Die Hühner und der Raubvogel (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Meister Melchior Hondekoeter, zu Utrecht 1636 geboren, war im Jahre 1662 in der schönsten Blüthe seines Alters; dazu war er ein in seinem Genre hochberühmter Maler, dessen Arbeiten sehr theuer bezahlt wurden: endlich besaß Hondekoeter eine sehr schöne Frau von kaum [87] einundzwanzig Jahren. Dennoch war der früher so joviale Künstler tief melancholisch und im Herzen unglücklich. Auf ihn lastete das Mißgeschick, welches ein Sokrates, ein Albrecht Dürer und so viele andere große Männer tragen mußten. Melchior Hondekoeter besaß nämlich eine böse Frau, die mit raffinirter Kunst ihn seines Lebens überdrüssig machen zu wollen schien. Vergebens suchte Hondekoeter die Zerstreuungen, welche später in Ausschweifungen ausarteten, in denen er unterging. Der Gedanke an sein häusliches Elend verfolgte ihn unablässig und verbitterte ihm jede Stunde seines Lebens.
Melchior Hondekoeters einzige Freude war seine Menagerie. Er besaß nämlich eine ganze Sammlung von Pfauen, Hähnen, Hühnern, Gänsen, Enten und Tauben, die seltensten, schönsten Exemplare ihrer Art, welche ihm bei der Vogelmalerei als Modelle dienten.
In diesem Kreise der Malerei war und ist Hondekoeter wahrhaft einzig. Niemand hat so genau als er die Charakteristik des Federviehs studirt und kein Maler war glücklicher, dieselbe aufs frappanteste wiederzugeben. Noch mehr, seine Vögel wußte er, gleich als wären es Menschen auf einem historischen oder Genre-Bilde, in Situationen zu bringen, wo sie „Gemüthsbewegungen“, Zorn, Furcht, Haß, Muth, Liebe, Trauer u. s. w. zeigten. Diese Ausdrücke sind schlagend, ohne daß das Eigenthümliche, welches die Thiere in Natur besitzen, deswegen aufgeopfert oder verkürzt worden wäre.
Indeß Hondekoeter wegen seines ebenso eigenthümlichen als eminenten Talentes von aller Welt gerühmt wurde, machte ihm seine Frau die demüthigendsten Vorwürfe über die niedere Richtung seiner Kunst. Der arme Melchior sollte große Altarbilder, Kreuzigungen und Himmelfahrten malen, namentlich aber seine gefiederte Armee abschaffen.
Hondekoeter, ein zartgebauter, sanftmüthiger Mensch, mit blauen Augen und blonden Locken, seufzte, malte seine Hühnerhöfe und beschäftigte in den Musestunden sich damit, einem prächtigen Hahne von spanischer Abkunft zu der Menge der Kunststücke, welche derselbe bereits ausführen konnte, noch einige neue beizubringen. Fast hatte Hondekoeter selbst die Ueberzeugung, daß er sammt seiner ganzen Kunst ein „unnützer Knecht“ sei, denn die Leute wiederholten, was seine Frau Jedem sagte, der es hören wollte: die Leute, welche ihrem Manne die Bilder so theuer bezahlten, wären närrisch; denn für den fünften Theil dieses weggeworfenen Geldes könne man sich das allerschönste lebendige Federvieh kaufen.
Der Maler ward durch solche Urtheile förmlich niedergeschmettert. Eines Tages aber sollte ihm eine glänzende Revanche werden.
Die Thür seiner Wohnung öffnete sich und herein trat ein corpulenter Herr in englischem Costume, welcher sich als Master Thomas Watts ankündigte.
– Sie sind Mynheer Hondekoeter? fragte er, augenscheinlich entzückt, daß er den blassen Maler vor sich sah.
– Ja! flüsterte dieser leise, sich verstohlen nach seiner Tyrannin umsehend.
– Master Melchior Hondekoeter, es freut mich, Sie zu sehen. Ich bin expreß über den Canal gekommen, um dies Vergnügen zu haben. Sie sind der größte Maler der „Poultry“. Niemand stellt Hähne so gut dar, wie Sie. Das, Master Hondekoeter, sagt Ihnen ein Mann, dessen Lieblingsbeschäftigung die Trainage der Kämpfer für den Cockpit, den Hahnenkampf, Zeit seines Lebens gewesen ist. Ich stelle Sie hoch über Rembrandt, Rubens, Correggio, [88] Angelo und Rafael und das, – Sir – dürfen sie annehmen, denn ich weiß was ich sage!
Hondekoeter stand auf und verbeugte sich zwar verlegen, aber im Innern entzückt. Also eine Anerkennung, eine begeisterte, leidenschaftliche. Melchior fühlte, daß er Künstler sei, obgleich er nur ein Blatt in dem reichen Album der Kunst zu füllen beschäftigt gewesen.
– Und jetzt malen Sie mir Hähne, aber Fechthähne! rief Sir Thomas Watts.
Der Maler gestand, daß er noch im Leben keinen dergleichen Hahn gesehen habe.
– All one! sagte der Engländer. Ein Hahn, gleich Ihrem gewöhnlichen Prachthahne: – blitzendes Auge; schmaler, gekrümmter Schnabel; nicht zu viel Kamm – die Teufel mit dicken Kämmen haben keinen Muth –; breite Brust; sehnige Schenkel; lange Sporen; eine förmlich-renommistische Bewegung beim Gange – endlich Stahlsporen von feinster Qualität, gerade, nicht aufgebogen – der Hieb hat sonst keine Kraft –; abgeschnittene Flügel, damit der Kämpfer hauen kann, und gestutzte Schwanzfedern, der leichtern Rührigkeit wegen! – Ach, Sir! Dieser Hahn! Von Ihnen gemalt? Es wird nichts Aehnliches auf der Erde existiren.
Hondekoeter ließ das Haupt sinken. – Ach, Herr Thomas Watts, murmelte er, Sie verlangen ein verstümmeltes Thier; nie habe ich ein solches gemalt; nie werde ich’s malen können.
Jetzt begann eine lebhafte Verhandlung. Der Maler ließ sich nicht irren, selbst als der Engländer 200 Guinee’s für ein Hahnengefecht bot, noch mehr, als die reizende Katharine Hondekoeter mit Wuth im Blicke ihren Ehemann befehligte, den Auftrag zu dem Gemälde anzunehmen.
– Kommen Sie, Sir; kommen Sie, um mich zu verstehen! rief Hondekoeter entschlossener, als es seine Gewohnheit war. Und dann will ich sehen, ob Sie noch ein verstümmeltes Thier im Bilde zu besitzen wünschen.
– Ein verstümmeltes Thier? rief Watts. Ich wüßte Nichts, was vollkommener als ein Kampfhahn wäre. Die Natur ist in ihm zu ihrer höchstmöglichen Vollendung gebracht.
Hondekoeter zog den Kunstfreund in seinen Hühnerhof. Mit Recht erwartete er, daß Thomas Watts erstaunte. Eine solche Pracht in dieser Hinsicht war dem Insulaner noch nicht vorgekommen.
– Und ich sollte meine Lieblinge anders malen? rief Hondekoeter begeistert.
– Yes! Seltsam in der That! Aber diese Thiere sind schön, sehr schön! Schöner fast, als Kampfhähne!
– Sehen Sie mein Hänschen! fuhr Melchior fort, einen prächtigen Hahn ergreifend und auf die Hand nehmend. Der Hahn ist wenigstens so klug, wie ich selbst bin . . . Keine Uebertreibung, Sir, versichere ich. Dieser Hans nimmt auf mein Commando jede ökonomische Stellung an verharrt regungslos in derselben, so lange ich will.
– Impossible! Und darauf eine Wette wie hoch Sie wollen, Sir.
– Topp! Hans, mach Dich schön! rief der Maler, und der Hahn stand im stolzen Ausschreiten dar, gleich als wäre er aus Erz gegossen.
– Ah; ich werde Ihren Hahn aber scheu machen und erschrecken! rief Mr. Thomas Watts.
[89] – Thut nichts! Er rührt sich nicht. Etwa zehn Minuten betrachtete der Engländer dies Wunder der Zähmung. Dann sagte er:
– Zeichnen Sie mir diesen Hans und die zweihundert Guinee’s sind die Ihrigen. Dies ist neu und beispiellos.
In eben dem Augenblicke aber ward eine herrliche Gluckhenne unruhig, ein wälsches Huhn schrie jämmerlich, die Turteltauben auf dem Gesimse kreischten und „Hänschen“ erzitterte, obwohl er seine unbewegliche Stellung behauptete. Zugleich schoß ein Taubenfalke bis fast dicht vor die Füße der Männer, krallte zwei junge Hähnchen und bemächtigte sich des einen, indeß der Kamerad des Räubers auf eine in der Entfernung weidende Truppe von Küken niederstieß. „Hänschen“ sprang wüthend vorwärts, um den Blutdürstigen zu bekämpfen.
Hondekoeter lehnte sich auf seinen Sitz zurück. Er hatte nie geglaubt, daß sein Genre der Kunst einer solchen Dramatik fähig sei. Der Engländer war tief ergriffen. Als der Raubvogel sich nicht ohne seine Beute entfernt hatte, sagte Watts:
– Das war ein Gefecht! Könnt Ihr’s malen?
– Ja! Das wenigstens wird ein Gemälde! flüsterte Hondekoeter.
– Aber wie theuer? Ich denke 300 Guinee’s! rief der Engländer.
Und er zahlte das Geld sofort aus. Als der Künstler sein berühmtestes Stück geendigt hatte und nach London schrieb, war der reiche Garçon verstorben, und Hondekoeter, der Ehrliche, konnte weder das Gemälde, noch das empfangene Geld wieder an einen Eigenthümer anbringen. Das Bild ward nach Deutschland verkauft, wo es gegenwärtig eines der merkwürdigsten Stücke der Gallerie in Dresden ist.