Die Gartenlaube (1854)/Heft 48

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[577]

No. 48. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Jean Piccolo, der Tambour der Fremdenlegion.[WS 1]

Wahrlich in einer Grenadier-Compagnie der Fremdenlegion in Algerien, die jetzt im Orient mitkämpft, kann man Originale sehen, wie man sie in der Art nicht so leicht im ganzen Leben wieder zusammenfinden wird. Fast lauter feste, stämmige Gestalten, mit dunkel gebrannten, wildbärtigen Gesichtern, die oft der Kreuz und der Quer mit breiten Narben gezeichnet, sind diese Grenadiere. Was die Fremdenlegion, dies große Asyl sonst aller verlorenen Söhne von halb Europa, an kleinen verkümmerten Kerlen und untüchtigen Soldaten besitzt, das bleibt in den „Compagnies du centre“ zurück, die „Compagnies d’élite“ und gar die Grenadiere nehmen nur tüchtige, vielversuchte Krieger in ihren Reihen auf; fast alle sonst noch so verschiedenen Nationen sind in denselben vertreten. Der blondhaarige, blauäugige, breitschultrige Schwede steht neben dem schlanken, gebräunten Castilier, der lombardische Flüchtling neben dem früheren russischen Kriegsschiffmatrosen, den eine Desertion hierher führte, um ein beschwerliches Leben mit einem anderen nicht minder beschwerlichen zu vertauschen. Und gar Deutschlands verlorene Kinder, wie reich sind dieselben in diesen Compagnien vertreten. Von allen unseren einunddreißig oder zweiunddreißig verschiedenen Vaterländern wird man sicherlich mehrere würdige Repräsentanten hier finden. Altbaiern und Pommern, Pfälzer und Mecklenburger, Schwaben und Schlesier, in bester Eintracht stehen sie beisammen, unter der Trikolor-Fahne Frankreichs. Die Meisten dieser Grenadiere haben bereits in verschiedenen Heeren gedient und gar manche blutige Kämpfe mit durchgefochten, bevor ihr wechselvolles Leben sie hierher in die entlegensten Theile von Algerien führte. Der Eine kam vielleicht aus den holländischen Kolonien in Ostindien und hatte schon so und so viel Jahre den Gift getränkten Waffen der Malayen gegenüber gestanden, sein Nebenmann von Ungarns blutigen Schlachtfeldern, der von den Schleswig-Holstein’schen Feldzügen, der Vierte aus Nordamerika, wo er die mexikanischen Kriege mitgeschlagen, Jener aus Sicilien, sein Kamerad neben ihm aus Baden, während die furchtbaren Narben des Flügelmannes von tscherkessischen Klingen im Kaukasus herrührten, gegen die er als polnischer Soldat des Czaren mehrere Jahre gezwungen gefochten, bis ihm seine gefahrvolle Desertion endlich glückte, ein englischer Kauffahrer am schwarzen Meere ihn aufnahm und er so endlich nach wechselvollen Schicksalen hierher in die Fremdenlegion verschlagen ward. Oft als erbitterte Feinde hatten früher manche dieser Grenadiere, die jetzt friedlich in den Reihen neben einander standen, schon gekämpft.

Der Merkwürdigste aller dieser wilden Kerle der Grenadier-Compagnie, unter deren Eskorte ich mehrere Tage mit marschirte, war aber unbedingt ihr erster Tambour, Jean Piccolo, oder „Jean le Petit“ oder „dee lutje Hanns“ oder „Hanns Dumling“ oder „Rothhans“ oder „Jovanuo Pocco-Poccissimo“ und Gott weiß, wie noch weiter genannt. Wahrlich, dieser Tambour war ein Original, wie man es so leicht nicht wieder auf dieser ganzen großen, weiten Welt finden wird. Zuerst schon sein Aeußeres, was unbedingt Aufsehen erregen mußte. Der ganze Kerl war kaum fünf Fuß hoch, dabei aber von solcher Breite in der Brust und über die Schultern, wie ich nur selten den größten Mann gesehen habe. Auf diesem breiten Brustkasten saß ein ganz kurzer aber dafür sehr dicker Hals und auf diesem wieder ein Kopf, dessen Proportionen kaum für einen 61/2 schuhigen Riesen gepaßt haben würden. Ein ungeheurer Wulst von brandrothen Haars bedeckte diesen großen, dabei seltsam geformten Kopf, wie auch ein langer, fuchsrother, sehr ungepflegter Bart bis weit auf die Brust darniederhing. Pflegte aber „Jean Piccolo“, so ward der Tambour doch am Meisten genannt, und stand auch, irre ich nicht, mit diesem Namen in den Compagnielisten eingetragen, seinen Kinnbart gar nicht, und hatte gewiß seit Monden weder Scheere noch Kamm den üppigen Haarwuchs desselben berührt, so verwandte er dafür desto größere Sorgfalt auf seinen Schnurrbart. Von großer Länge und ebenfalls brandrother Farbe, starrten die beiden Spitzen desselben gleich einem Paar Spießen auf beiden Seiten des Gesichtes weit ab in die Luft. Möglichst fest dieselben zusammenzudrehen und mit Pech oder Honig festzukleben, war mit eine der Hauptsorgen von Jean, die er jeden Morgen im Bivouak getreulich erfüllte, wenn ihm seine Toilette sonst auch sehr wenig Zeit in Anspruch nahm, und er seinen tief innern Abscheu gegen das Wasser auch so weit ausdehnte, daß er sein Gesicht möglichst selten in Berührung mit demselben brachte. Dies Gesicht, soweit man es vor dem Haarwuchs, der es von allen Seiten umzottelte, sehen konnte, hatte aber sonst einen so merkwürdigen Ausdruck, daß leider meine Feder, nicht genugsam ausreichend ist, denselben in seiner ganzen vollen Pracht zu beschreiben. Die Farbe desselben war dunkelbraun gebrannt von den Strahlen der afrikanischen Sonne, unter deren Glut Jean Piccolo nun schon manches Jahr seine Trommelschlägel rührte, brennend roth und glänzend wie der feurigste Rubin hingegen die breitgequetschte Nase. Wie manches Litre von dem dunkelrothen Wein der Provence oder von starkem Eau de vie war auch schon durch Jeans ewig durstige Kehle hinunter geglitten, bis seine Nase in so brennend rothen Farben sich schattirte. Zwei kleine, blaugraue Augen, die tief unter rothborstigen Augenbrauen versteckt lagen, zwickerten mit listigen Blicken [578] in die Welt hinaus. Ein ganz unbeschreibliches Gemisch von Schlauheit, Dreistigkeit, Humor und Griesgrämlichkeit lag in dem Ausdruck dieser Augen. Die kleine niedere Stirn war durch eine breite klaffende Narbe, die sich über die Nase bis weit auf die Backen hinabzog, in zwei Hälften getheilt. Auf diesem Kopfe balancirte, weit auf das Hintertheil gesetzt, ein kleines Käppi, wie es die französische Infanterie trägt, während ein ungemein mitgenommener blauer Uniformsrock der Legion, dessen rothe Franzenepaulettes auf den Schultern nur noch einzelne wenige Franzen aufzuweisen hatten, den dicken und starken Oberkörper umschloß.

Da es bei dem beständigen Felddienst der Compagnie in dem abgelegendsten Theil von Algerien nicht sehr genau mit der reglementsmäßigen Uniformirung der einzelnen Soldaten genommen wird, so hatte Jean Piccolo auch mehrere Veränderungen, wie Bequemlichkeit oder Phantasie ihm solche eingab, bei seinem Anzug sich erlaubt. So trug er um den Leib als Gürtel einen rothen, türkischen Shawl, der einst gewiß einem vornehmen arabischen Scheik gehört und großen Werthe gehabt hatte, jetzt aber schon ungemein schmierig und defekt aussah. Er nannte diesen Gürtel seinen „Magentröster“ oder „Seelenzusammenhalter“ und war ungemein stolz auf den Besitz desselben. Seine im Verhältniß zu der Breite des Oberkörpers nur dünnen und auch sehr kurzen Beine steckten in den Pantalons, wie sie die Fremdenlegion trägt. Aus eigner Machtvollkommenheit hatte er sich aber ein paar Stulpstiefel, die er Gott weiß irgendwo aufgegabelt, zugelegt, und trug diese gewöhnlich bis auf das Knie heraufgezogen. Eine riesig große Branntweinflasche aus einem Flaschenkürbis geschnitzt, hing an einer Schnur ihm über die Schulter, wie auch aus seinem Gürtel der Knauf einer alten, sehr langen Reiterpistole herausschaute.

Seitengewehr und Trommel trug er auf die gewöhnliche Art der Tamboure. Auf Letzterer war übrigens Jean Piccolo in seincr Art ein Virtuose, und so viele Tamboure der schönsten Regimenter in fast ganz Europa ich auch schon schlagen hörte, so hörte ich doch nie so kraftvolle und dabei wirklich kunstfertig geschlagene Wirbel wie von ihm. Seine übermäßig langen Arme mit den breiten knochigen Pratzen daran, schienen wirklich aus Stahlfedern zu bestehen, mit solcher Kraft und Ausdauer führten sie die Schlägel. Ganze Stunden lang auf dem Marsche, Berg auf, Berg ab, in der glühendsten Hitze, konnte er forttrommeln und wirbeln, wenn man ihm einige Litre Wein als Extrabelohnung dafür versprach, ohne daß man ihm eine Ermüdung nur im Mindesten anmerkte.

Es ist faktisch, daß Jean Piccolo einst eine Wette eingegangen war, die drei Tamboure einer französischen Grenadier-Compagnie unmittelbar nach einander müde zu trommeln, und nach mehrstündigem heißen Kampfe als vollständiger Sieger aus demselben hervorging. Seine Freude darüber, gerade die übermüthgen Franzosen auf solche Weise geschlagen zu haben, war sehr groß, denn obschon Jean Piccolo nun schon an ein Dutzend Jahre unter der Trikolorfahne trommelte, war er doch der größte Franzosenfeind, der mir jemals vorgekommen ist. Nichts, aber auch gar nichts war seiner Ansicht nach bei den Franzosen gut, alles mögliche Schlechte aber bei ihnen in Hülle und Fülle vereinigt. Grade seiner Franzosenfeindschaft wegen hatte er schon zahllose Streitigkeiten und Raufereien aller Art, und wie es sich gehörte, auch nicht geringe Strafen gehabt, war aber natürlich nicht im Mindesten dadurch geheilt worden. Dabei hatte er sich aber stets vortrefflich für die französische Sache in Algerien geschlagen und mehrfach Verleitungen zur Desertion entschieden abgewiesen. Ueber seine große Bravour und Kaltblütigkeit im Gefecht war nur eine Stimme in der ganzen Compagnie, und wenn nicht sein unbesiegbarer Hang zu Liederlichkeiten aller Art und besonders zur Trunkenheit hindernd dazwischen getreten, hätte man Jean am Ende doch zum Avancement vorgeschlagen.

Unter den vielen Geschichten, die von dem Muthe dieses kleinen häßlichen Tambours circulirten, war besonders die merkwürdig, daß er sich einmal ganz allein mit Erfolg gegen drei beduinische Reiter, die ihn attaquirten, vertheidigte. Er hat stets mit seiner Trommel solchen Lärm gemacht, daß die Pferde der Reiter davor zurückscheuten und sich dieselben ihm nicht nähern konnten. Endlich hat er als letztes Rettungsmittel einem Pferde seine Trommel mit solcher Gewalt an den Kopf geworfen, daß das Thier zurückbäumte und sich mit seinem Reiter überschlug, während Jean rasch seine Pistole aus dem Gürtel zog und damit einen andern Beduinen verwundete, worauf denn alle Drei den Kampf aufgaben, und dem kleinen heldenmüthigen Tambour erlaubten, sich zu retten.

Eine andere Erzählung war, daß derselbe einst mit einem riesigen Kabylen in ein persönliches Handgemenge gerathen sei. Die beiden wüthenden Gegner haben sich ineinander gefaßt und Jeder hat den Andern zu Boden zu werfen versucht. Bei diesem wilden Geringe sind Beide aber ausgeglitten und einen ziemlich steilen und steinigen Felsabhang hinunter gepurzelt. Obgleich arg zerschlagen und zerquetscht, haben Beide, unten angekommen, sich doch nicht losgelassen, sondern in ihrer wilden Wuth zuletzt förmlich wie ein paar Bulldoggen in einander verbissen, in welcher Lage sie endlich von anderen Soldaten der Fremdenlegion aufgefunden worden sind. Die spitzen Zähne des Kabylen haben sich tief in die eine Backe des Jean Piccolo eingegraben gehabt, und noch jetzt konnte man die Narben davon deutlich erkennen, was gerade nicht zur Erhöhung seiner körperlichen Schönheit mit beitrug.

Aber nicht allein gegen Kabylen, Hajuten und Beduinen mochte er sich schlagen; auch mit manchen Grenadieren seiner Compagnie hatte er gar viele Feindseligkeiten. Besonders ein großer Normanne mit dem Beinamen „Robert le diable“ war der erklärte Feind von Jean Piccolo. So klein und häßlich wie Jean, eben so schön und stattlich war dieser Robert. Von mehr als gewöhnlicher Größe, dabei ganz ebenmäßig gewachsen, mit einem regelmäßigen Gesicht, was durch einen prächtigen Schnurr- und Knebelbart geziert war, fehlte diesem Grenadier wirklich kein äußerlicher Vorzug, um für einen ausgezeichnet schönen Soldaten, der in der auserlesensten Gardetruppe selbst Aufsehen gemacht hätte, zu gelten. In seinen dunkeln Augen blitzte Muth und Feuer, zugleich aber auch Roheit, ja selbst Grausamkeit. Wegen letzterer, die er besonders auch oft auf empörende Weise an den Feinden, denen er nie Pardon gab, ausgeübt haben soll, hatte dieser Normanne auch den Beinamen Robert le diable in der Compagnie erhalten und sein ganzes Verhalten soll auch denselben vollkommen gerechtfertigt haben. Schon mehrfach wegen seines Muthes im Gefecht und seiner sonstigen militairischen Brauchbarkeit zum Korporal befördert, hat man ihn seiner Grausamkeit, Roheit und Trunksucht wegen stets wieder die Galons nehmen müssen, und der Capitain seiner Compagnie sagte mir, daß er die feste Ueberzeugung habe, dieser sonst so sittliche und auch muthige Soldat werde sein Leben wahrscheinlich im Bagno von Toulon beschließen. Robert und Jean haßten sich nun gegenseitig wie sich nur zwei Männer hassen können und versäumten gewiß keine Gelegenheit, diesen Haß durch Worte und wo sie auch nur konnten durch Thaten Luft zu machen. Wiederholt schon hatten sie sich mit ihren kurzen Seitengewehren, wie sie die französischen Grenadiere tragen, gegenübergestanden und in wüthenden Zweikämpfen ihrem gegenseitigen Haß Luft gemacht. Beide waren aber gleich muthige, gewandte und starke Fechter und wenn auch Jean durch seine Kleinheit im bedeutenden Nachtheil war, so soll er dies durch eine katzenartige Schnelligkeit und Gewandtheit stets wieder ausgeglichen haben. Ein ganz eigenthümliches Schauspiel mögen aber diese wüthenden Zweikämpfe des riesigen Grenadiers mit dem gnomenartigen Tambour stets abgegeben haben. Jetzt wo wegen des letzten Zweikampfes jeder mit vierzehn Tagen strengem Arrest bestraft worden war, gingen sie wie zwei bissige Hunde zähnefletschend und zürnend neben einander herum und versäumten gewiß keine Gelegenheit, sich wenigstens durch höhnische Worte und spöttische Redensarten zu reizen und zu kränken, da es ihnen auf andere Weise streng untersagt war. Hatte Jean Piccolo noch so lange kunstvolle Wirbel auf seiner Trommel geschlagen und wirklich das Mögliche an Ausdauer und Geschicklichkeit hierin geleistet, dann stichelte Robert le diable gewiß darüber und meinte, bei ihm zu Hause verständen die Knaben, die mit Grenadiermützen von Zuckerpapier auf dem Kopf Soldat spielten, schon besser die Trommel zu rühren[WS 2]; und umgekehrt wieder verglich Jean Piccolo den Gesang seines Nebenbuhlers, der wirklich eine recht gute Stimme hatte und es liebte, am Abend bei den nächtlichen Bivouakfeuern, die mit Myrthenholz genährt wurden, seine Chansons und Couplets vorzutragen, mit dem Krähen eines Hahnes oder dem Miauen einer Katze. Hatte der Grenadier ein kriegerisches Lied mit vielem Pathos vorgetragen, sogleich parodirte sein unermüdlicher Quälgeist ihn wieder und that dies mit solchem Geschick und so viel [579] natürlicher Komik, daß er stets die Lacher auf seine Seite zu bekommen wußte und der Eindruck, den der Grenadier mit seinem Gesange hervorbringen wollte, gänzlich verloren ging. Ungemein komische Scenen kamen hierbei vor und selten in meinem Leben entsinne ich mich so viel und so herzlich gelacht zu haben, als wenn ich hier des Abends an das Bivouakfeuer ging, um diesem Streit der beiden Nebenbuhler zuzuhören.

Der erste Grund des Hasses zwischen diesen beiden Originalen war Eifersucht gewesen. Beide liebten feurig und zwar Jeannette d’Arc, die Marketenderin oder richtiger Vivandière der Compagnie. So eine Marketenderin einer Grenadier-Compagnie der Fremdenlegion ist gar vielfacher Anfechtungen aller Art ausgesetzt und es bedarf schon einer resoluten Persönlichkeit, um diesen schwierigen Posten nur einigermaßen auszufüllen. Eine reizend poetische Erscheinung, so eine zweite Art von Regimentstochter darf man sich unter einer solchen Vivandière wahrlich nicht vorstellen. In vielfachen Richtungen hat dieselbe gewöhnlich schon das Leben kennen gelernt und besonders auch in dem Kapitel der Liebe gar mannigfache Erfahrungen sammeln können, ohne es deshalb verlernt zu haben, den süßen Regungen ihres Herzens nachzugeben. Diese Jeanne d’Arc, wie ihr Spitzname, bei dem sie nur allgemein genannt wurde, konnte wirklich als ein wahres Modell einer tüchtigen Vivandière gelten. Ueber die erste Blüthezeit ihres Lebens, die sie nach ihrer Versicherung als Mitglied einer Kunstreitergesellschaft verlebt hatte, war sie jetzt vorüber und gewiß über dreißig Lenze waren seit ihrer Geburt verstrichen.

Hatte auch das Gesicht schon manche schärfere Linien erhalten, war der süße Zauber der reinen Jungfräulichkeit bereits längst aus demselben verschwunden, so lag doch noch immer so viel Reiz darin, um die leicht empfänglichen Herzen vieler Grenadiere in Feuer und Flamme zu versetzen. In den großen dunkeln Augen dieser Amazone brannte eine lebhafte Gluth, ihr Mund war wie zum Küssen geschaffen und der nicht zu kleine schwarze Schnurrbart, der sich über der Oberlippe kräuselte, und um den mancher deutsche Fähnrich die Dame gewiß beneidet hätte, trug nur noch mehr dazu bei, ihr ein pikantes Ansehen zu geben. Die Gestalt war groß und kräftig und der kurze rothe Rock, die Halbstiefeln, die mit Schnüren besetzte kurze Spenzerjacke und der breiträndrige, niedrige Hut von Glanzleder, was zusammen den Anzug der Vivandière bildete, kleideten dieselbe nicht schlecht. Und wie trefflich verstand dieselbe ihr wahrlich nicht leichtes Amt zu versehen und die oft etwas zu ungestümen Begierden mancher Grenadiere nach ihren Reizen oder mehr eigentlich wohl noch nach dem Eau de vie und dem Cognac, in den kleinen grünen Fässern, die vorn am Sattelknopf des Mulets hingen, zu zügeln. Wahrlich, reichten ihre Worte nicht aus und Jeanne d’Arc hatte einen gar reichen Vorrath der spitzigsten Redensarten und höhnischsten Schimpfnamen, welche die französische Sprache nur besitzt in ihrem Vorrathe und theilte solchen gar freigebig aus, dann nahm sie auch zu handgreiflichen Zurechtweisungen ihre Zuflucht. Das „je vous donnerai une sofflet polisson imbecille“ u. s. w. „que vous êtes“ was sie gar oft hören ließ, wenn die Grenadiere ihren Anordnungen nicht Folge leisten wollten, blieb nicht immer eine leere Drohung, sondern ward nur zu oft zur vollen Wirklichkeit.

Ich habe dieselbe einst gesehen, wie sie einem riesigen Grenadier, einem gebornen Wallonen, der ohne ihre Erlaubniß sich ein Litre Wein aus ihrem Fäßlein gezapft hatte, rechts und links mit einem solchem Hagel der gewaltigsten und dabei geschickt angebrachten Ohrfeigen überschüttete, daß der so Gestrafte wahrlich nicht wußte, wohin er nur den Kopf wenden sollte, um diesen klatschenden Streichen, die seine Backen mit noch dunklerem Roth wie gewöhnlich färbten, zu entgehen. Mit einem wüthenden „sacre dieu maudite soscière“ riß der so Geprügelte sich endlich aus den kräftigen Händen seiner Züchterin los und wollte auf dieselbe zur Wiedervergeltung ausschwingen, aber Jean Piccolo trat sogleich zum Schutze seiner Freundin vor und da dessen Körperkraft allgemein bekannt und gefürchtet war, so wollte der Wallone es mit zwei solchen gefährlichen Gegnern nicht aufnehmen und zog sich daher unter dem schallenden Gelächter vieler Kameraden wieder zurück.

Der weibliche Geschmack ist im Punkte der Liebe oft gar seltsam, und obgleich man gar nicht glauben sollte, daß Jeannette d’Arc in der Wahl ihres Liebhabers zwischen dem großen, schönen Robert le diable und dem kleinen, häßlichen Tambour, Jean Piccolo, die beide gleich feurig sich um ihre Gunst bewarben, auch nur einen Augenblick hatte schwanken können, so hatte sie sich doch Letzteren erwählt. So war derselbe denn für den Augenblick der primo amoroso der Vivandière geworden und hatte für die vielfachen Gunstbezeugungen derselben sich den feindlichen Haß seines besiegten Nebenbuhlers eingehandelt, was er aber ziemlich leicht auf die Achsel nahm, ja selbst noch durch Spötteleien aller Art zu vermehren suchte. Außer der Liebe seiner Vivandière und der Zuneigung der meisten Grenadiere, die den kleinen, stets lustigen Tambour gern mochten, erfreute sich derselbe auch noch der besonderen Anhänglichkeit zweier mächtiger Thiere, die seiner Compagnie stets folgten. Das Eine derselben war ein ungemein häßlicher, kleiner, krummbeiniger Dachshund, der dem „Capitain“ gehörte und von den Soldaten Cäsar le grand genannt wurde. Eben so häßlich in seiner Art wie der Tambour war dieser Dachshund, und wirklich diese große Aehnlichkeit in der äußeren Erscheinung Beider mochte auch die lebhafte Freundschaft zwischen denselben hervorgerufen haben. Nur von seinem Herrn, dem alten Capitaine und dann von Jean Piccolo, ließ sich dieser alte, knurrige Dachshund streicheln, ja, nur berühren, jeden andern Soldaten, der dies wagen wollte, fuhr er gewiß zähnefletschend an. Auf den Märschen ging Cäsar le grand mit unveränderlicher Gravität unmittelbar hinter seinem Freunde Jean Piccolo und so wie der Tambour die Trommel zu rühren anfing, stieß der Hund, sei es aus Vergnügen oder Aerger darüber, ein kurzes, scharfes Geheul aus. Dies Geheul dauerte aber nur so lange, wie der erste Wirbel anhielt, dann schwieg der Hund beharrlich während des ganzen Getrommels, bis er zuletzt, sobald er sah, daß der Tambour die Schlägel wegsteckte, wieder ein kurzes Geheul ausstieß. In diese Töne brach derselbe aber nur aus, sobald er sah, daß sein Freund, Jean Piccolo, der Trommler war, denn von den Uebungen der andern Tamboure nahm er nicht die mindeste Notiz und konnte selbst ruhig schlafen und nur hin und wieder mit den Augen blinzelnd fortliegen bleiben, mochten dieselben auf ihren Trommelfellen noch so viel rasseln.

Diesen Platz neben Jean Piccolo behauptete Cäsar le grand auf dem Marsche aber unerschütterlich, mochte es zur Parade oder in das Gefecht gehen. Bei einem sehr hitzigen Gefechte mit den Kabylen ist derselbe vor mehreren Jahren von einer feindlichen Kugel ziemlich bedeutend am Halse verwundet worden, ohne deshalb seinen Posten auch nur einen Augenblick zu verlassen. Sobald übrigens die Compagnie auf Vorposten im Bivouak stand, war es das erste Geschäft des Hundes, die Patrouillen, welche die äußersten Vedetten auszustellen hatten, zu begleiten, und so gleichsam Kunde von der Aufstellung derselben zu nehmen. Sobald er die Postenchaine kannte, visitirte er dieselbe regelmäßig die ganze Nacht hindurch von Stunde zu Stunde. Schon wiederholt hatte dieser so kluge und wachsame Hund einige Posten vor heimlichen mörderischen Beschleichungen der Kabylen geschützt, denn bei der leisesten verdächtigen Annäherung, die er mit scharfem Sinne witterte, warnte er die Posten durch sein lautes Gebelle. Aber nur für die Grenadiere seiner Compagnie hatte dieser seltsame Hund solche Wachsamkeit, um alle übrigen Vedetten kümmerte er sich nicht im Mindesten, und soll es schon mit angesehen haben, daß solche von Kabylen beschlichen und ermordet worden sind, ohne sie durch sein Gebelle vorher zu warnen. Wegen dieses Hundes kam es übrigens, während ich mich noch in Algerien befand, in einem Lager hinter Constantine zu einer heftigen Prügelei zwischen den Soldaten eines Chasseurs d’Orleans-Bataillons und den Grenadieren. Ein Chasseur hatte Cäsar le grand streicheln wollen, der Hund diese Aufmerksamkeit aber nach seiner Gewohnheit durch einen Biß in die Hand belohnt, und nun von dem erzürnten Jäger dafür einen Fußtritt erhalten. Grenadiere der Compagnie, die dies sahen, nahmen natürlich sogleich Partei für ihren Hund und gingen dem Thäter zu Leibe, andere Kameraden eilten diesem wieder zur Hülfe, und da zwischen den Chasseurs d’Orleans und den Grenadiern und Voltigeurs der Legion ein beständiger bitterer Haß herrscht, so war bald der heftigste Kampf in vollem Gange, und Säbel, Hirschfänger, ja selbst Bajonnette wütheten gegen einander. Schon hatten die Chasseurs, die in der Minderheit waren, sich theilweise ihre Büchsen geholt und wollten scharf feuern, als es endlich der Energie einiger Offiziere [580] gelang, die Wüthenden wieder auseinander zu bringen. Ein Dutzend leicht und schwer Verwundete, unter denen Einige später sogar noch gestorben sein sollen, bedeckte von beiden Seiten den Kampfplatz. Unter den heftigsten Kämpfern zeichnete sich wie immer bei solchen Gelegenheiten auch dieses Mal wieder Jean Piccolo am Meisten aus, der nicht allein die Ungebühr, die seinem Freunde Cäsar le grand widerfahren war, rächen mußte, sondern auch gewiß keine Gelegenheit vorbeigehen lassen konnte, wo er seinem Zorn gegen die nationalfranzösischen Regimenter Luft zu machen sich Gelegenheit verschaffte. Sein Kampfeseifer ward aber mit einem 14tägigen strengen Arrest belohnt, eine Strafe, an die unser Tambour schon viel zu sehr gewöhnt war, als daß sie ihn besonders aus der Fassung gebracht hätte.

Ein anderer vierfüßiger Freund, den unser Jean in der Compagnie hatte, war Monsieur Robineau, so hatten die Grenadiere den alten, dummen, einäugigen und einohrigen Maulesel, den ihr Capitain häufig auf dem Marsche ritt, getauft. Dieser Maulesel war unbedingt das häßlichste, dabei aber auch das ausdauerndste Thier seiner ganzen Gattung, was man nur finden konnte. Hunger und Durst, die angestrengtesten Märsche bei glühendster Sonnenhitze über die steilen Schieferberge des Atlasgebirges oder durch den Sand der Wüste, Alles glitt spurlos an ihm vorüber. Den Kopf gesenkt, und mit dem haarlosen Schweif hin und her wedelnd, trabte er unermüdlich fort, mochte der Marsch auch noch so lang und beschwerlich sein. Wehe dem Soldaten aber, der sich unbesorgt ihm nähern wollte, er erhielt gewiß einen Hufschlag je nach Umständen mit den Hinter- oder Vorderfüßen für diesen Versuch. Denn außer seinem Herrn und dem Bedienten desselben, einem alten Neger, litt Monsieur Robineau nur die Annäherung von Jean Piccolo. Diesem folgte er aber mit der Anhänglichkeit eines Hundes, und wenn der Maulesel auf der Weide war, so brauchte der Tambour nur auf den Fingern zu pfeifen und das Thier kam gewiß angetrabt, um sich satteln und zäumen zu lassen. Von der Klugheit und dem Muthe dieses Esels, der Aug’ und Ohr übrigens schon im Kampfe verloren hatte, wußten die Grenadiere gar viele Geschichten zu erzählen, die wirklich oft an das Fabelhafte grenzten, obgleich ihre Glaubwürdigkeit mir von mehrfachen Seiten versichert ward. So war derselbe einst bei einem nächtlichen Ueberfall von den Beduinen erbeutet worden und mehrere Tage fort gewesen, bis er zur Freude der ganzen Compagnie, die den Maulesel trotz seiner vielen Tücken doch gerne leiden mochte, ganz plötzlich wieder bei den Vorposten erschien, und mit allgemeinem Jubel empfangen ward. Er hatte sich, wie man zu sagen pflegt, selbst ranzionirt, und mit einem für einen Esel wirklich sehr achtbaren Instinkt den Weg zu seiner Compagnie allein zurückgefunden. Auch einen in den Annalen der Compagnie berühmten Kampf mit einer hungrigen Hyäne, die ihn des Nachts auf der Weide angegriffen, hatte Monsieur Robineau einst siegreich bestanden. Man fand das Thier am anderen Morgen ganz lahm auf dem Platze liegen, solch’ kräftige Hufschläge mit den Hinterfüßen hatte ihm der Esel versetzt. Die Grenadiere hatten daher ihm, wie auch dem Hunde Cäsar le grand, einen Orden zuerkannt, den Beide bei besonders festlichen Gelegenheiten an einem rothen Bande um den Hals trugen. Für gewöhnlich hatte Jean Piccolo diese aus glänzenden Messingkreuzen bestehenden Ordensdekorationen seiner beiden vierfüßigen Freunde in Verwahrung.

Wie das frühere Leben des Tambours, bevor er zur Legion trat, so war auch sein Geburtsland ein Geheimniß, dessen Schleier noch kein Grenadier je ganz gelüftet hatte. Daß er ein Deutscher war und auch früher schon, bevor er zur Fremdenlegion kam, irgendwo als Trommelschläger gedient haben müsse, war bekannt, und wurde auch von dem Betreffenden selbst niemals ganz geläugnet, in welchem Vaterländchen unseres Vaterlandes unser Held aber zur Welt gekommen und für welche Herrscher er früher schon die Trommel gerührt hatte, wußte Niemand in der ganzen Compagnie anzugeben. Der Tambour mußte irgendwie einen Grund haben, seine früheren Schicksale geheim zu halten, oder vielleicht machte es ihm auch nur Vergnügen, die Neugierde seiner Kameraden zu reizen; denn wenn er, wie häufig geschah, nach Geburtsland und früheres Leben gefragt wurde, vergnügte er sich, dem Fragenden allerlei Unsinn mit der ernsthaftesten Miene und dem treuherzigsten Gesicht von der Welt aufzubinden. Er erzählte dann oft mit pathetischer Wichtigkeit, er wolle seinen treuen Kameraden es jetzt nicht länger vorenthalten, daß er von echt prinzlichem Geblüte und der älteste Sohn eines mächtigen deutschen Fürsten sei, und schon als Knabe das Leibgarde-Grenadier-Füsselier-Regiment seines Vaters, was 17 Gemeine und 13 Offiziere stark wäre, befehligt habe. Nur die Liebe habe ihm, den Erbprinzen, in seine jetzige, für seine Geburt so unwürdige Stellung gebracht. Sein Vater habe ihn nämlich aus Standesrücksichten mit einer alten reichen aber sehr häßlichen Prinzessin verheirathen wollen, während sein Herz für ein bildschönes Müllermädel geschlagen. Da der hartherzige Vater seinen Bitten nicht nachgegeben, so habe er sich endlich auf das Auskratzen gelegt, sei den 21/4 Husaren, aus denen die ganze hochfürstliche Reiterei bestanden, die man zum Nachsetzen geschickt, glücklich entwischt, und so endlich Tambour in der „sakrischen französischen Republik“ wie Jean sich stets ausdrückte, geworden. Wenn er diese Erzählung in seinem Kauderwelsch unter dem schallenden Gelächter der Grenadiere vorgetragen hatte, so schloß er dieselbe stets mit den Worten: „Und nun Kameraden seid dankbar für die hohe Ehre, daß Ihr selbst einen Fürstensohn zum Tambour habt, und zahlt mir eine Chopine: „Allons buvons une chopine.“

Sein Feind und Nebenbuhler Robert le diable wollte übrigens in Erfahrung gebracht haben, Jean Piccolo sei das hinter der Hecke zur Welt gekommene Kind einer Landstreicherfamilie und früher seiner Häßlichkeit wegen in einem Menageriekäfig als Bastard von einem Affen und einem Negermädchen für Geld gezeigt worden. Wüthende Kämpfe hat übrigens diese spöttische Angabe des eifersüchtigen Grenadiers wiederholt hervorgerufen. Uebrigens wich der Tambour selbst meinem Fragen nach seiner Heimath mit großer diplomatischer Geschicklichkeit aus, obgleich ich selbst bei ihm in hohem Ansehen stand, da ich seine Dienstleistungen für mich und mein Pferd, so lange ich mich bei der Compagnie befand, sehr reichlich bezahlte und seine ewig durstige Kehle überdies mit manchem Extra-Schoppen Wein regalirte.

Jetzt ist Jean Piccolo der lustige Tambour der Grenadiere der Fremdenlegion nicht mehr am Leben; denn eine Kugel eines Kabylen gab ihm bei einem Gefechte den Tod. Lustig und unverzagt, wie er stets gelebt, soll der kleine Kerl auch gestorben sein. Als ihm der Chirurgier-Major achselzuckend gesagt hatte, es sei für ihn keine Rettung mehr zu hoffen, so ließ Jean sein gewöhnliches „Allons camerades, buvons encore une chopine“ noch einmal hören. Eine große Kürbißflasche setzte er dann an die Lippen, leerte sie mit seinen langen Zügen bis auf den Grund, strich sich dann seinen Schnurrbart und sagte:

„Adieu, Cameraden, lange wird es nicht mehr dauern, bis mir der letzte Appell getrommelt wird.“

Dann hat er sich umgedreht, sich noch einige Mal gereckt und gestreckt und ist eine Leiche gewesen. So leicht wird sein Andenken in der Compagnie, in der er gestanden, nicht erlöschen, und noch gar oft werden die alten Grenadiere derselben sich bei ihren flammenden Bivouakfeuern in den Schluchten der Krim von den vielen Streichen Jean Piccolo’s, ihres lustigen Tambours, zu erzählen wissen.
J. v. Wickede. 
[581]
Amerikanische Briefe.
Die Arbeits- und Lohn-Verhältnisse in Canada. – „Die tausend Inseln“ und ihre Zukunft. – Kingston. – Coburg. – „Das mittelländische Meer“ der neuen Welt. – Geologischer und mineralogischer Naturschätz der vereinigten Staaten. – Der Berg von Eisen. – Der Niagara-Fluß. – Queenstown. – Hamilton und die große Westeisenbahn. – Todtentanz um der Wasserkegel. – Die Kanäle zwischen Erie- und Ontario-See. – Das deutsche Hotel an den Niagara-Fällen. – Die Größenverhältnisse und Wirkungen der Niagara-Katarrakte auf den Correspondenten und die Amerikaner.

Von Neu-Schottland, den Städten Halifax, Quebeck und Montreal und was sich daran schließt, habe ich in flüchtigen Umrissen mitgetheilt, was ich gesehen und erfahren, dabei aber ein interessantes Dokument, welches mir in der Einwanderungs-Agentur von Buchanan in Quebeck abschriftlich mitgetheilt ward, vergessen. Es ist eine Lohn-Liste für die verschiedenen Arten von Arbeitern, die in Canada gebraucht werden, mit einem speciellen Bedarf derselben für Toronto allein. Für diese Stadt allein waren im Bureau von Buchanan bestellt: über 1000 Zimmerleute und Tischler, 1000 Maurer, 3000 Handarbeiter und Arbeitslustige im Allgemeinen, 500 Stubenmaler und im Verhältniß andere Handwerker, Dienstboten und Hände für Ackerbau und Gärtnerei. In Toronto allein fehlte es an mindestens 1000 Häusern für die gestiegene Zahl der Einwohner. Das ist ein Beispiel. Mit nur unbedeutenden Unterschieden gilt dasselbe von allen andern größern Städten Canada’s und den angrenzenden Ackerbaudistrikten. Die Lohnliste theile ich, übersetzt in Thaler und Groschen, für die hauptsächlichsten Arbeiterklassen mit. Maurer bekommen täglich bis über 3 Thaler, ebenso Dachdecker, Steinhauer, Tischler und Zimmerleute, Stubenmaler und andere Bauhandwerker nur etwas weniger, Hutmacher bis 3 Thaler, Schneider von 2 bis 3 Thaler, Schneiderinnen bis 20 Sgr., Drucker und Setzer bis 3 Thaler, Schuhmacher bis 2, Tapezierer 2 bis 2 Thlr. 20 Sgr., Böttcher ebensoviel, Arbeiter auf dem Felde mit Wohnung und Kost 20 Sgr. bis 1 Thlr. 10 Sgr., Handlanger und Tagelöhner aller Art bis 2 Thlr., Kinder von 12 bis 14 Jahren bis 15 Sgr., Kleidermacherinnen mit Kost bis 20 Sgr., Eisenbahnarbeiter 2 Thlr. und drüber, Dienstmädchen monatlich von 2 bis 8 Thaler, männliche Dienstboten von 16 bis 24 Thaler, Laufburschen 7 bis 10 Thaler, Fuhrleute mit einem Pferde bis 20 Sgr. für die Ladung innerhalb der Stadt. Dabei gilt als Regel, daß die Löhne noch durchweg steigen, während Verbrauchs- und Luxusgegenstände eine Neigung zu größerer Wohlfeilheit beibehalten, da die Industrie im Lande mit gesteigerter Zufuhr von Außen der steigenden Bevölkerung in Produktion von Vorräthen immer vorauseilen. Mit ein paar gesunden Armen, ein Bischen Arbeitslust und etwas Englisch im Kopfe kommt hier Jeder schnell und sicher vorwärts, d. h. zu so viel Kapital, daß er sich in irgend einer Weise als ein selbsständiger Mann etabliren und für Kinder und Kindeskinder emporblühen und Wurzel fassen kann. Ich sage dies in Erinnerung an manche Deutsche, die ich bald einzeln, bald in Gruppen unter den

Die tausend Inseln im Lawrencefluß.

verschiedensten Verhältnissen antraf, deren einzelne Schicksale und Biographieen alle auf einen „Lebenslauf in aufsteigender Linie“ hinausgingen.

Dies schrieb ich auf dem Dampfschiffe zwischen Montreal und Kingston am Eingange in den Ontario-See. Die vierundzwanzigstündige Reise gab dem Auge so viel Weide, daß ich bald alles Schreiben vergaß. Ich will Sie nicht mit Naturmalerei aufhalten, der Aufzählung von blühenden Städten und Trauben von weißen, winkenden Dörfern im Grünen, die uns auf beiden Seiten des mächtigen Lawrence begleiteten; nur ein Wort über das Paradies der „tausend Inseln“, durch welche wir uns aus dem über eine deutsche Stunde breiten Lawrence in den Ontario-See hindurch wandten. Die Inseln sind von allen möglichen Größen und Gestalten, von dem einzeln und öde sich erhebenden Felsen bis zum weitesten, duftigsten Parke und Paradiese mit allen möglichen Schattirungen von Laubwerk und Blumen und Thieren. Die größte, die Wolfsinsel, Kingston gegenüber, streckt sich durch die Mündung des Lawrence in den See über vier deutsche Meilen bei einer Breite von 1 bis 11/2 Meilen. Die ganze Inselgruppe spiegelt sich grün und [582] duftig 12 Meilen lang in den blauen Wogen des riesigen Flusses. „Die tausend Inseln“ sind schon jetzt das Ziel von Tausenden, die in New-York u. s. w. der glühenden Sommerhitze entfliehen wollen. Hier und da erhebt sich ein weißer Palast, eine schöne Villa aus dem Grünen, um sich im Flusse zu spiegeln; wie wird’s hier in 20 bis 30 Jahren aussehen? Mancher sorgenvolle, um sein Leben und seine Kinder bekümmerte Einwanderer sitzt hier einst reich und glücklich im Kreise der Familie und Freunde unter dem Portikus seines fürstlichen Hauses und blickt auf seine Blumen und Bäume und hinaus auf das freudige Gewimmel von Dampfschiffen, Gondeln und Kähnen, die sich lustig zwischen tausend Inseln umhertummeln, und sieht mit Wohlgefallen in seine hohle Hand, aus welcher die weiche Sommerluft und die Güte seines Schicksals die harten Schwielen verwischt, und in sein Gesicht, aus welchem ein glückliches Alter die Furchen seiner Jugend wegglättet, und die lockigen, rothwangigen Kinder hören auf zu spielen und horchen der seltsamen Sprache, die der Vater oder Großvater mit einem alten Landsmanne aus Deutschland spricht.

In Kingston hielt ich mich blos eine halbe Stunde auf; ich kann also von den breiten Straßen mit bläulich-weißen Kalksteinhäusern und dem prächtigen Hafen weiter nichts sagen, als daß ich drüber hingeblickt habe. Das Dampfschiff, welches mich über den Ontario-See hinweg nach dem 36 deutsche Meilen entlegenen Toronto bringen sollte, ließ mir keine Zeit weiter. An der kanadischen Seite hin kämpfte der luxuriöse Palast mit seiner riesigen Dampfkraft fortwährend siegreich mit den ärgerlichen Wogen, die hier in einer Länge von etwa 40 deutschen Meilen (mit 14 Breite) ganz den Charakter des großen Meeres annahmen. Der Capitain sagte mir, daß der Onlario-See 234 Fuß über dem Spiegel des atlantischen Meeres liege, so daß der Lawrence in einer Länge von blos 130 deutschen Meilen um eben so viel fallen muß. Dies erklärt die ungeheueren Stromschnellen und die unzählige Masse kostbarer, zum Theil fabelhaft großartiger Kanäle, durch welche Kunst und Kapitalkraft dem mächtigsten Strome Trotz bieten. Der See ist stellenweise 600 Fuß tief, so daß sich das Wasser verhältnißmäßig warm hält und im Winter niemals friert. Deshalb genießt auch die ganze ungeheuere Landmasse, welche den See einschließt, ein bedeutend milderes Klima, als andere Gegenden Canada’s, wo der Winter zum Theil eine eben so sibirische Strenge erreicht, als der Sommer mit tropischer Hitze wetteifern soll. Der Ontario-See ist das mittelländische Meer der neuen Welt, um dessen milde, fruchtbare Gestade sich cultivirtere und reichere Völker ohne nationale Barbareien erheben werden, wie um das alte, welches Carthago, Rom, Griechenland, Frankreich, England und Spanien seit Jahrtausenden um politische Oberherrschaft blutig streiten sah und neuerdings noch Rußland fortwährend anspornt, sich der Schlüssel zu seinen Thoren zu bemächtigen, obgleich alle Völker vollkommen Platz haben, und eben so wenig Schlüssel und Thore nöthig sein würden, wie auf dem Ontario-See, wenn die alten Völker so – modern wären, wie die verschiedenen Völkermassen, die man kurzweg Amerikaner nennt.

Im weiten Sinne gehört zu dem „mittelländischen Meere der neuen Welt“ die ganze Reihe von Süßwasserseen, welche die nordamerikanische Halbinsel (zwischen dem Golf von Mexico und der Hudsons-Bay) in dem großen Becken des nordamerikanischen Continents von Nordwest nach Südost in einer Länge von mehr als 1000 deutschen Meilen durchschneiden und vom großen eisbedeckten, Eskimo-durchschwärmten Bärensee herunter bis zum grünen, milden Ontario fast überall durch natürliche Wasserstraßen und mit jedem Tage mehr durch Kunst verbunden werden. Das ist allein ein Vorzug Nordamerikas vor aller übrigen Erdoberfläche, der durch keine Cultur und Regierungsweisheit ersetzt werden kann, da die geringen Höhen von Flußgebieten ohnehin überall Canäle zulassen, durch welche man bald von den Lawrence- und Seengebieten in das ungeheuere Becken des Mississippi und Missouri hinübersteigen und selbst den stillen (jetzt bereits sehr lauten) Ocean erreichen wird. Diese Süßwasserseen nehmen zusammen einen Flächeninhalt von mehr als 40 Millionen Quadrat-Ackern ein und befruchten ein Landgebiet von 8–9000 deutschen Meilen. Sie übertreffen alle Süßwasser der übrigen Erde an Umfang und Wasserkraft.

Der Capitain, der sich immer ein Vergnügen daraus machte, die ungeheuern natürlichen Vorzüge seines Landes auseinanderzusetzen und durch verschiedene Specialkarten anschaulich zu machen, hielt auch gern Vorträge über die geologischen und mineralischen Schätze der vereinigten Staaten. Letztere sind für unsere Vorstellungen wohl durchaus fabelhaft und werden von Jedem, der nicht anderweitige Autoritäten studirt, zu den amerikanischen Windbeuteleien gerechnet werden. Was sagt z. B. der Leser von dem 700 Fuß hohen und 4 englische Meilen im Umfange messenden Berge von purem Eisen im Staate Missouri und der Behauptung unseres Capitains, daß man von ihm die Schienen zu einer Doppeleisenbahn rings um die Erde nehmen könnte, ohne daß man eine besondere Abnahme desselben merken würde? Daß im Staate Illinois allein Kohlen auf 30,000 Jahre für eine zehn- bis zwanzigfache Bevölkerung vorräthig lägen? Daß das jetzige Gebiet der Vereinigten Staaten mit Vergnügen 400,000,000 Menschen ernähren würde, wenn sie nur so gefällig sein möchten, herzukommen? Der Leser wird ohne Weiteres sagen: Das ist amerikanische Großprahlerei. Aber er mag sich denn auch die Mühe nehmen, andere Leute zu hören, welche genau und scharf studirt, gemessen und beobachtet haben. Ich erinnere mich, in deutschen und englischen Blättern Nordamerika’und Canada’s Auszüge aus Richard Wagner’s Buche: „Reisen in Nordamerika in den Jahren 1852 und 1853“ gelesen zu haben, welche diese enormen Zahlen- und Massenverhältnisse überall bekräftigen. Und so viel ich von dem Verfasser gehört habe (sein Buch selbst habe ich hier noch nicht gesehen), steht sein gründliches Wissen und seine genaue, scharfe Beobachtungsgabe außer Zweifel.

Unsere Reise den Ontario hinauf hatte außer den Genüssen, welche uns die hellgrünen Gestade der kanadischen Seite mit weißen Dörfern und Städten, unter welchen sich auch ein freundliches, lachendes Häusermeer mit dem gemüthlichen Namen Coburg zeigte, durch das Fernrohr gewährte, nichts besonders Merkwürdiges. Die Gestade sind größtentheils flach und nur weiter hinten und oben nach Toronto zu bekommt Alles ein malerisches, bilderreiches Gepräge. Doch bekam ich Toronto selbst vorläufig nur aus sehr weiter Ferne in seiner majestätischen Lage zu sehen, da ich zu denen gehörte, die sich mit der Dampfschiffgesellschaft, welche den Niagara-Fällen schon Hunderttausende von Dollars verdankt, nach jenem größten Naturwunder bringen ließen. Die Fahrt auf dem Ontario-See in den etwa eine halbe Stunde breiten Niagara-Fluß hinein, zeigte uns zunächst nur flache Ufer. Je weiter wir aber hinaufdrangen, desto mehr engte sich der Fluß zwischen steigenden Rändern, die sich allmälig bis zu 200 Fuß hohen Felsenwänden erhoben. Wir landeten in Lewiston auf der amerikanischen Seite, von wo aus die Niagara-Fälle hauptsächlich besucht werden, doch da der Capitain mich versichert hatte, daß sie von der canadischen Seile den besten Eindruck machten, lief ich in demselben Augenblicke zurück und mit dem Dampfschiffe weiter nach Queenstown hinüber. Hier wurden die Passagiere von Droschkenkutschern und Lastträgern beinahe meuchlings überfallen und Einige ziemlich handgreiflich mit Gewalt gepackt, hineingeschoben und fortgefahren. Um mich stritten sich zwei schwarze Burschen, die sich gegenseitig als wahre Halsabschneider schilderten, so daß ich mich vor dem Einen so gut gewarnt fühlte, wie vor dem Andern. Ich sprang, in den bedeckten Karren des Einen und fühlte mich sofort einen miserabeln, steilen Weg hinaufgerädert. Bald hatte ich die berühmten Queenstown-Höhen erreicht, wo der englische General Brock (1812) im Kampfe fiel und die jetzt eben mit einem neuen Denkmale versehen werden. Die Höhen laufen von hier aus um den Ontario-See herum bis nach Toronto und schließen manche Städte und Dörfer, zunächst das prächtig gelegene Hamilton und die große canadische West-Eisenbahn ein, welche von Erie aus oberhalb der Fälle am Niagara herunter und um den Ontariosee herumläuft und die östlichen und westlichen Theile Nordamerika’s, den atlantischen Ocean, den Mississippi und eine Menge der wichtigsten Handels- und Kulturplätze regelmäßig verbindet. Die Feierlichkeiten zur Einweihung dieser ungeheuern Bahn, welche am 17. Januar stattfanden, werden als eins der größten Festlichkeiten dieses Jahrhunderts geschildert. Die meisten Staaten hatten ihre Deputationen geschickt. New-York allein 400 Personen. In Detroit nahmen 2000 Personen an dem Festessen Theil. In Hamilton fanden ähnliche Festlichkeiten Statt. Und selbst in London konnten sich die Actionäre ein feierliches Festessen nicht versagen, als sie hörten, daß die Bahn während der ersten drei Monate im Durchschnitte 5000 Pfund Sterling wöchentlich eingenommen habe.

Um das Schauspiel der Niagara-Fälle in allen seinen Theilen zu genießen, stellte ich mich erst auf die 1040 Fuß breite [583] eiserne Hängebrücke, welche man bei Queenstown über den Fluß geschlagen, um von hier aus mehr dem fernen, dumpfen Donner der Wassermassen zu lauschen, als ihn zu sehen. In der That war nichts zu sehen, als eine wilde, wüste, tiefe, unheimliche Wassermasse in Dampf und Nebel gehüllt. Desto furchtbarer, desto grausenhafter und erhabener war das ruhige, dumpfe, seit vielen Jahrtausenden ununterbrochen donnernde Rauschen, das nichts von seiner dämonischen Kraft und Jugend verloren hat, während Hunderte und aber Hunderte von Menschengeschlechtern aufblühten und zu Staub und Asche wurden. Die Ufer an beiden Seiten fallen steil tief hinab, hier und da mit Baum- und Buschwerk bekleidet, an manchen Stellen vom obersten Rande bis zum Bette unten 400–500 Fuß tief.

Die Geologie hat nachgewiesen, daß die Fälle einst 11/2 deutsche Meilen weiter unten waren. Hier hat sich sonach das Sprichwort von dem Tropfen, der einen Stein aushöhlt, im großartigsten Maßstabe bewährt. Die Wasser haben festen Kalkfelsen 11/2 Meilen lang, eine halbe Stunde breit und 5–600 Fuß tief im Laufe von Jahrtausenden weggemeiselt. Weiter oben nach den Fällen zu fing der bisher lichtgrüne, ruhige Guß an zu kochen und zu wirbeln. An einer besonders engen Stelle bildet die gewaltig drängende Masse, die sich nicht schnell genug Platz verschaffen kann, fortwährend einen etwa 10 Fuß hohen Kegel, um welchen hineingeworfene Gegenstände oft Wochen lang in unablässiger Wuth getrieben werden. Ein Herr, der sich zu mir gesellte, erzählte mir, daß unlängst die Leichen von zwei englischen Deserteurs, welche weit oberhalb der Fälle über den Fluß hätten schwimmen wollen, von dem Sturze gepackt, hinabgeschleudert und hier über drei Wochen lang ununterbrochen um den Kegel herumgetanzt seien, als erfreuten sie sich da unten der übermüthigsten Lebenslust.

Das größte Naturwunder war dem nüchternen Amerikaner lange ein Dorn im Auge: er konnte ja mit seinen Schiffen weder von dem Erie in den Ontario hinab, noch aus letzterem in ersteren hinaufsteigen. Jetzt geht’s freilich desto besser und zwar mit einem jährlichen Gewinn von 350,000 Thalern durch die Thore des Welland-Kanals, der vom Port Dalhousie am Ontario sich durch 56 Schleusen aus Port Colborne in den Erie erhebt. Der Kanal reicht jetzt schon nicht mehr hin, um alle die Schiffe hinauf- und hinabzulassen, so daß die Regierung der vereinigten Staaten einen zweiten auf ihrer Seite ausgraben läßt. Der Welland-Kanal ist ein Werk der englischen Canadier.

Durch Wiesen, Baum- und Buschwerk, niedliche und prächtige Farms, reinliche, grasende Kühe, brachte mich endlich mein schwarzer Kutscher bis in die Nähe der berühmten Fälle, die ich – unromantisch genug – zuerst durch die schmutzigen Scheiben der Droschke erblickte. Auch beim Aussteigen blieb ich eigennützig genug, um einem langen Kerle nachzulaufen, der meinen Koffer von der Droschke raubte und ihn ohne Complimente in eins jener riesigen Hotels trug, denen man in Amerika fast eben so oft begegnet, als in Deutschland niedrigen Hütten. Eliston-House nannte sich das Ungeheuer mit mehr als 500 Zimmern und Betten und einem Speisesaale, wo man an dem einen Ende kaum das andere sehen konnte. Es ist das Eigenthum eines Deutschen, A. Zimmermann, der für sein Privatvergnügen noch ein besonderes Palais mit Park und Blumengarten bewohnt. Die Kellner sprachen in allen Zungen der Welt und schillerten in allen Farben vom tiefsten Schwarz durch Schinkenbraun, Indianerroth, Mulattengelb bis zum vollständigsten Milch und Blut jungfräulicher, deutscher Jugend.

Doch was ist das Alles gegen diesen Anblick und diesen festen, dröhnenden, dumpfen, immer im gleichen Tone unermüdlich seit Jahrtausenden her und in künftige Jahrtausende hineinbrausenden Donner! Wie soll ich den Eindruck schildern! Man hat die Niagara-Fälle in allen Sprachen und Tonarten oft genug beschrieben und besungen. Am Häufigsten und Leichtesten ist eine Anhäufung von poetischen Bildern und Interjektionen, von Gefühlsausbrüchen und Entzückungen. Damit befriedigt aber nur Der, welcher das Wunder wirklich sah und seine furchtbare Wirkung in sich zittern fühlte, sein eignes Ich. Wenigstens bleibt es immer sehr fraglich, ob man den Leser durch die gelungenste, wahrhaft empfundene Schilderung mit sich fortreißt und ihm eine richtige Vorstellung gebe.

Jedermann weiß, daß die Niagara-Katarrhakte in zwei Haupttheile zerfallen, welche durch die Ziegeninsel getrennt werden, den hufeisenförmigen auf der kanadischen Seite und den amerikanischen. Die Windung des Flusses drüben bringt den amerikanischen beinahe in einem rechten Winkel dem Beschauer gegenüber. Und das ist der Hauptgrund, weshalb man das ganze Wunder von der kanadischen Seite am Vortheilhaftesten auf sich wirken lassen kann, wiewohl auch der Umstand, daß man sich hier mit dem Haupte der Fälle in einer Linie befindet und hinunter sehen muß, eine optische Täuschung hinsichtlich der Tiefe hervorruft und so die erhabene Größe und Schönheit der Erscheinung schwächen mag. Doch bleibt mehr, als genug, um uns in allen Nerven und Fasern zu packen, zu erheben, auszudehnen und unser engbegrenztes Wesen auf die entzückendste Weise mit den heranjagenden Wassermassen hinunterzustürzen und mit ihnen in eine Unendlichkeit von Wasserstaub aufzulösen. Wie ich so, zufällig ganz allein, auf einem Felsenstück dicht am Rande da saß, die Wasser immerwährend heran- und hinunterstürzen und in Staub zerschmettern sah, glaubte ich immer mit hinuntergerissen und zerschmettert und über die ganze Welt versprüht zu werden, glaubte ich, hier sitzen bleiben und mich so auflösen lassen zu können. Und so verlor der Tod hier ganz seine Schrecken, und so erfuhr ich hier vielleicht zum ersten Male in meinem Leben den vollen ganzen Begriff und die göttliche Gewalt dessen, was der Aesthetiker mit vieler Mühe als „das Erhabene“ philosophisch begreiflich zu machen sucht. Die Mittel, welche diesen Eindruck anzeigen, grenzen auch schon an das Erhabene.

Durch genaue Messungen hat man gefunden, daß jede Minute 19,500,000 Cubikfuß Wasser in einer Tiefe von 20 und einer Breite von 4125 Fuß, auf der canadischen Seite 158 und auf der amerikanischen 164 Fuß tief herabstürzen. Die Breite dehnt sich also mit Einschluß der grünen Ziegeninsel etwa ein Fünftel deutsche Meile aus.

Eine halbe Stunde abwärts von den Fällen spannt sich wieder eine riesige Eisenbrücke wie ein feines Gewebe über den Fluß. Von der Mitte dieser Brücke aus ist der Blick auf die donnernden Schaummassen vor und die gepeitschten Wogen unter uns vielleicht der gewaltigste und erhabenste, den uns die Natur überhaupt bieten kann. Man steht wie ein Atom ohne Schwere, ohne Körper, ruhig wie ein Gott, auf Luft und Schaum – die luftige Brücke brachte mich hinüber nach Amerika und zwar nach Manchester. Dieser Name allein setzte mich wieder plötzlich derb auf die Erde. Die sich dicht neben dieser gewaltigsten Naturerhabenheit neubildende Stadt soll also Manchester heißen. Den Amerikanern haben also diese 19 Millionen Cubikfuß Wasser jede Minute umsonst gedonnert. Sie wollen ein Mühlrad über die Niagara-Katarrhakte setzen und damit 19 Millionen Baumwollenspindeln drehen. Sehr praktischer aber auch sehr kattuner Gedanke!

Die amerikanischen Leute von Manchester und Callicoe haben eine Brücke nach der Ziegeninsel hinüberschlagen lassen, um Jedem, der dieses originellste Stück Erde besuchen will, 25 Cents abzunehmen. Jeder giebt hier gewiß seinen letzten Heller hin, um in diesem Inselwalde zwischen den beiden Katarrhakten zu wandern, vorn am Abgrunde eine steile, hölzerne Treppe hinunter zu steigen und auf engen Felsenpfaden 50 Schritt weit hinter den herabstürzenden Wogen zu verschwinden und zuletzt über eine Brücke nach dem einsam aus einem Felsen mitten aus der stürzenden Wasserwuth sich erhebenden Thurm zu klettern, um sich einen letzten, großen, umfassenden Eindruck in die Seele zu prägen. Die sinkende Sonne goß ringsum weit in unbegrenzte Fernen ihr himmlisches Gold auf den weißen Schaum und alle Höhen und Flächen der großen, unfaßbaren neuen Welt herab, als ich zögernd den letzten Blick von einem Naturbilde zurückzog, welches die geologische Bildungskraft der Erde wohl nur einmal zu erzeugen im Stande war.

[584]
In der Prairie verirrt.

Vor wenigen Tagen trat ein Mann in den dreißiger Jahren, hoch gewachsen, kräftig gebaut, mit wettergebräuntem Gesicht, die Cigarre im Munde, wie ein alter Bekannter zu mir in das Zimmer und begrüßte mich mit den Worten:

„Ich soll Ihnen einen herzlichen Gruß von Ihrem Bruder sagen.“

Das klang, als habe der Mann einen Spaziergang gemacht und dabei den gesehen, der mich grüßen ließ, aber mein Bruder lebt in Greytown (San Juan) in Centralamerika, das die Amerikaner kürzlich verbrannt haben.

„So kommen Sie aus Amerika?“ fragte ich.

„Ja wohl; ich hole mir eine Frau in Sachsen. Auf der Brautfahrt besah ich mir aber erst Californien und als ich auf der Rückkehr von da in Greytown anlegte, lernte ich den deutschen Hafencapitain dort kennen.“

Man kann sich denken, daß wir lange plauderten. Der Reisende hatte sehr viel erlebt; er besuchte mich noch mehrmals und hat mir manch Abenteuer erzählt, auch das nachstehende, das ihm auf seiner Farm in Illinois an der Grenze der Prairie kurz vor seiner Abreise von dort begegnete.

Ich lasse ihn reden, wie er mir erzählte:

„Wenn Sie die Sache ganz verstehen sollen, müssen Sie eine rechte Vorstellung von einer Prairie haben und beschreiben läßt sie sich nicht wohl. Sie hat auch darin, wie in Anderm, Aehnlichkeit mit dem Meere. Ihr Anblick macht einen ganz eigenthümlichen Eindruck, der wohl von der endlosen Ausdehnung herkommt und von dem Mangel irgend eines Gegenstandes, auf welchem das Auge ruhen kann.

„Ich habe sie mitten im Winter gesehen, eine kalte Schneewüste, eine Fläche, so weiß, daß der Himmel über ihr fast schwarzblau aussah. Ich habe sie dann im Frühling gesehen als unendlichen Raum von Grün, überreich an Blumen, die nicht etwa auf einzelnen Stellen stehen, sondern Aecker, Hunderte von Aeckern bedecken, meilenweit an einem Flüßchen sich hinziehen, da nur rothe, dort nur blaue. Ich sah die Prairie, wenn der erste Winterfrost eingetreten war und das grüne Gras gelb, fast weiß gefärbt und nieder gelegt hatte, so daß das Wild keinen Schutz mehr in ihm fand und sichtbar geworden war, bis es nach den fernen Wäldern flüchtete, der Wolf wie ein Verbrecher scheu einherschlich, sich zu verstecken suchte und nichts fand, das ihn barg, und die Kraniche einher stelzten, bis sie sich in Schaaren erhoben und hinwegflogen. Ich habe die Prairie auch in Flammen gesehen und in Rauch, der wie riesige Wolken aufstieg, bis er den ganzen Himmel verdunkelte. Während man bei Tag, im Sonnenlichte, die Flammen kaum sah, erschien die brennende Prairie in der Nacht wie ein Feuermeer, das bald langsam und schwach über kahle Stellen schlich, wo es nur einzelne Grashalme aufzulecken hatte, bald vor dem Winde herjagte in einer Schnelligkeit, welche den fliehenden Hirsch einholt und den heulenden Wolf versengt, brausend, sausend, zischend, knatternd, donnernd sich fort und fort wälzt, den Hügel hinan, in das Thal hinein, selbst über den Fluß hinüber. Ich habe die Prairie endlich gesehen, nachdem das Feuer über sie hingezogen war und eine schwarze öde Fläche hinterlassen hatte, welche dem Auge fast so lästig und schmerzlich ist, wie die weiße Schneedecke im Winter.

„Aber alle diese Veränderungen geben doch noch kein Bild von der Prairie. Ihre Unübersehbarkeit, die Oede in derselben, die Stille, die Gleichförmigkeit kann man nicht beschreiben und sie gehören doch dazu. Ihr Aussehen ist wie das eines plötzlich festgewordenen Meeres: der Boden hebt sich allmälig, wogenartig, zwei bis zehn Fuß hoch, dann folgt eine Vertiefung, wieder eine Erhöhung und so in endloser Aufeinanderfolge. Und diese ganze meilenlange, meilenbreite Fläche ist über und über mit Gras bewachsen, ohne daß man nur die kleinste Stelle der nackten Erde sähe; Acker um Acker, Meile um Meile dehnt sich das endlose Gras aus, das je nach dem Boden oder nach der Art zwei Fuß bis über zwei Ellen hoch ist.

„Sie werden sich denken können, wie schwer es ist, in einer geraden Linie über die Prairie zu gehen, wo das Auge keinen Baum, keinen Berg als Richtpunkt hat. Auch habe ich mich in einem Jahre in der Prairie mehrmals verirrt, als in fünf Jahren im Urwalde.

„Vor Kurzem noch mußte ich zwei Stunden lang in der Prairie warten bis die Sterne aufgingen, um mich zurecht zu finden und ich war keine Viertelstunde weit von meiner Farm entfernt.

„Nun was ich Ihnen erzählen wollte.

„Eine Frau, eine Landsmännin, kam eines Tages zu mir lange vor Sonnenaufgang und bat mich um Hülfe oder vielmehr um die Hülfe meines Hundes, den mir die Spitzbuben in Californien nun gestohlen haben. Ihr kleiner Sohn war von der Farm verschwunden und hatte sich in der Prairie verirrt. Sie wissen vielleicht, was es heißt, sich in einem Walde verirren, aber das ist gar nichts im Verhältniß zu dem Sichverirren in den Prairien. So lange ich an der Prairie wohnte, verirrten sich zwei Männer in ihr; Einer wurde von den Wölfen gefressen, von dem Andern hat man niemals wieder gehört. Sie werden sich nicht darüber wundern, wenn Sie sich erinnern, was eine Prairie ist. Ein Kind von fünf Jahren vollends kann nur hier und da über das Gras hinweg sehen und dann nie weit um sich. Bäume, nach denen man sich richten könnte, giebt es nicht, dagegen Wege genug zum Irreführen, Wege, welche die Indianer oder die Büffel machten, und die von einem fernen Walde oder Flusse zu einem andern führen. Jeder falsche Weg aber ist ein Weg zum Verderben und der Gefahren sind so viel, daß man noch gar nicht an Wölfe zu denken braucht.

„Ich setzte der armen Frau vergebens auseinander, daß mein Hund kein Spürhund sei und keiner andern Menschenspur folgen werde als der meinigen; sie wollte oder konnte nicht glauben, daß der Hund nicht Alles thun werde, was ich ihm heiße, und ich bereute es fast, etwas gesagt zu haben, das die Hoffnung in der geängstigten Brust der Mutter niederschlagen konnte. Ich hatte es wahrhaftig nicht gethan, um mir eine Mühe zu ersparen, denn ich wäre auf jeden Fall mit ihr gegangen.

„Ich ging mit ihr. Unterwegs erzählte sie mir, ihr kleiner Knabe habe vor der Thür des Hauses gespielt, während sie den Männern das Essen auf die Prairiefelder getragen. Als sie zurückgekommen, sei er nicht da gewesen; sie sei in die Prairie hineingelaufen, um ihn zu suchen und habe ihn gerufen, bis die Männer sie gehört hätten und zu ihr gekommen wären, ihr suchen zu helfen; noch vor Abend wären auch ihre wenigen Nachbarn, Männer und Weiber, gekommen und hätten sich ihrem Suchen angeschlossen, aber die finstere Nacht sei eingebrochen und sie hätten noch keine Spur von dem Kinde gefunden; sie sei mit ihrem Manne die ganze Nacht umhergelaufen, habe gerufen, geschrieen, Lärm gemacht, um wenigstens die wilden Thiere aus der Nähe zu verscheuchen und als es endlich Morgen geworden, sei sie in ihrer Verzweiflung zu mir gegangen, damit ich mit meinem Hunde ihr Kind suchen helfe. Das erzählte sie, während sie so rasch lief, daß ich mit meinem Jägerschritt ihr kaum gleich bleiben konnte.

„Wir erreichten ihr Haus als die ersten Morgenstrahlen darauf schienen. Es war ein kleines Breterhaus, so groß als es eben die Länge der Breter gab und stand dicht an der Grenze des angebauten Landes. An den Seiten des Hauses, mit Ausnahme der Thürseite, war einen Fuß dick Prairierasen bis an das kleine Fenster hinan gelegt und an der Mittagsseite führte von der Thür ein Weg hinunter zu einer Quelle. Ein Wagen, ein Pflug und einige andere Ackergeräthschaften lagen und standen umher. An der Thür standen ein Paar kleine Holzschuhe, die der kleine Hans hatte stehen lassen. Ein nicht umzäunter Platz am Hause war bebaut und nach Norden und Osten hin sah man einige wenige andere ähnliche Farmen in weiten Entfernungen aus einander, nach Süden und Westen aber die grenzenlose Prairie ohne Strauch und Baum so weit das Auge reichte.

„Die Sonne, sagte ich, war eben aufgegangen als wir ankamen. Ein Sonnenaufgang dort ist auch etwas Eigenthümliches. Man sieht da in der Prairie nicht schattige und sonnige Stellen abwechseln, je nachdem ein Baum, ein Hügel das Licht aufhält. Ein Lichtguß breitet sich auf einmal über die grüne Fläche und das Licht wird nur heller und stärker je höher die Sonne heraufsteigt.

„Auf den Fußwegen sahen wir bereits hier und da Leute hingehen, um noch einen Tag lang nach dem Kinde zu suchen.

„Mein Plan war bald gemacht. Ich nahm einige Kleidungsstücke von dem Knaben, hielt sie dem Hunde hin und suchte ihm [585] begreiflich zu machen was ich von ihm verlangte. Er beroch sie, weil ich’s ihm hieß, aber ohne irgend ein Interesse dabei zu verrathen und sah nach meinem Gewehre, das ich in die Ecke gestellt hatte. Ich ließ es stehen und ging mit ihm hinaus. Auf der Schwelle beroch er die Schuhe des Knaben und darüber freute ich mich.

„Das Kind war nun achtzehn Stunden schon fort und die Spur von seinen Fußtapfen in der Nähe des Hauses ließ sich schwerlich auffinden, wenn ich dem Hunde auch hätte begreiflich machen können, daß er derselben folgen solle. Die Wege nach den Nachbarn und die nähere Umgegend des Hauses waren schon durchsucht worden und so nahm ich mir vor, sogleich in die Prairie hinaus zu gehen. Der Hund folgte mir, sah aber gelegentlich verwundert nach dem Hause zurück, in dem ich die Flinte gelassen hatte.

„Wir waren etwa eine Viertelstunde weit von dem Hause weg, als ich den Hund wieder zu mir rief und ihm verständlich zu machen versuchte, was ich wünschte. Er beschnoberte den Strumpf des Knaben, den ich mitgenommen hatte und sah mich an, als wolle er aus meinem Gesichte erkennen, was er mit dem Strumpfe solle. Dann lief er in einer Richtung fort und sah sich nach mir um, als wolle er sich überzeugen, ob er es recht gemacht habe. Ich rief ihn zurück und hielt ihm wieder den Strumpf vor, vergebens wie es schien, denn er lief nun in einer andern Richtung fort und sah sich um wie um zu fragen, ob es so recht sei. Ich rief ihn wieder zurück und er ging verlegen und verdrüßlich neben mir.

„Die Nachbarn hatten sich unterdeß nach allen Richtungen hin zerstreut zu dem fast hoffnungslosen Suchen, denn der Knabe konnte unterdeß Stunden weit gelaufen sein und wir wußten auch, daß wir zehn Schritte von ihm vorüber gehen konnten, ohne ihn in dem hohen dichten Prairiegrase zu bemerken. Aber die arme Mutter hatte ihre letzte Hoffnung auf mich und meinen Hund gesetzt. So gingen wir Stunden lang. Von Zeit zu Zeit versuchte ich immer wieder, dem Hunde begreiflich zu machen was man von ihm erwarte, immer vergebens. Einmal kam er rasch zu mir und sah mich mit glänzenden freudigen Augen an; als ich ihm den Strumpf des Knaben vorhielt, faßte er ihn mit den Zähnen und trug ihn stolz als wollte er sagen: „Nun weiß ich’s, den Strumpf soll ich tragen.“

„Mein Gesicht muß unwillkürlich meine Gedanken verrathen haben, denn er ließ gleich darauf Kopf und Schwanz hängen und brachte mir den Strumpf wieder. Ich nahm ihm denselben ab, streichelte ihn aber und ging langsam weiter.

„Endlich blieb er stehen, beschnoberte den Boden, sah erfreut aus, lief hin und her, um eine frischere Spur zu finden, blickte zu mir empor und lief langsam fort, die Nase dicht am Boden haltend. Wir folgten ihm, ich zum erstenmale mit der Hoffnung, daß er doch wohl endlich verstanden habe, was er thun solle. Aber er folgte vielleicht – wahrscheinlich sogar – der Fährte eines Wildes. Aber nein, er beschnoberte ein großes Gras, zu hoch oben, als daß ein Vogel so weit hinauf hätte reichen können, und ein Hirsch konnte nicht da gegangen sein, da wir keine Fährte sahen, auch kein Wolf, denn der Hund knurrte nicht und wieß nicht die Zähne wie er es immer that, wenn er eine Wolfsfährte fand. Er ging weiter und weiter, beroch einen jeden Grasbüschel, jede Prairieblume, blieb stehen, schnoberte lange und drückte dabei die Augen halb zu, als wolle er ganz allein den Geruchsinn wirken lassen.

„Die Mutter war dicht neben mir und fragte jede Minute: „Hat er die Spur? Wird er das Kind finden?“ Ich wagte nicht ja zu sagen, denn ich wußte es nicht, gleichwohl hatte ich den Hund noch nie so auf einer Fährte gesehen. Die Fährte war jedoch nicht warm, wovon sie auch herrühren mag, denn er blieb stehen, lief in weitem Kreise umher und kehrte an dieselbe Stelle zurück; er hatte die Spur verloren.

„Er machte einen neuen Versuch in weiterm Kreise; nichts. Er bellte ärgerlich, kehrte sich plötzlich um und verfolgte im scharfen Trabe seine eigene Spur wohl zweihundert Ellen weit zurück. Da blieb er stehen, beschnoberte den Boden, kam an einen Büffelweg und ging langsam und bedächtig über denselben quer hinüber, dann rasch vorwärts, er hatte offenbar die Spur, die er suchte, plötzlich aber blieb er stehen und kehrte um, etwa als habe er vergessen einen Grasbüschel zu beachten, an dem er eben vorbei gekommen. Ich besah diesen auch und da an dem dürren Stengel hing ein kleines Stückchen blauer Baumwolle. Die Mutter sah, daß ich es betrachtete, kam schnell herbei, entriß mir die kostbare Reliquie und sagte, sie wisse bestimmt, das sei von ihrem Hans. Ich dachte es auch; aber wie lange konnte das Baumwollenstückchen da gehangen haben! Der Hund war unterdeß voraus gekommen und wir eilten ihm nach.

„Denken Sie sich recht lebhaft die arme Mutter. Sie verwendete kein Auge von dem Hunde und folgte jeder seiner Bewegungen. Sie hoffte bereits und ich hatte nicht den Muth, durch Zweifel und Bedenken sie zu stören. Der Hund lief immer noch voraus und ich hatte die einzige Noth jetzt, die ungeduldige Mutter zurückzuhalten, damit sie dem Hunde nicht vorlaufe und so die Spur verderbe.

„Von allen Seiten her kamen die übrigen suchenden Nachbarn auf uns zu. Wir blieben in gehöriger Entfernung von dem Hunde und Aller Augen folgten ihm. Er hatte offenbar die Spur, aber sie war schwach; er wußte was er sollte. Stunden lang folgte er so der Spur des Knaben, die sich bald hier hin bald dort hin wendete, und aller Zweifel hörte auch bald auf: da auf einer alten Büffelfährte zeigte sich deutlich die Fußtapfe eines Kindes. Ich stellte rasch meinen Fuß darauf, damit die Mutter sie nicht sehe, weil ich fürchtete, ihr Eifer werde sich dann nicht mehr zügeln lassen und den Hund stören, der unsere einzige Hoffnung war. Aber meine Bemühung war vergebens; sie hatte meine Bewegung gesehen, lief vor und sah eine andere Fußtapfe. Ich hielt sie fest, ehe sie dieselbe erreichte und während sie in einem Tone, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde und der nur aus einer geängstigten Mutterbrust kommen kann, aufschrie: „das ist seine Spur! Mein Kind! Mein Kind!“ betrachtete ich mit Jägerauge und Aufmerksamkeit die Fußtapfe. Es war der deutliche Abdruck eines Kinderfußes in weichem Staube. Die Fußtapfe war übrigens gemacht, nachdem die Sonne aufgegangen und der Thau aufgetrocknet, da der Staub ganz trocken gewesen war, als der kleine Fuß darauf getreten. Ein Wurm war darüber gekrochen; also war doch schon längere Zeit vergangen, seit sie entstanden. Wir konnten vielleicht noch eine Stunde weit gehen müssen, ehe wir den Knaben einholten, wenn ihn nicht Ermüdung aufgehalten. Die Aufgabe, ihm zu folgen, war nicht leicht, da der Knabe auf dem Büffelwege fortgegangen war. Die Leute alle mußten mindestens einen Steinwurf weit hinter dem Hunde zurückbleiben. Ich allein blieb bei ihm. Er freuete sich, denn er wedelte mit dem zottigen Schweife. Der Weg, auf dem wir gingen, war vielleicht schon seit hundert Jahren von Büffeln und Indianern gegangen; er führte die kleinen Hügel hinan, in die kleinen Thäler hinein und wieder hinauf. Auf ihm in der weiten Prairie, den blauen Himmel über uns, die grüne Erde unter uns, folgten wir der Spur, nicht um zu tödten, was wir suchten, sondern um zu retten, denn es war ja das theuerste Gut zweier Menschenherzen, der reichste Schatz einer Prairie-Farm. Auf dem Gipfel eines Hügels blieb der Hund stehen; die Mutter und ich standen neben ihm. Gewiß war da das Kind gewesen, um sich umzusehen, wo das Haus des Vaters stehe. Vergebliche Hoffnung! Von da aus war keine Spur von einer menschlichen Wohnung zu sehen. Er war oben auf dem Gipfel rund um gegangen, um nach allen Seiten hinzusehen. Er hatte sich niedergesetzt, um auszuruhen, vielleicht zu weinen, denn ich konnte am Wege den Eindruck der beiden Fersen sehen.

„Aber wieder war er fort und – wohin? Der Hund suchte und suchte lange, bis er an der Seite des Hügels hinunter in das grüne Gras hineinlief, so schnell, daß wir, ich und die Mutter, kaum mit ihm Schritt halten konnten. Er führte uns an einen kleinen Bach, an dem der Knabe getrunken hatte. Wir konnten sehen, wo die kleinen Füße in den weichen Boden am Ufer getreten waren, und wo er niedergekniet, sah man beide Hände eingedrückt. Von da ging die Spur wieder rückwärts. Da plötzlich blieb der Hund stehen und sein Wesen änderte sich. Er hielt die Nase nicht mehr an den Boden, um der Spur zu folgen, er hob den Kopf empor, streckte den Hals und ging fest und sicher weiter. Er brauchte sicherlich der Spur nicht mehr, er witterte den Knaben wo er lag. Ich bemerkte diese Veränderung sogleich und kannte ihre Bedeutung, wagte aber nicht der Mutter etwas davon zu sagen. Aber was entginge einer Mutter, die ihr Kind sucht? Sie bemerkte, daß der Hund sicher nach einer Stelle zu ging, rief aus: „er hat es gefunden! er hat es!“ stürzte an mir vorbei, als fliege sie und im nächsten Augenblick hörte ich des Knaben Angst- und der Mutter Freudenschrei.

[586] „Wir waren bald bei ihr und der Hund schien ihr fast den Anspruch auf das Kind streitig machen zu wollen, theilte aber ihre Freude, sprang an mir an, lief zu den Kinde, das die Mutter an ihre Brust drückte, leckte ihm die Füße und bellte vor Freude.

„Wie freudig war der Rückweg! Ich ging voraus und der Hund blieb dicht hinter mir, aber bisweilen glaubte er doch nachsehen zu müssen, ob mit dem Knaben alles in Ordnung sei, der von den Männern abwechselnd getragen wurde.

„In der Mitte des Weges etwa zu der Farm, zu welcher die Mutter mit dem Wiedergefundenen zurückkehrte, trennte ich mich von den Uebrigen und schritt quer über die Prairie nach meiner Farm, die ich mit dem Abenddunkel erreichte, in der mich aber weder Weib noch Kind erwartete.

„An jenem Tage habe ich tiefer in ein weibliches Herz geblickt als je und in der Nacht darauf nahm ich mir fest vor, mir auch ein solches Herz zu gewinnen und zwar ein deutsches.“




Ueber Wesen, Werth und Bedingungen wahrer Frauenbildung.
Einleitungsworte zu den „Vorträgen für Frauen“,[1] gesprochen von K. Biedermann.

Bildung besteht nicht in bloßem Wissen, am Allerwenigsten in bloßem Vieles- und Vielerleiwissen, denn das bloße Wissen, besonders wenn es nicht gehörig verarbeitet ist, macht weit häufiger untauglich als tauglich für’s Leben – wahre Bildung aber soll Bildung für’s Leben sein. Noch weniger freilich besteht dieselbe in der bloßen Aneignung äußerlicher, conventioneller Formen und Formeln, denn diese verflachen nur zu leicht Geist und Gemüth, machen gleichgültig gegen das innere Wesen und den wahren Werth der Dinge.

Ich möchte die wahre Bildung bezeichnen als geistige Gesundheit und sie vergleichen mit der Gesundheit des Körpers. Wie diese letztere da vorhanden ist, wo alle Organe des Körpers gleichmäßig, nach ihrer natürlichen Bestimmung, entwickelt und durch diese Entwickelung befähigt sind, die äußeren Stoffe, deren der Körper zu seiner Erhaltung und Ausbildung bedarf, aufzunehmen und zu verarbeiten, den zum Wohlbefinden nothwendigen Erregungen zu folgen, den dem Körper nachtheiligen Eindrücken Widerstand zu leisten – ganz ebenso giebt es auch eine geistige Gesundheit, welche in der gleichmäßigen Ausbildung der verschiedenen Seelenkräfte und in der dadurch gewonnenen Fähigkeit besteht, die äußern Verhältnisse zu beherrschen und sich zu unterwerfen, den Widerwärtigkeiten des Lebens tapfern Widerstand zu leisten. Diese geistige Gesundheit, Kraft und Frische ist das Kennzeichen wahrer Bildung.

Die Frauenbildung ist in dieser Hinsicht von der Bildung der Männer nicht wesentlich unterschieden. Nur insofern ist sie es, als die Lebens- und Berufssphäre der Frauen eine beschränktere ist, als die der Männer. Diese Sphäre aber muß sie ebenfalls ganz und nach allen Seiten hin ausfüllen. Ja die Harmonie der Bildung wird bei der Frau noch schwerer vermißt, als beim Manne, den Beruf und Lebensstellung öfter zu einer gewissen tüchtigen Einseitigkeit der Kraftentwicklung führen, welche die Vielseitigkeit eher entbehren läßt. Bei der Frau dagegen wird Einseitigkeit leicht zur unweiblichen Schroffheit.

Doch das Wesen der Frauenbildung wird vielleicht besser als durch solche allgemeine Betrachtungen durch Beispiele aus dem Leben veranschaulicht. Schon in der äußern Erscheinung zeigt sich fast immer der Gegensatz der wahrhaft gebildeten Frau zu der ungebildeten und was in vielen Stücken auf Dasselbe hinaus kommt, der halbgebildeten, verbildeten oder überbildeten. Jenes wohlthuende Gleichmaß aller Bewegungen, die Quelle der Anmuth, dieser schönsten Zierde des weiblichen Geschlechts, jene Sicherheit des Auftretens und der Haltung, die ebensoweit entfernt ist von der aufdringlichen Keckheit des emancipirten Mannweibes wie von dem eckigen, steifen, scheuen Wesen, das Frauen und Mädchen so übel steht, jene Ruhe, welche Nichts hat von der ängstlichen und beängstigenden Hast, die bei jedem nicht vollkommen im alltäglichen Geleise sich bewegenden Ereigniß sogleich, wie man zu sagen pflegt, „aus dem Häuschen ist“ und dabei doch jene leichte Erregbarkeit und Beweglichkeit, die so angenehm absticht und der stumpfen Gleichgültigkeit, welche auch das Wichtigste spur- und theilnahmlos an sich vorübergehen läßt, – Das sind die sichern Erkennungszeichen wahrer, echter Frauenbildung.

In der Gesellschaft macht sich die gebildete Frau nicht dadurch bemerkbar, daß sie einige Höflichkeitsformen mehr inne hat oder dieselben gewandter zu handhaben versteht, daß sie die eine oder die andere fremde Sprache geläufig spricht (vielleicht auch nur radebrecht)), eines oder das andere Musikstück mit mehr oder weniger Finger- und Kehlfertigkeit vorträgt. Alles Dies kann ein Element wahrer weiblicher Bildung sein, wenn es nämlich zum Ganzen derselben in richtiger harmonischer Einstimmung steht, es kann aber auch, wo diese Einstimmung fehlt, den sehr unbefriedigenden, ja unter Umständen widerwärtigen Eindruck einer bloßen Halb- oder Scheinbildung machen und ist keinesfalls ausreichend, für sich allein vollgültigen Anspruch auf den Namen einer wahrhaft gebildeten Frau oder Jungfrau zu verleihen. Was vielmehr diese kennzeichnet, das ist die Fülle inneren Geistes- und Gemüthslebens, die, wie durch einen tiefen Drang der eigensten Natur, ohne Affectation und Künstelei, frisch und frei bei der leisesten Anregung hervorquillt, Alles, was ein solches weibliches Wesen thut, spricht, antwortet oder fragt, vergeistigt und verklärt und auf den ganzen Kreis, worin dieselbe sich bewegt, erwärmend und erleuchtend zurückstrahlt. Wo diese innere Kraft und Lebensfülle vorhanden ist, da wird es nicht an mannigfaltigem Interesse und mannigfaltiger Anregung zu geselliger Unterhaltung fehlen, da wird man viele, aus Mangel an Stoff oder aus angewohnter Trägheit des Denkens, zu stundenlangen Gesprächen über ein neues Kleidungsstück oder einen Wechsel der Dienstboten, oder zu jener noch schlimmern Art von Zeitvertreib, die in Wintertagen von Klatschereien und in einem gewöhnlich ebenso geist- als lieblosen Absprechen über fremdes Thun und fremde Mängel besteht, sich herabwürdigen, noch aber auch sich hinaufschrauben zu affectirtem Geistreichthun in angelernten oder aufgeschnappten Kunstfloskeln und Literaturbrocken, wobei fast immer Gemüth und Geist leer ausgehen und höchstens die Eitelkeit und auch diese nicht einmal ihre Rechnung findet.

Man hat in neuerer Zeit öfters, und nicht mit Unrecht, darüber geklagt, daß in größeren, aus beiden Geschlechtern zusammengesetzten Gesellschaften in der Regel die Männer, sobald sie es nur mit einigem Anstand können, sich von den Frauen sondern und unter sich verkehren. Ich will dies nicht entschuldigen; der Grund davon ist oftmals eine gewisse Geistesträgheit und ein Mangel an Bildung auf Seiten der Männer, die es bequemer finden, ihre gewohnten Geschäftsgespräche und zwanglosen Scherze unter einander fortzusetzen, als die Mühe einer auf andere Interessen eingehenden und in gehaltenern Formen sich bewegenden Unterhaltung auf sich zu nehmen. Nicht selten aber liegt auch die Schuld an dem andern Theile. Wenn der Mann, welcher im Gedankenaustausche geselliger Unterhaltung Erfrischung und Anregung sucht, bei den Mädchen oder den Frauen, die er anredet, eben keine Gedanken, sondern nur Worte und nichts als Worte findet, wenn er vergeblich alle Saiten anschlägt, alle Wendungen des Gesprächs versucht, um nur ein selbstständiges Urtheil, nur eine eigenthümliche und natürliche Gefühlsäußerung hervorzulocken, statt dessen aber immer nur entweder dem Schellengeklingel angelernter Phrasen, oder einem schüchternen Verstummen, oder einem erzwungenen, [587] geistesleeren Lächeln begegnet – kann man es ihm verdenken, wenn er zuletzt ermüdet und gelangweilt, sich hinweg, und einer ansprechenderen Unterhaltung zuwendet?

Doch, mit all dem bisher Berührten befinden wir uns nur noch gleichsam im Vorhofe der wahren, höhern Lebensinteressen und folglich auch der wahren, höhern Bildung des Weibes. Ihre schönsten Blüthen entfaltet diese erst da, wo der ernsteste, aber auch erhabenste und beglückendste Beruf des Weibes beginnt. Und ein solcher beginnt dort, wo für die Jungfrau der Zeitpunkt erschienen ist, zu wählen und gewählt zu werden. Diese Wahl, die über Glück oder Unglück eines ganzen Lebens und nicht blos eines Lebens entscheidet, wird unter der sichern Leitung wahrer Bildung fast immer zum Heil, ohne dieselbe fast immer zum Unheil ausschlagen. Die gebildete Jungfrau wird, unbestochen durch Aeußerlichkeiten, nur nach dem innern Werthe, nach den bleibenden Vorzügen des Geistes und Herzens wählen – und sie wird gut gewählt haben! Und der Mann von Geist, Herz und Charakter wird nur ein im ächten Sinne gebildetes Mädchen wählen, ein solches, an dem er eine tüchtige Hausfrau, eine mitfühlende und ihm treu zur Seite stehende Lebensgefährtin für Freud und Leid, eine kräftige Mutter und eine sorgliche und befähigte Pflegerin und Erzieherin kommender Geschlechter zu gewinnen hoffen darf, nicht eine bloße Modedame und auch nicht ein bloßes Aschenbrödel, welche Alles gethan glaubt, wenn sie nur die Suppe nicht verbrennt und das Fleisch nicht versalzt.

Und nun – hineingestellt in diesen erhabenen Beruf als Hausfrau, Gattin, Mutter, – was da wahre Frauenbildung werth sei. Das wird nur Der ganz zu schätzen wissen, der das Walten einer solchen in seinem Hause froh und dankbar empfindet, und noch mehr vielleicht Jener, der es schmerzlich zu vermissen hat. Daß der Mann, so oft er ermüdet, Erholung suchend, von seinen schweren Berufsgeschäften zum heimischen Herde zurückkehrt, hier auch wirklich Erholung findet, daß das Gefühl häuslichen Behagens, wohlthuender Fürsorge für seine gewohnten Bedürfnisse, harmonischen Einklanges aller seiner Umgebungen ihn anmuthend und erheiternd umfange und sich beruhigend über sein, oft verstimmtes, oft aufgeregtes Gemüth lege, wie Oel in die stürmende Fluth gegossen, daß er für seinen abgespannten Geist die heilsame und nothwendige Anregung eines zugleich inhaltvollen und zutraulichen Gesprächs, für seine, draußen vielleicht verletzte Empfindung den Balsam freundlicher, aus tiefem Verständniß und sicherer Würdigung seines Wesens geschöpfter Zusprache, für seine mancherlei Berufs- und Lebenssorgen den tröstenden Beirath eines, das Leben mit einfach klarem und darum oft richtigerem Blicke anschauenden Frauengemüths nicht entbehren müsse, – Das zu leisten vermag nur ein gebildetes Weib, ein solches aber auch ganz zuverlässig. Wehe dem Manne, den statt jenes häuslichen Behagens daheim nur verdrießliche Gesichter und ein ungeordnetes ungemüthliches Hauswesen erwarten, der, statt für seine größern Sorgen theilnehmendes Interesse und rathenden Eifer zu finden, sich mit einer Fluth kleiner oft kleinlicher Klagen über Dinge empfangen sieht, denen abzuhelfen nicht des Mannes, sondern des Weibes Sache ist. Wehe dem Hauswesen, wo der Mann sich in dieser Weise unbefriedigt fühlt und dadurch veranlaßt wird, Befriedigung und Erholung außerhalb des Hauses zu suchen!

Die schwerste, aber auch läuterndste und verklärendste Feuerprobe für ein wahrhaft edles und gebildetes Frauengemüth sind Zeiten der Noth, wo es gilt, mit dem Aufgebote der ganzen geistigen Kraft gegen ein hereinbrechendes Mißgeschick zu kämpfen, ein unabwendbares mit Muth und Würde zu ertragen. Eine geisteskräftige, wahrer Hingebung und Entsagung fähige Frau wird sich und dem Manne solche kritische Momente des Lebens eben so sehr erleichtern, als eine dieser Eigenschaften entbehrende sich und dem Manne das Schwere noch schwerer, das Bittere noch bitterer, das an sich schon kaum zu Ertragende vollends unerträglich macht.

Aber nicht die Gesellschaft allein und nicht das Haus allein haben Ansprüche an das Herz und den Geist der Frau. Auch das Vaterland, auch die Menschheit haben solche. Nicht als ob sich die Frau in politisches Parteigetriebe mengen, Propaganda machen solle für Rechts oder für Links! Nein! Aber sie soll mit ihrem gebildeten Gefühle das Ewigwahre, Menschliche und Vaterländische aus den Wirren und Kämpfen des Tages herausfühlen; sie soll patriotisch empfinden und wenn es gilt, patriotisch handeln. Mit gerechter Bewunderung erzählt die Geschichte von jenen Spartanerinnen, die ihre Söhne in den Kampf für’s Vaterland mit der Weisung sandten: entweder mit dem Schilde wiederzukehren, oder auf dem Schilde, d. h. entweder als Sieger oder als für’s Vaterland Gefallene; von jenen Carthaginenserinnen, welche ihre langen Haarflechten abschnitten, um daraus Bogensehnen zu machen, zur Rettung ihrer hartbedrängten Stadt; von unsern eigenen Stammesmüttern, den Frauen der alten Germanen, die ihre Männer und Söhne in den Krieg begleiteten und mehr als einmal auf ihren ermunternden Zuruf, ja bisweilen durch eigne thätige Antheilnahme am Gefecht, die wankende Schlachtordnung wiederherstellten. So heroische Opfer fordert die civilisirtere Gegenwart von den Frauen nur selten – obschon noch nicht allzulange die Zeit vorüber ist, wo auch die deutschen Frauen zur Befreiung des Vaterlandes ähnliche Entsagungen übten, von dem Schmucke an, den sie darbrachten, bis zu den Söhnen und Gatten, die sie mit ihren Segenswünschen in den heiligen Kampf sandten, und wer weiß, ob nicht eine ähnliche Zeit, ehe wir’s denken, wiederkommen mag – aber es giebt andere, oft nicht minder schwer und nicht minder wichtige Opfer, welche die Frauen der Gegenwart für das Allgemeine zu bringen haben, unbemerkter vielleicht, aber darum nicht minder verdienstliche. Wären alle die Fälle bekannt, wo durch tapfre Entschlossenheit und unverzagte Ausdauer der Frau dem Manne das Festhalten an seinen politischen Ueberzeugungen erleichtert, so wie jene, wo es ihm durch ängstliche Verzagtheit und kleinmüthige Klagen derselben erschwert worden ist, – wir würden mit Erstaunen wahrnehmen, welchen wichtigen, oft wahrhaft verhängnißvollen Antheil an den Schwankungen politischer Kämpfe, an den Entscheidungen ganzer Länder- und Völkergeschicke häufig Frauen gehabt haben.

Und wie viel kann eine edle, gebildete Frau wirken für die Linderung allgemein menschlicher Leiden, für die Verbesserung gesellschaftlicher Uebelstände, wenn sie sich diesen Pflichten aus wahrer Herzensneigung, mit ernster Hingebung und unter der Leitung eines aufgeklärten, gebildeten Verstandes widmet, nicht blos weil es die Mode des Tages so heischt, nicht blos um dem Scheine der Wohlthätigkeit und Menschenfreundlichkeit zu genügen.

Hier öffnet sich dann auch für jene minder Glücklichen des Frauengeschlechts, denen nicht vergönnt war, den nächsten und eigentlichsten Beruf des Weibes zu erfüllen, ein anderer, ebenfalls schöner und segensreicher, in mancher Hinsicht für jene Entbehrung entschädigender Wirkungskreis. Um aber diesen entschlossen zu ergreifen und würdig auszufüllen, um jene Entbehrung mit innerer und äußerer Fassung, ohne Verbitterung des Gemüths und ohne Verkümmerung des Geistes zu tragen und an der Stelle des vom Schicksal ihnen versagten Looses sich ein anderes, möglichst befriedigendes für sie selbst und möglichst nutzbringendes für die Welt zu schaffen, auch dazu befähigt nur eine wahre, gründliche Geistes- und Herzensbildung.

Und nun zum Schluß noch wenige Worte über die Bedingungen und die Mittel, durch welche eine solche ächte Frauenbildung erworben wird. Vor Allem gebe man den Wahn auf, als könne dieselbe das leichte Werk eines raschen Entschlusses, einer empfindsamen Herzenregung, einer wenn auch noch so aufrichtigen und ernst gemeinten Willenserhebung sein. Abgesehen davon, daß auch der beste Wille und der feurigste Eifer selten lange vorhält, wenn die tiefere Anlage und Gewöhnung des ausdauernden Hinstrebens nach einem Punkte mangelt, so ist es auch mit dem bloßen Wollen da nicht gethan, wo es zumeist auf ein wirksames Können ankommt. Wie wenig auch die zärtlichste Liebe hinreicht, um die mangelnden Haushaltungskenntnisse der jungen Neuvermählten zu ersetzen, das wissen wir aus zahlreichen Romanen und Theaterstücken, leider noch öfter aus dem Leben selbst, und nicht jeder Ehemann ist so duldsam und gutgelaunt wie David Kupferfeld, um sich und seiner „kleinen Frau“ die Verdrießlichkeiten und Beschämungen eines mißrathenen Gastmahls leichten Sinnes hinwegzuküssen. Ungleich trauriger noch, weil tiefer greifend und schwerer wieder zu verwischen, sind jene Fehlgriffe, welche eine wohlmeinende, aber übelberathene Liebe ohne gründliche Vorbildung in dem so hochwichtigen Erziehungsgeschäfte begeht. Und selber die Theilnahme an dem Geistesleben und den Interessen des Mannes, obschon sie vorzugsweise auf einer leichten Erregbarkeit des Gemüths zu beruhen scheint, wird dennoch ohne die Mitwirkung eines gebildeten, klaren Verstandes ihr Ziel weit öfter verfehlen, als erreichen, wird, statt den Mann wirklich zu erfreuen und aufzurichten, ihn eher langweilen und ermüden. [588] Wahre, gründliche für’s Leben brauchbare Frauenbildung kann, wie jede andere wahre Bildung, nur das Werk und die Frucht eines ganzen, mit Ernst und Eifer darauf gerichteten Lebens sein. Sie muß früh begonnen, mit Ausdauer fortgesetzt und niemals als abgeschlossen betrachtet werden; sie muß Körper und Geist gleichmäßig umfassen und jede Kraft dieses letzteren in der ihr eigenthümlichen Richtung entwickeln und stärken, das Gefühl läutern, den Willen festigen, den Verstand aufklären um so jene Harmonie des Lebens zu schaffen, welche, wie ich im Eingange sagte, die wahre geistige Gesundheit und die schönste Blüthe menschlicher Bildung ist.




Blätter und Blüthen.

Die Sechshundert von Balaklava. Die Dreihundert Helden von Termopylä, die Vierhundert von Pforzheim und die Sechshundert von Balaklava haben in der ganzen Geschichte nicht ihres Gleichen, denn ähnlichen Beispielen heroischen Todesmuthes begegnet man hier und da blos noch in einzelnen Helden, den Horatiern und Curatiern, Curtius, Arnold von Winkelried.

Versetzen wir uns gleich mitten in die tollkühnste, verwegenste, furchtbarste aller Kriegsscenen vom 25. October. Die Russen hatten bei ihrem großen Ausfalle auf die Belagerer Sebastopols den Engländern mehrere Kanonen genommen. Es galt sie wieder zu erobern. Türken und Engländer waren mit dem Versuche, sie dem in der Zahl und Position weit überlegenen Feinde wieder abzunehmen, gescheitert. Vor sich hatten die Alliirten ein Thal, dessen beide Höhen auf beiden Seiten mit Kanonen und dessen Ausgang nach Sebastopol hin, wo die eroberten Kanonen waren, mit langen Doppelreihen von Cavallerie und im Hintergrunde mit dichten Massen von Infanterie bedeckt wurden. Aber es galt doch, sie wieder zu holen. So wurden 627 Mann leichte Cavallerie beauftragt, den Versuch zu wagen, strategisch und menschlich genommen der tollkühnste Wahnsinn, aber in seinem kurzen und tragischen Verlaufe eine der erhabensten Erscheinungen persönlichen und vereinten Todesmuthes, für welchen man in der menschlichen Brust und in den gegebenen Verhältnissen bis jetzt vergebens nach einer genügenden Erklärung sucht.

Der furchtbare Kampf ruht im Thale und auch auf den Höhen umher zwischen unzähligen Verstümmelten und Leichen. Die Sechshundert sprengen in die Mitte herein. Die Trompeten schmettern, die Säbel blinken. Von beiden Seiten blicken die lauernden schwarzen Schlünde der feindlichen Kanonen und im Hintergrunde Fernröhre und Augenwaffen der Freunde auf sie herab, wie aus Theaterlogen. Vor ihnen dehnen sich zwei dichte lange Reihen russischer Cavallerie, die eroberten Kanonen zu schützen. Die Tollkühnen beschließen, diese Doppelreihe, jede einzeln ihnen bei Weitem überlegen, zu durchbrechen. Sie rücken vor, anfangs in gemäßigtem Schritt, dann unter Trompetengeschmetter, Hurrah rufend, Säbel schwingend immer schneller und schneller, bis sie gegen die erste russische Phalanx anprallen und die Säbel von beiden Seiten in Pferde- und Menschenfleisch wüthen. Nach einigen Minuten liegen Hunderte todt und verstümmelt zwischen und unter Pferden. Einzelne der letztern fliehen schnaubend, zitternd und rathlos im Thale. Aber die erste Reihe ist durchbrochen. Der Rest sprengt Hurrah rufend, Mützen und Säbel schwingend gegen die zweite Phalanx, während die erste sich wieder ordnet, um eine Phalanx hinter dessen Rücken zu bilden und ihn von beiden Seiten nieder zu mähen. Die zweite Phalanx, dreifach, vierfach überlegen haut die anprallenden Helden zur Hälfte nieder. Die andere Hälfte wird von der Gewalt der Massen zurückgedrängt, so daß sie auf die erste, vorher durchbrochene Colonne stößt, um sich hier abermals durchzuschlagen. Von den Kanonen auf den Höhen und Feindesmassen ringsum zu mehr Todten und Zerhauenen und Zertretenen, als Lebenden, nieder gemacht, werfen sich die noch Sattelfesten, obwohl auch vielfach blutend und mit dem Tode ringend, auf die neu gebildete Cavalleriemauer des Feindes. Man sieht, er will seine Schuldigkeit thun d. h. in diesem Falle, er will noch todtmachen, was todtgemacht werden kann. Das findet man im Kriege nicht nur in der Ordnung, sondern auch höchst tugendhaft. Dagegen läßt sich nicht rechten, ohne sich lächerlich zu machen. Der Krieg mit seinen Regeln und historischen Tugenden ist einmal eine „alte Gerechtigkeit,“ gegen welche die neue juristische, nach welcher die Feinde sehr feierlich, umständlich und einzeln erst zum Tode verurtheilt und dann später sehr ceremoniell abgethan werden, viel zu langweilig sein würde.

Aber aus den schwarzen Schlünden auf den Höhen blitzen ungeheuere Feuerbüschel und zischen ungeheuere Eisenkugeln herab und brüllen krachende Donner durch das Thal und füllen es mit dicken Pulverdampfwolken. Die Kugeln der Russen reißen hier mehrmals blind in Freund und Feind hinein, die sich im ehrlichen Schwerterkampfe gegenseitig zerhacken. Die Kugeln von den Höhen reißen ohne Wahl Freund und Feind massenweise in Stücken. Die 600 Reiter Englands und Schottlands finden einige Collegen in der Geschichte, diese Kanonendonner stehen wahrscheinlich ohne Beispiel da in der Historie aller Kriege, selbst der Religionskriege. Man sollte meinen, selbst das Kanonenmetall, selbst die blinden eisernen Kugeln hätten, erschreckt und erweicht von der Erhabenheit dieses wahnsinnigen Heldenmuthes und zurückbebend vor der Zumuthung, blindlings auch die Freunde mit massenweise niederzureißen, hier ihre Dienste versagen müssen. Nein, keine Regung der Menschlichkeit, weder in dem Metalle, noch in der Lunte, noch im Pulver, noch in den Händen und Herzen der russischen Artillerie. Die Kanonen schmettern Freund und Feind in brüderliche Haufen von todten, blutenden, zuckenden und stöhnenden Pferden und Menschen, aus denen blitzende und blutige Säbel, Pferde- und Menschenbeine erst zuckend und schlagend, dann bald starr und steif hervorragen. Von den 627 Reitern kehrten nur 189, auch zum Theil zerhauen und verstümmelt zurück. Die 438 Leichen (ohne die russischen) waren die martialische Schöpfung noch nicht einer vollen Morgenstunde.

Als die Namen der 627 nach dieser Morgenstunde verlesen und aufgerufen wurden, antwortete auf den Schall dieser noch kurz vorher volle frische Mannesblüthe bedeutenden Namen 438 Mal ein furchtbares, beredtes Schweigen. Dieses Schweigen klang entsetzlich bis herüber nach England und ruft in unzähligen Herzen die schreiendsten Klagen wach. Dieses Schweigen bekam Tausende von Stimmen in der Presse, in der Breite des Volks und drang bis in die geheimnißvollen Höhen des Friedensministeriums, das nun nach langem Diplomatisiren und Glauben und Hassen und Lieben desto unbarmherziger und tiefer in die wüthende Nemesis eines 40jährigen, still und lächelnd gegen seine eigene Gesetze und Grundrechte handelnden und schachernden und Völker und Städte und Länder kaufenden und verkaufenden diplomatischen Friedens hineingerissen wird. Die 438 im Tode Schweigenden rufen nach Verstärkungen, nach Ersatz, nach Ernst und Prinzip des Krieges und fordern, daß er wirklich ein ehrlicher Krieg werde, der diesen Todesmuth, diese erhabene Leidenschaft sich rücksichtslos opfernden Heroismus nicht beschimpfe.




Lebendig-Begrabene giebt es nach den angestellten Beobachtungen in Frankreich ohne Zweifel in großer Menge, denn im Laufe einiger Jahre wurden 52 Fälle bekannt, in denen Lebendig-Begrabene noch vor ihrem Tode wieder ausgegraben wurden, und 53, in denen man die Unglücklichen mit abgenagten Händen und Armen, mit zerkratztem Gesicht und zerschlagenem Schädel fand. Der unlängst verstorbene berühmte Chemiker Julia von Fontenella hat allein mehr als zweihundert der schaudererregendsten Fälle des Lebendig-Begrabenwerdens beobachtet. Allein man kann sich nicht wundern, daß diese Zahl so groß, sondern nur, daß sie nicht noch größer ist; denn die Beerdigung ist schon vierundzwanzig Stunden nach erfolgtem Absterben gestattet. Wenn auch ein Beamter den wirklich erfolgten Tod zuvor zu bestätigen hat, so giebt es doch, zumal auf dem Lande, so viele Unwissende, mit dieser Bescheinigung beauftragte Beamte, daß sich mit Gewißheit annehmen läßt, es werden in Frankreich alljährlich eine Menge Menschen lebendig begraben, zumal da, wo der muthmaßliche Tod durch solche Krankheiten herbeigeführt wurde, die oft eine längere Hemmung aller Lebensfunktionen zur Folge haben, und deren die Arzneikunst funfzehn verschiedene Arten zählt.






Allgemeiner Briefkasten.

K. in B–n. –. Schilderung einer Gesellschaft Frömmler. Eignet sich nicht für unser Blatt. Wir lassen Jeden nach seiner Façon selig werden. Wenn Sie am Schluß fragen, weshalb es jetzt so viele Kopfhänger gäbe, so ist die Antwort nicht schwer. – Weil wenig Menschen Geist, Kraft und gutes Gewissen genug besitzen, den Kopf aufrecht zu halten. Frömmelei (nicht zu verwechseln mit Frömmigkeit), Kopfhängerei und Mysticismus sind gegenwärtig die Modetrachten, in welchen sich eitle Thoren, Heuchler, Betrüger, Fanatiker und Narren in die gute Gesellschaft einschleichen – die Pinsel sich auf die leichteste Weise einen Anstrich von Verstand und die Schurken das Ansehen von Gemüthlichkeit geben. Und bedenken Sie vor Allem: der Glaube und der Geldbeutel sind leider bei vielen Leuten die nächsten Blutsverwandten. –

M. in Lpz. Sie wünschen Aufschluß über den Schenkel der Schwanthaler’schen Venus in Nr. 594 der Illustrirten Zeitung? Wahrscheinlich ist er gebrochen und von Dr. R. in L. geheilt worden.

F. in Wien. Raisonnirende Artikel über die Moral in der heutigen Politik. Für unser Familienblatt nicht passend, folgt deshalb nächstens zurück. Die Moral in der Politik hat übrigens stets den Consequenzen des Nützlichkeitsprincipes weichen müssen. Vergessen Sie nicht, daß Carl der Große mehr als hunderttausend Sachsen würgen ließ, weil sie keine Christen werden wollten, während sein Sohn Lothar denselben Sachsen wiederum das Heidenthum erlaubte, wenn sie ihm den Bruderkrieg ausfechten würden.

H. in Dresden. Sie ärgern sich, daß die Deutsche Allgemeine Zeitung Nachrichten aus der Krim unter der Rubrik: „Türkei“ bringt, als ob die Krim schon türkisch wäre. Warum soll unser harmloses Blatt diese unblutige Eroberung einer Leipziger Zeitung anfechten? Das ist Sache der Russen.
Die Redaktion. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Diese Vorträge, von den Professoren Bock und Biedermann, unter Beistand einiger Docenten der Naturwissenschaften, zu Leipzig veranstaltet und am 14. November d. J. vor einer sehr zahlreichen Versammlung begonnen, sollen, in je zwei Stunden wöchentlich während dieses ganzen Winters einestheils kulturgeschichtliche, anderntheils naturwissenschaftliche Belehrungen (letztere namentlich aus dem Gebiete der Gesundheits-, und Nahrungsmittellehre und der Haushaltungschemie) umfassen. Aus dem oben mitgetheilten Einleitungsvortrage ist Dasjenige weggelassen, was sich lediglich auf dessen nächste specielle Bestimmung bezog, und nur Dasjenige beibehalten, was das eigentliche Thema, die Frauenbildung, betrifft.
    Die Redaktion. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage ohne Komma
  2. Vorlage: rühmen