindlichen Schiffe durch eine Art Kriegsbrander zu vernichten. Eine Anfrage deshalb bei seinen Vorgesetzten brachte ihm einen abschläglichen Bescheid ein. Und das war gut, denn nun sann sein reger Geist auf neue Mittel, seinen Plan dennoch auszuführen, aber so, daß er auf seinem Zerstörungswege von Niemand beobachten werden könne. Du mußt ein Fahrzeug haben, sagte er sich, das unterm Wasser fährt und keiner Verbindung mit oben bedarf. Mit diesem Gedanken sprang er über Alles, was mit dem bis dahin alleinherrschenden (sogen. cartesianischen) Princip der Taucherkammer zusammenhing, kühn hinweg und forderte von seinem Tauchapparat, daß er 1) ein hermetisch verschlossener sein müsse, wodurch die in dem Raum desselben eingeschlossene Luft vor jeder Einwirkung der Wassersäulenschwere geschützt sei, daher dem menschlichen Organismus auf gewisse Zeit in jeder Tiefe entsprechend bleibe, – und daß 2) außen an dem Tauchschiffe schwimmende Hüllen, mit Sprengladung gefüllt, angebracht sein müssen, um diese an die feindlichen Schiffe zu befestigen und durch galvanische Batterien zu entzünden.

Bauer erzählt, daß, während diese Idee Tag und Nacht mit ihm herumgegangen sei und nach Gestaltung gerungen habe, er an Jütlands Küste einen Seehund habe ins Meer springen sehen. Da war die Form gefunden und blieb so. Es war natürlich, daß Bauer wegen dieser Bestrebungen viel von seiner Umgebung zu leiden, daß er wegen seiner „verrückten Gedanken“ Spott von oben und unten zu verwinden hatte; er hatte einen Dornenweg betreten, aber das Ziel war des schweren Weges werth.

Das erste Tauchschiff (der Brandtaucher) war ein deutsches, erbaut auf Kosten der schleswig-holsteinischen Armee; durch einen Tag Löhnung derselben und Zuschüsse patriotisch gesinnter Männer und der Admiralität zu Kiel wurde die Summe von 11,500 Mark dafür aufgebracht. „Leider“ – so berichtete damals der Professor der Physik, G. Karsten in Kiel – „standen bei der Ausführung der Erfindung nicht solche Mittel zu Gebote, welche das Schiff nach dem Projekte (des Erfinders) zu erbauen gestattet hätten, vielmehr mußten, um Kosten zu ersparen, wichtige Theile des Apparates durch andere, einfachere, aber auch ungenügendere ersetzt werden. Diesem Uebelstande allein ist das am 1. Februar (1851) erfolgte (im Artikel „Ein deutscher Erfinder“ geschilderte) Verunglücken des Schiffes zuzuschreiben.“ Der arme „Seeteufel“, wie die Seeleute das submarine Boot nannten, liegt, trotz der dänischen Hebeversuche in den Jahren 1855 und 1856, noch heute in seinem Wassergrabe im Kieler Hafen.

Durch dieses Kieler Mißgeschick gerade erst recht von der Richtigkeit und hohen Bedeutung seiner Erfindung überzeugt, legte Bauer dieselbe der Regierung seiner Heimath vor. Da aber Baiern sie nicht verwerthen konnte, so versah König Max den Erfinder mit den nöthigen Reisemitteln, damit er auswärts für sie Boden suche. Bauer wandte sich zuerst an Preußen und Oesterreich, wurde aber von ersterem gar keiner Beachtung, von letzterem nur einer abschläglichen Antwort gewürdigt. Gleiches Schicksal hatten Anfragen im Auslande. Da lenkte eine geistreiche hohe Frau noch einmal die Aufmerksamkeit Oesterreichs auf Bauer. Er wurde nach Triest entboten und bestand dort eine Prüfung seiner Modelle vor dem Kaiser, dem Erzherzog-Admiral, der gesammten Admiralität und einer gemischten Commission, deren Ergebniß die vollkommenste Anerkennung der Richtigkeit und außerordentlichen Wichtigkeit der Erfindung war. Es sollten, nach Protokoll vom 16. März 1852, sofort 50,000 Gulden zum Bau eines Tauchschiffs, und zwar 15.000 Gulden von der Marinecommission, 10,000 Gulden von der Gesellschaft des Lloyd. 10.000 Gulden von der Triester Börse und 15,000 Gulden vom Handelsministerium in Wien, aufgebracht werden. Da gefiel es dem Herrn Handelsminister von Baumgarten, die Erfindung für einen Schwindel zu halten, „weil sie allen physikalischen Gesetzen widerstreite“, – der Widerspruch dieser Excellenz gegen die verbrieften und besiegelten Erklärungen der obersten österreichischen Autoritäten der Fachmännerschaft wirkte ansteckend, die Sache verwickelte sich in einen diplomatischen Hofknäuel, den keine Bemühung mehr lösen konnte, und auch diese Erfindung (wir erinnern an Ressel’s Schraubenschiff!) ging für Oesterreich verloren.

Mit Empfehlungsbriefen von Coburg ging Bauer nun nach England, um seine Erfindung unter den Schutz des Prinzen Albert zu stellen. Dieser geistvolle Mann durchschaute sofort die Großartigkeit und Tragweite derselben, unterstützte Bauer mehrere Jahre und wandte, als die englische Regierung aus den oben angeführten Gründen jede Betheiligung an der Submarine zurückwies, ihr die Theilnahme großer Industrieller zu. Diese Herren, der Leviathanerbauer Scott Russell (in dessen Atelier Bauer sieben Monate lang alle Pläne und Risse zum Tauchschiffe und zu einer unterseeischen Kriegscorvette zeichnete), Charles Fox und Ingenieur Brunel, entblödeten sich nicht, als nicht nur Bauer’s vollständige Zeichnungen, sondern auch zur Ausführung der Erfindung 10,000 Pfd. Sterl. von den Lords Palmerston und Panmure in ihren Händen lagen, dem Erfinder die Thür zu weisen, weil sie nun ohne ihn sein unterseeisches Schiff bauen könnten. So sah Bauer sich beraubt und abermals verlassen zugleich, und entrüstet über solchen „britischen Hochsinn“ kehrte er dem Lande der gekröntesten Selbstsucht den Rücken. Die drei Herren bauten in der That ihr Boot, fügten aber ihrem Bau so viel Neues aus eigenem Genie zu, daß es gleich beim ersten Versuch unterging und mehreren Menschen das Leben kostete.

Als Bauer früher sich – ebenfalls vergeblich – nach Nordamerika gewandt hatte, war ihm von einem nordamerikanischen Consul der Wink geworden: wenn England die Erfindung nicht anwende, so sei nur noch von einem Lande etwas zu hoffen, nämlich von Rußland.

Diesem Wink folgte nun Bauer, und gerade dieser Schritt ist ihm am meisten zum Vorwurf gemacht worden, und zwar ebenso von Nationalitäts-, als von Freiheits-Phantasten. Die Einen schrieen – als es galt, das deutsche Taucherwerk nicht mehr mit Redensarten, sondern mit der Hand im Geldbeutel zu unterstützen – : „Wir geben nichts, denn Bauer hat seine Erfindungen (– und man log dazu: zuerst –) dem Ausland angeboten!“ – Und jene: „Er hat sie dem Despotismus überliefert und sich dadurch der Unterstützung aller Freisinnigen unwürdig gemacht.“ – Aus letzteren Gründen vergaß sogar ein bedeutender deutscher Schriftsteller sich so weit, die Ehre dieser Erfindung lieber einem Spanier (Monturiol, der zehn Jahre nach Bauer mit seinen Versuchen auftrat) zu gönnen, weil dieser die nationale Unterstützung und die der liberalen Parteigenossen dem Regierungsanerbieten vergezogen, als dem Deutschen W. Bauer! – Ihr gelehrten Herren, wer trug denn die Schuld, daß Bauer im Auslande für seine Erfindungen gleichsam herumbetteln mußte? Doch wohl die Vertreter der nationalen und liberalen Presse, die sich um diese Erfindung nicht bekümmerten, die sie als etwas ihrem Gesichtskreis Fremdes ihrem Schicksal überließen. Jetzt ist hoffentlich die Zeit solcher Vorwürfe vorüber: seitdem es uns so rasch gelungen ist, mit der „Gartenlaube“ mächtiger Hülfe, Bauer’s Erfindungen zu einer mit seltener patriotischer Wärme erfaßten nationalen Sache zu erheben, seitdem die Nation in allen ihren liberalen Organen gezeigt hat, daß sie ihren Stolz in diese Erfindungen setzt, seitdem ist nicht nur für Bauer, sondern auch für andere deutsche Erfinder die Aussicht gewonnen, daß sie sich nicht mehr an das Ausland hinzugeben brauchen, um sich und ihre Erfindungen vor der Verkümmerung zu bewahren.

Für die Entwicklung dieser Bauer’schen Erfindung sind wir Rußland sogar Dank schuldig, denn dort wurden Bauer zum ersten Male die Mittel geboten, sein unterseeisches Boot ganz nach seinem Plane zu bauen und damit die Ausführbarkeit dieser in Deutschland bereits dem Spott preisgegebenen deutschen Idee darzuthun. Darum halten wir uns auch mit unserer Beschreibung ausschließlich an dieses Schiff, das außerdem noch existirt, aber als todt, seitdem ihm die Seele fehlt, welche die Bauer’s gewesen ist. Dieser Beschreibung liegen, außer der in diesen Artikeln bereits mehrmals erwähnten Broschüre Ludw. Hauff’s in München („Die unterseeische Schifffahrt etc.“, Bamberg 1859), viele schriftliche und mündliche Mittheilungen W. Bauer’s zu Grunde.

Der russische „Seeteufel“ Bauer’s hat, wie früher der deutsche und der englische, Seehundsgestalt. Er ist 52 Fuß lang, 12 Fuß 6 Zoll hoch und 11 Fuß breit und ganz in Eisen ausgeführt. Um einer Wassersäule von 150 Fuß Höhe widerstehen, d. h. bis in solche Tiefe sicher vordringen zu können, ist die äußere Hülle aus Platten von ½ Zoll Dicke, 2 Fuß Breite und 10 Fuß Länge zusammengesetzt und durch 3½zöllige Eisenrippen von Fuß [556] zu Fuß verstärkt; sie bildet eine Ellipse von 11 zu 12, mit Ausnahme des Kopfes, welcher keilförmig endet und in dessen nach rückwärts schiefer Abdachung die Luke sich befindet. Um die größte Tragkraft dem Mitteltheile zu überlassen, ist der Kopf um 6 Zoll niedriger gestellt, als die höchsten Punkte des Körpers. In demselben sind nach vorne 2, nach den Seiten 2, in der Luke ein Fenster von je 2 Zoll Dicke und 9–11 Zoll Durchmesser, in Metallrahmen eingesetzt. Die Fortbewegung des Bootes geschieht mittelst der Propellerschraube, die durch vier eiserne Arme vor Beschädigungen durch etwa anrennende Gegenstände geschützt ist, und die Steuerung durch die Steuerschraube. Das Triebwerk besteht aus 4 Rädern von 7 Fuß Durchmesser, eine durchlaufende Achse von 3½ Zoll Stärke trägt die Treträder und giebt die Transmission der Kraft durch 2 unlösbare Stirnräder auf eine zweite Achse, an welcher sich ein konisches Rad befindet, um durch die verticale Uebersetzung die 6 Zoll über dem eisernen Boden horizontalliegende Schraubenkuppelwelle zu drehen.

In diesem Zustand schwimmt das Schiff an der Oberfläche des Wassers. Um es in die Tiefe zu zwingen, ist Zweierlei nöthig: Ballast und 3 große und ein kleiner Cylinder zur Einnahme von einem beliebigen Quantum Wasser. Es versteht sich von selbst, daß jede Thätigkeit von innen nach außen durch Stopfbüchsen vermittelt wird. Die Handhabung des Ballastes übergehend wenden wir uns sogleich zu den Cylindern. Die großen Cylinder zur Aufnahme des Belastungswassers haben 10 Fuß Länge, 4½ Fuß Durchmesser, 1 Zoll Wandstärke, sind aus 2 Hülsen zusammengesetzt und enthalten eine Schraube von 3½ Zoll Durchmesser. Diese 3 Cylinder können 45,000 Pfund Wasser aufnehmen, worauf die Hähne geschlossen werden, um in den Pistons der Cylinder das Wasser festzuhalten. Der kleine Cylinder (Directionscylinder) ist 5 Fuß lang, hat 14 Zoll Durchmesser und 1 Zoll Wand; er setzt den Bootführer in den Stand, die Friction des Apparats im Wasser in dem gewünschten Tempo zu überwinden. Er darf nur bis 10 Kubikfuß (620 Pfund) Wasser einnehmen, weil schon 10 Pfund genügen, um den Körper von 4000 Kubikfuß Volumen in 5 Minuten einen Fuß sinken zu machen und in diesem Fallen gleichmäßig zu erhalten. Dagegen bringen ihn 2 Pfund erst in 37 Minuten 1 Fuß tiefer, 40 Pfund dagegen in 1 Minute 2½ Fuß. Zum beliebig schnellen Steigen des Boots dienen die Forcepumpen, welche das in die Cylinder aufgenommene Wasser wieder in die See hinauspressen; umgekehrt wie beim Sinken entspricht beim Steigen die Schnelligkeit desselben dem Gewichte der ausgepreßten Wassermasse. Um den Apparat in beliebiger Tiefe verharren zu lassen, führt ihn zuerst Ueberschwere an Wasser bis zu der Tiefe, in welche man gelangen will, dann wird diese Ueberschwere ausgepreßt, und der Apparat gelangt nach kurzem Spiele in die genaue specifische Schwere.

Die vielen technischen Einzelnheiten, als hier zu weitführend, übergehend, haben wir noch Zweierlei, das unsere Abbildung zeigt, zu erklären. Am Kopf des Apparats sehen wir die Pulvermine. Sie kann 500–1000 Pfund Pulver, Bomben etc. enthalten und wird durch einen im Kopf des Apparates angebrachten Guttapertschaärmel gehandhabt und vermittelst Fuchseisens oder pneumatischer Sauger am Kiel des feindlichen Schiffs befestigt. Ihre Zerstörungskraft ist leicht erweisbar.

An der Wand des Raumes sehen wir eine Thür. Sie führt in die sogenannte Taucherkammer, oder vielmehr das Tauchercabinet, um mit jener Bezeichnung unsere Leser nicht irre zu führen, da Bauer seiner zweiten, aus dem Brandtaucher hervorgegangen industriellen Gestaltung seines unterseeischen Schiffs den besonderen Namen der Taucherkammer (vgl. Gartenlaube 1862, Nr. 21) gegeben hat. Dieses Tauchercabinet ist ein Raum am Schiff, durch welchen ein Taucher aus dem inneren Raume ins freie Meer gelangen kann, ohne daß Wasser ins Innere eindringt. Es enthält eine Thür nach innen und eine nach außen, beide in Metallrahmen schließend. In der nach außen führenden Thür befindet sich ein Ventil, um Wasser in das Cabinet einzulassen. Im Boden des Cabinets ist ein zweites Ventil, damit das Wasser aus demselben in den Kielraum des Boots ablaufe, und im Deckel des Cabinets ist ein Luftventil, um Luft aus dem Cabinet nach dem Schiffsräume, und umgekehrt, zu führen. Der Taucher tritt in das luftgefüllte Cabinet und schließt die Thür zum Schiffsraum, öffnet das Ventil nach dem Meer hin und läßt in das Cabinet das Wasser eindringen, dann erst öffnet er die Thür nach dem Meere. Kehrt er zurück, so schließt er diese Thür wieder, öffnet das Ventil nach dem Kielraum, das Wasser fließt ab, und er kann die innere Thür nach dem Schiffsraum wieder öffnen, worauf, wenn nöthig, das Wasser aus dem Kielraum wieder ausgepumpt wird.

Hinter den großen Cylindern im Innern ist die Regenpumpe angebracht, welche das Wasser vom Kiel holt und durch eine Siebröhre von 33 Fuß Länge, zum Behufe der Luftverbesserung, in den Raum spritzt. Am Schlusse des Apparats befindet sich der Abtritt mit Pumpröhre und Schlußhahn.

So ist, in allgemeinen Umrissen dargestellt, der Apparat, dessen Bau im Mai 1855 Bauer in der Leuchtenberg’schen Fabrik zu Petersburg begann und der am 2. November desselben Jahres von der Admiralität übernommen wurde.

Der Transport des Apparates von Petersburg nach Kronstadt hat seine eigene Geschichte, die später einmal des Erzählens werth ist. Sieben volle Monate brachte die Admiralität mit 2–300 Mann an dieser Arbeit zu, um das ihr von vorn herein verhaßte Schiff nach Monaten ungefähr 1000 Schritte weit zu bringen. Nach der Rückkehr des Großfürsten Constantin, des eigentlichen Beschützers dieser Erfindung in Rußland, aus der Krim übernahm Bauer die Oberleitung des Transports und machte dadurch, daß er sein Tauchschiff binnen 24 Stunden an’s Ziel dirigirte, der einträglichen Finanzspeculation der hohen Herren, denen Bauer schon während des Baues einen „Rechnungsfehler“ von 16,700 Silberrubel nachgewiesen hatte, ein Ende. Am 25. Mai 1856 gab Bauer den Befehl zur Versenkung des Bootes, in welchem der Apparat durch den Canal transportirt worden war, und am 20. Mai, früh 3 Uhr, stand er auf dem Kopf seines hart am Niveau schwimmenden Seeteufels vor der Barriere des Kriegshafens von Kronstadt, und damit beginnen seine unterseeischen Fahrten in diesem Gewässer.




Erinnerungen an das dritte deutsche Turnfest zu Leipzig.


Vor dem Zuge. – Zahl der Turner. – Ueberall Jubel. – Blumensträuße und Labetrunke. – Ein Taschentuch. – Die Ausländer. – Die amerikanische Flagge. – Die Geschichte eines Landwehrmannes. – Auf dem Platze. – Leben in den Festbuden. – Die dicke Riege.

Auf die Mittagsstunde des Montags war der große Festzug angesetzt, und mit nicht geringen Erwartungen sah man demselben entgegen, da er eigentlich gleichsam der Weiheact für das ganze Fest sein sollte.

Seit den frühesten Morgenstunden strömten der Stadt Tausende von Gästen zu, welche Zeugen der herrlichen Feier sein wollten. Alle Geschäfte ruhten, weil man diesen Tag als einen Festtag in der wahrsten Bedeutung des Wortes betrachten wollte. In den Straßen wogte es auf und nieder; die herbeigekommenen Fremden staunten den reichen Schmuck der Häuser an; Turner in ihren einfachen Anzügen eilten in Massen auf die ihnen angewiesenen Sammelplätze, wo schon seit geraumer Zeit die ihrer Würde sich stolz freuenden Leipziger kleinen Turnschüler aufgestellt waren, welche Standarten mit den Namen derjenigen Städte trugen, die zum Feste Turngenossen hierher gesandt hatten.

Um wenigstens hier eine kurze Uebersicht der Betheiligung zu geben, sei nur bemerkt, daß aus etwa 830 Ortschaften Turner zum Feste anwesend waren. Die deutschen Turnvereine vertheilen sich auf 15 Kreise, und unter diesen hatte das Loos die Reihenfolge beim Zuge entschieden. Dem vierten Kreise (Norden) war die erste Nummer zugefallen, und der vierzehnte Kreis (Sachsen) bildete als derjenige, in dessen Gebiete das Fest gefeiert wurde, natürlich den Schluß des Zuges. Bekanntlich hat nirgends das Turnen einen günstigeren Boden gefunden als in Sachsen; 150 Ortschaften

[557]

Wilhelm Bauer’s Brandtaucher.

[558] des kleinen, aber stark bevölkerten Staates hatten über 5000 Festgäste gesandt; wenn man nun hierzu die Turner Leipzigs (2350) und die der nächsten Umgebung, unter dem Namen: Verband der Turnvereine des Leipziger Schlachtfeldes (2442) rechnet, so waren etwa 10,000 sächsische Turner bei dem Zuge. Hiernach war der dritte Kreis Mark und Pommern nebst dem größten Theile der preußischen Provinz Sachsen am stärksten und zwar durch 3800 Turner vertreten; der dreizehnte Kreis, Thüringen, hatte weit über 2000, und der funfzehnte, Oesterreich, fast 1300 Turner gesandt. Der auswärtigen Festgäste waren ungefähr 16,000, und wenn man die obenbezeichneten 4800 Turner Leipzigs und der Umgegend dazu rechnet, so stellt sich die Stärke des ganzen Zuges auf 21,000 Mann! Ein Festzug von gleicher Stärke war bisher wohl noch nie dagewesen, aber nicht nach seiner Größe, sondern nach seinem Wesen muß man ihn beurtheilen, und auch hierin dürfte er wohl unerreicht dastehen. Da war kein deutscher Stamm, kein einziger Staat des großen Bundes unvertreten, und alle waren in Liebe und Eintracht vereinigt.

Zur Aufstellung des riesigen Zuges war ein mächtiger Flächenraum erforderlich, und derselbe erstreckte sich nicht nur fast um die ganzen breiten Promenaden und Plätze, welche die innere Stadt umgeben, sondern einzelne Turnerkreise mußten sich bis in die Straßen der Vorstädte ausdehnen. Die Anordnung des Ganzen war jedoch so vortrefflich, daß bei dem Einrücken der verschiedenen Abtheilungen nicht die geringste Störung eintrat. Mit dem Schlage Zwölf setzte sich der Zug in Bewegung; das Geräusch in den Straßen, welche er zuerst berührte, verstummte plötzlich und machte einer fast lautlosen, erwartungsvollen Spannung Platz. Kaum hatte aber die Spitze des Zuges die Stadt betreten, so brach auch mit einem Male ein Jubel los, der keine Grenzen kannte. Von der Straße her, aus den dicht besetzten Fenstern rief man den Heranziehenden Willkommen und endlose Lebehochs zu. Die Männer schwenkten die Hüte, und Frauen und Mädchen wehten mit den Tüchern. Alle diese Freudenbezeigungen wurden aber von einem unaufhörlichen Blumenregen begleitet, der sich aus allen Fenstern herab und von den Zuschauern auf der Straße über den Zug ergoß. Kostbare Blumensträuße, prächtige Kränze wurden gespendet, und die Glücklichen, welche diese duftenden Liebesgaben auffingen, dankten mit jubelndem Gut Heil! Dieser turnerische Freudengruß brauste wie ein unaufhörlicher Donner von der Spitze des Zuges bis zu dessen Ende und ward in gleicher Weise von der zahllosen Menge der Zuschauer erwidert. Wenn man aber die Straßen, durch welche der Zug ging, hinauf oder hinab sah, so flatterte es ununterbrochen in der Luft von Blumen, als wollte man damit die dahinziehenden Festgäste überschütten. Noch lange nachher bezeichnete eine breite Bahn von zertretenen Blumen deutlich den Weg, den der Jubelzug genommen hatte. Viele der schönen Blumenspenderinnen hatten in ihrer Freigebigkeit nicht bedacht, daß dieser gewaltige Zug eine Länge von fast zwei Stunden einnahm, und mit innigem Bedauern sahen Manche den reichen Blütenvorrath doch bald erschöpft. Allein auch die Freude und Wonne kann erfinderisch sein, und so flatterte bald hier eine Bandschleife, da wieder die künstlichen Blumen des Kopfputzes auf die vorüberziehenden Turner herab, und jauchzend wurden diese Trophäen auf die Hüte gesteckt. Als in dem Geschäftslocal eines Thüringer Fabrikanten dessen Angehörige ihren Blumenvorrath zu Ende gehen sahen, öffneten sie, um nicht mit leeren Händen die braven Turner vorüberziehen zu sehen, eine Waarenkiste, und nun flogen bunte wollne Häubchen, Kinderstrümpfe, Shawls und dergleichen auf die Straße hinab, zum nicht geringen Ergötzen der Zugtheilnehmer und des Beifall rufenden Publicums.

In anderen Straßen wußte man sich auf eine nicht minder erfinderische Weise bei dem eintretenden Mangel an Blumen dadurch zu helfen, daß man die vor den Fenstern stehenden Blumenstöcke hinabtrug und sie den lieben Turngästen überreichte. Viele dieser duftenden Angedenken sind mit ihren neuen Eigenthümern in die ferne Heimath gewandert, und dort werden sie gewiß zur Erinnerung an das herrliche Fest sorgsam gepflegt.

Aber auch Erfrischungen wurden den in der glühenden Mittagshitze dahinziehenden Turnern in Menge gereicht. Auf der Straße drängten sich oft Männer und Frauen durch die Reihen der Zuschauer und brachten bald Wein, bald Bier als Labetrunk herbei; andre vertheilten ganze Batterien von Flaschen mit kohlensaurem Wasser. Einer der eifrigsten Wohlthäter hatte sich sogar mit einer großen Tonne Bier dicht am Wege postirt und füllte die im Zuge befindlichen großen Trinkhörner so lange, bis er traurig gestehen mußte, daß sein Vorrath zu Ende sei. Dort wurde wieder perlender Rheinwein kredenzt, und oft genug sah man aus den Fenstern an langen Schnuren Flaschen mit Wein auf die Straße hinabschweben, die unten von den Turnern jubelnd in Empfang genommen und auf das Wohl der Geber und der gastfreundlichen Stadt geleert wurden.

Auch die Kinder stimmten in den Jubel ein, und rührend war es, von ihren klaren, hellen Stimmen das freudige Gut Heil! ertönen zu hören. Manche von ihnen wollten aber nicht blos unthätige Zuschauer bleiben, und mehr als einmal sah man, daß sie ihr Liebstes, buntes Spielzeug, opferten und dies den Turnern hinabwarfen, da sie glaubten, daß diese darüber eine ganz besondere Freude haben müßten.

Großen Enthusiasmus erregte es, als ein junges, reizendes Mädchen, mit oder ohne Absicht (ich glaube an das erstere!), ihr Taschentuch in den Zug hinabwarf. Ein gewandter Fahnenträger fing das Tuch geschickt auf und befestigte es sofort an der Spitze seiner Fahne, wo es, wie er laut versicherte, für immer seinen Ehrenplatz behalten sollte. Aber das Tuch war auch dieses Ehrenplatzes würdig, denn es hatte Thränen der Freude und Begeisterung von den schönen Augen einer deutschen Jungfrau getrocknet. Wie Mancher trüge ein solches Kleinod nicht voll Entzücken auf dem Herzen!

Die Thränen im Auge jener lieblichen Jungfrau waren jedoch nicht die einzigen, welche dem Zuge geweiht wurden. Ich möchte im Gegentheil behaupten, daß nur wenig Augen ganz trocken geblieben sind. Der Eindruck dieses Triumphzuges heißersehnter Eintracht war so überwältigend, daß sich wohl Niemand ihm ganz entziehen konnte. Selbst Solche, die noch kurz vorher das Fest ignorirt oder ihm eine nachhaltige Bedeutung abgesprochen hatten, fühlten ihren Spott besiegt, und ihre Gleichgültigkeit wurde in Theilnahme verwandelt. Ja, es war etwas Erhabenes, einundzwanzigtausend Söhne eines großen, ehrwürdigen, wenn auch zersplitterten Reiches, von reinster Vaterlandsliebe begeistert, unbekümmert um den ehrgeizigen Hader der Cabinete, sich die deutsche Bruderhand reichen zu sehen. Wo war hier, zwischen den Söhnen des Volkes, jene Kluft zu sehen, welche die Staatsweisheit wie eine häßliche, todbringende Wunde künstlich offen zu erhalten sucht?

Den Zug eröffneten die Mitglieder des Fünfzehnerausschusses und der zahlreiche Festausschuß, dem in Anerkennung seiner rastlosen Bestrebungen und Mühen mancher Kranz unter donnernden Lebehochs zugeworfen ward. – Ehe noch die 15 Turnkreise Deutschlands folgten, hatte man den Turnern des Auslands den Ehrenplatz angewiesen; doch konnte man sie nicht alle als eigentliche Ausländer betrachten, denn die Mehrzahl der Schweizer sind durch die heiligen Bande gleicher Sprache und Sitten unsere Bundesbrüder, und im ganzen großen Zuge gab es sicher nicht aufrichtigere Deutschgesinnte, als jene braven fünf Siebenbürgen, die von Kronstadt gekommen waren, um am Feste Theil zu nehmen. Sonst war noch Italien durch Pisa, Holland durch Rotterdam (10 Mann), England durch London (12 Mann), Rußland durch Dorpat und Reval, Amerika durch St. Louis und Hoboken und Australien durch Melbourne vertreten. Die Londoner hatten ihre prachtvolle Fahne mit über den Canal gebracht; Amerika wußte sich auf andere Weise zu helfen. Als der Zug nämlich durch eine der ersten Straßen passirte, sah man an einem Fenster auch eine amerikanische Flagge, welche einer Ruderbootgesellschaft junger Leute gehörte und zum Schmuck vom Boote in die Stadt verpflanzt war. Als die Amerikaner dies sahen, eilten sie aus dem Zuge hinauf in jenes Haus, erbaten sich und erhielten die Fahne, und nun wehte auch das Banner der Union im Zuge. Wohl hatte sie ein Recht auf diesen Platz, denn wie vielen bedrängten Deutschen wurden die amerikanischen Freistaaten das zweite Vaterland, und Tausende unserer Landsleute haben diese große Schuld jetzt durch ihr im Kampfe für die gerechte Sache des Nordens vergossenes Blut abgetragen.

Bei der Verloosung der Zugreihenfolge hatte der vierte Kreis (Norden) den ersten Platz erhalten, und so gingen wie ein Mahnruf für ganz Deutschland die Schleswig-Holsteiner voran. Dieselben Männer und Jünglinge wären mit gleicher Freude auch in den heiligen Kampf für ihr mit Füßen getretenes Vaterland gezogen, und wo ist der Deutsche, der sich ihnen nicht begeistert anschließen [559] möchte! Der brausende Zuruf der unabsehbaren Menge war Bürge dafür. Möge der Trauerflor von der blau-weiß rothen Fahne beim nächsten großen Turnfeste Deutschlands verschwunden sein!

Wie viel rührende und erhebende Scenen boten sich aber auch im Publicum selbst dar! – An einer Straßenecke stand auf einer Erhöhung ein ehrwürdiger Greis mit entblößtem Haupte, das nur von wenigen Silberhaaren noch umspielt wurde. Die zitternde Rechte schwenkte mit sichtlicher Anstrengung den Hut zum Willkommen der vorüberziehenden Turner, und das Tuch in der Linken wurde oft zu den Augen geführt, die dem würdigen Alten vor freudiger Rührung übergingen. Die beiden Ordensbänder im Rocke zeigten, daß der Greis vor vielen Jahren seine Kräfte der Befreiung des Vaterlandes geweiht hatte, und bald sollte eine lebendige Erinnerung an jene gewaltige Zeit an ihm vorüberziehen. Als der Brehnaer Turnverein nahete, sah man unter den Mitgliedern desselben einen alten Invaliden in preußischer Uniform, der von zwei jüngeren Turnern geleitet daherschritt und den der endlose Jubel fast zu verjüngen schien. Wie jener Greis den alten Kriegsgenossen erblickte, da richtete auch er sich höher auf und anstatt des Gut Heil rief er mit aller Anstrengung seiner Stimme ein dreimaliges Victoria! hinüber. Zwar verschlang der allgemeine Jubel diesen Siegesruf, aber mein Freund, welcher dem Greise zunächst stand, stimmte in den Ruf mit ein, und glänzenden Auges reichte Jener ihm die zitternde Hand wie zum Danke. „Der Ruf paßt wohl eigentlich nicht recht hierher,“ meinte der Greis. – „Im Gegentheil,“ erwiderte mein Freund, „es ist ein großartiger Sieg über die unselige Spaltung der deutschen Stämme, der heute ohne Blut errungen wird und dem hoffentlich noch andere folgen werden. Wir sollten heute alle Victoria! rufen.“ – „Mir kam dieser Ruf nur so unwillkürlich aus dem Herzen, als ich jenen Invaliden so mitten zwischen dem jungen kräftigen Nachwuchs daherschreiten sah,“ sprach der alte Herr weiter. „O, ich kenne den Mann recht wohl, ’s ist ein preußischer Landwehrmann, der vor fünfzig Jahren dem blutigen Feste bei Leipzig auch mit beiwohnte. Ich habe ihn heute schon gesprochen, ehe der Zug begann. Ach ja, lieber Herr, es ist noch etwas Anderes als die Freude über Deutschlands kräftige Jugend, die mir altem Manne Thränen abpreßt, deren sich ein ergrauter Soldat doch wohl erwehren sollte. Aber die Erinnerung an jenen Einzug, dem ich als kräftiger Krieger vor fünfzig Jahren hier in denselben Straßen nach dem errungenen Siege über den Erzfeind beiwohnte, sie ist es, die mich so weich stimmt, die Erinnerung an meinen besten Freund und treuesten Cameraden, den ich hier an meiner Seite sterben sah. Es war ein furchtbarer Tag, jener 19. October 1813, überall Blut und nichts als Blut, grenzenlose Verwüstung, unendlicher Jammer! Ich war auch Landwehrmann, lieber Herr, und wir zogen genau an derselben Stelle in die Stadt ein, wo heute dieser Friedenszug sie betrat; aber damals stand dort noch ein hohes finsteres Thor, durch das wir uns hindurchdrängen mußten. Aus den Fenstern aller Häuser und in allen Straßen tönte uns auch endloser Jubel entgegen, denn man begrüßte uns als Befreier; aber das waren keine festtäglich geputzten Menschen, sondern bleiche, abgehärmte, hungernde Gestalten, von denen viele selbst schon dem Tode verfallen schienen. Blumen und Kränze gab es auch nicht, mit denen man uns den Weg bestreuete, aber Kugeln und Waffenstücken, die der fliehende Feind weggeworfen, lagen genug da. Die Straßen, welche wir durchzogen, wurden jedoch hinreichend bezeichnet, denn unter uns waren Viele, denen bei jedem Schritte das Blut aus den noch unverbundenen Wunden träufelte. An Schmerz und Blutverlust dachte aber in jenem Siegestaumel kein Mensch, es war Alles vergessen, und der Donnerruf Victoria! drang hunderttausendfach gen Himmel. Ich habe damals wacker mit gerufen, so schwer es mir auch wurde, denn an meiner Seite schleppte sich, von mir nach Kräften unterstützt, mein bester Camerad mühsam hin. Aus drei Wunden blutete er, zwei davon waren im linken Arm und eine Kugel hatte ihn in die Seite getroffen; ich schämte mich fast, daß ich weiter nichts als den Hieb über die Stirn – Sie sehen die Narbe noch hier oben! – aufzuweisen hatte. Mein Camerad wurde von Secunde zu Secunde schwächer, ich wollte mit ihm aus dem Gliede treten, aber dazu war er nicht zu bringen. Er habe noch Kräfte genug, meinte er, und des Sieges wollte er sich aus voller Seele freuen. Da bogen wir um die Ecke des Marktplatzes, und dort empfing uns neuer Jubel; unaufhörlich wurde den Siegern Hurrah zugerufen. Da erhob sich mein Freund plötzlich wie mit neuer Kraft, er machte sich von meinem stützenden Arme frei, richtete sich hoch auf und rief dreimal mit wahrer Löwenstimme: Victoria! Dann aber sank er neben mir zusammen; diese Anstrengung war seine letzte gewesen – mein bester Camerad lag todt neben mir! Um den Todten bekümmerten sich aber die Anderen nicht, sondern es hieß nach wie vor: Victoria! Was war auch ein Menschenleben in jener Zeit, wo der Tod seine Ernte nach Tausenden zählte!“

Welcher Contrast zwischen jenen furchtbaren Stunden und dem friedlichen Jubel am heutigen Tage! Und doch wurde jetzt wie damals ein Sieg gefeiert. Das Siegesgeschrei von heute hieß jedoch nur Gut Heil! und der Weg ging nicht durch Blut, sondern über Blumen.

Schon aber ertönte immer wieder neuer Freudenruf, der den massenhaft anrückenden sächsischen Landsleuten galt. Allgemeinen und wohlverdienten Beifall fand das Trompeter- und Trommlerchor der Knaben, welche dem Bornaischen Turnvereine zugehörten. Hatten doch auch die Leipziger Turner, welche den Schluß des Riesenzuges bildeten, aus ihrer Mitte in wenigen Wochen ein vortreffliches Trommlerchor rekrutirt, und der demselben voran schreitende schweizerische Tambourmajor warf seinen gewaltigen Stab während des Marsches haushoch in die Luft, denselben stets wieder mit bewunderungswerther Geschicklichkeit auffangend.

Aber nicht solchen Einzelnheiten galt der Zuruf, welcher die Luft erschütterte, er galt dem erhabenen Ganzen, der Vereinigung deutscher Söhne aus allen Gauen des großen Vaterlandes. Die Begeisterung und Liebe, die man ihnen entgegen brachte, ist gewiß die schönste Erinnerung, welche die Festtheilnehmer für alle Zeiten bewahren werden.

Die Spitze des Zuges, von Kanonendonner begrüßt, erreichte den Festplatz, während die letzten Abtheilungen von ihren Sammelplätzen sich erst in Bewegung setzen konnten. Auch auf dem Festplatze war der Empfang ein enthusiastischer, denn Tausende harrten dort schon längst der Ankommenden. Die Masse der kostbaren Fahnen ward nun oben im Mittelschiff der riesigen Festhalle angebracht und verlieh dieser ein herrliches Ansehen. Einige Vereine trugen anstatt der ihnen noch fehlenden Fahnen junge Eichbäume ihren Zugabtheilungen voran. Ein Berliner Verein führte einen kleinen Tannenbaum mit sich, der mit kleinen deutschen Fahnen geschmückt war. Wohl keine der prachtvollen Fahnen aber war zu sehen, die nicht während des Zuges mit einem oder mehreren Kränzen geschmückt worden wäre.

Auf dem großen Festplatze waren 720 Turngeräthschaften aufgestellt, und inmitten denselben befand sich der freie Raum für die Freiübungen, so wie das zu den Feuerwehrübungen bestimmte Steigerhaus, welches zugleich nach einer Seite einen großen Balkon für die Festredner, Preisvertheilung u. s. w. aufwies. Als nun die Turnerschaaren vereint standen, da ergriff ein Mitglied des Fünfzehnerausschusses, Dr. Goetz aus Lindenau, das Wort, um in eindringenden Worten die Bedeutung des Festes, den Werth des Turnens zu schildern, ein freies, einiges Vaterland als das höchste Ziel aller Bestrebungen bezeichnend.

Unmittelbar hierauf traten über 7000 Turner zu den Freiübungen an. Ueber die ausgezeichneten Leistungen der Festturnerschaft ist bereits so viel anderwärts berichtet, daß wir hier billig darüber hingehen können. Unvergeßlich wird ohnedies der Augenblick bleiben, wo die vierzehntausend erhobenen Arme mit einem Male an die Körper gleichmäßig niederfielen und ein Geräusch entstand, das sich am besten mit dem Knattern des Kleingewehrfeuers vergleichen läßt. Der Abend des Montags schloß mit einem Nachtmanöver der Leipziger Feuerwehr.

Konnte man den Verkehr auf dem Festplatze bereits am gestrigen Tage einen freundschaftlichen nennen, so gewann er heute nur noch immer mehr an Herzlichkeit. In der Festhalle, wo des Abends Concert stattfand, hatten 6000 Menschen Platz zum Sitzen, aber die Summe der Anwesenden stieg zu jener Zeit auf das Doppelte, weil sich in dem breiten Mittelgang, an den Seiten und zwischen den Tischen ebensoviel hin und her drängten. Oft stockte der Verkehr ganz, doch da wußten die Turner schnell Rath; einer legte beide Hände auf die Schultern des Vormannes, und auf gleiche Weise ging es fort in endloser Reihe, die sich nun wie eine Schlange durch die dichte Menge leicht Bahn brach.

Die Standarten mit den Städtenamen, welche im Zuge den betreffenden Turnern vorangetragen wurden, waren denselben fortan [560] überlassen, und nun sah man sie theils in der Festhalle, theils in den Restaurationslocalen auf dem Festplatze aufgepflanzt, um den Sammelplatz für die Turngenossen jener Städte zu bezeichnen. Man würde sich indeß sehr getäuscht haben, wenn man die in der Nähe einer solchen Standarte Sitzenden immer ohne Ausnahme für Söhne der bezeichneten Stadt halten wollte, denn eine solche Absonderung hätte dem Charakter des schönen Festes auch geradezu widersprochen. Es war im Gegentheil eine fortwährende fröhliche Wanderschaft, auf welcher man dem ganzen deutschen Reiche seinen Besuch machte, und überall sah man, wie sich der Norden mit dem Süden und wie sich Ost und West verbrüderten. Die wenigen Tage des Beisammenseins wollte man nützen, um sich Alle zu Freunden zu machen; denn wie bald lagen ja wieder Hunderte von Meilen trennend zwischen den hier so eng vereinten Festgenossen! Wie begeistert aber wurden überall, wo sie sich nur zeigten, die hervorragenden Männer der Wissenschaft, der Dichtkunst und der Volksvertretung aufgenommen! Die Schleswig-Holsteiner besonders waren es, die nicht müde wurden, den Größen deutschen Geistes ihre Huldigungen darzubringen; sie glaubten dadurch am eindringlichsten das ganze Brudervolk zu ehren.

Immer inniger war aber auch der Verkehr zwischen den lieben Gästen und ihren glücklichen Wirthsleuten geworden, und wo man nur fragte, überall hörte man die herzlichsten Versicherungen gegenseitiger Zufriedenheit. Auf dem Festplatze suchte man sich auf und war glücklich, wenn man sich fand, um auch hier einige Stunden gemeinschaftlich verbringen zu können. War dann die Mitternachtsstunde gekommen, wo der Platz sich leerte, dann suchte man wieder das gastliche Obdach auf, sich freudig der herrlichen Eindrücke des Tages erinnernd. War aber ein Turner, dessen zögernder Schritt in den Straßen die Unkenntniß der fremden Stadt verrieht, so brauchte er den Heimweg nicht erst bittend zu erfragen, sondern auf der Stelle waren heimkehrende Bewohner der Stadt bereit, die fremden Gäste bis an Ort und Stelle zu bringen.

Es war jedoch nicht allein die Stadt, welche sich so bereitwillig zur Aufnahme der fremden Turner erboten hatte, auch die umliegenden Dörfer wetteiferten hierin mit der großen Nachbarin auf die edelste Weise. Diese Dörfer gleichen aber sowohl an Ausdehnung als an Bauart ansehnlichen Landstädtchen, und die dort einquartierten Turner waren über den festlichen Empfang und die reiche Ausschmückung in jenen Ortschaften nicht wenig erstaunt. Mehrere dieser Dörfer, besonders aber Eutritzsch, hatten zur Nachtzeit auf dem ganzen Wege von der Stadt an in gewissen Entfernungen oder an Kreuzwegen Posten aufgestellt, welche die heimkehrenden Turngäste zurechtwiesen, gewiß eine anzuerkennende Opferfähigkeit, die solch ein Nachtwachposten voraussetzen läßt.

Ein ebenso origineller als komischer Aufzug versetzte am Dienstag diejenigen, welche so glücklich waren, ihn beobachten zu können, in die größte Heiterkeit. Es wird gewiß Niemand auffällig erscheinen, daß sich unter den sechszehntausend fremden Turnern eine ziemliche Anzahl befanden, die trotz des Turnens einen ganz beträchtlichen Leibesumfang zeigten und die vielleicht das Turnen theilweise als wirksames Gegenmittel der Körperfülle betrachteten; im letzteren Falle war freilich von einem großen Erfolge bei den Betreffenden noch nichts zu bemerken, wenn man nicht Einsicht in die Gewichtaufzeichnungen ihrer Vergangenheit nehmen konnte. Jeder dieser dicken Herren hatte daheim wahrscheinlich gefürchtet, er möchte der einzige dicke Turner sein, der zum Feste in Leipzig erscheinen würde, und man kann sich deshalb auch die Freude und Beruhigung jedes Einzelnen vorstellen, als er unter den Turngenossen noch eine ziemliche Anzahl dicker Leidensgefährten antraf. Da nun gemeinschaftliche Leiden die Herzen fast noch rascher binden, als gleiche Freuden, so wird ein rasch geschlossener Sonderbund der Dicken leicht erklärlich scheinen. Der Gewichtigste unter ihnen, ein trotz seiner gewaltigen Körperfülle ungemein lebendiger und heiterer preußischer Gutsbesitzer, hatte schon am Montage den Plan gefaßt, die zum Feste anwesenden wohlbeleibten Turner auf einem Platze zu versammeln, und man hatte für den nächsten Morgen den unmittelbar vor dem Polizeiamte gelegenen Naschmarkt bestimmt. Hier war nun eine Brückenwage aufgestellt und das Minimalgewicht, welches zum Eintritt in die „dicke Riege“ berechtigte, auf 180 Zollpfund festgesetzt. Jeder erscheinende Adspirant mußte sich der Gewichtsprüfung unterziehen; die Mindergewichtigen wurden von dem dicken Gutsbesitzer der Ehre, in die dicke Riege eintreten zu können, für untheilhaft erklärt, denjenigen aber, die 50 oder gar 100 Pfund Uebergewicht aufwiesen, wurden die Ehrenplätze zugetheilt, und dann setzte sich der ganze Zug, der 40 bis 50 Mann zählen mochte, unter dem Jubel der Zuschauer in Bewegung hinaus nach dem Festplatze, wo sie im Schweiße ihres Angesichtes anlangten. Die von ihnen später abgelegten Proben turnerischer Befähigung sollen zum Theil überraschendsten Resultate ergeben haben; noch mehr aber erwarb sich ihr liebenswürdiger Humor Aller Herzen, und man wurde lebhaft an Silen erinnert, als einer der dicken Herren sich auf ein Faß setzte und mit diesem auf den Schultern von vier seiner kräftigen Genossen in Triumph über den Festplatz getragen wurde, wobei er in improvisirten Versen der Feststadt und der Turnerei, das mächtige Trinkhorn schwingend, ein Hoch brachte.



Kleiner Briefkasten.


V. in L. – Gesuche um Zulassung zur deutschen Seemannsschule in Hamburg, so wie um Mittheilung der Aufnahmebedingungen, Prospecte etc. sind an den Vorstand der Anstalt unter der Adresse „An den Vorstand der deutschen Seemannsschule in Hamburg, abzugeben in Hommer’s Hotel“, zu richten.

M. E. Sp. in Sch. (Baiern.) – Sie beschweren sich bei uns, daß Ihnen sowohl, wie auch Anderen die „Gartenlaube“ von der dortigen Post nicht selten zu spät zugestellt wird, und theilen uns den Grund hiervon in der Ihnen auf Ihre desfallsige Reclamation gewordenen Antwort mit, dahin lautend, „daß der Postexpeditor – ohne wirklicher Mitleser zu sein – immer ein Exemplar selbst lese und es hierauf erst dem Abonnenten zustellen lasse.“ Wenn solche Ungehörigkeit in einer geordneten Postverwaltung, wie wir sie bei Ihnen annehmen, noch vorkommt, so haben Sie sich bei der betreffenden vorgesetzten Behörde selbst zu beschweren, oder wenn Sie wünschen, daß wir diesem Mißstande abhelfen, so müssen wir um Nennung des Namens des betreffenden Beamten bitten, um ihn als schlechten Verwalter entweder verklagen, oder, Behufs gehöriger Controle Seitens des Publicums, hier namhaft machen zu können. Die „Gartenlaube“ erscheint regelmäßig Freitags und muß durch die dortige Post spätestens am darauf folgenden Sonntage in Ihre Hände kommen.

J. L. in Nürnberg. Ihr Brief ist Herrn Bauer mitgetheilt.

M. R. in Oschatz. In dieser Beziehung: Ja!

H. E. in Gotha. „Die Rache“ steht zur Verfügung.


  1. Die vorstehende nicht uninteressante Mittheilung verdanken wir einem hochgeachteten alten Herrn, dessen eigenthümliche Unebenheiten in der Darstellungsweise wir möglichst beibehalten zu müssen glaubten.
    D. Red.
  2. WS: Im Original fehlendes Hochkomma sinngemäß ergänzt.
  3. WS: Im Original fehlendes Hochkomma sinngemäß ergänzt.
  4. Wir ergreifen diese Gelegenheit, um denjenigen unserer Leser, welche in den letztvergangenen Monaten noch für „Bauer’s deutsches Tauerwerk“ beisteuerten, die Versicherung zu geben, daß alle noch rückständigen Quittungen über diese Gaben nun in rascher Folge veröffentlicht werden; sie werden Nachsicht mit dieser Verspätung haben, da der Raum in der Gartenlaube in letzterer Zeit zu vielfach in Anspruch genommen war. Zugleich bitten wir alle unsere Leser und alle Freunde und Verehrer W. Bauer’s, in ihrem Sammeleifer noch nicht müde zu werden. Nicht die eigentliche Hebung, die, nach den gemachten Erfahrungen, künftig eine ebenso rasche als verhältnißmäßig billige Operation sein wird, sondern diese Erfahrungen selbst, von der Erprobung des besten Materials zu den Apparaten, bis zu den erforderlichen Stärken aller Eisentheile Taue, Befestigunsweisen etc., haben so bedeutende Summen aufgezehrt, daß, nach der Rückerstattung der zur Ermöglichung der Durchführung der Erfindung gewährten Creditsummen und der Abzahlung der Rückstände Herr Bauer für all sein Wagen, Ringen und Mühen von dem Erlöse für das Schif gar Nichts übrig bleibt.
    Es war ein Freudenruf durch ganz Deutschland, der die Hebung des Ludwig, den Triumphzug einer deutschen Erfindung auf dem Schwabenmeer verkündete; jeder brave Deutsche fühlte den Stolz der Ehre mit, die an der Schweizerküste ein kühner deutscher Geist errungen; so seien wir denn auch dankbar dafür! Ruhen wir nicht, bis wir unserm Wilhelm Bauer verliehen haben, was er im vollsten Maße verdient hat, für seinen deutschen Ehrensieg eine wirkliche und würdige Nationalbelohnung!
    Freunden und Bewunderern dieser Erfindung bietet sich eine neue Gelegenheit, ihre Theilnahme durch die That zu beweisen. Ohne Zweifel ist die Hebung des „Ludwig“ in der Geschichte der Erfindungen ein epochemachendes Ereigniß, das den Gegenstand der Hebung selbst zu einem historisch merkwürdigen macht. Da liegt’s nahe, daß Jeder, dem die Sache am Herzen lag, gern sich im Besitz eines „Andenkens vom Ludwig“ sähe. Das wünscht Hr. Bauer zu ermöglichen; er bietet hiermit alle aus dem Ludwig geretteten Gegenstände und alle zur Erhaltung des Schiffs nicht nöthigen Theile desselben, vom Küchengeschirre bis zum Nagel und Holzstück, mit seinem eigenhändigen Namenszug auf einen Zettel versehen und numerirt, zur Versteigerung an. Mögen nun aus allen Städten und Ortschaften, wo man für Bauer’s Taucherwerk sammelte, die Herren Sammler und Vereinsvorsteher mit ihrer Bestellung von einer genau anzugebenden Stückzahl von „Ludwigs-Andenken“ sich direct an „Herrn Submarineingenieur Wilh. Bauer in Rorschach am Bodensee“ wenden; und mögen die Versteigerungen sich überall eines glänzenden Erfolgs zu erfreuen haben!