Die Gartenlaube (1872)/Heft 7
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No. 7. | 1872. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Der Prior sah mit der ganzen hochmüthigen Ueberlegenheit des Vorgesetzten auf Benedict nieder. „Sie scheinen zu vergessen, daß ich das vermittelnde Glied zwischen dem Abte und den Klostergeistlichen bin,“ sagte er streng. „Es ist durchaus unstatthaft, daß man sich mit Umgehung meiner Person direct an Seine Gnaden wendet.“
„Ich habe die Regel nicht als ein Gebot angesehen!“ erklärte Benedict noch immer gelassen; „auch scheint der Herr Prälat es nicht so aufzufassen, da er meine Bitte sofort gewährte. Euer Hochwürden mögen übrigens wegen der Audienz unbesorgt sein, sie betrifft nur meine Privatangelegenheit und nicht etwa – andere Dinge.“
Der Ton der letzten Worte war so eigenthümlich, daß der Prior aufmerksam wurde. „Was meinen Sie damit?“ fragte er noch strenger; aber ein schneller stechender Blick traf dabei die Züge des jungen Mönches.
„Ich meine gewisse Klosterangelegenheiten, zum Beispiel die Auskunft über den Verbleib eines Theiles der Stiftsgelder, die der Herr Prälat dringend wünscht und die er nicht erhalten kann, weil der Rentmeister die Bücher in einer unverantwortlich nachlässigen Weise geführt hat.“
Ueber das Gesicht des Priors flog ein plötzliches Erbleichen, seine stechenden Augen hefteten sich jetzt lauernd auf Benedict.
„Und wären Sie vielleicht im Stande, ihm diese Auskunft zu geben?“
„Die Auskunft selbst nicht, wohl aber einen Wink, wo sie zu erlangen wäre. Hochwürden werden sich erinnern, daß der Rentmeister kurz vor seiner Entlassung plötzlich schwer erkrankte. Sie, sein ausschließlicher Gewissensrath, waren gerade abwesend, und so rief man mich zur Beichte.“
Die Blässe auf dem Gesichte des Priors war fahler geworden. „Ah so! Er hat Ihnen Geständnisse gemacht?“
„Genannt hat er Niemanden!“ sagte Benedict kalt. „Der Mann ist zu gut geschult, und ich mochte nicht noch mit weiteren Fragen in den Schwerkranken dringen, sein Zustand war ohnehin gefährlich genug. Ich habe aber bei der Gelegenheit den Eindruck empfangen, daß der Rentmeister nur das Werkzeug in fremder Hand war und die fehlenden Gelder nicht in seinem Interesse verwendet sind. Ich bin überzeugt, wenn der Prälat mit der vollen Macht seiner Persönlichkeit einen Druck auf ihn übte, so wäre es nicht schwer, umfassende Geständnisse von ihm zu erlangen.“
„Da haben Sie in der That wichtige Entdeckungen gemacht!“ Der Prior vermochte es doch nicht, das Auge seines jungen Untergebenen auszuhalten, das fest und drohend auf ihn gerichtet war. Seine Stimme klang heiser, als er schnell hinzu setzte:
„Ich bewundere nur, daß Sie den Herrn Prälaten nicht sogleich davon unterrichtet haben, die Sache ist ja schon wochenlang her.“
„Wenn es mir nicht so sehr widerstrebte, den Angeber zu machen, so hätte ich es gethan. Ich beschloß, die Angelegenheit ruhen zu lassen, als ich sah, daß der Schaden nicht zu ersetzen war, und daß das sofortige energische Einschreiten unseres Abtes das Stiftsvermögen vor weiteren Angriffen sicherstellte. Der Punkt wäre auch heute nicht berührt worden, sähe ich mich nicht zu der Bitte gezwungen, daß Euer Hochwürden endlich einmal mit den kleinlichen Quälereien und endlosen Verfolgungen aufhören mögen, deren Zielpunkt ich seit der ganzen Zeit meines Hierseins bin und zu denen Sie Ihre Macht als mein Vorgesetzter mißbrauchen. Es sind allerdings nur Nadelstiche, aber man kann Jemand zu Tode hetzen mit solchen Nadelstichen, und ich bin jetzt auf den Punkt gekommen, wo ich sie nicht mehr ertragen kann. Ich bitte dringend um Schonung; es giebt Manchen im Kloster, der mehr zu verantworten hat, als ich.“
Wäre Benedict nur etwas weniger stolz und menschenverachtend gewesen, so hätte er den Blick verstanden, der in giftigem, tödtlichem Haß ihm entgegensprühte. In dem Blicke stand sein Verderben; aber der junge Priester wandte sich verachtungsvoll ab und ging, das Ornat wieder mit dem Ordenskleide zu vertauschen – er ahnte doch wohl nicht, wie grenzenlos unvorsichtig er gehandelt und welchen Feind er gereizt hatte.
Der Prior blickte ihm einige Secunden lang stumm nach. „Steht es so?“ murmelte er endlich. „Du wagst es, mir zu drohen? Der Schwachkopf von Rentmeister muß ihm die Augen geöffnet haben; ich werde sorgen, daß er sich nicht noch mehr verräth. – Hüten Sie sich, Herr Pater Benedict! Bisher waren Sie nur unbequem, jetzt fangen Sie an, gefährlich zu werden; es wird Zeit, daß man Sie beseitigt!“
Die große, mit aller Pracht und allem Ueberfluß reichlich versehene Conventstafel, die dem Hochamte folgte, war vorüber. Das Stift liebte es, an solchen Tagen den vollen Glanz seines Reichthums zu entfalten und eine wahrhaft verschwenderische Gastfreundschaft gegen Hoch und Niedrig zu üben. Jetzt war die Tafel aufgehoben, die Gäste hatten sich zum größten Theil bereits [102] entfernt und auch der Prälat hatte sich zurückgezogen, da der weit einfachere Nachmittagsgottesdienst von den untergeordneteren Geistlichen celebrirt ward.
Zur festgesetzten Stunde betrat Benedict die Gemächer des Abtes; aber der Kammerdiener führte ihn nicht dort hinein, sondern in den Garten hinunter, wo der Prälat nach den mancherlei Anstrengungen des Tages sich im Freien erging. Langsam wandelte die hohe Gestalt in den Gängen auf und nieder; auf dem schwarzen Talar blitzten die Diamanten des großen Kreuzes, das er auf der Brust trug, während ein schwarzes Sammetkäppchen die Tonsur und das bereits ergraute, aber noch volle Haupthaar bedeckte. Der weite, reichgepflegte Stiftsgarten mit seinen parkartigen Anlagen war in ebenso großartigem Stile angelegt wie die Abtei selbst, die einem königlichen Schlosse keine Schande gemacht hätte. Es gab überhaupt nur wenige Schlösser im Lande, die sich mit ihr messen konnten, und es lag auch etwas von beinahe königlichem Bewußtsein in der Haltung des Prälaten. Der ehemalige Graf Rhaneck hatte wahrlich keine Erniedrigung gewählt, als er sein Leben der Kirche weihte; selbst die Ehren und Güter seines Bruders, des jetzigen Majoratsherrn, reichten nicht an die Machtvollkommenheit und an das souveraine Bewußtsein des Abtes, der sich als unumschränkter Herr und Herrscher fühlte auf dem Boden, wo er stand.
Nicht Jeder ist empfänglich für Eindrücke, wie sie der Prälat in diesem Moment augenscheinlich empfand. Zum mindesten schien es Benedict nicht zu sein, obgleich man gerade ihm die Macht und den Glanz einer solchen Stellung von jeher als Zielpunkt seiner Laufbahn gezeigt hatte. War vielleicht die Zeit schon vorüber, wo Ehrgeiz und Schwärmerei ihm dies Ziel begehrenswerth erscheinen ließen – er blickte so kalt und unbewegt auf die stolze Umgebung und auf seinen Abt, wie am heutigen Morgen auf die Menge, die knieend vor ihm niedersank, um seinen Segen zu erbitten.
Der Prälat schien heute sehr gnädig; er winkte den jungen, in ehrfurchtsvoller Haltung vor ihm stehenden Mönch an seine Seite und setzte langsam den Weg mit ihm fort.
„Sie haben eine Unterredung mit mir gewünscht, Pater Benedict. Betrifft es irgend ein Anliegen? Ich bin bereit, Sie zu hören!“
„Ich habe eine Bitte an Sie, Hochwürdigster!“
Der Prälat sah mit einer leichten Befremdung auf; es war das erste Mal, daß eine Bitte aus diesem Munde kam, der sich stets nur zu den nothwendigsten Antworten öffnete und sonst immer in stummem Gehorchen schwieg.
„Nun, so reden Sie!“
„Der Herr Pfarrer Clemens war vor einigen Wochen hier, um eine zeitweilige Unterstützung in seiner Seelsorge zu erbitten, die er bei zunehmendem Alter und Kränklichkeit nicht mehr allein verwalten kann. Noch ist nichts darüber bestimmt, wer die bereits bewilligte Aushülfe zu leisten hat –“
„Nein! Ich habe mir die Entscheidung noch vorbehalten.“
„So bitte ich, mir dies Amt zu übertragen.“
Der Prälat blieb plötzlich stehen: „Ihnen? Weshalb? Aus welchem Grunde?“
Benedict sah zu Boden; er konnte es nicht hindern, daß ihm unter den forschenden Blicken die helle Flamme in’s Antlitz schlug.
„Ich – ich sehne mich nach Thätigkeit. Das Leben im Stifte bietet mir wenig Gelegenheit dazu, da ich als der Jüngste meist von den priesterlichen Verrichtungen ausgeschlossen werde, und die Klosterregel läßt mir so viel Zeit übrig –“
„Die Sie doch gerade am besten auszufüllen wissen!“ unterbrach ihn der Prälat. „Das Studium beschäftigt Sie ja Tag und Nacht. Haben Sie auf einmal den Geschmack daran verloren?“
Benedict gab keine Antwort, aber die Flamme loderte noch immer auf seiner Stirn. Er konnte und durfte ja den Grund nicht sagen, der ihn das Stift und seine Umgebung fliehen hieß; er fühlte nur, daß er fort mußte, fort um jeden Preis.
„Es ist die elendeste von all’ unseren Stiftspfarren,“ fuhr der Prälat fort. „Sie sind dort hoch oben im Gebirge, abgeschnitten von Welt und Menschheit, nur auf den Verkehr mit einem armseligen Dorfe angewiesen, und müssen auf jeden Umgang, auf jede Bequemlichkeit verzichten, an die Sie hier im Stifte gewöhnt sind, Pfarrer Clemens ist gering dotirt, er wird Ihnen kaum das Nothwendigste gewähren können.“
„Ich bin jung und nicht verweichlicht, auch handelt es sich vorläufig nur um die Aushülfe während einiger Monate, zumal beim Eintritt der rauheren Jahreszeit,“ sagte der junge Priester leise.
„Seltsam!“ Der Blick des Prälaten forschte noch immer in seinen Zügen. „Ich beabsichtigte das Amt vorkommenden Falles als eine Art von Strafe zu dictiren, und dachte wahrlich nicht, daß einer meiner Geistlichen sich dazu drängen würde. Ich werde die Sache in Ueberlegung ziehen!“
Benedict verneigte sich stumm; da er kein Zeichen der Entlassung erhielt, so blieb er an der Seite des Prälaten und schweigend setzten Beide ihren Weg einige Minuten lang fort. Doch der junge Mönch schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, er kämpfte augenscheinlich mit sich selber, endlich begann er doch.
„Hochwürdigster!“
„Wünschen Sie noch etwas?“
„Die Frau des Ignaz Lank war heute Morgen bei mir. Ihr Mann ist auf den Tod erkrankt und sehnt sich nach Spendung der heiligen Sacramente, das arme Weib bat und flehte in Todesangst, nur diesmal eine Ausnahme zu machen.“
„Sie haben sie doch mit vollster Strenge zurückgewiesen?“ fragte der Prälat kalt. „Sie wissen, der Mann ist ein Abtrünniger, er hat sich als einer der Ersten der Bewegung angeschlossen, die gegen uns gerichtet ist.“
„Ignaz Lank ist der bravste Bauer weithin in der Runde,“ es bebte eine unterdrückte Bewegung in dem Ton des Sprechenden, „er hat dem Stift stets Ehrfurcht bewiesen und noch kürzlich dem Pater Eusebius das Leben gerettet, als dieser in Gefahr des Ertrinkens kam.“
„Hat er sich bekehrt?“
„Nein!“
„So versagen Sie ihm die Sacramente, und wenn er sterben sollte, verweigern Sie ihm auch den Segen und das Geleit zum Grabe.“
„Hochwürdigster!“
„Pater Benedict, Sie gehorchen und schweigen!“
Benedict schwieg in der That, aber seine Hand ballte sich krampfhaft in den Falten des Talars, dem Auge des Prälaten entging auch diese Bewegung nicht.
„Wie kommt es denn,“ begann er wieder, „daß man sich bei all’ solchen Vorkommnissen immer gerade an Sie wendet? Warum nicht an den Pater Eusebius, warum nicht an die anderen Geistlichen, von denen doch keiner so finster und unzugänglich ist den Leuten gegenüber, als gerade Sie?“
„Vielleicht weil sie trotz alledem fühlen, daß ich der Einzige bin, der hier ein Herz hat!“
Das unvorsichtige Wort war heraus. Dem Prior und jedem Anderen gegenüber hätte es Benedict die schönste Rüge zugezogen, der Prälat blickte gelassen auf ihn nieder, aber es lag Schlimmeres in dem Ton seiner Antwort, als bloße Rüge.
„Nehmen Sie sich vor Ihrem Herzen in Acht, und ich möchte hinzufügen, auch vor Ihrem Kopfe! Das erste ist hier nicht von Nöthen, und der zweite nur da, wo er im Dienste der Kirche gefordert wird. Vergessen Sie nicht, daß Sie dieser unbedingten Gehorsam gelobten, und lehren Sie bei Zeiten Kopf und Herz sich diesem Gelübde beugen, ehe man sie dazu zwingt.“
Benedict erwiderte nichts, was hätte er auch sagen sollen! Der Prälat aber brach plötzlich von dem Gegenstande ab.
„Was die Sache mit dem Pfarrer Clemens betrifft, so habe ich sie mir bereits überlegt und bin geneigt, Ihren Wunsch zu erfüllen. Sie mögen ihm die erbetene Unterstützung leisten, machen Sie sich bereit, übermorgen in das Gebirge abzugehen.“
„Ich danke, Hochwürdigster!“ Der junge Priester wollte sich zurückziehen, als der Prälat plötzlich dicht vor ihn hintrat.
„Ich entlasse Sie damit vorläufig aus meiner Aufsicht und aus der des Klosters überhaupt. Sie kennen die Hoffnungen, die mein Bruder und auch ich auf Ihre Zukunft setzen, Sie sind die jüngste, sind weitaus die bedeutendste Kraft des Stiftes, ich wünschte nicht, daß sie uns verloren ginge. Pater Benedict!“ – er legte schwer die Hand auf dessen Schulter und sah ihm fest in’s Auge, „dort drinnen am Altar haben Sie sich der Kirche zugeschworen mit Leib und Seele, der Eid bindet Sie für Zeit und Ewigkeit. [103] Gedenken Sie dessen, wenn die Versuchung Ihnen nahe tritt, ich lasse Sie gehen, denn ich weiß, daß Sie zu Allem fähig sind, nur nicht zum Meineid!“
Benedict war todtenbleich geworden, aber er hielt den Blick aus. Es geschah selten, daß der Prälat Jemand in solcher Weise lobte, noch seltener, daß er zu Jemand in diesem feierlich mahnenden Tone sprach; der stolze Abt begnügte sich gewöhnlich, Befehle zu ertheilen oder Vergebungen zu strafen, zu Warnungen ließ er sich fast nie herab. Der junge Priester fühlte mitten durch die finstere Drohung hindurch, daß sie mehr bedeutete, als die leutseligste Herablassung gegen Andere, es war darin etwas von der Art, wie man zu Ebenbürtigen spricht.
„Ich weiß, was ich geschworen,“ sagte er dumpf, „und was ich zu halten habe!“
„Es ist gut!“ Der Prälat fiel wieder in seinen gewöhnlichen Ton zurück. „Ich erwarte den Pater Prior und werde ihn von Ihrer veränderten Bestimmung benachrichtigen. Gehen Sie jetzt und halten Sie sich übermorgen zu der Reise bereit.“ –
Benedict hatte erst wenige Minuten den Stiftsgarten verlassen, als der Pater Prior dort eintrat und sich mit viel größerer Demuth und Unterwürfigkeit, als sie seinem Amte zukam, dem hohen Vorgesetzten näherte. In seinem Gesicht stand noch der lauernde Zug, er mochte doch wohl fürchten, daß in der Audienz von „gewissen anderen Dingen“ die Rede gewesen sei, aber seine Besorgniß schwand bald. Der Prälat zeigte sich auch gegen ihn sehr gnädig, redete gleichgültig von einigen Vorkommnissen des Tages, ließ sich über verschiedene Dinge Bericht erstatten und sagte endlich wie beiläufig: „Noch Eins! Pater Benedict wird uns in diesen Tagen verlassen, er geht in’s Gebirge, um auf seinen Wunsch dem Pfarrer Clemens die erbetene Aushülfe in der Seelsorge zu leisten.“
„Auf seinen Wunsch?“ Dem Prior blieb vor Erstaunen das Wort im Munde stecken.
„Sie sind überrascht? Ich war es gleichfalls, der Posten ist nicht danach, daß ihn Jemand wünschen sollte! Haben Sie irgend eine Ahnung, welches der Grund dieser seltsamen Bitte sein könnte?“
„Nicht die geringste! Es müßte denn sein“ – der Prior konnte unmöglich die Gelegenheit vorbeilassen, dem Gehaßten hinterrücks einen Hieb zu versetzen – „es müßte denn sein, daß ihm die strenge Klosterzucht unbequem wäre, und er sich nach einer größeren Freiheit sehnte.“
Der Prälat schüttelte den Kopf. „Das ist’s nicht! Daher stammte nicht die Flamme auf seiner Stirn. Haben Sie bemerkt, daß er sich in letzter Zeit an irgend Jemand näher anschloß, daß er Umgang mit den Familien der Nachbarschaft hatte, vielleicht mit Frauen in Berührung kam?“
„Nein, durchaus nicht. Er sucht auf seinen Spaziergängen geflissentlich die Einsamkeit und betritt nie eine fremde Schwelle, wenn man ihn nicht in seiner priesterlichen Eigenschaft verlangt.“
„Ich kann mich irren,“ sagte der Prälat gedankenvoll. „Möglicherweise will er sich eine neue Art von Pönitenz damit auferlegen, Entsagung genug fordert jene Stellung.“
„Mit der Pönitenzsucht des Paters Benedict ist es schon längst vorbei!“ warf der Prior hämisch ein. „Schon seit Wochen hat er alle die Buß- und Betübungen, denen er sonst so eifrig oblag, völlig aufgegeben. Das nahm alles wie mit einem Schlage ein Ende.“
„Er wird eingesehen haben, daß sie nutzlos und,“ meinte der Prälat kühl, „und er hat Recht, ich tadle gerade das am wenigsten. Sonst haben Sie keine Klage über ihn?“
Der Prior zögerte, gern hätte er seinem Hasse Luft gemacht, aber er wußte zu gut, daß er für jedes seiner Worte einzustehen hatte. Der Prälat war nicht der Mann, ihnen blindlings zu glauben, ohne Untersuchung. „Nein!“ sagte er endlich.
„So mag die Sache vorläufig auf sich beruhen. Benachrichtigen Sie inzwischen den Pfarrer.“
„Hochwürdigster,“ begann der Prior wieder mit seiner kriechenden Demuth. „Es ziemt mir freilich nicht, einen Rath ertheilen zu wollen, wo Reverendissimus bereits entschieden haben, aber diese Bestimmung – ohne dem Pater Benedict nahe treten zu wollen – ich zweifle dennoch an seiner Zuverlässigkeit.“
„Ich habe längst daran gezweifelt!“ sagte der Prälat kalt, „und eben deshalb soll er fort. Hier im Convent hütet er Blick und Wort wohlweislich, weil er weiß, daß jede Miene beobachtet wird; hier ist dieser Verschlossenheit nichts zu entreißen. Wir wollen es einmal mit der Freiheit versuchen, vielleicht zeigt sich da eher, was eigentlich an ihm ist. Selbstverständlich wird für die nöthige Ueberwachung gesorgt. Sie haben doch zuverlässige Leute an jenem Orte?“
„Den Schullehrer, auf den ich mich in jeder Hinsicht verlassen kann. Von dem alten schwachköpfigen Pfarrer Clemens konnte er freilich nicht viel berichten, in Bezug auf Pater Benedict stehe ich dafür, daß uns auch nicht eine Silbe von seinem Thun und Lassen verborgen bleibt.“
„Es ist gut. Instruiren Sie den Mann genau, ich werde persönlich seine Berichte empfangen. Sollte Benedict seine Freiheit mißbrauchen, so nehme ich ihn wieder in strenge Zucht.“
„Wenn es nur dann nicht zu spät ist!“ wagte der Prior zu bemerken. „Das Nachbarstift hat in dieser Beziehung schlimme Erfahrungen mit einem seiner jungen Mönche gemacht, dem eine ähnliche Stellung zur heimlichen Flucht aus dem Orden verhalf.“
„Das Nachbarstift verdankt diese Erfahrung seiner laxen Zucht und der Schwäche seines Prälaten, ich habe meine Mönche besser im Zügel!“
„Aber gerade Benedict –“
„Herr Pater Prior,“ unterbrach ihn der Prälat mit stolzer, beinahe verächtlicher Ueberlegenheit, „wenn Sie es doch mir überlassen wollten, für die Richtigkeit meiner Maßregeln einzustehen. Gerade bei Benedict kann ich das wagen, denn er besitzt etwas, das freilich Sie gewohnt sind immer in den Hintergrund zu stellen, das aber bei solchen Experimenten schwer in’s Gewicht fällt, ein Gewissen. Ihm sind Gelübde und Eidschwur nicht bloße Worte, wie so vielen Anderen, er ist noch Schwärmer genug, ihre ganze Wucht zu empfinden. Der vernichtet sich vielleicht selbst, wenn es zum Aeußersten kommt, oder liefert sich in offenem Trotz in unsere Hände, in feiger heimlicher Flucht wird er uns niemals den Rücken kehren, darauf kenne ich ihn!“
Der Prior verneigte sich unterwürfig, er schluckte die bittere Pille hinunter, die der Prälat mit dem „Gewissen“ auch ihm zu kosten gegeben, im Grunde war es ja sein Vortheil, wenn Benedict auf einige Zeit entfernt ward, er hatte mehr der Form wegen opponirt. –
Der junge Priester stand in seinem Gemach und blickte hinüber, wo aus den Laubkronen der Bäume das Dach des Schlosses von Dobra auftauchte. Ob er sich wirklich eine Pönitenz auferlegte mit dem rasch gefaßten Entschluß? Der Prior hatte Recht: es war längst vorbei mit den früheren Bet- und Bußübungen; den Kopf hatte er zur Noth noch damit betäuben können, als aber das Herz sich zu regen begann, sah er ein, daß „sie nichts mehr nützten“. Der Kampf war ein anderer geworden von dem Tage an, wo er am Rande des Baches liegend zum ersten Male jene rosige kleine Elfengestalt erblickte, freilich leichter war er darum nicht geworden, und jetzt galt es sich ihm mit einem Gewaltstreiche zu entreißen. Benedict setzte energisch das Messer an die Wunde; mochte sie zucken und bluten, gleichviel, wenn er nur den Pfeil mit herauszog. Dort oben im Gebirge war er sicher vor einem erneuten Zusammentreffen und vor der gefährlichen traumhaften Poesie der Waldeinsamkeit, sicher hoffentlich auch vor den Träumen, vor denen er selbst an den Stufen des Altars vergebens Rettung gesucht, denn auch der schützte ihn nicht mehr – da galt es, sich selbst zu helfen!
„Und ich sage Ihnen, irgend etwas ist mit dem Kinde vorgegangen! Und wenn sie es mir zehnmal in’s Gesicht hineinleugnet, und wenn Sie noch so spöttisch die Achseln zucken, ich bleibe dabei!“ Mit diesem Satze, augenscheinlich dem Schluß einer längeren Rede, setzte sich Fräulein Reich nieder, warf dem ihr gegenübersitzenden Günther einen herausfordernden Blick zu und nahm ihre Handarbeit mit einem solchen Eifer wieder auf, als gelte es, die mit Sprechen verlorene Zeit im Sturm wieder einzubringen.
Günther sah in der That etwas spöttisch drein, und er zuckte auch die Achseln, als er gleichgültig erwiderte: „Aber, bestes Fräulein, wozu die lange Rede und dies Echauffement, um die einfache Thatsache festzustellen, daß Lucie endlich anfängt vernünftig zu werden.“
[104] „Vernünftig?“ Jetzt war die Reihe an Franziska die Achseln zu zucken. „Unglücklich ist sie! Seit dem Tage, wo sie mit verweinten Augen aus dem Walde zurückkam, ist es vorbei mit dem alten Uebermuth. Es ist da irgend etwas passirt, ich wette meinen Kopf, daß etwas passirt ist, aber ich kann es nicht herausbekommen. Die Plaudertasche, die sonst nicht zehn Minuten lang über die geringste Kleinigkeit schweigt, setzt all meinem Fragen und Forschen eine so hartnäckige Verschlossenheit entgegen, wie ich sie ihr nun und nimmermehr zugetraut hätte.“
Der spöttische Ausdruck verschwand aus Günther’s Zügen und machte dem der Besorgniß Platz. „Wenn nur der Graf Rhaneck nicht irgendwie dahinter steckt!“ sagte er ernster.
„Warum nicht gar! Sie macht sich nicht so viel aus ihm!“ Franziska schnellte mit den Fingern.
„Ich fand im Gegentheil, daß sie sich an jenem Festabend nur allzuviel aus ihm machte, und auch mein Verbot, so streng ich es aussprach, scheint nicht allzutief gegangen zu sein, sie trotzte mir ja ganz offen am nächsten Tage.“
„Wenn ich Ihnen aber sage, daß sie jetzt nichts mehr nach dem Grafen fragt,“ beharrte Franziska, „daß sie ihm geflissentlich ausweicht! An ihm liegt die Schuld wahrhaftig nicht, er streift beständig mit Flinte und Jagdtasche auf dem Gebiet von Dobra herum, und taucht bald hier, bald dort auf. Zum Glück wissen wir jetzt, welche Jagd dem jungen Herrn belieben würde, und nehmen unsere Maßregeln darnach. Gnade Gott dem Patron, wenn er mir einmal in die Hände fällt, ich wollte ihn in’s Gebet nehmen, daß ihm die Lust zum Wiederkommen ein für alle Mal vergehen sollte! Aber er hütet sich wohlweislich, mir nahe zu kommen, kaum daß ich ihn einmal von fern sehe!“
„Sind Sie gewiß, daß Lucie ihn nicht dennoch gesprochen hat?“
Franziska hob mit großem Selbstgefühl den Kopf. „Herr Günther, Sie haben Ihre Schwester meinen Händen anvertraut, und da dächte ich, wären solche Fragen wohl überflüssig. Lucie ist seit jenem Tage, wo sie ohne Erlaubniß nach dem Walde lief, nicht von meiner Seite gekommen, ich bewache sie seit der Eröffnung, die Sie mir machten, wie – wie –“
„Wie ein Cerberus!“ ergänzte Günther.
„Das ist ja eine höchst liebenswürdige Bezeichnung meiner Persönlichkeit!“ rief das Fräulein, sich verletzt erhebend. „Also in der Eigenschaft gelte ich Ihnen bei Ihrer Schwester?“
„Mein Gott, es sollte in diesem Falle ein Compliment sein. – Wo wollen Sie denn hin?“
„Ich fürchte, noch weitere derartige Complimente zu bekommen, und überdies ist Lucie allein im Garten, ich muß wohl meinen Posten als Cerberus wieder bei ihr einnehmen.“
„Aber bestes Fräulein!“
„Adieu!“
„Franziska!“
Die Gerufene blieb stehen, aber sie wendete grollend den Kopf zur Seite, Bernhard stand auf und trat zu ihr.
„Sind Sie mir böse?“
„Ja!“ erwiderte Franziska sehr energisch, aber anstatt hinauszugehen, kehrte sie um und nahm ihren Platz am Tische wieder ein. Ruhig, als wäre nichts vorgefallen, setzte sich Günther ihr, wie vorhin, gegenüber.
„Es ist doch merkwürdig,“ begann er nach einer Pause phlegmatisch, „daß wir nicht fünf Minuten lang mit einander sprechen können, ohne uns zu zanken.“
„Das ist gar nicht merkwürdig,“ erklärte Franziska noch immer gereizt, „es ist mit Ihnen eben nicht fünf Minuten lang auszukommen!“
„Ich dächte doch, ich käme mit allen Anderen aus,“ meinte Bernhard noch immer mit demselben Phlegma.
„Weil sich alle Anderen von Ihnen maltraitiren lassen! Ich bin nahezu die Einzige, die Ihnen bisweilen noch Opposition macht!“
Der Ton des Fräuleins verrieth deutlich, daß sie den „Cerberus“ noch nicht verwunden hatte; trotzdem fand es Günther durchaus nicht angezeigt, sich aus seiner Ruhe bringen zu lassen. Sie sind,“ meinte er trocken, „noch gerade so ausfallend wie daheim in unserem Dorfe.“
„Und Sie gerade so rücksichtslos wie damals!“
„Möglich! Wir waren immer in Hader und Streit mit einander, das Eigenthümliche war nur, daß wir trotzdem nicht von einander bleiben konnten.“
„Wir wollten ja wohl von Lucie sprechen!“ unterbrach ihn Franziska.
Bernhard runzelte leicht die Stirn. „Sie haben eine merkwürdige Art, das Gespräch immer dann abzubrechen, wenn es anfängt, interessant zu werden.“
„Was für Sie interessant ist, ist es darum noch nicht für mich.“
„Weshalb?“ Er sah sie fest an, Franziska bekämpfte eine gewisse Verlegenheit, aber sie überwand sie rasch.
„Ich finde es begreiflich, daß Sie gern auf die Jugendzeit zurückblicken“, sagte sie ausweichend. „Sie sind hoch genug gestiegen für einen einfachen Förstersohn. Ich – nun, ich habe es mir auch redlich sauer werden lassen im Leben, und es dennoch nicht weiter gebracht, als zur Gouvernante Ihrer Schwester. Ich vergesse meine Stellung sicher nicht, Herr Günther, ich wünschte nur manchmal, daß – auch Sie sie nicht vergäßen.“
Es lag ein eigenthümlich herber Stolz in der offenen Mahnung, und jetzt begegnete ihr Blick so fest und ernst dem seinigen, als erwarte sie, er werde das Auge niederschlagen, doch dies geschah nicht. Günther erhob sich plötzlich und trat an ihre Seite.
„Das hätten Sie mir nicht sagen sollen, Franziska!“ sagte er ruhig, „und Sie brauchen mir auch meine Erfolge nicht vorzuwerfen, ich habe es mir gleichfalls ‚sauer genug im Leben werden lassen.‘ Sie wissen, daß mich die zweite Ehe meines Vaters aus dem Hause trieb. Er fand in der neuen Gattin nicht das gehoffte Glück, und ich nicht die Mutter in ihr, auch unser geringes Vermögen ging dabei zu Grunde; als die Eltern starben, da mußte ich mit meinen ersten mühsam erworbenen Ersparnissen die verwaiste kleine Schwester erhalten. Die Welt freilich sieht nur den Emporkömmling, sieht nur die Höhe, auf welcher der ehemalige Förstersohn steht; die zwanzig Jahre, die dazwischen liegen, Jahre voll Sorge und Arbeit, voll endlosen Mühens und rastlosen Ringens, die sieht sie nicht. Mir hat das Glück wahrlich nichts mühelos in den Schooß geworfen, Schritt für Schritt habe ich mir meinen Weg zu Besitz und Reichthum erkämpfen müssen, ein halbes Menschenalter habe ich dazu gebraucht – wollen Sie es mir verargen, wenn ich da gern wieder an die Kinderzeit anknüpfe? Aber es scheint, ich darf bei Ihnen diesen Punkt nicht berühren. Sie fliehen ihn ja förmlich.“
Franziska neigte etwas betroffen den Kopf. „Sie haben Recht, Herr Günther, aber –“
„‚Herr Günther!‘ Das heißt mit anderen Worten, ich soll gleichfalls auf das vertrauliche ‚Franziska‘ und damit auch auf die Jugenderinnerungen verzichten?“
„Ich glaube, es ist besser, wir thun das beiderseitig!“ sagte Franziska wie beklommen, indem sie rasch an’s Fenster trat und angelegentlich in den Garten hinausblickte.
Ohne ein Wort zu sagen, wendete sich Günther zu seinem Platze zurück und nahm die Zeitungen wieder auf, in denen er vorhin gelesen. Es lag eine Wolke auf seiner Stirn, obgleich die ruhigen Züge sich nicht veränderten; zum Glück machte Luciens Eintritt dem nun folgenden unbehaglichen Schweigen ein Ende. Sie kam, noch ganz erhitzt vom Spiel mit den Kindern, warf mit ihrem ganzen früheren Ungestüm den Hut auf den Tisch, sich selber in einen Lehnstuhl, und vergrub den Kopf tief in die Polster desselben.
„Nun, hast Du endlich ausgetollt?“ fragte Bernhard, von seiner Zeitung aufsehend, dabei aber glitt ein forschender Blick über das Gesicht des jungen Mädchens.
„O, ich that es nur den Kindern zu Gefallen!“ – in Luciens Stimme lag etwas wie tiefe Müdigkeit, „und überdies wußte ich, daß Du hier eine wichtige Conferenz mit Fräulein Reich hieltest, bei der ich wahrscheinlich doch nicht geduldet worden wäre.“
„Möglich, da Du der alleinige Gegenstand der Conferenz warst.“
„Ich?“
„Aber Herr Günther!“ unterbrach ihn Franziska, indem sie ihren Platz am Fenster aufgab und sich gleichfalls dem Tische näherte.
„Ich sehe nicht ein, Fräulein Reich,“ er legte einen unmerklichen, aber ihr doch verständlichen Nachdruck auf die Anrede, „weshalb wir uns noch länger mit Vermuthungen und Befürchtungen
[105][106] abgeben wollen, da wir in Lucie doch jedenfalls die rechte Quelle vor uns haben. Mag sie immerhin eigensinnig sein, eine Unwahrheit ist noch nie über ihre Lippen gekommen, und zur Lüge halte ich sie unter keinen Umständen fähig. Komm zu mir, Lucie!“
Die Augen des jungen Mädchens gingen verwundert und etwas mißtrauisch von der Erzieherin zum Bruder hinüber, aber sie folgte sofort dessen Aufforderung und kam an seine Seite.
„Hast Du seit jenem Abende bei Baron Brankow den Grafen Rhaneck gesprochen?“
Aus den Streifzügen eines Feldmalers.
Müde von dem angestrengten Marsche – wir waren zur Abwechselung wieder einmal seit früh fünf Uhr unterwegs und gründlich vom Regen eingeweicht worden – erreichten wir in später Nachmittagsstunde Stenay. Wir, das dreizehnte Jäger-Bataillon, gehörten schon damals zu der bekannten achtundvierzigsten Brigade und sollten mit derselben, wie ich nachträglich erfahren, hier ein Ueberschreiten der Maas feindlicherseits verhindern. Nur mit knapper Noth und Mühe entgingen wir für diesen Tag dem Vorpostendienst und wurden in Alarmquartiere untergebracht. Getreu meinem Grundsatz, jede sich darbietende Gelegenheit zur Ruhe gewissenhaft auszunutzen, suchte ich, nachdem ich nebst einigen dreißig meiner Cameraden unser Hôtel, die Hausflur eines von den Bewohnern verlassenen Hauses, erreicht, sofort mein Nachtlager auf, welches wie gewöhnlich aus Stroh par requisition als Unterlage, dem Tornister als Kopfkisten und dem Dache als Bettdecke bestand, und schlief sehr bald unter dem eintönigen Geräusch des herabströmenden Regens ein.
Erst zwei wohlgemeinte Rippenstöße meines Nachbars, dem mein leiser Schlaf schon längst kein Geheimniß mehr war, und der Ruf: „Vorwärts, die erste Compagnie muß sofort ausrücken,“ brachten mich am andern Morgen wieder zum Bewußtsein. Die Toilette war schnell beendet, ein Schluck Kaffee aus dem Feldkessel meines mitleidigen Nachbars bildete das Frühstück, und fort ging es nach dem Stellplatz. Hier hielt auch schon unser Hauptmann Walde zu Pferde und eröffnete uns, daß er, einem erhaltenen Auftrag gemäß, mit uns und unter dem Schutze einer Schwadron die Eisenbahn bei dem zwei Stunden weiter vorwärts am Dorfe Chauvancy gelegenen Bahnhof zerstören solle und daß wir zur schnelleren Ausführung dieses Unternehmens auf acht gestellten vierspännigen Wagen zur Bahn befördert werden würden. Eine Schwadron vom zweiten Reiterregiment traf bald darauf ein, nicht so schnell die acht französischen Fuhrwerke, so daß sich unsre Abfahrt, die um sieben Uhr stattfinden sollte, um eine Stunde verzögerte. Die einzeln ankommenden Wagen, große Rüstwagen, jeder mit vier schwerfälligen Rossen bespannt, wurden von uns mit Sturm genommen, denn ein flüchtiger Blick genügte, um Jeden zu überzeugen, daß acht Geschirre nicht ausreichen würden, um die ganze Compagnie fortzubringen, freiwillig aber wollte Keiner zurückbleiben. Nachdem mit ungefähr hundertdreißig Mann sämmtliche Wagen gefüllt waren und die Kutscher sich auf ihre Pferde geschwungen, ging es unter Hurrah in flottem Trabe zum Städtchen heraus. Die originelle Art der Beförderung, die Aufregung in der Erwartung kommender Dinge und die stille Hoffnung, den Rothhosen eine sächsische Jägerlection geben zu können, versetzte uns in die heiterste Stimmung, die selbst der herabströmende Regen, der uns auch während der ganzen Expedition nicht verlassen sollte, nicht zu beeinträchtigen vermochte. Weniger vergnügte Gesichter machten Kutscher und Pferde, denen weder das Wetter, noch das von uns angedeutete Tempo behagte. Sehr häufig bedurfte es der eindringlichsten Aufmunterung des neben jedem Wagen trabenden Reiters, um Erstere für unsere Wünsche geneigt zu stimmen.
Nachdem wir zwei an der Straße gelegene Ortschaften ohne Hinderniß passirt und die Höhe des dahinter liegenden Berges erreicht hatten, zeigte sich unseren Blicken vor uns ein längeres Thal, an dessen linkem steileren Rande sich die Straße, aus der wir weiter fuhren, herabschlängelte und welches an seinem jenseitigen Ende durch einen ziemlich hohen Eisenbahndamm gesperrt schien, auf dem wenige Minuten später zwei in kurzen Zwischenräumen sich folgende starke Züge angedampft kamen und hinter welchem ein Dorf mit seinem Kirchthurm und höchsten Giebeln hervorragte. Unstreitig hatten wir hier unser Ziel vor Augen.
Es mochte wohl kaum eine Viertelstunde seit jener ersten Beobachtung vergangen sein, als vor uns ein Schuß fiel und gleich darauf die Spitze der Avantgarde in Carrière zurückgejagt kam und die Meldung überbrachte, daß die Eisenbahn von den Franzosen besetzt sei. Was wir schon beim Anblick der Züge vermuthet hatten, ward hier zur Gewißheit; kein Zweifel, daß es nun erst recht darauf losgehen würde. Halten, absteigen und, unter Zurücklassung der Wagen, geschlossen noch ein Stück weiter vorwärts traben bis zu einer gedeckten Stellung, von wo aus wir zum directen Angriff übergingen, war das Ergebniß weniger Minuten. Kaum hatten die Plänkler sich nach rechts und links entwickelt, in Folge dessen längs des ganzen Bahndammes ein heftiges Feuer eröffnet wurde, so brach der Hauptmann an der Spitze der noch zurückbehaltenen Abtheilung auf der Straße gegen den Damm vor. Mit ununterbrochenem Hurrah, ohne Aufenthalt und mit nur zwei Mann Verlust – Dank dem schlechten Schießen der Franzosen, denn die meisten Kugeln gingen hoch über uns weg – gelangte der Damm in unsern Besitz. Ein nach links entsendeter Zug war bei seinem Vorgehen auf das Bahnhofsgebäude gestoßen und hatte dessen Besatzung nach mehreren wohlgezielten Schüssen daraus vertrieben. Zwanzig Mann davon fielen unverwundet in unsere Hände, weil zwischen Bahn und Dorf ein breiter Bach sich hinzog, der nur auf der an der Straße gelegenen Brücke passirt werden konnte; diese aber war nach Einnahme des Dammes von uns besetzt worden. Aus der Zahl der hinter dem Dorfe sturmschnell sich zurückziehenden Trupps, dann der Todten, Verwundeten und der Gefangenen zu schließen, mußte der Feind uns an Zahl überlegen gewesen sein.
Unter dem Schutze ausgestellter Posten ging es nun nach dem Bahnhofe, um daselbst die Zerstörungsarbeiten vorzunehmen. Mit Spaten und Schaufeln, dem Handwerkszeug unsrer Zimmerleute, war hier jedoch nichts auszurichten. Indessen war bald Rath geschafft. Ein verschlossener Güterschuppen, der nach Ansicht Sachverständiger das Gesuchte bergen konnte, ward erbrochen und in demselben das Gewünschte gefunden. Und nun ging es an ein Demoliren, so systematisch und gründlich, als wenn ein Ingenieur das Ganze geleitet hätte. Es war eine wirkliche Lust, das Hämmern und Pochen, das Winden und Wuchten mit anzusehen. Schuster und Schneider führten das Brecheisen so geschickt wie daheim ihre Nadel, Kaufmann und Schreiber den Schraubstock wie zu Hause im Comptoir ihre Feder. Innerhalb einer Stunde waren die Schienen aufgerissen, waren die Weichen, Drehscheibe, Wasserbehälter und Telegraphenapparat zerstört.
Es schien aber auch die höchste Zeit; denn noch ehe wir unsere Arbeit beendet, verbreitete sich die Nachricht, daß wieder ein neuer Eisenbahnzug eine Viertelstunde vom Bahnhof entfernt halte und Truppen aus demselben ausstiegen. Mit doppeltem Eifer ward nun das begonnene Werk beendet und dann ungesäumt, in etwas beschleunigtem Schritt, mit unseren Gefangenen, zu denen sich noch drei neue gefunden, der Rückmarsch nach den Wagen angetreten.
Nachdem wir diese erreicht und, die Höflichkeit wie immer auch hierin nicht außer Acht lassend, nach unseren Gästen aufgestiegen waren, ging es in demselben Tempo wie bei der Herfahrt nach Stenay zurück. Unterwegs stieß auch wieder die Schwadron zu uns, die kurz vor der Einleitung des Gefechts uns verlassen und auf dem Eingangs erwähnten Höhenrücken zur Beobachtung und Sicherung unserer Arbeiten Stellung genommen hatte.
Ich vermag nicht den tollen Jubel zu schildern, der sich unser mach solch einem Coup auf der ganzen Heimfahrt bemächtigte und der sich in Hurrahs auf unsern Hauptmann gipfelte, wenn derselbe sich den Wagen näherte. Mit Ausnahme des Capitäns schienen sich auch unsere Gefangenen, sämmtlich dem 66. Linien-Infanterieregiment angehörend, sehr bald mit ihrem [107] Loos ausgesöhnt zu haben. Mit sichtlichem Wohlbehagen ließen sie sich die ihnen von uns angebotenen Cigarren schmecken. Jubelnd von den uns entgegenkommenden Cameraden empfangen, fuhren wir gegen zwei Uhr wieder in Stenay ein. Unserm Sergeant Engelmann, der noch an demselben Tage die Gefangenen nach dem Hauptquartier transportiren mußte, ward die Ehre zu Theil, dem Prinz Georg persönlich über die Expedition Bericht zu erstatten.
Es versteht sich, daß der Naturgesang von jetzt an einen ungemeinen Aufschwung nahm und täglich an Ansehen und Gedeihen wuchs vor Fürsten und Völkern, denn die Sänger hatten nun nicht mehr blos mit Wirths- und Gasthäusern, sondern auch mit Theatern und Höfen zu rechnen.
Als sie Karlsruhe verlassen, begaben sie sich nach Straßburg, „wo sie jede Ursache hatten, sich glücklich zu fühlen“, was vielleicht jetzt weniger der Fall wäre, – und von Straßburg nach Baden-Baden. Hier waren sie kaum ein paar Tage, als sie der König von Baiern rufen ließ, um mit ihrer Hülfe den Geburtstag seiner Gemahlin zu verherrlichen. Mittags sangen sie im neuen Hofsalon und am Abend im Landsitz der Königin von Schweden, wo sich zu den baierisch-badischen Herrschaften auch der Kronprinz und die Kronprinzessin von Preußen gesellten. Der König von Baiern, der alte Max, der noch im nämlichen Jahre sterben mußte, war damals so gut aufgelegt, daß er das Lied „Wenn ich in der Früh aufsteh’“, das er von den Tegernseer Almerinnen gelernt hatte, fröhlich selber mitsang.
Obwohl hoch entzückt von all dem high life, das sie so plötzlich umfangen hatte, beschlossen die Sänger in diesen Tagen dennoch wieder den Weg in die Heimath einzuschlagen und begaben sich über Stuttgart, wo sie vierzehn Tage rasteten und mit ebenso großem Beifall sangen, nach München an der Isar, wohin sie vorher ihre Eltern brieflich zum Wiedersehen beschieden hatten. Die Mutter war bis dahin noch nie aus dem Zillerthale herausgekommen, also auch nicht einmal in Innsbruck gewesen. Und in München fielen sich Eltern und Kinder auch mit unbeschreiblicher Freude um den Hals.
Alle mit einander zogen dann nach Tegernsee, wo sie den König Max wiederfanden und eine Woche blieben. Dann aber ging’s nach der Heimath, in’s fröhliche Zillerthal, nach Fügen, wo sie wegen ihrer unerhörten Thaten, Leistungen und Erwerbnisse von jedermännlich angestaunt, bewundert und beneidet wurden.
Bald darauf, nämlich schon im November 1825, unternahmen die Geschwister ihre zweite Weltfahrt. Die Erinnerung an die Einladung des Czaren war neuerdings erwacht, und die Sänger gingen deshalb gleich von Anfang an nach Wien, um sich nach Petersburg durchzusingen. Aber in Wien schon erhielten sie die Nachricht, daß Kaiser Alexander gestorben sei. Zu gleicher Zeit kam die Botschaft, daß König Max von Baiern in’s bessere Jenseits hinübergegangen, und Kaiser Franz von Oesterreich war über den Verlust seiner beiden Amtsgenossen so betrübt, daß er seine Zillerthaler nicht einmal jodeln hören wollte. Unter diesen Umständen gaben diese die Reise nach Rußland abermals auf und gingen dafür nach Dresden, wo sie auch bei Hofe zusprachen, nach Teplitz und Karlsbad, wo sie eines Abends zwar nicht vor einem „Parterre von Königen“, aber vor fünfzehn Prinzen auf einmal zu singen die Ehre hatten. In Teplitz war es auch, wo sie den englischen Earl Stanhope kennen lernten. Dieser ermahnte sie nachdrücklich, Altengland nicht unbesucht zu lassen, gab ihnen Empfehlungsbriefe mit und manchen guten Rath, wie sie sich dort zu benehmen hätten. So beschlossen sie denn wirklich nach jenem Eiland hinüberzuschiffen, wurden aber zuvor noch nach Weimar eingeladen. Dort trafen sie den Großherzog, sowie auch den Schauspieler und Regisseur Seidel, einen gebornen Innsbrucker, welcher für sie zwei neue (ziemlich schlechte) Lieder, „der Alpenjäger“ und „der Tiroler Landsturm“, dichtete und in Musik setzte, sie ihnen auch mit großer Mühe beibrachte und ihnen das Verlagsrecht verehrte.
Die Geschwister setzten nun ihre Reise durch Thüringen fort und langten im November 1826 über Magdeburg in Berlin an. Hier sangen sie vier Mal im königlichen Opernhause und waren auch schon vor den König befohlen, als Seine Majestät unglücklicher Weise den Fuß brach und deswegen wieder absagen ließ. Doch kamen sie in freundlichste Berührung mit allen hohen Herrschaften der Hauptstadt und nicht allein mit diesen, sondern auch mit Fräulein Henriette Sontag, deren Liebenswürdigkeit sie entzückte. Einmal waren sie in eine Abendgesellschaft zusammengeladen, wo sie, die Zillerthaler, ihre Almenlieder sangen, jene aber mit ihrer glorreichen Stimme abwechselnd die schwierigsten Arien aus den schönsten Opern vortrug – ein Contrast, der einen wunderbaren Eindruck zurückließ. Sie waren übrigens sehr oft im Heimgarten bei der gefeierten Sängerin, und diese schenkte ihnen zur Erinnerung verschiedene Angedenken.
Sieben Wochen blieben sie zu Berlin, gesucht, geehrt und in allen Zeitungen besprochen und gepriesen. Nach diesen schönen Tagen zogen sie über Schwerin nach Hamburg. Die gastfreundliche Aufnahme, die ihnen dort begegnete, wird „großherzig bis zum Uebermaß“ genannt. In Hamburg erhielten sie auch wieder neue, warme Empfehlungsbriefe für ihre Reise nach Albion, welches die singenden Argonauten nach einer sechzigstündigen Meerfahrt glücklich erreichten.
Sie landeten in London und betraten die fremde Erde nicht ohne Schüchternheit. Sie befürchteten nämlich, ihr fremdartiges Aussehen möchte ihnen da zu viel leicht lästige Aufmerksamkeit zuziehen; aber wider Erwarten kamen sie glücklich durch, nur daß ihnen beim Einzuge ein lärmender Haufe von Gassenjungen das Geleit gab. Die Zillerthaler Geschwister kamen zu London im Mai 1827 an und stellten sich da sofort unter die Protection des Fürsten Esterhazy, der damals österreichischer Gesandter am britischen Hofe war. Sehr freundlich und warm zeigte sich ihnen auch vom ersten Augenblicke an Ignaz Moscheles, der Virtuose, an den sie Empfehlungsbriefe mitgebracht hatten. Sie wurden nun schnell in die Kreise der hohen Aristokratie eingeführt, welche sie zuerst in einem Privatconcert, das Fürst Esterhazy veranstaltet hatte, vor sich versammelt sahen. Oeffentlich traten sie zum ersten Male am 26. Mai in der Aegyptischen Halle auf und zwar mit durchschlagendem Erfolge.
Nun schenkte ihnen selbst die Herzogin von Kent ihre Huld und beschied sie nach Kensington, wo ihren Liedern auch die junge Prinzessin Victoria, die jetzige Königin von England, lauschte. Bald darauf sangen sie vor dem Könige in Windsor. Der Monarch bewies ihnen sein hohes Wohlgefallen nicht allein durch ein hohes Geschenk, welches er dem ältesten Bruder eigenhändig übergab, sondern auch durch die Aufforderung, sich am nächsten Abende wieder in Windsor hören zu lassen. Um diese Zeit traten sie ferner vor einer unzählbaren Zuhörerschaft und mit enthusiastischem Beifall im Coventgarden-Theater auf. Moscheles begann nun ihre Melodien mit den Originaltexten im Tiroler Dialecte niederzuschreiben und gab bald zwölf solcher Lieder mit Clavierbegleitung heraus. Dieser erste Versuch war so schnell vergriffen, daß ihm bald als zweite Auflage die drei Bände folgten, welche mir nun vorliegen. Sie unterscheiden sich von der ersten Veröffentlichung namentlich dadurch, daß nun auch eine englische Uebersetzung, welche Herr Ball verfaßte, beigegeben ist.
Der Uebersetzer wollte die Grundsätze, die er bei seiner Aufgabe verfolgte, nicht verhehlen. Die Lieder der Tiroler, sagt er, seien zwar an und für sich tadellos, aber hier und da fielen sie doch noch unter die bloße Ländlichkeit hinunter und ergingen sich in einer Kindlichkeit, welche zwar auf den Ursprung der Blüthe hinweise, aber doch die geruchlose Blume aus einem auserlesenen Kranze ausschließe. In solchen Fällen habe er nun allerdings von den jedem Uebersetzer zukommenden Freiheiten Gebrauch gemacht, aber doch sein Lied nach irgend einer maßgebenden Idee des Originals gebildet, so daß es wohl wiedererkannt und freundlich aufgenommen werden dürfte. Wer Deutsch verstehe, würde in Nr. 11 The Village Lay (Das Dorflied) ein Beispiel dieser [108] Behandlungsart finden. Dort sei der Gedanke, der im zweiten Verse ausgedrückt, gewissermaßen als der Rahmen des ganzen Liedes benutzt worden.
Etwas neugierig folgte ich der gewiesenen Spur und schlug The village lay auf. Ich fand zu meiner Ueberraschung, daß dies unser all- und altbekannter Lauterbacher sei, gewissermaßen der Patriarch aller Schnaderhüpfel, der damals voranging, als sie in die gebildeten Stände eingeführt wurden. Ich hörte das Liedlein schon im Jahre 1827 singen, aber damals hieß es noch: „Z’ Pfeifenberg“ etc., was um so mysteriöser, als es im ganzen Königreiche Baiern kein Pfeifenberg giebt. Und in diesem Umkreise sollte es sich doch nothwendig finden, denn der Lauterbacher ist, wie unter den Kennern feststeht, kein Almenlied, keine Tiroler Melodie, sondern im Unterland, vielleicht im bairischen Wald oder gar noch nördlicher entstanden, – eine Meinung, die auch dadurch nicht erschüttert wird, daß sich Felix Rainer in England als den Erfinder der Melodie ausgab.
In der jetzt gültigen Lesart lauten also die beiden ersten Verse jenes merkwürdigen Liedes bekanntlich:
Z’ Lauterbach hab’ i mein Strumpf verlor’n;
Ohne Strumpf geh’ i nit heim –
und der zweite Vers soll also der Rahmen sein, in welchen der Uebersetzer seine ganze Umdichtung hineingemodelt hat. Dieser zweite Vers nun lautet, aus dem Englischen übertragen in’s Schnaderhüpfel-Deutsch, etwa folgendermaßen:
Lieber Vater, hör’ mir zu
Sagt a junger Hüterbue,
Vater, gieb mir bald a Kue
Und a Häusel ah dazu,
Daß i Hochzeit halten kann;
’S Warten kommt mich gar z’ hart an.
Die Freiheiten, „die jedem Uebersetzer zukommen“, scheinen hier allerdings vollkommen gewahrt zu sein; aber daß Herr Ball als „maßgebende Idee“ des Liedes nicht den verlornen Strumpf erkannt und diesen in seinen Rahmen aufgenommen, ist doch höchst auffallend! Indessen, je weiter wir vergleichen, desto fester wird unsere Ueberzeugung, daß es eigentlich nur stellenweise auf eine Uebersetzung abgesehen war, und daß sich Herr Ball in der Hauptsache begnügte, seine eigenen Ideen, die er hin und wieder etwas alpenhaft färbte, in das tirolische Metrum zu gießen. Im dritten Hefte, das dem Earl von Stanhope gewidmet ist, tritt übrigens ein neuer Uebersetzer ein, Herr T. H. Baily, der sich aber, wenn möglich, noch mehr Freiheiten herausnimmt als sein Vorgänger. Doch ist er auch noch aufrichtiger als dieser, denn er erklärt im Vorwort einfach:
„Es mag nothwendig sein, zu bemerken, daß der Verfasser des Textes dieser Sammlung keineswegs eine Uebersetzung der Originale geben will, denn die außerordentliche Einfachheit der deutschen Worte trotzt fast jeder poetischen Uebersetzung. Der Autor hat jedoch versucht, dem Geist der Originale treu zu bleiben. Er hat den Gedanken der Worte wiedergegeben, so weit es möglich war, und er glaubt, in keinem Falle von dem Sinn der Worte abgewichen zu sein.“
Nach dieser Vorrede mag sich Jeder selber denken, wie Herr Baily in diesen Schnaderhüpfeln und Almenliedern herumgehaust hat; doch verzichten wir gern auf eine nähere Besprechung seiner Arbeit.
Wie dem aber auch sei, diese tirolischen Lieder, these wild inimitable songs, diese wilden unnachahmlichen Gesänge in ihrer englischen Verballhornisirung hatten damals einen Erfolg in Großbritannien, den die Insulaner selbst bewitching und bewildering, d. h. bezaubernd, nannten. Von den Bädern von Brighton bis hinauf zu den Shetlands-Inseln schwelgten Albions blonde Töchter in diesen Tyrolese melodies. Fräulein Sontag, welche 1828 ebenfalls nach London gekommen, hatte sich den „schönen Schweizerbua“ als Liebling ausersehen, und trat in keinem Concert mehr auf, ohne diesen wilden und unnachahmlichen Gesang mit unerschütterlichem Beifall herunter zu jodeln. Ja, die ganze musikalische Industrie Alt-Englands warf sich eine Zeit lang auf die Almenlieder. Das dritte Heft enthält eine Anzeige von sechsunddreißig „Arrangements“ für Guitarre, Piano, Harfe, Flöte, Waldhorn, Violine, für zwei, drei, vier dieser Instrumente zusammen; für eine, zwei, drei, vier Singstimmen, als Walzer, als Quadrillen, kurz, in jeder denkbaren Weise.
Aber die Almenlieder selbst? Darf man auch jetzt nach vierzig Jahren noch ihre Reize näher untersuchen und mit der kritischen Hechel darüber fahren? Wir wagen es, denn die Gebrechen, die sich in der Rainer’schen Liedersammlung von Anno Achtundzwanzig zeigen, sie finden sich auch noch in den heutigen.
Die eigentliche Ur-, Grund- und Lieblingsform des Almengesangs ist nämlich das Schnaderhüpfel – die bekannten vier Zeilen mit je zwei Hebungen. Ihre Zahl ist unzählbar; sie blühen und verwelken fort und fort und erneuern sich täglich in unverwüstlicher Fruchtbarkeit. Nach ihren Melodien läßt sich singen und tanzen; sie entsprechen daher dem täglichen Bedürfniß der Jagersbuben und der Sennerinnen. Sie reichen aber nicht hin, um einen Concertabend auszufüllen, zumal vor einem Publicum, das den epigrammatischen Text nicht versteht, was bei den Tirolersängern doch häufig der Fall war.
Diese fanden sich daher bald gedrungen, nach Abwechselung zu trachten und bunte Reihe herzustellen. Allein die Lieder, welche in mehreren Strophen einen zusammenhängenden Gedanken durchführen und nach einem andern und längern Rhythmus als die Schnaderhüpfeln gesungen werden, die eigentlichen Almenlieder, sind nicht zahlreich. Sie bringen sich auch neben jenen, die sich viel leichter merken lassen, nur mühsam fort; die älteren sind meist halb vergessen, nur stückweise noch bekannt, in den jüngeren macht sich nur zu häufig der hochdeutsche Finger des Schullehrers bemerkbar. So zogen denn schon die Rainer allerlei fremdartige Surrogate herbei, und als solches erlebte z. B. auch das bekannte „Sagt er“ (Wennst in Himmel, sagt er, willst kömma, sagt er, mußt Handschuh, sagt er, mitnehma etc.) das Glück, damals vor Georg dem Vierten gesungen zu werden, ein unverdientes Glück, da es keine Tyrolese melody, sondern aus einer Posse, „Die Wiener in Berlin“, entlehnt ist. Aus ähnlicher Quelle stammt auch das ehemals so gern gehörte „War’s vielleicht um eins, war’s vielleicht um zwei“, welches ebenfalls im Coventgarden gesungen und beklatscht worden ist. Diese der Bühne entlehnten Stücklein kamen nun in der Regel so ziemlich gut weg, aber die eigentlichen Almenlieder wurden oft bitterlich mißhandelt. Namentlich wenn sie zu kurz waren, d. h. wenn man im Zillerthal nur noch einige Trümmer des Textes auftreiben konnte, während die anderen Stücke verloren gegangen, entblödeten sich die Sänger keineswegs, irgend etwas Beliebiges hinzuzusetzen oder selbst etwas anzudichten.
So sehen wir z. B., daß „Der Fuhrmannsbua“, ein niederbairisches Lied, das jetzt in volksthümlichen Liederbüchern mit neun oder zehn Strophen vorkommt, hier nur in zwei G’sätzeln erscheint, deren zweites lautet:
Kellnerin, leb’ wohl und vergiß mich nicht;
I muß jetzt scheiden von Dir.
I kann nit bei Dir bleiben,
Denn i muß fahren nach Trier.
Die letzte Zeile ist entschieden unecht und lächerlich, denn es ließe sich wetten, daß unter tausend niederbairischen Fuhrmannsbuben nicht einer zu finden ist, der je von der allerdings berühmten Stadt Trier gehört hätte.
Hier haben sich nun die Natursänger mit einem sehr verstümmelten Torso begnügt und nur eine unbedeutende Restauration versucht, aber „der schöne Schweizerbua“ war nicht so glücklich, denn dieser mußte sich folgende höchst bedenkliche Schlußstrophe aufhalsen lassen:
Frau Wirthin, schenk’ nur fleißig ein,
Sei es Bier oder sei’s Champagnerwein.
Schenk’ nur ein, wir trinken’s wiederum aus
Und gehen dann froh nach Haus!
Der Champagnerwein, der den Tiroler Thölerern (Thalbewohnern) in den zwanziger Jahren gewiß noch ebenso fremd war, wie den niederbairischen Fuhrmannsbuben die berühmte Stadt Trier, er bürgt allein schon dafür, daß diese Strophe nicht auf den Almen entstanden sei. Er drängt sich aber auch in einem andern Liede, welches „Der genügsame Jäger“ überschrieben ist, sehr ungeziemend ein.
Dieses Lied beginnt ganz leidlich: „Wenn i auf die Alma geh, den Stutzen an der Seit’“, schließt dann aber mit folgender dritter Strophe:
Wie man herzlich froh kann sein,
Das sieht man in Tirol;
Man braucht hier nicht Champagnerwein,
Befindet sich doch wohl;
Denn bald verraucht des Weines Gluth
Und bringet öfters Uebelmuth.
Wer ohne Weine froh sein kann,
Der ist der beste Mann!
Für das Liederbuch eines Mäßigkeitsvereins wäre diese Strophe gerade nicht zu tadeln, aber als tirolischer Naturgesang klingt sie höchst absonderlich.
Zuweilen kommt es auch vor, daß die Natursänger, um ihren Vorrath zu vermehren, irgend einen Dichterling bitten, er möge sich begeistern und ihnen ein schönes, möglichst tirolisches Lied herdichten. Die Verse dieser Herren pflegen aber stets zu mißlingen und an poetischer Kraft so schwach und kümmerlich zu sein, als wenn sie eben aus dem Spital entlassen wären.
Ach, du lieber Gott, wird er vielleicht seufzen, nämlich der unbefangene tirolische Leser, der bis hierher gekommen, ach, was haben doch die guten Rainer den Engländern und den europäischen Potentaten für einen Schmarren vorgesungen! Allerdings, kann man zustimmend sagen, allerdings, aber es ist im Grunde heute noch dasselbe Gebrodel! Blättert man da und dort durch die Liederbücher, wie sie Kellnerinnen, Bauerntöchter, Wirthssöhne sich eigenhändig zusammenschreiben, oder lieft man die gedruckten Programme der reisenden „Natursänger“, der wahren und falschen Tiroler, so zeigt sich dieselbe geschmacklose Mixtur von längst verkrüppelten und durcheinandergeworfenen Almenliedern, von halbgelungenen städtischen Versuchen, von Stücklein aus den Wiener Possen etc. Gedruckte Texte oder Liederbücher gehen schwer in’s Volk ein, und auch die oberbairischen Lieder, welche im Auftrag König Max des Zweiten Franz von Kobell (mit Bildern von A. v. Ramberg) herausgab (zweite Auflage 1871), auch diese scheinen in Tirol keine Verbreitung gefunden zu haben, obgleich sie gerade dem Alpengesang zur Aufmunterung dienen sollten.
Das Büchlein ist wohl auch zu theuer, denn einen Thaler preußisch kann eine Almerin, oder vielmehr, da es in Tirol keine Almerinnen mehr giebt, kann eine liedersüchtige Bauerntochter nicht spendiren. Es fehlt eine liebende Hand und wenn es auch nur die eines speculativen Buchhändlers wäre, eine Hand, die das Beste, was noch aufzufinden, um etliche Groschen gedruckt herausgäbe. Allerdings müßte dahinter ein sachverständiger Mensch stehen, eine poetische Seele, welche die alten echten Texte wieder vorsuchen, das Vorhandene richtig zusammenstellen, das Fehlende in der rechten Weise ergänzen, aber der ländlichen Muse nie ein Wort in den Mund legen würde, das sie nicht verantworten könnte.
Um aber wieder nach Fügen und zu den Rainern zurückzukommen, so bricht Herrn Ball’s Erzählung, wie wir gesehen, im Juni 1827 ab. Aus andern Quellen wissen wir, daß sie damals glücklich wieder heimgekehrt und nach ihrer Rückkunft sämmtlich in den heiligen Stand der Ehe getreten sind. Später gingen sie noch zwei Male nach England, das letzte Mal 1838 zur Krönung der Königin, erlebten aber dieses letzte Mal wenig Freude, da die vielen falschen Tiroler, welche ebenfalls auf Lieder reisten, die Neugierde der Engländer längst befriedigt und das Geschäft schon zu sehr verdorben hatten.
Hiermit mag diese Abhandlung ihrem Ende zugehen. Der Auszug aus Herrn Ball’s Bericht ist vielleicht etwas trocken ausgefallen, und doch – wie heiter müßte sich die Erzählung darstellen lassen, wenn die rechten Quellen noch nicht versiecht wären! Wie die Rainer in ihrer naturwüchsigen Jugendlichkeit, treuherzig und schlau, schüchtern und keck zugleich, so in fremde Lande und bald gar in England einbrachen, welche komischen Geschichten, welche lustigen Anekdoten, welche spaßhaften Abenteuer sie da erlebt, welche Prüfungen sie überstanden, bis sie hieb- und stichfest in der großen Welt geworden, das weiß Niemand mehr zu sagen. Ich mache mir fast Vorwürfe, daß ich Anno 1842, wo ich zum ersten Male nach Schwaz und Fügen kam und wo sie noch sämmtlich lebten, nicht die Bekanntschaft der ganzen Gesellschaft gesucht, ihre Erinnerungen nicht erweckt und gesammelt habe. Es wäre ein beneidenswerther Stoff gewesen.
Die tirolischen Schriftsteller scheinen diesem ländlichen Gestirn allerdings geringe Aufmerksamkeit zu schenken – wenigstens wußte man weder in Schwaz noch in Fügen etwas von literarischen Arbeiten über die Geschichte der Väter. Auch Dr. Staffler in seinem umfassenden Werke über Tirol und Vorarlberg erwähnt am treffenden Orte, nämlich im zweiten Theil, der 1842 erschien, nur ganz kurz die reisenden „Natursänger“, würdigt sie aber nicht einmal ihren Namen zu nennen.
Und doch, wenn man bedenkt, wie diese fünf Bauernkinder in jungen Jahren vor dem Kaiser aller Reußen singen, von diesem in seine Hauptstadt eingeladen werden, dafür aber nach England gerathen, überall auf dem Festland und den britischen Inseln vor Königen und Königinnen, Herzogen, Fürsten und Grafen ihre Jodler erschallen lassen, überall beklatscht, gefeiert und von der Presse mit Enthusiasmus begleitet werden, wie sie dann mit vollen Truhen wieder heimkehren und allen Tand der großen Welt, den Hermelin und die seidenen Spitzen von sich werfen, mit den ersungenen Schätzen sich Wirths- und Posthäuser kaufen, ganz zufrieden, von ihren Bewunderern wieder vergessen und dafür tüchtige und wichtige Leute in Fügen zu werden, wie sie auch ihren Kindern keine „höhere“, sondern eine einfach bürgerliche Erziehung geben, so daß diese wieder ganz verzillerthalern und in der Familie selbst die Kenntniß der englischen Sprache, welche die alten Rainer alle mitgebracht, sich wieder verliert; wer dies Alles betrachtet und erwägt, der wird das ganze Vorkommniß ohne Zweifel ungewöhnlich finden und vielleicht wünschen, daß ein junger strebsamer Zillerthaler darübergehen und die Geschichte der fünf Geschwister – zwar nicht in fünf Bänden, aber doch in einem einzigen anmuthig beschreiben sollte. Bei tieferem Eindringen müßten sich wohl doch noch andere Quellen finden, als die von Mr. Ball verfaßte Lebensskizze. Es giebt schon noch bedeutendere Leute als die Rainer. Mit Bismarck, Moltke, Roon hätten sie sich wohl selbst nicht verglichen, aber im Zillerthale waren sie zu ihrer Zeit unbestritten die Ersten, und dort wird ihr Angedenken und ihr Ruhm auch immerdar unverwelklich blühen.
Die nächsten Nachfolger der Rainer waren die Geschwister Leo. Diese kamen im Jahre 1828 zu Weimar mit Goethe zusammen, der ihnen viele Freundschaft bezeigte und sie auf sein Schweizerlied: „Af’m Bergli bin i gesässe“, dessen Schweizerdeutsch allerdings etwas frankfurterisch klingt, aufmerksam machte. Sie übten es auf seinen Wunsch sogleich ein und sangen es dann aller Orten, wo sie hinkamen. Der Altmeister stellte ihnen auch ein sehr schönes Zeugniß unter seinem Siegel aus. Die Geschwister Leo brachten überhaupt ein ganzes Buch voll der ehrendsten Urkunden mit nach Hause. Es befindet sich jetzt zu Magdeburg bei Herrn Director Paulsieck, der die Fahrten der Leo beschreiben will. Auch die Rainer hatten sich, wie Herr Ball bemerkt, ein solches angelegt, doch habe ich nicht erfragen können, wo es jetzt zu finden sein möchte.
In Frankreich sind die öffentlichen Hazardspiele längst verboten; die geheimen Spielhöllen aber sind geblieben, sie haben sich sogar trotz aller Ueberwachung eher vermehrt, als vermindert, und lassen die Polizei nicht zu Athem kommen. Es giebt in Paris sehr viel Spielhöllen, und so groß ihre Zahl ist, so verschieden ist ihre Physiognomie. Wie alle Stätten des Lasters, bieten auch die Spielhöllen in Paris die mannigfachsten Schattirungen dar, von der prachtvollsten Eleganz bis zum spelunkenhaften Schmutz. Eigentlich sind schon manche Clubs nicht viel besser als Spielhöllen; denn eine Gesellschaft, in der man hunderttausend Franken an einem Abend verlieren und im Laufe einer Wintersaison, oder gar eines Wintermonats, sich völlig ruiniren kann, ist doch just kein Tugendverein. Freilich ist hier der Betrug sehr selten, und wer hier zu Grunde geht, hat es seinem eigenen Leichtsinn und keiner Gaunerei zuzuschreiben. Hier spielt auch die Ehre, oder was man so zu nennen beliebt, eine große Rolle. Die Ehre will es, daß der unglückliche Spieler, der am Spieltisch eine Schuld gemacht, binnen vierundzwanzig Stunden seinen Gläubiger befriedige. Man nennt dies eine Ehrenschuld.
[110] Sonderbar! Derselbe junge Mann, der sich zehn Mal bedenkt, bevor er einem Hülfsbedürftigen eine Gabe verabreicht, oder ihn, ohne sich auch nur einen Augenblick zu bedenken, rauh abweist, derselbe junge Mann setzt hier Tausende auf’s Spiel, und er, der es gar nicht unter seiner Würde hält, einen Schneider, Schuster oder sonstigen Handwerker unzählige Male mit der nämlichen unquittirten Rechnung zu entlassen, ist in Verzweiflung, bis er das Geld zur Berichtigung der Spielschuld aufgetrieben, und jagt sich wohl eine Kugel durch den Kopf, wenn ihm dies nicht gelingt.
Steigen wir eine Stufe niedriger und sprechen wir von den Salons, wo die Dame vom Hause eine große Gesellschaft empfängt. Diese Dame hat eine sehr bewegte Vergangenheit. Nachdem sie ein Vierteljahrhundert hindurch ihr Herz den Meistbietenden vermiethet und den Bewohnern desselben, wenn sie den hohen Miethzins nicht mehr erschwingen konnten, ohne Weiteres die Wohnung gekündigt, hat sie sich einige Jahre nach zurückgelegtem Schwabenalter, da sich kein Miethsmann mehr einstellte, in ein vornehmes Stadtviertel zurückgezogen. Hier ist sie auf’s Prachtvollste eingerichtet und empfängt Abends zahlreiche Gäste. Unter denselben befinden sich Gräuköpfe, die der Sünde nachlaufen, Jünglinge, denen die Sünde nachläuft, und Damen, die zum Theil mit der Tugend sich längst überworfen, zum Theil mit ihr auf sehr gespanntem Fuße leben, und vorläufig nicht im Allerentferntesten daran denken, sich mit ihr zu versöhnen.
Nachdem diese gemischte Gesellschaft vollzählig, begiebt man sich an die Spieltische. „Bacarat“ und „Landsknecht“ sind die beliebtesten Spiele. Die Goldstücke rollen nach allen Richtungen; die Bankbillete werden von den krampfhaft bewegten Fingern zerknittert und die unerfahrene Jugend, die es hier mit dem erfahrensten reifern Alter zu thun hat, verläßt gewöhnlich die Gesellschaft in stark gerupftem Zustand.
In diesen Salons geht’s nicht immer ehrlich zu. Das Glück oder Unglück des Spielers wird hier nicht ausschließlich von den Launen der blinden Fortuna bestimmt. Die erfahrenen Leute mißtrauen der Blindheit der albernen Göttin und wissen die Karten so zu zeichnen und zu mischen, daß Jeder, der nicht in das Geheimniß eingeweiht ist, nothwendig verlieren muß. Ein solch falscher Spieler wird „Grec“ (Grieche) genannt, und in den eben geschilderten Salons ist das Griechenthum häufiger, als man glaubt. Wer erinnert sich nicht noch des garstigen Processes, aus welchem sich der damalige Director der italienischen Oper mit so wenig Glimpf zu ziehen wußte? Man hatte sich in den Salons der Madame B–i, einer schon überreifen Laïs in den Elyseischen Feldern, um den Spieltisch versammelt, und besagter Director, der in der neuen Welt sich ein sehr bedeutendes Vermögen erspielt hatte, war in diesen Salons ein Stammgast. Er gewann immer. Eines Abends ergab es sich aber, daß er zu jenen entschiedenen Griechen gehörte, die jedoch nicht in directer Linie von Aristides oder Epaminondas abstammen. Die beleidigte Justiz verurtheilte ihn, zwei Jahre zwischen vier dicken und engen Mauern über das Resultat seiner griechischen Studien nachzudenken. Man behauptete damals in Paris allgemein, daß er die Direction der italienischen Oper nur übernommen, um in dieser Stellung seinem Hellenismus mit größerem Erfolge obzuliegen und selbst der unter seiner Leitung stehenden Künstlerschaar die Gage wieder aus der Tasche zu locken.
In der eben genannten Soirée befand sich unter Anderen auch ein Landsmann des Directors, ein junger Mann, der an jenem Abende achtzigtausend Franken verspielte. Derselbe war lange Zeit vom Glück verhätschelt worden. Er hatte sein väterliches Erbe von zweihunderttausend Franken binnen kurzer Zeit in verschiedenen deutschen öffentlichen Spielsälen um das Sechsfache vermehrt und glaubte sich unbesieglich. Bald aber zerrann, was er gewonnen und was er geerbt, und er sah sich endlich genöthigt, die Journalistenfeder zu ergreifen, die ihm noch jetzt das tägliche Brod erwirbt.
Sprechen wir nun von den Tripots, von den eigentlichen Spielhöllen.
Es giebt deren in Paris unzählige; aber wenn in denselben ohne Ausnahme Betrug und Gaunerei vorherrschen und wenn sie sämmtlich vor der Polizei sich ebenso schlau zu verbergen suchen, wie sie von dieser ausgespäht werden, so unterscheiden sie sich doch voneinander durch die Classe ihrer Besucher, durch die Summe des Einsatzes und durch die innere Ausstattung. Es giebt Tripots, in denen an einem Abend hunderttausend Franken auf den Tischen aufgehäuft sind. Sie befinden sich gewöhnlich in schlechtbeleuchteten Straßen abgelegener Stadttheile und in alten einzelnstehenden Häusern, zu denen der Zugang auf alle mögliche Weise erschwert worden. Auch sind Abends die Fensterladen hermetisch verschlossen, damit kein Lichtstrahl die Anwesenheit eines Sterblichen verrathe. Außerdem sind sie noch häufig mit Drehbrücken versehen, die jedem Unberechtigten den Eingang unmöglich machen. Damit endet aber die Vorsicht nicht, welche die Furcht vor der Polizei gebietet. Niemandem wird Zutritt gestattet, der nicht das Losungswort kennt. Der Cerberus, von dem eine solche Hölle bewacht wird, hat fortwährend Augen und Ohren nach allen Seiten gerichtet und warnt die Gesellschaft, so oft er die geringste Gefahr merkt. Ob diese unausgesetzte Wachsamkeit das saubere Etablissement vor Verderben sichert, werden wir bald sehen.
So verlassen und verfallen das Aeußere des Hauses scheint, das Innere desselben ist doch mit keinem geringen Aufwand eingerichtet. Die Zimmer sind auf’s Glänzendste beleuchtet und vortrefflich möblirt; sie sind besonders mit weich gepolsterten Divans und Lehnsesseln reichlich versehen, und es fehlt auch nicht an den mannigfaltigsten Erfrischungen. Der Herr des Hauses, der, wenn er bis jetzt noch niemals auf den Galeeren gewesen, es nicht seiner Jugend zuzuschreiben hat, sondern der Schlauheit, mit der er den Händen der Themis zu entwischen gewußt – der Herr des Hauses hat ein besonderes Augenmerk auf den jüngern Theil seiner Besucher. Diesen strebt er auf alle nur erdenkliche Weise anzuködern und deren Einbildungskraft so sehr wie möglich aufzuregen. Wenn sie sich etwas zu kühl zeigen, versieht er sie mit illustrirten Spielkarten, solchen Karten nämlich, die, gegen das Licht gehalten, allerlei obscöne, wollüstige Figuren und Gruppen zeigen. Ist das Blut in Wallung gerathen, so führt man sie in den prachtvoll erleuchteten sogenannten „Salon des distractions“, was wir ebenso euphemisch mit „Zerstreuungssaal“ übersetzen wollen. Daselbst werden sie Verlockungen anderer Art ausgesetzt, denen keiner von ihnen widersteht. Hier befinden sich nämlich abgefeimte Phrynen, die von dem Wirthe angewiesen sind, die jungen Opfer zu betäuben und zur Fortsetzung des Spiels aufzumuntern. Hat nun ein junger Mann die mitgebrachte Baarschaft verloren, so nähert sich ihm der Spielhöllenwirth mit süßem Lächeln, sucht den Unglücklichen zu trösten und bietet ihm – wie er versichert, aus purer Menschenfreundlichkeit – eine Summe zur Fortsetzung des Spieles dar, versteht sich unter gewissen menschenfreundlichen Bedingungen. Der Wirth läßt nämlich den Jüngling einen Wechsel unterschreiben, und die Unterschrift verpflichtet den Leichtsinnigen zu den wucherischesten Zinsen. Wie man leicht begreifen kann, ist der infame Wirth nur dann mit dem Darlehn zur Hand, wenn er weiß, daß der junge Mann einer reichen angesehenen Familie angehört, die, um die Ehre des Sohnes zu retten und Scandal zu vermeiden, die Unterschrift respectiren wird. Es versteht sich auch von selbst, daß ein junger Mann, der ein solches Tripot besucht, fast immer unrettbar verloren ist. Wer in die wildbewegten Meereswogen stürzt, kann sich doch vielleicht durch Schwimmen retten; wer aber in einen tiefen Morast sinkt, kann nur durch ein Wunder gerettet werden.
Indessen besteht die Kundschaft der eben geschilderten Spielhöllen nicht blos aus jungen Leuten, denen erst der Flaum am Kinn sproßt. Man findet dort auch reife und überreife Männer mit ergrauten und kahlen Scheiteln, und unter ihnen nicht selten Künstler, Aerzte, Juristen und Beamte, deren Frauen und Kinder zu Hause darben.
Steigen wir nun noch einige Stufen niedriger und sprechen wir von den Tripots, wo jede äußere Eleganz fehlt und die Gaunerei unter allen Formen ihre Opfer hinwürgt. In diesen Spielhöllen wird Tag und Nacht gearbeitet, und damit der Spieler keine Veranlassung habe, sich zu entfernen, sind dort in einer besonderen Vorrathskammer allerlei Lebensmittel aufgehäuft, die dem Hungrigen und Durstigen verabreicht werden. Es giebt in diesen Spelunken zweierlei Art Spieler, von denen die Einen immer gewinnen und die Anderen immer verlieren. Erstere arbeiten mit dem Wirth im Einverständniß und sind gewöhnlich Taschenspieler von Profession, welche die Volte vortrefflich zu schlagen wissen und jede Karte des Partners genau kennen; Letztere bestehen [111] aus leichtgläubigen und leichtsinnigen Spielern, die erst zur bessern Einsicht gelangen, wenn auch die allerbeste Einsicht nicht mehr hilft.
Der Wirth solcher Spielhöllen macht immer gute Geschäfte; denn bis Mitternacht nimmt er fünf Procent von jedem Einsatz; nach Mitternacht aber zehn Procent, was bei dem oft sehr hohen Einsatz ein schönes Sümmchen abwirft. Ich brauche nicht erst besonders zu erwähnen, daß diese Wirthe die durchtriebensten Schurken sind und alle Kniffe und Pfiffe aufbieten, um eine eben so zahlreiche als ergiebige Kundschaft herbeizulocken. Sträubt sich Einer aus Furcht vor der Polizei, eine solche Spielhölle zu besuchen, so weiß der Wirth den Furchtsamen dadurch zu ermuthigen, indem er ihn bei Seite nimmt und ihm in’s Ohr flüstert, daß die Polizei selbst durch Geld und gute Worte angeködert worden und das Etablissement also von den Dienern der öffentlichen Sicherheit nichts zu besorgen habe. Der Leichtgläubige nimmt diese Versicherung für baare Münze an und verliert sein Geld und seine Ehre.
In den bisher angeführten Spielhöllen sind die Opfer mehr oder minder wohlhäbig. Der Einsatz bildet, wie eben gesagt, oft eine bedeutende Summe. Nun giebt es aber Tripots, die einen Schauder und zugleich einen Ekel einflößen. Hier sind keine hell erleuchteten Salons, keine Gueridons, keine Divans, keine mit Seidendamast überzogenen Puffs, keine weichgepolsterten Lehnstühle. Es sind enge finstere Diebeshöhlen, in welche kein Lichtstrahl, kein frischer Luftzug dringt. Ein schmutziger Tisch von Tannenholz und ein paar lendenlahme Stühle bilden das Möbel; für die Beleuchtung sorgen einige qualmende Lampen, die womöglich die Atmosphäre noch mehr verpesten. Die Karten selbst sind bereits von hundert unsauberen Händen besudelt worden, und nur unsaubere Hände wagen es, dieselben wieder zu berühren. Was die Opfer betrifft, so bestehen sie aus Arbeitern, die mit dem eben erhaltenen Lohn das Glück herausfordern. Die Unglückseligen! Sie kämpfen einen ungleichen Kampf, der sehr kurz ist und mit ihrer völligen Niederlage endet; denn ihre Partner sind der Abschaum der Menschheit, unter denen nicht selten entlassene oder entronnene Galeerensträflinge sich befinden. Hier wird nur mit Franken- oder gar blos mit Sousstücken gespielt; aber die Sousstücke, die der Arbeiter verliert, waren bestimmt, den Hunger seiner Frau und seiner Kinder zu stillen. Der Arbeiter, der eine solche verruchte Stätte besucht, ist auf immer verloren; ja er wird zum Verbrecher, wenn er es nicht vorzieht, durch Selbstmord zu enden.
Eine Spielhölle mag sich indessen noch so sorgfältig vor den Augen der Polizei verstecken, früher oder später wird sie doch entdeckt. Die vornehmeren Spielhöllen werden nicht selten der Polizei von einem unglücklichen Spieler verrathen, der sich für seinen Verlust rächen will. Er richtet ganz einfach an den Polizeipräfecten einige Zeilen, in denen er auf’s Genaueste den Ort angiebt, wo sich die Spielhölle befindet. Die gemeineren Tripots verrathen sich selber durch das Aeußere der Häuser, in denen sie sich eingenistet, und durch die Scheu, mit der die Besucher sich allen Blicken zu entziehen bemüht sind. Wittert einmal die Polizei ein Tripot, so ist dessen Schicksal entschieden und es hilft dann weder Losungswort noch Laufgraben, weder Drehbrücke noch Fallgatter, weder geheime Treppe noch unterirdischer Gang. Der Commissär, der speciell mit der Entdeckung der Pariser Tripots betraut ist, besitzt eine reiche Erfahrung und gebietet über eine Mannschaft, die vor keiner Gefahr zurückschreckt.
Ist die Spielhölle einmal entdeckt, so gilt es vor Allem, dieselbe im Augenblick ihrer Wirksamkeit zu überraschen und wie ein Blitz aus heiterm Himmel über die Bande herein zu brechen. Der Polizeicommissär wählt also, je nach der Bedeutung der zu überraschenden Spielhölle, eine gewisse Zahl aus seiner muthigen, sehr intelligenten und wohlbewaffneten Mannschaft, läßt von derselben in stiller Nacht höchst vorsichtig das Haus umkreisen und es endlich so dicht einschließen, daß kein Entrinnen möglich. Man bemächtigt sich sodann des Concierges, des Hauswarts, und zwingt diesen, das Losungswort zu entdecken und die geheimen Gänge zu dem Spielsaal anzuzeigen. Dies geschieht auf eine so geräuschlose Weise, daß die Spieler auch nicht die allergeringste Ahnung haben von der sie bedrohenden Gefahr. Durch Gewinn berauscht, oder durch Verlust halb von Sinnen, sind ihre gierigen Blicke auf die Karten gerichtet; da öffnet sich die Thür und bevor sie noch Zeit haben, sich vom Schrecken zu erholen, befinden sich Karten und Einsatz in den Händen des Commissärs und seiner Leute. Nur selten wagt es Einer, sich zur Wehr zu setzen, da man weiß, daß die Polizei nur mit überlegenen Kräften die Strafbaren ergreift. Der Commissär sondert nun die Schafe von den Böcken, die Verführten von den Verführern. Diese werden sogleich in Gewahrsam gebracht; jene läßt man frei abziehen, nachdem sie ihre Adressen genau angegeben.
Indessen nimmt die Sache nicht immer einen so einfachen Verlauf wie der eben geschilderte. Die Spielwirthe sind mit allen Hunden gehetzt und haben wie das scheueste Wild eine sehr feine Witterung. Sie merken gleich, wenn es nicht ganz geheuer ist. Sie verdoppeln dann ihre Vorsicht und zwingen die Polizei, die Taktik zu ändern und schlauere Angriffspläne zu entwerfen. Die Niederlage der Etablissements wird dadurch freilich etwas aufgeschoben, ist aber darum nicht weniger gewiß. Der Polizeicommissär läßt seine Mannschaft verkleiden. Die Einen umschleichen als Maurer und Anstreicher, die Anderen als Zimmermannsgesellen, als Obst- und Gemüsehändler, wiederum Andere als Kesselflicker das Haus, und befindet sich in demselben, wie das oft der Fall ist, eine Weinwirthschaft, so mischen sie sich in der Verkleidung unter die Gäste, und während sie sich mit diesen unterhalten, verfehlen sie nicht, die allergeringste Bewegung des Wirthes, der Wirthin und des Dienstpersonals scharf zu beobachten. Die Hauptaufgabe dieser verkappten Gehülfen besteht darin, nicht nur den versteckten Spielort, sondern, was noch wichtiger ist, die geheime Communication mit demselben und die Warnungsmittel zu erfahren, welche bestimmt sind, die Spieler von der drohenden Gefahr zu benachrichtigen. Es kann der Polizei durchaus nicht genügen, das Spielzimmer ausfindig zu machen, wenn die Spieler von der Ankunft der Polizei in Kenntniß gesetzt werden. In diesem Falle werden nämlich die Karten beseitigt, und wenn der Polizeicommissär eintritt, findet er die löbliche Gesellschaft in einem bescheidenen unschuldigen Gespräche begriffen und muß unverrichteter Dinge abziehen. Die Polizei hat also vor allen Dingen dem Wirthe diese Warnungsmittel zu benehmen. Das ist aber eine große Schwierigkeit und kostet einen unglaublichen Aufwand von Scharfsinn und Schlauheit.
So fand sich vor Kurzem ein als Ouvrier verkleideter Polizist in einer solchen Wirthschaft ein, forderte ein Glas Absynth und stellte sich sehr müde. Es war ihm nicht entgangen, daß die Wirthin ihn bei seinem Eintreten mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet hatte, und er bemerkte auch, daß sie jeden Eintretenden mit durchdringenden Blicken musterte. Er nahm ein Zeitungsblatt, das eine einschläfernde Wirkung auf ihn auszuüben schien. Mit seinen halbgeschlossenen Augen entdeckte er jedoch einen eisernen Ring in einem Winkel des Zimmerbodens und es entging ihm auch nicht, daß die Wirthin diesen Ring nicht aus den Augen verlor. Der Polizist wußte nun genug. Er rief die Wirthin zu sich und während er mit ihr sprach, gab er ein Signal. Bald traten einige andere verkleidete Polizeidiener ein, und das Alles geschah so schnell, daß die Wirthin keine Zeit mehr hatte, an dem Ringe zu ziehen und die im Keller versammelten Spieler durch das Schellengeläute von der Gefahr zu benachrichtigen. Der Schellendraht ging nämlich durch den Zimmerboden und das Gewölbe des Kellers, wo das Spielernest sich befand. Die Polizei bemächtigte sich der Frau, bewachte sorgfältig den verhängnißvollen Ring und nach einigen Minuten überraschte der Polizeicommissar die Spieler in ihrer süßen Gewohnheit des Daseins und des Wirkens.
Die Polizei hat niemals Zeit genug, auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Kaum ist eine Spielhölle unterdrückt, so öffnet wieder eine andere ihren verderblichen Schlund. Die große Ausdehnung der Weltstadt erleichtert gar sehr das Entstehen solcher fluchwürdigen Anstalten, denen es auch aus eben demselben Grunde niemals an Opfern fehlt. In einer kleinern Stadt kann man sich nicht lange einem Laster hingeben, ohne entdeckt zu werden und den guten Leumund zu verlieren. Die Wege, die hier zu den Schlupfwinkeln der Verworfenheit führen, sind zu kurz und man begegnet auf denselben zu viel bekannten Gesichtern. In großen Städten ist diese Furcht nicht vorhanden und man kann sich unbeobachtet in jeden Sündenpfuhl stürzen. Wie dem aber sei, in Folge der für Frankreich so fürchterlichen Ereignisse hat sich in Paris die Zahl der Spielhöllen stark vermehrt und es sind deren sogar im Mittelpunkte der Stadt, wie zum Beispiel im Faubourg Montmartre, entstanden. Wie ist aber diesem Uebel abzuhelfen? Auf diese Frage antworten die Einen, die Justiz müsse ihre Kräfte [112] verdoppeln und verdreifachen, die falschen Spieler und die Spielhöllenwirthe auf die Galeeren schicken und die Opfer selbst zur Geldstrafe verurtheilen. Die Andern sind gegen die drakonische Strenge, die nach ihrer Ansicht den Zweck durchaus verfehlen würde. Sie behaupten sogar, man müsse die öffentlichen Hazardspiele wieder erlauben, die öffentlichen Spielsäle würden die geheimen verdrängen. Es fehlt selbst nicht an Publicisten, welche, dieser Ansicht huldigend, noch obendrein der Regierung rathen, die Hazardspiele zur Quelle ergiebiger Staatseinnahmen zu machen. Der Staat solle das Laster gestatten, um es zu besteuern. Das ist ein vortrefflicher Rath! Wahrlich, wenn man die Heilmethode dieser moralischen Aerzte befolgte, würde die Krankheit bald in eine Epidemie ausarten, wie denn überhaupt die Gebrechen, an denen die moderne Gesellschaft leidet, durch die große Zahl der Heilkünstler, die an denselben darauf los experimentiren, erst recht gefährlich, wo nicht gar unheilbar werden.
„Sechzig Mark löthigen Silbers Strafe setzte der deutsche König und römische Kaiser Maximilian der Zweite auf dem Reichstag zu Speier am 24. September 1570 auf die Beschimpfung eines jeden Einwohners von Gotha, und dennoch, wo sich im Reiche Gothaner sehen ließen, traf sie Schimpf und Spott, weil sie einen Verrath der Treue gegen ihren Landesherrn begangen hätten.“ So melden es Chronik und Geschichte. Welch Ungeheures mußte man in Gotha damals verbrochen haben, um das Ehr- und Treugefühl des deutschen Volkes so tief zu verletzen, daß ein solches „kaiserliches Pönalmandat“ gegen die Aeußerungen der allgemeinen Entrüstung nöthig wurde? Einem Ritter in Franken widerfährt von seinem Lehnsherrn, dem Bischof, bitteres Unrecht, und da er vergeblich auf friedlichem Wege nach seinem Rechte sucht, so greift er zum Schwert des Faustrechts und will sich der Person seines Feindes bemächtigen. Da wird dieser aus Mißverständniß getödtet: der Mord eines Bischofs und Lehnsherrn, diese schwere Blutschuld fällt auf ihn und damit des Reiches Acht auf sein Haupt. Nun späht er bei den Fürsten nach einer helfenden Hand und er findet sie: ein Reichsfürst fühlt sich durch Kaiser und Reich in seinen angeborenen Rechten gekränkt und schmiedet Pläne, das Verlorene, und wäre es mit Gewalt, wieder zu erringen. Das gleiche Schicksal führt Fürst und Ritter zusammen, ein wunderreicher Aberglaube verlockt sie bis zum äußersten Wagniß, bis zu offenem Krieg gegen Kaiser und Reich. Vom Feinde in seiner Hauptstadt belagert und bedrängt, wird der Fürst auch von seinen Bürgern verlassen, weil er vom Aechter nicht lassen will – und so wurden Beide ihren Feinden und deren Gerechtigkeit überantwortet. Das war die Untreue, welche das deutsche Treupflichtgefühl so verletzte, und weil die Strafe für Beide das Maß überschritt, so wandte ihnen auch das Mitleid seine Theilnahme zu. Trotz alledem ist dieses Ereigniß aus dem Gedächtniß unseres Volkes verschwunden. Man muß abseits vom großen Strom der Geschichte suchen, um diese Begebenheit zu finden, und ebenso war es abseits des großen Stroms des Verkehrs unserer Tage, wo ich auf einer verfallenden Bergveste plötzlich vor den steinernen Häuptern jener beiden Männer stand, die im unbändigen Trotz gegen Kaiser und Reich und Freunde und Lieben ihren jammervollen Untergang gefunden haben.
Vier Stunden südlich von Hildburghausen liegt auf einem kegelförmigen, aus Basaltklingstein bestehenden, schön bewachsenen und schön geformten Berge die Veste Heldburg. Seitdem die Werrabahn den Reisenden in ihrem Thale dahinführt, hat er keine Gelegenheit mehr, auf der Höhe des allen Fuhrleuten in Mitteldeutschland einst übelbekannten Hildburghäuser Stadtberges den Schwager Postillon nach dem Namen der Burg zu fragen, die links von der näheren Ruine Straufhain hinter fernem Waldesgrün herüberschaut. Wer von dort je die zahlreichen Fenster des hochragenden Gebäudekranzes bei Sonnen-Auf- und Untergang hat strahlen gesehen, der versteht auch den Ehrennamen, den die Heldburg von alten Zeiten her trägt: die fränkische Leuchte.
Von Koburg wie von Hildburghausen führen jetzt Poststraßen nach dem Städtchen Heldburg, das am Fuß des Berges liegt, und zur Veste hinauf winden sich und steigen die Wege nach des Wanderers Wahl, je nachdem er klettern oder lustwandeln will. Wer seine Freude an der Natur hat, muß zur Zeit der Baumblüthe hierher. Den ganzen Berg bedeckt der üppigste Obstwald, und besonders wenn der Kirschbaum in Blüthe steht, ist’s, als hätte der Berg einen bis zu seinem Fuß herniederfallenden weißen Krönungsmantel umgehangen oder glänzte die fränkische Leuchte über einem blüthenweißen Riesenstrauß, bewimmelt von Tausenden buntester Käferchen, die wir in der Nähe als fröhliche Menschen erkennen. Denn zu solcher Zeit blühen auch die Bergfeste der Bergveste und locken aus Nah und Fern das kräftige Geschlecht der Franken zu seiner Lieblingslust herbei, zu Bratwurst und Bier, Gesang, Musik und Tanz.
Ein solches Volksfest, ein Sängerfest, zu welchem von Stadt und Dorf aus Thüringen und Franken die Vereine mit ihren Fahnen heranzogen, führte mich nach Jahren einmal wieder auf die Heldburg. Mit reichem Flaggenschmuck von ihren Thürmen und mit Böllerschüssen und Musik begrüßte sie ihre Gäste, die über ein Halbtausend Mann stark den Berg hinauf- und zum Thore hineinzogen, umwogt von den bunten Haufen des Stadt- und Landvolks, lauter himmelhellen Festgesichtern.
Ich zog nicht gleich mit zum Thore hinein, mich lockte es erst zu der wunderschönen Umgebung, aus welcher die Burgpaläste sich emporheben. Liebliche Gänge unter prächtigen Bäumen oder an wohlgepflegten Aprikosen- und Weinspalieren vorüber führen zu verschiedenen Plätzen. Das war einst der Hain, die geheiligte Einfriedigung aller Burghöhen, wo früher altgermanischer Cult stattgefunden. Noch jetzt nennt man den ältesten Theil der Heldburg den „Heidenbau“ und schätzt darnach ihr Alter.
Schon der Gang um die Veste herum öffnet uns manchen Durch- und Ausblick in die weit ausgespannte Ferne. Zur freiesten Rundschau ladet uns aber der freundlich dazu eingerichtete Thorthurm ein, zu dem ich nun vor Allem eilte. In die Burg führen zwei Eingänge: das Hauptthor an der Südseite und ein zweites Thor vom Hain her. Letzteres wählen wir, denn sobald wir seine Steile überwunden und den Hof betreten haben, – stehen wir vor unserer Illustration. In der Ecke steht der Thurm; die Treppensteine und oben das Estrich der Gänge hängen freilich hier und dort ein Bischen schief; „weil sie aber so tief ausgetreten sind, so haben sie sicherlich schon lange gehalten und werden uns auch noch tragen“ – so pflegt die Volkslogik hier zu sprechen und wir vertrauen ihr. Die Aussicht unter dem schützenden Wetterdache entschädigt für Besorgniß und Mühe; sie wetteifert in die Ferne mit der der Veste Koburg – der Heldburg durch Eisenbahn und Fürstengunst bevorzugte Schwester, die stolz im Osten als „fränkische Krone“ thront – denn sie umfaßt nach Süden die Haßberge nach dem Main hin, nach Westen die Rhön, im Norden beherrscht sie den Kamm des Thüringer Waldes und reicht den Frankenwald entlang bis zum Fichtelgebirg, wo der Blick wieder zu den östlichen Mainbergen hinübergleitet. Innerhalb dieses Gebirgsrahmens sind etwa dreißig sichtbare Ortschaften zerstreut, fünfzehn Schlösser, Burgen, Bergkirchen und Ruinen ragen dazwischen und dahinter auf, wie Schloß Kallenberg und Veste Koburg, die Schlösser Banz und Giech, die Altenburg bei Bamberg, Ruine Altenstein im Baunachgrund, Wallfahrtscapelle St. Ursula bei Königshofen im Grabfeld; – und wählen wir von den bedeutendsten Höhenpunkten nur die bekanntesten, so sehen wir, von beiden Gleichbergen bei Römhild ausgehend, welche unsere Abbildung in der Ferne zeigt, in der Wendung nach rechts den Dolmar bei Meiningen, den Hildburghäuser Stadtberg, den Thüringer Beerberg, Schneekopf und Finsterberg, den Waldstein des Fichtelgebirges mit seinem Häuschen, den Staffelberg am Main mit seinem Klösterchen, den heiligen Kreuzberg der Rhön und die Geba, einen Rhönvorposten gegen das Werrathal.
Wie aber hat wohl die Heldburg in der ganz alten Zeit ausgesehen? Als Balthasar von Thüringen 1374 Herr derselben
[113][114] wurde, bestand sie nur aus einer Kemnate (wahrscheinlich dem Heidenbau) mit Wall und Ringmauer, einer Cisterne und einer Zugbrücke. In diesem ziemlich beschränkten Raume fand dennoch Friedrich der Weise sammt Philipp von Hessen und Herzog Johann von Sachsen Platz, die Anno 1520 mit dreihundertvierundsechszig Pferden zum Thore hereinritten. Dann erst kam der Fürst, dem die Burg die Gestalt verdankt, in der wir sie, im Aeußern wenigstens, größtentheils heute noch sehen, der Herzog Johann Friedrich, genannt der Mittlere.
Die Arbeiter in den Steinbrüchen von Streufdorf und in den Schieferbrüchen bei Lehesten merkten’s im Jahr 1558 zuerst, daß der Herzog etwas Großes vorhabe. In der That baute er sich eine neue Residenz mit allen Einrichtungen zu einer stattlichen Hofhaltung. Als Hauptgebäude prangt noch heute in seinem Renaissancestil mit den beiden Erkern voll reichster Ornamentik und dem schlanken Schneckenthurm das Schloß, gewöhnlich der französische Bau genannt, der Schmucktheil unserer Abbildung. Das weitläufige Gebäude mit seinen Nebenflügeln enthielt nicht nur zahlreiche Gemächer, sondern, wie die meisten gleichzeitigen Schlösser, auch einen „Riesensaal“ und eine Kirche. Für das zahlreiche Beamten- und Dienstpersonal war der Commandantenbau und ein Küchenbau errichtet und auch der Heidenbau, ein stilloser Steinkoloß, ist mit nutzdienlich gemacht worden. Alle diese Gebäude stehen noch, bis auf den Küchenbau, der die freie Aussicht nach rechts (Westen) hin beschränkte und als baufällig fallen mußte. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört noch heute der Brunnen vor dem Hauptthore: hundert Fuß tiefer, als der Berg sich über das Thal erhebt, war er von Saalfelder Bergleuten durch den Felsen gehauen, und trotzdem die Unklugheit der Gäste seine Tiefe seit mehr als hundert Jahren durch Hinabwerfen von Steinen bemißt, ist er noch immer etwa dreihundertdreißig Fuß tief.
Eine andere Sehenswürdigkeit ist wenige Schritte rechts über Steingetrümmer zu erreichen: der Eingang zum Hexenthurm. Welch schauerliches Verließ! Oben im Gewölbe steckt noch der eiserne Haken, durch den das Seil lief, an welchem man die armen Opfer des Wahns in die Tiefe hinabließ. Ein eisernes Kreuz verschließt die runde Oeffnung. Ein Kreuz mußte es sein, um dem Teufel den Ein- und Ausgang zu verwehren. Es ist eine furchtbare Wahrheit, daß unter keinem andern Zeichen der Welt so gräßlich gesündigt worden ist, wie unter dem Kreuz. – Von wie viel Jammer konnten nur die Actenstöße der Hexenprocesse des Archivs und die Folterwerkzeuge der Marterkammer erzählen![1] Das Archiv ist zu Düten verarbeitet, die Marterkammer steht, wie die ehemalige Rüstkammer, leer. Aber dieser Thurm ragt aus jenen Tagen der Finsterniß in unsere hellere Gegenwart als trotziger Mahner.
Voll und kräftig erscholl in jenem Augenblick, als ich aus dem Hexenthurm herabstieg, das erste Lied der Sängerschaaren im Burghof, ich schlich durch die lauschenden Gruppen im Hain und im Hof zum Schloß hinauf; die frischaufblühende Vaterlandsbegeisterung hob sichtlich die Herzen, es war eine Freude, zu athmen in diesem Licht, – und dennoch konnte ich den finstern Mahner nicht los werden: mitten durch die herzerwärmende Melodie drang es mir wie ein Wehschrei der Gepeinigten in’s Herz, und gerade in diesem Augenblick stand ich vor der hohen Bogenthür zu den ehemaligen Prachtgemächern, über welcher die zwei steinernen Häupter herausragen als ein Denkmal, daß Fürstentrotz den Rittertrotz noch gewaltig überboten. Denn der Eine ist der Herzog Johann Friedrich der Mittlere, der Reichsfürst, und der Andere – Wilhelm von Grumbach, der Reichsgeächtete! Und wie lebend stiegen die Gestalten Beider, des Herzogs und des Ritters, vor mir auf, und beide auf dem letzten Gange, der Eine, um sich für’s ganze Leben in Fesseln schlagen, und der Andere, um sich viertheilen zu lassen.
Ja, wir stehen hier, auf unserer alten schönen Heldburg, auf einem Verherrlichungs- und Wendepunkt jenes Dramas, das man die „Grumbach’schen Händel“ nennt und dessen Personenreichthum so groß ist, wie dessen Schauplatz, der sich über ganz Deutschland erstreckte und selbst Frankreich, England, Dänemark und Schweden mit in sein Bereich zog.
Um die Großartigkeit desselben anzudeuten, muß ich im Voraus bemerken, daß der einfache Racheact des fränkischen Ritters gegen seinen geistlichen Lehnsherrn und das Bestreben des Reichsfürsten, sein verlorenes Erbe und die Kurwürde wieder zu erlangen, durch den Bund Beider sich bis zu dem Plan und der Gefahr aufthürmte, daß durch eine allgemeine deutsche Adelsrevolution der Herzog zum Kaiser und der Ritter zum Herzog von Franken erhoben werden könne und solle. Das allein zeigt genügend an, in wie viel Interessen diese Händel eingriffen, wie Reichsfürsten und Geistlichkeit, Reichsstädte und Ritter und die Kaisermacht selbst mit in dieselben hineingerissen wurden. Dazu die Gelüste des Auslandes und der Einfluß eines noch allherrschenden Aberglaubens – und dies Alles nach den hunderterlei Parteistandpunkten aufgefaßt, absichtlich verdreht und so gedruckt und geschrieben niedergelegt – war es da zu verwundern, daß dieses Stück deutscher Geschichte fast nur in Zerrbildern auf die Nachwelt kam und Recht und Unrecht so lange nicht geschieden werden konnten?
Dazu rechne und bedenke man die bis in die Gegenwart noch nicht völlig beseitigte Unsitte und Engherzigkeit, dem Geschichtsforscher die Benutzung besonders der Staatsarchive möglichst zu erschweren. Wie konnte die Wahrheit an den Tag kommen, wenn die eigenen Aussagen und Niederschriften der Hauptbetheiligten des verwickeltsten und verwirrtesten aller deutschen Ereignisse nicht an das Licht der Prüfung und Vergleichung kommen durften? – Erst seit wenigen Jahren können wir mit Stolz behaupten, daß diese Arbeit für die Grumbach’schen Händel endlich und in anerkennenswerthester Weise, soweit eben die Archive dazu benutzbar waren, vollbracht ist. Dr. Friedrich Ortloff, wirklicher geheimer Rath und Präsident des Gesammtoberappellationsgerichts zu Jena, hat in vier stattlichen Bänden diese mühselige Arbeit vollendet.[2] Der hohen, einflußreichen und verantwortlichen Stellung dieses Gelehrten verdanken wir es ohne Zweifel, daß vor ihm mancher sonst verschlossene Archivschrank aufging. Und welche Fülle von Material war zu überwinden! Er selbst giebt als die zu seinem Werke benutzten Quellen über fünfhundert Actenfascikel aus den Archiven von Dresden, Koburg, Weimar, Würzburg etc. an, dazu viele geschriebene Chroniken und andere Handschriften, Aufzeichnungen von Zeitgenossen im Besitz historischer Vereine und Bibliotheken, zahlreiche gleichzeitige Druckschriften, öffentliche Anklage- und Vertheidigungsschriften, Briefe, gesammelte Urkunden, Lob- und Spottgedichte in deutscher und lateinischer Sprache, Lebensgeschichten von Hauptbetheiligten und endlich noch eine Reihe früherer Bearbeitungen der Grumbach’schen Händel. Den daraus gewonnenen Inhalt seines Werkes können wir hier natürlich nur in den äußersten Umrissen angeben.
Sollen aber auch unsere nichtsächsischen Leser eine klare Anschauung von der Möglichkeit erhalten, daß ein einfacher Ritter einen der ersten Fürsten des Reichs so eng an sein Verhängniß ketten konnte, daß dieser mit ihm stehen und fallen mußte, so müssen sie uns ein paar Schritte rückwärts in der Geschichte des Wettiner Fürstenstammes folgen. Die durch Kunz von Kaufungen’s Prinzenraub allbekannt gewordenen Söhne des Kurfürsten Friedrich’s des Sanftmüthigen (gestorben 1464), Ernst und Albert, wurden die Stifter der beiden sächsischen Linien, der Ernestinischen und der Albertinischen, welche beide, jene in dem Großherzogthum [115] Weimar und in den Herzogthümern Meiningen, Koburg-Gotha und Altenburg, diese in dem Königreich Sachsen, noch heute bestehen. Ihr Gesammtgebiet dehnte sich in Mittel- und Norddeutschland zwischen dem Erzgebirge, dem Harz, der Rhön und zu beiden Seiten des Thüringer Waldes aus und hatte unter Ernst’s Söhnen, Friedrich dem Weisen und dessen Bruder Johann dem Beständigen, alle Anwartschaft, für das deutsche Reich die Macht zu werden, welche später Preußen geworden ist.
Die Kurwürde kam bei jener Theilung an die Ernestinische Linie. Da brach, unter Friedrich dem Weisen, die Reformation aus und hob die Ernestinischen Fürsten an die Spitze dieser welterschütternden Bewegung, begründete aber zugleich in den Habsburgischen Kaisern jenen Haß gegen dieselben, der, im Bunde mit Gewalt und List, schon dem vierten Ernestinischen Kurfürsten die Kurwürde sammt Land und Freiheit raubte. Dies geschah Johann Friedrich dem Großmüthigen, dem Sohne Johann’s des Beständigen, nach der Entscheidungsschlacht des Schmalkaldischen Kriegs bei Mühlberg (1547). Es war nicht die Schuld des Kaisers, daß auf dem bereits aufgerichteten Schaffot des Besiegten Haupt nicht fiel, sondern Brandenburgs Einspruch bewirkte dies. Nach fünfjähriger Gefangenschaft kehrte er heim – aber in welches Land! Von dem einstigen kurfürstlichen Gebiet war seinen Kindern nichts geblieben, als das, was annähernd jetzt noch die „Ernestinischen Lande“ ausmacht; alles Uebrige (etwa die jetzige preußische Provinz Sachsen) mit der Universität Wittenberg erhielt sammt der Kurwürde als kaiserlichen Lohn für seinen Verrath an seinen Stammverwandten der Albertiner Moritz, der erste deutsche Fürst, der zu seinem zweiten Verrath, gegen den Kaiser selbst, auf die Hülfe desselben Frankreichs speculirte, das dritthalbhundert Jahre später auf den albertinischen Kurhut eine Königskrone setzte.
Der Sohn dieses unglücklichen Fürsten war unser Herzog Johann Friedrich der Mittlere. Durch diesen kurzen geschichtlichen Rückblick ist dem Leser sicherlich wenigstens die eine Möglichkeit erklärt: daß der Sohn eines geächteten Fürsten aus Theilnahme und Schicksalsverwandtschaft der Beschützer eines geächteten Ritters werden konnte. Wie aber dieses Beschützerverhältniß sich in einen so engen Bund verwandelte, daß der Fürst den Geächteten, dem Reich und Kaiser zum Trotz, auf seiner Heldburg vor aller Welt mit und neben sich bildlich verherrlichen und sich bis zu den kühnsten gemeinschaftlichen Racheplänen hinreißen lassen konnte, das wollen wir in einem zweiten Artikel darlegen.
Auf dem Straßburger Münster.[3] Kaiser Karl der Fünfte hatte einst mit prophetischem Scharfblicke gesagt: „Wenn die Franzosen vor Straßburg ständen und die Türken vor Wien, so würde ich Wien fahren lassen und Straßburg retten.“ So dachte das deutsche Volk, so sangen die deutschen Dichter, so oft ihr Blick auf Straßburg, die wunderschöne Stadt, und auf das verlorene Palladium fiel. Kurz vor dem Beginne des Krieges hatte ich im Wächterhäuschen des Münsterthurms das tyrtäische Wort gelesen:
Ist’s, wo der Rhein um Straßburg klagt?
Ist’s, wo der Münster mahnend ragt?
Als die Sieger von Wörth mit freundlichen Grüßen und fröhlichen Gesängen unsere Dörfer durchzogen, fragten sie uns im Liede von „Fritze und Mac-Mahon“:
Wird von Straßburgs Münsterhöhen
Bald die deutsche Fahne wehen?
Aber schon früher hatte ein elsässischer Sänger, der die Klänge des deutschen Alphorns vernommen, den Münster begrüßt
Ei so weht nur, welsche Fahnen!
Aus der Nacht entsteigt der Tag,
Wo empor der deutsche Adler
Sich erhebt mit mächt’gem Schlag,
Wo er schlägt die scharfen Klauen
In des Domes Felsenkleid
Und verkündet siegesjubelnd
Deutschlands neue Herrlichkeit!
Der Altan des Münsters war das Rütli, auf welchem die Bannerträger des deutschen Liedes aus allen Gauen des Rheinthales sich zusammenfanden. Hier wehte deutsche Luft; hier beschloß man, „mit den gold’nen Aepfeln der deutschen Literatur auch die silberne Schale der Muttersprache festzuhalten“; hier wurde die goldene Brücke gebaut, welche den Wasgau mit dem Schwarzwalde verbinden und den Uebergang von einer sturmbewegten Vergangenheit zu einer schönern Zukunft erleichtern sollte. Wohl wußten die deutsch-alsatischen Dichter, daß sie gegen die Strömung kämpften und daß der fremde Zauber die Jugend gewaltsam über die Berge lockte. Als Prediger in der Wüste klagten sie dem treuen Eckart ihres Volkes, dem vaterländischen Dome, was sie unter dem Damoklesschwerte der bonapartistischen Regierung verschweigen mußten. Sehnsuchtsvoll wendet sich Theodor Klein an den Wächter der deutschen Nationalität:
Du aber blickst so trübe, mein Münster riesengroß,
Herab zur alten Reichsstadt bunt wimmelvollem Schooß:
Was ist es, das so sehr doch in Trauerflor dich hüllt?
Was ist es, das so sehr doch mit Wehmuth dich erfüllt?
Mit freudigerer Zuversicht bestiegen andere Sanggenossen die Felsenzinne, von welcher sie das gelobte Land schauen durften. In schlichter allemannischer Mundart warf der Drechslermeister Daniel Hirtz den romanisirten Elsässern den Fehdehandschuh hin:
So lang’ noch unser Münster steht
– Un dies isch kerngesund –
An d’ Muettersproch nit untergeht;
Denn viel gäng duoh zue Grund!
August Stöber theilte dieselbe Hoffnung, welche dieses Denkmal deutscher Kunst und deutscher Kraft in seinem Herzen erweckte:
Fest wurzelt es im Heimathgrunde,
Der Väter Sinn und Geist vertraut,
Und wahrt in des Alsaten Munde
Auf ewig deutschen Wortes Laut.
Mit der Vorliebe für deutsche Sprache und Literatur prägte sich das deutsche Selbstgefühl immer schärfer in den Herzen unserer Dichter aus. Der Münsterthurm, der so gewaltig von Deutschlands großer Vergangenheit zeugte, war in ihren Augen ein Symbol des deutschen Reichs.
So war auch einst das deutsche Reich,
So war der deutsche Mann:
Aus starkem Grund, im Herzen reich,
Das Haupt zu Gott hinan.
Auf der Zinne des Tempels hört August Stöber die Grüße und die Klagen, welche die nachbarlichen Gebirgsketten tauschen:
Der Wasgau schüttelt seine Eichen,
Der Schwarzwald rauscht im Tannenkleid;
Seid euch verwandt, und nimmer schweigen
Will eurer Sehnsucht tiefes Leid.
In nächtlicher Stille vernimmt der Dichter das geheimnißvolle Flüstern zwischen dem Straßburger Münster und der Freiburger Pyramide:
Ihr haltet Zwiesprach dann, ihr lauscht den Klagen
Des Heimwehs um die längst vergang’ne Welt.
Propheten seid ihr, seht die Wunden schlagen,
Und wisset, was das Heil gebunden hält!
Aber der Straßburger Dichter Daniel Hirtz fühlte wohl, daß der Friede des Festlandes nicht durch platonische Wünsche, sondern durch die Wiedervereinigung aller deutschen Stämme gesichert würde. Während ultramontane Eiferer und ultralutherische Wühler in gehässigem Wetteifer die freundlichen Verhältnisse der Elsässer mit den Nachbarstaaten Baden und Basel mit Argusaugen bewachten, sang der wackere Meistersänger auf der schwindelnden Höhe der Münsterkrone:
Nicht Grenzen sollten scheiden
Dies bied’re Volk, dies Land.
Fürwahr! ‘s wär’ zu beneiden,
Umschläng’s ein festes Band!
Verwächst zu einem Stamme
Dies Volk einst und dies Thal,
Glüht eine Freudenflamme
Auf Erwin’s Ehrenmal!
Unter einem ganz andern Flammenzeichen sollten die deutschen Krieger in die alte Reichsstadt einziehen. Wie blickten die Vorkämpfer der straßburgischen Freiheit, Gutenberg, Sturm und Kleber so finster in die Gluth, welche ihnen in der Bartholomäusnacht des Jahres 1870 vom Münsterdache, von der Stadtbibliothek und von der Gemäldegalerie unheimlich entgegenleuchtete! Noch finsterer waren die Mienen der Straßburger, welche den unchristlichen Schwur wiederholten: „Wenn unser Palladium, das Münster zerstört wird, so trennt uns eine unübersteigliche Scheidewand von den preußischen Vandalen!“ Doch der königliche Thurm stand im Bombenregen, als wäre er gefeit gegen die vernichtenden Geschosse. Wohl zeigte man uns die tiefen Wunden, die dem Riesen geschlagen wurden, und mit Schadenfreude durfte der französische Schriftsteller Michelet berichten, daß die badischen Soldaten den französischen Münster, den Nebenbuhler des Freiburger Domes, zertrümmern wollten. Allein die Väter der Stadt erinnerten die unversöhnlichen Chauvinisten an die Gräuelthaten, welche einst die Jakobiner im altehrwürdigen Tempel verübt hatten.
Am 30. September 1681 hatte die protestantische Bürgerschaft mit dem Klageliede „Aus tiefer Noth schrei’ ich zu dir“ Abschied von den Münsterhallen und von dem deutschen Reiche genommen. Am 30. September 1870 betraten die deutschen Krieger den vaterländischen Dom und wiederholten tiefgerührt den Siegespsalm, mit welchem sie in der Morgenstunde den Feldgottesdienst begonnen hatten („Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’“). An jenem Freitage leuchtete die Herbstsonne in verjüngter Kraft und die alten sächsischen und hohenstaufischen Kaiserbilder in den farbigen Fenstern [116] schauten wunderbar erstrahlend herab auf die geharnischten Streiter, als wollten sie sagen: „Ihr seid eurer Väter werth!“
Aber nicht die Abendschatten
Fallen düster auf das Bild;
Nein, das Morgenlicht umfluthet
Es mit gold’nen Strahlen mild,
Und der Lenz, bereiten Sinnes,
Breitet schönste Gaben aus.
Friede weht von allen Bergen
Und von Erwin’s Gotteshaus.
Die „Felicitas“ vor den Assisen. In einigen Nummern des letzten Jahrgangs hat die Gartenlaube eines Schwindelgeschäftes „Felicitas“ in Bern Erwähnung gethan und damals ihren Lesern versprochen, sie werde seiner Zeit über das Resultat der angehobenen gerichtlichen Untersuchung Bericht erstatten. Die Entscheidung des Berner Geschworenengerichts erfolgte am 30. Januar nach zweitägigen Verhandlungen. Der von der Anklageacte constatirte Thatbestand ist in ziemlicher Uebereinstimmung mit dem bereits seiner Zeit von der Gartenlaube Mitgetheilten folgender. Im Laufe des Jahres 1870 fand man in zahlreichen – meist österreichischen Blättern Anzeigen, welche Namens des „Central-Bureaus Felicitas in Bern“ gegen Einsendung von fünfzig Kreuzer österr. Währ. Damen und Herren Mittheilungen über eine leichte und einträgliche, mit fixem Gehalt und Pensionsberechtigung verbundene – also sehr lohnende – Nebenbeschäftigung offerirten. Denjenigen, welche den verlangten Obolus entrichteten, wurde ein autographisches Circular zugestellt, welches gegen fernere Einsendung von achthalb Gulden österr. Währ. weitere Auskunft versprach und die „Geneigtheit des Bureaus ‚Felicitas‘ ausdrückte, dem betreffenden Aspiranten eine ‚Assistenten-Stelle‘ zu übertragen.“
Die Assistenten-Stelle war in solch verführerischem Lichte dargestellt, daß in der That nahezu zweitausendfünfhundert Personen, meist aus Oesterreich, in die Falle gingen und die geforderte Summe entrichteten. Was erhielten nun die Aermsten für die achthalb Gulden? Einen Wisch Papiere, nämlich ein kalligraphisch ausgestattetes Anstellungsdecret mit großem Siegel, Statuten und Instructionen, aus denen endlich hervorging, daß es sich um Vermittlung von Heirathen und Gutskäufen handle.
Man kann sich denken, daß Mancher von der nicht eben wohlfeil erkauften Lösung des Geheimnisses wenig erbaut war, und es kamen deshalb zuerst vereinzelte Reclamationen, später publicistische Angriffe und schließlich konnte das Bureau Felicitas die Geister, die es gerufen, nicht mehr los werden. Auf Ansuchen seitens der österreichischen Gerichte intervenirte nun das Gericht in Bern. Eine Experten-Commission wurde bestellt, um den Geschäftsgang der Felicitas zu untersuchen; die Experten sprachen die Ansicht aus, daß die Geschäftsführung der Felicitas in formeller Beziehung durchaus keine Anhaltspunkte für eine criminelle Anklage darbiete und daß auch die den „Assistenten“ in Aussicht gestellte Provision und Pension auf einer Grundlage beruhten, welche die in dieser Hinsicht gemachten Versprechungen nicht von vornherein illusorisch machten, daß aber freilich die Natur dieser Versprechungen der Art war, daß schon die Möglichkeit der Erfüllung der Vorbedingungen, auf welche sie sich gründeten, höchst problematisch blieb. Auf diesen Befund hin wurde die Verhaftung der muthmaßlichen Chefs der Felicitas, nämlich Rudolph Faulmann aus Sachsen und Wilhelm Novitzky aus Oesterreich, angeordnet, das Bureau geschlossen und die Untersuchung eingeleitet.
Die Angeklagten wurden vor den Geschworenen von einem jungen, aber tüchtigen Advocaten vertheidigt. Derselbe wies u. A. durch ein Inserat nach, daß in Deutschland ein ähnliches Institut bestehe und sich sogar der Protection des deutschen Kaisers erfreue. (?) Im Fernern beruft sich der Vertheidiger auf die nicht bestrittene Thatsache, das das Bureau „Felicitas“ das Heirathsvermittelungsgeschäft reell betrieben habe.
Hinsichtlich der geforderten Zahlungen betonte der Vertheidiger, daß die Einsendung von siebenundeinhalb Gulden als Vorbedingung für weitere Mittheilung verlangt wurde und daß es also ganz und gar dem freien Willen der Betreffenden überlassen blieb, die Zahlung zu leisten oder nicht. Daß die Beklagten nicht in der Schweiz selbst, sondern im Auslande ihre Assistenten suchten, habe seinen Grund darin gehabt, daß man in der Schweiz allgemeine Abneigung vor solchen „Heirathstempeln“ habe.
Gegenüber den Klagen und Reclamationen weist der Vertheidiger auf sehr viele Zustimmungen von Solchen hin, welche sich als Assistenten gemeldet hatten und die – aus Stil und Schrift zu urtheilen – von intelligenten und gebildeten Personen herrühren.
Die Geschworenen schienen nicht ganz der Ansicht des Vertheidigers zu sein, denn sie erkannten den Faulmann der Prellerei und den Novitzky der Gehülfenschaft schuldig, woraufhin die Criminalkammer den Ersteren zu einem Jahr Zuchthaus (Kerker), den Zweiten zu drei Monaten Correctionshaus (Gefängniß) verurtheilte. Nach Berechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft und Anwendung der gesetzlich zulässigen Umwandlungen wurden Faulmann drei Monate Einzelhaft zugesprochen, während Novitzky sofort auf freien Fuß gesetzt wurde.
Das ist die Geschichte eines Processes, der nachgerade zu einer Cause célèbre geworden ist.
Eine Parabel. Da lebte einst vor alten Zeiten ein sehr reicher und braver Mann, der hieß Müller, und that Gutes, wo er nur immer konnte. Er reiste auch viel im Lande umher, und wo er einen Bedürftigen traf, der sein Unglück nicht verschuldet hatte, da half er ihm.
So hatte er auch einen Mann mit einer großen Familie rechtzeitig vom Untergange gerettet, und der Mann suchte seinen Retter auf, um ihm aus vollem Herzen dafür zu danken. In seinem überquellenden Gefühl aber und irrthümlich redete er ihn fortwährend dabei nicht „Herr Müller“, sondern „Herr Schmidt“ an, Herr Müller aber, der wohl sah, daß er ihn meinte und nur seinen Namen nicht kannte, unterbrach ihn nicht und hörte ihm freundlich lächelnd zu.
Ein Dabeistehender stieß nun den Mann an und flüsterte ihm zu, der Herr heiße nicht Schmidt, sondern Müller, aber es half ihm nichts – dem Manne standen vor innerer Bewegung die Thränen in den Augen und er nannte seinen Wohlthäter immer nur Herr Schmidt; Herr Müller gab ihm dann wohlwollend die Hand, sagte ihm, daß er sich seiner Dankbarkeit freue, und entließ ihn mit einem gütigen Lächeln.
Moral: Würde nicht jeder brave Mann an seiner Stelle ebenso gehandelt haben? – Gewiß, und sollen wir nun glauben, daß Gott, der Allbarmherzige und Allgütige, einem dankbaren Menschen zürnen würde, der ihn mit Jehovah, Allah, Ormuzd, Manitou oder irgend einem solchen Namen anredet? Er weiß, daß Er gemeint ist, und Seine Hand breitet sich segnend und gnadenspendend über alle Lande. Fr. Gerstäcker.
W. R. 72. Warum nicht die richtige Adresse? Ein für Sie sehr beruhigender Brief kam als unbestellbar zurück. Hier nur kurz: Wer im Vollgenuß der Ehrenrechte sich befindet, kann weiter, als darauf, gehende Fragen, gestützt auf § 180, Nr. 3 und 6 der Allgemeinen Gerichtsordnung I. 10., ablehnen und nöthigenfalls mit Hülfe eines Rechtsanwalts diesen Standpunkt vertheidigen. Brieflich mehr, sobald die Adresse da ist.
G. Kl. in Stuttgart. Der Xylograph des von Robert Heck so hübsch componirten Bildes „In den Casematten von Ulm“, dessen Ausführung Ihren Wünschen nicht entsprechen will, ist Ihr Landsmann, Herr Cloß in Stuttgart.
A. K. in Dr. Wenn wir trotz mehrfacher Aufforderungen uns nicht an den Sammlungen für die „Simon‘sche Heilstätte in Dresden“ betheiligten, so haben wir unsere guten Grunde dafür, deren weitere Erörterung Sie uns wohl erlassen.
H. in München. Auch wir haben den Tod des alten Herrn bedauert; doch hat die Gartenlaube eine Charakteristik von Baron Elsholtz bereits in Nr. 34 des vorigen Jahrgangs unter dem Titel „Soldat und Sänger“ gebracht.
Wenn mit einem Todten Schätze des Wissens begraben werden, so ist es Gottes Wille.
Wenn aber die Wissenschaft lebendig zu Grabe zu gehen drohet, so hat der Mensch eine
nicht zu entschuldigende Versäumniß nachzuholen.
Es gingen wieder ein: A. F. in Dresden 10 Thlr.; ein Mädchen aus dem Volke 1 Thlr.; Henning jun. in Nördlingen 1 Thlr.; ein Freund der Wahrheit in London, Sydenham 5 Thlr.; O. St. in Coburg 10 Thlr.; von Freunden aus Friedeberg am Queis 12 Thlr. 7½ Ngr.; aus Cassel 5 Thlr.; Th. B. 1 Thlr.; M. H. in Frankfurt a. M. 2 Thlr. (L. Feuerbach war nie in Amerika); G. v. M. in Coburg 10 Thlr.; H. in Breslau 1 Thlr.; J. K. in Fgbg. 3 Thlr.; B. u. T. in Altona 2 Thlr.; aus Dreetz 5 Thlr.; Ernst R. in Berlin 1 Thlr. (Gedicht zu lang); Dr. H. B. in W. 3 Thlr.; ein „leidenschaftlicher“ Leser der Gartenlaube in Hamburg 4 Thlr.; Junge in Schönberg 1 Thlr.; H. A. B. in Köln 3 Thlr.; Scharlock in Graudenz 3 Thlr.; eine schlichte Hausfrau in Naumburg 1 Thlr. (danken freundlichst für das liebenswürdige Gedicht an die Gartenlaube); Familie D. in Lbgst. 3 Thlr; N. in Schirmeck (Elsaß) 1 Thlr.; M. B. aus Frankenthal 10 Thlr.; Sans nom, mais non sans coeur in Wiesbaden 5 Thlr.; A. R. in Königsberg 5 Thlr.; ein Odenwälder 3 Thlr.; mehrere fröhliche Männer in Lyck 8 Thlr.; von einer Frau aus Braunschweig 5 Thlr.; Danziger Gymnasiasten 1 Thlr.; R. Bach in Annaberg 1 Thlr.; Freireligiöse Gemeinde in Riesa 3 Thlr. 15 Ngr.; Harkort in Schede 10 Thlr.; G. S. in Berlin 5 Thlr.; Dr. Hecker in Görlitz 1 Thlr.; dem müden Helden im Kampfe gegen Lüge und Finsterniß mehrere Primaner in N. 3 Thlr. 20 Ngr.; M. W. in Dresden 1 Thlr.; Prof. R. B. in Berlin 5 Thlr.; H. R. in Paris 1 Thlr.; Ungenannt 2 Thlr.; A. E. in Osterburg 6 Thlr.; L. G. in Plauen 2 Thlr.; T. H. in Würzburg 5 fl.; kleine Kleinstädterin 15 Ngr.; Albertine Gremser in Augsburg 2 Thlr.; O. K. in Hildburghausen 2 Thlr.; Gartenlaubenabonnentin 2 Thlr.; Freie Religionsgemeinde in Langensalza 3 Thlr. 7½ Ngr.; Sammlung unter Mitgliedern des Freien Religionsvereins in Braunschweig durch A. Bock 32 Thlr. 14½ Ngr.; Ch. S. in S–l i. A. 2 Thlr.; N. N. in Borna 10 Thlr. (Dürfen wir den Namen des Stetsopferfreudigen niemals erfahren?); Verein für Literatur in Braunschweig 5 Thlr.; von Gesinnungsgenossen Feuerbach’s in Schwarzenbach a. S. 15 Thlr. 4 Ngr.; Pfaffenfeind aus Kurpfalz 10 Thlr.; K. T. in E. 1 Thlr.; E. K. in Breslau 6 Thlr.; ein kaiserlicher Förster im Elsaß 1 Thlr.; D. D. D. in Bayreuth 2 Thlr. 25½ Ngr.; Dr. Rolfs in Bremen 9 Thlr.; Dr. Kühlenthal in Sinsheim 5 fl.; C. A. W. in G. 2 Thlr.; W. Fickentscher in Lichtenfels 15 fl. rhn.; zwei Jünger Feuerbach’s in Wien 13 (nicht 12) fl. östr.; F. Schmorl in Laskafeld 5 fl. östr.; Gesellschaft Germania in Gent 5 Thlr.; D. G. in Dillenburg 5 Thlr. mit den Worten:
Wer von der Wahrheit zeugt und Menschenliebe lehrt,
Ist von den wahren Christen einer;
Wer von der Lüge lebt und Haß und Zwietracht nährt,
Ist keiner. –
- ↑ Ich besitze selbst einen Heldburger Hexenproceß, in welchem ein vierzehnjähriger Knabe gegen seine Mutter zeugen soll. Die Anklage gegen dieselbe lautet: sie habe ihm zwei Mal ein krummes Maul angemacht, weil er von ihr das Hexenhandwerk nicht habe lernen wollen. Die Zeugenaussage des Knaben liegt, von seiner Hand geschrieben, in dem Actenband; der Schluß derselben lautet in Bezug auf die Anklage gegen seine Mutter buchstäblich so: „Das ist in ewigkeit nicht war, meine Mutter hat gesagt ich sol ein erlich Hand Werck lernen, ich mög doch nicht hart arbeiten, so haben die Leut das Hecksen Handwerck daraus gemacht, Das ist in Ewigkeit nicht war, so war als got gott ist, daß sie mich was böses hat woln ler, sie hat mich Zum Guten gereitzet vnd angetrieben. Den 28 Februari Valtinus Rücker Anno 1663.“ Diese Kindesaussage ist das einzige Vernünftige in dem ganzen Proceß, der vollständig, von der ersten Anklage bis zur letzten Scharfrichters- und Baderrechnung, vor mir liegt. Die arme Frau hatte zwei Male, jedes Mal acht Stunden, die Tortur ausgehalten. In Folge derselben mußten ihr an Händen und Füßen vier Glieder abgelöst werden. Trotz ihrer heldenhaften Ausdauer wurde sie, nun zum Krüppel geworden, des Landes verwiesen! – Und welcher Fürst hat diese Urtheile der „Verordneten Dechant, Senior und anderer Doctores des Schöppenstuels zu Jehna“ in eigenhändig unterzeichneten Rescripten auszuführen befohlen? – Herzog Be-Ernst! Ernst der Fromme, von dem seine Bewunderer sagen: „Sein Leben war ein fortgehendes zusammenhängendes Gebet: ‚O Gott, lehr’ erkennen dich und mich!‘ und sein Tod war das Amen dazu.“
- ↑ Geschichte der Grumbach’schen Händel. Jena, Friedrich Frommann. Erster Theil 1868, zweiter und dritter Theil 1869, vierter Theil 1870.
- ↑ S. Gartenlaube 1871, Nr. 48, S. 806.