Die Gartenlaube (1853)/Heft 9
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No. 9. | 1853. |
Der Seewicher Pfarr-Kirmesstag.
von
Ludwig Storch.
In einem der niedrigen und flachen Thäler, welche die Vorberge des nordwestlichen Thüringerwaldes eben in nordwestlicher Richtung nach dem Hörselthale zu bilden, liegt in einzelnen von Gärten und Feldern umgebenen Häusern lang hingestreckt das der Welt wenig bekannte Dorf Seebach, von seinen und den Einwohnern der benachbarten Ortschaften nur „die Seewich“ genannt. Es gehört zum ehemaligen Herzogthum Sachsen-Eisenach, seine Flur ist aber ganz von gothaischem Lande umgeben. Nichtsdestoweniger beträgt seine Entfernung von der eisenacher Grenze und bis zum nächsten eisenacher Weiler doch keine volle halbe Stunde, und die gute und loyale Stadt Eisenach, die zweite Stadt des Großherzogthums Sachsen-Weimar ist nur zwei gute Stunden davon gelegen. Von der Anhaltestelle Wutha an der thüringischen Eisenbahn zwischen Eisenach und Gotha erreicht ein rüstiger Fußgänger in einer Stunde landaufwärts das bezeichnete Dorf, da es aber weder Naturschönheiten, noch sonst eine besondere Merkwürdigkeit besitzt, so würde es von Fremden gewiß wenig besucht werden, wenn nicht die Chaussee von dem eine kleine Stunde tiefer im Gebirge gelegenen großen und volkreichen Fabrikort Ruhla und von der thüringer Bahn bei Wutha nach der alten am Fuß des Gebirgs gelegenen kleinen Stadt Waltershausen, berühmt durch ihre trefflichen Fleischer- und Bäckerwaaren, durch das unvergleichliche Felsenkellerbier und die mannigfachen Spielwaaren, durch „die Seewich“ führte. Die paar hundert Bewohner treiben in ziemlich beschränkter Weise Ackerbau und Viehzucht, Obstbau und einige nähren sich von Fabrikarbeiten für die rühler Kaufleute.
Sonst hatte das Dorf etwas Eigenthümliches, die in der Umgegend wohl bekannte und beliebte „Seewicher Pfarrkirmeß,“ und ich weiß in der That nicht, ob sich diese Einrichtung in ihrem schätzenswerthen Charakter erhalten, oder ob die „alles vernichtende und umstürzende Zeit“ auch sie beseitigt hat. – Ein in „der Seewich“ geborner vornehmer und reicher Mann, Leibarzt eines Kurfürsten von Sachsen, und wenn ich nicht irre Sohn eines „Seewicher“ Pfarrers, hatte seines Namens Andenken an das Haus seiner Geburt durch ein originelles Vermächtniß gefesselt und damit den Beweis geliefert, daß er nicht nur selbst eine fröhliche Seele gewesen war, sondern auch das Herz seiner gemüthlichen Landsleute gekannt hatte. Der kurfürstliche Medikus hatte nicht etwa die unentgeltliche [88] Abgabe von irgend wunderthätigen Pillen oder Pulvern an die Bewohner seines Geburtsortes und der Umgegend testirt und das Recept dazu dem jedesmaligen Pastor loci zur Bereitung übergeben; der Pfarrerssohn hatte nicht etwa ein hübsches Kapital ausgesetzt, von dessen Interessen alljährlich den Schulkindern Bibeln, Lesebücher, Schreibpapier, Federn und Bleistifte verabreicht wurden; der Lebemann hatte vielmehr durch ein bedeutendes Legat dafür gesorgt, daß die Leute ein paar Tage fröhlich, recht fröhlich sein sollten. Seine testamentarische Bestimmung lautete nämlich, daß der Pfarrer die Zinsen des eisernen Kapitals beziehen und dafür gehalten sein solle, jedes Jahr den ersten Tag der Kirmeß vom Schluß der Kirche bis Nacht zwölf Uhr Jedermann, weß Standes, Alters und Geschlechts er auch sei, mit gutem Kuchen und Bier, so viel der Gast essen und trinken wolle, zu traktiren. Es war genau angegeben, was der Testator unter gutem Kuchen und gutem Bier verstanden wissen wollte, und Schultheiß und Gemeindeschöppen waren bestellt, die Qualität der benannten Lebensmittel und die Bewirthung von Seiten des Pfarrers zu controliren. Im Fall dieser nach dreimaliger Erinnerung und gerichtlichem Entscheid es an Etwas fehlen lasse, sollten die Zinsen des Kapitals zu Gemeindebestem verwendet werden. Natürlich hüteten sich die Pfarrer wohl die Unzufriedenheit ihrer Kirmeßgäste zu erregen; denn so viel Kuchen und Bier auch an diesem Tage verzehrt werden mochten, so blieb doch noch eine sehr erkleckliche Summe von den Zinsen zu ihrer eigenen Kirmeßfreude übrig, die – und das war das Schönste an der Sache – das ganze Jahr hindurch dauerte.
Gegen Ende der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war ein sehr jovialer Mann minister sacri officii in Seebach, ein geistig Verwandter des würdigen Testators und deshalb vor all seinen Vorgängern im Amte befähigt den wahren Sinn des Legats zu begreifen und zu verwirklichen, nämlich seine Gäste froh und glücklich zu machen. Der Pfarrer Kurts war weder ein Pietist, noch ein Mystiker, weder ein Freigeist noch ein speculativer Philosoph; er war ein tüchtiger poetischer Mensch mit manchen Ecken und Eigenthümlichkeiten und ein liebenswürdiger Gesellschafter, der keinen Spaß verdarb. Auffallender Weise hatte er den zweiten Theil des Gebots: „Ein Priester soll unsträflich sein, eines Weibes Mann,“ nicht erfüllt; er war unverheirathet. Bald nach dem Antritt seines Amtes hatte er an seiner verlobten Braut noch zur rechten Zeit eine schreckliche Entdeckung gemacht; seit jener Zeit konnte er ein menschliches Wesen generis feminini nicht wohl um sich leiden, so höflich und freundlich er sonst auch die Frauen behandelte, sich in Gesellschaft mit ihnen unterhielt und sogar mit ihnen scherzte. Seine Bedienung bestand aus einem willigen und gelehrigen Bauernburschen, der allmälig alle weiblichen Hausarbeiten verrichten gelernt hatte und mit der Zeit sogar ein guter Koch geworden war. Der Pfarrer lernte mit dem Burschen, und beide arbeiteten in Haus, Stall und Feld oft gemeinschaftlich. Die Sache wäre auch recht gut gegangen. denn die beiden Wirthschafter hatten doch das ganze Jahr hindurch – einen Tag ausgenommen – nur für sich selbst zu sorgen, und wie sie’s trieben und ausrichteten, so hatten sie’s selbst zu genießen. Aber gerade dieser eine Tag, dieser Pfarrkirmeßtag verrückte ihnen das Concept. Da mußten viele, sehr viele Kuchen gebacken und sehr viel Bier gebraut werden, und der Pfarrer machte einen Ehrenpunkt daraus, daß beides vortrefflich sei. Anfangs behalf er sich mit einer ledigen Schwester, dann mit einer andern Verwandten, weiter mit einer Fremden; er hatte nur Aerger und Verdruß davon. Dies brachte ihn endlich auf den Gedanken die Bäckerei und Brauerei mit seinem Christian selbst in die Hand zu nehmen und zu betreiben, wie seine übrige Wirthschaft. Gedacht gethan! Der erste Versuch fiel über alle Erwartung glücklich aus, und als der geistliche Herr einmal eingesehen hatte, daß Kuchenbacken und Bierbrauen so wenig ein Hexenwerk sei, wie ein Gemüße kochen, einen Braten braten oder ein Kind taufen, ein Brautpaar copuliren und das Sonntagsevangelium in der Predigt auslegen, so folgten dem ersten Schritt auf der neuen Bahn bald andere, und an der nächsten Kirmeß konnte der Herr Pastor seine Gäste mit vorzüglich delikatem Kuchen, den er selbst zubereitet und gebacken, und mit einem feinen Biere, das er selbst gebraut, bewirthen. Dieser Umstand, der natürlich nicht verschwiegen blieb, lockte in den folgenden Jahren immer mehr „Zuspruch“ in das „Seewicher“ Pfarrhaus; denn jedermann in der Umgegend wollte des Pfarrers „guten“ Kuchen und „gutes“ Bier kosten, und der Pfarrkirmeßtag wurde jedes Jahr mehr ein Freudenfest, an welchem sich Hunderte aus der Umgegend betheiligten. Der Pfarrer wäre endlich in Gefahr gekommen, die ganzen Interessen des Kapitals zu verbacken und zu verbrauen, ja wohl gar noch von seiner eigentlichen Besoldung drauf zu legen, wenn ihm aus der Sache selbst nicht eine neue und für einen Seelsorger allerdings eigenthümliche Erwerbsquelle entsprungen wäre. Ehrn Kurts fand nämlich je mehr er buk und je besser ihm das Backen gelang, desto größeres Wohlgefallen an dieser zweifelsohne freundlichen und angenehmen Beschäftigung. Aus Büchern konnte er sich gerade nicht sonderlich viel machen; er hatte noch vom Gymnasium her eine Art Widerwillen gegen sie, und viel Studiren machte ihm stets Kopfweh, er extemporirte deshalb alle seine Predigten. Mit seiner kleinen Land- und Hauswirthschaft war er bald fertig. Da wurde ihm denn das Backen zum schönsten Zeitvertreib und gar bald zur Leidenschaft. Anfangs trat der Befriedigung derselben ein großes Hinderniß entgegen. Was sollte er mit all’ dem Kuchen und andern feinen Backwaaren anfangen? Er konnte doch nicht Alles, war er Jahr ein Jahr aus buk bis zur Kirmeß aufheben! Er konnte doch nicht alle Woche einmal Kirmeß halten! Christian’s Genie besiegte dieses Hindernis. Der brave Knecht hatte nämlich eine Schwester in Eisenach an einen Handarbeiter verheirathet. Die wohnte draußen in der Vorstadt Ehrensteig und war eine Obsthökerin. Als Victualienhändlerin durfte sie auch mit Backwerk handeln. Ihr wurden die schmackhaften Erzeugnisse des theologischen Backtroges in Commission gegeben, und die betriebsame Frau machte bald glänzende Geschäfte damit. Sie vertrieb die Butterkräpfel und Zuckerbrezeln sowohl in der Stadt, als auch in der Ruhl mit gutem Gewinn und trug dafür jede Woche schönes Geld in die „Seewicher“ Pfarre. Geld bringt Muth; guter Erfolg feuert an. Der Pfarrer machte Fortschritte in der Kunst; er buk Pfeffernüsse, Pfefferscheiben, Honig- und Lebkuchen trotz einem braunschweiger Bäcker, und die [89] Nachfrage stieg. Andre Hökerinnen hatten das Geheimniß bald ausgewittert und bestürmten den fleißigen Pfarrer. Nach ein paar Jahren war er der vollendetste Kuchenbäcker, und seine süße Waare die gesuchteste in einem gar nicht unbedeutenden Umkreise. Zu Weihnachten konnte er nicht genug arbeiten, um alle Bestellungen zu befriedigen, und sein Backofen war Tag und Nacht geheizt. Des Pfarrers Fleiß belohnte sich; er wurde durch die Bäckerei ein wohlhabender Mann. Ein glücklicher war er ebenfalls; denn er hatte niemals Langeweile. Alle Frauen, Kinder und Schmeckmäuler in der nahen Ruhl und in Eisenach liebten und ehrten ihn als eins der nützlichsten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft. Nicht selten fanden zahlreiche Wallfahrten nach dem Seewicher Pfarrhause statt, wo, wenn auch nicht die Fleischtöpfe Aegyptens, doch die Kuchenkörbe des gelobten Landes standen, wo Milch und Honig zwar nicht floß, aber doch in Kuchen gemengt und verbacken wurden. Wenn Pfarrer Kurts mit seinen heiligen Händen den Teig geknetet und aufgerollt hatte, band er sich die weiße Bäckerschürze ab und zog den schwarzen Priesterrock an und spendete mit denselben Händen seiner Gemeinde den Leib des Herrn, den er selbst gebacken, oder goß einem Täufling das geweihte Bad auf die kleine Stirn, oder wendete die Blätter des Buchs aller Bücher und erklärte mit beredtem Munde seiner andächtigen Gemeinde den Text. Er ertheilte gleich freigebig den Segen und Pfeffernüsse, beide sein Werk; und konnte mit Recht sagen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn ihnen ist das Himmelreich!
Ehrn Kurts war nicht weniger als ein geiziger Mann. Da er Geld verdiente, ließ er Geld aufgehen, und da der Pfarrkirmeßtag die Quelle seines Verdienstes und seines Glückes war, so machte er ihn auch zum Feste seiner Lust. Kein Schulz oder Gemeindeschöpp brauchte den fröhlichen Pfarrer zu controliren; er buk die feinsten Kuchen aller Art in Fülle; er braute mehr als ein Gebräu prächtiges Doppelbier; er ging noch weiter und lud sich ihm anständige Gäste zu seiner großen Mittagstafel, die dann vollwichtiges Zeugniß ablegte auch von seiner culinarischen Kunst.
Da hätte man denn am ersten Kirmeßtage früh die Wallfahrt nach der Seewicher Kirche sehen sollen. Auf allen Wegen und Stegen zogen sie herbei in hellen geputzten Haufen, und bald konnte in der Kirche kein Apfel zur Erde kommen, so standen sie aneinander gedrängt, begierig das Himmelsmanna aus des Pfarrers Mund zu genießen. Des Kuchens und Biers wegen, der Späse, Possen, Alfanzereien, Neckereien und lustigen Schwänke, die hernach im Pfarrhause, auf dessen Hofe und auf der Straße vor der geistlichen Wohnung zu genießen waren, kam freilich kein Mensch. Wenn der fromme Mann die Zuhörer nun mit dem süßen Himmelsbrot gespeist hatte, so zogen sie lustig und guter Dinge ihm nach und bald glich sein sonst so stilles Haus einem Lustlager. Hinein konnten natürlich nicht alle. Aber auch in der Scheuer, auf dem Hofe, im Garten waren Tafeln und Bänke improvisirt und standen Tische mit Kuchen, lagen Fässer voll Bier, und Jeder konnte sich zulangen so oft und so lang ihm beliebte.
Der Seewicher Pfarrkirmeßtag wurde dadurch berühmt. Nicht wenig trugen dazu die Bewohner der nahen Ruhl bei, Handelsleute, Messer- und Schnallenschmiede, ein ungemein lustiges Völkchen und stets zu allen nur erdenklichen Scherzen und Possen aufgelegt.
Wer nicht wegen Speis und Trank in die Seewicher Pfarre zur Kirmeß ging, der ging der Ruhler Narrenspossen wegen hin, die an diesem Tage dort in möglichst großer Anzahl losgelassen wurden, und Jedermann war überzeugt, daß er dort einige Stunden lang angenehm unterhalten werden würde.
Der damalige Herzog von Sachen- Eisenach Wilhelm Heinrich, war ein eigenthümlich lustiger Herr, wie viele fürstliche Herren jener Zeit. Obgleich schon ein Mann in den vierziger Jahren, hatte er doch alle Angewöhnungen und vielbewunderten Eigenschaften eines „charmanten“ Prinzen beibehalten. Er ritt den Bauern durch die Saatfelder, prügelte sie selbst zu seinem allerhöchsten Vergnügen mit der Hetzpeitsche, überritt die Kinder seines Landes auf offner Straße, zwang die jungen hübschen Weiber und Töchter seiner Bürger und Bauern ihm vertrauliche Besuche zu machen oder ihm kleine Stelldichein zu geben, lag oft Wochen lang in Wäldern und Feldern dem edlen Waidwerk ob, hielt dann wieder wochenlange fröhliche Hofgelage, zankte sich zuweilen mit seinem hochfürstlichen Ehegespons bis zum Prügeln, ja man behauptete, seine erste Gemahlin sei in Folge übler Behandlung von Seiten des regierenden Herrn in dem einsamen Jagdhause Wintershausen im Gebirg, wohin er sie verbannt hatte, verzweiflungsvoll gestorben. Regierender Herr! Unbewußte köstliche Ironie in diesem Namen! Vom Nichtregieren so benannt, wie lucus a non lucendo. Herzog Wilhelm Heinrich bekümmerte sich den Teufel um die Regierung seines Ländchens. Er that weiter nichts als dasselbe bis auf’s Blut aussaugen, enorme Schulden machen und das Geld auf alle nur erdenkliche lüderliche und nichtswürdige Weise todt schlagen. In sehr glückliche Mischung vereinigte sich in ihm die Copie eines französischen fürstlichen Wüstlings jener Zeit, d. h. nach jener Seite hin war er ein Affe Ludwig’s XIV., nach dieser ein Bär. Zuweilen betrug er sich jedoch so unsinnig, daß ihn die Leute für nichts weiter als einen halbverrückten Narren hielten. Dies hielt sie jedoch nicht ab, sich jede Unwürdigkeit von ihm gefallen zu lassen und mit der allerunterthänigsten Ehrerbietung entgegen zu nehmen. So liebte er unter vielen andern hochfürstlichen Plaisanterien auch die Musik und übte sie selbst aus, d. h. er trommelte sehr gut und schlug bei Aufführung großer Kirchenmusiken die Pauken vortrefflich. Eine besondere Inklination trug er für den Gebirgs- und Fabrikort Ruhla, dessen eine Hälfte ihm gehörte, während die andre Hälfte, wie noch heute, gothaisch war. Die Ruhler Fabrikarbeiter waren stets gute Musikanten; es gab ihrer wenige, die nicht ein Instrument und in der Regel mit meisterhafter Fertigkeit spielten. Auf Befehl des Herzogs mußten seine Unterthanen oft Kirchenmusiken aufführen, wobei er die Pauken schlug. Dazu lagen aber einige Duzend Schlägel bereit. Seine hochfürstliche Durchlaucht machte sich nämlich das allerdings sehr sonderbare Vergnügen während der Musik und des Gesangs der Gemeinde dann und wann vom hohen Chor aus einen Paukenschlägel auf die hohe und steife Hörnerkappe der einen und der andern hübschen Frau unten im Schiff der Kirche zu schleudern, und es schien fast, als ob der Paukenschlägel aus seiner hohen Hand dieselbe [90] Bedeutung für die Gebirgsschönen habe, wie das Schnupftuch aus der Hand eines orientalischen Herrschers für die Damen des Harem. Zuweilen sausten die Schlägel in so schneller Folge zur größten Belustigung Sr. Durchlaucht und zum Schrecken der armen Weiber von oben herab auf die Köpfe der letztern, daß der hohe Musikant keine zum Pauken übrig behielt, und der Kirchendiener sie auflesen und dem allergnädigsten Herrn zum anderweitigen Gebrauch überreichen mußte.
Seine menus-plaisirs waren nicht immer so harmloser Natur. Zuweilen ließ er einen in flagranti erwischten Wilddieb auf das Geweih eines großen Hirsches schmieden und so zu Tode schleifen und hungern. Nichts verzieh er weniger als einen Wilddiebstahl; denn er lebte der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß der liebe Herrgott das Wild nur geschaffen habe, damit es fürstliche Personen und deren Förster schießen sollten.
Im Garten von Mount-Vernon.
Drüben im Westen, in einem Garten unter hohen schattigen Bäumen, liegt ein einsames Grab. Keine Inschrift, kein Stein bezeichnet den Namen dessen, der hier sein ewiges Ruhekissen gefunden. Und da drinnen unter dem Rasen schläft doch der größte Bürger des größten und glücklichsten Staates, der beste und edelste Mensch seines Jahrhunderts.
Er der einfache Landwirth war es, welcher den jetzt [91] glücklichen Staat aus seiner tiefsten Zerrüttung, aus Mangel und Bedrängniß zu der hohen Stufe seiner Macht erhob, der wiederholt die fremden Heere schlug, eine freie und sichere Gesetzgebung einführte, ein edles Bürgerthum schuf, dem Volke eine Verfassung gab, die heute, nach 70 Jahren, noch als Muster gilt.
Er war es, der nach Jahren mühevollen Schaffens, jede Belohnung ausschlagend, arm wie vordem, von dem Gipfel seiner Macht still in das Privatleben zurückkehrte und als ein schlichter Bürger des selbstgeschaffenen Staates ruhig abwartete, bis ihn das Vaterland zu neuen Aemtern, zu neuen Thaten rief. So groß und edel und uneigennützig war nie ein Mann, so wackere auch die Weltgeschichte aufzuzählen hat. In der Gestalt eines Helden barg er das Herz eines Weisen, den Geist eines Staatsmannes und den Muth eines freien Bürgers. Unerschütterlich treu gegen das Vaterland, paarte er mit dem Verstande und der Einsicht eines genialen Mannes die Unschuld und den Charakter eines Kindes. Stets waren seine Absichten redlich und seine Mittel immer rein. Er zeigt uns das seltene Beispiel eines Staatsmannes, dem List gänzlich unbekannt und der in seinen Versicherungen gegen fremde Regierungen wie gegen seine Mitbürger stets aufrichtig war. Nie gab es einen so edlen Charakter.
Das einsame Grab liegt in dem Garten von Mount-Vernon im Staate Virginien und der Name des Bravsten der Braven, der hier seinen ewigen Schlaf schläft, ist – Georg Washington.
Vom Baue des Menschen.
Seit Jahrtausenden hat die Wissenschaft ihre Schätze aufgehäuft; Jahrtausende sind gekommen und gegangen, mit ihnen die Geschlechter der Menschen, Völker und Staaten. Im Laufe der vergänglichen Dinge ist so Vieles bis auf den Namen, Vieles namenlos verschwunden; - geblieben aber ist über allem Wechsel des Menschen Herz selbst mit seiner Leidenschaft, seiner Freude und Trauer, des Menschen Geist mit seinem Drange nach Wissen und Aufklärung. Und seltsam! vielleicht gerade das Nächste, was uns umgiebt, ja das Allernächste, sich selbst, kennen die Meisten nicht. Wie wir gehen, sitzen, liegen; was in uns schlägt, sich bewegt; ohne das wir nichts sehen, nichts hören, nichts genießen, überhaupt gar nichts thun können, ist größtentheils ein verschlossenes Geheimniß für Viele; wir selbst sind uns nur zu oft auch in unserm sichtbaren Theile ein ungelöstes Räthsel. Erklären wollen wir hier diese Erscheinung nicht weiter, wohl aber versuchen, zur Aufhellung des Dunkels ein Kleines beizutragen und dem freundlichen Leser in einzelnen Schilderungen den künstlichen Bau des Menschen und seiner Organe vorführen, aus denen er sich dann ein klares Gesammtbild seines leiblichen Wesens selber zusammensetzen möge.
Nicht mit Unrecht hat man den Menschen eine kleine Welt, Mikrokosmus, genannt, gegenüber dem großen All, Makrokosmus. Nicht blos bildlich ist dies richtig; unser Leib enthält alle Elemente der andern Geschöpfe, unsere Lebensform wiederholt alle Vorgänge des allgemeinen Lebens auf den niederen Stufen der Wesen; aber in der letzten, höchsten Vollkommenheit - der Mensch ist Gipfel und Krone der Schöpfung. Man hat oft schon den Organismus mit den Werken der Mechanik, der Maschinen oder ähnlichen Vorrichtungen verglichen. Bis zu einem gewissen Punkte kam man damit nothdürftig aus, aber gar bald zeigte sich diese schwache und unvollkommene Auffassung als ungenügend. Erst wenn wir den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Stoffen, Theilen und Organen des menschlichen Körpers zu erforschen suchen, werden wir zur Anerkennung der unendlichen Weisheit des Schöpfers gezwungen, je öfter sie die Fassungskraft des menschlichen Geistes übersteigt. Bei der Schilderung der Organisation werden wir freilich oft genöthigt sein, nach mechanischen Erklärungen zu greifen; man wird aber dabei stets im Auge behalten müssen, daß damit nicht die ganze Eigenthümlichkeit des selbstständigen, aus sich lebendig herausgebildeten, sich erhaltenden und fortpflanzenden Organismus erschöpft sein sollte und könnte.
Der menschliche Körper besteht aus festen und flüssigen Bestandtheilen. Letztere machen vier Fünftel des Körpergewichts aus, und deren allgemein bekanntester ist das Blut, die Quelle der Ernährung wie der Absonderung, also des Lebens. Dieser Nahrungs- und Bildungssaft ist in weiteren und engeren Röhren, die ein zusammenhängendes System bilden, durch den ganzen Körper verbreitet und in beständiger Bewegung – sein völliger Stillstand ist Tod. Diese Anordnung stellt sich uns (wenn auch nicht mathematisch genau) in einem Kreislaufe dar, indem das Blut von einem Mittelpunkte aus durch die Organe des Körpers getrieben und am Ende durch die Vermittlung feinster Blutgefäße in entgegengesetzter Richtung wieder zu jenem Mittelpunkte zurückgeführt wird. Der Kreislauf ist ein doppelter, ein kleiner und großer (davon später); sein Mittel- und Ausgangspunkt aber das Herz, dessen Einrichtung wir hier zunächst anschaulich machen wollen.
Das Herz, Centralorgan für das System der blutführenden Gefäße, ist eigentlich ein Muskel, d. h. eines jener faserigen Organe, welche man gewöhnlich mit dem allgemeinen Namen Fleisch bezeichnet; hat eine länglichrunde (kegelförmige) Gestalt, und liegt, eingestülpt in einen häutigen geschlossenen Sack, den Herzbeutel, dessen innere Platte das Herz selbst überkleidet, mitten in der Brusthöhle zwischen den Lungen, hinter dem Brustbein und zwar in schräger Richtung, von oben, rechts und hinten nach unten, links und vorn. Seine zwei Hälften, rechtes und linkes Herz, sind der Länge nach durch eine Scheidewand getrennt und haben (im erwachsenen Zustande) keine Verbindung [92] unter sich; wohl aber ist dieses der Fall zwischen den durch eine Querwand geschiedenen zwei Theilen jeder Hälfte, nämlich dem an der Basis (oberem Herztheile) liegenden Vorhof und der gegen die Spitze gerichteten Kammer. Wir haben also einen Vorhof und eine Kammer der rechten, und einen Vorhof und eine Kammer der linken Herzhälfte, von welchen die Vorhöfe als Erweiterungen der großen Gefäßstämme (Venen) betrachtet werden können, deren Blut sie aufnehmen und in die Herzkammern ergießen. Die Vorhöfe haben dünne Wände und jeder einen blinden, taschenförmigen Anhang, Herzohr. Die Herzkammern geben den Schlagadern (Arterien) ihren Ursprung und drücken das Blut, das sie von den Vorhöfen erhalten haben, in jene, wozu sie die muskulöse, zusammenziehbare Beschaffenheit ihrer Wände geschickt macht. Die Länge des Herzens nimmt man durchschnittlich auf 43/4 Zoll, seine Breite auf 31/2, seine Dicke 21/2 an; das Gewicht ist 9 Unzen bei Männern, bei Weibern etwas weniger; nach dem dreißigsten Jahre nimmt die Schwere immer mehr zu.
Es wird die folgende Darstellung erleichtern, wenn wir hier sogleich Einiges über die allgemeine Natur und Beschaffenheit der Gefäße anschließen. Die Gefäße, Adern, sind häutige, im ganzen Körper verbreitete Röhren oder Kanäle, in deren Höhlen (Licht, Lumen) die zur Erhaltung des Organismus dienenden Flüssigkeiten ihre Wege machen. Von den nach ihrem Inhalte verschiedenen Blut- und Lymphgefäßen brauchen wir für jetzt nur die Ersteren, welche selbst wieder zerfallen in: 1) Puls- oder Schlagadern (Arterien), welche das Blut vom Herzen nach allen Theilen des Körpers führen; 2) Blutadern (Venen), die das Blut wieder von allen Punkten des Körpers zum Herzen zurückleiten; 3) Haargefäße (Capillargefäße), die feinsten Aederchen, welche Puls- und Blutadern mit einander verbinden, indem sie den Uebergang des Blutes aus den feinsten Enden der Schlagadern in die gleich feinen Anfänge der Blutadern vermitteln. Der Umstand, daß häufig das hellrothe Blut mit dem Namen des Arterien-, das dunkelrothe mit dem des Venenblutes bezeichnet wird, verführt oft zu der Annahme, daß der Inhalt aller Schlagadern hellrothes, der aller Blutadern eine dunkelrothe Farbe habe. Beim großen Kreislaufe ist dies der Fall; wir werden aber später sehen, daß der kleine Kreislauf gerade das umgekehrte Verhältniß zeigt. Am besten wird man thun, wenn man fest hält, daß die Herzkammern alle Schlagadern entlassen, die Vorhöfe die Blutadern empfangen, und daß das rechte Herz nur dunkles, das linke dagegen helles Blut führt. Die Wand der Gefäße besteht aus mehreren concentrischen Häuten, deren innerste und wesentlichste alle Gefäße und auch das Herz auskleidet, die allgemeine Gefäßhaut; die äußere Haut, von welcher die Festigkeit und Ausdehnbarkeit der Wände abhängt, kommt gleichfalls allen Adern zu, während sich eine zwischen beiden befindliche mittlere Haut nur bei manchen findet. Bei der Ernährung der Gefäße wiederholt sich das Verhältniß wie beim Körper selbst; sie geschieht nämlich, wenigstens bei den größeren, wieder durch Gefäße und Nerven, während diese Gefäße der Gefäße selbst und die kleineren Gefäße durch die in ihnen fließende Flüssigkeit ernährt werden. Die Schlagadern haben, um dem vom Herzen ausgehenden Drucke widerstehen zu können, dickere und elastischere Wände, als alle übrigen Gefäße; von der aus dem Herzen kommenden Blutwelle ausgedehnt, ziehen sie sich beim Nachlasse des Druckes wieder zusammen: sie pulsiren. Wie die Schlagadern in der Nähe des Herzens am weitesten, und je weiter weg in immer kleinere Aeste und Aestchen ausgehen, bis sie in den feinsten Verzweigungen als Gefäßnetze sich zeigen, so beginnen die Blutadern in unmerklichen Uebergängen aus den Haargefäßen als kleine netzartig verbundene Gefäßchen (Blutaderwurzeln), fließen dann in größere Aeste und Zweige zusammen und münden endlich in großen Stämmen in die Vorhöfe. Was dort also Aeste und Zweige eines Baumes, sind hier Wurzeln. Die Wände der Blutadern sind dünner, schlaffer, ausdehnbarer; sie selbst weiter und zahlreicher als die Schlagadern, verlaufen gerader, verbinden sich unter einander weit häufiger und ihr Verlauf ist der Oberfläche des Körpers näher; dagegen verlaufen die Schlagadern mehr in der Tiefe und zwischen andern Theilen geschützt – aus dem weisen Grunde, weil ihre Verletzung auch viel bedenklicher ist. Die Blutadern führen (mit Ausnahme der Lungenblutader) kohlenstoffreicheres, nicht nährendes Blut; sie führen das Material herbei, das durch andere Vorgänge erst seine ernährende Eigenschaft zu erhalten hat. So sehen wir denn bereits, wie zweckmäßig auch hier Alles geordnet und berechnet ist, wie weise Alles in einander greift, um endlich zu jenem wunderbaren Resultate zu führen, welches wir den menschlichen Organismus nennen.
Haben wir so eben im Allgemeinen die Organe für die Verbreitung und Austheilung der allgemeinen Bildungsflüssigkeit, des Blutes, Herz und Gefäße, kennen gelernt, so versuchen wir es nun, die Verrichtung des Gefäßsystems, und wie jene Verbreitung durch den Blutumlauf zu Stande kommt, zu veranschaulichen.
Nur das hellrothe Blut, das mehr Sauerstoff enthält als das dunkelrothe, ist zur Ernährung und Belebung tauglich. Da nun aber das Schlagaderblut bei seinem Durchströmen der Körperorgane die hellrothe Farbe verliert (ein Vorgang, der noch nicht hinlänglich erklärt ist) und zuletzt namentlich in den Haargefäßen eine dunkelrothe annimmt, so wird es nöthig, daß das dunkelrothe Blut [93] wieder in hellrothes, lebensfähiges, verwandelt werde. Dieser Absicht dienen die Athmungswerkzeuge, die Lungen, indem sie dem Venenblut, das seine Kräfte verloren hat, aus der eingeathmeten Luft Sauerstoff abgeben und dafür Kohlensäure aufnehmen (dieser Vorgang wird bei Betrachtung der Lungen klar werden). Das Venenblut muß also zu den Lungen zurückkehren. Aus diesem beständigen Hin- und Herbewegen der ganzen Blutmasse entsteht eben, was man den Blutumlauf nennt; und da dieser, wie wir gesehen, eine doppelte Bestimmung hat, einmal nämlich, die Vertheilung des Blutes im Körper, sodann aber auch die Wiedersammlung des Vertheilten, auf daß es in den Lungen auf’s Neue erfrischt werde, so haben wir denn auch einen doppelten Kreislauf, einen großen und kleinen; und wie für beide das Herz der bewegende Mittelpunkt ist und das Blut dasselbe zweimal durchströmt, so durchschlingen sich beide Blutbahnen im Herzen, gleichsam wie zwei ineinandergelegte Ringe. Recht deutlich wird uns dies erst werden, wenn wir noch Folgendes über diese Hergänge beigebracht haben.
Man erinnere sich, daß wir am Herzen vier Höhlen kennen gelernt haben, zwei Vorhöfe (Fig. I. a und c Fig. II. a und d) und zwei Kammern (die man sich hinter den Wänden x und y denke) wovon jene den Blutadern, diese den Schlagadern zugehören; ebenso, daß Vorhof und Kammer des rechten Herzens das dunkelrothe Blut aufnehmen, das linke Herz aber hellrothes weiter fördert. Darnach ordnen sich nun die beiden Blutkreisläufe. Der kleine, Lungen- oder Athmungskreislauf, nach den Lungen gerichtet, kommt aus der rechten Herzkammer, geht durch die Lungenschlagader (Fig. I. h abgeschnitten zu sehen) zu den Haargefäßen der Lungen, wo der oben angedeutete Umwandlungsproceß des dunkelrothen in hellrothes Blut stattfindet, und kehrt durch die Lungenblutader die gemäß ihres Ursprunges aus den beiderseitigen Lungen aus mehreren Venen besteht (Fig. I. e. f. Fig. II. f. g. h.) zum linken Herzvorhof zurück. Aus diesen Verhältnissen wird man nun auch einsehen, warum die Lungenschlagader allein von allen Schlagadern dunkelrothes, die Lungenblutader aber ebenso hellrothes Blut führt; in gleicher Weise, weshalb alle Schlagadern und alle Blutadern den gleichen Bau besitzen, mögen sie nun zum großen oder kleinen Kreislaufe gehören. – Der große oder Körperkreislauf geht von der linken Herzkammer aus, und zwar durch die große Körperpulsader (Aorta). Diese vertheilt das Blut durch vielfache Verästelungen und Verzweigungen im Körper. Letztere werden endlich zu feinsten und durchsichtigen Aederchen, welche deshalb Haargefäße genannt werden und ein zusammenhängendes Netz bilden. Aus diesen Haargefäßen entspringen die kleinen Blutadern, welche in umgekehrte Weise, wie die Schlagadern sich vertheilen und verästeln, so sich aus kleinen Zweigen in größere Stämme verbinden, die das Blut wieder zum rechten Vorhofe des Herzens zurückführen – mit Ausnahme der Blutadern des Verdauungssystems, welche als Pfortader zur Leber gehen und ein eigenes kleineres zusammenhängendes und geschlossenes Ganzes bilden. Wir wissen bereits, daß die Vorhöfe des Herzens mit ihren Kammern zusammenhängen; und so wird auch klar sein, wie die rechte Kammer das von ihrem Vorhofe erhaltene dunkelrothe Blut wieder zu den Lungen behufs seiner Erfrischung führen kann.
Zu größerer Verständlichkeit haben wir an den zwei Zeichnungen dem freundlichen Leser noch Einiges zu erklären. Er erblickt in Fig. I. das Herz von vorn und oben, in Fig. II. dasselbe von hinten und unten, die Gefäße aber nur bei ihrem Austritte aus dem Herzen und ihrem Rücktritte in dasselbe. In Fig. I. i sieht er die große Körperpulsader aus der linken Herzkammer aufsteigen, dann einen Bogen bilden, aus dem die großen Schlagadern für Hals, Kopf und Arme kommen, von denen hier die namenlose Schlagader (Fig. I. k), die linke Drosselschlagader (linke Carotis) (Fig. I. l) und die linke Armschlagader (Fig. I. m) sichtbar sind. Der Leser hat wohl schon öfters von tödtlichen Verletzungen und Blutungen am Halse gehört; in solchem Falle sind es die Drosselschlagadern, die lebensgefährlich verwundet waren. Fig. II. l zeigt die große Körperpulsader, wie sie nach dem oben erwähnten Bogen abwärts in die unteren Theile des Körpers geht, daher hier absteigende genannt. Weiter sehen wir von Blutadern die obere große Hohlader, welche das Blut aus den obern Theilen des Körpers zurückführt, bei ihrer Einmündung in den rechten Vorhof (Fig. I. g), sodann die untere Hohlader abgeschnitten (Fig. II. b). In Fig. I. h ist das rechte, in d (auch Fig. II. e) das linke Herzohr angedeutet. Das Herz selbst muß ernährt werden, hat daher einen eigenen Kreislauf, durch welchen das zwischen den großen Körperpulsadern und Körperschlagadern bestehende Verhältniß von ihm im Kleinen gleichsam wiederholt wird. Von den hierher gehörigen Gefäßen erblicken wir auf Fig. I. p den Ast einer Kranzschlagader und auf Fig. II. m eine große Kranzblutader, die ihr Blut, wie alle dunkelrothes Blut führenden Gefäße, in den rechten Vorhof ergießt. Wie aber werden nun diese Organe zu ihrer so verschiedenartigen und doch so harmonischen Thätigkeit gebracht? welches ist die treibende Kraft dieser wunderbaren Blutbewegung? Wir wissen, daß das rastlos thätige Herz es ist; aber wie? Das Blut hat keine eigene Bewegungskraft; die Natur mußte also für eine Einrichtung sorgen, welche die Fortleitung in den Gefäßen, welche wir uns als ein System von Röhren denken können, vermittelt. Das Herz stellt diese Vorrichtung dar, gleichsam [94] ein Pumpwerk mit Druck- und Saugwirkungen. Geschickt wird es zu dieser wechselnden Wirkung durch die Muskelfasern, die, wenn und wo sie einen hohlen Raum umgeben, denselben durch ihre Contraction oder Verkürzung verkleinern, mithin den Inhalt hinaustreiben, und durch ihre Erschlaffung ihn wieder zur Aufnahme neuer Flüssigkeiten fähig machen. Darauf beruht der Vorgang im Herzen. Das Wechselspiel in der Zusammenziehung und Ausdehnung des Herzens, wodurch das Blut ausgetrieben und sein neues Einströmen ermöglicht wird, stellt sich als die mechanische Ursache des Kreislaufs dar. Die linke Herzkammer treibt ihr Blut in die große Körperschlagader (Aorta) und beginnt damit den großen Kreislauf; gleichzeitig drängt die rechte Herzkammer ihr Blut in die Lungenschlagader, womit der kleine Kreislauf seinen Anfang nimmt. Da die das Blut forttreibende Zusammenziehung an den Vorhöfen beginnt und in diese, wie man weiß die großen Blutadern münden, so liegt die Frage sehr nahe: ob denn jene Zusammenziehung das Blut nicht auch in letztere drängen müsse? Allerdings würde dies der Fall sein, wären nicht gegen die Blutadern Klappen angebracht, welche einen solchen Rückfluß hindern. Diese weise Vorrichtung der Klappen finden wir allenthalben da, wo ein gleicher Zweck erreicht werden soll; so in derselben Weise in den Kammern, damit das in sie getriebene Blut der Vorhöfe nicht in diese bei der Zusammenziehung der Kammern selbst zurückströmen kann, sondern einem einzigen Auswege gegen die Schlagadern hin folgen muß. Das Andrängen des Bluts gegen die Kammern schleudert diese gegen die Rippen, was den fühlbaren Herzstoß oder Herzschlag giebt. Erschlaffen die Muskelfasern des Herzens wieder, so bewirkt neu einströmendes Blut die Ausdehnung der Kammern, die auf ihrem höchsten Grade abermals in Zusammenziehung übergeht; und so fortwährend in rascher Aufeinanderfolge und in vollkommen gleichartiger Arbeit beider Herzhälften, wie es zur Vermeidung von Störungen in dem geregelten Gange der Flüssigkeiten, den wir mit einem hydraulischen Werke verglichen haben, erforderlich ist.
Der Herzschlag den man links zwischen der 5. und 6. Rippe mehr oder minder deutlich fühlt, ist die Ursache des Pulsschlages in den Schlagadern, der im gesunden Körper durchschnittlich in der Minute siebenzig bis fünfundsiebenzigmal erfolgt. Einige andere Herztöne werden durch die Bewegung des Blutes gegen die Wände des Herzens und der großen Schlagadern, oder als Geräusche der Herzklappen, und deren Spannung erklärt. Der Blutlauf durch die Schlagadern, von den Herzbewegungen begonnen, wird durch die Elasticität jener Adern und die sich schnell folgenden Zusammenziehungen der Kammern in fortwährender (aber etwas ungleich geschwinder) Bewegung erhalten. Eine Blutwoge drängt die andere. Die Erschütterung der Wände durch die fortgetriebene Blutsäule bewirkt den Pulsschlag. Der Blutlauf durch die Haargefäße, obgleich noch fortdauernd unter dem Einflusse der Herzthätigkeit, ist doch schon durch die größere Entfernung vom Herzen langsamer und ohne Schlag, und wird mehr durch die eigenthümliche Thätigkeit der Organe vermittelt. Gleichwohl darf man sich diese Langsamkeit deshalb nicht mit einem großen Zeitverluste verbunden denken; das Blut hat kaum eine Minute nöthig, um den kleinen und einen bedeutenden Theil des großen Kreislaufes durchzumachen, so daß man eine Minute als runde Zahl für die mittlere Kreislaufsdauer beim Menschen annehmen kann. In zwei Minuten hat durchschnittlich das gesammte Blut des Körpers die Lungen durchsetzt. – Der Druck von der Kammerzusammenziehung pflanzt sich in die Haargefäße und Blutaderwurzeln fort; und so wird der Blutlauf in den Blutadern durch eine Kraft im Rücken vorwärts gegen das Herz getrieben; aber da der Druck geringer ist, auch mit geringerer Geschwindigkeit. Wieder in der Nähe des Herzens angelangt, befördert der Umstand, daß durch Austreibung des Blutes aus den Vorhöfen in die Kammern in ersteren momentan ein leerer Raum sich bildet, das Einströmen des Blutes aus den vollen Blutadern in die Vorkammern, auch hier durch viele Klappen, als ebensoviele Sicherheitsventile, in den Blutadern verhindert wird. Um den für die Auffassung nicht schwierigkeitslosen Blutumlauf, den wir hier nicht vollständig abbilden können, unsern Lesern recht anschaulich zu machen, nehmen wir zu einer sinnbildlichen Darstellung (Schema) unsere Zuflucht, an der sich die beiden Blutbahnen und ihre Durchschlingung im Herzen ganz gut werden einprägen lassen.
In Fig. III ist a die rechte, b die linke Herzkammer, c der rechte, d der linke Vorhof. Aus a geht die Lungenschlagader e durch die Haargefäße der Lungen, die man sich an der Stelle des Ringes f denken mag, in die Lungenblutadern g über, die in den linken Vorhof münden. Die große Körperschlagader h theilt sich in zwei Haupthälften für den obern und untern Körper. Die Schlagadern i der ersteren Hälfte lösen sich in ihre Haargefäße k auf und gehen dann in ihre Blutadern l über. In gleicher Weise sind m die Schlagadern der zweiten Hälfte, n die Haargefäße, o die Blutadern. Die Hohladern l und o münden endlich in dem rechten Vorhofe c. Da, wie man weiß, keine unmittelbare Verbindung aus der rechten Herzhälfte c a in die linke d b führt, so muß das von den Hohladern l und o in die rechte Vorkammer c geflossene und in die rechte Kammer a weiter getriebene Blut den Lungenkreislauf e f g durchmachen, um in das linke Herz d b zu gelangen. Man ersieht daraus, daß kein Tropfen Blutes von Neuem in die Bahnen i k l und m n o zurückkehren kann, ehe er den Weg durch die Lungen behufs neuer Beathmung gemacht hat. – Betrachten wir das Blut in Hinsicht seiner Farbe, so strömt der dunkelrothe Inhalt der Hohladern l o dem rechten Herzen c a zu, kommt von da in die Lungenschlagader e [95] und wird in den Haargefäßen der Athmungswerkzeuge f wieder hellroth. Diese neu belebte Blutmasse geht hierauf durch die Lungenblutadern g, den linken Vorhof d, die linke Herzkammer b, die große Körperschlagader h und die oberen und unteren Körperschlagadern l und m, und wird in den Haargefäßen k und n wieder dunkelroth. Vertheilt man die Abschnitte des Herzens in die beiden Kreisläufe, so gehören rechter Vorhof c und linke Kammer b dem großen, der linke Vorhof d und die rechte Kammer a dem kleinen Kreislaufe an, was die mehrerwähnte Durschlingung und Kreuzung im Herzen ergiebt.
Dies ist der Kreislauf des Blutes. Ein inniges und harmonisches Zusammengreifen aller dabei betheiligten Organe, ein rastloser Wechsel aller dabei in’s Spiel kommenden Thätigkeiten lassen uns an ihm die wunderbare Ordnung und Uebereinstimmung im menschlichen Organismus und seinem Haushalte erkennen. Und doch haben wir hier nur allgemeine Umrisse gegeben, noch lange nicht Alles erschöpft, was auch nur mit dieser einen Lebensäußerung des Organismus zusammenhängt und von hohem Interesse ist, geschweige daß wir bis an die Quelle des Lebens selbst und seiner ewig pulsirenden Kraft gedrungen wären. Von einigen weiteren Vorgängen, die mit dem eben abgehandelten Gegenstande in Verbindung stehen, unterhalten wir die freundlichen Leser wohl ein nächstes Mal.
Blätter und Blüthen.
Eine Nacht an der Seeküste. Im Februar 1835 wohnte ich auf dem Gute eines Freundes an der Seeküste von Bayonne einer Entenjagd bei, die glänzend ausfiel, durch ein heftiges Sturm- und Hagelwetter aber noch vor Beendigung gestört wurde. Ich war von meinen Jagdgenossen abgekommen und irrte lange auf der vom Sturm aufgewühlten Sandfläche einher, bis ich endlich, als der Abend hereinbrach, noch zufällig eine Fischerhütte fand, in die ich ohne Weiteres eintrat. Die Bewohner in der Hütte, ein Mann und eine Frau, erhoben sich bei meinem Anblick und frugen nach meinem Begehr. Ich bat, da es zu spät zur Rückkehr auf das Gut meines Freundes war, um ein frugales Abendbrod und ein Plätzchen in der Hütte, wo ich die Nacht ruhen könnte, was mir Beides auch mit großer Bereitwilligkeit gewährt wurde.
Als der erste Hunger mit gekochter Milch und gebackenen Seefischen gestillt war, unterhielt ich mich mit dem nicht mehr jungen Ehepaare über die Fischerei und ihre übrigen Verhältnisse. „Was meinst Du Peter,“ sagte die Frau plötzlich, „sollen wir nicht den Herrn bitten, uns den Brief zu lesen?“
„Wahrhaftig Frau, Du hast Recht,“ erwiederte der Fischer, „geh suche ihn.“
Die Alte erhob den ungeheuern Deckel eines Koffers, der in der Ecke stand, holte einen sorgfältig in Leinewand eingewickelten Brief hervor und reichte mir denselben mit der Bitte, ihn vorzulesen.
Es war ein Brief von ihrem Sohne, welcher als Matrose auf einem Kauffahrer diente. Er schrieb von Guadaloupe aus, daß sein Schiff im Begriff sei, die Anker zu lichten, und daß er, wenn ihn kein Unglück treffe, seine Eltern gegen das Ende des Januar zu sehen hoffe. Die Freude der guten Fischersleute war stumm und zeigte sich nur in einigen großen Thränen, welche die alte Frau ungehindert fließen ließ, während der Mann sie mit seiner schwieligen Hand wegwischte, als ob er sich schäme, sein Gefühl blicken zu lassen. Nachdem wir ein wenig gesprochen hatten, theils über den jungen Matrosen, theils über das Meer, seine Gefahren, den Fischfang und andere Dinge, boten mir die Leute ihr Bett an, welches ich jedoch zurückwies, indem ich erklärte, daß ich mich mit der Bank am Kamin begnügen wolle. Nach einigen Augenblicken wünschten mir die Strandbewohner gute Nacht und legten sich in ihr Bette. Ich legte noch einige Aeste und Reisigstückchen zum Feuer und streckte mich dann unter dem Getöse des Sturmes, welcher in diesem Augenblicke am wildesten zu rasen schien, auf die Bank nieder. Die Bewohner der Seeküste von Bayonne bis Finisterre leben von der Küstenschifffahrt, der Fischerei und dem Schiffbruch. In den Köpfen dieser Leute ist der Glaube fest eingewurzelt, daß jedes gescheiterte Schiff von Gott verflucht ist, und daß man nur dem göttlichen Willen entgegenkommt, wenn man beendet, was das Unwetter begann, indem man sowohl das Schiff als die Reisenden und die Matrosen, welche sich an’s Ufer retteten, ausplündert. Ein Schiffbruch ist das glücklichste Ereigniß für diese armen Menschen, deren Habgier bei solcher Gelegenheit alle Gefühle der Menschlichkeit in ihrer Brust erstickt.
Gegen Mitternacht hörte ich ein Geräusch in der Hütte, welches mich erweckte. Ohne mich zu rühren, öffnete ich die Augen und sah meine Wirthsleute bereits außer dem Bette und völlig angekleidet.
„Geschwind,“ sagte der Mann, „geschwind, Weib, mache Dich fertig. Ich habe ganz deutlich zwei Kanonenschüsse aus der Richtung des weißen Felsens gehört und wir werden ohne Zweifel Beute finden.“
Während dieser Worte hing die Alte zwei Laternen an einem Stabe auf, der über Kreuz an einer über acht Fuß langen Stange befestigt war; der Mann hatte eine eisenbeschlagene Stange, ein Beil mit kurzem Stiel und ein Seil in der Hand und so verließen sie mit lautlosen Schritten die Wohnung.
Begierig, das Ende eines Auftrittes zu sehen, welcher meine Neugierde erregt hatte, erhob ich mich, kleidete mich eilig an und verließ gleichfalls die Hütte, geleitet durch das doppelte Licht der beiden Laternen. Der Weg führte uns gegen das Meer, welches ich – so dicht war die Finsterniß – nicht sehen konnte, mit Entsetzen aber auf das Furchtbarste toben hörte. Plötzlich schienen die Laternen in den Boden zu versinken. Ich beeilte meine Schritte und gelangte zu einem Pfade, welcher von den Dünen herab zum Strande führte. Dort blieben die beiden Leute stehen, und ich konnte nun bei dem schwachen Schimmer der beiden Leuchten die schäumenden Wellen erkennen, welche sich mit Wuth an dem Ufer brachen. Die Mitternachtstunde, die Dunkelheit der Nacht, das düstere Licht [96] der Laternen, welches kaum erlaubte, die handelnden Personen zu erkennen, das grollende Meer, die entfesselten Winde, alles dies kündigte mir ein unerwartetes Schauspiel an, das mein Herz laut schlagen machte. Ich verbarg mich, kaum zwanzig Schritte von meinen Wirthsleuten entfernt, hinter einem Felsenstück, welches mir gestattete, Alles zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden.
Plötzlich wich die Nacht auf einen Augenblick einem blinkenden Lichte, dem ein mächtiger in den Dünen verhallender Donner folgte.
„Hörst Du dieses Mal den Nothschuß, Margarethe?“ fragte der Fischer, und ein Strahl der Laterne, welcher auf sein Gesicht fiel, ließ mich darin mit Entsetzen den Abglanz einer kannibalischen Freude erblicken, welche sich bei der zunehmenden Wuth des Windes und der Wellen zu erhöhen schien.
In einem Augenblick der Ruhe schien es mir, als hörte ich eine Stimme, das Schreien der Verzweiflung und gleich darauf ein Krachen wie von einem vom Blitz gespaltenen tausendjährigen Eichbaume. Das geübtere Ohr des Fischers hatte den Ton mit mehr Sicherheit vernommen und Peter sagte zu seiner Frau: „Sie können nicht mehr lange ausbleiben, richte die Laternen auf.“
Die Alte erhob das Kreuz und steckte die Spitze der Stange in den Sand, so daß die Laternen jetzt hoch und frei schwebten, ein Leuchtthurm um die Schiffbrüchigen in den furchtbaren Hinterhalt zu locken. Eine lange Welle überstürzte das flache Ufer; die Fischer standen bis an das Knie im Wasser, und als dieses zurücklief, ließ es einen Leichnam auf dem Sande. Mit erhobener Axt stürzte Peter auf denselben zu, bückte sich über ihn und fühlte nach dem Herzen. „Todt,“ sagte er, „todt.“
Jetzt ließ sich das regelmäßige Schlagen von Rudern in einiger Entfernung hören. „Teufel,“ rief der Mann, „es scheint, als versuchen sie in einer Schaluppe zu entkommen. Doch sie müssen sehr fein sein, wenn sie den weißen Felsen vermeiden wollen.“
Diese Worte wurden durch einen hundertfältigen Schrei der Verzweiflung unterbrochen. „Zu Hülfe! Zu Hülfe!“ hörte man deutlich rufen, und dann folgte ein schreckliches Schweigen. Die Schaluppe mußte gescheitert sein; das Meer hatte seine Beute verschlungen; Mantelsäcke, Kisten, Breter, Fässer, Bruchstücke von Masten und Rudern überschwemmten das Ufer, und beide Leute waren eifrig beschäftigt, die Gegenstände, welche heranschwammen, aus dem Bereiche der Wellen zu schleppen, denn die Alte hatte ihren meuchelmörderischen Leuchtthurm verlassen. Doch was höre ich? – Ein Schrei – das Stöhnen des Todeskampfes – nein, das ist keine Täuschung; ich höre eine Stimme, welche mit der Kraft der Verzweiflung nach Hülfe ruft, und wenige Schritte vom Ufer erblicke ich einen Kopf und zwei Arme gegen die Wogen ankämpfend.
Auf diesen Schrei eilte Peter mit hochgehobener Stange herbei. Ich glaubte, er wollte diese dem Unglücklichen reichen, um ihn aus den Wellen zu ziehen; aber nein, er ließ sie mit ihrer ganzen Schwere auf ihn niederfallen und stieß ihm dann die eisenbeschlagene Spitze in die Seite. Der letzte Seufzer entfloh dem Erbarmungswürdigen; das Verbrechen war vollbracht, und der Mörder zog den Leichnam an das Ufer.
Bei diesem schrecklichen Anblick war ich erstarrt und regungslos an dem Felsen, welcher mich barg, niedergesunken; doch Ströme von Regen weckten mich wieder aus meiner Betäubung, und als ich wieder zu mir kam und einen letzten Blick auf diese furchtbare Scene warf, sah ich die Kannibalen sich nach und nach fünf Leichnamen nähern und sie untersuchen, ob sie auch wirklich todt seien.
Der letzte war noch warm; es war derjenige, welchen der Fischer ermordet hatte. Die beiden Meuchelmörder beugten sich über ihn, kehrten ihn um und betrachteten sein Angesicht beim Schimmer der Laterne. Kaum fiel ein Lichtstrahl auf die entstellten Züge, als ich einen gräßlichen Schrei hörte und das Weib entseelt auf den Leichnam fallen sah. Die Mutter hatte ihren Sohn erkannt.
Sie wurden neben einander begraben. Peter schleppte noch zwei Jahre von schrecklichen Gewissensbissen gepeinigt, sein Leben hin; endlich hatte Gott Erbarmen mit dem Sohnesmörder. Man fand den Alten todt am Meeresstrande, mit dem Gesicht gegen den weißen Felsen gekehrt.
Webster, der unlängst verstorbene berühmte amerikanische Staatsmann, mußte eines Nachts mit Privatgelegenheit von Baltimore nach Washington fahren. Der Mann, der den Wagen lenkte, war von so verdächtigem Aussehen und erzählte dabei fortwährend so viele Räuber- und Mordgeschichten, daß Webster bald ängstlich zu werden anfing. Plötzlich blieb der Wagen mitten in einem dichten Walde stehen, und der Kutscher drehte sich nun zu seinem Passagier um und rief ihm in grimmigen Tone zu: „Jetzt, Herr, sagen Sie mir, wer Sie sind,“ Webster mit zitternder Stimme und im Begriff vom Wagen herunterzuspringen, antwortete: „Ich bin Daniel Webster, Congreßmitglied aus Massachusetts.“ „Was,“ erwiederte der Kutscher, ihn mit Wärme bei der Hand fassend, „Sie sind Webster! Gott sei Lob und Dank! Sie waren ein so verflucht häßliches Gesicht, daß ich Sie für einen Halsabschneider oder Straßenräuber hielt.“
Diese Geschichte erzählte Webster oft und gern und wußte dabei die Furcht der beiden Reisenden, die sich gegenseitig für Räuber ansahen, so komisch zu schildern, daß die Zuhörer aus dem Lachen gar nicht heraus kamen.
Zeitbroschüre. Von dem in vielfacher Beziehung interessanten Buche: „Die französische Armee in ihrem Verhältnisse zu dem Kaiser Louis Napoleon und den deutschen Heerestheilen“ ist schon nach einigen Wochen eine zweite, vielfach verbesserte Auflage erschienen, Beweis genug, daß die schlagenden Wahrheiten, die es enthält, vom deutschen militärischen und nicht militärischen Publikum große Beachtung gefunden haben. Besonders interessant in dem Büchlein sind die Erörterungen, welche der Verfasser anstellt, für den Fall, daß die vereinte Bundesarmee unter Befehl eines Obergenerals gegen die französische Armee zu operiren hätte. Aus der Praxis der Jahre 1848 und 49 werden da einzelne Fälle erzählt, die vom militärischen Standpunkt aus betrachtet, ungemein komisch sind, und grelle Schlagschatten auf die Kleinstaaterei werfen. Der Verfasser weist ferner u. A. nach, daß man bei Ausbruch eines Krieges nothwendig der deutschen Armee ein allgemeines Nationalzeichen geben und dann wohl oder übel wieder zu den schwarz-roth-goldnen Farben greifen müsse.