Die Gartenlaube (1853)/Heft 2
No. 2. | 1853. |
Ein Mutterherz.
Dem prachtvollen Frühlingsmorgen folgte ein wonniger Maientag. Felicitas, welcher der nächtliche Traum wie ein stiller Segen in der Brust ruhte, war hinaussgeeilt in die Frühlingswelt. An ihrem Arme hing ein Körbchen, gefüllt mit nutzbaren Kleinigkeiten, mit welchen sie einige arme Familien zu erfreuen gedachte. Sie vertheilte heute in erhöhter rosiger Gemüthsstimmung ihre Liebesgaben und kehrte erst nach Lindenruh – unter diesem Namen war ihr freundliches Besitzthum in der ganzen Gegend bekannt - zurück, als die Sonne bereits hoch über den Bergen stand und ihre Strahlen stechend herniedersandte. Felicitas, um im wohlthuenden Schatten zu wandeln, schlug den Heimweg durch einen freundlichen Buchenwald ein, der sich längst dem Abhange eines Baches wie ein grüner Dom dahinzog.
An einem schönen Frühlingsmorgen durch einen Wald mit schattenreichem Laubholz zu wandeln, nichts geht darüber. Dieser prächtige Finkenschlag, bald von diesem bald von jenem Baume; dieses reizende Geschwätz der Grasmücke, und aus den Tiefen des Waldes der Ruf des einsiedlerisch verborgenen Kuckucks. In den grünen Aesten Eichhörnleins munter hin und wieder springend; Moos und Gebüsch balsamisch duftend, mit Thau befeuchtet, Waldeinsamkeit, rings Licht und Dunkelgrün in erquicklicher Abwechselung – Alles ruhend in schönem stillen Frieden.
Felicitas wandelte glückselig durch dies grüne Paradies, hie und da eine weiße und blaue Waldblume oder rothe Walderdbeere pflückend. Ihr Körbchen hatte sich ganz gefüllt, als sie das Ende des Waldes erreichte.
Schon blitzte Sonnengold durch die Baumwipfel, schon that sich die sonnenreiche Landschaft vor ihren Blicken auf, als die Aufmerksamkeit der einsamen Wandlerin durch eine interessante Scene in Anspruch genommen und ihr Schritt gehemmt wurde. Am Ende des Waldes, im wohlthuenden Schatten einer uralten Eiche, im hohen fetten Grase hatte sich eine arme Korbflechterfamilie gelagert; eine Mutter mit sieben Kindern, deren jüngstes, ein Säugling, ruhig an ihrem Busen schlummerte.
[10] Die Familie gewährte den Anblick eines kleinen Zigeunerlagers. Während zwei ältere Knaben beschäftigt waren, am Rande des Waldes Binsen zu schneiden, die hier in großer Menge vorhanden waren, vertheilte die Mutter Stückleins von hartem Brote, das Almosen mitleidiger Landleute. Ein achtjährig Mädchen war bemüht, einen alten irdenen Topf mit frischem Quellwasser herbeizuschleppen, das mit zum Frühstück diente. Ein kleiner vierrädriger Wagen, in welchem ein zweijähriges Kind saß, das sich, munter in die Händchen klatschend, den grünen Wald anschaute, und ein paar noch unverkaufte im Hintergrunde des Wägleins aufgespeicherte Weidenkörbe war der ganze Reichthum der armen Familie. Mutter und Kinder waren fast nur in Lumpen gehüllt. Das Frühstück war das frugalste, welches es geben konnte. Für die Kleinen mußten freilich die dürren Brotstücken erst in Wasser aufgeweicht werden, während die größern Kinder mit ihren jungen Zähnen, den Eichhörnchens gleich, die harten Brotrinden zu verarbeiten verstanden. Ein klein wenig Salz vertrat die Stelle der Butter. Das alte Sprichwort: der Hunger ist der beste Koch, bewährte sich auch hier. Das einfache Mahl ward mit Appetit und sichtbarem Wohlbehagen verzehrt und hatte auch noch das Gute, daß es der kleinen Familie wohl zu bekommen schien. Die Kinder, groß und klein, sahen alle gesund und munter.
Felicitas sah geraume Zeit aus ihrem grünen Versteck mit innigem Interesse der kümmerlichen Frühstückscene zu. Dann trat sie hervor und redete die kindergesegnete Mutter freundlich an.
Als die Kleinen die schöne Dame erschauten, die so plötzlich aus dem Waldesgrün trat, hielten sie dieselbe für ein überirdisches Wesen und versammelten sich furchtsam um ihre Mutter. Jetzt erwachte auch der Säugling und blickte mit seinen blauen Augen himmelgroß zu Felicitas auf. Dieser knickten aber beim Anblick des Kleinen fast die Knie; ein electrischer Strahl durchzuckte ihr ganzes Wesen. Das war ja das Kindlein, welches sie im Traume erschaut. Dieselben blonden Härchen, blauen Augen; dasselbe himmelvolle Aufschauen.
Wie alt ist das Kleine? frug Felicitas, nachdem sie sich in Etwas gefaßt hatte.
Sie wird nächste Woche das halbe Jahr, erwiederte die Mutter und drückte einen Kuß auf die Stirn des Kindes, das sie mit ihren Armen sanft hin und herwiegte.
Felicitas konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Kindlein in ihre Arme zu nehmen. Sie lies es sich von der Mutter geben und dasselbe ebenfalls hin und herwiegend, liebkoste sie es mit mütterlicher Zärtlichkeit. Das kleine Mädchen blickte auch so vertrauend zu ihr auf und verhielt sich so ruhig, gleichsam als wisse es, in welch´ guten Händen es sich befinde.
Felicitas erkundigte sich nach den nähern Verhältnissen der Korbflechterin. Es waren die allerdürftigsten. Der Vater, ein armer Steinbrecher im Gebirg, war bereits seit einem Jahr gestorben. Er hatte die kleine Marie, so hieß das jüngste Mädchen, nicht mehr gekannt. Die arme Familie war genöthigt gewesen, den Wanderstab zu ergreifen und sich theils durch Körbeflechten - der einzigen Kunst, die sie erlernt hatte - und theils durch Ansprüche an die Barmherzigkeit der Menschen ihr armselig Leben zu fristen. Oft freilich war mancher Abend herabgesunken, wo Mutter und Kinder hungernd ihr hartes Lager auf irgend einem Boden, in einer Scheuer oder Stalle suchen mußten. Doch grämten sie sich darüber nicht. Der Mangel war ihr Begleiter von frühster Jugend an gewesen; und der Hunger hatte für sie weniger Abschreckendes, sobald er nicht zu unerbittlich anklopfte. Auch hatten sie, so weit der Himmel schaute, unter dem sie dahin zogen, noch immer gute Menschen gefunden, die sich ihrer Armuth erbarmt und die hülfreiche Hand darboten. Selbst manch abgetragenes Kleidungsstück war ihnen von Zeit zu Zeit menschenfreundlich gereicht worden. So befand sich diese arme Familie fast ein Jahr schon auf ihrer Wanderung.
Im Sommer geht es, erzählte die arme Mutter, da ist die Erde so warm und die Sonne scheint so goldig; aber der Winter, der Winter, wenn der Sturmwind eisig über die Felder weht und der Schnee die Wege bedeckt, daß wir nicht wissen, wo die Schritte hinwenden und erstarren vor grimmiger Kälte.
Aber, gute Frau, frug Felicitas, die noch immer liebevoll das kleine Mädchen in ihren Armen wiegte, Ihr könnt doch nicht Euer Lebelang so durch die Welt ziehen. Ist es denn nicht möglich, daß Ihr in Eurer Heimath einen kleinen Haushalt gründen und Euch auf bessre Weise das Brot erwerben könntet?
Nein, liebe gnädige Frau, gab die Korbflechterin mit vieler Resignation zur Antwort, das ist nicht möglich.
Nennt mich nicht gnädig, sprach sanft Felicitas, kein Mensch, nur Gott ist gnädig.
Unsre Absicht war Anfangs, fuhr die arme Frau fort, einen kleinen Glashandel anzulegen; auch wollte die alte Muhme meines Mannes das Geld dazu hergeben; aber ein böser Advocat brachte sie noch in ihren alten Tagen um all das Ihre. Sie war, als sie starb, so arm wie wir.
Ein kleiner Glashandel glaubt Ihr, daß der Euch nähren würde? frug Felicitas.
Ein solcher, längst der böhmischen Grenze, läßt nicht zu Schanden werden, antwortete die Frau. Ja, wenn wir den hätten, fuhr sie fort, da wären wir glücklich; wollten das Korbflechten gern sein lassen und nie aus dem Gebirge herabkommen.
Und wie groß wäre wohl die Summe, die Ihr zu Anlegung eines solchen Handels bedürftet?
Ach Viel, sehr Viel, liebe gute Dame.
Ungefähr?
Unter einer Mandel[WS 1] Thaler würde es kaum gehen.
Felicitas, nachdem sie dem kleinen Engel, der zeither in ihren Armen geruht noch einen Kuß gegeben, legte ihn in die Arme seiner Mutter zurück. Bei dem Anblicke dieses Kindes aber und bei den Worten der Korbflechterin leuchtete, wie aus Himmelshöhen ein Gedanke durch ihre Seele.
Sollte mein Traum ein Wink voll Oben sein? frug sie sich; und nach längrer Pause sprach sie mildlächelnd zu der Korbflechterin: Ihr könntet mir Euer Kindlein hier lassen, gute Frau; ich selbst habe keine Kinder und würde wie eine Mutter dasselbe halten.
Die schöne Dame will sich einen Scherz mit einer armen Frau machen!
[11] Gewiß nicht, fuhr Felicitas lebhafter und wärmer fort; bedenkt, Ihr habt noch so viel Kinder, für die Ihr zu sorgen habt. Die Kleine bedarf noch so der Pflege und macht Euch doppelte Mühe. Seid versichert, sie soll bei mir weit besser aufgehoben sein und soll es weit besser haben, als es bei Euerm herumziehenden Leben möglich ist.
Die Korbflechterin schaute noch immer auf, als ob sie die Worte der fremden Dame für Scherz hielt und lächelte ohne ein Wort zu erwiedern.
Auch würde, fuhr Felicitas in sanftem, aber einem Tone fort, der die Wahrheit ihrer Rede nicht länger verkennen lies, mein guter Mann, der ebenfalls ein großer Kinderfreund ist, Euch so viel Geld geben, daß Ihr einen kleinen Glashandel anfangen und das armselige umherschweifende Leben aufgeben könntet.
Bei dem Worte Glashandel zuckte ein Freudenstrahl über das Gesicht der armen Frau. Der Gedanke an dieses Glück war zu groß, als daß sie ihn ganz zu erfassen vermocht hätte.
Felicitas, welche den Gemüthszustand der Korbflechterin sofort erkannte, fuhr in wohlwollendem und ermunterndem Tone fort: Es ist mein voller Ernst, gute Frau. Ich glaube wohl, daß Euch mein Antrag überraschend kommt; auch sollt Ihr Euch nicht sogleich entscheiden. Ueberlegt Euch die Sache, reiflich und wohl. Geht mit Euerm Verstande und auch mit Euerm Herzen zu Rathe.
Dort, sprach sie nach einer Pause, seht Ihr das schöne Landhaus, da wohne ich; da kommt hin heut Mittag mit all Euern Kindern, Ihr sollt ein gutes Mittagbrot erhalten. Ich gehe jetzt dahin, um es Euch bereiten zu helfen. Da sprechen wir weiter über meinen Vorschlag.
Mit diesen Worten reichte sie freundlich der armen Mutter, die noch nicht zu sich selbst zu kommen vermochte, und den übrigen Kindern, die sich jetzt vertrauensvoll ihr näherten, die Hand, blickte noch einige Augenblicke lächelnd auf das Kind ihres Traumes und kehrte, die Brust von wunderbarsten Gefühlen bewegt, längst eines grünen Kornfeldes nach Lindenruh zurück.
Binnen wenig Stunden nach der Frühstückscene am Waldesrande ward unter Anwesenheit einiger Gerichtspersonen vom benachbarten Landgericht in aller Form Rechtens einer der seltensten Verträge abgeschlossen. Georg war mit Freuden dem Wunsche seiner Gattin, die kleine Marie an Kindesstatt anzunehmen, entgegen gekommen. Mutter Martha - von der für sie außerordentlichen Summe von Funfzig blanken Reichsthalern geblendet - entsagte allen Rechten und Ansprüchen auf ihr Kind. Zugleich erhielt sie Reisegeld, damit sie ohne Sorgen ihre Heimath erreichen konnte. Kinder und Mutter wurden in der Eile nach Kräften ausstaffirt, freundlich gepflegt, gespeist und getränkt, so daß die arme Familie behaupten konnte, in ihrem Leben keinen glücklichern Tag verlebt zu haben.
Georg selbst hatte sich auf´s Pferd geworfen und war in der Gegend nach einer Amme umhergeritten. Alle weiblichen Hände in Lindenruh wurden in Bewegung gesetzt, Klnderwäsche anzufertigen und ein weiches warmes Bettchen zu bereiten, Felicitas selbst in wahrhaftem Gottvergnügtsein that alles Mögliche, ihrem kleinen Lieblinge den neuen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.
Am andern Morgen trat die kleine Caravane, nachdem sie noch ein wackeres Frühstück eingenommen und das Wäglein mit Mundvorrath aller Art reichlich versehen war, ihre Reise nach der Heimath an.
Mutter Martha, obschon sie ihr Lebelang nicht auf so weichem und angenehmem Lager geruht, hatte gleichwohl eine ziemlich unruhige Nacht gehabt. Der plötzliche Glückswechsel auf der einen und die Hingabe ihres Kindes auf der andern Seite, erfüllten ihre Brust mit den sich widersprechendsten Gefühlen. Der Abschied von ihrer kleinen Marie war eine ergreifende Scene zärtlicher Mutterliebe. Thränen entströmten ihren Augen und sie vermochte sich gar nicht von ihrem Kinde zu trennen. Erst nach langem liebevollen Zureden von Seiten Georg's und seiner Gattin, gelang es, die gebeugte Mutter zu beruhigen und aufzurichten. Nachdem sie nochmals ihr Kind an's Herz gedrückt und mit Küssen bedeckt hatte, nahm sie Abschied, für die großen Wohlthaten dankend; und bald sah man die arme Familie mit ihrem Wäglein durch die grünen Kornfelder gen Süden ziehen.
Aber je weiter das gastliche Dach zurückwich und je ferner seine grünen Jalousien daher schauten, desto schwerer ward das Herz der armen Mutter. Aller fünf Minuten blieb sie stehen und schaute zurück nach dem Hause, wo ihr kleiner Liebling weilte. Die ältern Kinder, denen der Verlust des kleinen Schwesterchens weniger zu Herzen ging, waren bemüht, die weinende Mutter zu trösten.
Wie gut hat es Mariechen, sprach Christine, die älteste, weit besser als wir. Denke nur das weiße, weiche Bettchen, in welchem sie schlief, und die schöne blaue Stube, worin sie wohnte, und wie alle Leute sie so lieb hatten.
Bei solchen Worten trocknete sich zwar Mutter Martha die Augen, aber es währte nicht lange, da blieb sie wieder stehen, schaute zurück und von Neuem füllten sie sich mit Wasser.
Während aber die arme Mutter mit ihren Kindern trauernd dahin zog, gab es in Lindenruh reges und freudiges Leben. Der kleine Ankömmling hielt das ganze Haus in Bewegung. Am glücklichsten war Felicitas. Wie oft nahm sie die Kleine aus den Armen der Amme und schwebte mit ihr tänzelnd und liebkosend auf und ab. Auch Georg nahm den herzlichsten Antheil und pries den glücklichen Zufall, welcher so unverhofft den kleinen Engel in´s Haus geführt hatte.
Am andern Morgen saßen die beiden Gatten in dem mit schönen Landschafttapeten geschmückten, freundlichen Frühstücksalon, von wo man die herrliche Aussicht längst des Thales und nach den grünen Waldbergen hatte. Die kleine Marie schlummerte noch süß in ihrem Bettlein. Bereits hatte Felicitas wiederholt der kleinen Schläferin einen Besuch abgestattet und sich mit stillem, ächt weiblichem Entzücken an den unschuldvollen Zügen des träumenden Kindesantlitzes geweidet. Sie theilte jetzt Georg ihren weisen Erziehungsplan mit: wie sie dies Kind körperlich, sittlich und geistig herauszubilden gedachte. Sie träumte sich Marien schon als heraufblühendes Mädchen, wie sie dasselbe in allem Guten und Schönen mütterlich unterrichten wollte, [12] und war ganz glücklich in diesen Zukunftplänen, als Katharina, die Wirthschafterin etwas betreten in den Salon trat.
Frau Martha, berichtete sie, steht draußen mit verstörtem Antlitz und beschwört um Gotteswillen, vor den Herrn und die Madame gelassen zu werden.
Eine Ahnung floh bei diesen Worten durch Georg’s Seele, und von derselben Ahnung ergriffen, begann Felicitas zu zittern und erbleichte sichtlich.
In demselben Augenblicke schwankte Martha herein. Ihr Auge war starr und thränenlos. Sie sank, ohne ein Wort zu sprechen, auf die Knie; die funfzig blanken Thalerstücke, die sie in der Schürze trug, rollten dahin auf dem glatten Parketboden und mit einem Tone, wie ihn nur ein gequältes Mutterherz hervorzubringen vermag, rief sie: Hier haben Sie Ihr Geld, geben Sie mir mein Kind wieder!
Und nach einer Pause:
Ich habe gerungen und gebetet – es half Alles nichts. Ich will arm bleiben – aber geben Sie mir mein Kind wieder!
Und zu Felicitas gewendet, die unvermögend ein Wort zu erwiedern, im Sopha zurückgesunken war:
O Sie himmlisch gute Madam – vergeben Sie – aber Sie haben kein Kind – Sie wissen nicht, wie es – sie deutete auf's Herz – hier wehe thut, wenn eine Mutter ihr Kind hergeben soll.
Als der Abend nahte, zog Martha mit der kleinen Marie wieder hinaus in die ferne, fremde Welt. Aus dem liebevollsten, freundlichsten Asyle ward das Kindlein wieder hinausgetrieben; aller Wahrscheinlichkeit nach wieder der Armuth und dem Elende entgegen. Zwar hatte Georg, gerührt von der Mutterliebe der armen Frau, die lieber auf eine in ihren Augen außerordentliche Geldsumme, lieber auf die Aussicht einer glücklichen Zukunft, als auf ihr Kind verzichtet, die funfzig Thaler nicht wieder zurückgenommen; auch versprochen, der armen Familie ferner zu gedenken, falls sie sich seiner Wohlthaten würdig erweise – gleichwohl blieb das Schicksal des Kindes, dem einen Augenblick lang ein so glücklicher Stern geleuchtet, einer nur zu unsichern Zukunft preisgegeben.
Lange schauten Georg und Felicitas, von ihrem Altane der dahinziehenden Mutter nach, die zwar arm am irdischen Gut, aber reich an Liebe für ihr Kind, dasselbe innig an ihre Brust gedrückt, wieder mit sich nahm. Sie blieb oft stehen und winkte dankend mit der Hand zurück, bis sie hinter einem rothblühenden hochaufgewachsenen Kleefelde, um das sich der Pfad bog, den Nachschauenden verschwand. Martha wanderte nach einem unfernen Dorfe, wo ihre Kinder sie erwarteten.
Georg aber umarmte sein Weib mit der theilnehmendsten Innigkeit. Arme Felicitas, sprach er sanft und küßte eine Thräne von ihrer Wange, Gott hat es nicht gewollt. Er schenkte Dir einen wunderschönen Traum, aber es sollte nur ein Traum bleiben. Ach setzte er nach einer Pause düster hinzu, unser ganzes Leben ist ja nur ein Traum.
Dem ein schöneres Erwachen folgen wird, flüsterte Felicitas wie von einer Ahnung durchweht und schaute lange hinaus in den Frühling, der immer abendlich röther wurde, während die Abendglocken des Thales fromm zu läuten begannen.
Und der Traum sollte zur Wahrheit werden und ihr höchster Erdenwunsch sollte in Erfüllung gehen. Als die Gipfel der Waldberge sich herbstlich zu röthen begannen, die Schwalben auf dem hohen Giebeldache von Lindenruh ihre baldige Abreise beredeten und in dem Garten die letzten Georginen ihre Blüthen aufschlossen, vertraute Felicitas erröthend ihrem Gatten das seligste Geheimniß ihres Lebens. Wer beschreibt die Seligkeit der Glücklichen, und doch, – was ist selbst das höchste Glück hienieden!
Als die ersten Lerchen den nahenden Frühling verkündeten, genaß Felicitas eines Mädchens. Doch nur wenige Stunden sollte ihr hienieden vergönnt sein, das Glück der Mutter zu empfinden. Der Himmel nahm sie zu sich, sanft, wie sie gelebt, würdig einer schönern Welt. Mit verklärtem Lächeln reichte sie dem an ihrem Lager niedergesunkenen Georg die Hand zum Lebewohl für dieses Leben. – Es war dieselbe Stunde, wo wieder die Abendglocken durch das Thal hallten, so ahnungsvoll, so Frühling verkündend.
Ihre jahrelange Sehnsucht war erfüllt, ihr jahrelanges Gebet ward erhört – aber sie mußte das heißersehnte und heißerbetete Geschenk des Himmels mit ihrem Leben bezahlen. Also bestürmen wir armen Sterblichen so oft den Himmel um Gaben, die nur zum Verderben uns gereichen. Ja Vater im Himmel, unerforschlich, doch weise sind deine Wege.
Georg's Kindlein folgte seiner Mutter noch am selbigen Tage. Wo hätte es auch hienieden eine solche Mutter gefunden.
Der bejammernswerthe Gatte und Vater war der Verzweiflung nahe. Nach Jahr und Tag war der einst so rüstige und lebensfrohe Mann kaum mehr zu erkennen. Ein organisches Brustleiden, das lange in ihm geschlummert, kam zum Ausbruch. – Er ruht bereits seit manchem Jahre [13] an der Seite von Felicitas und seinem Kind auf einem stillen Friedhofe im Thale der Mulde.
Und was ist aus Martha geworden, dem treuen Mutterherzen, und der kleinen Marie?
Georg hatte auf das väterlichste für die arme Familie gesorgt. So ward der guten Martha das Glück und die Freude, ihre Kinder alle wohl versorgt zu sehen und sie selbst konnte sich eines sorgenlosen Lebensabends erfreuen.
Marie, der kleine Liebling der Felicitas, war besonders begünstigt worden. Durch die Fürsorge Georg’s genoß sie eine sorgfältige Erziehung; und als die Zeit des Brautkranzes gekommen, war auch für eine stattliche Aussteuer Sorge getragen. Marie lebt noch heut als die geliebte Hausfrau eines wackern Schulmannes in der Gegend von G.
Von Lindenruh selbst ist keine Spur mehr vorhanden. Sogar der Name ist verklungen. Aus den Fenstern, deren grüne Jalousien einst so freundlich hinausleuchteten über die gesegnete Gegend, schauen jetzt bleiche Fabrikgesichter. Wo die alten Linden ihre grünen Arme gastlich ausbreiteten, braußen Dampfmaschinen, und in dem Garten, wo Felicitas ihre Blumen baute, thürmen sich Steinkohlenhaufen, aufgespeichert zum Gebrauch für die zahlreichen Hohöfen.
So verweht Alles! Und nur wenn an schönen Sommerabenden, nach des Tages Arbeit und Schwüle, die armen Leute vor ihren Hütten sitzen, klingt wie eine fromme Sage das Andenken an Felicitas durch ihre einfachen Gespräche.
Ja von dieser Felicitas konnte man wohl mit des Dichters Worten sagen: „Vom Himmel war sie gekommen, auf Erden hat sie gelebt und in den Herzen der Armen war ihr Grab.“
Ein Quartier des Elends und der Arbeit.
Mann des Ostens, der du einmal herüber gekommen bist aus den freundlichen Städten längs der deutschen Flüsse, an die nebligen Ufer der Themse, der du Englands Institute, seine Verkehrsthätigkeit und Industrie bewundert hast – hat dich nie dein Weg nach Spitalfields, dem Quartiere der Londoner Seidenweber geführt? Vielleicht hast du davon schon gehört, daß es auf irgend einer Seite dieser Hauptstadt, gegen Osten hin gelegen, einen verworrenen Knäul schmutziger, häßlicher Straßen gibt, die sich wie schwarze Laufgräben kreuzen, wo kränklich fahle, ungeschorene, beschäftigungslose Weber herumschleichen, oder brütend auf den Thürschwellen kauern, oder an Steinpfosten lehnen, oder auch gelegentlich zu einem sogenannten Meeting zusammenkommen, um eine Petition an die Königin aufzusetzen, daß sie die Landesfabrikate vom Untergang, und Tausende ihrer Unterthanen vom Hungertode rette? daß dann zuweilen ein Hofball oder eine Abendgesellschaft in Folge dieser Petition veranstaltet wird, wo alle großen Damen des Hofes in Seidenstoffen von Spitalfields gekleidet erscheinen? daß dann die armen Weber, süßer Hoffnungen voll, ein, zwei Tage lang lustig zechen, um nach Verlauf derselben wieder verzweiflungsvoll durch ihre schwarzen Straßen zu schlendern, oder brütend auf den Thürschwellen zu kauern, oder an den Steinpfosten zu lehnen, um zu verkümmern? Hast du nie davon gehört? Bist du nie in jene Gegend gedrungen? Nun wohl, dann wollen wir den Gang mit einander wagen, wenn dich’s nach dieser wenig einladenden Einleitung noch gelüstet.
Kaum haben wir von dem allerbelebtesten Theile Bishopgates’s nach den östlich gelegenen Seitenstraßen eingelenkt, so befinden wir uns in einem öden, wagenleeren Revier, vor dem grünen Kirchhof zu St. Maria, dem einzigen Ueberbleibsel des großen Klostergrundes, der jetzt mit Häusern überbaut ist. Letztere sind in historischer Beziehung nicht ohne Interesse. Seit der Zurücknahme des Edicts von Nantes im Jahre 1685 sind dies die Hauptwohnsitze der französischen Hugenotten, welche die Treulosigkeit Ludwig XIV. aus ihrer Heimath vertrieb, und die Hauptwerkstätten der durch diese Flüchtlinge herübergebrachten Seidenmanufactur. Wo früher der Weihkessel geschwungen wurde, haust jetzt das Weberschiffchen. Trotzdem hat die Klosterstätte mitsammt ihrer unmittelbaren Umgebung, ihren düstern, religiösen, asketischen Anstrich nicht verloren.
Sehn Sie dort das Haus an der Ecke? Wir wollen in diesem unsern ersten Besuch abstatten. Auf dem Platze, wo es steht, hat vor zweihundert Jahren die Kanzel gestanden, und von derselben herab predigten die Mönche an jedem Ostermontage und Dienstage in Gegenwart des Lord Majors vor dem versammelten Volke und den Kindern des Kirchspiels.
Wir treten in eine dunkle Hausflur. Ueber eine schlechterleuchtete Treppe, durch eine wurmstichige Thüre gelangen wir in ein Gemach, das weder licht noch groß und noch viel weniger behaglich ist. Seltsame Erkerfenster, alterthümlich aussehende Holzschnitzereien, massive Steinkamine; an den Wänden hochhinaufreichende Schränke, mit zierlichen Thüren, massiven Schiebern und tiefen Schiebladen; Schreibtische hinter hölzernen Schranken; verwickelte Kreuzgänge mitten durch Stöße von papierumwickelten Waaren, die in allen Farben des Regenbogens aus den Ecken der Verpackungen herausschauen. Dabei eine Todtenstille wie in einer Kirche um Mitternacht, oder wie in einem Spielhause bei Tagesanbruch. Denn in dem großen Gemache ist, mit Ausnahme eines wohlgekleideten müßigstehenden Mannes, eines Trägers, der gleichfalls unbeschäftigt auf einem kleinen Waarenballen zwischen zwei größeren sitzt, und einer Katze die dicht vor dem Kohlenfeuer in stille Anschauung ihrer Vorderpfoten versunken ist, kein lebendes Wesen. –
Die Thüre ist lautlos hinter uns in’s Schloß gefallen. Noch immer dieselbe Stille wie in einer Quäkerversammlung oder in einem höheren Regierungsbureau, bis endlich [14] der Mann am Schreibtische die Augen aufschlägt, sich durch das Labyrinth von Ballen, Schreibtischen und Bureauschranken durchwindet, und uns auf unseren schüchternen Gruß, dem eine Entschuldigung wegen unserer ungelegenen Störung nachhinkt, erwiedert, wir hätten uns nicht geirrt, es sei dies ganz richtig das Seidenwaarenlager, welches wir zu sehen gewünscht; ein Waarenlager, von dem uns früher ein glaubwürdiger Kaufmann versichert hatte, daß in demselben durch’s Jahr nicht weniger denn um 100,000 L. Strlg. Geschäfte gemacht werden.
Lassen Sie uns offen gestehen, daß wir beim Anblick dieser geschäftslosen Stille gegen die Angaben unseres befreundeten Kaufmannes Mißtrauen zu fühlen anfangen. Aber wir sollen bald in die Lage kommen, ihm Abbitte zu thun.
Die wurmstichige Thüre, durch die wir hereingekommen waren, öffnet sich wieder, und in die Stube tritt bedächtigen Schrittes ein Mann mit sorgfältig gebürstetem Hut, tadellosen Vatermördern und elegantem Frack, grüßt, frägt den Herrn des Schreibtisches wie es ihm gehe, zieht dabei langsam einen Handschuh aus, spricht über’s schöne Wetter, Alles als ob er blos dieser wichtigen Sachen wegen gekommen wäre, und deutet zuletzt, so nebenbei in Parenthese, so wie mit einer Art von Postscriptum, auf einen Stoß von Seidenstoffen, und frägt einfach:
„Die Nummer, Sir?“
„Zwei und Sieben,“ antwortet der Verkäufer. „Wie viel Stück soll ich bei Seite legen?“
„Fünfzig. Apropos, haben Sie gehört, daß unser Mr. Smith von uns fortgeht? Sonderbarer Mensch. Nun, guten Morgen, Mr. Bradelle.“ Ein Hutlüften für uns, und hinaus ist er zur Thür.
„Das ist einer unserer stärksten Kunden,“ bemerkt Mr. Bradelle.
„Ein Kunde? Nennen Sie das einen Kunden?“
„Ja wohl, Sie waren ja eben gegenwärtig, wie er fünfzig Stück Seidenzeug von gut assortirten Couleurs aussuchte.“
„Nun wahrhaftig, vom Aussuchen haben wir nichts gemerkt. Und was sagten Sie ihm mit Ihrem räthselhaften Zwei und Sieben?“
„Das war der Preis. Zwei Schilling und sieben Pence das Yard. Jedes Stück hält deren vier und achtzig.“
„So hat denn Ihr Kunde in dieser Schnelligkeit – lassen Sie uns sehen – beinahe um sechstausend Gulden Waare gekauft? Ohne Feilschen, ohne die Qualität zu untersuchen, ohne Ihren Artikel herunterzumachen. Herr, wie kömmt das?“
„Unser Geschäft“, erläutert Mr. Bradelle, „ist nach einem Prinzipe organisirt, das uns gestattet, mit möglichst wenigen Worten und in möglichst kurzer Zeit unsere Geschäfte abzumachen. Der Herr, der eben hier war, ist der Seideneinkäufer für Treacy u. Comp. Die Seideneinkäufe dieser großen Firma sind diesem Herrn so ganz und so unbeschränkt anvertraut, als wäre das Geschäft sein eigenes. Andere Individuen besorgen auf gleiche Weise den Einkauf von Wolle, Baumwolle, Cottonen u. dgl. Am Ende eines jeden halben Jahres legen sie ihrer Firma Rechnung ab, und wird durch die Bilanz nachgewiesen, daß das Zweiggeschäft, in dem der Eine oder Andere verwendet wird, nicht florirt hat, so wird die Stellung desselben gefährdet. Die Prinzipale wissen es ganz genau, und können es schwarz auf weiß nachweisen, ob die Schuld an der Geschäftsconstellation oder am Verkauf, oder endlich am verfehlten Einkauf gelegen war. Hat im entgegengesetzten Falle der Einkäufer den Geschmack des Publicums getroffen, war er geschickt genug, die gangbarsten Muster auszuwählen, und hat er überhaupt preiswürdig eingekauft, indem er z. B. die Geldverlegenheiten eines Fabrikanten oder eine französische Reise zu benützen verstand, (denn er darf die heimische und auswärtige Politik keinen Augenblick außer Augen lassen), und zeigt es sich auf die eine oder andere Weise, daß er bei der halbjährigen Abrechnung seinem Hause einen guten Profit eingebracht hat, dann ist für ihn die Chance vorhanden, daß sein Gehalt erhöht wird. Trifft sich das zwei-, dreimal, dann bekömmt er überdies noch Prozente vom Gewinn.“
„Alles recht, aber der Mann hat ja Ihre Waare, wie die Katz’ im Sack gekauft. Er hat sie ja nicht eines Blickes gewürdigt.“
„Das ist eben das Resultat langer Praxis und Erfahrung. Das ist die Kunst, seine Kunst zu verbergen. Der Mann, den Sie hier gesehen haben, der – glauben Sie mir – braucht meine Artikel nicht erst anzusehen. Der kennt meine Farben bis in die letzte Nuance und die Qualität meines Fabrikates bis in die Einschlagfäden hinein.“
„Aber der Preis, lieber Herr! Wir dürfen doch wohl vermuthen, daß Ihr Kunde von hier aus noch andere Magazine von Spitalfields besucht. Während wir hier reden, hat er seine Firma vielleicht schon in eine neue Schuld von ein paar tausend Pfund hineingerannt?“
„Sehr wahrscheinlich!“
„Nun wohl. Nehmen wir den Fall an, Ihr Nachbar offerirte ihm dieselbe Gattung von Seidenstoffen, in gleich guter Farbe und Qualität wie die Ihrigen, um einen niedrigeren Preis, könnte er da nicht – da Sie doch nichts Schriftliches in Händen haben – die eben gemachte Bestellung absagen?“
„Zu spät,“ antwortete Herr Bradelle, und nimmt dabei eine Lamartine’sche Stellung an, die den Franzosenabkömmling durchblicken läßt – „zu spät! Der Verkauf ist abgeschlossen, und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Der Abschluß ist so sicher, als ob er auf Pergament geschrieben und durch ein Dutzend Zeugen bekräftigt wäre. Des Einkäufers Existenz und die meinige beruhen auf der gewissenhaften Einhaltung unserer Verbindlichkeiten. Heute Nachmittag schicke ich ihm seine Ballen, und ich sehe die Kassenanweisung so deutlich vor mir wie den Zinstag.“
Sieht man diese Art der Geschäftsführung, die ungeheuren Capitalien, welche umgesetzt werden, die reichen Lager von Atlassen, Taffeten, Brokatstoffen, Damast und anderen Seidenzeugen, und hört man dagegen den oft genug ertönenden, herzdurchbohrenden Schrei der Armuth, der sich, wie ein Nothschuß an den Meeresklippen, an den Steinpalästen des Westendes bricht, wenn er aus dem Quartier der Noth überhaupt in das Quartier der Eleganz je hinüberreicht, dann weiß man wahrlich kaum, wie man diese beiden Gegensätze in Gedanken neben einander ordnen soll. Lassen Sie darüber unseren nüchternen Freund Bradelle sprechen. Er scheint die Sache zu verstehen, und äußert sich darüber folgendermaßen:
[15] "Obwohl der größte Theil der Meister in diesem Viertel ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat und die Weber desselben beschäftigt, haben daneben doch beinahe alle ihre Factoreien in den Provinzen, hauptsächlich in Lancashire. Die Weber von Spitalfields können in der Herstellung von Sammt und glatten Seidenstoffen unmöglich gegen die billigeren Arbeitslöhne und die potenzirte Kraft der Maschinen ankämpfen. Sie krümmen sich unter dem Drucke einer unverhältnißmäßig großen Uebermacht. Wollen Sie ein paar Schritte um die Ecke machen? Dort können Sie mit eigenen Augen eine Familie in diesem hoffnungslosen Kampfe begriffen sehen."
"Und ist keine Hülfe möglich?" fragen wir, indem wir zusammen die Treppe hinabsteigen.
"O ja," lautet die Antwort. "Auf dem Lande, z. B. in Suffolk, wo wir eine Fabrik für Handweber errichtet haben, gibt es bessere und billigere Nahrung, für die Lungen sowohl wie für den Magen."
"Sie meinen wohl, die bessere Luft würde das viele Trinken ersparen?"
"Allerdings. Denken Sie sich den ganzen Tag über in eine dumpfe Stube eingeschlossen, wie da Ihr Körper nach vierzehnstündiger Einathmung einer schlechten, ungesunden, mit Miasmen aller Art geschwängerten Atmosphäre zusammenknicken würde - daneben die harte Arbeit selbst; und bedenken Sie auch, was für Selbstverläugnung dazu gehören müßte, sich vom Genusse eines stimulirenden Getränkes - eines Glases schlechten Wacholderbranntweins allenfalls - zu enthalten. Andrerseits aber hat man die Erfahrung gemacht, daß die frische Luft, die um den Webestuhl auf dem Lande weht, allein genügt, den Arbeiter zu kräftigen, und ihm den Branntwein zu ersetzen."
"Die Londoner Luft soll, wie man sagt, dem Fabriksarbeiter an und für sich schädlich sein. Ist das wahr?"
"Du lieber Gott", erwiedert Herr Bradelle, und bleibt, sich auf seinen Stock stützend, eine Minute stehen, "die beiden schweren Nebeltage im December Anno fünfzig waren für unsere Firma ein reiner Verlust von hundert Pfund Sterling. Der schwarze Gott sei bei uns, der doch in der ganzen Welt weiter nicht so schwarz als in London zu finden ist, fraß sich in die weißen Atlasse hinein, und trotz aller Vorsicht unserer Arbeiter sahen sie am nächsten Tage grau wie Trauerstoffe aus. Zwölf Stunden später, und sie waren ärger als grau: schmutzig, fuchsig, unverkäuflich. Man konnte sie nicht einmal mehr anständig färben. Zufällig hatte ich eine Bestellung abzuliefern; da schickte ich nach unserm Etablissement in Suffolk, um die Lücke auszufüllen, und sieh' da, meine weißen Atlasse an demselben Tage wie die in London gearbeitet, kamen herein weiß wie gefallener Schnee." – –
Mr. Bradelle's einfache, schlichte Erzählungsweise gibt Stoff genug zum Nachdenken, nicht allein über das Schicksal der arbeitenden Classen in London, sondern in allen Fabrikstädten überhaupt. Wenn man bedenkt - und wir wollen unsere Reflexionen nicht über Spitalfields hinausschweifen lassen, - wenn man bedenkt, wie viel der Arbeiter und dessen Erzeugnisse durch die unpassende Lage seiner Arbeitsstube zu leiden haben, muß es geradezu unbegreiflich scheinen, daß die Weber selbst nicht alles Mögliche aufbieten, aus dieser beeinträchtigenden, schädlichen Atmosphäre hinauszukommen, zumal da ihre Arbeitgeber sie dabei gerne unterstützen würden.
Vierzehn bis siebzehntausend Webestühle stecken in den eilf- oder zwölftausend Häusern von Spitalfields, obwohl in diesem Augenblicke kaum mehr denn neun- bis zehntausend davon im Gange sind. Durchschnittlich stehen siebzehn solcher Häuser auf einem (engl.) Acker Landes, während die Durchschnittszahl im übrigen London ungefähr fünf und ein Fünftheil per Acker beträgt. Somit hat Spitalfields die bei weitem gedrängteste Bevölkerung. Innerhalb seiner beschränkten Grenzlinie leben nicht weniger als 85,000 Menschen eingepfercht.
"Aber," sagt Freund Bradelle, "unsere Weberfamilien sind so sehr in einander verschlungen, so sehr durch Verschwägerung, Freundschaften, Vorurtheile und Schulden an dieses Quartier gekettet, daß sie, trotz aller Vorschläge ihrer Arbeitgeber, ihnen Wohnungen auf dem Lande zu verschaffen, es bis auf den heutigen Tag vorgezogen haben, in diesem elenden Stadtwinkel ihre wahrhaft unglückliche Existenz fortzuführen. Spitalfields war die Nekropolis Londons zu Zeiten der Römer. Die officiellen Todtenlisten weisen nach, daß es die habgierigste Grabstätte des modernen Londons ist. In diesem Quartier ist die Sterblichkeit größer als in irgend einem Kirchspiel unserer Hauptstadt." – –
Und wie fremdartig die Straßen aussehn! Diese hohen schornsteinähnlichen Häuser, mit den vielen Fenstern in den obern Stockwerken, - sehn sie nicht wie die Häuser einer fremden Stadt aus, mit Ausnahme des Rußes, der ihnen sehr verschwenderisch zugetheilt ist? Beinahe könnte man glauben, die flüchtigen Hugenotten hätten ihre Wohngebäude und Straßen mit sich über's Meer genommen, und sie hier wieder aufgebaut. Und diese Menge kleiner Kramläden! Wozu denn diese alle offen sein mögen? Es ist ja nichts zu verkaufen darinnen! Ein paar kleine Bündel Holz zum Feueranmachen um einen halben Penny, ein Kinderdrache um einen halben Penny; ein Lederball um den vierten Theil eines Penny, das heißt hier ein Laden. Eßwaaren tragen ihren Werth in sich selber, die braucht man nicht erst auszustellen. Mögen die Brotlaibe noch so schwammig sein, noch so schmutzig übereinander in des Bäckers Laden hängen, am Ende ist's doch Brot, und das ist die Hauptsache. Ochsenleber, Talglichter und Kalbsköpfe, gräulich marmorirte Würste und sandige schwarze Kuchen sind auch ohne Verzierung sehr lockende Artikel, nach denen die Mäuler von Spitalfields lüstern sein würden, und wären sie auch noch viel häßlicher und unschmackhafter als sie sind. -
"Aber sieh' da, auch in diesem Quartier des Elends ein Stück Literatur! kauft denn der Arme diese alten, erbärmlich colorirten Blätter und schmutzigen Holzschnitte, die dort am Ladenfenster angeklebt sind? Setzt er sich nach vierstündiger Arbeit an’s Kohlenfeuer hin, um diese abscheulichen Machwerke durchzulesen, um sein sorgenverzehrtes Herz mit diesem Abhub französischer und englischer Literatur aufzufrischen?"
"Ich kann's Ihnen wahrhaftig nicht sagen," erwidert Mr. Bradelle, "wir wissen sehr wenig von ihrem häuslichen Treiben. Sie leben unter sich abgeschlossen, und sind unser Einem gegenüber sehr argwöhnisch. Einmal [16] haben wir's versucht, Handwerker-Institute zu gründen, aber sie wollten niemals recht gedeihen."
"Ist denn keine Schule im Kirchspiel?"
"Ja wohl, wir stehen eben davor."
Das ist ein altes Gemäuer, eingepfercht zwischen andern Mauern, düster, unheimlich, raumbeengt. Zur ebenen Erde eine Art Kleinkinderbewahranstalt, wo die Kleinen sich gähnend die schmutzigen Nasen reiben, oder in den schlechtgepflegten Haaren kratzen. Elementarschüler - daß Gott erbarm’ - im ersten Stockwerk. Und darüber unter’m Dach eine breite, lange, niedrige, lichte Stube, das ist die höchste Classe, die sogenannte ragged school (die Lumpenschule).
"Verhüt’ es der Himmel," seufzt Herr Bradelle, "daß alle diese Jungen Weber, und all’ diese kleinen Mädchen ihre Weiber werden. Wir vermehren uns nicht allzusehr - fährt er nach einer Pause fort - der Eine wird Soldat, der Andere Matros, und Mancher wandert aus. Und die Eltern dieser Kinder! Wollen Sie ein Stück Elend sehen? Treten Sie mit mir in diesen Thorweg ein."
Eine enge Wendeltreppe hinauf, wie man sie in Lyon und in den ältesten Stadttheilen von Edinburg sieht - ein Strick als Geländer - statt der Teppiche Schmutz - Gestank statt der Luft - eine wacklige Thüre - kein Schloß - eine graue nackte Stube - vier Webstühle - vier Menschen, von denen drei emsig arbeiten - wir sind am Ziele.
Ein blasser hohläugiger Mann, der in Hemd und Unterhosen arbeitet, läßt seinen Webstuhl bei unserem Eintritt stille stehen. Er ist der Herr der Stube, ein Irländer von Geburt.
"Guten Morgen, Meister!"
"Guten Morgen, Gentlemen!" und fährt mit einem löchrigen, abgeschossenen Cattuntuch über sein unrasirtes Kinn und den mächtig hervorspringenden Kehlkopfsknorpel.
"Wir wandern eben durch Spitalfields. Wollt Ihr uns erlauben, Eure Arbeit anzusehen?"
"O gewiß."
"Ihr habt da etwas Schönes eingespannt. Schwarzen Sammet, he?"
"Ja, Herr. Und jedesmal, wenn ich das Schiffchen werfe, schneid' ich hier den Draht ab und leg’ ihn dort wieder ein. So - - jetzt können Sie’s sehn." - Der Stuhl rauscht und knarrt, der Arbeiter sieht uns mit seinen hohlen Augen an.
"Das ist eine langsame Arbeit."
"Ja wohl langsam." - Wieder ein Blick auf uns, und dabei ein rauher, trockener Husten.
"Und auch eine schwere Arbeit?"
"Ja wohl schwer" - und wieder der schreckliche Hustenton. Nach einer Weile, als er bemerkt, daß uns seine Arbeit interessirt, hält er wieder inne, und die Hand auf die schmale Brust legend, sagt er mit forcirter lauter Stimme - denn er ist gewohnt, das Klappern seines Webstuhls zu überschreien -
"Das greift die Brust an, meine Herren, so seine vierzehn bis fünfzehn Stunden in Einem fort vorwärts gebeugt liegen."
"Arbeitet Ihr denn so lange?"
"Glücklich, wenn ich kann. Ein Tagwerk, wie das hier, ist seine drei Schilling werth."
"Also achtzehn Schilling die Woche?"
"Ja, wenn’s immer wär’! Aber’s ist nicht immer. Eine Woche in die andere gerechnet, kommen auf jede wohl zehn Schilling bis zehn Schilling und sechs Pence."
"Ist das Mr. Bradelle’s Stuhl?"
"Ja Herr, und der andere auch, der dort feiert."
"Und der zweite, an dem Ihr Kamerad arbeitet?"
"Gehört einer andern Partei. Der junge Mensch zahlt mir einen Schilling wöchentlich, daß ich ihn bei mir arbeiten lasse, und der Schilling kömmt bei der Hausmiethe zu gut. Ist nicht wohlfeil meine Herren. Eine halbe Krone (21/2 Schill.). Aber dafür ist die Stube auch groß --"
"Und am andern Stuhl? Ist das Ihre Frau?"
"Ja, das ist mein Weib. Sie arbeitet in ordinäreren Sorten, für Hauben und dergleichen."
Und wieder klappert und schnarrt der Webstuhl. Und wieder liegt der hagere Mann über den Holzcylinder gebeugt.
Am Fenster neben ihm hängt ein alter Vogelbauer mit einem Zeisig darin. Der schreit und zwitschert, wenn der Webstuhl in Bewegung gesetzt wird, und schweigt, wenn Letzterer stille steht. Wahrscheinlich ist der Webstuhl seinen Ohren ein musikalisches Instrument. Das Fenster selbst, schlecht verschlossen und nothdürftig mit Papier verklebt, gewährt eine weite Aussicht über die Dächer der Nachbarschaft, über Ziegel, Giebel, Erker, Rinnen und ein Labyrinth von thönernen Schornstein-Aufsatzröhren. Mühsam winden sich die Strahlen der blassen Londoner Lügensonne durch alle diese Hindernisse, die ihr im Wege stehen, in Rauch und Nebeldunst bis zum schmalen Fenster hin. Ein vereinzeltes Strahlenbüschel hat eben den Weg in die Stube gefunden; es gleitet über das fahle Angesicht des Webers, um es noch fahler zu machen, und wirft ein Lichtbild, das sich wie ein Lanzenschaft ansieht, auf den holprigen Bretterboden.
Unsre Athmungsorgane fangen allmälig an, die Wirkung der eingesperrten, dumpfen Luft zu spüren. Und doch sind wir kaum zehn Minuten in der Stube! Das mögen zum Theil auch die Bettstücke machen, die in einem Winkel über einander liegen. Daneben der Kamin, ein, zwei Stühle, ein Kohlenbehälter, ein Wasserkessel, ein lederner Krug. Wo sollten auch Bettstellen und andere Möbel stehn, selbst wenn sie der Weber besäße? Die Webstühle, als Nährväter der Familie, nehmen jeden Fuß breit Raum für sich in Anspruch, und haben ihn auch. Wie böse Zauberer, die Gold und Schätze liefern, müssen sie durch alle möglichen Aufmerksamkeiten beschwichtigt werden; und müssen die Kinder - dieser unförmliche, wasserköpfige Säugling z. B. den sein älterer Bruder im Arm hält - sich von ihnen in die Ecke drängen lassen, mögen sie im Gang sein oder nicht. Nur des Nachts gestatten die stillstehenden Ungeheuer, daß die Kinder zwischen ihrem hölzernen Untergestelle ruhen. Die klappernden Töne der Webstühle begrüßen sie, wenn sie aus dem Mutterleibe kommen, und sind oft ihr Grabgeläute.
"Haben Sie noch andere Kinder außer diesen beiden?" fragen wir die Frau, die emsig fortgearbeitet hat.
[17] „Ich hatte ihrer acht. Sechs sind noch am Leben, Herr.“
„Da haben wir vielleicht ein paar von ihnen gesehen, drüben in der – –“
„In der Lumpenschule, ja wohl! ’S sind vier von den unsrigen drüben.“ Und dabei sieht uns das arme Weib stolz an, mit einem entschiedenen Mutterstolze; des Namens der Schule schämt sie sich nicht im Mindesten; sie arbeitet ja, arbeitet um’s tägliche Brot für ihre Kinder; ist keine Bettlerin; um Alles in der Welt nicht; braucht sich daher nicht zu schämen. – Jetzt läßt sie ihren Stuhl ein wenig ruhen. Der junge Arbeiter und der Hausherr thun dasselbe.
„Webers Kinder sind bei’m Webstuhl geboren, meine Herren“ – hebt der Alte aus dem Stegreif an, und aus seinem tiefliegenden Auge fliegt ein freundlicher Strahl, und über die schmale Unterlippe fliegt ein zärtliches Lächeln, als er auf die beiden Kinder blickt, die sich bis hart an seinen Stuhl herangeschleppt hatten – „so ein Webers Kind ist mit dem Klappern aufgewachsen, kennt nichts weiter auf der Welt, wird groß und stark, und wenn’s Gottes Wille ist, wird’s auch da krank und stirbt da.“ Und wie der Alte sein Sprüchlein gesagt, fängt er wieder zu weben an, und die Andern fallen im Chorus ein.
„Die Arbeit dieser Leute, Mr. Bradelle – sie können uns in dem Lärm doch nicht hören, wenn wir leise sprechen?“
„O nein.“
„Erfordert wohl nur wenig Geschicklichkeit?“
„Sehr wenig. Macht’s gerade so, wie’s sein Großvater gemacht hat. Ist auch gar nicht zu bewegen, die kleinste Aenderung - das Fliegschiffchen zum Beispiel - einzuführen, um das Zusammendrücken der Brust, worüber er so eben geklagt hat, zu vermeiden. Gegen den alten Brauch vermögen wir mit dem besten Willen nichts. Das arbeitet sein Lebelang auf der Stube, in einer eingeengten Atmosphäre statt in einem luftigen, gesunden Fabrikslocale. Man schiebt die Schuld so leicht auf uns Fabriksherren. Aber versuch’ da eine Aenderung wer kann. Ich kann’s nicht. Wenn ich – –“
Herr Bradelle schweigt. Er muß schweigen, denn plötzlich zittert das Haus vom Erdgeschoß bis zum Dach. Ein Donnerwetter fährt über unsere Köpfe hin. Ist’s ein Erdbeben, ein Gewitter? Oder hat sich ein Vulkan im Herzen Londons aufgethan? Wie das schwankt und zittert!
„’S ist blos die Eisenbahn, Sir,“ ruft uns der junge Arbeiter zu, der unsern Schreck bemerkt hat.
Knapp am Hause vorbei ist nämlich ein Bogen jener Bahn gespannt, die nach Blackwall und um den nördlichen Stadtrayon führt; über dem Dach hinweg läuft der Telegraphendraht; die Locomotiven mit ihren gewichtigen Trains laufen vor den Fenstern vorbei und erschüttern die Häuser der Armen bis in ihre Grundmauern. Halb London rauscht im Laufe des Jahres vor ihrem Elend vorbei. Die Schätze Indiens aus den Westindia-Docks fliegen vor ihren Augen vorüber in den Alles verschlingenden Abgrund, den man London nennt. Der arme Weber steht am Stuhl; hier ist er geboren, hier lebt, hier stirbt er. –
Das Sonnenlichtbild am Boden ist mittlerweile verschwunden. Die Sonne selbst ist untergegangen, es wird rasch finster, und wir verlassen die Arbeiterstube, wo Jedes jetzt sein kleines Lämpchen auf einem Drahthaken am Webstuhl aufhängt, um die nächtliche Arbeit zu beleuchten. Die Schatten der Stühle zeichnen sich scharf an den Wänden ab. Der Zeisig im Käfig ist stille geworden, steckt den Kopf zwischen seine beiden Flügel, und schickt sich zur Ruhe an. Der wasserköpfige Säugling liegt auf dem Schooße seines Bruders und dieser kauert am Kamin und glotzt gedankenlos in die ersterbende Glut. Der Kohlenbehälter ist leer. Es scheint, als ob’s mit dem Feuer heut’ zu Ende ist.
Wir stehn mit unserm Begleiter wieder auf der Straße. Die eben mitangesehene Leidensscene war wohl geeignet uns schweigsam zu machen. Mr. Bradelle ist der Erste, der das Schweigen bricht.
„Die Schwankungen im Seidengeschäft“ – bemerkt er in seiner gewohnten ruhigen Redeweise – „und im naturgerechten Zusammenhange mit denselben die Lage der Weber in Spitalfields erscheinen gar plötzlich und ohne daß man sie vorhersehen kann, denn sie hängen von einer Masse unberechenbarer Ursachen ab. Nehmen wir zum Beispiel die letzten vier, fünf Jahre – –“
„Aber gleicht sich die Sache nicht in einer Reihe von Jahren aus? Waren diese Schwankungen bedeutend?“
„Bis zum Extreme, wie Sie gleich hören sollen. Im Jahre 1846 waren die Preise der rohen Seide sehr niedrig. Die Fabrikanten kauften zusammen so viel sie konnten, und ließen aufarbeiten was sie aufgebracht hatten. Da war keine Hand unbeschäftigt, da feierte kein einziger Stuhl. Die aufgehäuften Vorräthe waren enorm; die Seide stieg. Das war im Jahr 1847, und nun trat eine Stockung ein.“
„Entschuldigen Sie, Mr. Bradelle, daß wir Sie unterbrechen. War’s nicht zu jener Zeit, als der große Nothschrei von Spitalfields sich durch’s ganze Land hörbar machte, und Meetings zur Abhilfe der Noth veranstaltet wurden?“
„Ja wohl. Durch einen Streit der großen Detailhandlungen mit den Seidenfabrikanten und en gros Verkäufern war damals die Stockung noch verlängert worden. Sie werden sich erinnern, es handelte sich um’s Ellenmaß (die short measure question, die nicht blos England, sondern das ganze südliche Europa berührte). Die Detailhändler wollten, daß unser Yard[1] sieben und dreißig Zoll halten solle, und das ganze Herbstgeschäft war durch diesen Streit verhunzt. Dem war kein Ende bis zum Ausbruch der Pariser Februar-Revolution. Jetzt rannten unsere Großhändler und Detailkaufleute aus dem Westend schaarenweise, mit ungeheuern Fonds versehen, nach Paris und Lyon hinüber. Der Schrecken war den französischen Kaufleuten in alle Glieder gefahren. Sie verkauften um jeden Preis. Es galt eben nur, ein Angebot zu machen. Dadurch öffneten sich für uns Engländer zwei verschiedene Wege. Die Groß- und Detailhändler hatten freilich eine schwere Last gearbeiteter Seidenwaaren herübergebracht, aber wir Fabrikanten waren auch nicht müßig, und kauften in Frankreich die rohe [18] Seide auf, fünfzehn und zwanzig Procent wohlfeiler als ich mich mein Lebelang gekauft zu haben besinnen kann. Was halten Sie, meine Herren, vom feinsten französischen Organsine (gezwirnte Seide), das Pfund zu einer Guinee?“ –
„Solche Preise“ – fährt unser gelehrter Cicerone[WS 2] fort – „setzen uns in den Stand, auf Vorrath arbeiten zu lassen, und als im Jahre 1849 die französischen Lager erschöpft waren, da kamen die unsrigen an die Reihe. Da hatten wir freies Spiel. Und in der That konnte das ganze Jahr hindurch kein Fabrikant des Continents mit dem englischen in Concurrenz treten.“
„Haben sich denn die französischen nicht erholt gehabt?“
„Den Teufel haben sie sich erholt“ – und Mr. Bradelle geräth allmälig in einen industriell-schwärmerisch exaltirten Zustand – „freilich haben sie sich erholt, aber es hat ihnen wenig geholfen, diese Erholung von der Revolution. Wir hatten ja beinahe ihren ganzen Vorrath an Rohseide in Händen, und als die Erholung anfing, hatten sie kein Material zu verarbeiten, und kamen factisch zu uns herüber – die revolutionairen Schlucker! – und mußten ihre eigene Rohseide von uns zu zwanzig und fünfzig Procent theurer zurückkaufen. Von dieser Zeit an ist unsere Waare gestiegen, die Arbeit hat sich vermehrt, so daß während des größten Theils des Jahres fünfzig die meisten Weber von Spitalfields reichlich zu thun hatten.“
„Da muß also, nach dem logischen Kreislauf wieder eine Ueberfüllung von Fabrikaten eingetreten sein?“
„Allerdings. Das und die höheren Rohseidenpreise drückten auf’s Geschäft, so daß ich allein nahe an hundert Stühle feiern lassen mußte. Das geht nun einmal nicht anders. Darauf muß der Fabrikant gefaßt sein.“ – –
Aus der Menschenheimath.
Hast Du Dir schon einmal das Samenkorn einer Pappel angesehen? Wahrscheinlich nicht. Es ist aber der Mühe werth, es zu thun. Im Mai findest Du leicht unter Schwarzpappeln und Silberpappeln oder unter den Espen oder Zitterpappeln die ersten Fruchtkätzchen am Boden liegen. Daran sieht man die aufgesprungenen Fruchtkapselchen mit einer glänzend weißen, herausquellenden Seide gefüllt. Das ist der sogenannte Samenschopf, der an den kaum Sandkorn großen Samenkörnchen sitzt. Diese kleinen Samenkörnchen sind es, die Du Dir einmal gelegentlich ansehen sollst. Sie sind viel kleiner als ein Mohnkern und doch wird aus ihnen die himmelanstrebende Pappel, und doch ist dazu in ihrem Innern Alles ebenso dazu vorgebildet, wie in einem Bohnenkerne, den ich jetzt als Beispiel wählte, um Dir den Bau der Pflanzensamen zu erläutern.
Zu dem Ende habe ich Dir auf dem meinem ersten Briefe beigelegten Blättchen einige Zeichnungen gemacht,[2] die Du, wenn Du willst, leicht mit der Wirklichkeit in der Natur vergleichen kannst.
Du weißt, daß die Bohnensamen in der langen grünen fleischigen Hülsenfrucht geborgen liegen, und mit einem kurzen dicken Stielchen, dem Samenfaden, an der einen Naht derselben befestigt sind. All den schwarzen oder sonst gefärbten Bohnen sieht man einen ovalen Fleck, an welchem dieses Stielchen festgesessen hat: man nennt ihn den Hagelfleck, und Du siehst ihn an Fig. 1. und 2. deutlich; an letzterer mit h bezeichnet. Unter dem Hagelfleck siehst Du an Fig. 2. eine kleine herzförmige Figur, auf welche die Buchstaben m k hinweisen; das ist der Keimmund. Heute mußt Du Dich mit diesen bloßen Namen begnügen. Eine nähere Beschreibung des Keimmundes würde in eine Schilderung der Entstehung und Bildung des Pflanzensamens im Innern der Frucht gehören, worüber ich Dir später einmal Einiges erzähle. Bei dem Keimen hat der Keimmund wahrscheinlich keine besondere Bestimmung; dagegen hat er dann eine sehr wichtige bei der ersten Bildung des Samens. Auf der anderen Seite des Hagelfleckes bemerkt man durch eine leichte Anschwellung den unter der Samenschale liegenden Keim, wenigstens was man im gewöhnlichen Leben Keim zu nennen pflegt. Der wissenschaftlichen Auffassung nach ist es aber nur die eine Hälfte des Keimes, nämlich sein Würzelchen. Es ist auf Fig. 2. mit w bezeichnet; und Du siehst davon einen Riß in der Samenschale, denn immer macht sich, wie Du weißt, zuerst das Würzelchen aus den Banden der Samenschale frei, tritt heraus und dringt zur Wurzelung in den Erdboden. Wenn man einem gequellten Bohnenkerne, oder einer Mandel, Erbse, Wicke, Linse, Eichel die Samenschale nimmt, so zerfällt der nun nackte Same leicht in zwei gleiche Hälften, die im Samen mit einer glatten Fläche an einander liegen und nur an einem Punkte (bei Eichel und Mandel an der Spitze) zusammenhängen. Wir werden gleich sehen, was diese beiden Körper zu bedeuten haben und wie sie die Wissenschaft benennt. Bei der Bohne liegt nun an der Hagelfleckseite seitlich zwischen diesen beiden Körpern, – der eine sichtbare in Fig. 3. ist mit s. bezeichnet – der Keim, k, und ist nur an dem Punkte, neben dem das * steht, mit diesen und diese unter sich verbunden. Fig. 3. zeigt deutlich, daß der Keim aus zwei Hälften besteht; von [19] dem * abwärts aus dem Würzelchen, aufwärts und nach links aus dem sogenannten Federchen, f; so nennt man nämlich den Theil des Keimes, aus welchem der Stamm oder Stengel der Pflanze wird. Am Federchen der Bohne sehen wir deutlich zwei kleine um einander geschlagene Blättchen, die Keimblättchen; die beiden ersten, welche aus dem keimenden Samen erwachsen und welche einzeln, nicht zu dreien stehen, wie es bekanntlich mit allen übrigen Bohnenblättern der Fall ist. Wir kommen nun zu den beiden großen Körpern, s, zurück, welche fast ganz allein den Bohnensamen und die vorhin genannten und von noch vielen andern Pflanzenarten bilden. Wir nennen sie die Samenlappen. Hängt nun der Keim an ihnen, oder hängen sie am Keime? In solchem Samen, wo sie der größere Theil sind, möchte man das erstere annehmen. Aber insofern der Keim die Hauptsache ist und er sich nach dem Keimen mächtig entwickelt, die Samenlappen aber nicht mehr und nur noch wenig, so sieht man bald, daß es richtiger ist, zu sagen, die Samenlappen hängen am Keime. Fig. 4 zeigt dies augenscheinlich. Sie stellt ein Keimpflänzchen der Bohne dar. Das Würzelchen und das Federchen des Keimes haben sich, jenes zur abwärts steigenden Wurzel, dieses zum aufwärts steigenden Stengel zu entwickeln begonnen, und da, wo beide, nach entgegengesetztem Richtungen sich verlängernd, verbunden sind, hängen die Samenlappen.
So wie hier an der Bohne beschrieben, ist wenigstens in den wesentlichen Haupttheilen der Same der meisten vollkommneren Pflanzen gebildet. Wir werden jedoch nachher auch eine ganze Abtheilung des Pflanzenreichs kennen lernen, zu welcher unsere Halmgetreide, alle Gräser, die Zwiebelgewächse u. s. w. gehören, bei deren Samen sich die Samenlappen anders verhalten.
Ohne jetzt auf die zahllosen Verschiedenheiten in nebensächlichen Dingen des Baues der Pflanzensamen eingehen zu können, lasse ich nun dieser allgemeinen Beschreibung des Baues eine Schilderung des Keimens der Samen folgen.
Wir bleiben bei der Bohne und denken uns jetzt einen gesunden keimfähigen Samen derselben in den Boden gelegt.
Drei Hauptbedingungen werden zum Keimen eines Pflanzensamens erfordert: Feuchtigkeit, Luft oder bestimmter der Sauerstoff der Luft, und Wärme. Von letzterer reichen bei unserer einheimischen Temperatur 7 bis 8° R. hin. Der Boden ist hier nicht mit unter diesen Hauptbedingungen genannt, weil er nicht sowohl zum Keimen, als vielmehr zur später erfolgenden Anwurzelung und Sicherstellung der Nahrungszuführung erforderlich ist.
Nach einiger Zeit finden wir in einem hinlänglich feuchten Boden die Samenschale der Bohne runzelig. Das kommt daher, weil sie sich durch Einsaugung von Feuchtigkeit ausgedehnt hat und also größer, weiter geworden ist. Nach abermals einiger Zeit ist die Samenschale wieder glatt. Dies rührt nicht daher, daß sie die aufgesogene Feuchtigkeit wieder fahren gelassen hat, sondern daher, daß durch sie hindurch nun auch der Keim und noch mehr die Samenlappen Feuchtigkeit eingesogen haben, wodurch auch sie an Größe etwas zugenommen haben und nun die Samenschalen wieder ganz ausfüllen und glätten. Die Samenschale hat nun ihre Rolle ausgespielt. Sie muß auf ihrer ganzen Oberfläche fortwährend Feuchtigkeit zu den innern Samentheilen hindurchgehen lassen. Dadurch schwellen diese immer mehr an, so daß die Samenschale, die sich nicht weiter ausdehnt, bald zu eng wird und meist in der Gegend, wo das Würzelchen liegt, platzt und abgestreift wird. Nachdem dies geschehen und das Würzelchen in den Erdboden eingedrungen ist, so tritt dieses sofort sein Amt an, welches in der Wasseraufsaugung besteht. Dies Wasser braucht aber noch kein solches zu sein, welches viel nahrhafte Bestandtheile aufgelöst enthält. Destillirtes, also ganz reines, von allen fremden Bestandtheilen freies Wasser würde jetzt noch einige Zeit ausreichen, das Keimpflänzchen in seinem Wachsthum zu erhalten. Wie geht das zu? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir jetzt die Samenlappen etwas genauer untersuchen. Sie bestehen aus einem sehr feinen Gewebe zahlloser, außerordentlich kleiner Zellen, in denen Stärkemehl, fette Oele, Zucker u. dergl. enthalten ist. Diese Stoffe lassen sich durch kohlensäurehaltiges Wasser – etwas Kohlensäure enthält jedes Wasser – auflösen und so in eine sehr nahrhafte Kost für das Keimpflänzchen umwandeln. Da nun, wie wir gesehen haben, der Keim an einer kleinen Stelle mit den Samenlappen zusammenhängt, so tritt an dieser Stelle aus den letzteren dieser nahrhafte Saft in das Zellengewebe des Keimes über und ernährt ihn. Erst wenn alle in den Zellen der Samenlappen enthaltenen Stoffe aufgelöst und von dem Keimpflänzchen aufgezehrt sind, ist es erforderlich, daß nun durch Aufnahme aus dem Boden durch die Wurzel die Nahrungszufuhr ohne Unterbrechung fortgesetzt werde. Du siehst also, daß die Samenlappen Proviantbehälter sind, welche die Mutterpflanze ihrem kleinen Samenkindlein auf die Reise durch die Welt mitgegeben hat. Nachdem die Samenlappen ganz ausgesogen sind, welken sie meist schnell und fallen ab.
Während dieses hier beschriebenen Keimungs-Vorganges finden in den Samenlappen förmliche chemische Processe statt. Es ist nicht etwa ein schlafendes Leben im Keime anzunehmen, was während des Keimens geweckt wird. Das kohlensäurehaltige Wasser löst ganz einfach nach chemischen Gesetzen z. B. das in den Samenlappen enthaltene Stärkemehl auf, wobei noch einige andere dicht unter der Samenschale liegende Stoffe mitwirken; verwandelt das Stärkemehl in Zucker und dieser wird nun durch andere Zellenparthien in den Stengelkeim oder das Federchen geleitet, in dessen Zellen er neue chemische Processe hervorruft, die, wie alle chemischen Processe, mit Bewegungs- und Formungserscheinungen verbunden sind. Sind die Bestandtheile eines Samens und insonderheit der Samenlappen leicht chemischen Veränderungen und daher der Verderbniß, als Verstocken, Sauer- oder Ranzigwerden unterworfen, so verlieren auch solche Samen leicht und bald ihre Keimkraft, oft schon nach einem Jahre; weil eben dann die Bestandtheile in ihnen nicht mehr geeignet sind, durch die gesunden chemischen Processe das Wachsthum, d. h. die Bildung neuer Zellen, zu vermitteln. Es ist namentlich bei ölreichen Samen, z. B. bei den Bucheckern, oft sehr schwer, ihre Keimkraft zu erhalten, weil ihr Oel schnell ranzig wird. Andere Samen behalten Hunderte von Jahren ihre Keimkraft. Man kann doch hier nicht sagen, daß in jenen ein zarteres, vergängliches Leben schlummere, in diesen ein zäheres!
Du wirst nun auch begreifen, weshalb gemalzte, d. h. gekeimte Gerste süß schmeckt. Das in ihnen enthalten gewesene Stärkemehl ist durch das beim Keimen eingesogene [20] kohlensäurehaltige Wasser in auflösbaren Zucker umgewandelt worden, welcher zur Ernährung des Keimens dienen sollte, den nun aber der Brauer zum Bierbrauen verwendet.
Es bleibt mir nun nur noch einiges über Fig. 5.–10. zu sagen übrig. Du wirst erkennen, daß sie das Keimen des Weizenkornes darstellen sollen. Fig. 5. 6. und 7. stellen das Weizenkorn von drei Seiten dar; 5. und 7. zeigen unten die Stelle, wo innerlich der Keim liegt; 6. zeigt die sogenannte Samenfurche; Fig. 9. zeigt ein Weizenkorn durch die Samenfurche, f, der Länge nach gespalten, und Fig. 8. ein anderes in der Mitte quer durchschnitten. Was hier die Hauptsache ausmacht, ist nicht Samenlappen, sondern der sogenannte Eiweißkörper, e, der hier die Stelle der nahrungspendenden Samenlappen vertritt. Er ist bekanntlich durchaus mit Mehl, was wir botanisch Stärkemehl genannt haben, erfüllt. Fig. 9. zeigt uns unten die Stelle des Keimes, k, an dem wir ebenfalls, nur viel weniger deutlich vorgebildet, das Würzelchen, w, und das Federchen, f, unterscheiden. Unter letzterem liegt der Samenlappen, der hier einfach ist, und beim Keimen, Fig. 10., blattähnlich hervortritt, nachdem auch hier zuerst das Würzelchen die Samenschale durchbrochen hat.
Indem ich hier meinen langen Brief schließe, hebe ich noch besonders hervor, daß also, indem wir Bohnen, Erbsen, Linsen, Mehlspeisen genießen, etwas genießen, was von der Natur recht eigentlich zum Genossenwerden bestimmt ist. Nur nicht für uns, sondern für die kleinen winzigen Samenkeime, die wir mit sammt der ihnen geraubten Nahrung verschlingen.
Blätter und Blüthen
Luftschifffahrt.
Wie wir hören, baut jetzt ein Leipziger Techniker an einem lenkbaren Luftschiff, dessen Construction sehr geistreich erdacht und ausgeführt sein soll. Der Gedanke an eine Luftreise, bei der das Leben lediglich den Winden und einer mit leichterer Luft angefüllten dünnen Hülle von Leinewand-, Baumwolle- oder Seidenstoff, nebst einem Netze von einigen Seilen, in der unermeßlichen Einöde den höhern Luftregionen anvertraut ist, ohne daß irgend eines Menschen Wille oder Macht gegen den geringfügigsten, aber doch leicht den Tod herbeiführenden Unfall zu schützen vermöchte, muß im ersten Augenblick jedes menschliche Gemüth mit einem unwillkürlichen Schauder durchzucken. Erwägt man dagegen, daß von 1784–1852 bei Tausenden von Luftfahrten nur 13 Opfer gefallen sind, und diese 13 sämmtlich wegen offenbarer Mängel an ihren Apparaten, wegen großer Unvorsichtigkeit oder gar aus wahrhaft strafbarer Tollkühnheit, so fühlt man sich versucht, die Furcht davor als eine kindische, für einen Ausfluß unsrer Erziehung und unsrer Vorurtheile zu halten. Erwägt man die merkwürdig geringe Zahl der Opfer, besonders bei der Anfangs so mangelhaften Einrichtung der Lufthülle, so scheint sich sogar der Beweis aufzudrängen, daß bei gehöriger Kenntniß der Sache, tüchtiger Vorrichtung und mannhafter Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart die Luftschifferei nicht gefahrvoller sei, als die Seeschifffahrt.
Als man Franklin, der in Paris bei den ersten Aufsteigungen von Ballons gegenwärtig war, fragte, was denn ein solch in die Höhe fliegender Ballon nütze, erwiederte er: „Was nützt ein neugeborenes Kind?“ – Ja die Aeronautik ist ein neugebornes Kind, und nur ein Thor kann von ihm verlangen, daß es gehe wie ein erwachsener Mann, zumal wenn es von seiner Mutter, der Wissenschaft, so stiefmütterlich behandelt wird, wie bisher. Zwar werden die Luftballons nur Wunderwerke bleiben, so lange deren Lenkung in den Lüften ein Problem bleibt; ist dies aber auch jetzt noch der Fall, so wird deshalb doch kein gesunder Menschenverstand dies Problem als ein unlösbares erklären, blos deshalb, weil es bis jetzt noch nicht gelöst ist. Alle Achtung vor der Autorität der Gelehrten! Allein die Wissenschaft combinirt und vergleicht nur bekannte Kräfte; darüber hinaus können ihre Resultate ebenso wenig gehen, als ihre Combinationen und Vergleichungen.
Ein neues musikal. Instrument.
Ein Herr Petrina, Professor der Physik in Prag, hat ein Instrument mit Klappen construirt, welche, wenn sie mit der Hand angeschlagen werden, in Folge eines galvanischen Stromes ein eisernes Stäbchen in Schwingungen versetzen. Bei jeder Klappe kann man einen andern Ton erzielen. Wird nun eine hinreichende Anzahl von Klappen angebracht und werden dieselben wie bei einem Pianoforte gestimmt, so kann man auf dem Instrumente wie auf einem Klavier spielen, wobei noch der Vortheil besteht, daß, so lange die Klappe niedergehalten wird, der Ton unausgesetzt fortdauert und daß, sobald sie niedergelassen wird, der Ton aufhört, ohne auch nur im Geringsten nachzuklingen. Die Art des Tones ist dem der Physharmonika ähnlich. Zwei in bedeutender Entfernung stehende Instrumente sind der Art in Verbindung zu setzen, daß, wenn man auf dem einen spielt, die Musik von dem andern Instrumente aus ertönt. Herr Petrina wird eine Beschreibung seiner Erfindung der Oeffentlichkeit übergeben.
Der Reichthum der Vereinigten Staaten von Nordamerika
geht jetzt schon in’s Fabelhafte. Der Werth der Ernte im Jahr 1848 wird auf mehr als 640,000,000 Thaler geschätzt. Den Werth des Viehstandes der Farmer berechnet man zu 551,000,000 Thlr; die in den Fabriken angelegten Summen betragen 343,300,000 Thlr. Das in Waaren umgesetzte Geld beläuft sich auf 322,000,000 Thlr., ausschließlich der 149,000,000 Thaler, welche bei Commissionsgeschäften und in auswärtigen Handel gebracht werden. Die Summe der Erzeugnisse und Geschäfte dieses Landes beträgt also die ungeheure Summe von 2,000,000,000 Thaler.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ altes Zählmaß von 15 bzw. 16 Stück
- ↑ Person, die andere durch eine ihnen unbekannte Umgebung führt und sie erklärt (Quelle: Wiktionary)