Die Gartenlaube (1853)/Heft 43

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[463]

No. 43. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
(Fortsetzung.)


Als der Frühling gekommen, reiste ich, um mich zu zerstreuen, in ein damals sehr besuchtes Bad. Kaum angekommen, ließ ich mir die Badeliste bringen und wer beschreibt meine Gefühle des Schmerzes, des Hasses und der Freude, als ich las: Constantin Falk und Clemence Falk. Auf’s Neue trat der Versucher zu mir und flüsterte: „Er hat sie nicht aus Liebe genommen – Dein Bild lebt noch in ihm. Tritt zwischen Beide mit der Macht Deiner Schönheit und nimm zurück, was Dir gehört, Constantin’s Herz.“ Der Zufall war günstig. Auf meinem Spaziergange am folgenden Tage traf ich mit Clemence zusammen. Ich hätte sie nicht wieder erkannt; sie aber flog sogleich mit einem Freudenausrufe in meine Arme. Wie sah es in diesem Augenblicke in meinem Innern aus. Ich hielt den Gegenstand meines Hasses, Neides, meiner Eifersucht in den Armen, gab ihm die zärtlichsten Betheuerungen, während ich ihn mit Wollust in meinen Armen hätte lieber sterben sehen. Clemence schien wahrhaft erfreut, mich wieder zu sehen. Sie küßte mich immer von Neuem, beklagte mein Schicksal mit argloser, aufrichtiger Theilnahme und bat mich inständig, nach beendeter Badecur eine Zeit lang in ihrem Hause zu wohnen. Mit heimlicher Freude sagte ich zu. Arme Clemence, welche Schlange nahmst Du bei Dir auf.

Nachdem ich die vollkommene Fassung wieder bekommen, betrachtete ich mir die ehemalige Jugendgespielin mit Aufmerksamkeit. Sie war ein Wesen von eigenthümlicher Lieblichkeit geworden. Ihre Gestalt, ihr Gesicht hatten etwas ungemein Zartes und Anmuthiges. In dem Blicke ihres braunen Auges lag der Zauber einer reinen Kinderseele. Lange Locken umflossen reich ihr Gesicht, das nur leise gefärbt, einer Lilie im Abendscheine glich.

„Bist Du nicht neugierig, zu erfahren,“ fragte sie im Laufe des Gesprächs, „wie ich Constantin’s Frau geworden bin?“ Ich bejahte. Sie erzählte mir nun, wie sie mit ihrer Mutter eine Zeit lang in B. gelebt. Hier habe sie Falk wiedergesehen. Er sei oft zu ihnen gekommen und habe endlich um ihre Hand angehalten. [464] „Ach,“ fügte sie mit gesenktem Auge bei, „ich fühle, daß ich seiner nicht ganz würdig bin – mein Geist kann dem seinigen nicht genügen und zuweilen fürchte ich . . . .“

,.Was fürchtest Du?“

„Daß er mich mehr aus Mitleid und Freundschaft als aus Liebe geheirathet hat,“ seufzte Clemence offenherzig; „denn ich verstand nicht, ihm zu verhehlen, wie glücklich mich sein Kommen, wie betrübt mich sein Gehen machte.“ Dann wieder heiter werdend rief sie: „O, wie wird sich Constantin freuen, Dich wiederzusehen. Wie wird er staunen über Deine Schönheit. Denn wirklich, Leonore, Du bist unendlich reizend geworden und selbst die Trauerkleidung kleidet Dich ungemein. – Vor Zeiten seid Ihr freilich nicht immer gute Freunde gewesen,“ fuhr sie arglos fort – „weißt Du noch, er gab Dir oft Stubenarrest und tadelte Dein heftiges Aufbrausen; aber das ist jetzt Alles längst vergessen.“ In diesem Augenblicke sahen wir Falk die Allee daher kommen. Ich nahm alle meine geistige Kraft zusammen, um Constantin nicht meine Aufregung und Freude zu verrathen und es gelang mir. Aber ich sah ihn bei meinem unerwarteten Anblick heftig zusammenschrecken, erst roth, dann todtenbleich werdend – ich triumphirte, er liebte mich noch immer. Kalt, unbefangen und höflich redete ich ihn an, als ob wir uns nie näher gestanden. Mein Benehmen schien ihn in Erstaunen zu setzen, gab ihm aber auch Gelegenheit, sich zu fassen und mit Ruhe Clemence anzuhören, die ihm freudig und arglos erzählte, ich würde sie in B. besuchen. –

Eine geraume Zeit war verflossen. Seit mehreren Wochen befand ich mich im Hause von Clemence und Constantin. Erstere hatte sich so an meine Gesellschaft gewöhnt, sie hing mit so schwärmerischer Freundschaft an mir, daß ich gar nicht von meiner Abreise reden durfte, wollte ich sie nicht ganz traurig machen. Ihren Gatten hatte ich durch meine Kälte und Unbefangenheit ebenfalls getäuscht und sicher gemacht. Der Bethörte! Er glaubte mich und sich von der heftigsten aller Leidenschaften geheilt und drang ebenfalls darauf, meinen Aufenthalt zu verlängern. Da es mir überhaupt gar nicht, bevor ich nicht meinen Zweck erreicht hatte, einfiel zu gehen, so kam mir dieses Zureden um so erwünschter. Nach Verlauf einiger Zeit war mir es gelungen, meinem Plane immer näher zu kommen. Falk’s Liebe zu mir erwachte von Neuem. Ich erkannte bald klar, ich war nie ganz seinem Herzen entschwunden und daß er Clemence halb aus Verzweiflung, halb aus Freundschaft und vielleicht auch aus Sehnsucht nach einer Häuslichkeit geheirathet. Aber was sollte aus ihr werden? Stand sie nicht wie ein Engel mit dem feurigen Schwerte vor den Pforten meines Paradieses? Mit reuevollem Herzen bekenne ich es: in einer dunkeln Stunde hatte ich Clemence denselben Tod geschworen, den Neuhaus starb; doch ward dieser verworfene Gedanke bald von besseren Gefühlen erstickt. Wie schlecht ich auch war, schlich ich doch eines Abends allein an das Wasser, zerschlug die Giftfläschchen und warf sie mit ihrem todtschwangern Inhalt in die Tiefe.

Clemence’s Leben sollte von mir nicht gefährdet werden, das hatte ich mir fest gelobt; aber trotzdem nahm mein Haß gegen sie in dem Grade zu, als die Unmöglichkeit sich immer mehr entgegenstellte, sie aus ihrem Rechte zu vertreiben. Wie viele Mal habe ich ihr geflucht und den Tod gewünscht. Welche abscheulichen Hoffnungen knüpfte ich einst an eine Erkältungskrankheit, von der sie befallen wurde. Während ich mich auf ihren Tod freute, pflegte ich die Erkrankte mit scheinbarer Zärtlichkeit. Wider Erwarten aber genas sie. Als sie mir nach ihrer Genesung mit lieblicher Innigkeit für die sorgsame Pflege dankte und mich zärtlich an ihr Herz drückte, da zuckte zum ersten Male etwas wie Rührung durch mein Herz. Ich zürnte mir selbst wegen dieser Weichheit; aber von diesem Augenblicke an hörte ich auf, Clemence zu hassen.

Nach einigen Wochen fing die Gattin Constantin’s von Neuem zu kränkeln an. Sie hustete oft, ihre Wangen verloren die anmuthige Rundung und Abends glühten ihre Augen und Hände in leisem Fieber. Sie hatte nie so viel Materielles als andere Sterbliche gehabt; aber jetzt erinnerte sie mich unwillkürlich an die duftigen Nebelgestalten aus Ossian’s Gesängen. Der Hausarzt nahm dieses Unwohlsein nicht leicht. Er verschrieb einige Mittel und drang hauptsächlich auf eine Luftveränderung. Clemence beschloß daher eine Reise zu ihrer Tante in den Elsaß. Da Constantin für den Augenblick B. nicht gut verlassen konnte, so bat sie mich flehendlich, sie nach Straßburg zu begleiten. Nach kurzem Bedenken erklärte ich meine Bereitwilligkeit. Sie fiel mir dankbar um den Hals, küsste mich und rief ihrem Manne scherzend zu: „Komm Constantin, küsse sie auch und danke ihr.“ Constantin’s Gesicht wurde bei diesen Worten bleich. Er zitterte und rührte sich nicht von der Stelle. Meine Wangen aber überzogen sich plötzlich mit einem verrätherischen Roth. Zum ersten Male schien Clemence das Benehmen Constantin’s auffallend zu finden; sie sah erst ihn und dann mich klar und forschend an; aber weder ein Wort noch ein Blick von ihr ließ einen Argwohn ahnen und ihre liebevolle Freundlichkeit blieb dieselbe.

Nach einer von dem herrlichsten Herbstwetter begünstigten Reise langten wir in Straßburg an. Clemence schien sich gekräftigt zu haben und war in heiterer Stimmung. Wie stand es aber mit mir? Die unverdiente Güte und wahrhaft engelhafte Freundschaft Clemence’s zu mir erfüllten mein Herz mit schmerzlichen Gefühlen der Reue. Wie gern hätte ich jetzt alle Verwünschungen, die ich noch vor Kurzem über die Schuldlose ausstieß, zurückgenommen. Im Traume erschien sie mir wiederholt, bleich und gestorben im Sarge liegend und die Stimme eines unsichtbaren unheimlichen Wesens flüsterte leis: „Du hast sie getödtet.“ Ich erwachte stets in furchtbarer Nervenaufregung. Indeß zerstreute der heitere Tag, die freundliche Aufnahme bei Clemence’s Verwandten, das rege Leben und die vielen Sehenswürdigkeiten der alten Stadt die finstern Traumgebilde. Auch meine geistigen Leiden wurden durch den stets lächelnden blauen Himmel, durch die Reize einer üppigen Natur für einige Zeit eingeschläfert.

Ihr, die Ihr dieses leset, staunet immerhin, daß eine [465] Verbrecherin, eine Mörderin, noch Sinn und Gefühl für die sanfte Anmuth der Natur, für die großartige Schönheit des gestirnten Himmels sich bewahrt hatte.

Clemence versicherte, sich sehr wohl zu befinden, obwohl ihre Gestalt immer ätherischer, ihre Wangen immer bleicher und durchsichtiger wurden. Sie schien Vergnügen an den kleinen Ausflügen, die wir in die ländliche Umgebung von Straßburg machten, zu finden und lächelte, wenn ich sie bat, sich mehr zu schonen. Eines Tages fuhren wir in Begleitung mit Clemence’s Vetter nach dem Odilienberg, ein Ort nicht ohne Berühmtheit, der häufig besucht ward. Nachdem wir die Reste der alten römischen Straße und die Heidenmauer in Augenschein genommen, traten wir in die alte Kapelle, um auszuruhen. Es saßen bereits zwei junge Männer lesend darin. Der Eine von ihnen erregte durch seine Gestalt und edle Gesichtsbildung unsere Aufmerksamkeit. Der junge Jainville, unser Begleiter, sagte, es sei ein gewisser Herr Goethe aus Frankfurt und stellte uns später dem jungem Manne, den er von Straßburg her kannte, vor. Es entspann sich bald eine lebhafte Unterhaltung mit den beiden jungen Herren. Der Eine war sanft und fast schüchtern, redete wenig; aber Herr Goethe war lebhafter. Die hohe jugendliche Gestalt, die edle freie Miene, die schöngebogene kühne Nase, die großen durchdringenden braunen Augen, die hohe Stirn, durch die damalige Mode, das Haar aufwärts zu kämmen, noch höher gemacht, verfehlten nicht, besonderes Interesse für diesen jungen Mann hervorzurufen.

In der Klosterkirche befanden sich einige nicht eben vorzügliche Gemälde. Während die Andern mit ihrer Besichtigung beschäftigt waren, las ich die unterschiedlichen französischen und deutschen Zeilen, die hier und da in die Fenster und in das Holz eines großen Beichtstuhles eingegraben waren. In die Ecke eines Fensters hatte Jemand geschrieben:

„In deinem Tempel, o Gott –
Suchte ich Schutz vor der Liebe –
Aber sie verfolgt mich zum Altar
Und mischt sich in meine Gebete.
Libera de morte me aeterna, Domine!“

In dem Betstuhle stand:

„Nach heißem Kampfe, heißem Schmerz,
Nach mühevollen Tagen
Laß mich, o Gott, mein müdes Herz
Zu Deinem Altar tragen.“

Doch kehrten meine Blicke immer wieder zu dem trostlosen Hülferuf der Liebe zurück, einer Liebe, die sogar dies Gebet nicht zu verscheuchen vermochte. Wie paßten diese Worte so ganz auf mich. Meine Lippen preßten sich vor Schmerz zusammen; meine Augen trübten sich von verborgenem Weh. So stand ich lange sinnend vor dem Fenster, bis mich Clemence aus meiner Träumerei weckte.

In der Nähe des Klosters befindet sich eine Art Terrasse, zu deren Füßen ein fürchterlicher Abgrund gähnt, von wo man aber die entzückendste Aussicht auf die ganze große reiche Landschaft ringsum genießt. Die ganze fruchtbare Gegend mit Städten, Bergen, Dörfern, Wäldern und Gewässern liegt malerisch vor uns ausgebreitet, und wie ein Leuchtthurm aus Klippen ragt der ungeheure Münsterthurm aus dem Häusergewimmel hervor. Clemence blickte zitternd in die fürchterliche Tiefe. „Welch schrecklicher Tod,“ sagte sie, „hier hinunterzustürzen.“ Mich aber überkam ein wilder Drang nach so jähem Tode. Der Abgrund sprach ordentlich verlockend. Ein Sprung und Alles ist vorbei, sprach es in mir. Herr Goethe, der neben mir stand, schien meine Gedanken zu errathen. Er sprach: „diese schwindelnde Tiefe, wie die unergründlichen Fluthen, üben beide eine Anziehungskraft aus auf Unglückliche.“ Ich wurde roth und wieder sehr bleich. Er schien das jedoch nicht zu bemerken.

Bei später Abendzeit kehrten wir nach Barr, wo wir übernachteten, zurück.

Seit diesem Tage kamen wir oft mit dem jungen Goethe, dessen Gespräche uns wunderbar erregten und erquickten, zusammen. In Folge einer Erkältung ward Clemence’s Gesundheit wieder heftig angegriffen. Sie befand sich bereits seit zwei Wochen sehr unwohl. Plötzlich erschreckte mich der Gedanke, sie könne in Straßburg sterben. Ich freute mich jetzt nicht mehr über den Tod meiner Nebenbuhlerin. Ihre unbegrenzte Sanftmuth und Liebe hatten meinen Haß ertödtet und mein Herz sanfter gestimmt. Vielleicht hatte auch Falk's Einfluß in der letztern Zeit unseres Beisammenseins veredlend auf mich gewirkt. Genug, ich wünschte jetzt eben so sehr ihr Leben als früher ihren Tod. Eine leise Ahnung von der Erhabenheit stiller Entsagung durchklang mein Innerstes. „Dein Werk ist es,“ sprach mein Gewissen. „daß sie so früh stirbt. Du hast so oft und aus vollem Herzen ihren Tod gewünscht. Deine Verwünschungen, der Haß, den Du gesäet, sind aufgegangen und beginnen ihre giftigen Früchte zu tragen.“ Eine tiefe, schwere Melancholie bemächtigte sich meiner innersten Seele. Eine unwiderstehliche Sehnsucht, der Freundin voranzugehen, kam über mich. Diese unerträgliche Stimmung erreichte eines Abends eine solche Höhe, daß ich, nachdem ich noch Clemence wohl verpflegt und der Obhut ihrer Tante überlassen, raschen entschlossenen Schrittes nach dem Münster eilte. Aller Qualen mit einem Male ledig zu werden, war der beständige Gedanke, der mich gänzlich erfüllte. Unverdrossen stieg ich Treppe auf Treppe in dem ungeheuren Bauwerke. Endlich stand ich oben an der Stelle, wo kein schützendes Geländer abhält, sich in die fürchterliche Tiefe zu stürzen. Ohne mich umzusehen, betrat ich die Schwelle des Todes, warf noch einen scheuen Blick in die im Abenddunkel ergrauende Welt und schleuderte Hut und Umschlagetuch hinter mich und ein nur augenblicklicher aber entsetzlicher Kampf begann. Der Gedanke an einen Gott, den ich immer so beharrlich geläugnet, erwachte plötzlich; aber eine trotzige Stimme in mir rief: „Muth! Muth!“ Ich beugte mich vorwärts: Gott habe Mitleid … wollte ich sagen, als mich ein kräftiger Arm vom Abgrunde hinweg riß. Starr und verwirrt blickte ich in das Gesicht desjenigen, der sich erkühnte, zwischen mir und den Tod zu treten. Zwei leuchtende Augen blickten mich ernst strafend, durchdringend und doch mitleidvoll an. Ich erkannte den jungen Goethe. „Zurück!“ herrschte er in gebietendem Tone, und von seinem [466] Befehl gezwungen, sank ich kraftlos und demüthig in die Knie. „Wie kommen Sie hierher?“ stammelte ich. Er lächelte ernst. „Wie ich hierherkomme? Ich sitze schon seit einer Stunde hier oben. Ich steige oft herauf, die Sonne untergehen zu sehen. Es ist so meine Art. Aber Sie, Madame, warum wollten Sie freventlich Ihr junges Leben enden? Läugnen Sie nicht! Die Wildheit und Verstörung Ihres Gesichts bezeugen es.“ Ich zitterte vor seinem mächtigen Blicke, wie vor dem Auge des Richters und erwiederte, den Kopf tief senkend: „Ich wollte ein unglückliches, schuldvolles Leben zum Opfer bringen.“

„Also die eine, jedenfalls kleinere Schuld mit einer größern sühnen? Mit einer Schuld, die man nicht mehr bereuen kann, da der Tod ihr unmittelbarer Begleiter? Nein Madame, kehren Sie in das Ihnen verhaßte Leben zurück, das ist die beste Buße – in ein Leben voll nützlicher, heilbringender Thätigkeit.“ Er hing mir rasch das Tuch um, bot mir den Arm und geleitete mich vorsichtig aus der fürchterlichen Höhe. Dann gingen wir still – ich in stummem Gehorsam – durch die düstern Straßen bis an meine Wohnung, wo er nach sehr kräftiger Ermahnung von mir schied.

Auf meinem Zimmer angekommen, warf ich mich auf die Knie und versuchte das erste Mal zu beten. Vergebens, mir fehlte Vertrauen und Glaube, mein Gebet war nichts als ein wilder Schmerzensruf. Der Schlaf floh mich und die ganze Nacht dachte ich über die Worte meines Erretters nach: „ein Leben voll nützlicher, heilbringender Thätigkeit.“

Als ich am folgenden Morgen bei Clemence eintrat, fiel mir ihre Blässe und Hinfälligkeit in hohem Grade auf. In einer einzigen Nacht hatte sie sich schrecklich verändert. Sie zog mich zu sich auf’s Sopha. „Leonore,“ sagte sie mit matter Stimme, „mir ist, als müßte ich bald sterben; laß uns sobald als möglich von hier abreisen. Ich habe eine grenzenlose Sehnsucht nach Constantin und der Heimath. Ich möchte beide so gern noch einmal sehen, ehe ich heimgehe.“ „Sprich nicht so, Clemence,“ rief ich und umarmte das arme Weib mit Heftigkeit: „Du sollst und mußt noch lange leben!“ Sie lächelte wehmüthig, schüttelte das Haupt und sprach, indem sie mit ihrer Hand liebkosend durch meine aufgelösten Locken fuhr: „wenn die Blume von einem Wurm zerstört ist, hilft weder Jugend noch Liebe und Pflege.“

Wenige Tage später verließen wir Straßburg und fuhren nach der Heimath. Ich sah meinen Retter und Warner nicht wieder, habe aber später seinen Namen hochgefeiert am deutschen Dichterhimmel glänzen sehen. Sein großer, wunderbarer Genius goß mir in spätern Jahren, wo ich ganz einsam mit mir und meiner Schuld war, oft süßen Trost in meine Seele.

Als wir in B. angelangt waren, wollte ich nach meinem Gute abreisen, denn Falk’s Anblick erweckte so leidenschaftliche schmerzliche Gefühle in mir, daß ich zwischen Liebe und Reue schwankend, mich weit hinwegwünschte. Clemence ließ aber nicht ab, mich zu bitten, ihr die letzten Tage durch meine Gegenwart und Pflege zu erheitern. Ich blieb also, um die zarte Blume, die ich ehedem gehaßt und verfolgt, dahin welken zu sehen. Clemence war tief und innig fromm, obwohl sie wenig von Religion sprach und nur selten zur Kirche ging. Ihr ganzes Leben strömte Liebe und Milde, und so war auch ihr Tod.

In den letzten Wochen bat sie ihren Gatten, er möge sie für jenes Leben vorbereiten und ihr Trost mitgeben auf dem dunkeln Pfade. Constantin, der sich in der letzten Zeit sehr verändert hatte und sichtbar bleicher geworden war, fühlte sich doppelt niedergebeugt durch seine stumme Neigung zu mir und durch das so frühe Hinwelken seiner Gattin, der er vielleicht eben so wie mir, aber mit höherer als irdischen Liebe zugethan war. Mit mir sprach er jetzt weniger und hütete seine Blicke, wie ein Wärter seine Gefangenen. Oft saß ich, von ihm unbemerkt, im Alkoven des Krankenzimmers und lauschte, wie er der kranken Clemence Worte himmlischen Trostes zusprach. In solchen Stunden war sein Antlitz das eines jungen Apostels; sein Auge leuchtete mit ungewöhnlichem Glanze und seine Worte waren von überzeugender Kraft. Die Kranke hörte ihm mit freudiger Ergebung zu und schien sich hinwegzusehnen aus dem Erdenleben, hinauf nach dem Lande der Engel, zu welchen letzteren sie schon hinnieden gehörte.

Auch in meinem Gemüthe ging in solchen Augenblicken eine wunderbare Veränderung vor. Constantin’s siegende Beredtsamkeit, die Macht der Wahrheit, die aus seinen Worten sprach, brachen endlich die starre Eisrinde meines Unglaubens und in heißen Thränen schmolz sie von der Sonne der Religion.

An einem stillen klaren Abende ging Clemence zur Ruhe ein. Einige schwere Stunden hatte sie vorher standhaft überwunden und ihr Sterben selbst war schön wie ein Sonnenuntergang, der das bleiche stille Antlitz verklärte. Sie entschlummerte mit lächelnder Lippe, nachdem sie mit Liebe und Dank von mir und Constantin Abschied genommen hatte.

Auch mir dankte sie! O wie schwarz, wie abschreckend kam mir mein ganzes Dasein vor, wenn ich es mit dem Leben dieses Engels verglich.

Constantin’s Schmerz war nicht leidenschaftlich, aber wahr und tief; der meinige nagend und herbe.

Ich hatte schon vor Clemence’s Tode eine Wohnung in einem benachbarten Hause bezogen, um nicht mehr als nothwendig mit Constantin zusammen zu treffen. Jetzt aber sah ich ihn gar nicht mehr. Wir vermieden uns beiderseitig.

Wie soll es mir gelingen, ein Gemälde meines damaligen Seelenzustandes zu entwerfen? Reue, Schmerz, Erinnerungsqualen, Stolz und die alte unbesiegbare Liebe stritten in meinem Herzen. So schwand ein Tag nach dem andern einsam und freudlos dahin. Und meine Nächte! O wer nicht selbst die Last einer schweren dunklen That auf der Seele trägt, wer nicht empfunden hat, was es heißt – jede Nacht denselben gräßlichen Traum zu träumen, dieselbe bleiche Schattengestalt am Lager stehen zu sehen und sie flüstern zu hören: „Leonore, ich weiß es!“ – der kennt nicht den Fluch, der auf solchen Nächten ruht.

(Schluß folgt.)


[467]

Das Kriegstheater an der Donau.

Nachdem die Fahne des Propheten auf der Sophienmoschee in Konstantinopel aufgepflanzt und der Krieg von der hoben Pforte gegen Rußland erklärt worden, dürfte, wenn die europäische Diplomatie nicht nochmals ihr „Halt!“ zwischen die zum Kampf bereiten Theile wirft, nunmehr von den monatelang gewechselten Worten zu Thaten geschritten werden.

Karte des russisch-türkischen Kriegsschauplatzes.

Alle Versuche zur friedlichen Schlichtung des russisch-türkischen Streits sind vorerst als gescheitert zu betrachten, ohne daß es jedoch gleichwohl den Anschein hat, als sollte ein europäischer Krieg entbrennen. In erster Reihe ist dies jedenfalls der gemäßigten Politik Oesterreichs und Preußens zu verdanken. Die neueste Lage der Dinge läßt die in der orientalischen Frage eine Rolle spielenden Mächte, so weit deren offizielle Kundgebungen reichen, in folgenden Stellungen erscheinen: Rußland und die Türkei im Begriff, sich zu bekriegen; Oesterreich und Preußen zu strenger Neutralität entschlossen; [468] England und Frankreich auf Seiten der Pforte, ohne daß sie sich jedoch noch über die Art ihrer Hülfeleistung ausgesprochen haben. Da beide Staaten ihre Gesandten noch ganz friedlich in Petersburg residiren haben, und eine Kriegserklärung auch von ihrer Seite vorangehen muß, ehe sie an den Feindseligkeiten Theil nehmen können, die Türkei aber in ihrem Kriegsmanifest den Beginn derselben nach einer dem russischen General en Chef Gortschakoff zur Räumung der Moldau und Walachei bewilligten vierzehntägigen Frist in Aussicht stellt, so wird vorerst die Türkei sich ohne fremde Hülfe mit ihrem Feind zu messen haben. Wie vorauszusehen war, hat Fürst Gortschakoff die vom Oberbefehlshaber der türkischen Truppen, Omer Pascha, verlangte Räumung der Donaufürstenthümer abgelehnt, so daß also die ersten Feindseligkeiten etwa am 20. Oktober begonnen haben könnten.

Die Hauptmacht der beiden in Streit begriffenen Theile ist auf dem Terrain concentrirt, von welchem wir heute unsern Lesern ein Kärtchen geben, und wobei freilich die äußerst schwierig zu überschreitende Donau als mächtiges Hinderniß zwischen den kriegsbegeisterten Schaaren rollt. Die von Rußland an die Donau geworfenen Streitkräfte schlagen wir wohl mit 160,000 Mann hoch genug an; die zwischen dem rechten Ufer der Donau und dem Fuße des Balkangebirges aufgestellte türkische Armee ist ungefähr 120,000 Mann stark. Das russische Hauptquartier ist in Bukarest mit gegen Galacz, Braila und Giurgevo vorgeschobenen starken Abtheilungen und einem besondern Armeecorps in Krajova; ebenso haben die Russen von Neuorsowa, wo die Donau das österreichische Gebiet verläßt, bis nach Hirsova und Braila alle Uebergangspunkte und Furthen massenhaft besetzt. Ihre Operationslinie bei einem Angriffe dürfte, seitdem die Türken die Donau und den Balkan so stark befestigt, spätern Anordnungen zufolge, über Widdin und längs der serbischen Grenze hin geben, wo das Gebirge weniger Schwierigkeiten bietet. Omer Pascha hat indeß auch nach jener Richtung zu Alles in Vertheidigungszustand gesetzt. Den Mittelpunkt für die türkischen Streitkräfte giebt das am Fuße des Balkan gelegene Schumla, als Hauptquartier mit Varna und Turnowa zur Seite, ab. Die ganze, durch die Festungen Widdin, Nicopoli, Rustschuck, Silistria, und viele andere geschützte Donaulinie ist so zu sagen in einen mit Kanonen bespickten Wall umgewandelt worden, hinter welchem sich außerdem die Befestigungswerke des Balkan erbeben. Die Lage beider Armeen, der russischen wie der türkischen, bezeichnet man wohl am besten in der Art, daß jede stark genug ist, um einen Angriff der andern mit Erfolg abzuwehren; keine aber stark genug, um einen Angriff mit Aussicht auf Erfolg zu unternehmen. So dürfte es wenigstens zur Stunde noch sein. Sollte gleichwohl von der einen oder andern Seite ein Uebergang über die Donau versucht werden, so würde Widdin für jeden der streitenden Theile noch den günstigsten Punkt bieten. Von anderen Uebergangspunkten ist Bregowa hart an der Grenze Serbiens, Islas, Giurgevo, Silistria, Hirsova und Braila, zu erwähnen. Wahrscheinlicher ist es jedoch, daß der ganze an der Donau ausbrechende Krieg, der hier in kurzer Zusammenstellung aufgeführten Hindernisse wegen, wozu namentlich auch die vorgerückte, der Kriegführung höchst ungünstige Jahreszeit kommt, auf Vorpostengefechte und Scharmützel beschränkt bleiben wird. Größeren Anschein gewinnt es dagegen, daß in Asien, wo das bei Erzerum unter Abdi Pascha zusammengezogene türkische Heer ziemlich so stark wie die Donauarmee ist, der ernstlichere Kampf zwischen den feindlichen Parteien entbrennt. Dort steht man sich in ziemlich freier Ebene gegenüber und der von Feinden Rußlands wimmelnde Kaukasus ist nicht weit.




Eine Exekution.

Wenn je zwei benachbarte Volksstämme sich recht gründlich hassen, so sind es gewiß die Neapolitaner und Sicilianer, und selbst bei Anlässen, denen alle gegenseitige Beziehungen zwischen beiden Theilen fehlen, verläugnen sich die feindlichen Gesinnungen nicht. Folgender Vorfall, der sich im Sommer v. J. in Palermo ereignete, mag hierfür sprechen.

Paoli, ein Unteroffizier der neapolitanischen Besatzung in Palermo, war wegen eines gröblichen Dienstvergebens vom Kriegsgerichte zum Tode verurtheilt worden.

Die Sicilianer, bei denen die neapolitanischen Soldaten eben nicht im Rufe besondern Muthes stehen, erwarteten voller Spannung den Tag der Exekution, um zu sehen, wie sich ein Neapolitaner beim Sterben benehmen werde.

Die Neapolitaner sahen ihrerseits den Tag nicht ohne Besorgniß nahen. Obwohl, wenn die Begeisterung sie packt, so tapfer als irgend ein Volk der Erde, liegt es doch nicht in ihrem Charakter, dem Tode kaltblütig entgegenzutreten. Wenn nun ihr Kamerad wie ein Feigling starb, so fiel die Schande auf sie alle zurück und der Triumph der Sicilianer war vollständig. Den dergestalt möglichen übeln Eindruck fanden die höhern Offiziere so bedenklich, daß sie sich an den König mit der Bitte um Umwandlung der Todesstrafe wandten. Allein es handelte sich, wie erwähnt, um ein im Dienst begangenes grobes Verbrechen gegen einen Vorgesetzten und der König glaubte der Gerechtigkeit freien Lauf lassen zu müssen.

Ein Offiziersrath wurde zusammenberufen und berieth die bei diesem mißlichen Anlasse zu ergreifenden Maßregeln. Unter andern Vorschlägen tauchte auch der auf, den Verurtheilten im Innern der Citadelle erschießen [469] zu lassen. Dagegen wurde indeß eingewendet, daß hiermit durchaus nichts gewonnen sei, indem eine solche, im Stillen vollzogene Exekution nur dazu dienen würde, die Sicilianer in ihrer boshaften Nachrede, die man gerade fürchtete, zu bestärken. Eine Reihe anderer Vorschläge litt an demselben Uebelstande; man erörterte und verwarf alle, ohne einen gewünschten Ausweg zu finden.

Dazu kam, daß das Benehmen des Verurtheilten der Art war, daß nicht nur die Befürchtung, er möge eines feigen Todes sterben, sich steigerte, sondern daß sie geradezu zur Gewißheit wurde. Seit ihm sein Urtheil eröffnet worden, brachte er die ganze Zeit mit Weinen und Wimmern zu und empfahl sich unaufhörlich der Gnade des heiligen Januarius, der unter den Heiligen Neapels die erste Stelle entnimmt. Es war klar, daß Paoli auf den Richtplatz geschleppt werden mußte und daß er wie ein Kapuziner sterben würde.

Unter verschiedenen Vorwänden hatte man schon mehrere Male den Tag der Exekution verschoben, bis endlich jeder neue Aufschub unmöglich geworden war. Die Offiziere traten zu einer dritten Berathung zusammen, suchten nochmals nach einem Auskunftsmittel, und fanden keins. Schon wollte man auseinander geben, dem Himmel die Sorge für alles Weitere überlassend, als der Regimentsprediger plötzlich sich mir der Hand an die Stirn schlug und erklärte, daß er so eben den von Allen so lange gesuchten Ausweg gefunden habe.

Alle wollten wissen, worin dieser bestände, der Prediger machte es jedoch zur Bedingung, daß er dies vorerst für sich behalten dürfe, da das Gelingen seines Planes von der strengsten Geheimhaltung abhinge. Auf die weitere Frage, ob das Mittel auch sicher sei, versicherte er, mit seinem Kopfe dafür einstehen zu können.

Die Exekution wurde nun auf den folgenden Tag 10 Uhr Morgens festgesetzt, und man bestimmte zu derselben die zwischen dem Pellegrino und Castellamare liegende Ebene, auf welcher sich bequem die ganze Bevölkerung Palermo's ausbreiten konnte.

Am Abende begab sich der Regimentsprediger in’s Gefängniß, wo sich ihm der Verurtheilte, in der Meinung, es handle sich nun um die Vorbereitung zum Tode, laut schreiend und jammernd entgegen warf. Der Gefangene, den man sonst durch die dicken Kerkermauern hindurch winseln gehört hatte, begann aber, nachdem der Prediger einige Zeit mit ihm gesprochen, ruhig zu werden, und als dieser ihn verließ und der Thürschließer wieder eintrat, pfiff der kurz vorher noch so Zerknirschte ein ganz lustiges Liedchen.

„Sieh einmal da,“ meinte der Schließer, „wir scheinen wohl ganz vergessen zu haben, daß wir morgen todtgeschossen werden?“

„Nichts weniger als das,“ versetzte der Soldat, „allein die Beichte hat mir mit Gottes Hülfe wohl gethan, so daß ich nun guten Muths geworden bin.“

„Das ist freilich etwas Anderes,“ gab der Schließer zurück. „Möchten Sie sonst noch etwas haben?“

„Ein gutes Abendessen wäre mir recht,“ entgegnete Paoli.

Seit zwei Tagen hatte er nichts zu sich genommen, so daß er, als man ihm zu essen brachte, wie ein Wolf darüber herfiel, zwei Flaschen Syrakuser dazu trank, sich auf sein Lager warf und dann fest einschlief. Am andern Morgen mußte man ihm fast einen Arm ausreißen, ehe er erwachte, während sonst der arme Teufel die ganze Nacht vor Angst nicht schlafen gekonnt hatte. Noch nie war dem Schließer ein gefaßterer Mensch vorgekommen. In der Stadt hieß es, der Verurtheilte bereite sich auf den Tod wie zu einem Feste vor. Die Sicilianer hegten indeß starke Zweifel und meinten: „Man müsse es abwarten!“

Um sieben Uhr Morgens wurde der Gefangene abgeholt. Er war gerade im Begriff sich anzukleiden, und hatte sich mit seinem frisch gewaschenen Hemd und den sauber gebürsteten Kleidern so stattlich herausgeputzt, als es ein neapolitanischer Soldat nur immer kann.

Paoli hat um die Gunst, daß man ihn nach dem Richtplatz gehen lasse und ihm die Hände nicht binde. Beides wurde ihm gewährt.

Der Marineplatz, wo das Gefängniß lag, war Kopf an Kopf mit Neugierigen besetzt. Als Paoli erschien, grüßte er freundlichst die Menge; von Furcht war in seinem Gesichte nichts zu lesen. Die Sicilianer konnten sich von ihrem Staunen nicht erholen.

Der Verurtheilte schritt, in Begleitung des Korporals und der zur Exekution bestimmten neun Mann, ruhig und fest, ja fast stolz durch die Straßen. Von Zeit zu Zeit begegnete er unterwegs einem Kameraden, dem er mit Erlaubniß seiner Begleitung die Hand reichte, und wenn ihn dabei der Eine oder Andere beklagte, antwortete er mit irgend einem tröstlichen Sprüchlein, wie „das Leben ist ja doch nur eine Reise,“ oder „einmal muß doch gestorben sein,“ und ging dann ruhig weiter.

Die Neapolitaner triumphirten.

Bei einer Weinkneipe angelangt, gewahrte er zwei seiner Kameraden, welche auf die neben der Thür stehende Bank gestiegen waren, um ihn vorüber kommen zu sehen. Er ging auf sie zu, sie boten ihm ein letztes Glas Wein an und bis an den Rand ließ er sich’s füllen. Dann hob er’s mit fester Hand in die Höhe und rief, indem er es austrank, mit eben so fester Stimme: „Auf das Wohl Sr. Majestät unsers gnädigen Königs Ferdinand!“ Selbst die Sicilianer konnten bei dieser Scene ihre Bewunderung dem muthigen Manne nicht versagen.

Man langte auf dem Richtplatze an, und hier, so meinten die Sicilianer würde dieser erkünstelte Muth, der durch eine augenblickliche Aufregung hervorgerufen, schnell zusammenbrechen. Ganz im Gegentheil schien jedoch der Muth des Verurtheilten zu wachsen, als er den für ihn bestimmten Platz erblickte. Er stellte sich selbst auf denselben hin und erbat sich noch als letzte Gunst, daß man ihm die Augen nicht verbinde und er selbst Feuer kommandiren dürfe. Diese Bitte wurde ihm nicht abgeschlagen.

Jetzt nahte sich ihm sein Beichtiger, umarmte ihn, reichte ihm das Kruzifix zum Küssen und spendete ihm einige Worte des Trostes, die jedoch keinen großen Eindruck zu machen schienen. Dann folgte noch die [470] Absolution und der Geistliche entfernte sich, damit das blutige Werk seinen Vollzug nähme.

Der Verurtheilte richtete sich stolz empor, das Gesicht gegen Palermo und den Rücken gegen den Pellegrino gewandt. Der Korporal und die neun Mann machten zehn Schritt zurück, ein „Halt!“ ertönte und sie stellten sich auf.

Dieses feierliches Schweigen herrschte weithin. Der Verurteilte kommandirte mit fester und ruhiger Stimme: „Ladet!“ „Fertig!“ „Feuer!“ und sank bei dem letzten Worte, von sieben Kugeln durchbohrt, ohne einen Laut auszustoßen zusammen.

Die Neapolitaner triumphirten, denn die Nationalehre war gerettet.

Die Sicilianer gingen verstimmt nach Hause, und ärgerten sich, daß ein Neapolitaner so wacker sterben könne. – – –

Wir sind jetzt dem Leser die Mittheilung des Mittels schuldig, durch welches der Regimentsprediger den feigen Neapolitaner so muthig und entschlossen zu machen gewußt hatte. Wie schon erzählt worden, hatte Paoli, als ihn der Regimentsprediger am Abend vorher besucht, gejammert und wehgeklagt, indem er gemeint, das letzte Stündchen sei nun gekommen. Anstatt jedoch den Gefangenen auf den Tod vorzubereiten, kündigte ihm der Prediger an, daß der König ihn begnadigt habe.

„Begnadigt?“ rief Paoli, die Hände des Priesters fassend; „begnadigt?!“

„Begnadigt!“

„Was! ich werde nicht erschossen werden? Was! ich werde nicht sterben? werde am Leben bleiben?“ frug der Gefangene, dem die Kunde kaum glaublich schien.

„Ganz und gar begnadigt,“ versetzte der Priester; „nur hat Se. Majestät um des Beispiels willen eine Bedingung gestellt.“

„Welche?“ frug der Soldat ängstlich.

„Es müssen nämlich alle Vorbereitungen zu der Exekution getroffen werden, gerade so als ob sie wirklich stattfände. Sie werden heute Abend beichten, als ob Sie morgen sterben sollten; man wird Sie abholen, wie wenn Sie nicht begnadigt wären; Sie zum Richtplatz fuhren, wie wenn Sie erschossen werden sollten. Damit endlich auch das Beispiel vollständig sei, wird man sogar auf Sie feuern, allein die Gewehre werden nur mit Pulver geladen sein.“

„Verhält es sich auch gewiß so, wie Sie sagen?“ fragte der Verurtheilte, dem ein Theil dieser Procedur als ganz überflüssig vorkam.

„Welchen Grund könnte ich haben, Sie zu hintergehen?“ entgegnete der Priester.

„Das ist richtig,“ meinte der Soldat. „Also, ehrwürdiger Vater, bin ich begnadigt? Es ist gewiß, daß ich nicht sterben werde?“

„Mein Wort darauf.“

„Nun denn, so lebe der König! der heilige Januarius! die ganze Welt!“ rief Paoli, indem er fröhlich in seinem Gefängniß umhertanzte.

„Ei, ei, was machen Sie, mein Sohn? was stellt das vor?“ rief der Mönch. „Vergessen Sie denn, daß es mir verboten war, Ihnen dieses Geheimniß zu verrathen, und daß Niemand etwas von Dem, was ich Ihnen gesagt, ahnen darf, hauptsächlich aber der Schließer nicht.“

Paoli sah die Richtigkeit des Gesagten ein, kniete nieder und beichtete. Der Priester ertheilte ihm die Absolution. Ehe dieser sich hierauf entfernte, fragte ihn der Gefangene nochmals, ob sich auch Alles wirklich so verhalte, wie er angegeben. Der Priester bestätigte seine Worte wiederum und ging.

Der feige Soldat konnte nun muthig zum Tode schreiten, da er das Ganze für eine Komödie hielt. Der List des Priesters aber war es gelungen, die Nationalehre der Neapolitaner zu retten.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Vierzehnter Brief.
Das Holz und die Bildung.

Ich habe es oft bemerkt, daß man eine neu ankommende Nummer einer illustrirten Zeitschrift, ehe man zu lesen anfängt, nach den Bildern durchblättert, die man vornehm Illustrationen nennt. Erst wenn dem Auge sein Recht geschehen, kommt der Geist daran. Hat denn aber auch das Auge vor dem Geiste ein Recht? Was meinst Du, Freund? Hat es eins? Ich bin bestimmt der Meinung. Es hat ebenso bestimmt eins, wie die Hausthür ein Recht vor dem Zimmer hat. Die fünf Sinne sind die fünf Hausthüren, durch deren ein Jegliches eintreten muß, was zum Geiste will. Unser Sprüchwort: „was das Auge sieht, das glaubt das Herz“, ist durch und durch Wahrheit; nur ist in demselben der edelste Sinn für alle Sinne gesetzt worden.

Darum erfreuen sich auch illustrirte Bücher und Zeitschriften einer so großen Gunst bei den Lesern. Es ist sicher nicht blos die Freude an den Bildern, [471] es ist mehr noch die geistige Sprache derselben, welche sie durch das Auge mit dem Geiste reden.

Der denkende Leser einer illustrirten Zeitschrift hat gewiß schon manchmal gewünscht, etwas Näheres über die Kunst und die von ihr verwendeten Werkzeuge und Stoffe zu erfahren, welcher er allwöchentlich die neuen, blos für ihn verfertigten Holzschnitte verdankt. Kaum daß ein tagesgeschichtliches Ereigniß oder sonst etwas Neues aufgetaucht ist, so bringt ihm auch schon sein wöchentlicher Freund einen veranschaulichenden Holzschnitt davon.

Die Holzschneidekunst ist in neuerer Zeit mehr denn je ein wichtiges Beförderungsmittel der Volksbildung geworden. Sie scheint sogar die Lithographie hierin überflügeln zu wollen. Allerdings hat sie vor dieser den Vorzug voraus, daß sie, was jene nicht kann, ihre Bilder dem Schriftsetzer mit zwischen seine Lettern und dem Drucker mit unter seine Presse schiebt. Sie schmiegt sich so recht innig an das gedruckte Wort an und hilft ihm dicht an seiner Seite nach, wo es allein nicht ausreicht.

Die Holzschneidekunst ist die Vergeistigung des Holzes, die edelste Verwerthung desselben.


Ist denn aber jede Holzart, oder wenigstens mehrere derselben, dazu brauchbar? Leider nicht. Zu den gröberen Arbeiten, wie Zeuch- und Tapetenformen, genügt wohl das Holz des Apfel- und noch besser des Birnbaumes; aber zu den feineren Arbeiten ist blos das Buchsbaumholz brauchbar. Freilich liefern uns dies nicht die zierlichen Büschchen, welche die Beete Deines Gartens einfassen. In Griechenland, in der Türkei und vorzüglich in Kleinasien wird der Buchsbaum zu einem wirklichen Baume mit einem Stamme von 7–8 Zoll Durchmesser. Schon in Spanien erreicht er eine Höhe von 10–12 Fuß.

Unter allen europäischen Bäumen, so weit sie einen ansehnlichen Stamm bilden. hat der Buchsbaum das feinste und dichteste und also auch das schwerste Holz. Feinheit, Dichtigkeit und Gleichmäßigkeit im Gefüge sind eben die unerläßlichen Eigenschaften eines Holzes, wenn es für die Holzschneidekunst anwendbar sein soll.

Manche unserer harten Holzarten würde sich dazu eignen, wenn sie von gleichmäßiger Beschaffenheit ihres Gefüges wäre. Aber immer sind die einzelnen Jahreslagen, aus denen bekanntlich jedes Holz besteht, auf ihrer inneren. d. h. nach dem Mark zu liegenden Hälfte weicher, als auf der äußeren. Am größten ist dieser Unterschied bei dem Fichten-, Tannen- und Kiefernholze, in welchem bekanntlich weiche und harte dunklere Schichten abwechseln.

Diesen Fehler nun hat das Buchsholz nicht. Es ist durch und durch von ganz egalem Gefüge und die Jahreslagen gränzen sich nur durch etwas dunklere Gränzlinien gegen einander ab. Seine Farbe ist Dir schon bekannt, denn Du kennst das Buchsholz von anderer Verwendung her, z. B. zu Kämmen, Löffeln, Werkzeuggriffen und vielen anderen Dingen.

Trotz aller Dichtigkeit und Feinheit entdeckt das Mikroskop darin doch unzählige Löcherchen. Diese sind allerdings so fein, daß sie von der Druckerschwärze überdeckt werden und im Abdruck nicht sichtbar bleiben.

Beistehende Figur wird Dir gewiß Vergnügen machen. Sie ist ein Bild von einem Holzstock, so nennt der Holzschneider eine solche Buchsbaumtafel, welcher nicht nur sein Porträt zeigt, sondern auf der rechten Seite auch das mikroskopische Bild seines anatomischen Baues trägt.

Ich will Dir erzählen, wie das Ding entstanden ist.

Von dem Holzschneider ließ ich mir einen recht schönen dicht gewachsenen, feinjährigen nennt es der Holzarbeiter, Stock geben. Er hat genau die Schrifthöhe, daß er mit den Buchstaben in den Rahmen der Buchdruckerpresse paßt. Du siehst die Hirnholzfläche, wie man es nennt, denn nur in diese läßt sich schneiden, ohne daß die Schnitte splitterig werden, was auf der Aderholzfläche der Fall sein würde. Mit einem anatomischen, haarscharfen Messer schnitt ich nun vom Hirnholz und vom Aderholz ein dünnes Blättchen ab, viel dünner als das feinste Postpapier, und brachte sie unter zwei Glastäfelchen, um sie unter dem Mikroskop betrachten zu können. Nun überzog ich, wie man es für den Holzschnitt immer thun muß, die ganz glattgeschliffene Holzfläche mit einer dünnen Schicht von weißer Farbe, damit mich beim Zeichnen und nachher den Holzschneider beim Schneiden die vielen verschiedenfarbigen Jahrgänge nicht störten. Auf diesen weißen Grund zeichnete ich dann das mikroskopische Bild des Hirnholzes I. und des Aderholzes II., bei 500maliger Vergrößerung. Man muß dazu einen sehr harten Bleistift nehmen, damit die Striche fein und scharf werden. Von der nichtbezeichneten Fläche des Holzes wusch ich dann rings um die Zeichnung die [472] weiße Farbe wieder weg, um die Jahrringe sichtbar sein zu lassen.

Nun bekam der Holzschneider den Stock. Man muß einen bis zum Druck fertig geschnittenen Stock sehen, um das Mühsame dieser Arbeit zu begreifen; denn jeder Bleistiftstrich der Zeichnung, der also auf dem Papiere im Druck erscheinen soll, muß erhaben werden und alles Weiße wird herausgeschnitten und gestochen. Ein fertiger Holzstock ist also ein umgekehrtes Petschaft. Auf diesem ist das Bild vertieft und druckt sich im Siegellack erhaben ab; auf jenem ist das Bild erhaben. Zu dieser Arbeit wendet der Holzschneider wenigstens zwanzig verschiedene schneidende und stechende Werkzeuge an.

Nachdem die schwerere Arbeit der beiden anatomischen Figuren erledigt war, blieb dem Holzschneider nur noch die leichte Arbeit, den Stock selbst zu schneiden, um mich so auszudrücken; d. h. er grub mit einem spitzen Grabstichel eine feine Linie jeden Jahresring entlang, so daß wir nun mit Ausnahme dieser Linien das ganze Holz schwarz drucken sehen. Du wirst finden, daß dieses Stückchen Holz über 120 Jahre alt ist.

Nun will ich Dir aber auch einige Erläuterungen zu den beiden anatomischen Figuren geben. Erinnere Dich dabei immer daran, daß Du sie 400 Mal größer siehst als die Wirklichkeit. Du würdest die beiden winzigen Holzblättchen zwischen den beiden Glastäfelchen leicht übersehen haben, so klein sind sie.

Denke Dir das Holz, und das gilt von jeder Holzart, aus lauter unendlich feinen Röhrchen von verschiedener Länge zusammengesetzt. Diese Röhrchen haften in ihren Wandungen fest aneinander. Die einen sind weiter als die andern, dünnhäutiger und fast immer siebartig mit außerordentlich kleinen Löcherchen versehen. Sie sind fast immer die längeren. Man nennt sie Gefäße. Die anderen sind enger, von sehr verschiedener Länge, oft nicht viel länger als weit und selten so lang oder länger als die Gefäße. Auch sie haben fast immer kleine Löcher in ihrer Haut. Das sind die Zellen. Du wirst leicht errathen, welchen Zweck diese Löcher haben, die von je zwei aneinander liegenden Zellen oder Gefäßen immer aneinanderstoßen. Sie dienen beim Aufwärtssteigen des Frühjahrssaftes als kleine Pforten von einem Zellenraum in den andern. Der kleinste Nadelstich mit der feinsten englischen Nähnadel in ein Kartenblatt gemacht ist ein Riese gegen diese Zellenöffnungen. Außer diesem in der Längsrichtung des Stammes verlaufenden Gewebe finden wir in jedem Holze in der entgegengesetzten Richtung, d. h. strahlenförmig von dem Marke nach der Rinde verlaufende. Das sind die sogenannten Markstrahlen oder wie sie der Tischler namentlich am Eichen- und Buchenholze nennt: Spiegelfasern. Sie dienen zur seitlichen Saftverbreitung und ihre Zellenhäute, sie bestehen nur aus wenig verlängerten Zellen, sind daher auch stets durchbohrt, porös.

An dem Querschnitt, I., sehen wir links einen solchen Markstrahl, m; in dem übrigen Gewebe sehen wir die größeren Querschnitte von vier Gefäßen. Eigentlich hätte ich den großen, weißen, von ihnen eingeschlossenen Raum schwarz und darauf die weißen Linien der Jahrringe des Holzes schneiden lassen sollen, dann würde die Figur so ausgesehen haben, wie sich das Ding in der Wirklichkeit darstellt, als ein Stückchen Brüsseler Spitze auf dem Holze liegend, welches durch ihre Löcher durchblickt. Alles Uebrige sind Zellenquerschnitte. In denselben siehst Du mehrere sehr feine einander umgebende Kreislinien und im Mittelpunkte einen kleinen dunkler gesäumten Kreis. Dieser letztere ist der kleine allein übrig gebliebene Hohlraum der Zelle; zwischen ihm und der äußersten Zellenhaut liegen die verschiedenen Schichten – diese deuten eben jene einander umschließenden Kreislinien an – des sogenannten Holzstoffes, der sich nach und nach auf der innern Wand der Zellen eben so abgelagert hat, wie sich inwendig im Weinfasse nach und nach der Weinstein ansetzt. Auf diesem Stoffe beruht namentlich die Schwere und Dichtigkeit des Holzes. An einigen Zellen wirst Du ihn vermissen; sie sind dünnwandig geblieben.

In Figur II. siehst Du dies alles im Längsschnitt, und zwar gleichlaufend mit der Rinde. Daher sehen wir bei m einen Querabschnitt eines Markstrahls; g 1. und g 2. sind zwei Gefäße, an deren jedes sich in der Mitte ein anderes darüber ansetzt, welches durch eine durchbrochene Scheidewand von ihm getrennt ist. Alles übrige sind Zellen und zwar dünnwandigere als die in I., weil ich das Schnittchen von der Splintseite nahm. Daher sehen wir auch die Zellenräume größer und die allerdings schon ziemlich verdickten Wände von den zahlreichen, ebenfalls gespaltenen, Löchern unterbrochen.

Sieh, nun kennst Du das feine harte Holz, worein auch für Dich so manches belehrende und unterhaltende Bild geschnitten worden ist. Das Buchsholz steht in seiner Verwendbarkeit für die Holzschneidekunst (Xylographie) eben so einzig da, wie der Solenhofener Kalkschiefer für die Lithographie, von deren naturwissenschaftlicher Seite ich Dir ein andermal schreibe.




Blätter und Blüthen.

Der Negerkönig. Auch Afrika wird seinen Antheil an der zukünftigen Geschichte der Erdenkinder übernehmen. Die Sklaven, die es bisher auf den Weltmarkt lieferte, werden zu Hause bleiben oder wieder zurückkehren und zu Hause den Bewohnern anderer Erdtheile das Palmöl des Friedens aus ihren königlichen Bäumen pressen und dafür die Industrie, Kunst und Bildung der Weißen eintauschen. Man hat es nun seit länger als einem halben Jahrhundert von allen Seiten in Angriff genommen und bis tief in’s [473] Innere erforscht, wo z. B. Deutsche, Barth und Overweg, mitten in Wüsten die herrlichsten Paradiese mit gutmüthigen, ziemlich gebildeten Menschen entdeckt haben, und von allen Seiten durch Häfen, Handel, Missionäre, Kolonien, Gemeinden und Dörfer der Weltbildung und dem Welthandel Straßen gegründet, auf welchen die Cultur hineinfährt und Cultur mit Procenten wieder zurückkehrt.

Die Verfasserin von „Onkel Tom's Hütte“ prophezeit der schwarzen Race sogar eine Zukunft, die über weiße Bildung und Humanität hinausgehen werde. An Talent und Lust, an natürlicher Herzensgüte und jugendlicher Lern- und Thatenlust fehlt es, so weit die Erfahrungen reichen, den meisten Negerstämmen nicht. Mit der Hitze ist's auch nicht so arg, und die Natur hat bis unter den Aequator hin bereits für umgekehrtes Heizmaterial gesorgt, nämlich für ewigen Schnee auf gigantischen Bergen, von denen man, wo es zu heiß ist, Eis herunterholen wird, um die Zimmer ebenso zu kühlen, wie wir sie heizen. –

Zur Erkenntniß des Innern Afrika's hat die unlängst im Drucke erschienene Reise des Engländers Francis Galton viel beigetragen. Er drang vom Süden, dem Cap der guten Hoffnung, in's Innere auf der westlichen Seite vor, zunächst durch das Land Damara mit seinen vielen christlichen Dörfern und Kolonien, um welche auch Deutsche großes Verdienst haben, und dann weiter hinein an großen schönen Flüssen, Gebirgen und durch wundervolle Palmenwälder bis zum 18. Grade südlicher Breite, wo ihn deutsche Kornfelder mit ihren goldenen Wogen empfingen und deren König und Volk. Das Volk nennt sich „Ovampo's“ und deren König Nangoro. Beide wollen wir jetzt näher kennen lernen und auch bei Königs mit zu Balle gehen. Wir lassen Francis Galton selbst erzählen.

„Ungefähr gegen Mittag ward mir gemeldet, Se. Majestät Nangoro sei auf dem Wege zu mir. Ich ließ also hübsch zusammenräumen und putzte mich selbst stattlich heraus. Bald sah ich denn auch eine ziemliche Menge Schwarzer feierlich herankommen. In ihrer Mitte watschelte sehr schwerfällig ein ungeheuer fetter, alter Bursche mit kurzem, schnaubendem Odem, dem die Bürde seiner (unsichtbaren) Krone und seiner Uniform, die aus nichts als Fett auf dem nackten Körper bestand, sehr schwer zu werden schien. Es war der König Allerhöchstselbst. Er wackelte heran mit einem ungemein majestätischen, festen Blick auf uns, sich in der Mitte seines Gefolges auf einen sehr niedlichen Stock lehnend, der ihm wahrscheinlich auch als Scepter diente. Wir verbeugten uns Alle vor ihm, doch nahm er keine Notiz davon, so daß ich nicht wußte, was ohne die geringste Kenntniß der Ovampo-Hof-Etikette zu thun sei. Ich setzte mich also wieder und fuhr fort, an meinem Journal zu schreiben. Ungefähr nach fünf Minuten schrotete er sich dicht an mich heran, grunzte auf eine wohlwollende Weise, gab mir einen gnädigen Rippenstoß mit dem Scepter und setzte sich, schnarchend wie eine verdorbene Orgel, neben mir nieder. Chik, mein Dolmetscher zwischen der Damara- und Ovamposprache (ich verstand blos erstere) vermittelte nun unsere Unterredung. Der Hof stand dicht um ihn herum und lachte jedesmal unbändig, wenn Majestät etwas Scherzhaftes zu sagen geruhten, wie sie eben so tief ernste Mienen annahmen, sobald sie Worte der Weisheit sprach – Alles im schnellsten Wechsel und in der naivsten Weise. Ich breitete nun die Kleinodien aus, die ich dem Könige gleichsam als Eingangszoll auf unsere Personen und Sachen zugedacht, und bedauerte zugleich, daß ich ihm nichts Besseres bieten könne. Aber alle meine goldenen Herrlichkeiten fanden wenig Gnade vor seinen und seines Volkes Augen. Die Mode ist unter den Schwarzen eben so tyrannisch, wie bei uns Weißen. Meine Perlen waren nicht Mode bei den Ovampo's. Ich hätte jetzt gern 10 Pfund Sterling für die rechte Sorte gegeben. Ich war jetzt in der Lage eines Menschen etwa in einem Pariser Hotel, der seine Rechnung mit einem Kasten voll Negersandalen bezahlen will. Nangoro sah ziemlich ärgerlich aus, eben so sein Volk und Hof. Es gilt bei den Afrikanern als eine Beleidigung, in ihr Land zu kommen, ohne mit einem passenden Geschenke sich die Gnade des betreffenden Monarchen zu erkaufen. Der Ochse, der unter meinen Geschenken stand, gefiel ihm. Er knuffte mich mit wohlwollendem Unwillen in die Seite und fragte, ob ich nicht die Kuh als Lebensgefährtin des Ochsen zufügen wolle. Die Kuh gehörte einem meiner Begleiter und ich zögerte. Doch bestand er darauf und so ging unsere brave Milchlieferantin hinüber und ward ein Unterthan Nangoro's. Jetzt plauderte er mit uns ziemlich gemüthlich, besah unsere Flinten und ließ uns damit schießen. Endlich verließ er uns mit den Worten, daß wir in seinem Lande machen, kaufen und verkaufen könnten, was wir wollten. Große Massen von Unterthanen, die sich während dieser Audienz um uns versammelt hatten, umdrängten uns nun, um uns näher zu besehen. Sie lachten und scherzten ausgelassen, ohne uns indeß im Geringsten zu belästigen. Im Gegentheil sah ich in ihnen die naivste Art, sich ohne Polizei selbst zu regieren. Mancher, der uns zu nahe trat und zu laut war, bekam verschiedene Püffe und wurde so in die Grenzen des Anstandes zurückgewiesen. Die Meisten waren reichlich mit Perlen bekleidet, selten mit etwas Anderem. Manche hatten sich roth geschminkt und gepudert und trugen Schminke, Haare und Puder in kleinen runden Büchsen bei sich. Die Mädchen sahen ziemlich derb und wie gute Arbeiterinnen aus und zeigten sich ungemein lustig und zärtlich gegen einander. Sie standen überall herum in zärtlich verschränkten Gruppen, wie Canova's Grazien. Ihre Gesichter blickten offen und lustig, aber sehr stark wie mit Butter bestrichen und mit rother Salbe. Sie summten hübsche Lieder und tänzelten den ganzen Tag um uns herum und brachten meine schwarzen Diener ganz außer Fassung. Einer derselben handelte sehr stark mit ihnen und kaufte, mitten in Perlen sitzend, große Massen Korn und Bohnen dafür. Für ein Stückchen Eisen, 4 Fuß lang und 1/2 Zoll dick, brachten mir die Damen über 100 Pfund Korn, theils in Körbchen, theils handvollweise. Sie trugen ihr Haar vorn kurz geschnitten und hinten lang und lose wie einen Fächer.

„Nangoro giebt seinem Volke jede Nacht einen [474] Ball, zu welchem die Auserwählten seines Landes stets freien Zutritt haben. Auch uns schickte er durch seinen Minister Tippoo, unter dessen Schutz wir ganz besonders gestellt waren, eine Einladung, die wir natürlich freudig annahmen. Auf dem Wege nach den Zäunen, die Nangoro’s Residenz mehr ausmachen als umgeben, hatten wir ein kostbares Schauspiel. Von allen Seiten tanzten Lichter und Fackeln unter dem heitern, hellen Himmel auf der stillen, grasigen Erde durch Palmenbäume hindurch, alle nach der Residenz zu: Ballgäste, die unterwegs trockene Palmenzweige anzünden und damit reisen, wobei sie noch größtentheils liebenswürdige Weisen singen.

„Ich habe hernach berechnet, daß Nangoro’s Residenz (Pfahl- und Zaunwerke mit der wunderschönen Himmelsdecke als Dach) just unter dem 18. Grade südlicher Breite und etwa 3 Meilen vom 16. nach dem 17. östlicher Länge sich befindet.

„Als wir in das „Königliche Schloß“ eintraten, wies man uns rechts in den „Ballsaal,“ der schon ziemlich gefüllt war und worin man ebenso umherflirrte und flüsterte, wie bei uns zu Hause.

„In einem Winkel ließ sich ein Virtuos auf der Banjo (einem kleinen guitarrenartigen Saiten-Instrumente) vernehmen und vor ihm ein mächtiger Künstler auf dem Tom-Tom (Handtrommel). Diese Töne fuhren zunächst zwölf Herren in die Füße. Sie stellten sich in zwei Reihen (Rücken an Rücken) auf und schwenkten sich dann trippelnd und rasch mit scharfen, schlauen Augen einander beobachtend, um einander herum. Oft drehte sich bald Dieser, bald Jener rasch um sich selbst herum, um dem Nächsten von der andern Reihe, den er gerade erreichen konnte, einen furchtbaren, klatschenden Schlag auf den Körpertheil, wo der Rücken seinen ehrlichen Namen verliert, zu appliciren. Das Interesse und die Geschicklichkeit dieses Vergnügens bestand eben in dem Vermeiden und Appliciren dieses Schlages, der, wenn er traf, mit einer Gewalt „saß“, die nur auf solcher Haut ein Vergnügen sein konnte. Minister Tippoo bekam die wenigsten und vertheilte die meisten Schläge. Diesem Talente verdankte er auch seine hohe staatliche Stellung. Nangoro lachte, daß ihm das Fett auf allen Seiten wackelte, und die „Ladies“ beklatschten und bejauchzten diese künstlerische Leistung auf die ausgelassenste Weise, die von der Liberalität der Hof-Etikette zeugte.

„Nun folgte eine Promenaden-Tanz-Partie. Wir wurden alle in eine compacte Masse zusammengeschichtet und schritten dann taktweise nach „Tom-Tom“ und „Banjo“ im Saale rundum, den Boden mit jedem Tritte tüchtig stampfend. Tanznummer Drei war für die Buschmänner, die als Leibgarde Nangoro’s in einem benachbarten großen Kraal (Dorfe) wohnten. Diese Leistung war durchaus mimisch und bestand in täuschender Nachahmung von Thieren oder sonstiger individueller Eigenthümlichkeiten, scheinbar ganz nach deren Belieben. Eine große Tanz-Promenade aller Anwesenden beschloß den Ball. Von Nangoro’s Frauen sah ich blos 30 oder 40, die zum Theil sehr hübsch aussahen. Die übrigen mochten wohl alt und häßlich sein und deshalb sich nicht zeigen. Sie trugen kupferne Armbänder als Zeichen ihrer hohen Stellung und Würde. Die übrigen Frauen und Mädchen nahmen blos an den Tanz-Promenaden Theil, doch tanzten sie mit den Köpfen und Füßen gleichsam alle Tänze mit und schienen sich oft kaum halten zu können, so tapfer arbeiten sie nach den Takten der Musik mit den Füßen. Die großen Irrlichter und Fackeln der sich Zerstreuenden in die dunkel glänzende, würzige Nacht hinein machte wieder den lebhaftesten Eindruck auf uns, wozu unsere Stimmung, das Bewußtsein unserer Lage auf der Erdkugel, wo keine Spur europäischer Erscheinungen zu finden war, das ihrige beitrug.“




Wieder eine Hoffnung. Bekanntlich wurden auf der letzten Leipziger Messe von Amerikanern große Ankäufe von Halbtuchen und anderen wollenen Stoffen gemacht und noch mehr Bestellungen aufgegeben. Man glaubte diese Waaren nach Californien und Australien bestimmt. Jetzt erfährt man, daß dieselben sämmtlich auf den chinesischen Markt kommen, der durch die Revolution bereits viel zugänglicher geworden und für die Zukunft einen Absatz verspricht, der Millionen europäischen Händen und Maschinen Arbeit auf viele Jahre schaffen wird.




Literarisches. Der beste Beweis für die unaufhaltsam fortschreitende Cultur und Aufklärung der Völker, die sich durch keine beengenden Maßregeln mehr hemmen und zurückschrauben lassen, liefert das in den Volksmassen immer mehr sich steigernde Interesse an den Naturwissenschaften. Eine Reihe vortrefflicher Schriften nährt dieses Streben nach Aufklärung und lobend ist es anzuerkennen, daß die buchhändlerische Spekulation sich mehr und mehr dieser heilbringenden Richtung anschließt und besonders durch populäre Schriften den Bedürfnissen und der Bildung des Volkes zu Hülfe eilt. So wird mit Beginn des nächsten Jahres in Leipzig unter dem Titel: Das Weltall, eine neue Zeitschrift für populäre Naturkunde erscheinen. Cotta in Freiberg. Reichenbach, Littrow in Wien, Tschudi, Snell in Jena werden mitarbeiten und Astronomie und Meteorologie, Physik, Chemie und Technologie, Zoologie. Physiologie und Anthropologie, Botanik und Mineralogie etc. etc. sollen darin ihre Verbreitung finden und dies Alles in wöchentlich Einem Quartbogen mit Abbildungen. Das heißt viel auf kleinem Raum versprechen. Auch wollen wir wünschen, daß die in der Wissenschaft als tüchtig anerkannten Mitarbeiter auch populär zu schreiben verstehen. Man kann ein sehr tüchtiger Professor und dabei ein sehr unverständlicher Volks-Schriftsteller sein. Der etwas unpopuläre Preis der Zeitschrift (vierteljährlich Einen Thaler) scheint übrigens andeuten zu wollen, daß dieselbe nicht auf das größere Publikum berechnet ist. – In nächster Zeit haben wir noch einige interessante Neuigkeiten zu erwarten. Auerbach, der vor Kurzem gefährlich erkrankt war, wird den 4. Band seiner Dorfgeschichten erscheinen lassen, Ludwig Storch eine Geschichte Karl’s V. Wer Storch’s Leineweber gelesen, wird wissen, welche tüchtige und umfassende Studien der Verfasser über diesen vielbesprochenen Charakter gemacht. Seine Auffassung wird allerdings eine durchaus neue, von den bisherigen Geschichtsschreibern abweichende sein. – Das jetzt überall erwachte Interesse für die Türken wird auch in der Literatur ausgebeutet werden. Ein Berliner Buchhändler kündigt als nächstens erscheinend an: „Blüthensträuße aus den Dichtergärten des Morgenlandes. Ein Album des Gediegensten aus der poetischen Literatur des Morgenlandes.“ Natürlich prachtvoll gebunden mit Goldschnitt. – Mit Neujahr haben wir auch eine neue belletristische Zeitschrift zu erwarten, die unter dem Titel: Deutsche Wochenschrift in Hannover erscheinen und von Carl Goedecke redigirt werden wird. Gervinus, Geibel, Rückert etc. werden als Mitarbeiter angekündigt. Man sieht, die deutschen Verleger glauben nicht an den Krieg.

E. K.  



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.