Die Gartenlaube (1893)/Heft 25
[409]
Nr. 25. | 1893. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Schwertlilie.
In dem Hause der Ursulinerinnen am Brückenthor zu Birkenfeld befand sich zur Zeit keine einzige regelrechte Konventualin, welche unter fünfzig Jahren gewesen wäre, denn die etwas jüngern stämmigen Mägde, die Küche und Garten besorgten, waren Laienschwestern.
Für diese alternden Frauen, meist dürftigen Gemüthes und abgestorbenen Herzens, auch nicht durch allzu lebhaften Verstand beschwert, hatte die Regel des Klosterlebens längst nichts Drückendes mehr. Vigilie und Messe und Vesper, und Vesper und Vigilie und Messe – das war der gewohnte Kreislauf, und keine von ihnen hätte gewußt, was mit sich anzufangen, wenn sie aus demselben herausgerissen worden wäre.
Aber dem jungen frischen treibenden Leben, welches sich mit einem Male zwischen ihnen fand, eingeklemmt wie die grünende Pflanze, die in ein Geschiebe toten Gesteines gerathen ist, wie war dem zu Muthe? Zum Sterben, wie es jener entwurzelten Pflanze auch sein wird. Die neue Einwohnerin lebte nicht das ganze Klosterleben mit, denn sie war nichts anderes als eine Gefangene. Zu den Gottesdiensten in der Klosterkirche wurde sie aus ihrer sonst wohlverschlossenen Zelle von zwei Nonnen abgeholt und dann wieder dahin zurückgeleitet. Und mit ihr auf diesen Gängen ein Wort zu wechseln, war allen Konventualinnen aufs strengste untersagt.
So lag Polyxene im Banne dumpfen Schweigens. Daß jedoch dieses und ihre Einsamkeit in der verschlossenen Zelle nicht ungebrochen blieb, dafür hatten mehrfache Besuche, welche sie empfing, gesorgt. Es waren die des Paters Gollermann. Aber obwohl von seinen Lippen dabei nichts als Milde geflossen, war es der Eingeschlossenen doch nachher allemal gewesen, als rückten die Wände ihrer Zelle immer beengender auf sie ein, als senkte sich von oben die Decke auf sie nieder zum unentrinnbaren Verderben.
Allzu klein war das Gelaß nicht, in welchem Polyxene jetzt ihre Tage verbrachte, aber kahl und kerkerartig. Es zeigte an zweien seiner Wände, der des Fensters und der darauf stoßenden Seitenwand, die nackte Mauer. Das Fensterlein, klein und vergittert, bildete eine schachtartige Oeffnung in der dicken Mauer und ging auf den versumpften Graben, der das Haus der Nonnen noch von den unruhigen Kriegszeiten her auf dieser Seite hatte sichern sollen. Hinaus- und hinabzublicken aber vermochte man wegen der Form dieser Fensternische nicht. Die Bewohnerin der Zelle konnte jenseit des Fensters nur ein Stückchen Himmel sehen und wußte, daß es der Himmel war, welcher sich über den menschenleeren Feldern und dem Oedlande zwischen der Stadt und der Herrenmühle wölbte.
Aus der baren Mauer der Seitenwand
[410] hervortretend und eins mit dieser, zog sich ein breiter rauher Steinvorsprung in Sitzeshöhe hin. Auf der anderen Seite des Gemaches standen an der Wand entlang das harte Bett und ein hölzerner Tisch und Stuhl. Aber Polyxene saß am liebsten auf dem nackten Stein, weil sie von da den Blick durch das Fensterlein nach dem hellen Westhimmel richten konnte. Und dürstend, in verzehrender Sehnsucht blickte sie immer und immer nur dort nach Westen hinaus, als ob die Welt sich auf jener Seite weiter öffnete und als ob die unermeßliche Ferne droben die Kraft hätte, sie zu sich ins Freie zu ziehen.
Es war ein frischer windiger Herbsttag heute; Polyxene konnte das merken am raschen Zuge der Wolken. Sie hatte auch nach tagelanger Mühe endlich das eingerostete kleine Fenster zu öffnen vermocht, nur spannenweit, und nun versuchte sie es auf alle Weise, so nahe zu kommen, daß der kühle Luftzug sie traf und ihr Stirn und Wange berührte. Durstig athmete sie ihn ein, denn herbe war die Entbehrung des frischeu Gotteshauches für sie, die an ein freies Schweifen in Wald und Feld vor andern gewöhnt war.
Sie wäre ein rührender Anblick gewesen für den, der sie so gesehen hätte – wenn es nicht gerade ein Jesuit oder eine alte Nonne war – wie sie den schlanken jungen Leib nach dem Fensterschacht hinauf reckte und das geduldig schmachtende Antlitz hob. Noch war ihre stolze Blüthe nicht abgestreift, aber über dem holden Gesicht lag es doch wie über dem Kelche einer von heißem Winde oder vom Froste leicht versehrten Rose. Es fing an zu erbleichen und dunkle Schatten umgaben die Augen, die einen seltsam starren und zugleich ruhelosen Ausdruck hatten.
Das Fräulein war es nur langsam und dann mit lähmendem Grauen innegeworden, daß sie wirklich hier nichts als eine Gefangene sei, und zwar eine, mit der man schwerlich Gutes vorhabe. Manche andere hätte das schneller begriffen als sie. Aber obwohl Polyxene wahrlich nicht ohne Scharfsinn war – in dem in vornehmer Unschuld und Reinheit aufgewachsenen Mädchen lebte etwas, was ihr das rasche Verständniß des dunklen Treibens und der lichtscheuen Pläne anderer erschweren mußte. Auch wäre wohl gegenüber den qualvollen Räthseln, die eins nach dem andern sie bedrängten, selbst ein weltlicherer und gewandterer Sinn hilflos gewesen. Erst Lutzens Verschwinden und dann das Auftreten einer feindlichen unheildrohenden Macht gegen sie, die sich keiner Schuld bewußt war! Polyxene wußte nichts und verstand nichts mehr, als daß sie unsäglich unglücklich und verlassen sei und auf einem dunklen Wege immer größerem Elend zugetrieben werde.
Heute, wie sie das zerzauste weiße Gewölk hinjagen sah an dem hellblauen Himmel und den frischen Hauch spürte, da dachte sie an ihren letzten sorglosen Pirschgang mit Lutz, da sie die Spur des Luchses entdeckt hatten. War das wirklich erst vor Wochen gewesen und nicht vor vielen vielen Jahren? Hatte der Jammer, den sie seitdem dnrchgekostet, und die furchtbare Veränderung ihres Loses, hatte sich das alles in eine so kurze Spanne Zeit zusammendrängen lassen? Sie staunte, ja ein wehvolles ungläubiges irres Lächeln trat bei diesen Gedanken auf ihre Lippen.
Nicht eher als bis alle Glieder sie geschmerzt von der unbequemen Stellung, hatte sie endlich die Festerhöhle verlassen und lehnte nun auf dem Steinsitze an der Mauer, von wo sie das Stückchen Himmel sehen konnte. Sie dachte an den Wald an jenem Tage, an den alten Strieger und wie sie damals zuerst von der Magdalena erfahren hatte. So kamen ihre Gedanken heute von dieser Seite zu der toten Frau, die ihr eigentlich immer gegenwärtig war. Ja, war es nicht fast, als ob die Magdalena hier mit eingekerkert sei, gebunden, wie sie es damals auf ihrem Lager gewesen war mit Ketten des Siechthums, und doch frei, doch beseligt und daher ein steter Vorwurf für ihr eigenes banges Verzagen?
Dort drüben auf dem Tische lag ein schwarz gebundenes Buch, das der Pater Gollermann Polyxenen gebracht hatte. Es enthielt Sündenbekenntnisse, Gebete zur Mutter Gottes und zu verschiedenen Heiligen, und er hatte sie ernstlich ermahnt, das alles zu lesen und wieder zu lesen und herzusagen; einzelne Gebete und Litaneien hatte er ihr genannt und ihr aufgegeben, dieselben so und sovielmal am Tage äbzubeten. „Mag der hochfahrende Verstand sich dagegen sträuben, meine Tochter,“ hatte er gesagt, „kämpft ihn nieder, denn seiner bedient sich der Feind der Seelen, um Euch zu verderben. Befleißigt Euch jetzt zunächst des Gehorsams, und nur des Gehorsams gegen Euere geistlichen Lenker! Die heilsamen Folgen werden nicht ausbleiben.“
Bis jetzt waren sie ausgeblieben, obwohl Polyxene sich bemüht hatte, jene Aufgabe zu erfüllen. Aber das hatte sie nicht abgünstig gemacht. In ihr wohnte kein hochfahrender Trotz, der sie getrieben hätte, von vornherein gegen diesen Mann sich aufzulehnen, denn ihre eigene innere Wahrhaftigkeit und Treue ließ sie immer zuerst von einem jeden, der in ihren Kreis trat, vermuthen, er möge es wohl redlich meinen und in seiner Weise recht haben. In seiner Weise, denn für sie, das merkte sie bald, blieben jene Gebete und Formeln tote Buchstaben. Wie ganz anders sprachen sie aber auch als das alte Buch, das Vermächtniß ihrer Mutter, das sie, kaum überkommen, nun wieder entbehren mußte! Die geistlichen Herren würden es wohl an sich genommen haben; Polyxene hatte die „Teutsche Theologie“ nicht wieder gesehen, seitdem sie von der Herrenmühle fortgebracht worden war.
Aber obwohl sich Polyxene nach dem Buche sehnte – in unüberwindlicher Ehrlichkeit, auch gegen sich selber, zweifelte sie dennoch daran, ob es ihr zu dem Gottesfrieden und zu der Ergebung geholfen haben würde, nach denen zu streben sie sich mühte. Warum nahte ihr nicht der unsichtbare mächtige Helfer und Freund in ihrer großen Noth, der so geheimnißvoll neben dem Bette der siechen Armen gestanden hatte? Sie betete und rang; sie vermeinte zuweilen, daß diese herbe Prüfung ihr vielleicht geschickt sei, damit sie seine Macht, zu helfen und aufrecht zu halten, kennenlerne; sie hatte ein Gefühl, als ob man in derselben Lage wie sie, ganz abgeschlossen von irdischer Liebe und Freude und Hoffnung, gerade desto wunderbarerer innerer Erfahrungen könne gewürdigt werden, wenn man sich völlig bereit halte, sie in sich zu empfangen. Aber das wollte ihr nicht gelingen. Ihr Beten half nichts; fühlte sie doch, und das war das Qualvollste von allem, daß sie nicht einmal mit aller Kraft ihrer Seele zu beten vermöge um diesen überirdischen Frieden, der sie frei gemacht hätte trotz ihrer Feinde. In ihrem Inneren wechselte matte trübe Nacht und Dumpfheit mit qualvoller Unruhe, mit dem jammernden verzweiflungsvollen Sehnen nach Errettung. Ach, die Magdalena hatte gelebt; die hatte nichts mehr verlangt vom Erdendasein, in das bei ihr schon der nahe Himmel hinein gestrahlt hatte, mit seiner Lichtfluth das Leuchten irdischer Sterne verschlingend. Aber Polyxene war jung, und der Himmel, obwohl sie ihn mit frommer Hoffnung als das Ziel der wohl durchlaufenen irdischen Bahn verehrte, war ihr immer sehr fern, eben am Ende einer langen Bahn erschienen. Schön, ach schön war der Sommer, war der Lenz auf der Erde, war der ernste Wald, war der frühe thauige Morgen! Wer hatte wie sie das freie Schweifen in Wald und Feld genossen, wer das unzertrennliche Zusammensein mit einem fröhlichen Gefährten, wie es Lutz gewesen, der ihr so ganz zusagte! Aber Lutz war aus ihrem Leben verschwunden! Ihr Verlangen, um sein Schicksal zu wissen, ihn wieder zu besitzen, war grenzenlos. Doch wenn sie nun darum betete mit aller Inbrunst ihrer Seele, dann fiel ihr ein: solche Gebete wie das um Befreiung, um den Wiederbesitz des geliebten Knaben sind die richtigen nicht, Gott hat alles dies von mir nehmen wollen; alles, was mich sonst freute, soll ich entbehren lernen, alles, was mir bisher gefiel, soll mir nicht mehr gefallen – solche Sätze hatte sie in der „Teutschen Theologie“ gelesen – nur nach dem unsichtbaren Gute allein soll ich verlangen. Wenn sie recht matt von Jammer war nach einem durchgequälten Tage, dann war es ihr zuweilen, als ob diese Selbstentäußerung ihr gelingen könnte. Aber der Schlaf in der Nacht, der sie zum Glücke doch noch besuchte, pflegte das mühsam Aufgerichtete wieder niederzureißen. Er erneute ihre kräftige Jugend, und diese bäumte sich auf, manchmal sogar zu dem, was sie nachher als gottlose Rebellion gegen das Heilige in bitterer Angst bereute, und so erneuerte sich das Ringen, erneuerte sich die Verzweiflung.
Dann konnte es ihr geschehen, daß sie sich in vermeinter Feindseligkeit abwandte von der göttlichen Gestalt, die sich durch das schmachvolle Kreuz verherrlicht und das Leiden geheiligt hatte, daß sie ihre Gedanken suchend, aber muthlos suchend, umherschickte nach einem irdischen Beistand. Der Oheim? Gebilligt hatte er ihre Fortführung nicht und sie kannte ihn genug, um zu wissen, daß die ebenso unsinnige wie fürchterliche Anschuldigung, die man gegen sie erhob, ihn nicht bewegen würde, an ihr zu zweifeln. Aber so abgeschieden von aller Welt, wie er seit Jahren lebte, [411] würde er wohl wenig zu ihren Gunsten vermögen. So wußte sie niemand außerhalb dieser Mauern, der sich kräftig ihrer annehmen konnte, der es auch nur wollen würde, keine Seele.
Einmal war der Herr von Nievern für sie eingetreten, vor dem ganzen Hofe, ach, auch vor langer Zeit, wie es ihr jetzt vorkam. Es war wohl nur eine Laune von ihm gewesen, denn wo sie sich vorher angetroffen, hatte er den Verkehr mit ihr leicht genommen, wie er alles leicht nahm. Aber trotzdem trat ihr sein kräftiges schönes und ein wenig spöttisches Gesicht jetzt oft vor Augen, und jedesmal wehte etwas wie ein Hauch der Freiheit um dasselbe, der ihr Herz mit Sehnsucht füllte zum Zerspringen. Wo dieser Mann war, da war Luft und Leben und Licht, und es schien ihr schon eine traurige Wohlthat, daß es jemand gab, der alledem so unendlich fern stand, womit man sie hier quälte. Gewiß ahnte er davon nichts. Ach, wenn er es gewußt hätte! Er würde vielleicht Mitleid mit ihr gehabt haben. Denn glauben, glauben jenes Fürchterliche, das man von ihr und Lutz sagte, das konnte er im Ernste nicht!
So sehnsüchtig Polyxene in das Stückchen Himmel geschaut hatte, während es nach und nach seine Abendfärbung annahm – jetzt wandte sie rasch und mit gespanntem Ausdruck den Kopf nach der Thür, an der sie ein Geräusch hörte. Denn es war nicht die Zeit, um welche sich dieselbe für sie zu öffnen pflegte zu den Gängen nach der Kapelle. Wirklich wurden die Riegel zurückgeschoben und der Schlüssel herumgedreht. Schon stand Polyxene, die ganze Seele in den Augen. Aber ein Schatten der Enttäuschung flog allsogleich über das gespannte Gesicht, als die Thür nur einer ältlichen Nonne Einlaß gewährte und weiter niemand ... Doch ging das Fräulein der Klosterfrau grüßend entgegen; sie neigte den edlen Nacken dem Segen, den diese geistliche alte Jungfer, eine schmächtige Gestalt, ihr in der üblichen Weise und ein wenig flüchtig mit ein paar ausgestreckten Fingern angedeihen ließ. Dann setzte sich die Nonne zu ihr.
Es schien, als ob sie gekommen wäre, um ein wohlwollend erbauliches Gespräch mit dem unfreiwilligen Gaste des Klosters zu führen. Sie fragte nach den Andachtsübungen, denen sich das Fräulein von Leyen nach Vorschrift zu unterziehen hatte, aber etwa so, wie die Frauenzimmer einander wohl nach dem Fortgang der Stickerei oder Strickarbeit fragen. Denn es lag in der Art und Weise dieser Schwester, die unter dem Schleier ein Gesicht von platter Gewöhnlichkeit zeigte, daß alles, was sie berührte, den Anstrich des Alltäglichen erhielt. Und doch galt sie für klug, um nicht zu sagen schlau, und war von Einfluß im Kloster; sie war sogar mit der Zeit zur Subpriorin desselben aufgerückt. Und da die Aebtissin an Asthma litt – sie war eine Raugräfin von Degenfeld und wohl mehr in Anerkennung ihrer vornehmen Herkunft als infolge ihrer sonstigen etwas verblaßten Eigenschaften zu ihrer Würde im Kloster gelangt – so war von dem Geschäftlichen nach und nach das Meiste der Subpriorin, der Schwester Veritas, zugefallen. Der Pater Gollermann hatte von ihren Gaben keine ganz geringe Meinung und pflegte sich des öfteren mit ihr zu besprechen.
Das alles aber merkte man der Nonne nicht an, und so hatte denn auch Polyxene sie noch kaum von den übrigen Schwestern unterschieden. Während sie nun nach der Zahl ihrer täglich gebeteten Rosenkränze und Ave Marias gefragt wurde und ehrlich Auskunft gab, wartete sie mit Verlangen und zugleich nicht ohne Bangigkeit darauf, daß der eigentliche Zweck des Besuches sich enthüllen möge. Oder sollte die gute Schwester wirklich keinen anderen haben als den, dem Fräulein ein wenig die Zeit in ihrer Einsamkeit zu vertreiben? Fast schien es so, denn sie kam auch auf andere als nur geistliche Dinge zu sprechen und erkundigte sich nach diesem und jenem aus dem Leben Polyxenens auf der Herrenmühle. Da mußte auch Lutzens gedacht werden, natürlich, und man konnte es dem Mädchen wohl anmerken, wie wund die Stelle war, die da berührt wurde. Aber von geistlichen Personen mit ihrem nur auf das Jenseits gerichteten Blicke darf man billigerweise ein Mitgefühl mit irdischem Jammer wie von einfachen weltlichen Leuten nicht verlangen. Und so geschah es ohne sonderliche Schonung, daß die Nonne einmal fragte: „Ihr haltet Eueren jungen Vetter demnach für ertrunken? Und wann, meint Ihr, wäre er verunglückt?“
„Ob ich ihn für ertrunken halte? Ich muß ja wohl,“ sagte Polyxene und sah doch die Nonne dabei an wie in flehentlicher Erwartung, daß diese etwas dagegen sagen möge. Aber unter deren kalten Augen wollte kein Hoffnungsfunken aufglimmen. Das Schlimmste deuchte dem armen Kinde mit einem Male das Wahrscheinlichste, und sie erschauerte und fröstelte vor Jammer.
Die Klosterfrau, die nach Ordensbrauch meist mit gesenkten Lidern saß, hatte zwischendurch doch ein scharfes Auge auf das junge Geschöpf vor sich gehabt. Sie fragte jetzt noch einmal: „Und wo ist das Unglück geschehen?“
„Am Mühlgraben, denn dort fanden wir seine Jagdtasche,“ sagte Polyxene, trostlos vor sich hinstarrend. Was half es, sich noch gegen diese Annahme zu wehren?
Die Nonne ließ jetzt den Gegenstand wieder fallen und kam von neuem auf das geistliche Gebiet. „Und habt Ihr Trost gefunden in der gehorsamen Ausübung dessen, was man Euch vorgeschrieben hat, meine Tochter?“
„Trost? Ach nein, ehrwürdige Mutter,“ sagte Polyxene, rastlos die Finger ineinander schlingend, und ihre gequälten Augen redeten dieselbe Sprache.
Da, mit einem Male – wie war es nur? – da hatte die Nonne einen anderen Ton angeschlagen. Da war von einer eiternden Wunde die Rede, die nach innen schwäre, und die sei das belastete Gewissen. Dagegen gebe es nur ein Heilmittel: ein offenes Geständniß, in das Ohr der Kirche abgelegt. Die Kirche sei unerschöpflich in ihrer Gnade, und ihre Zuchtmittel, wenn sie denn züchtigen müsse, um eine Seele zu retten, seien unendlich milder als die der weltlichen Gerechtigkeit. Taste sie doch niemals das Leben an wie diese, damit die Seele den Wirkungen der Fürbitte der Heiligen noch ausgesetzt bleiben könne.
„Ich verstehe Euch nicht, ehrwürdige Mutter, was soll ich bekennen?“ fragte Polyxene endlich, nachdem sie vergebens versucht hatte, sich in diesen Reden zurechtzufinden. Da ward das Gesicht der Nonne so eiskalt, wie man es bei seinem gewöhnlichen Ausdruck flacher Gutmüthigkeit gar nicht für möglich gehalten hätte. Sie erhob sich und sprach: „Hütet Euch, daß Euere bösliche Verstocktheit Euch nicht noch gereue! Bisher habt Ihr nur die Milde Euerer geistlichen Vormünder kennengelernt. Euere eigene Schuld ist es, wenn sie sich endlich genöthigt sehen, zu den Mitteln zu greifen, die gegen völlig verhärtete Gemüther zur Anwendung kommen. Ernstlich ermahne ich Euch: geht in Euch! In drei Tagen werde ich wieder kommen. Sehet zu, daß Ihr mir alsdann etwas zu sagen habt. Und bis dahin verlaßt Ihr, nach dem Willen unserer hochwürdigen Aebtissin, diese Zelle nicht. Haben bisher unsere Gottesdienste vergeblich an Euer eigensinniges Herz gepocht, damit es seiner Unthat sich durch Bekenntniß entledige, nun, vielleicht bringt Euch die Einsamkeit besseren Entschluß!“
Sie ging nach der Thüre, als wolle sie unaufhaltsam sich entfernen, drehte sich aber zuguterletzt doch noch einmal herum. Gar zu gerne hätte sie dem Pater Gollermann etwas zu berichten gehabt, etwas, was diese nun schon langwierige Angelegenheit förderte. Sie gab sich den Anschein, als glaube sie, das Fräulein habe sie angerufen. Vielleicht hatte auch wirklich die Furcht vor der strengern Klausur schon gewirkt! Nein – oder doch wenigstens nicht in einer Weise, aus welcher die Klosterfrau heute schon hätte Vortheil ziehen können, wie ein Blick sie erkennen ließ. Denn sie sah in ein Antlitz, das allerdings ihr noch immer zugewandt war, aber vor Entsetzen wie versteinert schien. Und der irre und zugleich wilde Ausdruck der Augen war derart, daß die Nonne alles Verlangen nach längerem Bleiben verlor und die Thüre mit einer Hast entriegelte und verschloß, die ihr sonst nicht eigen war. Draußen erst, auf der andern Seite der Thüre, nahm sie sich wieder Zeit und verwahrte den Eingang mit grausamer Langsamkeit. Wenigstens war es der starr und gedankenlos hinhorchenden Polyxene drinnen, als ob das Rasseln der Riegel und Schlösser gar kein Ende nehme.
Dasselbe hatte jedoch lange schon aufgehört, als Polyxene immer noch unbeweglich saß, den Nachhall jener Töne im Ohr, unfähig zu denken, ohne jede andere Empfindung als die eines grenzenlosen Elends. Nur langsam kehrte ihr die Fähigkeit zurück, das, was sie eben gehört hatte, in Gedanken zu bemeistern. Dann aber fuhr sie empor, warf die Arme in die Höhe und nahm den Kopf zwischen die Hände in verzweifeltem Jammer. Solchen Menschen war sie hier preisgegeben, die wie diese Nonne sie für eine Mörderin hielten und in ein tückisches Netz verstrickten, wahrlich nicht um ihres Seelenheiles willen, sondern um ein Geständniß aus ihr
[412][413] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [414] herauszuquälen! Nichtig war der Vorwand gewesen, es handle sich um ihren Glauben – um den Schaden, den derselbe durch den Verkehr mit der Exkommunizierten genommen haben könne. Aber warum hatte man sie, wenn man sie schuldig glaubte, dem Arme der weltlichen Gerechtigkeit entzogen? In ihr regte sich der stolze Geist ihres adligen Geschlechtes. Offen und laut sollte man sie anklagen, damit sie ebenso sich vertheidigen könnte! Und wenn man ihr nicht glaubte, wenn sie etwa gar unschuldig sterben sollte – ein herzzerschneidendes Weh befiel sie bei diesem Gedanken, und doch fühlte sie zugleich, daß sie den Tod weit, weit der ewigen Einmauerung hier vorziehen würde, auf die es vielleicht abgesehen war. Der Tod würde sie vereinigen mit ihrem Vater ach, mit ihrer Mutter!
Mit der Mutter! Sie hatte sich, so lange sie zu denken wußte, nach dieser Mutter gesehnt. Und jetzt? „Mutter, Mutter – Mütterchen, ach, hilf mir!“ rief sie plötzlich außer sich und rang die wild erhobenen Hände. Die Jugend in ihr stieß diesen jammervollen Hilfeschrei aus, und er bedeutete nicht: hebe mich zu dir empor aus diesem Grauen in das lichte Reich des Friedens, sondern: öffne mir die Riegel, daß ich nur wieder frei sei, daß ich Gottes Luft wieder draußen athme und unbedroht lebe – lebe!
Das Theater während der französischen Revolution.
Es mag als eine auffallende Erscheinung betrachtet werden, daß jene ungeheure Umwälzung, welche sich vor hundert Jahren auf Frankreichs Boden vollzog, die Pariser Theater, abgesehen von einigen Namensänderungen, in ihrem äußerlichen Bestand so ziemlich unberührt ließ. Bei der großen Vorliebe der französischen Nation für die Bühne, die selbst während der Schreckensherrschaft nicht nachließ, ja, nach den stets gefüllten Häusern zu schließen, eher noch zunahm, hätten wohl hier grobe Eingriffe eine allgemeine Unzufriedenheit erregt.
Desto größer und nachtheiliger aber erwies sich der mittelbare Einfluß der Revolution auf die dramatische Dichtung wie auf die darstellende Kunst. In weit höherem Grade als in irgend einem anderen Lande war die Schaubühne in Frankreich und vorzüglich in dessen Hauptstadt ein Spiegel der Sitten und der sozialen Zustände. Da nun aber die Sitten im Verlauf der Revolution zunehmend verwilderten, die sozialen Verhältnisse immer verwirrter und trauriger wurden, so konnte auch die Rückwirkung auf die Bühne nicht ausbleiben; sie mußte künstlerisch herabsinken, sowohl nach der schöpferischen wie der darstellerischen Seite, wenn auch die materielle Blüthe nicht fehlte. Denn niemals war, wie schon gesagt, die Schaulust des Volkes größer als in diesen schrecklichen Zeiten.
Da die Politik alles beherrschte, so wurden die Theater bald zum allabendlichen Kampfplatz der politischen Parteien. Jede Stelle, welche irgend eine politische Deutung zuließ, wurde, je nach dem Standpnllkt der Zuhörer, mit lärmenden Kundgebungen des Beifalls oder des Mißfallens aufgenommen. Namentlich während der ersten Zeiten der Revolution, wo die königliche Partei noch nicht ganz ohnmächtig war, kam es in den Theatern häufig genug zwischen Royalisten und Republikanern zu heftigen, selbst in Thätlichkeiten ausartenden Kämpfen.
So suchte die Comédie Française, das altberühmte, mit vielen Vorrechten ausgestattete Institut, obgleich in „Théâtre de la Nation“ umgetauft, doch ihr aristokratisches Gepräge zu wahren und benutzte jede Gelegenheit zu royalistischen Kundgebungen. In anderen Theatern geschah das Entgegengesetzte. Als bei einer Vorstellung der Grétryschen Oper „Die unvorhergesehenen Ereignisse“ in der Komischen Oper Madame Dugazon, die der Königin für ihre künstlerische Ausbildung vielen Dank schuldete, bei dem Verse
„Ah que j’aime ma maîtresse!“
(„Ach, wie lieb’ ich meine Herrin!“)
sich gegen die anwesende Marie Antoinette huldigend zu verbeugen wagte und einige anwesende Royalisten dazu Beifall klatschten, da brach ein solcher Sturm auf seiten der viel stärkeren Gegenpartei aus, ein solches Heulen, Zischen und Pfeifen, daß die unglückliche Königin, bis in die Lippen erbleichend, eiligst das Theater verließ und fortan keiner Vorstellung mehr beiwohnte.
Nur in einer allerdings lediglich äußerlichen Beziehung sollte die Revolution einen vortheilhaften Einfluß auf die Bühne ausüben; sie veranlaßte den Bruch mit der herkömmlichen widersinnigen Tracht Bisher waren die Helden und Heldinnen der Tragödie, gleichviel welcher Zeit und welchem Volke sie angehörten, stets im Hofkostüm, gepudert, in Escarpins und gesticktem Frack, in Absatzschuhen und Reifrock, aufgetreten. Die herrschende Abneigung gegen alles Höfische veranlaßte den jungen Talma, eine Abweichung von dieser Unnatur gewissermaßen durch eine Ueberrumpelung zu versuchen. Ohne seinen Kollegen von der Comédie Française vorher etwas davon zu sagen, wagte er es, in Voltaires „Brutus“ in einer römischen Tunika, mit bloßen Armen und Beinen und ohne Puder zu erscheinen. Wenn auch seine Partnerin, Demoiselle Contat[1], aus Schreck über den „greulichen Anblick“ die Fassung verlor und stecken blieb, so befreundete sich doch das anfänglich befremdete Publikum bald mit der Neuerung und zwang die übrigen Künstler, Talmas Beispiel zu folgen, obschon sie dies mit heimlichem Unwillen thaten, der sich bei nächster Gelegenheit Luft machen sollte.
Man führte Chéniers „Karl IX. oder die Schule der Könige“ auf und Talma gab den feigen und blutdürstigen Tyrannen mit so genialer Kraft, daß das Stück Abend für Abend das Haus bis auf den letzten Platz füllte. Endlich wurde der König – es war zu einer Zeit, wo ihm noch nicht alle Macht genommen war – bewogen, die weiteren Aufführungen des Stückes als aufreizend und gefährlich zu verbieten. Das aber hieß, Oel ins Feuer gießen. Am sogenannten Verbrüderungsfest, am Jahrestage der Einnahme der Bastille, forderte das Publikum ungestüm die Wiederholung des Stückes in der Comédie Française. Vergebens suchte der Regisseur, der sich nicht auf das königliche Verbot berufen mochte, die Krankheit einiger Mitwirkenden als Hinderniß vorzuschieben. Plötzlich erschien Talma im Kostüm Karls IX. auf der Bühne und erklärte, weder er noch seine Kollegen seien krank und wenn man nur wolle, so könne das Stück sofort gegeben werden, was denn auch geschah. Der Unwille des Volks wäre gefährlicher gewesen als der des Königs.
Dieser eigenmächtige und die Kollegen bloßstellende Schritt wurde von diesen – die Comédie Française besaß und besitzt das Recht der Selbstverwaltung – durch mehrmonatige Ausschließung des Attentäters bestraft. Talma aber, der sich dies nicht gefallen lassen wollte, trat mit einigen Anhängern aus dem Verbande der Comédie Française aus und gründete mit ihnen das „Theater der Freiheit und Gleichheit“ in der Rue Richelieu, welches jener gefährlichen Abbruch that, da auf ihm die Werke der ersten zeitgenössischen Dichter, Chénier, Arnault, Legouvé, trefflich dargestellt wurden.
Auch andere neue Bühnen schossen, seitdem die Theaterfreiheit erklärt worden war, in großer Anzahl wie Pilze aus dem Boden, freilich um meistens schnell genug wieder zu verschwinden. In gleichem Maße wuchs auch die Fruchtbarkeit der dramatischen Autoren, denn alle diese Bühnen wollten mit neuen und zwar „zeitgemäßen“ Stücken versorgt sein. Solche entstanden denn auch in Masse, waren aber keineswegs geeignet, der dramatischen Litteratur Ehre zu machen.
Die Spitze dieser Machwerke war, der Strömung der Zeit folgend, stets gegen die Religion, die Kirche, den Papst, die Klöster und nicht am wenigsten gegen das Königthum gerichtet, wie dies schon ihre Titel: „Ein Tag im Vatikan“, „Die Opfer des Klosters“, „Die Päpstin Johanna“, „Der Sturz des Despotismus“, „Die Völker und die Könige“, „Die wahren Sansculotten“, „Das letzte Gericht der Könige“, „Die Emigrantin und der Jakobiner“, „Marats Tod“ etc. genugsam darthun. Die Stücke waren meistens nach Inhalt und Form äußerst oberflächlich, grob und geistlos gearbeitet, fanden aber dennoch, gehörig mit patriotischen Phrasen gespickt, rasenden Beifall. Diese Verrohung der dramatischen Litteratur mußte selbstverständlich auch eine Verrohung der darstellenden Kunst herbeiführen.
[415] Da man nun aber doch die klassischen Werke der großen Dichter nicht ganz von der Bühne verbannen mochte, so wurden dieselben möglichst „zeitgemäß“ zugestutzt, wobei sie sich die elendesten Verpfuschungen und grausamsten Verstümmelungen gefallen lassen mußten. Corneille und Racine würden sich im Grabe umgedreht haben, wenn sie ihre Werke in dieser Zurichtung hätten sehen können. Ohne Rücksicht auf Sinn und Rhythmus des Verses waren in der Anrede nur die Worte „Citoyen“ und „Citoyenne“ gestattet, und wehe dem Schauspieler oder der Schauspielerin, die es gewagt hätten, gleichviel in welcher Rolle, ohne tellergroße Nationalkokarde aufzutreten!
Ueberhaupt war der Schauspielerberuf damals nicht wenig gefahrvoll. Einst wurde ein großer Theil des Personals der Comédie Française, oder genauer des Théatre de la Nation, in das Gefängniß La Force geschickt, weil es eine französische Bearbeitung des Richardsonschen Romanes „Pamela“ für die Bühne aufgeführt hatte und weil darin der Darsteller eines Lords mit dem Hosenbandorden geschmückt auf der Bühne erschienen war. Dieser Unvorsichtige rettete nur mit Mühe seinen Kopf, hauptsächlich, weil er ein sehr beliebter Schauspieler war.
Uebrigens waren die hervorragendsten dramatischen Künstler der Revolution, wenigstens in ihrem späteren Verlauf, nicht zugethan, wenn sie dies auch sorgfältig verbergen und die „Patrioten“ spielen mußten; denn sie sahen nur zu gut ein, daß bei der eingerissenen Verwilderung des Geschmacks auch ihre Kunst rettungslos von Stufe zu Stufe sinken mußte.
Vergebens suchten einzelne unerschrockene Schriftsteller dem Ungeschmack entgegenzutreten, so namentlich Laya, der, als der König bereits Gefangener im Temple war, noch die Kühnheit besaß, sein Lustspiel „L’ami de la loi“^ auf die Bühne zu bringen, das entschieden gegen die Anarchle gerichtet war und die republikanische Tyrannei für viel schlimmer erklärte als die königliche. Die royalistische Partei, so viel noch davon vorhanden war, jubelte und die „Patrioten“ schäumten vor Wuth. Die weiteren Vorstellungen wurden untersagt, aber, merkwürdig genug, nachdem der Verfasser an den Konvent appelliert und vor demselben mit glänzender Beredsamkeit sich selbst und sein Werk vertheidigt hatte, wieder gestattet. Nichtsdestoweniger wurde Laya bald darauf als des Royalismus verdächtig eingekerkert und sollte die Rettung seines Lebens nur dem Sturze der Schreckensherrschaft verdanken.
Zuletzt war die Furcht so hoch gestiegen, daß die Direktionen der Bühnen gar keine Stücke mehr zu geben wagten, in denen Könige und vornehme Personen vorkamen, und daß die Schauspieler, wenn sie ihrer Rolle gemäß etwas zu sagen hatten, was vielleicht politisches Mißfallen bei den Zuschauern erregen konnte, sich während des Spiels entschuldigten und das Publikum baten, ja nicht etwa zu glauben, daß sie das billigten, was sie auszusprechen genöthigt seien.
Bis zu welchem Grade sittlicher Verirrung man gelangt war, bewies die Beliebtheit des Stückes „Der Republikaner als Gatte“. Ein „Patriot“ entdeckt, daß seine – von ihm geliebte – Gemahlin ihrer Gesinnung nach eine Aristokratin ist, und hält es nun für seine Pflicht, sie dem Revolutionstribunal anzuzeigen, das ihr ohne weiteres den Kopf abschlagen läßt. Dies galt als der Gipfel republikanischer Tugend und wurde allabendlich stürmisch bejubelt.
Doch war man nicht bloß in Paris „patriotisch“ und wachsam. Die Stadtbehörde eines Städtchens der Franche Comté meldete eines Tages der Nationalversammlung, daß sie eine schöne große Frau gefangen genommen habe, die, was ihnen sehr verdächtig vorkomme, in einer Kutsche ohne Wappen reise und nur von einem Kammermädchen und einem großen, sehr impertinent aussehenden Lakaien, wahrscheinlich einem verkleideten Aristokraten, begleitet sei. In ihrem Wagen habe man eine erhebliche Summe in Gold, außerdem eine Art Scepter, eine Krone, einen Hermelinmantel und eine so kostbare Garderobe gefunden, daß man kaum länger daran zweifeln könne, die Unbekannte sei die Königin, welche nach der Schweiz auswandern wolle. Auf ihre Verwahrungen und ihren natürlich falschen Paß sei selbstverständlich nichts zu geben, und man bitte die hohe Versammlung um weitere Verhaltungsbefehle.
Diese lauteten dahin, daß man Madame Sainval, ein Mitglied der Comédie Française, nicht länger aufhalten solle, da sie sich verpflichtet habe, in Besançon eine Reihe von Gastrollen zu geben.
Erst mit der Wiederherstellung der Ordnung sollten auch die Pariser Theater aus ihrem tiefen künstlerischen Verfall allmählich sich erheben und zu ihren alten rühmlichen Traditionen zurückkehren.
|
Glockenklang.
Die Tage schweben mir morgens 5 Am Morgen hoff’ ich immerAuf dich, mein junges Lieb; 10 Es ist ihr Klang mein Lied;Die Liebe ist der Glöckner, 15 O komm zurück und weineAn meiner Brust dich aus! 20 Der alte Bekannte, ein.
|
[416]
Alle Rechte vorbehalten.
Weltausstellungsbriefe aus Chicago.
Unter den zahllosen figürlichen Bildwerken, welche aus Anlaß der Kolumbischen Weltausstellung zu Chicago entstanden sind, hat keines meine Aufmerksamkeit so sehr gefesselt wie jene schöne Frauenstatue, welche die Stadt „Chicago“ personifi[c]iert: eine von jugendlicher Schönheit umflossene königliche Gestalt, die an die Figur der Jungfrau von Orleans erinnert und die auf ihrem Haupte ein aus lodernden Flammen gebildetes Diadem trägt, von dem sich der Vogel Phönix emporschwingt. Wenn diese Symbolik in glücklicher Weise an die nur zwei Jahrzehnte hinter uns liegende Zeit erinnert, wo infolge einer furchtbaren Feuersbrunst das junge Chicago in Schutt und Asche versank, um bald darauf in desto herrlicherer Pracht wieder zu erstehen, so ist der über der Brust des Frauenbildes zu lesende Wahlspruch „I will“ nichts als der Ausdruck jener bewundernswerthen Entschlossenheit und jener wahrhaft unerschütterlichen Zuversicht, welche die hervorstechenden Züge in dem Wesen der Bewohner von Chicago sind.
„I will“, das ist die stolze Losung der Weltstadt am Michigansee, und dieses „Ich w[i]ll“ ließ neuerdings auf einem von Sümpfen und Lagunen durchzogenen öden G[e]lände eine Stadt von Palästen und Tempeln erstehen, wie die Welt sie kaum vorher gesehen hat.
Es verlohnt sich, in kurzen Zügen einen Rückblick auf die Geschichte, auf die Entwicklung dieser Stadt der Paläste zu thun.
Als gegen Ende des Jahres 1889 der Plan angeregt wurde, alle Nationen der Erde zur Theilnahme an der Feier der vierhundertjährigen Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus einzuladen, und in weiterer Ausführung dieses Planes die Veranstaltung einer Weltausstellung beschlossen wurde, welche ganz besonders die Fortschritte der Kultur seit der Entdeckung der Neuen Welt vor Augen führen solle, da traten als Bewerberinnen um die Ehre, Sitz der Kolumbischen Weltausstellung zu sein, drei Städte auf: das königliche New-York, Washington, die politische Hauptstadt der Vereinigten Staaten, und – das junge Chicago. Daß sich das letztgenannte, kaum einige Jahrzehnte alte Gemeinwesen vermaß, mit New-York und Washington in ernsthaften Wettbewerb zu treten, rief allgemeines Kopfschütteln, ja stellenweise sogar Spott und Hohn hervor, und nicht gering war darum die Verblüffung, als nach langem Ringen die Sache vor dem Kongreß der Union zur Entscheidung gebracht wurde und – das junge Chicago den so heiß umstrittenen Preis erhielt.
Die Frage, ob Chicago befähigt sei, die nun übernommene riesengroße Aufgabe auch wirklich zu lösen, ist gar oft aufs ernsthafteste erörtert worden. Wenn man aber heute, nach erfolgter Eröffnung der Weltausstellung, durch die Straßen der sogenannten „White City“ geht und staunend den Blick über das Geschaffene hinweggleiten läßt, so muß sich auch der eingefleischteste Gegner Chicagos zu dem unumwundenen Geständniß bequemen, daß die junge Weltstadt voll und ganz ihre Pflicht gethan hat.
Einen glänzenderen Beweis für die Thatkraft, die Leistungsfähigkeit und den Opfermuth seiner Bürger hätte Chicago niemals erbringen können, und ganz besonders derjenige wird sich verdutzt die Augen reiben, der da zugegen war, als am 1. März des Jahres 1891 der erste Spatenstich in dem Sumpfe gethan wurde, an dessen Stelle sich heute die „Weiße Stadt“ in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit erhebt. Ungezählte Tausende mußten hergegeben werden, bevor aus einem Labyrinth von stehenden Pfuhlen und Tümpeln jene blanken Seen, Lagunen und Wasserstraßen gewonnen wurden, die zu den mächtigen Gebäuden den wirkungsvollsten Gegensatz bilden und unstreitig dem Kolumbischen Weltausstellungsplatz zum eigenartigsten Schmuck gereichen.
Und welche Unsummen verschlang erst der Aufbau der „Weißen Stadt“ selbst!
Schwerlich sind jemals so riesige Werthe auf einem derartig begrenzten Raum zusammengehäuft worden wie hier, und wir müssen Zahlen zu Hilfe nehmen, um klar zu machen, wie die „Worlds Columbian Exposition“ selbst die Weltausstellung in Paris vom Jahre 1889 weitaus übertrifft, die doch alles bisher in dieser Richtung Dagewesene in Schatten stellte. Nahm jene mit ihren Ausstellungsgebäuden und Anlagen ein Areal von 173 Ackern ein (1 Acker etwa = 40½ a), so bedecken Jackson Park und die mit ihm zusammenhängende Midway Plaisan[c]e, die beiden für die Kolumbische Weltausstellung gewählten Anlagen, einen Raum von rund 600 Ackern, von welchem die Gebäude allein 200 beanspruchen. Wurden für die Herstellung der Gebäude und für sonstige Zwecke der Ausstellung in Paris 6 Millionen Dollar verausgabt, so belief sich die Höhe der von den Ausstellungsbehörden für die Kolumbische Weltausstellung aufgewendeten Gelder auf über 20 Millionen Dollar. Von jenen 20 Millionen steuerten die Bürger Chicagos allein 11 Millionen bei und außerdem stellten sie dem Direktorium noch weitere 5 Millionen leihweise zur Verfügung.
Zu diesen von der Ausstellungsbehörde verausgabten 20 Millionen kommen noch weitere 12 Millionen, die zur einen Hälfte von den einzelnen Staaten und Territorien der Union, zur anderen von den ausländischen Regierungen hergegeben wurden, um neben ihren eigenen Interessen den allgemeinen Erfolg der Ausstellung sichern zu helfen.
An einzelnen Bauwerken umfaßt die Ausstellung deren gegen 400, von welchen einige wahrhaft riesige Maße besitzen. So z. B. bedeckt der Palast für Industrie und freie Künste allein den ansehnlichen Raum von 1
328 000 Qu[a]dratfuß (= 123 420 qm), während die Maschinenhalle 72 490, der Landwirthschaftspalast 53 160 und das Gebäude, in welchem das Transportwesen veranschaulicht wird, 56 320 Quadratmeter beanspruchen.Daß dies alles in dem kurzen Zeitraum von nur zwei Jahren geschaffen wurde, gereicht Chicago zur hohen Ehre, und um so höher muß man das Erreichte anschlagen, wenn man bedenkt, daß die Ungunst der Witterung große Schwierigkeiten in den Weg warf. War es doch namentlich der letzte, äußerst lange anhaltende Winter, der mit seiner ungewöhnlichen Strenge wochenlang fast alle Arbeiten unmöglich machte! Die Versäumnisse, die hierdurch entstanden, mußten eingeholt werden, und so sah man in den letzten Tagen vor der Eröffnung eine Armee von mehr als 16
000 Mann und 3000 Pferden mit unzähligen Dampfmaschinen, Winden, Krahnen, Wagen etc. in fieberhaftester Arbeit, um alles bis zum Festtage, dem 1. Mai, fertigzustellen. Ist das auch nicht ganz vollständig gelungen, so grenzt doch das, was in jenen Tagen auf dem Weltausstellungsplatze geleistet wurde, ans Fabelhafte, und sicher wird gar manchem Besucher dies Bild ungeheuerster Thätigkeit zum mindesten ebenso interessant erschienen sein als später die fertige Ausstellung selber.So kühn und groß geplant, wie diese es war, so gestalteten sich auch die Festlichkeiten, welche gelegentlich ihrer Eröffnung gefeiert wurden.
Diese Festlichkeiten nahmen ihren Anfang mit einer am 27. April in der Mündung des Hudson abgehaltenen Flottenschau, zu welcher fast alle civilisierten Nationen der Alten und Neuen Welt ihre auserlesensten Schlachtschiffe entsendet hatten. Die Schiffe versammelten sich in der mächtigen Chesapeake Bai, um am 26. April in langer Doppelprozession ihren Einzug in die herrliche Bai von New-York zu halten. Von dem scharfen Licht der Morgensonne umflossen, glitten 35 zumeist schwergepanzerte Kriegsfahrzeuge mit einer Besatzung von zusammen über 10[417] eine niederländische Korvette und die zwei ihrer schönen Formen halber vielbewunderten Kreuzer Deutschlands, welche die „Gartenlaube“ bereits früher (Nr. 14) abgebildet hat. Die Steuerbordseite wurde von britischen, russischen, französischen, italienischen, spanischen und brasilianischen Kriegsschiffen eingenommen, an welche sich unzählige Personendampfer und Jachten anschlossen, so daß das Gesamtschauspiel überaus bunt und lebhaft war.
000 Mann vor den Augen der von weit und breit herbeigeströmten Zuschauer vorüber. Auf der Backbord-, also der linken Seite des Doppelzuges bewegten sich zunächst zwölf schneeweiß angestrichene Panzerschiffe der Union dahin, ihnen folgten ein argentinischer Kreuzer,In derselben Ordnung, in welcher die Fahrzeuge gekommen, warfen sie im Hudson Anker und bildeten eine mehrere englische Meilen lange Gasse, an deren Spitze drei kleine merkwürdig geformte Schiffchen, Nachbildungen der Karavellen des Kolumbus, den Ehrenplatz einnahmen. Diese nach alten Vorlagen in Spanien gezimmerten Karavellen hatten unter Beistand eines spanischen Kriegsschiffes gleichfalls die Fahrt über den Ocean gemacht und waren nach ihrer Ankunft in Havanna nach dem allgemeinen Sammelplatz geschleppt worden, wo sie durch ihre absonderliche, malerische Bauart und ihren krassen Gegensatz zu den gewaltigen Meerungeheuern der Neuzeit allgemeine Aufmerksamkeit erregten.
Am 27. April, kurz nach Mittag, begab sich Grover Cleveland, der Präsident der Vereinigten Staaten, umgeben von glänzendem Gefolge, an Bord einer reichgeschmückten Jacht, um die Revue der mächtigen, im Schmuck unzähliger Flaggen und Wimpel prangenden Flotte abzunehmen. Welch ein Schauspiel! Im Nu bevölkerten sich die Rahen und Masten der Fahrzeuge mit Tausenden von Matrosen, die Seesoldaten traten unter die Waffen, die Kapellen spielten die Nationalhymnen, während der Donner der Salutschüsse die Häuser der Millionenstadt auf Manhattan Island erbeben machte.
An diese Flottenschau reihten sich zahlreiche andere rauschende Festlichkeiten, welche während der letzten Woche des Aprils 1893 die Bewohner von New-York in Aufregung erhielten. Einen besonderen Reiz gewannen alle diese zu Ehren des großen Entdeckers Christoph Kolumbus getroffenen Veranstaltungen dadurch, daß denselben einer seiner Nachkommen, der spanische Herzog von Veragua, als Ehrengast der amerikanischen Nation beiwohnte.
Wenn auch die Feierlichkeiten, welche sich an die am 1. Mai zu Chicago erfolgte Eröffnung der Weltausstellung knüpften, ein einfacheres Gewand trugen, so waren sie nichtsdestoweniger von großartigem Eindruck. Sie spielten sich in der Hauptsache auf dem Weltausstellungsplatze selbst, und zwar auf dem sogenannten „Ehrenhofe“, ab, einem Festraum, der uns in die Blüthezeit der alten Roma versetzt.
Denke sich der Leser eine gewaltige, von schneeweißen Marmorwänden umschlossene und von Wasservögeln und buntfarbigen Gondeln durchfurchte Lagune, in deren Wellen sich ragende Paläste spiegeln: rechts der 514 Meter lange und 240 Meter breite Palast für Industrie, links die nicht minder großartige Halle für die Erzeugnisse des Ackerbaus. Die Ostseite des Schauplatzes ist von einer mächtigen, in korinthischem Stil gehaltenen Kolonnade begrenzt, deren 48 Säulen die 44 Staaten und 4 Territorien der Union darstellen. Im westlichen Hintergrund erhebt sich hingegen zwischen der Elektricitäts- und der Minenbauhalle einerseits und der Maschinenhalle andererseits das entzückend schöne Verwaltungsgebäude mit seiner goldschimmernden Riesenkuppel. Und wo nur das Auge hinblickt, begegnet es einem schier überschwenglichen Reichthum von Skulpturwerken aller Art. Dort schwingen sich zierliche Brücken über die blaue Lagune, da ragen mit Schiffsschnäbeln besetzte Säulen in die Lüfte. Daneben sehen wir kolossale Vasen, in denen riesenhafte Blattgewächse und Agaven prangen, oder wir bewundern naturalistisch behandelte Thierfiguren, wie Bären, Büffel, Elche, Jaguare.
Das meiste Aufsehen erregt aber eine von phantastischen Tritonen und Wasserrossen gezogene und von acht schönen Jungfrauen geruderte Karavelle, auf deren hohem Deck die Göttin der Freiheit triumphierend thront. Diesem Bildwerk gegenüber, am östlichen Ende der Lagune, ragt eine Kolossalstatue der Republik empor. Noch verbargen sich die Formen dieser hohen Gestalt hinter flatternden Leinwandstreifen, aber die Stunde der Enthüllung war nahe.
Schon füllte sich der Festplatz. Von Nord und Süd, von Ost und West strömten in unendlichen Zügen Tausende von Menschen herbei, aus den Tausenden wurden Hunderttausende.
Auch die vor dem Verwaltungsgebäude errichtete Tribüne begann sich mit Menschen zu beleben. Es erschienen die Herren der Ausstellungsbehörden, die Leiter der verschiedenen Departements, die Abgeordneten der hier tagenden Weltkongresse, die Vertreterinnen der Frauenabtheilung, Mitglieder des amerikanischen Senats und des Kongresses, die Gouverneure der einzelnen Staaten und Territorien, die Angehörigen des diplomatischen Corps, die Kommissare der ausländischen Regierungen. Welch erlesene Versammlung, welch glänzende Uniformen! Hier die goldfunkelnden Staatsröcke der Vertreter fast sämtlicher europäischen Reiche, daneben die absonderlichen Galagewänder von Abgesandten aus dem Reich der Mitte, aus Japan, Korea, von den Polynesischen Inseln, aus Südamerika, aus Australien und weiß der Himmel wo her. Auch eine Anzahl Indianer erschien in vollem Kriegsschmuck unter der Menge.
Noch haftete das Auge an all dem vielfarbigen Schmuck, an [418] dem Mosaik der Völker- und Menschenrassen, die da alle gekommen waren, um dem großen Feste beizuwohnen. Da plötzlich brach brausender Jubel aus der unübersehbaren Menschenmasse – Grover Cleveland, der Präsident der Vereinigten Staaten, war erschienen. Von seinen Ministern umgeben und begleitet von dem die Uniform eines spanischen Admirals tragenden Herzog von Veragua, stieg er gemessenen Schrittes die Tribüne hinab bis zu dem Halbkreis, in dessen Mitte ein mit der amerikanischen Flagge bedeckter Tisch stand; auf dessen Oberfläche war jener elektrische Knopf angebracht, durch dessen Berührung die Inbetriebsetzung der Ausstellung erfolgen sollte.
Eine Hymne, ein Gebet und eine Deklamation eröffneten die Feierlichkeit, dann hielt der Generaldirektor der Ausstellung, Georg R. Davis, mit weithin schallender Stimme eine Ansprache, in welcher er das Werden und Wachsen des ganzen Unternehmens zeichnete bis zu diesem Augenblick, wo es dem Präsidenten der Union überlassen sei, die Ausstellung zu eröffnen. Cleveland erwiderte mit wenigen Worten und sagte zum Schluß seiner Rede: „So laßt uns denn die Bedeutung, welche dieser Feier zu Grunde liegt, ganz erkennen und den Eindruck derselben nicht verlieren! Wie durch einen Fingerdruck die Maschinerie dieser Ausstellung in Thätigkeit gesetzt wird, so mögen in demselben Augenblick unsere Hoffnungen und Erwartungen diejenigen Mächte wachrufen, welche die Wohlfahrt, die Würde und die Freiheit der Menschheit beeinflussen.“
Mit leichter Hand berührte der Präsident nunmehr den elektrischen Knopf, und in demselben Augenblicke begannen wie durch magische Gewalten getrieben die ungeheuren Maschinen in den Hallen zu arbeiten, stiegen in funkelnden Säulen sprudelnde Springbrunnen empor, donnerten die Kanonen und fiel die Hülle von dem goldschimmernden Standbild der Republik. Zugleich entfalteten sich auf den Zinnen sämtlicher Paläste unzählige Flaggen und Wimpel; dichte Scharen weißer Möven, die man sorgfältig gefangen gehalten hatte, stiegen in die Lüfte, über der Tribüne aber wehten an gewaltigen Stangen, welche auf ihren Spitzen Nachbildungen der drei Karavellen des Kolumbus trugen, das buntfarbige Banner Kastiliens, die weiße, mit grünem Kreuz belegte Fahne des Kolumbus und eine Riesenflagge der nordamerikanischen Republik.
Die Wirkung dieser urplötzlich erfolgenden Verwandlung war eine geradezu zauberhafte, zumal in demselben Augenblicke die Sonne aus dem düsteren Regengewölk hervorbrach und die weißen Paläste, die goldene Statue der Republik und den goldenen Dom des Verwaltungspalastes mit einer wahren Fluth von Licht übergoß.
Aus Hunderttausenden von Kehlen brach lautes Jubelgeschrei, denn in aller Herzen regte sich die Empfindung, daß dies eben erlebte Schauspiel etwas Gewaltiges bedeute, daß dieser Festtag ein Ereigniß sei, werth, von der Geschichte für alle Zeit festgehalten zu werden.
Das Kellnertrinkgeld.
Es sind schon oft Betrachtungen darüber angestellt worden, daß der Kellner eine unglückliche Mittelstellung in unserem sozialen Gefüge einnehme. Täglich, oft ausschließlich bewegt er sich in einer Welt, von der er gesellschaftlich geschieden ist, zwischen Menschen, denen er auch bei regelmäßiger Berührung meist fremd bleibt; in der Kleidung und mit den äußeren Formen der feinen Gesellschaft, mit der Fähigkeit, die eigene und oft auch mehrere fremde Sprachen ziemlich richtig zu gebrauchen, gehört er doch dem Stande der Lohnarbeiter an oder schwebt vielmehr zwischen diesem und den oberen Klassen in der Mitte. Sein Beruf legt ihm in der Regel den Junggesellenstand auf und selbst der Ehemann wird dem Familienleben entzogen. Seine Tages- und Lebensordnung ist derjenigen anderer Menschen gerade entgegengesetzt; seine Arbeit häuft sich am meisten auf die Stunden und Tage, wo andere sich von des Tages und der Woche Last erholen, seine Erholung beginnt oft erst um Mitternacht, sein Sonntag, wenn er überhaupt einen bewilligt bekommt, fällt mitten in die Woche.
Daß alle diese Einflüsse das Los des Kellners zu einem keineswegs beneidenswerthen gestalten, ist begreiflich, und sie wirken um so schärfer, als es unter den heutigen Verhältnissen den wenigsten mehr möglich ist, mit der Zeit sich selbständig zu machen und zur Würde des Wirths emporzusteigen. Der eigentliche Krebsschaden aber, an dem die Stellung der Kellner unter ihren Mitmenschen leidet, ist das abscheuliche Trinkgelderwesen. Es wirft einen dunklen Schatten auf den ganzen Erwerbszweig, den zu lichten und endlich ganz zu beseitigen eine ernste Aufgabe nicht bloß der Kellner selbst, sondern auch des Publikums bleibt.
Daß anständige Leute, die nicht nur ebenso schwer arbeiten wie andere, sondern härter, im hellen 19. Jahrhundert dazu verurtheilt werden, ihr ganzes Einkommen in geschenkten Fünf- und Zehnpfennigstücken von Dutzenden fremder Leute täglich einzusammeln und bei jedem Metallstückchen ihr „Vergelt’s Gott“ zu sagen, weil angeblich der Wirth so besser seine Rechnung findet, ist ein Ueberrest so krasser Barbarei, daß wir an sein Dasein ohne den täglichen Augenschein nicht glauben würden. In der That lebt der Kellner in der Regel fast ausschließlich vom Trinkgeld. Die 10 oder 20 oder 30 Mark, die er als Monatsgehalt bekommt, werden schon durch die vielen Lohnabzüge, die er sich gefallen lassen muß, oft fast auf Null heruntergebracht; da sind die Abzüge für zerbrochenes Geschirr, für das der Kellner in der Regel aufzukommen hat; da sind die Abgaben, die er für Besoldung des Hilfspersonals zu zahlen, und die weiteren, die er in die Kasse des Wirths für Verabfolgung der Bonbücher zu entrichten hat, deren abzutrennende Blätter (Bons) dem Kellner bei Entnahme der Speisen am Büffett als Zahlung dienen. Was ihm an Gehalt dann wirklich ausbezahlt wird, kann auch nicht annähernd hinreichen, um nur die Ausgaben für Wäsche, Frack und Stiefelsohlen zu bestreiten. Ein Beispiel: ein Berliner Wirth beschäftigt 25 Kellner bei einem Monatsgehalt von je 15 Mark, also auf den Tag 50 Pfennig; von dieser Summe gehen ab: für den Serviettenleger täglich 15 Pfennig, für den Messerputzer täglich 10 Pfennig, für Menagenreinigung täglich 10 Pfennig und für jedes Bonbuch noch einmal 10 Pfennig. Ein anderer großer Berliner Gastwirth zahlt monatlich 10 Mark, hiervon ab: 4 Mark 20 Pfennig für den Hausdiener, 2 Mark 16 Pfennig für die Krankenkasse, 1 Mark 40 Pfennig für den Ersatzkellner, 10 Pfennig für jedes Bonbuch und neuerdings noch einen Beitrag für die Altersversicherung. Und wenn solche Fälle immerhin Ausnahmen sein mögen, so giebt es um so mehr andere, in denen überhaupt kein Lohn gezahlt wird, und jedenfalls kommt die Lohnzahlung seit Jahrzehnten immer mehr aus der Mode. „In Berlin,“ heißt es, „wird es nachgerade Sitte, daß der Kellner beim Antritt einer Stellung nach dem Lohn gar nicht mehr fragt.“ Ja es kommt hie und da das „Pariser System“ in Aufnahme, wonach der Kellner an den Wirth noch einen Pacht abgiebt, wie beispielsweise in Hannover der Inhaber eines Gasthofs und einer Wirthschaft sich von den Trinkgeldern jedes Kellners täglich je eine Mark herauszahlen läßt.
Wer einen Maßstab dafür besitzt, welche Rolle im täglichen Leben des Durchschnittsmenschen der Erwerb spielt, wird hiernach ermessen können, was die Ausdehnung des Trinkgelderwesens bedeutet. Die Trinkgelderstimmung ergreift den ganzen Menschen. Sie steigert den Erwerbstrieb bis zu krankhafter Höhe und schafft den Typus des Trinkgeldjägers. Sie gefährdet die Kameradschaftlichkeit zwischen Kellnern eines und desselben Geschäfts, die – trotz der abgegrenzten „Reviere“ – einander ins Gehege kommen; es ist unter den Kellnern sprichwörtlich: zwei Freunde sollen nicht in demselben Hause Stellung nehmen. Sie erzieht zum Lakaiensinn, reizt aber zugleich das Gefühl der sozialen Ungleichheit. Das Entwürdigende dieses Verhältnisses wird auch in den Kreisen des Wirthschaftspersonals selbst empfunden; der Koch, der schon als „Künstler“ auf den Kellner herabsieht, mißachtet diesen auch deshalb, weil er kein festes Gehalt bezieht; das Küchen- und Kellerpersonal, ja selbst der Hausknecht steht weit eher zum Wirth in einem Vertrauensverhältniß als der Kellner und wird zur Spionage gegen die Kellner mit Einschluß des Oberkellners ausgebeutet. Die Unregelmäßigkeit der Trinkgeldernte macht dem Kellner eine geordnete Wirthschaftsführung fast unmöglich; der mitunter mühelose und reichliche Erwerb verführt zur Verschwendung und namentlich zum Spiel, zumal bei denjenigen Kellnern, die das üble Beispiel täglich vor Auge haben. [419] Und wirkt schließlich das Trinkgeld nicht auch auf den Geber und auf unsere gesellschaftlichen Zustände entsittlichend, indem es den Gast an eine Schroffheit des Kommandierens und an eine rücksichtslose Ueberhebung gewöhnt, die auf keiner andern Berechtigung ruht als auf der des Geldbeutels?
Dem angespanntesten Scharfsinn wird es nicht gelingen, den Grund zu entdecken, warum die pünktliche Bedienung des Besuchers eines Speisehauses nothwendig das Trinkgeldsystem erfordert, die Bedienung der Käufer in einem beliebigen Laden aber nicht. In England und Nordamerika ist in der That im Gastwirthschaftsgewerbe das Trinkgeldwesen im weitesten Umfange unbekannt. Welche Bedeutung für die Volksgesittung müßte es haben, wenn die Beseitigung des Trinkgelds auch in Deutschland gelänge!
Die große Schwierigkeit liegt nur in dem Uebergang vom Alten ins Neue. Aber es regt sich glücklicherweise seit Jahrzehnten eine Bewegung zum Besseren, welche die Ueberwindung dieses Uebergangshindernisses versucht, und zwar will sie zunächst in den Gasthöfen die Trinkgelder abschaffen. Im Gasthof ist die Reform nämlich etwas leichter, weil der Gasthauskellner schon jetzt nicht so ausschließlich auf Trinkgelder angewiesen ist wie der Gastwirthschaftskellner. Die Kellner selbst stehen der Neuerung vielfach noch mit einem begreiflichen Mißtrauen gegenüber, aber die Stimmung scheint sich allmählich zu wenden. Der entscheidende Anstoß muß jedenfalls von den Wirthen selbst ausgehen. Der „Internationale Verein der Gasthofbesitzer“, der die meisten großen deutschen Gasthofbesitzer zu Mitgliedern zählt, hat es unlängst in die Hand genommen, die öffentliche Meinung für einen so folgenreichen Fortschritt zu bearbeiten. Derartige Bestrebungen von Gastwirthsvereinigungen reichen freilich schon weit zurück, mindestens bis ins Jahr 1842; sie haben manches Fiasko erlebt, die unglückselige Einführung der „Service“-Berechnung ist ein trauriges Zeugniß dafür. Aber es giebt boch eine immerhin stattliche Reihe von Gasthöfen, die mit dem Trinkgeldsystem nicht nur gebrochen haben, sondern größtentheils auch mit den erzielten Erfolgen seit Jahren und Jahrzehnten sehr zufrieden sind. Es sind fast ausschließlich die besseren und besten Häuser, die mit solchen Versuchen vorgehen, wie ja überhaupt die großen Reformen überall von einzelnen Großbetrieben zuerst ins Werk gesetzt zu werden pflegen. Der Verfasser einer kürzlich erschienenen kleinen Schrift („Der Kellnerberuf, eine soziale Studie“. Von Dr. K. Oldenberg. Leipzig 1893, Verlag von Duncker und Humblot), an die diese Ausführungen sich anlehnen, hat es sich angelegen sein lassen, eine Reihe von Aeußerungen der betreffenden Besitzer über ihre Erfahrungen zu sammeln. Es zeigt sich dabei, daß das Verfahren der Trinkgeldablösung außerordentlich verschieden sein kann. Am zweckmäßigsten ist wohl dasjenige, welches ein ehemaliger Kellner Hartmann als Direktor des Hospizes der Berliner Stadtmission seit zwei Jahren eingeführt hat; den Gästen wird ein fester Prozentsatz ihrer ganzen Hotelrechnung (5 bis 15%, je nach der Dauer des Aufenthalts etc.) als Trinkgeldvergütung mit der dringenden Bitte angekreidet, keine weiteren Trinkgelder an irgend einen Bediensteten zu zahlen; dafür bekommen Pförtner und Oberkellner, die früher ohne Gehalt angestellt waren, jetzt monatlich je 250 Mark, Kellner statt 20 jetzt 75 und 100 Mark etc., nebst freier Station. Hier waren alle Angestellten sofort mit der Neuerung einverstanden; anderwärts waren sie es zwar zu Anfang nicht, wie im „Habsburger Hof“ zu Innsbruck; aber „nach einigen Wochen schon,“ so berichtet der Besitzer, „zeigte es sich, daß die Gäste dem Personal gegenüber ein ganz anderes Benehmen an den Tag legten; dem ehemals oft so schroffen und demüthigenden Tone hatte die Freundlichkeit Platz gemacht, und das Personal benahm sich wohl nicht mehr so unterwürfig und, wie es oft der Fall war, kriechend, sondern aufmerksam und zuvorkommend, wohl wissend, daß es im eigensten Interesse gelegen ist, wenn das Haus viele Gäste hat.“ Von der Zufriedenheit des Publikums wird auch sonst berichtet, zum Theil in den lebhaftesten Ausdrücken, und einige Wirthe räumen selbst ein, wie gut sie sich dabei stehen. So schreibt der Besitzer eines Hotels in Hannover, der schon seit 1874 die Trinkgelder abgeschafft hat: „Ich habe durch diese Einrichtung einen das ganze Jahr fortlaufenden regelmäßigen Fremdenverkehr, da jeder Fremde, welcher einmal von der Annehmlichkeit profitiert hat, unterwegs auf der Eisenbahn und in seiner Heimath über die Sache spricht und auf diese Weise Propaganda für mich macht.“
Nach den gegenwärtigen Aussichten ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Reformbewegung weitere Kreise zieht. Gerade unter den in ihrem Stande angesehensten und einflußreichsten Wirthen fehlt es ihr nicht an Freunden, und sobald es erst einmal für vornehm gilt, Trinkgelder zu verpönen, hat die Reform gewonnenes Spiel. Unter den Kellnern selbst neigt gerade das jüngere Geschlecht eher dem Gehaltssystem zu, und die Generationen wechseln rasch im Kellnerstande. Der ausschlaggebende Thell wird dann das reisende Publikum sein. Das Publikum soll die Reform dadurch unterstützen, daß es in den Häusern, welche das Trinkgeld abgeschafft haben, auch wirklich keines anbietet und daß es etwaige Unbequemlichkeiten des Uebergangs nachsichtig beurtheilt. Man darf überzeugt sein, daß auf die Dauer der Gast gut dabei fährt, wenn er von Männern bedient wird, die etwas mehr Selbstachtung und Rückgrat haben, als dies bei unseren heutigen Kellnern zumeist der Fall ist. Diese Zeilen wollen nicht zum wenigsten dem Zwecke dienen, für die Sache zu werben. Man mache für die Reform Stimmung; man nehme auch die Gelegenheiten wahr, die Meinung von Kellnern und Wirthen über die Frage zu erfahren. In einzelnen Fällen können auch die Gäste von sich aus vorgehen; Tischgesellschaften oder Vereine, die den Kellnerdienst regelmäßig in Anspruch nehmen, überhaupt Stammgäste können sich mit den Kellnern über eine monatlich zu zahlende Bauschsumme einigen, zunächst versuchsweise. Dergleichen Einrichtungen würden den Uebergang zum reinen Gehaltssystem erleichtern und nahelegen.
Die Beseitigung des Trinkgelds würde für den Kellnerstand einen großen Schritt vorwärts bedeuten. Manches bleibt immer noch zu thun, insbesondere wird sich auch die Gesetzgebung noch mit der Begrenzung des Arbeitstags und der Sonntagsruhe der Kellner demnächst zu beschäftigen haben. Aber ein Anfang wäre immerhin gemacht und ein Mißton aus der Welt geschafft, der dem sinkenden 19. Jahrhundert nicht zur Ehre gereicht. K.
Aus dem Harz.
„Auf den Bergen wohnt die Freiheit,
Auf den Bergen thront das Licht,
Menschenbrust wird leichter droben,
Was sie drückte, fühlt sie nicht.
Hin drum zu den blauen Höhen,
Wo die frischen Lüfte wehen,
Wo in seinem Reich der Aar,
Und der Sterne Pracht so nah!“
Ein gleiches oder ähnliches Gedicht fand ich einstmals als Motto einem längst verschollenen Buche über den Harz von Wilhelm Blumenhagen vorgedruckt, und es gerieth mir in Erinnerung, als ich Lewins Harzbilder betrachtete. Die Zeiten, in denen ich entweder mit dem Ranzen auf dem Rücken die Krone der niedersächsischen Gaue durchstreifte, oder später in bequemerer Weise mich an seinen Schönheiten erfreute, kamen mir ins Gedächtniß, und das Verlangen regte sich, das alles einmal wiederzusehen. Und so geht es wohl jedem, der einmal den Harz besuchte, es ergreift ihn die Sehnsucht, zurückzukehren sich einmal wieder in dieser herrlichen Natur einige vergnügte Tage zu machen oder sich durch längeren Aufenthalt die geschwächte Gesundheit zurückzuerobern. Nahrung für ein fröhliches und Labung für ein krankes Herz bietet ja der Harz wie wenige Landstriche Deutschlands durch seine reine Luft und den würzigen Athem, der aus den Legionen seiner Tannen strömt. Nichts herrlicher als des Harzes Thäler durchwandern, dem Rauschen seiner Wasserfälle lauschen, in seine Wälder hinabtauchen oder seine Berge erklimmen zu dürfen! Alles erschließt sich uns, Berg und Wald und grüne Wiesen, reizend gelegene Ortschaften oder geschichtlich denkwürdige Städte, Gastwirthschaften hart am Rande eines rasch dahineilenden, silberglänzenden Gewässers, versteckte Schluchten mit unheimlichen Abgründen, Waldseen, im tiefsten Grün verborgen, Fichtenstände mit ewigem Schatten, oft nur einen kleinen Ausschnitt lassend, von dem dann der entzückte Blick weit hinausschweift in die Ebene! Freilich ist beim Reisen häufig die Erinnerung soviel werth wie das Reisen selbst, ja oft mehr! Das Lästige, Beschwerliche, das nicht ausbleibt, tritt in den Hintergrund, es haftet nur der Eindruck des Angenehmen, Erquicklichen. –
Die unvermeidliche Figur des Engländers gehört auch noch heute zu der stehenden Staffage jeder berühmten Sehenswürdigkeit. Damals ärgerte uns die Empfindungslosigkeit, der Mangel an jeder Fähigkeit, sich zu begeistern, die Manier, selbst die bedeutsamsten Dinge mit gemüthloser Gleichgültigkeit hinzunehmen. Ich erinnere mich, daß mir gerade auf einer Harzpartie ein Engländer gezeigt wurde, der einem in einen Abgrund Gestürzten, mit dem er tags zuvor erst bekannt geworden war, zugerufen hatte: „Warten Sie unten, bis ich Hilfe geholt habe. Sollte es nicht möglich sein, so leben Sie wohl! Freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben!“ [420]
Auch unser Zeichner ließ es sich nicht nehmen, seinen Harzbildern die typisch sich wiederholende Figur einzufügen. –
Und man gedenkt des Tages, wo man auf des Hexentanzplatzes Höhe ein befreites Juchhe aus der Kehle stieß, froh, daß nun erreicht war, wonach der Blick verlangte, Berge, Wälder, Fluren und Städtchen sich näher heranzuzaubern, diente das Fernglas. Da lag Blankenburg mit seinem herrlichen Schloß, unten präsentierte einer von den „Schwarzen“. Das freilich sah das Auge nicht durch die Vergrößerung. Aber der Braunschweigische Jäger gehörte unzertrennbar zu diesem Fleck Erde, und so läßt ihn auch der Künstler vor unserem Blick aufsteigen, in der alten vertrauten Uniform, die er nun allerdings mit einer neuen vertauscht hat. Er darf so wenig fehlen wie der alte Harzführer mit dem treuherzig biederen Ausdruck in den verwetterten Zügen.
„Ist’s noch weit?“ Wie oft klang dies Wort an das Ohr des Alten.
Und wie oft hat er tröstend erwidert: „Ach, nicht allzuweit, und was Sie schauen werden, ist lohnend.“
Neben ihm steht einer, der griesgrämig die Hausthür hinter sich zugeschlossen und auch hier in Gottes unvergleichlich schöner Natur das Lachen nicht gelernt hat. Er findet’s auch nicht! Nur wenn etwa eine wandernde Gesellschaft, müde und erschöpft, von gießendem Regen überrascht, auf schlüpfrig tiefen Wegen nach Hause strebt, dann geht ein Zug stiller Schadenfreude über das Gesicht des Hypochonders, daß auch andere ein „Leid“ spüren müssen, von dem er behaftet ist oder das er zu besitzen sich einbildet. Er geht auch allem Aufregenden aus dem Wege! Wenn der biedere Harzer an der Roßtrappe die Pistolen abbrennt, um Töne heraufzubeschwören, als stürzten die Felsen mit krachendem Donner zusammen, dann hält er sich die Ohren zu, denkt an seine Nerven und entflieht. –
„Herrlich! herrlich! Unvergleichlich! Und sehen Sie dort die Felsen, die Thäler, die Wiesen! Dieses wunderklare, smaragdne Grün, diese Welt der Fruchtbarkeit und Frische! Und links den Berg und rechts das Schloß!“ so schallt’s aus den Gruppen der Ausflügler.
„Von drüben herüber, von drüben herab,
Dort jenseit des Baches, vom Hügel,
Blickt stattlich ein Schloß auf das Dörfchen im Thal,
Die Fenster wie brennende Spiegel,
Da trieb es der Junker von Falkenstein
In Hüll’ und in Füll’ und in Freude!“
So sang einst Bürger, und der Tourist wiederholt die Verse. Er steht mit den Seinigen auf der Anhöhe hinter dem Wirthshaus wie verzückt. Und nach dem Schauen geht’s hinein. Ein kühler Trunk aus einem Krug wie in alten Zeiten. Wie das mundet! Aber jetzt wieder vorwärts, wieder weiter! „Auf nach Valencia!“ citiert ein anderer, den Hut schwingend, der Jüngste, der voranschreitet und der es ablehnt, von dem Händler Ansichten vom Harz zu kaufen, da er selbst alles viel herrlicher sich eingrub in seine Seele für alle Zeiten zur Erinnerung! –g.
Das Rechte.
(Schluß.)
Es ist vier Wochen nach jenem ersten Besuch, dem der junge Trenk natürlich schon ein Stück sechs ober mehr hat nachfolgen lassen, und ich stehe zufällig am frühen Morgen neben Marianne am offenen Fenster und schaue auf die jetzt ziemlich stille Straße, als sich Pferdegetrappel von fern hören läßt. Die Marianne wird roth und beugt sich ein wenig zum Fenster hinaus, so daß mir die Ahnung kommt, sie wisse, wer so früh an unserem Hause vorbei reite. Kurt von Trenk hat sich nämlich längst ein Reitpferd und Hunde angeschafft – wogegen bei seinem Reichthum ja auch nichts einzuwenden ist – und beglückt uns oft mit seinem Anblick zu Pferde. Und schön sieht er so aus, das ist nicht zu leugnen. Heut’ aber – natürlich ist er der Reiter – als er das Pferd vor dem Fenster parieren will, um der Marianne einen Strauß köstlicher Rosen hereinzureichen, gebärdet sich das Thier so unruhig, daß ihm die Rosen aus der Hand fallen, gerade als Marianne sie fassen will, Das Pferd tritt darauf. Da wird Kurt Trenk ganz bleich, öffnet die Lippen, daß die zusammengebissenen spitzen weißen Zähne hervorblitzen – er sieht aus wie der leibhaftige Teufel – und stößt dem Pferde die Sporen in die Weichen, daß Blut in dicken Tropfen hervortritt, während er zugleich das Thier mit dem Knopf der Reitpeitsche wie besessen bearbeitet. Ich stoße einen Fluch aus vor Entrüstung; da thut die Marianne neben mir einen tiefen Seufzer und fällt um. Gerade als ich sie wieder zum Leben gebracht habe, läutet es, mit dem kurzen herrischen Laut, den wir Drei schon gar zu gut kennen. Da richtet sich die Marianne auf, schlingt ihre Hände um meinen Hals und birgt ihr Gesicht wie ein verängstigtes Kind an dem meinigen. ‚Laß ihn nicht herein, Onkel‘, flüstert sie. ‚Ich will ihn nicht sehen – nie mehr!‘
Na, ich freue mich von Herzen und will das Eisen schmieden, so lange es warm ist. So gehe ich denn, als es kurz hintereinander zum zweiten und dritten Male klingelt, zur Thür – die Betty ist mit dem Dienstmädchen auf einem Marktgang – öffne sie und sage barsch: ‚Marianne ist für Sie nicht zu sprechen, Herr von Trenk, Ihre Brutalität hat sie krank gemacht.‘
Er sieht mich an, verblüfft, erschrocken. ‚Für mich nicht zu sprechen? Krank – Marianne?‘ stammelt er.
Dann schiebt er mich mit einem Ruck zur Seite und stürmt ins Haus. Ich ihm natürlich nach. Aber er hat schon Mariannens Zimmer gefunden und wirft sich vor ihrem Bett auf die Knie und ruft: ‚Marianne – mein Lieb! Mein Lieb!‘ und nimmt ihr Gesicht, das sich ihm erblassend entgegenhält, in beide Hände und bedeckt es mit Küssen. Und ich alter Narr stehe dabei und sehe, wie ihre Wange sich unter seinen Küssen röthet und wie in die Augen wieder die scheue Glückseligkeit kommt, und ich weiß, daß die Partie für uns verloren und Marianne die Beute dieses
[421][422] Mannes geworden ist. Und ich kann nur noch wünschen, daß er’s gnädig mit ihr mache und sie nicht mit seiner Rohheit zermalme, noch mit seiner Liebe ersticke; denn ihr Leben ist zart, und er hält es bedingungslos in seiner Hand. Ich weiß auch, daß wenn ich sie ihm entreißen wollte, ich ihr Leben mit zerrisse; denn Mariannens Herz klammert sich unlösbar fest, wenn es erst an einem andern hängt.
Das weiß auch Betty, und sie giebt ohne Einwand ihre Einwilligung zur Verlobung. Was hätte sie auch dawider reden können? Die ganze Stadt ist voll von dem unglaublichen Glück das Marianne macht; denn Kurt Trenk ist sehr reich, sehr vornehm, sehr schön, sehr begabt – und was das bißchen Rohheit und Liederlichkeit angeht, so nimmt man ja die bei einem so reich begabten jungen Manne nicht schwer, auch soll ja die Ehe den Löwen die Krallen beschneiden – wie wenigstens die sagen, welche die Löwen nicht genau kennen. Aber selbst wenn die Betty anders darüber gedacht hätte, was hätte es ihr geholfen? So biß sie die Zähne zusammen und lächelte mit bleichen Lippen, wenn Marianne den Goldkopf in ihrem Schoß barg und flüsterte: ,Ich bin so glücklich, Mutter! So glücklich!‘ Sie raffte ihre Sparpfennige zusammen und rüstete die Aussteuer, denn schon im November sollte Hochzeit sein; Kurt Trenk brannte darauf, sein Glück zu genießen, die Promotion warf er wie unnützen Ballast über Bord. Was sollte ihm auch groß der Doktortitel? Er wollte mit Mariannen reisen, in Paris und Berlin wohnen, das Leben und die Jugend in vollen Zügen genießen. Unsere besorgten Vorstellungen, daß Mariannens zarte Gesundheit solche Vergnügungshetze nicht lange ertragen werde, brach er mit mehr oder weniger Höflichkeit kurz ab, und je länger desto öfter machte er namentlich gegen Betty eher von der Kürze als von der Höflichkeit Gebrauch. Augenscheinlich war sie ihm im Wege und er hatte eine Abneigung gegen sie, die zum Theil der Eifersucht auf Mariannens unverändert große Liebe zur Mutter entspringen mochte, die aber wohl mehr ein instinktiver Widerwille war gegen Bettys Unschönheit, ihr männliches Wesen. und ihr gerades und unbeugsames Urtheil. Auch fürchtete er wohl ihre unbequeme Einmischung in sein und Mariannens Leben und war nicht gesonnen, die Betty überhaupt um sich zu dulden. Das kam denn auch ganz unverhüllt zu Tage, als Marianne einmal in aller Selbstverständlichkeit von der Einrichtung der Zimmer sprach, welche die Mutter in ihrem künftigen Heim bewohnen solle, und dabei bedauerte, daß sie mich nicht auch mitnehmen könne. Da, ehe wir noch irgend etwas erwidern konnten, sagte Kurt Trenk sehr ruhig: ‚Du bedenkst wohl nicht, Liebchen, daß Deine Mutter sich von ihrem alten Freunde und ihren alten Lebensgewohnheiten nicht wird losreißen wollen.‘
‚Ach,‘ sagt Marianne lächelnd und nimmt der Mutter Hände in die ihrigen und reibt sie, weil sie eiskalt sind, ‚Du weißt nicht, Kurt, daß wir die Inséparables, die Unzertrennlichen, sind und eins ohne das andere gar nicht leben könnten.‘
Da zeigt Kurt Trenk wieder seine grausamen Zähne und erwidert kurz und hart: ‚Das Weib ist vom Manne unzertrennlich, nicht von der Mutter, Marianne.‘
Marianne wird blaß, ihre Blicke fliegen wie geängstigte Vögel von einem zum andern.
‚Aber warum können wir nicht alle Drei – –?‘ beginnt sie und bricht ab, denn Kurt lacht auf und faßt sie, ein wenig derb, unter das Kinn. ‚Du bist ein Kind, Schätzchen,‘ ruft er und küßt sie, und Betty sagt: ‚Dein Bräutigam hat recht, Marianne,‘ steht auf und geht hinaus. Ich folge ihr, denn ich sehe, daß sie sich kaum auf den Füßen hält. Sie geht aber straff und ohne sich umzublicken durch die nächsten Zimmer bis in ihre Schlafstube. Da wirft sie sich in einen Sessel und läßt zum ersten Male in ihrem Leben die Maske der Selbstbeherrschung von Gesicht und Wesen fallen, schlägt die Hände vors Gesicht und wimmert: ,Ich hab’ mein Kind verloren, mein Kind! Einundzwanzig Jahre hab’ ich ihm jeden Athemzug behütet – und jetzt wird’s mir fortgenommen! Ich hab’ mein Kind verloren!‘ So geht das eine Weile fort, und ich lasse sie gewähren, denn womit kann man Verzweiflung trösten? Ich habe, wann immer ich ihr begegnet bin, ihr die einzige Wohlthat gewährt, sie rasen zu lassen, bis sie sich ersättigt hatte. Und Betty hätte nicht sie selbst sein müssen, wenn sie nicht die Haltung und das Schamgefühl vor sich und mir bald wiedergewonnen hätte. Sie ließ die Hände sinken und sah mich an. ‚Das wäre denn nun vorbei, und ich habe mich in das zu finden, was man den Lauf der Natur nennt,‘ sagt sie ruhig. Aber dann preßt sie wieder die Hände zusammen und flüstert: ‚Wenn’s nur das wäre, Doktor! Mein Kind zu verlieren, darein würde ich mich ja finden, wenn auch mein Herz darüber spränge. Aber ist’s denn wirklich der Lauf der Natur, ist’s das Rechte, dies zarte Kind, das ich gehütet und gepflegt habe von seinem ersten Athemzug an, das nichts kennt als Liebe – dies Kind wehrlos diesem Manne zu überliefern, der roh und rücksichtslos ist in seiner Liebe wie in seiner Lieblosigkeit?‘
‚Sie liebt ihn aber,‘ sage ich; denn Besseres habe ich nicht zu erwidern. Und es ist auch das Rechte gewesen; die Betty blickt mich an und senkt dann den Kopf.
‚Ja,‘ erwidert sie, ‚sie liebt ihn. Also muß sie ihm folgen. Ich will’s ihr nicht zu schwer machen. Denn auch sie wird unter der Trennung von mir leiden.‘
Ob sie litt, die Marianne, als sie nun gewahr ward, woran sie bis jetzt gar nicht gedacht hatte: daß sie zu wählen habe zwischen der Mutter und dem Geliebten, ganz und für immer zu wählen! Aus ihrer Unbefangenheit aufgestört, merkte sie sehr wohl, daß ihrem Verlobten ihre Mutter zuwider sei, und sein immer unverhohlener auftretender Widerwille gegen den liebsten Menschen, den sie bis dahin auf Erden gehabt hatte, dessen unendlichen Werth sie ganz genau kannte, verletzte ihre Liebe und ihren Stolz. Und daraus entsprang bald etwas anderes: ein leises Mißtrauen in das Urtheil oder das Herz dessen, der nicht fähig war, den Werth der Mutter zu erkennen, und der sie selbst nicht genug liebte, um ihretwillen auch die Mutter zu lieben. Sie merkte nun auf. Und da fand sie denn auch, was ihr jener Zufall flüchtig enthüllt, was die Liebe aber wieder mit ihren rosigen Schleiern bedeckt hatte: daß ihr Geliebter roh und gewaltthätig war.
Und nun erschrak sie und schmiegte sich gleichsam an die Mutter, in Angst vor der Zukunft, ja in einer gewissen Abneigung gegen Kurt.
Und einmal kommt es beinahe zum Bruch.
Sie hat einen Streit mit ihm gehabt wegen eines rücksichtslosen Scherzes, den er über die Mutter gemacht hat. Sie hat ihn mit der eisigen Würde, die sie dann annehmen kann, zurechtgewiesen und ist trotz seiner Versöhnungsversuche wieder einmal die kleine Prinzessin in der Isolierschicht geblieben, die mit fortweisendem Finger ihr ‚Dableiben!‘ spricht. Er aber – er ist eben der Kurt Trenk – als sie sich weder für Scherz noch Bitten zugänglich zeigt, nimmt er sie in seine Arme und preßt sie an sich und ruft: ‚Liebste, Liebste, ich hab’ Dich ja unmenschlich lieb! Und Du mich auch! Alles andere ist Unsinn! Komm, sei gut! Unmenschlich gern hab’ ich Dich!‘
Und er hält sie fest, daß sie sich nicht rühren kann, und küßt und küßt sie, bis er fühlt, wie ihre Lippen kalt und ihre Glieder schlaff werden und sie nun in tiefer Ohnmacht in seinen Armen liegt.
So zwang er sie – gegen ihren Willen, gegen ihre Vernunft, ihren Stolz, ihre Kindesliebe, ihre Angst und ihren Widerwillen vor einem Theil seines Wesens – zwang und bannte sie an sich, und sie konnte sich nicht rühren, konnte keine Willenskraft und keinen Entschluß finden und wurde darüber zum Erbarmen blaß und elend. So elend, daß es dem Kurt endlich unangenehm auffiel und er eines Abends sagte: ‚Ich werde Dir alten Rothwein schicken, Marianne. Du mußt täglich eine Flasche davon trinken, sonst wird mein Schätzchen alt und häßlich, ehe ich’s noch habe.‘
Er schickte denn auch wirklich den Rothwein und die Marianne nahm ihn, blaß bis in die Lippen vor Kränkung, und stellte ihn in ein Schränkchen, das im Schlafzimmer am Kopfende von ihrem und der Mutter Bett stand; ein altmodisches niedriges Schränkchen, dessen Thür durch einen nach oben vorschnappenden Eisenriegel geschlossen wurde.
Acht Tage darauf sitzen wir alle Vier zusammen im Eßzimmer beim Abendbrot. Es ist indes Mitte Oktober geworden, die Hochzeit soll in vier Wochen stattfinden und Marianne am nächsten Morgen mit Kurt auf vierzehn Tage nach Schlesien zu seinen Eltern fahren. Es ist die erste Trennung von der Mutter; beide Frauen empfinden sie als einen Vorgeschmack der kommenden endgültigen. So sitzen wir alle ziemlich wortkarg da, die beiden Frauen tauchen die Blicke ineinander, Kurt runzelt die Stirn [423] und beißt sich auf die Lippen, und mir altem Kerl ist auch übel zu Muth. Da sehe ich, wie Betty mit der Hand nach dem Herzen fährt und kreideweiß wird, Ich springe auf, nehme sie in die Arme und führe sie halb, halb trage ich sie aufs Sofa; denn ich merke, daß ihr alter Herzkrampf im Anzug ist, der sich immer bei großen Aufregungen einzustellen pflegt. Kurt und Marianne sind auch aufgesprungen, und Kurt, dem die Scene sehr unangenehm ist, sagt: ‚Bring der Mutter doch ein Glas von Deinem Rothwein, Schatz; der wird sie schon wieder herstellen.‘
Ehe ich noch einwenden kann, daß Wein für diesen Fall kein Heilmittel sei, ist Marianne ins Schlafzimmer gelaufen. Aber sie kommt und kommt nicht zurück. Zuerst merken wir über unsern Bemühungen um Betty nicht, wie die Zeit verstreicht; dann aber, als Betty anfängt, sich zu erholen, sagt zuerst sie mit schwacher Stimme: ‚Wo ist Marianne?‘
Kurt will nun zur Thür, sie zu holen; ich aber, der ich Mariannens mädchenhafte Scheu kenne, ihren Bräutigam im Schlafzimmer zu sehen, schiebe ihn mit einem: ‚Erlauben Sie, junger Herr,‘ fort und gehe selbst, nach Mariannen zu sehen.
Wie ich die Thür zum Schlafzimmer öffne, ist es drinnen stockdunkel. Aber ein leiser Laut, wie Stöhnen und zugleich wie Warnung, kommt von dem vermaledeiten alten Schränkchen her. Ich reiße mein Feuerzeug aus der Tasche und stecke Licht an. Die Marianne liegt vor dem Schrank auf dem Gesicht in einer Blutlache. Ich zünde mit zitternden Händen die Kerze an, die auf dem Schränkchen steht, und beuge mich zu ihr; um sie aufzuheben.
‚Kind,‘ stammle ich, ‚Kind, was hast Du?‘
‚Das Auge, Onkel,‘ sagt sie, ‚das Auge!‘
Ich setze mich auf die Erde und hebe vorsichtig ihren Kopf auf meine Knie, Ich stoße einen Schreckenslaut aus – aus dem linken Augapfel quillt Blut.
‚Still, Onkel,‘ flüstert sie, ‚daß die Mutter nicht erschrickt.‘
Und dann mit einem süßen Lächeln: ‚Hab’ ich mich nicht tapfer gehalten, Onkel? Es that sehr weh, aber ich hab’ nicht geschrieen.‘
Die Thränen stürzen mir altem Kerl aus den Augen. Das Herz dreht sich mir um vor Jammer, und zugleich möcht’ ich niederknieen und dem Mädchen den Saum des Kleides küssen. ,Kind!‘ sag’ ich aber nur, ,Kind!‘ Und erst nach einer Weile: ‚Du hast die furchtbare Qual abgehalten und nicht einen Laut von Dir gegeben, um die Mutter nicht zu erschrecken?‘
‚Sie hätte ja den Tod davon haben können, Onkel,‘ erwidert sie einfach.
Ich lasse Marianne nun sanft zur Erde gleiten und hole die andern; denn wir müssen die Kranke, ohne sie viel zu bewegen, zu Bett bringen und vorläufig das Auge, das zusehens schwillt, mit kalten Umschlägen versehen. Den Umfang des Unglücks kann ich augenblicklich noch gar nicht überschauen.
Nun, den Jammer können Sie sich denken, den meine vorsichtig angebrachte Mittheilung erregte. Das heißt, nur der Kurt schrie auf und riß sich verzweifelt die Haare; die Mutter wurde bloß kreideweiß, stand auf und ging straff aufgerichtet uns voran ins Unglückszimmer. So war sie immer, die Betty, und von ihr hat’s die Marianne: in Gefahr und Unglück keinen Laut gegeben, Kopf kühl, das Herz fest gehalten, die Hände geschickt und stark. Nachher, wenn die Gefahr vorbei ist, klappen solche Menschen zusammen.
Wir bringen nun Marianne vorsichtig zu Bett und Betty legt ihr Umschläge aufs Auge, während Kurt zu unserm berühmtesten Augenarzt stürzt, Professor Schleiden kommt denn auch bald, läßt sich die Veranlassung des Unglücks erzählen – Marianne hat sich in der Dunkelheit des Schlafzimmers rasch niedergebückt, um den Rotwein aus dem Schrank zu nehmen; die Thür desselben hat aufgestanden, der Riegel war in die Höhe geschnappt und Marianne hat beim eiligen Bücken das Auge mit voller Wucht daraufgestoßen. Professor Schleiden besieht und betastet sorgfältig den Riegel, untersucht lange das Auge und sagt schließlich in seinem heitersten Tone zu Marianne: ‚Wenn Sie sehr artig sind und völlig regungslos liegen bleiben, mein liebes Fräulein, dann wird sich die Sache schon machen. Morgen komme ich wieder. Aber unbedingte Regungslosigkeit! Namentlich den Kopf dürfen Sie auch nicht um ein Haarbreit aus seiner jetzigen Lage bringen. Nun, wie gesagt, es wird schon werden – Sie tapferes kleines Fräulein!‘
Als Schleiden hinausgeht, folgen wir beiden Männer ihm. Im Hausflur bleiben wir alle stehen. Schleiden winkt mir mit den Augen. Aber Kurt Trenk bricht das Schweigen. Seine Stimme schwingt, als er herauspreßt: ‚Ist das Auge fort, Herr Professor? – Wird sie lebenslang entstellt bleiben?‘
Schleiden steht still und sieht ihn an. ‚Ach, Sie sind der Verlobte des Fräuleins,‘ sagt er langsam, ‚Ob das Ange gerettet werden kann, weiß ich noch nicht; doch hoffe ich es. Jedenfalls haben wir uns auf lange hin in Geduld zu fassen, Der Fall ist schwer, aber bei sorgsamster Pflege und völliger Ruhe des Körpers und Gemüths nicht hoffnungslos – vorausgesetzt, daß an dem Riegel keine Schmutztheilchen gehaftet haben, die eine Eiterung herbeiführen könnten.‘
Er giebt mir dann als seinem Kollegen noch besonderen Bericht, der aber im wesentlichen mit dem an Kurt übereinstimmt, schüttelt uns die Hände und geht. Kurt steht noch immer da, wühlt sich in den Haaren und ruft: ‚Mein Glück! Meine schöne schöne Marianne! Diese wundervollen Augen! – In vier Wochen sollte sie mein sein!‘
Ich sage nichts und schiebe ihn zur Hausthür hinaus; der Haß gegen den Bengel würgt mich an der Kehle.
Drinnen finde ich Betty, wie sie still an Mariannens Bett sitzt und ihr Umschläge aufs Auge legt. Sie leidet nicht, daß ich bei ihnen bleibe – sie wolle allein wachen. Im Nothfall schlafe ja das Dienstmädchen in der Nebenkammer, und zu Häupten von ihrem eigenen Bett hänge der Glockenzug, dessen Leitung unmittelbar in mein Zimmer führe. Ich füge mich endlich, denn ich erkenne das tiefe Bedürfniß der Frauen miteinander allein zu sein. Auch sind sie beide ja so vernünftig, und für ganz unwahrscheinliche Zwischenfälle sind Mädchen und Glocke da. Ich wünsche den Frauen also eine gute Nacht und lege zum Abschied noch meine Hand leicht auf die Mariannens. ‚Du wirst sehr verständig und gehorsam sein, nicht wahr, Kind?‘ sage ich. ‚Bist ja ein gescheites Mädchen, Du mußt unter allen Umständen still liegen bleiben, hörst Du, unter allen Umständen! Eine einzige hastige Bewegung kann Dich viel kosten –‘
‚Ich weiß, Onkel,‘ sagt sie leise, ‚das Auge – und den Bräutigam.‘
Mir fährt ein Schreck durch den Leib über soviel klares Erkennen, aber ich bezwinge mich und brumme nur: ‚Na also!‘
Ich lege mich in meinen Kleidern aufs Bett und horche lange auf jeden Laut, schleiche auch ab und zu an die Thür zu Mariannens Zimmer und lege das Ohr an die Ritze. Aber es ist drinnen alles still, nur einmal höre ich Mariannens Stimme, wie sie mit unbeschreiblicher Innigkeit: ‚Meine liebe Mutter!‘ flüstert.
Endlich muß ich doch eingeschlafen sein, denn ich fahre bei grauendem Morgen in jähem Schreck auf und kann mich zuerst nicht darauf besinnen, was vorgefallen ist, Dann aber fährt mir die Erinnerung in den Kopf und mit ihr die Erkenntniß, daß es die Glocke gewesen ist, die mich geweckt hat, Ich springe nun vom Bett und stürze nach dem Krankenzimmer.
Und ich denke, der Schlag soll mich rühren. Am Boden liegt die Betty, in tiefer Ohnmacht, und vor ihr – vor ihr kniet Marianne und beugt sich über sie und versucht mit aller Anstrengung, die Mutter aufzurichten.
‚Marianne!‘ schrei’ ich, ‚Marianne! Was hast Du gethan?‘ und fasse sie und trage sie in ihr Bett zurück.
‚Sieh’ nach der Mutter, Onkel,‘ sagt sie, ‚sonst stirbt sie mir – und dann hab’ ich keinen Menschen mehr auf der Welt.‘
Nun, die Betty bringe ich schon wieder zum Leben. Es ist wieder der Herzkrampf gewesen, der sie als Rückschlag der ungeheuren Aufregung nochmals jählings überfallen hat. Aber die Marianne, die Marianne! Die Tücher auf ihrem Auge sind blutig.
‚Bring’ die Mutter fort!‘ flüstert sie mir zu, und ich führe Betty in mein Zimmer und befehle ihr mit aller Autorität des Arztes und alten Freundes, zu schlafen, Sie fällt auch wirklich in tiefen Schlaf, Sie hat noch keine Ahnung, womit das Kind ihr heute ihre Mutterliebe bezahlt hat.
Dann sitze ich wieder an Mariannens Bett und kühle ihr Auge und sage: ‚Kind, Kind, was hast Du gethan?‘
‚Die Mutter gerettet, Onkel,‘ sagt sie einfach. ‚Sollte ich [424] denn ruhig liegen bleiben, als sie neben mir wie tot niederfiel? Hätte sie nicht tot bleiben können?’
,Das wohl,’ sag’ ich, ‚aber Du, Kind, Du!’ ‚Ich?’ giebt sie zurück. ‚Kommt denn mein Auge in Betracht, wenn es Mamas Leben gilt? Ich behalte ja noch ein Auge.’ Dann aber, als ich – ich kann’s nicht zurückdrängen – ein kurzes Schluchzen ausstoßen muß, hebt sie ein wenig ihre Hand auf der Bettdecke, als wolle sie nach der meinem greifen. und als ich meine Hand aufs die ihrige lege, drückt sie sie schwach und flüstert: ,Onkel, ich hab' mich besser gemacht, als ich bin. Ich habe – Onkel, ich habe gezaudert! Ich dachte– ich wehrte mich. aber es schoß mir durch den Kopf, tausend Gedanken auf einmal – ich bin eitel, Onkel, ich habe mich meiner Schönheit gefreut, und dann – die Zukunft, das lange lange Leben, so dunkel, so leer – ohne Kurt. Denn ich weiß, daß ich ihn verloren habe. Er wird mir natürlich treu bleiben wollen –’ sie stockte; dann wich alles Blut aus ihren Wangen und sie sagte noch leiser, mit wehem Ton: Mein, Onkel, ich weiß auch das: er wird sich nur zum Schein weigern, mich aufzugeben. Er hat ja nur meine Schönheit geliebt. Ich habe das immer gewußt, habe auch immer gefühlt, daß ich mit ihm unglücklich werden würde – und hab’ doch nicht von ihm lassen können. Auch jetzt noch Die Stimme versagte ihr. Aber nach einer Weile fuhr sie tapfer fort: ,So ist’s denn gut, daß der liebe Gott mir die Entscheidung aus der Hand genommen hat. Denn da der mich nun an den ganz offenbaren, ganz klaren Scheideweg gestellt hat: die Mutter oder Kurt – da hab’ ich doch gar nicht anders könne, ich hab’ die Mutter wählen müssen. Und es ist gut so. Ich werd’s überwinden. Und dann wird mein Leben wieder klar sein. Wir werden immer zusammenbleiben, Mutter und ich – und das ist das wahre Glück auch für mich.’
Sie schwieg. Und ich - nun ich schäme mich dessen nicht, ich weinte wie ein Kind. Dabei hatt’ ich aber doch ein Gefühl, als müßt’ ich Gott danken – schon dafür, daß er solch ein Geschöpf in die Welt gegeben hatte wie die Marianne.
Wäre es möglich gewesen, so würde sich meine Bewunderung für das Mädchen noch gesteigert haben auf dem langen langen Leidensweg, den sie nun zurückzulegen hatte. Denn, liebe Freundin, im Augenblick, wo es alles oder nichts heißt, sich zu einer heroischen That aufschwingen, das ist noch nicht das Schwerste, das erfordert nur ein edel geartetes Gemüth. Aber diese Aufopferung monate-, jahrelang fortsetzen, im unscheinbare Kampf mit tausend kleinen Hindernisse und Leiden, und dabei lächeln, das erfordert mehr, tausendmal Schwereres: unerschütterliche Selbstzucht.
Wochenlang mußte Marianne noch unbeweglich liegen; nachdem das linke Auge unrettbar verloren war, mußte wenigstens das rechte geschützt werben, das in Gefahr war, von der Entzündung, die sich nun einstellte, mitergriffen zu werden. Diese Gefahr wurde dank Mariannes Willenskraft abgewendet. Aber diese körperliche Selbstbeherrschung war doch die geringere der gegenüber, mit welcher sie die Mutter leise, ganz allmählich auf den Verlust des Auges vorbereitete. Doch trotz aller Vorbereitungen traf der Schlag die Betty mit ungeheurer Wucht. Sie konnte und konnte sich nicht darein finden und fügen; sie, die nie geklagt hatte, jammerte Tag und Nacht; sie vergaß, welche Angst sie um das Frauenlos Mariannes gelitten hatte, und es erschien ihr schlimmer als der Tod, daß das Geschick ihrem Kinde Schönheit, Liebe und Zukunft auf immer zerstörte. Da mußte denn die Marianne tapfer lächeln, mußte immer wieder trösten und schelten und versichern, daß das körperliche Leiden gar kein seelisches in ihr habe aufkommen lassen und daß sie nun, da sie so mühelos ihre Liebe überwunden habe, einsehe, es sei gar keine Liebe gewesen, sondern nur eine Art von Bezauberung. Jetzt sei der Bann gelöst, sie fühle sich frei und glücklich und freue sich, daß niemand und nichts sie je von der Mutter trennen werde. Denn es sei nicht ihre eigentliche Bestimmung, zu heirathen; die Liebe jenes Mannes sei zu rauh und gewaltsam für ihre verzärtelte kleine Person und zu heiß für ihr stilles Gemüth gewesen; sie sei ein Mutterkind und eine geborene alte Jungfer.
Und nach und nach glaubte sie selbst, was sie sagte, und Betty glaubte es auch. Da fanden sie beide zuletzt das reinste und friedlichste Glück.“
Der Doktor schwieg. Ich aber unterbrach das Schweigen mit der zaghaften Frage nach Kurt.
Der Doktor lachte geringschätzig auf. „Der?“ sagte er. „Nun, natürlich gebärdete er sich zuerst wie ein Rasender, wollte auch seine Braut um keinen Preis aufgeben, sprach von Mannesehre, von Treue und ähnlichen schönen Dingen. Als ich ihm dann einmal von weitem das Mädchen mit der schwarzen Binde um Auge und Gesicht zeigte, sah ich, daß er blaß wurde und es ihn schüttelte. Er ließ dann nichts mehr von sich hören – direkt, meine ich. Denn das Gerücht von den Gelagen und Abenteuern, in denen er seinen Liebesgram und vielleicht auch seine Selbstverachtung betäubte, drang auch bis zu unsern Ohren. Als Marianne davon vernahm, schmiegte sie sich nur um so enger an die Mutter an, und ich glaube, Betty dankte Gott in ihrem Herzen, daß er ihr Kind vor diesem Manne bewahrt hatte, und gab sich endlich zufrieden über die Art, in der es geschehen war. Zwei Jahre später ist Kurt Trenk mit dem Pferde gestürzt und elend ums Leben gekommen.
In demselben Jahre holten die beiden Frauen das kleine Mädchen zu sich, das Sie neben ihnen gesehen haben. Die Marianne hatte ihr früheres Dienstmädchen, die Liese, in ihrer letzten Krankheit gepflegt und nahm deren Kind zu sich, wobei sie freilich zuerst den Widerstand ihrer Mutter durch Bitten und festen Willen zu besiegen hatte. Die arme Betty war eifersüchtig und fürchtete eine Theilung von Mariannes Liebe. Nun aber hat sie sich längst in die Großmutterrolle eingelebt, und das Kind bringt frische Luft und Zukunftshoffnung in das Leben der einsamen Frauen.“
Wieder schwieg der Sanitätsrath. Ich aber murmelte leise: „Arme Marianne!“
„Arm?“ erwiderte der Doktor fast heftig. „Hat sie nicht ihre Mutter und das Kind? Und ist sie nicht in reinem Frieden mit sich selbst? Giebt es ein besseres Glück?“
„Vielleicht nicht,“ mußte ich zugeben.
Vom feinen prächtigen gesangreichen Distelfink zum plumpen, schmutzig gefiederten, piependen Gesindel der Sperlinge – welch ein Gegensatz!
Da sitzt auf knospenreichen Obstbaumzweigen eine Gesellschaft Haussperlinge in der wärmenden Frühlingssonne. Ihre Strahlen erwecke auch in den Spatzen ein Gefühl des Behagens, aber wie äußert es sich? Nicht in melodiösem Gesang – wie zum Spotte gab die Natur dem lungernden Gaste unserer menschlichen Wohnstätten ein verkümmertes Gezwitscher, einen Mischmasch von Piepen und Gezirp. „Tschell, bell, dill! Zip, zip, schip, dell!“ so hämmert es aus den rauhen Kehlen der dickschnäbeligen Geschöpfe. Der Philister Spatz singt, oder vielmehr, er giebt sich den Anschein, als ob er ein Singvogel wäre. Aber bald macht diese pseudomusikalische Frühlingsanwandlung einer andern Laune Platz, die aus den Charakter unseres Helden ein bedenkliches Licht wirst. Statt mit Piepen beginnen sich seine Kiefer mit Picken zu beschäftigen, und das Opfer sind die Blüthen- und Blattknospen seiner Umgebung; eine um die andere verfällt den unbarmherzigen Beißmuskeln des derben Gesellen. Und es ist nicht einmal Nahrungstrieb, was ihn dazu verführt: es ist ein muthwilliges, unartiges Spiel, der reine Baumfrevel Wie könnte der Kerl sonst die abgebissenen Knospen, kaum daß er sie zwischen den
[425] Kiefern hält, übermüthig zu Boden werfen! Wohl hat man geglaubt, der Sperling suche in solchen Fällen nach Insektenlarven und -eiern, aber genauere Beobachtung hat gelehrt, daß das nur Schein ist, denn keine Spur von Kerf-Resten zeigt sich in dem Mageninhalt der verschwenderischen Knospenvertilger.
Noch sind wir mit der Betrachtung der Gruppe auf dem Obstbaum beschäftigt, da fährt urplötzlich in das Gezweig der Nachbarbäume ein Haufe von Spatzen, die sich mit lautem Gezänk in einem Knäuel herumbalgen und denen sich im Nu auch einige von der Gesellschaft des Obstbaums zugesellen. Mitten in dem Wirrwarr von männlichen Sperlingen bemerken wir ein weibliches Exemplar, das sich seiner Haut verzweifelt wehren muß, denn von allen Seiten wird es gezerrt und gerupft daß die Federn stieben, Das ist – sollte man es denken – das Liebeswerben der Sperlinge! Auch hier erweisen sie sich als derbe, ungeschlachte, rohe Geselle. Plump und täppisch benimmt sich der Spatz vor der blaßgrauen Genossin, die er endlich gefunden, und wie in der Minne, so zeigt das Paar auch bei der Nestbereitung ein ungeschicktes linkisches Wesen. Da schleppen beide Gatten in unbehilflichem Flatterfluge wahllos aufgerafftes Geniste, darunter oft meterlange Strohhalme, nach der Spalte im Dachfirst oder nach dem Mauerloche, das sie sich zur Wohnung auserkoren; [426] unordentlich häufen sie dort die Baustoffe aufeinander und lassen sie obendrein noch liederlich in langen Enden heraushängen. Kaum haben sie dann durch einiges Drehen und Wenden dem Haufen eine flache Mulde gegeben und das Innere mit Garn, Zwirn oder dergleichen aus dem Hauskehricht oder mit Federn, die sie aus andern Nestern gestohlen oder Schwalben abgejagt haben, leidlich ausgestopft, so ist der Bau schon fertig. Hin und wieder wandelt den Sperling wohl die Sucht an, auch seinerseits als Baukünstler zu prahlen; er häuft dann einen unsauberen Klumpen von allerlei Zeug in den Zweigen eines Baumes zusammen. Aber weit häufiger siegt in ihm die Bequemlichkeit und er wird dann einfach zum Räuber an der Schwalbe. Als schlauer Gauner wartet er, bis die fleißige Arbeiterin das Gemäuer der Nestwand bis auf eine Oeffnung vollendet hat, die seinem beleibteren Körper noch hinlänglich Raum zum Einschlüpfen bietet, setzt sich ins beinahe fertige Nest und lauert hinterlistig, bis die emsige Künstlerin ebenfalls hereinschlüpfen will. Dann packt er sie mit seinem groben Schnabel und läßt sie eine Weile jämmerlich vor dem Flugloch zappeln, so daß sie den Muth zur Wiederkehr verliert. Der freche Unhold aber freut sich seines Raubes und macht sich breit im fremden Eigenthum.
Bald, oft noch im März, sind aus dem Gemisch des außerordentlich mannigfaltigen Geleges vier bis sechs junge Spätzchen geschlüpft. In der ersten Zeit des Ehelebens und der Familiensorgen nun lenkt auch unser Sperling in die Bahn einer ökonomisch nützlichen Beschäftigung ein. Man sieht ihn jetzt suchen auf den Gartenbäumen und u. a. die schädlichen Räupchen des Frostspanners aus den zusammengerollten Gespinstblättern herausklauben, auch weiterhin seine Jagd auf Kerfen aller Art in Garten, Wiese und Feld ausdehnen. Aber leider dauert dieser lobenswerthe Eifer nicht lange. Sobald die Jungen befiedert sind, wenden sich die Alten anderen Fütterungsmitteln zu, vor allem ihrer Hauptnahrung, den Körnerfrüchten. Bequemlichkeit ist unter allen Umständen die Losung des Haussperlings. Die Federviehhöfe, die Fruchtböden, Mälzereien, die Plätze mit dem Abfall der Metzgereien, das alles sind Erntefelder, deren Plünderung unser Lumpaci-Vagabundus der mühsamen Kerfjagd bei weitem vorzieht. Dieser Hang zur Bequemlichkeit im Aufsuchen der Nahrung für die Jungen macht sich bei der zweiten Brut Ende Mai in verstärktem Maße geltend, und gar bei der dritten vermag die genaueste Untersuchung der Mägen alter Sperlinge nur äußerst wenig Kerf-Reste zu entdecken.
Daß der Spatz eine lange Pflege seiner Sprößlinge nicht liebt, versteht sich nach dem Gesagten von selbst: auch sie wird ihm auf die Dauer zu unbequem. Die jungen Spätzchen dagegen zeigen ebenso natürlich als die getreuen Erben des elterlichen Geistes das Bestreben, den behaglichen Zustand des langen Verbleibens im Neste möglichst lange auszudehnen. Da kann man denn die pfiffigsten Anschläge der Alten beobachten, die ihre Nachkommenschaft um jeden Preis zum Verlassen der heimischen Niststätte bewegen möchten. Sie lassen die Brut eine Zeit lang darben, nähern sich dann mit den ausgesuchtesten Leckerbissen, die Freßgier der Nestlinge aufs äußerste zu reizen, flattern hierauf unter langgezogenen Locktönen in die nächste Umgebung, um hier das Locken noch eifriger fortzusetzen und wiederholt das verführerische Futter anzubieten. Endlich treibt der Hunger die Sippschaft aus den Löchern, und siehe da, das junge Volk vermag bereits den nächsten Baum, das nächste Dach flatternd zu erreichen. Will aber der beschriebene Kunstgriff allzu lang nicht wirken, so brauchen die Herren Eltern, wie von uns mehrfach beobachtet worden ist, einfach Gewalt. Sie packen ein Junges um das andere und zerren es aus dem Neste.
Da sitzt nun die hoffnungsvolle Schar im Spatzenschlaraffenland! Mit unheimlicher Geschwindigkeit wächst sie heran und vermag bald den Alten überall hin zu folgen. Die Schule der Erfahrung beginnt, eine wahre Gaunerabrichtung, und bald haben die gelehrigen Sprößlinge alle Schliche und Kniffe der Eltern los. Es geht hinaus auf die Straßen, in die Höfe und Gärten, vom Futter des Federviehs werden die Zehnten erhoben, die Abfälle der Küchen durchwühlt, die Beete der Hausgärten ihrer Sämereien beraubt, die Erbsenrabatten geplündert. Wenn die Kirschen reifen, ist unser Spatz gewiß mit seiner gesamten Sippschaft der erste auf dem Platze, um Auslese zu halten. Und so geht’s fort, die ganze liebe Sommers- und Herbstzeit von einem Obstsegen zum andern, und regelmäßig genießen die edelsten Sorten seine besondere Bevorzugung. Mit seinem harten Kegelschnabel pickt er die Frucht an, schluckt lüstern den herausfließenden Saft, um dann auch das Mark auszuhöhlen. In Flügen bis zu vielen Hunderten sammeln sich die Familien, deren junge Glieder indessen zu vollkommenen Ebenbildern der Eltern ausgewachsen sind, und fallen plündernd in die Fruchtfelder in der Nähe der Ortschaften. An dem noch nicht reifen Weizen wird angefangen. Unter dem Gewicht der aufsitzenden Vögel knicken die Halme zur Erde, die Aehren werden auseinandergezerrt, und oft fällt ein Viertel des Ertrags den wiederholten Raubzügen zur Beute. Was helfen da die abgestellten Wächter mit Flinten und Klappern. Höchstens wenn ein paar Kameraden, von Schroten getroffen, zu Boden gestürzt sind, verläßt das Gelichter die gefährliche Gegend, um einen anderen, unbewachten Acker heimzusuchen. Bloße Vogelscheuchen aber in Form von ausgestopften menschlichen Figuren erkennt der pfiffige Spatz sofort als ungefährliche Popanze, unbeirrt haust er rings um sie herum und hält dann wie zum Hohn auf dem ausgestreckten Arme des Schreckbildes Siesta. Wie dem Weizen, so spielt er auch dem Hafer, dem Hanf, der Hirse und dem Mohn mit.
Jetzt reift die Traube – und damit ist der Höhepunkt im Genußleben des Sperlings gekommen. Wie macht er sich's bequem im schattigen Versteck des Spaliers. Und ist es auch vom schützenden Netze überspannt, immer weiß er ein Loch, einen Eingang zu finden, um hinter die Maschen zu schlüpfen und da drinnen zu schlemmen und zu prassen bis er keucht vor Uebersättigung. Draußen aber in den Weingärten hausen seine Genossen in dichten Schwärmen, und auch hier vermögen die menschlichen Gegenmaßregeln sie nicht ganz und dauernd zu verscheuchen.
Selbst im Winter weiß der mit allen Einrichtungen menschlicher Betriebsamkeit Vertraute Rath. Jetzt ersieht er sich die Scheunen und Fruchtböden zum Tummel- und Futterplatz, dringt in die Vorrathskammern, geht an das Fleisch der Metzgerläden, an das vor den Küchenfenstern ausgehängte gerupfte Geflügel – und ist bei aller Frechheit doch so mißtrauisch und vorsichtig, wie nur der geriebenste Schlingel es fertig bringt. Tritt wirklich einmal in einem langen und strengen Winter Mangel und Noth auch an ihn heran, so bietet das menschliche Mitleid ihm, all seiner sommerlichen Spitzbübereien vergessend, die milde Hand und schafft ihm künstliche Futterplätze. Und nirgends tritt die gewaltthätige herrische Natur des Sperlings greller zu Tage als hier: mit bissigen Schnabelhieben verjagt er die anderen hungernden Vögel, so daß es dem Menschen oft schwer wird, den freundlichen Sängern des Lenzes ihren Antheil zukommen zu lassen. – –
Des Haussperlings naher Verwandter, der Feld- oder Ringelsperling, ist zwar im Aeußeren jenem ähnlich, aber kleiner und niedlicher von Gestalt. Die Färbung entspricht im allgemeinen der charakteristischen Spatzenfarbe, nur ist sie entschieden röthlicher und lebhafter als die des Haussperlings und der schwarze Kehlfleck kleiner und zierlicher. Die Seiten des Halses sind von einem weißen Halbring umgeben, woher der Name „Ringelspatz“ rührt, und auf den Flügeln erscheinen zwei Reihen weißer Binden.
Die Untugenden und das täppische plumpe Wesen treten bei dem Feldsperling nicht so schroff auf. Er ist geschmeidiger in Haltung und Bewegung, bescheidener und zurückhaltender in seinem Gebahren, kurz eine etwas verfeinerte Ausgabe seines derben Vetters. Schon mit Rücksicht darauf, daß er vorherrschend Kerbthiere, besonders Blattläuse vertilgt, verdient er mehr Anerkennung und Schonung. Er schädigt nicht das Obst und die keimenden Gartenpflanzen; nur seine Brut füttert er zeitweilig mit unreifem milchigen Getreide, und die Weizen- und Hirsefelder sucht auch er nach dem Vorbilde seines Vetters heim. Nichts ist bezeichnender, als daß selbst der stolze Patrizier Hänfling auf seinen Rundflügen im Herbste und Winter den artigeren Feldsperling wenn nicht in seinen Reihen, so doch in seiner Nähe duldet, während er den Tölpel Hausspatz niemals seiner Gemeinschaft würdigt.
[427]
Leibesübungen und Sportkünste.
Hasten und jagen! Das ist die Losung im Zeitalter des Dampfes. Hasten und jagen auf allen Gebieten des Lebens, selbst im Spiel und in der Erholung! Dabei werden die Ziele immer höher gesteckt, und wenn man früher sich damit begnügte, Pferde auf einer Bahn von 1000 bis höchstens 3200 Metern rennen zu lassen, so veranstaltet man heute Dauerritte und legt die rund 600 Kilometer lange Strecke Berlin-Wien in 71 bis 86 Stunden zurück. Der Mensch sucht aber das Pferd im Dauerlauf zu übertreffen. Auch die Radfahrer rasen und lassen die Reiter weit hinter sich zurück. Der Weg von Wien nach Triest ist rund 500 Kilometer lang und führt über ein hohes Gebirge, und doch hat ihn ein Radfahrer vor Jahresfrist in 28 Stunden 45 Sekunden zurückgelegt. Vor wenigen Monaten, Ende Februar, wurde in der Galerie des machines in Paris ein Match von I000 Kilometern veranstaltet und der Sieger durchfuhr diese gewaltige Strecke in 41 Stunden 58 Minnten 523/4 Sekunden, wobei er bei Tag und Nacht fuhr, auf dem Zweirad speiste und sich nur eine Ruhepause von 17 Minuten gönnte. Solche Bravourstücke werden Mode, und jüngst haben wieder auf der Strecke Berlin-Wien Menschen ihre Beine im Dauermarsche versucht. Liebhaber des Außergewöhnlichen konnten als eine neue „Leistung“ in die Jahrbücher des Sports eintragen, daß ein Mensch in 107 Stunden von Berlin nach Wien gegangen ist.
Die Bewohner der Ortschaften, durch welche die fleißigen Fußgänger eilten, haben diese eigenartigen Wanderer theils begeistert, theils mitleidig begrüßt. Das Schauspiel solcher Kraftproben ist in Deutschland noch verhältnißmäßig neu, und viele fragen mit Recht nach dem Zweck und Nutzen solcher Veranstaltungen.
Die Teilnehmer am Distanzmarsche haben gezeigt, wie schnell unter gewissen Umständen ein für den Dauermarsch und Dauerlauf trainierter Mensch die Strecke Berlin-Wien zurücklegen kann. Unser Wissen über die Leistungsfähigkeit des Menschen im Gehen und Laufen wurde dadurch keineswegs erweitert; denn Dauermarsch und Dauerlauf sind recht alte Geschichten. Bei Völkern, die keine Reitthiere kannten, standen diese Künste in besonders hohem Ansehen, da sie allein eine schnelle Beförderung von Nachrichten möglich machten. Darum waren in Peru und Mexiko die Schnellläufer ausgezeichnet organisiert, und ihre Leistungen erregten die größte Bewunderung der Spanier. In der Neuzeit haben Engländer und Amerikaner Gehen und Laufen unter die Sportkünste aufgenommen und eine Reihe tüchtiger Fußgänger und Schnellläufer ausgebildet. Es sei nur daran erinnert, daß von einem gewissen Raby die Strecke von 16090 Metern in 1 Stunde 14 Minuten 45 Sekunden gegangen und von einem anderen Sportliebhaber dieselbe Strecke in 51 Minuten 32 Sekunden gelaufen worden ist, oder daß der berühmte Läufer Fitzgerald in New-York 981 Kilometer in 5 Tagen 20 Stnnden 34 Minnten 10 Sekunden hewältigte. –
Solche Touren haben etwas Ansteckendes und man scheint hier und dort auch in Deutschland an solchen athletischen Spielen Geschmack zu finden, denn man hört aus verschiedenen Städten, daß dort Dauermärsche, wenn auch in kleinerem Stile, veranstaltet wurden. Da entsteht wohl die Frage, ob eine weitere Verbreitung dieser englisch-amerikanischen Kunststücke dem Volke zum Wohle gereicht oder ob die öffentliche Meinung sie, wie dies bei dem letzten Distanzritt der Fall war, als Auswüchse des Sports verurtheilen soll. Es sei uns gestattet, zur Klärung dieser Frage einige Worte zu sagen.
Seit jeher wurden körperliche Uebungen als ein treffliches, ja unentbehrliches Mittel zur Erhaltung der Gesundheit und Stärkung des Leibes empfohlen. In unserer Zeit, wo ein großer Theil der Menschheit in die Enge der Städte gezogen ist, werden sie mit Recht als das einzige Mittel zur Verhütung der zahlreichen Kulturkrankheiten angepriesen. Die beste und zweckmäßigste Leibesübung ist nun zweifelsohne das Turnen; es genügt aber nicht, außerdem kann es nicht immer in frischer Luft geübt werden. Einen Ersatz für das Turnen oder eine Ergänzung dazu bieten bis zu einem gewissen Grade verschiedene athletische Spiele und allerlei leibliche Bethätigungen, die man gemeinhin unter dem Begriff „Sport“ zusammenfaßt. Neben vielen Licht- haben sie aber auch ihre Schattenseiten.
Wird ein Spiel oder eine Leibesübung sportsmäßig betrieben, so tritt dabei der Wettbewerb in den Vordergrund. Naturgemäß suchen die Theilnehmer die beste Leistung hervorzubrlngen und naturgemäß werden die Ziele immer höher gesteckt, denn die fortwährende Uebung nach einer Richtung hin steigert die Leistungfäigkeit. Beim Radfahren kann sie z. B. so groß werden, daß die Muskeln schließlich gar nicht in Frage kommen; bei gut trainierten Fahrkünstlern arbeiten diese mit voller Gleichgültigkeit wie die Kolben einer Dampfmaschine; „die Bewegung der Beine verursachte uns in der letzten Stunde der Fahrt ebenso wenig Mühe wie in der ersten Stunde“, erklärten die Theilnehmer an dem letzten 1000 Kilometer-Match in Paris; worunter sie zu leiden hatten, das war die Ermüdung des Gehirns, obwohl sie sich auch in Schlaflosigkeit geübt hatten.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß mit den gewiß schon erstaunichen Records, die wir im Anfange dieses Artikels erwähnt haben, die Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit noch durchaus nicht erreicht ist. Es wird Menschen geben, die bei richtiger Trainierung noch Größeres erzielen. Diese Erfolge werden aber theuer bezahlt: denn sie sind mit ungeheuren Kraftanstrengungen verbunden, welche auf die Dauer den Körper zu Grunde richten müssen. Das Schlimmste dabei ist, daß die Schäden der Athletik nicht immer unmittelbar auf die Glanzleistungen folgen. Durch Ueheranstrengung werden vor allem die Organe des Blutkreislaufes beeinträchtigt, und es ist in medizinischen Kreisen wohl bekannt, wie oft Krankheiten des Herzens und der Blutgefäße auf derartige Ursachen zurückgeführt werden müssen. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß das Herz früher als die Muskeln altert; schon mit dem vierzigsten Lehensjahr hat es den Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit überschritten.
Athleten werden nicht alt, das ist ein Erfahrungssatz, aus dem der Schluß zu ziehen ist, daß Athletik kein hygieinisches Mittel ist, welches man dem Volke zu seiner Stärkung empfehlen könnte.
Ein zweiter Uebelstand bei diesem körperlichen Sport liegt darin, daß die Grenze, an welcher die Ueberanstrengung beginnt, selbst für Gesunde nicht die gleiche ist und durch die Trainierung verwischt wird. Weniger Geübten werden sich bereits anscheinend geringfügige Leistungen schädlich erweisen. Man beachtet diese Fälle viel zu wenig: im Vordergrund der allgemeinen Aufmerksamkeit bleiben stets die wenigen Sieger, und auch diese werden bald vergessen; um die späteren Schicksale der Besiegten aber, die unterwegs zusammenbrachen, kümmert sich niemand.
Was die Menschen zu solchen Wettläufen, Wettmärschen, Distanzfahrten etc. verlockt, ist die liebe Eitelkeit.
Der Ruhm, aus einem derartigen Wettbewerb als Sieger hervorgegangen zu sein, erscheint vielen so schön, daß sie es nicht unterlassen können, mit um die Palme zu ringen. Diesen Ruhm verleiht aber nicht allein das Preiskomitee, sondern auch und vielleicht mehr noch die öffentliche Meinung. Die Sache bleibt belanglos, so lange einige wenige einem derartigen Sport huldigen; sie wird bedenklich, wenn sie sich auf weitere Kreise erstreckt und Mode wird. Das wird sie aber nur dann, wenn den Siegern in solchen Veranstaltungen von der Allgemeinheit eine zu große Beachtung geschenkt wird. Etwas Mitleid ist hier eher am Platz.
Lassen wir den Engländern und Amerikanern ihre Weltrecords, ihre besten beglaubigten Leistungen im Gehen, Laufen u. dgl. Sie beweisen weiter nichts, als daß eine Anzahl von Menschen eine ungeheure Summe von Zeit, Kraft und Gesundheit verschwendet hat, um ein paar berühmte Athleten hervorzubringen. Was uns noth thut, das ist ein Gegengewicht gegen die Schäden der Kultur, eine vernünftige Uebung des Leibes, welche den gesamten Körper harmonisch ausbildet und stärkt. Zu solcher Uebung sind Gehen und Laufen und auch das Radfahren trefflich zu verwerthen, aher wir hrauchen nicht darin und in ähnlichen Sachen Engländer und Amerikaner nachzuahmen, sondern nur das wieder aufleben zu lassen, was früher in Deutschland Brauch und Sitte war. Da wurden auch vor den Thoren der Städte Wettrennen zu Fuß abgehalten, an denen sogar Frauen theilnahmen, um einen vom Rathe ausgesetzten Preis zu erringen; aber man steckte sich vernünftige Ziele, die Frauen hatten 250 Schritte, die Männer 400 bis 500 Schritte zu laufen. Die meisten dieser volksthümlichen Leibesübungen sind in den Nöthen des Dreißigjährigen Krieges in Vergessenheit gerathen, und es bedürfte nur ihrer Wledererweckung; wir glauben, daß, wenn man sich Mühe geben wollte, manches deutsche Spiel auf deutschem Boden wieder volksthümlich werden würde. Die Grundsätze, nach denen damals Leibesübungen ahgehalten wurden, waren durchaus zutreffend, und wir können noch heute die Straßburger „Institutiones litteratae“ vom Jahre 1587 unterschreiben, in denen es heißt: „Das Ende der Uehung soll aber sein rothe Farbe, tiefes Athemholen, Schwitzen und Ermüdung, doch nicht Ermattung.*
BLÄTTER UND BLÜTHEN.
Der letzte der Druiden. In dem Städtchen Llantrisaint in Wales starb dieser Tage der letzte der Druiden, der Hohe Priester der Sonne, Dr. William Price, der ein Alter von 92 Jahren erreicht hat. Wie Britannien schon nach Cäsars Annahme der Ursitz der Druiden war, die in Gallien sich erst gegen das Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts festsetzten, so hat auch Britannien, und im engeren Sinne Wales, die gebirgige Hauptinsel der alten Kelten, die letzten Reste druidischer Ueberlieferung bewahrt. Die Druiden, Priester, Wahrsager und Sänger ihres Volkes, durften die von ihnen als Geheimlehre verwalteten Kenntnisse in Medizin, Astronomie, Mathematik, Naturkunde, Rechtswissenschaft nicht niederschreiben, mußten sie vielmehr in mündlicher Ueberlieferung durch ein langes, bis an die 20 Jahre währendes Studium auf ihre Schüler und Nachfolger übertragen. Sie wurden zwar schon vom römischen Kaiser Augustus unterdrückt, der ihre Menschenopfer – übrigens wahrscheinlich nur feierliche Hinrichtungen von Verbrechern – untersagte, und der Kaiser Claudius hatte ein strenges Verbot jeder Art druidischen Gottesdienstes erlassen. Trotzdem hat sich die Druidenlehre – sie bekannten sich u. a. zu der Unsterblichkeit der Seele, nahmen eine Art von Seelenwanderung an und glaubten an eine ewige Materie mit gelegentlichen Veränderungen der gegenwärtigen Form durch Feuer und Wasser – eben weil sie auf mündlicher Ueberlieferung beruhte, dort im alten Wales bis in unsere Tage fortgepflanzt als die geheime Wissenschaft einiger Männer, die sich für die Nachfolger der alten Druidenpriester ansahen.
Ein solcher und zugleich der letzte war der Dr. William Price. Die Oberpriester der Druiden hatten eine besondere Ordenskleidung, die hauptsächlich in einem kurzen Untergewande mit eng zusammengehenden Aermeln und einem Mantel, dem „bardocucullus“, bestand; und auch Dr. Price ging als Hoher Priester der Sonne in einer absonderlichen Tracht einher: [428] in grünem Rock, grünen Beinkleidern und rother Weste und mit einer Art von Hut, der aus einem Fuchsfell verfertigt war. Ein Hoher Priester der Sonne durfte er sich nennen, weil die Sonne bei den gottesdienstlichen Verrichtungen der alten Druidenpriester, bei Opfern etc., eine große Rolle spielte: weiß gekleidet und mit Eichenlaub bekränzt, folgte der opfernde Priester in allen seinen Bewegungen dem Laufe der Sonne. In seinem 81. Jahre heirathete Dr. Price seine Wirthschafterin, ein junges Mädchen von 19 Jahren, und aus der Ehe ging auch ein Kind hervor, das aber sehr bald starb. Es wurde von dem Hohen Priester auf einem großen Holzstoß auf freiem Felde unter Absingung alter Druidengesänge verbrannt.
Blut und Gebirgsluft. Wir wissen seit geraumer Zeit, daß die Höhenluft nachdrücklich und in bestimmten Grenzen auch heilsam auf den menschlichen Körper einwirkt. Die Aerzte nennen das Gebirgsklima ein erregendes, aber sie sind nicht imstande, zu erklären, auf welche Weise sich dieser wohlthätige Einfluß geltend macht. Einiges Licht in unsere Kenntniß von den Umwälzungen, die sich im Körper beim Verlassen der Tiefebene vollziehen, wurde neuerdings durch Studien über die sogenannte „Bergkrankheit“, die beim Besteigen hoher Gipfel zu entstehen pflegt, gebracht. Je höher wir steigen, desto dünner wird die Luft. Sie bleibt sich zwar in ihrer Zusammensetzung annähernd gleich, aber dem Gewichte nach ist in einem Liter Bergluft weniger Sauerstoff enthalten als in einem Liter Luft der Tiefebene. Wenn z. B. am Meeresspiegel in 1 Liter Luft 100 Gewichtstheile Sauerstoff enthalten sind, so sinkt die Menge des belebenden Gases bei 1000 m Höhe auf 88,2%, bei 2000 m auf 77,8% und bei 5000 m beinahe auf die Hälfte, nämlich 53,5%. Mit jedem Athemzug führt somit die Lunge in dem Hochgebirge dem Blute weniger Sauerstoff zu als in der Tiefebene. Wie nun Blutuntersuchungen von Leuten, die sich im Hochgebirge aufhielten, gezeigt haben, paßt sich der Körper den neuen Verhältnissen an. Die rothen Blutkörperchen sind es, die sich in der Lunge mit dem Sauerstoff beladen und ihn mit dem Blutkreislauf allen Organen des Körpers zuführen. Beim Aufenthalt im Hochgebirge wächst nun die Zahl der rothen Blutkörperchen im Menschen um viele Millionen; verläßt man aber das Hochgebirge und kehrt in die Tiefebene zurück, so nimmt die Zahl der rothen Blutzellen wieder ab. Denselben Vorgang hat man auch bei den Lamas festgestellt, die auf den Hochplateaus der südamerikanischen Anden leben. Diese eigenartigen Wirkungen sind neuerdings auch in Deutschland schon in Höhen von 600 bis 700 m beobachtet worden und sie beweisen wohl, daß die Heilsamkeit des Aufenthalts im Gebirgsklima nicht allein in der Reinheit der Gebirgsluft und im Bergsteigen zu suchen ist. Der verminderte Luftdruck scheint die Lebensthätigkeit einzelner Zellen besonders zu steigern, und da die Zellen den Kampf gegen unsere Feinde, die Bakterien, zum großen Theile führen, so erweisen sich die Einflüsse der Höhenluft vielleicht gerade aus diesem Grunde so heilsam gegen die wichtigste der bakteriellen Krankheiten, gegen die Lungenschwindsucht. *
Geheimschriften. „Noth und Liebe macht Künstler und Diebe,“ sagt das Sprichwort – Noth und Liebe haben auch die Entstehung einer Kunst verursacht, die heutzutage, dank der sicheren Postverbindung, außer in diplomatischen Kreisen wenig mehr im Schwang ist, die Chiffrierkunst. Ihre ersten Anfänge reichen bis ins Alterthum zurück. Man kam allmählich auf die mannigfaltigsten Ideen, um Schriften für uneingeweihte Augen unlesbar zu machen. Das einfachste war, die Buchstaben durch andere oder durch Zahlen zu ersetzen. Dabei konnte man noch mittels veränderter Gruppierung der Buchstaben für die einzelnen Wörter die Lösung erschweren. Für „Schicket uns“ schrieb man z. B. unter Einsetzung je des folgenden Buchstabens und anderer Trennung der Wörter „TDI KDLFUV OT.“ Merkwürdig in seiner Einfachheit ist das System, nach welchem man das Alphabet in Gruppen von 4, 5 oder mehr Buchstaben ordnet und dann jede Gruppe, innerhalb der Gruppe wieder die einzelnen Buchstaben nummeriert. So wird „Abend“ zu „1 1 2 1 3 2 3 1 2 4“, wenn a g m p = Gruppe 1, a also = 11; wenn b i r d = Gruppe 2, b also = 21 und d = 24; wenn endlich n e v t = Gruppe 3, n also = 31 und e = 32 ist. Ein noch raffinierteres und dabei doch für den Eingeweihten leicht faßliches Verfahren, die Buchstaben durch Zahlen darzustellen finden die Leser im „Gartenlaubekalender“ für 1892 auseinandergesetzt. Auch mechanische Mittel wurden angewandt, ähnlich wie sie noch heute hier und da als Spielerei vorkommen, so z. B. Cartons, die an bestimmten Stellen durchlöchert waren; man legte den Carton aufs Papier, schrieb in die Lücken und füllte den Raum zwischen den so entstandenen Buchstaben oder Worten geschickt aus, so daß nur der Besitzer eines gleichen Cartons durch Auflegen dieses „Schlüssels“ das Kauderwelsch entziffern konnte. Heutzutage könnte man zwei besonders konstruierte Phonographen anwenden und sich die Staniolblättchen zusenden!
Die mechanischen Mittel leiden indessen an dem Uebelstand, daß sie leicht nachgemacht werden können und daß, wenn sie verloren gehen, auch der Adressat nichts mehr herausbringen kann. Eine Methode von größerer Sicherheit ist daher die folgende: man benutzt zwei ganz gleiche Bücher, namentlich Wörterbücher, und bestimmt jedes Wort, indem man sich dessen Seiten-, Zeilen- und Wortzahl in dem betreffenden Buche schreibt. Angenommen, ich will das Wort „groß“ übermitteln und dieses ist in dem Buche das 7. Wort auf Seite 23 in der 12. Zeile, so schreibe ich 7 X 12, 23 oder 7 oder 7, 12, 23; bei Telegrammen, wo die beiden ersteren Arten nicht wohl ausführbar sind und bei der dritten die Kommas leicht vergessen werden, wähle man etwa die Form: 7 XII 23. Gesetzt, es hätte jemand das Prinzip dieser Geheimschrift entdeckt, so weiß er doch noch lange nicht das der Sache zu Grunde liegende Buch, das herauszufinden nur auf Grund eines überaus günstigen Zufalls möglich wäre. Dieses System wurde auf die komplizierteste Weise vervollkommnet und so beinahe unbedingte Sicherheit gegen ein Entziffern erreicht. Aber auch damit war noch nicht allen Ansprüchen Genüge geleistet. Vielleicht wollen sich zwei etwas mittheilen, ohne daß überhaupt äußerlich an dem Schriftstuck etwas auffallen soll, was auf eine Geheimschrift hindeuten könnte. Einer willkürlichen, schrankenlosen Polizeigewalt gegenüber kann unter Umständen ein verdächtig erscheinendes Schriftstück oder Druckwerk, auch wenn sein Inhalt unbekannt bleibt, belastend genug sein, um unangenehme Folgen nach sich zu ziehen. Hier tritt nun die Chemie mit ihren Hilfsmitteln ein. Man kann zahlreiche chemische Substanzen zum Schreiben verwenden, die zunächst farblos sind und erst durch irgend eine Manipulation dunkel oder wenigstens sichtbar werden.
So bräunt sich z. B. durch Erwärmen alles, was mit Citronen- oder Apfelsaft oder mit Zuckerlösung geschrieben ist; mit verdünnter Eisenchloridlösung Geschriebenes wird durch Ueberschütten mit gelbem Blutlaugensalz blau. Das beste Mittel aber ist salzsaures Kobaltoxydul (Cobaltchlorür), ein an sich rosafarbenes, in verdünnter wässeriger Lösung jedoch farbloses Salz. Schreibt man damit auf gelbliches oder noch besser auf rosa gefärbtes Papier, so ist nichts zu sehen. Will man nun nicht ein unbeschriebenes Blatt absenden, was immerhin Verdacht erregen könnte, so schreibt man irgend eine gleichgültige Mittheilung mit gewöhnlicher Tinte und zwischen diese sichtbaren Zeilen mit dieser Lösung die geheime Nachricht. Der Empfänger braucht dann das Blatt nur zu erwärmen, so treten die Buchstaben in schöner blauer Farbe deutlich hervor, um dann – und das ist das besonders Günstige bei diesem Mittel – wieder zu verschwinden, wenn das Papier erkaltet. O. N.
Giftige Gummiwaren. Ein Student Namens Bulowsky hat sich unter Leitung des Professors Erismann am hygieinischen Institut zu Moskau der mühsamen, aber dankenswerthen Arbeit unterzogen, die Giftigkeit der Gummiwaren zu prüfen, mit denen Kinder in dauernde Berührung kommen. Bulowsky untersuchte 36 Gegenstände, Saughütchen, Ringe und verschiedene Spielsachen, die zumeist aus russischen, doch auch aus deutschen und französischen Fabriken stammten. Aus den Ergebnissen der von der medizinischen Fakultät zu Moskau preisgekrönten Arbeit möge einiges den zahlreichen „Interessenten“, d. h. allen Müttern kleinerer Kinder, zur Beherzigung empfohlen sein:
1. Unschädlich sind schwarze Gummisachen, wenn sie auf Wasser schwimmen, sowie alle Gegenstände aus rothem und rotbraunem Gummi.
2. Alle grauen Gummisachen können schädlich werden, zumal wenn sie, wie Saughütchen, längere Zeit Flüssigkeiten, z. B. Milch und Speichel, ausgesetzt werden; sie enthalten mehr oder weniger Zinkoxyd.
3. Sehr gefährlich sind schwarze Gummisachen, die im Wasser untersinken; sie enthalten Blei, das bekanntlich ein äußerst gefährliches Gift ist.
4. Die Farben, mit denen Gummiwaren bemalt sind, enthalten öfter giftige Substanzen.
Praktisch ließen sich daraus folgende Lehren ziehen: man gebe den Kindern nur unbemalte Gummisachen in die Hand oder in den Mund; sie sollen aus rothem (rothbraunem) Gummi oder aus solchem schwarzen Gummi hergestellt sein, der in Wasser schwimmt. Grauer Gummi darf kleinen Kindern nicht gegeben werden. Schwarzer Gummi, der im Wasser untersinkt, ist am besten überhaupt zu entfernen aus einem Hause, in dem kleine Kinder sich befinden. H. E. K.
Kleiner Briefkasten.
Fr. Br. in Dortrecht. Doch, die Abnahme der eingeborenen Bevölkerung in Frankreich ist eine statistisch nachgewiesene Thatsache. Nach Otto Hübners geographisch-statistischen Tabellen, herausgegeben von Profefsor Juraschek (1892. Verlag von Heinr. Keller in Frankfurt a. M.), betrug im Jahre 1890 in Frankreich auf 10000 Einwohner die Zahl der Lebendgeborenen 219. die der Gestorbenen 229, was also eine Abnahme von 1 auf das Tausend oder 1‰ bedeutet. Nur durch die Einwanderung wird der Abmangel ausgeglichen, so daß thatsächlich noch eine geringe Zunahme der Gesamtbevölkerung herauskommt. Für den Zeitraum von 1886 bis 1891 betrug sie im ganzen 0,32%; in Deutschland während desselben Zeitraums 1,07% jährlich.
Th. P. in Basel. Das ist sehr wohl möglich! Ein Schuß aus Geschützen schwersten Kalibers, wie sie insbesondere für die Küstenbefestigung verwendet werden, kostet allemal ein kleines Vermögen. Im Jahre 1890 wurde aus den Kruppschen Werken ein Riesengeschütz nach Kronstadt geliefert, eine 34 cm-Kanone von 235 Tonnen Gesamtgewicht. Die Länge des Rohrs betrug 12,2 m, der größte Durchmesser 2 m. Bei dem in Gegenwart russischer Offiziere zu Meppen abgehaltenen Probeschießen durchschlug das 11/4 m lange. 1800 Pfund schwere Geschoß mit einer aus 700 Pfund Pulver bestehenden Ladung einen 50 cm starken Stahlpanzer und flog dann noch 1200 m weit. Ein einziger solcher Schuß kostet die runde Summe von 5000 bis 6000 Mark.
Inhalt: Schwertlilie. Roman von Sophie Junghans (11. Fortsetzung). S. 409. – Am Stammtisch. Bild. S. 409. – Das Theater während der französischen Revolution. Von F. A. von Winterfeld. S. 414. – Glockenklang. Gedicht von Richard Zoozmann. Mit Bild. S. 415. – Weltausstellungsbriefe aus Chicago. Von Rudolf Cronau. II. S. 416. Mit Abbildungen S. 412, 413, 416 und 417. – Das Kellnertrinkgeld. S. 418. – Aus dem Harz. S. 419. Mit Abbildungen S. 420 und 421. – Das Rechte. Novelle von Adelheid Weber (Schluß). S. 420. – Originalgestalten der heimischen Vogelwelt. Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller. 9. Philister und Plebejer. S. 424. Mit Abbildung S. 425. – Leibesübungen und Sportkünste. S. 427. – Blätter und Blüthen. Der letzte der Druiden. S. 427. – Blut und Gebirgsluft. S. 428. – Geheimschriften. S. 428. – Giftige Gummiwaren. S. 428. – Kleiner Briefkasten. S. 428.
Nicht zu übersehen! Mit der nächsten Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“; wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellung auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
Die Postabonnenten machen wir noch besonders darauf aufmerksam, daß der Abonnementspreis von 1 Mark 60 Pf. bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs bei der Post aufgegeben werden, sich um 10 Pfennig erhöht.
Einzeln gewünschte Nummern der „Gartenlaube“ liefert auf Verlangen gegen Einsendung von 30 Pfennig in Briefmarken direkt franko die Verlagshandlung:
- ↑ Die Künstlerin wurde enthauptet, weil sie einem angeklagten Abgeordneten zur Flucht verholfen hatte. Derselbe hatte sie bei seiner Festnahme verrathen.
- ↑ Vergl. „Gartenlaube“ 1892, Nr. 41