Zum Inhalt springen

Die Kirche des heiligen Grabes zu Jerusalem

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CXXV. Rolandseck und Drachenfels am Rhein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXXVI. Die Kirche des heiligen Grabes zu Jerusalem
CXXVII. Verona
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

KIRCHE DES HEILIGEN GRABES
in Jerusalem

[95]
CXXVI. Die Kirche des heiligen Grabes zu Jerusalem.




Es gab eine Zeit, wo eine Pilgerfahrt nach Jerusalem zu dem Lebensschmucke eines rechtgläubigen Christen gehörte. Wie man Mahomed’s Gläubigen noch heute lehrt, daß eine Wallfahrt nach Mekka und Medina die Pforten des Paradieses öffne, so versicherten im Mittelalter die Priester den Christen: Gebet und Opfer an den heiligen Leidensörtern des Heilandes sey der Preis für die vollkommenste Vergebung der Sünden, für die sicherste Erlangung der himmlischen Seligkeit. Damals waren oft über eine halbe Million christlicher Pilger in einem Jahre auf der Wanderung nach Jerusalem begriffen, und zahlreiche Flotten dienten diesen Prozessionen aus dem Westen nach dem Orient zur Ueberfahrt.

Jene Zeit ist längst vergangen. Jenes Priesterthum, welches die Leichtgläubigkeit und Dummheit der Nationen mißbrauchte, um sie zu unterjochen, ist nicht mehr, und der Schatten, der seinen Namen trägt, ist machtlos. Der Groß-Handel mit der Gnade und Verzeihung des Allmächtigen und mit der Seligkeit des künftigen Lebens ist zur Kleinkrämerei herabgesunken oder er hörte auf; und die Gebete für die Seelen der Todten finden nicht mehr wie früher immer bereite Käufer unter den Lebendigen[1]. An die Stelle des Aberglaubens ist der Unglaube getreten, das mißhandelte Vertrauen löste sich in Zweifel auf und bittere Enttäuschung folgte dem im Heiligenscheine prangenden Betruge. Die Kapellen auf den Höhen verfallen, ihre Gnadenbilder sind verlassen, und die Züge der Gnadesuchenden nach den berühmtesten Wallfahrtsorten werden dünner von Jahr zu Jahr. Auch der sonst so breite und gewaltige Strom von Pilgern zum heiligen Grabe, in den sich alle Christenvölker der Welt ergossen, ist nur noch ein unscheinbarer, trüber Bach, und die ihm zufließenden Quellen der Abendländer vertrocknen.

Die Gesammtzahl der im verwichenen Jahre aus Europa in Jerusalem angekommenen Pilger war nicht ganz 2000; eine kleine Zahl, wenn man erwägt, daß im Mittelalter manchmal an einem Tage eine größere Menge blos in Jaffa an’s Land stieg. – Die meisten der heutigen Wallfahrer sind Russen, Griechen, Spanier und Italiener. Doch selbst aus protestantischen Ländern kommt noch alljährlich eine kleine Zahl, meistens Leute von guter Erziehung und aus den höhern Ständen, welche irgend ein Gelübde zum Grabe des Erlösers führt, oder Unglückliche, die auf Golgatha im brünstigen Gebete Versöhnung mit sich, oder Aussöhnung mit Gott und ihrem Schicksal suchen. Leider finden diese in der Regel niemals, was sie suchen, und die schmerzlichste, roheste Enttäuschung ist der einzige Gewinn ihrer langen Fahrt.

[96] Die Kirche des heiligen Grabes, das ersehnte Ziel so Vieler, umschließt, wie ich bereits früher schon erwähnte, nicht blos die Grabstätte Jesu, sondern auch andere Orte seiner Leidensgeschichte: Golgatha, den Platz, wo Christi Leichnam gesalbt worden, der, wo die heilige Helena das wahre Kreuz gefunden haben soll u. s. w.; auch viele Reliquien, die Säule, woran man Christus band, um ihn zu geißeln, den Stuhl des Pilatus etc. etc. Für die Verehrung der meisten sind besondere Kapellen erbaut, und diese durch Kreuzgänge und Hallen mit einander verbunden. Diese ganze, unregelmäßige, einen Hof umgebende Gebäudemasse ist es, was man unter der gemeinschaftlichen Benennung „Kirche des heiligen Grabes“ begreift.

Die Kirche wird nur an gewissen Tagen den Gläubigen geöffnet; eine lästige Einrichtung, welche nur den Zweck hat, die Wallfahrer zu einer längern Anwesenheit in Jerusalem zu nöthigen. Schon bei’m Eintritt in den Vorhof sieht der Christ so manches, was ihn betrüben und sein religiöses Gefühl auf das empfindlichste kränken muß. Die Mauern, geschwärzt von Rauch, tragen überall noch die Spuren neuerlicher Verwüstung durch das Feuer (die Kirche brannte 1807 aus), und die gemachten Ausbesserungen sind dürftig und geschmacklos. Der schöne Thurm ist eingestürzt und nur noch zur Hälfte übrig. Schutt und Schmutz und ekelhaft riechender Koth liegen in jedem Winkel umher. Den Hofraum füllen Scherbetverkäuferinnen, mit denen Pilger und schmutzige Mönche schmutzige Scherze treiben, und die Habsucht kreischt die auf Teppichen oder breiten Steinen ausgelegten, sogenannten heiligen Waaren, Rosenkränze, Heiligenbilder, geweihete Palmenzweige, Kruzifixe u. s. w., meistens von ordinärer Nürnberger Arbeit, zu prellerischen Preisen, mit gellender Stimme zum Kauf aus. Türkische Wachen spotten und lachen über die Eintretenden, welche in ihrem fremdartigen Anzuge ihnen auffallen, und an der Eingangspforte zum Tempel ist ein furchtbares Gedränge, Balgen und Stoßen um Einlaß; Lachen, Lärmen und Schreien von Wallfahrern beider Geschlechter: – ein Gewühl, das auch die frömmste Begeisterung abzukühlen im Stande ist. Soldaten stehen an der Thüre, die nicht unmittelbar in die Kirche, sondern in eine Art Stube führt, in der türkische Unterbeamte sich aufhalten, welche von jedem Christen für die Erlaubniß, in die Kirche zu treten, ein Kopfgeld erheben. Diese Zöllner begegnen den Tributpflichtigen mit der übermüthigsten Insolenz und oft mit räuberischer Willkühr. Wagt ein Pilger die geringste Vorstellung gegen eine allzu unbillige Forderung, so erwartet ihn thätliche Mißhandlung. – Hat der Pilger sein Kopfgeld bezahlt, so darf er in die Kirche gehen, wo sich Andächtige und Andachtlose in wunderlichen Gruppen drängen. Bewegungslos, das Gesicht auf die Steinplatten gedrückt und die gefalteten Hände vor sich ausstreckend, liegen Viele am Boden; andere stottern in mancherlei Zungen, knieend und sich kreuzigend, Gebete; in den Kreuzgängen wogen, mit Kerzen und Fahnen, Hymnen singend, Prozessionen, angeführt von Priestern der christlichen Hauptsekten, auf und nieder, und dazwischen bewegen sich, fluchend und schimpfend, zur Aufrechthaltung der Ordnung hergesandte Wachen oder neugierige, müßiggehende Türken. Die Prozessionen wandern von Kapelle zu Kapelle, und gar häufig geschieht, daß sie, bei dem Mangel an Uebereinstimmung, Verabredung und Ordnung, irgendwo aufeinander treffen und dann keine der andern [97] weichen will, wodurch die ärgerlichsten Auftritte entstehen. Die Heiligkeit des Orts ist nicht vermögend, den Sektenhaß der Priester (die armenische, katholische und lateinische Kirche theilen sich nämlich in den Gebrauch des Gotteshauses) zurückzuhalten; sie schimpfen sich gegenseitig Ketzer, Betrüger und Gotteslästerer, und beladen einander mit den gräßlichsten Verwünschungen. Die Pilger nehmen für und wider Partei, und zuletzt endigen solche Szenen gemeinlich in Handgemenge und Schlägerei. Mord und Todtschlag würden den Ort entheiligen ohne die Dazwischenkunft der türkischen Wachen, welche den streitenden Parteien mit Prügeln und Peitschenhieben Christus Lehre von der Friedfertigkeit wirksam zu erklären immer bereit sind.

Die religiösen Zeremonien, zu deren Theilnahme die Priester die Pilger einladen, sind selten der Art, daß sie den Frommen erfreuen können; meistens scheinen sie nur auf die Täuschung der gröbsten Unwissenheit und des dümmsten Aberglaubens berechnet. Die griechischen Priester z. B. geben jedem der Pilger eine Fackel in die Hand, lassen sie dann um die Grabkapelle treten, und sie selbst gehen in dieselbe hinein. Unter einer Fensteröffnung (im Innern der Kapelle) liegen in Weingeist getränkte Asbestdochte, welche sie anzünden und dann den Pilgern als die dem Grabe des Herrn entstiegene Flamme des Glaubens verkündigen. Jeder muß sich hierauf dem Fenster nahen, aus dem die Weingeistlohe herausschlägt, und seine Kerze anzünden am heiligen Feuer. Für dies Taschenspielerstückchen erheben die Priester von jedem Theilnehmenden einen Piaster. Die lateinische Kirche führt ein noch widerwärtigeres Schauspiel auf. Eine Holzpuppe, die den Erlöser vorstellen soll, schleppen die Priester unter Klaggesang der Pilger nach Golgatha, entkleiden sie da und nageln sie an’s Kreuz. Das Kreuz wird unterm Hurrah der Menge aufgerichtet, einer der Henkerknechte reicht der Puppe auf einer Lanze den Schwamm mit Wermuth, und während des Sterbeakts verkaufen die Priester die Kleider des Bildes fetzenweise an die Wallfahrer. Darauf wird die Statue wieder herabgenommen und die sorgfältig ausgezogenen Nägel gehen abermals als Eigenthum an die Meistbietenden über. Eben so der Schwamm und das Gefäß mit dem Wermuthwasser. Der hölzerne Heiland wird in ein weißes Tuch gewickelt und in Prozession fortgetragen zu einer langen Marmortafel, vermeintlich dem nämlichen Stein, auf welchem Christus gesalbt worden ist. Dort reibt man die Gestalt mit wohlriechendem Oel ein, dessen Rest die Pilger abermals kaufen. Sie wird dann zur Gruft getragen. – Bei jedem Akt dieser Komödie halten die Priester nach einander kurze Reden in arabischer, italienischer und spanischer Sprache zur Erbauung der Versammelten. Das Ganze aber endigt wie es begonnen hat, mit einer – Opferforderung.

In solchem, alles edle Gefühl im Menschen beleidigenden Geiste niedriger Habsucht, der Unduldsamkeit und Ausschließung aller Begriffe von wahrer Andacht, alles Anstandes sogar, verehrt man hier den Allmächtigen, ehrt man hier, – wo Gottes erhabener Verkündiger den Märtyrertod für die Wahrheit starb – den Heiland. –

O MISERAS HOMINUM MENTES, O PECTORA COECA!
 Lucret.




  1. Der spanische Klerus bezog vor der Revolution für Seelenmessen allein jährlich 30 Millionen Realen vom spanischen Volke.