Die Gedanken sind frei
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262.
Die Gedanken sind frei.
Diu bant mac nieman vinden,
diu mîne gedanke binden.
Vridanc 115, 15.
Wer kann sie errathen?
Sie fliegen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schießen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.
Und was mich beglücket,
Doch alles in der Still
Und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
Kann niemand verwehren.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.
Im finsteren Kerker,
So sind es doch nur
Vergebliche Werke;
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei:
Die Gedanken[1] sind frei.
Der Liebe entsagen
Und will mich nicht mehr
Mit Grillen so plagen.
Man kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen
Und denken dabei:
Die Gedanken sind frei.
Mein Mädchen vor allen,
Die thut mir allein
Am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine
Bei meinem Glas Weine,
Mein Mädchen dabei:
Die Gedanken sind frei.
Aus Neukirch bei Schönau. Im Wunderhorn 3, 38–40. sind die 4. ersten Strophen unsers Liedes, aber alle bis auf die erste in abweichender Lesart, zu einem Zweigesange eines Gefangenen mit seiner Geliebten verwendet: wol ein Kunststück der Herausgeber des W., worauf auch die Worte unter der Ueberschrift: „Nach Schweizerliedern“ zu deuten scheinen.
Anmerkung (Wikisource)
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