Die Kaiserin von Haiti in Florenz

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Autor: New Monthly Magazine
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Titel: Die Kaiserin von Haiti in Florenz
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr.  169-170; 172 S.  673-674; 678-680; 687-688
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[673]

Die Kaiserin von Haiti in Florenz

[1]

Die Via Cafciajuolo zu Florenz ist eine ungemein enge Straße; und da sie die Piazza Granduca mit der Piazza del Duomo verbindet, so ist sie die vollgedrängteste in der ganzen Stadt. Da sie überdieß noch mit einer Menge von kleinen Kramläden besetzt ist, so wird es beinahe unmöglich, bei einem Bekannten vorüber zu gehen, ohne an ihn anzustoßen; und man könnte schwerlich in der Welt einen Platz finden, der weniger geeignet wäre, einem alten Freund aus dem Wege zu gehen, den das unangenehme Gefühl einer Verbindlichkeit unserer Eigenliebe zuwider gemacht hätte. Diese Straße ging ich eines Tages so schnell hinab, als mir die Volksmenge gestattete; als die plötzliche Annäherung eines schwer mit Holz beladenen Barocchio mich beinahe in ein Ladenfenster hineindrückte und zu gleicher Zeit zwei Damen, die vor mir gegangen waren, mir in die Arme warf. Während ich mich so eng zusammenzog, als möglich, um Raum für sie zu machen, damit wir insgesammt unbeschädigt davon kämen; wurde ich in nicht geringes Erstaunen gesetzt, als eine der Damen, indem sie sich umkehrte, mir, statt eines weißen, ein schwarzes Gesicht zeigte und in sehr elegantem Französisch mir für meine Höflichkeit zu danken anfing. Aber wie viel größer war mein Erstaunen, als ich in der ältern Dame, die sie begleitete, (nicht weniger schwarz) keine geringere Person erkannte, als die Ex-Kaiserin von Haiti, Maria Theresia, die Gemahlin, oder vielmehr die Wittwe von Henri Christophe, „dem Großen“, Kaiser und König von Haiti, Vertheidiger des Glaubens und souveränen Großmeister des St. Henri Ordens. Dieß war gewiß ein merkwürdiges Zusammentreffen, und obwohl ich aus Erfahrung weiß, daß Florenz nach London oder Paris vor allen andern Städten der Platz ist, wo man darauf rechnen kann, Jedermann zu begegnen; und obwohl ich während meines Aufenthaltes darin beinahe alle Souveräne und Ex-Souveräne von Europa gesehen und Leute angetroffen habe, mit denen ich in allen Gegenden der civilisirten Welt Bekanntschaft gemacht hatte, so muß ich doch gestehen, daß ich eben so gut erwartet hätte, den Khan der Bucharei hier zu sehen, als die Exkaiserin von Haiti. Meine Neugierde war auf das höchste gespannt; denn ich hatte Ihre Majestät in glücklicheren Zeiten gekannt, und ihr Anblick unter so sonderbaren Umständen rief mir Gegenden und Personen in das Gedächtniß zurück, die ich längst aus meiner Erinnerung verloren hatte. In diesen Gedanken mich selbst vergessend folgte ich fast unwillkührlich meiner alten Bekannten eine enge Treppe hinauf in ein benachbartes Haus, ohne daran zu denken, daß ich kein Geschäft darin hatte und daher Gefahr lief, zur Thür hinaus geworfen zu werden. Ich fand indessen, daß es ein Ort war, wo Jedermann Zutritt hatte, eine Trattoria vom zweiten Rang, wo ich zu meinem zunehmenden Erstaunen die Kaiserin, die Prinzessin ihre Tochter – denn dieß waren sie wenigstens für mich – und eine café-au-lait-farbige Gesellschaftsdame sich an einem kleinen Tisch niederlassen und drei Portionen Maccaroni fordern sah. Ich nahm Besitz von einem Tische in der Nähe und that dasselbe, um Zeit zu Beobachtungen zu gewinnen, und den Wirth zu fragen, wie er dazu gekommen sey, so berühmte Gäste zu erhalten. Die „Mancia“ von einem Paolo verschaffte mir bald alle Nachrichten, die er zu geben hatte. Sie waren von einem Lohnbedienten, in seinem Interesse, in sein Haus gebracht worden und hatten täglich regelmäßig zur selben Stunde bei ihm gespeist und sehr freigebig bezahlt, was sie gehabt hatten. „Sie sind vornehme Leute, glaube ich, in ihrem Lande, sagte er, obwohl sie nicht von derselben Farbe sind, wie wir. Dieß ist das letzte Mal, daß sie hier speisen, und es thut mir in der That leid, sie zu verlieren, aber sie haben den ersten Stock von dem Marchese Guigni bei der Santa Felicita Kirche genommen.“ Dieß war Alles, was ich zu wissen brauchte; es freute mich, daß sie eine so gute Wahl getroffen hatten, und während der Wirth fortfuhr, sich in den heftigsten Vorwürfen gegen die Edelleute von Italien zu verbreiten, die sich so weit herabließen, Wohnungen zu vermiethen, faßte ich im Stillen den Entschluß, den Damen in ihrer Wohnung meine Aufwartung zu machen. Ich wollte das Unangenehme ihrer Lage, welches bereits hinreichend sichtbar war, durch eine öffentliche Wiedererkennungsscene nicht noch vermehren; auch wußte ich nicht, in wie ferne Ihre Majestät ihr Incognito beizubehalten wünschte; – daher hielt ich es für besser nach Hause zu gehen, und meinen Besuch auf den folgenden Tag zu verschieben.

Ich konnte an nicht Anderes denken, als an mein Abenteuer; der außerordentliche Unterschied der Lage, in welcher ich die dunkelfarbige Dame zuletzt gesehen hatte, von der, in welcher ich sie jetzt sah, drängte sich mit unwiderstehlicher Gewalt meiner Einbildungskraft auf. So gewöhnt wir auch in dem gegenwärtigen Zeitalter an die [674] unbegreiflichsten Wechsel des Glücks seyn müssen; so war doch der Gegensatz von der Kaiserin von Haiti in ihrem Palaste zu Sans-souci, umgeben von einem glänzenden Hofe, umflattert von Schmeichlern (denn Höflinge gleichen sich überall, von welcher Farbe sie auch seyn mögen) und der armen verlassenen Schwarzen, die in einer erbärmlichen Trattoria ihre Maccaroni verzehrte – ein Gegenstand des Gelächters für den Pöbel und der Neugierde für Alle – etwas Erstaunenswürdiges. Es war eine Lehre, von welcher der Weiseste und der Beste hätte lernen können. Ich hatte die Nachrichten von den Staatsveränderungen in Haiti, von der Thronumwälzung und dem Selbstmorde Christophs und der Ermordung seiner ganzen Familie in den öffentlichen Blättern gelesen, und natürlich daraus geschlossen, daß diese Dame mit ihren Kindern umgekommen seyn müsse. Oft dachte ich ihrer mit Bedauern. Ich hatte sie in ihren glänzendsten Augenblicken gesehen, und es wäre mir nicht eingefallen, daß irgend ein Zufall uns wieder in Berührung mit einander bringen könnte; selbst wenn irgend ein Glied der Familie dem allgemeinem Verderben entgangen seyn sollte.

[678] Christoph selbst war ein wunderbarer Mann. Seine Geschichte ist zu allgemein bekannt, um einer Erläuterung und sein Fall zu neu, um einer Wiederholung zu bedürfen. Er war einfach und anständig (gentleman-like) in seinem Aeußeren, etwas zur Corpulenz geneigt, und man hätte das Wohlwollen, das er zeigte, an einem Neger außerordentlich finden können. Ich habe mehrfach die Bemerkung machen gehört, daß er eine sehr starke Aehnlichkeit mit dem verstorbenen König von England, Georg dem III, hatte, natürlich die Farbe und das Negerartige in den Gesichtszügen ausgenommen, und daß er dieß durch seine Kleidung auf jede Weise zu vermehren suchte. Er trug gewöhnlich einen blauen Rock mit rothem Kragen und Aufschlägen, völlig nach dem Schnitt der alten Uniform zu Windsor, einen Stern auf der linken Brust und [679] das Band des St. Henri-Ordens. Er hatte kurzes krausgelocktes Haar, wie alle Schwarzen, aber das seinige war durch das Alter gebleicht, wodurch er ein sehr ehrwürdiges Aussehen erhielt; seine Augen waren die geistreichsten, die ich irgend gesehen habe, und schienen Einen durch und durch zu blicken. Ich erinnere mich einer Anecdote, die damals von ihm erzählt wurde, die als ein Beweis seiner Bonhommie gelten kann, und die gewiß dem best-erzogenen Souverän an dem feinsten europäischen Hofe Ehre machen würde. Er war besonders eingenommen für die Engländer, ich glaube, nicht weniger aus Neigung, als aus Politik. Die englischen Kaufleute genossen größerer Privilegien, als die von andern Nationen, es war ihnen erlaubt, Ausflüge außerhalb der Barrieren zu machen, was sonst Niemanden ohne besondere Erlaubniß verstattet war; und er bezeigte den englischen Offizieren der Marine, wie von der Armee, die seinen Hof besuchten, die größte Aufmerksamkeit, indem er nie vergaß, sie zur Tafel zu ziehen. Es war bei einer dieser Gelegenheiten, daß er Sir James Yeo, einen englischen Fregattencapitän, einlud, mit ihm zu speisen und so viele seiner Offiziere mitzubringen, als er für gut fände. Alle angesehenen Einwohner der Hauptstadt, die „Großwürdenträger“ des Reiches waren versammelt, und ein glänzendes Mahl bereitet. Sir James, überrascht durch die Pracht, von der er sich umgeben sah, und noch mehr durch den Anstand, der überall beobachtet wurde, und vortreffliche Zubereitung der Speisen, konnte sich nicht enthalten, seinem Nachbar zuzurufen: „Was für einen verdammt guten Koch dieser schwarze Bursch hat!“ – eine sehr natürliche, obwohl eben nicht höfliche Bemerkung, die der gute Capitän freilich nicht gemacht haben würde, wenn er gewußt hätte, daß der Kaiser so gut englisch sprach, als er selbst – eine Fertigkeit, die er sich angeeignet hatte, als er noch das etwas niedrige Gewerbe eines Schneiders zu St. Kitt ausübte. Christoph hatte so viel Verstand, von jenem Ausruf keine Notiz zu nehmen, da er wußte, daß keine Beleidigung beabsichtigt war, und ersparte dem Offizier das unangenehme Gefühl, zu wissen, daß er verstanden worden war; und so verging der Abend, in der ungestörtesten Heiterkeit. Des nächsten Morgens, als die Fregatte die Anker lichtete, kam ein Schwarzer an Bord mit einem Brief Sr. Majestät an den Capitän, worin er ihm mit dem besten Humor zu verstehen gab, daß er wohl wisse, was dieser bei Tische gesagt habe, indem er bedauerte, daß er ihm mit seinem ersten Koch nicht dienen könne, daß ihm jedoch „der verdammte schwarze Bursch den zweit beßten Koch in seinen Staaten sende.“ Ich glaube, Lord Chesterfield selbst hätte keine delicatere Rüge eingeben, keinen bessern Beweis einer guten Erziehung aufführen können. Ob Sir James das Geschenk des Königs annahm und ihn durch einen tüchtigen Seemann entschädigte, weiß ich nicht; denn die Geschichte geht nicht weiter. – Derselbe richtige Tact zeigte sich in allen seinen häuslichen Anordnungen. Sein Palast war eben so prächtig, als elegant eingerichtet, und nirgend sah man etwas von dem lächerlichen Flitterwerk, das man in einem solchen Haushalt hätte erwarten sollen. Alles wurde ihm unmittelbar von England aus zugesandt und zwar von der beßten Gattung und von den ersten Künstlern des Tages; seine Equipagen waren alle einfach und geschmackvoll. Die Regalien von Hayti wurden, meine ich, lange in London öffentlich gezeigt; und ich habe eine lebhafte Erinnerung von seiner Staatskutsche, die nach dem Modell von der des Lod Mayors gemacht war, wie man sie noch bei allen großen Festen der Bürgerschaft in der Einfahrt von Mansion House [2] sehen kann; aber nach einer so langen Zeit kann ich kaum entscheiden, welche von beiden die abscheulichste war.

Christoph wird beschuldigt, streng und tyrannisch gegen seine Unterthanen gewesen zu seyn: seine Politik war allerdings äußerst gemessen, aber ich glaube nicht, daß der Kaiser und König von Haiti mehr unnöthige Verbrechen beging, als der Kaiser und König von Frankreich. Man sollte nicht vergessen, was für Menschen es waren, welche beide zu regieren hatten, und wie beide auf den Thron erhoben worden waren: die Unterthanen des ersteren waren Sclaven, schwarze Sclaven, die des letzteren würden es vielleicht übel nehmen, wenn ich sie weiße nennte. Aber was waren sie anders unter dem ancien regime? Der einzige Unterschied, den ich zwischen ihnen sehen kann, ist der der Erziehung und Farbe. Man macht es seiner Majestät, dem Kaiser – ich meine den von Haiti – zum Vorwurf, seinen Secretär ermordet zu haben; aber man sollte sich erinnern, daß er selbst weder lesen, noch schreiben konnte, außer dem Zeichen, das er statt seiner Namensunterschrift machte. Er pflegte daher seine Depeschen einem Secretär zu dictiren und dann einen anderen rufen zu lassen, um sie ihm vorzulesen; zeigte sich hiebei der geringste Unterschied, so rief er einen dritten, und wehe dann dem, der die Schuld trug. Die Sache wurde, wie ich fürchten muß, nicht selten durch die Pistole beendigt, was eine etwas summarische Methode ist; aber in seiner Lage hatte er keine andere Wahl, und ich denke, man wird es allgemein zugeben, daß es um einen Grad besser ist, seinen Secretär zu erschießen, als sich selbst. Vielleicht wird man mich als parteiisch für sein Andenken betrachten; denn ich gestehe, daß ich persönlich ausgezeichnete Beweise des Wohlwollens von ihm empfing und daß ich auf die Zeit, die ich an seinem Hofe zubrachte, nur mit den angenehmsten Gefühlen zurückblicke. Ich war damals einige Jahre jünger; das Leben war neu für mich; ich sah alles „couleur de rose“, selbst die schwarzen Schönheiten am Hofe von Haiti. Mein Vater befand sich zu jener Zeit auf einer bedeutenden Stellung in Westindien, und sein Sohn wurde daher wohl aufgenommen von dem Kaiser; so daß mein unerwartetes Zusammentreffen mit der armen Kaiserin die interessantesten Erinnerungen aus einer der glücklichsten Perioden meines Lebens zurückrief.

[680] Das letzte Mal, als ich alle diese Personen sah, von denen der größte Theil nicht mehr auf dieser Welt ist, war auf einem Ball, den die Kaiserin zu der Geburtstagsfeier ihres ältesten Sohnes gab, – in ihrem Palaste von Sans-souci bei Cap Henri, wie damals die Stadt Cap François dem Kaiser zu Ehren genannt wurde. Dieß ist, beiläufig bemerkt, nicht die einzige Stadt oder Straße, die ihren Namen in neuerer Zeit verändert hat; wir könnten vielleicht auch auf dem europäischen Continent einige Beispiele davon finden. Daß aber meine Leser bei der Vorstellung eines Hofballes auf Haiti nicht etwa lachen! Sie mögen sich vielmehr den glänzendsten bal paré denken, den sie nur immer in dem elegantesten Salon von Paris gesehen haben, und sie werden nur eine schwache Vorstellung von der Pracht von Sans Souci erhalten. Sie mögen ihn mit aller Eleganz und Modesucht, Affectation und Kleinmeisterei ausstatten, die ihnen je in den civilisirtesten Ländern begegnet sind; sie mögen Titel und Uniformen, Ordensbänder und Sterne, Eis und Erfrischungen und alle die et cetera hinzufügen, die irgend Reichthum und Macht begleiten; und dann müssen sie einen Zauberer rufen, und die ganze Gesellschaft plötzlich in Schwarze verwandeln lassen, und sie werden im Stande seyn, sich den letzten Hofball zu malen, den ich auf Haiti sah. Rang und Titel, um diese glänzende Gesellschaft zu heben, fehlten nicht; Fürsten und Edle, Reichsgrafen und Hofmarschälle waren da, ja sogar ein Großadmiral und ein Erzbischof, und der erstere überdieß ein Bruder des Souveräns, Seine kaiserlich königliche Hoheit Prinz Jean. Aber nirgends sah man eine Flotte oder eine Kathedrale. Besonders lebhaft erinnere ich mich, wegen ihrer passenden Namen, an den Duc de Marmelade, der Gouverneur der Hauptstadt, und an den Comte de Limonade, der Privatsecretär Seiner Majestät war. Was nun aus allen diesen großen Herren geworden ist, weiß der Himmel; sie sind verraucht und in alle Welt zerstreut, gleich ihren Zeitgenossen von verschiedener Farbe und einem größeren Reiche. Aber wenn irgend Jemand die Wahrheit meiner Angaben bezweifelt, so schlage er den Hofkalender von Haiti auf; wenn dieser nicht, wie der Napoleons, vergriffen ist. Ich besaß sie einst beide; und wenn die Damen von Paris sich durch meine Vergleichung beleidigt fühlen sollten, so kann ich sie versichern, daß mit Ausnahme der Farbe und der platten Nasen, diese Vergleichung eher ein Compliment, als etwas anderes, ist; denn die Damen von Haiti sind, so lange sie jung sind, die schönsten Gestalten, die ich je in irgend einem Lande gesehen habe. Aber alles dieß ist jetzt dahingegangen: Sans Souci ist verödet, das Kaiserreich ist eine Republik geworden; der Kaiser hat sich selbst getödtet, seine Kinder sind ermordet, seine Familie vernichtet oder in der Verbannung.

[687] Alle diese Erinnerungen lebendig in meiner Seele trat ich meinen Gang nach dem Palazzo Guigni an, der dermaligen Residenz der Exkaiserin-Königin von Haiti, ohne zu wissen, auf welche Weise ich meinen Besuch einleiten sollte, oder ob ich überhaupt angenommen werden würde. Es fiel mir ein, daß es das Beßte sey, mich zuerst an die café-au-lait-farbige Gesellschaftsdame zu wenden und ihr zu erklären, wer ich sey und weshalb ich komme. Dieser Plan gelang vollkommen; sie übernahm es, mich zu melden, und brachte mir in wenigen Minuten die Antwort zurück: „ich sey willkommen, und Madame Christophe werde sich glücklich schätzen, mich als einen Freund von anderen Zeiten her zu empfangen.“

Ich wurde in ein sehr anständiges Gesellschaftszimmer eingeführt, in dem ich die jüngere Dame vor einer Stickerei fand. Sie war sehr lebhaft und angenehm, aber durch einen sonderbaren Mißgriff hatte sie ein weißes Kleid gewählt, das bis an den Hals hinaufging und die Farbe ihres Gesichtes noch sonderbarer auffallend machte. Wir knüpften eine Gemeinplatzunterhaltung über das Wetter und die Hitze an, bis sich ihre Mutter zu uns gesellte, die, auf den Arm ihrer Gesellschafts-Dame gelehnt, eintrat und sich neben mich auf das Sopha setzte. Sie hatte sich sehr verändert, seit ich sie zuletzt sah; die Zeit und der Kummer hatten die gewöhnlichen Spuren auf ihrem Gesicht gelassen, doch lag in ihrem Wesen eine gewisse Würde, die zu sagen schien, daß sie sich entschlossen habe, ihre frühere Lage zu vergessen und ihre gegenwärtige, wenn nicht mit Freude, doch mit Resignation zu tragen. Da ich sie, wie ich es in früheren Zeiten gewohnt war, mit dem Titel Majestät anredete; so unterbrach sie mich schnell mit den Worten: „Wenn ich kein Engländer wäre, würde sie vorausgesetzt haben, daß ich mich mit ihr belustigen wolle. Ich bin jetzt, fügte sie hinzu und legte ihre Hand auf meinen Arm, nur die [688] Veuve Christophe, und Alles, was ich thun kann, ist, so viel als möglich, die Dunkelheit zu suchen. Seit ich Sie zuletzt gesehen habe, mein Herr, fuhr sie fort, habe ich einen Gemahl, einen Thron und alle meine Kinder verloren. Nur diese eine (indem sie auf ihre Tochter wies) habe ich gerettet, und die Sorgen haben mich aller Eitelkeiten dieses Lebens entwöhnt; in meinem Alter und in meiner Lage kann ich meinen Blick nur auf die zukünftige Welt richten, als einen Ort der Ruhe und des Friedens.“ Ihr Kummer war so ohne alle Affectation und die Unglücksfälle, welche sie getroffen hatten, waren so schwer gewesen, daß das Herz wahrlich hart hätte seyn müssen, das nicht an ihren Gefühlen Antheil genommen hätte. Es zeigte sich durchaus nichts Selbstisches an ihr; sie schien mehr ihre Lieben zu bedauern, die sie verloren, als die zeitlichen Vortheile, die sie einst genossen hatte, oder die hohe Stellung, von der sie herabgefallen war. Es war eine Würde in Allem, was sie sagte, die bei jedem Andern Aufmerksamkeit und Achtung verdient hätte, bei ihr aber die angenehme Ueberraschung erregen mußte, daß eine Person, unter so wenig Aufforderungen oder Gelegenheiten zur Ausbildung ihres religiösen Gefühls, eine so hohe Stufe der Religiosität erreicht hatte. Ein Unglück, wie das ihrige, läßt wenig Trostgründe zu, und ich würde daher gern das Gespräch auf einen angenehmeren Gegenstand gewandt haben, als diesen; aber sie suchte die Erwähnung ihres Mißgeschickes eher selbst herbeizuführen, als zu vermeiden, es schien ihr eine Erleichterung zu gewähren, darauf zu verweilen.

Mit aller Geschwätzigkeit des Alters erzählte sie mir ihr Leiden wieder und wieder, beschrieb sie mir den Kampf ihrer Gefühle, als sie den Schuß fallen hörte, der – wie sie wußte – ihren Gemahl des Lebens beraubte. Sie waren zu Sans Souci, wo Christoph einige Zeit durch Unpäßlichkeit im Bett gehalten worden war. Die Armee hatte sich empört und rückte von Cap François, das nur wenige Meilen entfernt ist, in voller Wuth heran, entschlossen, ihn zu vernichten. Sie beschrieb ihr Entsetzen, als ihre Kinder von ihrer Seite gerissen wurden. Der eine Sohn, ein tapferer Jüngling, leistete verzweifelteren Widerstand, als die übrigen; er wurde unter ihrem Fenster, wörtlich, in Stücke gehauen. Sie hörten ihren ältesten Sohn um sein Leben bitten, aber er flehte zu Menschen, die kein Erbarmen kannten. Er war in England erzogen worden und war ihr Lieblingskind; auch bei dem Volke war er sehr beliebt, und dieses machte einen leichten erfolglosen Versuch, ihn zu retten. Die Soldaten siegten, und bald waren die treuen Diener, die sich um ihren unglücklichen jungen Herrn gesammelt hatten, zerstreut. Eine Salve, und alles war vorüber; die Hoffnungen der Mutter wurden in ihrer Blüthe geknickt, und der vielversprechende junge Mann fiel als ein Opfer der eigensinnigen Ehrsucht seines Vaters. Die arme Dame hatte nicht einmal den Trost ihre ermordeten Kinder zu begraben, ihre verstümmelten Ueberreste wurden von dem wüthenden Pöbel fortgerissen, und mit aller erdenklichen Schmach behandelt. Sie selbst wurde nur mit größter Mühe durch die Menschlichkeit einiger Beamten ihres Gemahls gerettet, die zu viel Dankbarkeit für die Wohlthaten ihres alten Herrn hatten, als daß sie seine Witwe in ihrer Noth verlassen hätten. Sie hielten sie und ihre einzige übrig gebliebene Tochter einige Zeit verborgen, bis die Wuth der Revolution nachgelassen hatte, worauf es ihnen gelang, sie insgeheim an Bord eines englischen Kauffahrers zu bringen, auf welchem sie bald Santo Domingo verließen.

Der Mann, dem sie hauptsächlich ihre Rettung verdankte, war – meine ich – ein Baron Dupuis, wie er damals genannt wurde, ein Mulatte, und – wenn ich mich recht erinnere – der Regierungsdolmetscher, als ich auf der Insel war. Treue und Dankbarkeit sind jetzt so selten, daß sie erwähnt zu werden verdienen, wo wir sie immer finden. Was für eine Farbe er auch gehabt haben mag, das Herz dieses Mannes war auf seinem rechten Platz; und weiß, schwarz, oder broncefarben, verdient er auf die Nachwelt zu kommen. Christoph’s Schicksal erweckt keine Verwunderung; er machte zu despotischen Gebrauch von seiner Macht, als daß sie hätte dauernd seyn können; augenscheinlich hatte er eine solche Katastrophe erwartet, da er bedeutende Geldsummen in den englischen Fonds angelegt hatte, von denen, wie von den Juwelen, die sie gerettet hat, seine Witwe jetzt subsistirt und im Stande ist, ein sehr anständiges Haus zu erhalten.

Ich nahm vielen Antheil an der traurigen Geschichte der armen Dame, und es machte ihr eine Art von melancholischem Vergnügen, dieselbe bei allen Gelegenheiten zu wiederholen. Ich pflegte sie während meines Aufenthaltes in Florenz häufig zu besuchen und fand sie immer unveränderlich die nehmliche. Sie lebte in der größten Zurückgezogenheit und nahm nur wenige Personen an, da sie wohl wußte, daß die, welche kamen, mehr durch Neugierde, als durch Wohlwollen angezogen wurden. Sie war sehr dankbar für meine Aufmerksamkeit und besuchte mich zuweilen auf einer Villa, die ich auf dem Lande hatte, wo sie erfreut war, frei herumgehen zu können, ohne Aufsehen zu erregen. Ich that Alles, was in meinen Kräften stand, sie zu unterhalten, und erbot mich oft, ihr die Stelle eines valet de place zu vertreten. Aber so oft ihre Tochter den Wunsch ausdrückte, etwas mehr in die Welt hinaus zu kommen; so unterdrückte sie denselben: „Nein, pflegte sie zu sagen, es ist nichts für uns, wir sind bereits hinreichend Gegenstände der Neugierde mit unseren schwarzen Gesichtern; wir haben nicht nöthig, uns auch noch zu Gegenständen des Mitleidens zu machen. Ich will meine Leiden nicht vor der Welt ausrufen.“ „Afficher mes malheurs“ war der Ausdruck, dessen sie sich bediente; und sie hatte noch genug von der Königin, um entschieden zu seyn in ihren Entschlüssen, und fand daher ohne Widerspruch Gehorsam. –

Die Exkaiserin von Haiti lebt jetzt in Pisa, wo ich sie vor Kurzem erst sah; und, wenn wir die Trauer um ihre Kinder ausnehmen, so ist sie vielleicht glücklicher dort, als sie je in Sans Souci war.


  1. New Monthly Magazine.
  2. Die Amtswohnung des Lord Mayors (Bürgermeisters) der City von London.