Die Kaditzer Linde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: O. Z.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Kaditzer Linde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 130
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[130] Deutschlands merkwürdige Bäume. Die Kaditzer Linde. Etwa anderthalb Stunden unterhalb Dresdens liegt auf dem rechten Elbufer das schmucke Dorf Kaditz. Es ist alter Kulturboden, auf dem es steht; noch heute zeigt sich der slavische Ursprung in dem Aeußern der Ortschaft, die Häuser kehren der breiten Hauptgasse die Giebel zu, die theilweise fromme Sprüche aufweisen, und viele Eingangsthüren prangen in buntem Farbenschmuck. Ungefähr in der Mitte des Dorfes liegt die hübsche Kirche; zwischen ihr und dem Pfarrhause, mitten unter grünbewachsenen und steingeschmückten Grabstätten aber erhebt sich die weitberühmte Kaditzer Linde.

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die Kaditzer Linde.

Der staunenswerthe Baumkoloß hat 11 Meter Stammumfang; das Innere des Stammes ist völlig hohl und deshalb sind seit lange Stützen nothwendig geworden. An der einen Seite ist die Rinde herausgebrochen; die Stütze war morsch geworden, die Rinde konnte den starken Ast nicht mehr tragen und wurde mit diesem fortgerissen. Besonders merkwürdig ist nun, daß sich innen ringsum die Rinde neu gebildet hat. An der Bruchstelle hat man vor 15 Jahren ein Gitter angebracht, um den Eintritt in die Höhlung des Stammes zu verhindern. Denn die Dorfbewohner, insbesondere die respektlose Jugend, benutzten den hohlen Raum zu allerhand Unfug. Neuerdings ist noch ein Schloß vorgelegt worden, zu welchem man den Schlüssel in der angrenzenden Pfarrei erhalten kann. Doch bedarf es dessen nicht, da man die Höhlung, welche Platz genug für Tisch und Stühle bietet, von außen bequem überblicken kann.

Das Alter des ehrwürdigen Baumes wird auf 1000 Jahre angegeben; leider fehlt aber jeder historische Anhaltspunkt, und eine Berechnung nach Jahresringen ist bei der jetzigen Stammruine völlig ausgeschlossen. Jedenfalls hat der Baum in der Geschichte des Ortes eine große Rolle gespielt und von jeher die Bedeutung einer geweihten Stätte gehabt. Hierzu stimmt die Anlage der Kirche unmittelbar daneben. Bekanntlich stand in jedem Dorf in Sachsen, schon lange vor Karl dem Großen, eine heilige Linde und vor derselben war das „Weichbild“ (Wicbild, d. h. das Ortsbild oder Ortszeichen) aufgestellt. Die Linde mitten im Dorf bezeichnete den Platz, wo man sich abends versammelte und Angelegenheiten der Gemeinde besprach, hier fanden sich die jungen Leute an den Festtagen zum Tanz. Wie man erzählt, soll die Kaditzer Linde auch als Pranger für klatschsüchtige Weiber und ähnliche Missethäter gedient haben. In der That findet sich in geringer Höhe über dem Erdboden am Stamm ein eingewachsenes Stück Eisen, das als Rest des Halseisens bezeichnet wird. Die böszüngigen Frauen saßen, den Hals im Eisen, an den Stamm gelehnt, während die Kirchenbesucher an ihnen zum Gottesdienst vorübergingen. Doch ist darüber etwas Urkundliches nicht erhalten und wir können uns nur mit dem Wunsche trösten, daß es sich wirklich so verhalten haben möge!

O. Z.