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Die Libelle (1854)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Heinrich Heine
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Titel: Die Libelle
Untertitel:
aus: Vermischte Schriften.
Erster Band
.
S. 161–164
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Heinrich-Heine-Portal und Scans auf Commons
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[161]
IX.
Die Libelle.


     Es tanzt die schöne Libelle
Wohl auf des Baches Welle;
Sie tanzt daher, sie tanzt dahin,
Die schimmernde, flimmernde Gauklerin.

5
     Gar mancher junge Käfer-Thor

Bewundert ihr Kleid von blauem Flor,
Bewundert des Leibchens Emaille
Und auch die schlanke Taille.

     Gar mancher junge Käfer-Thor

10
Sein Bischen Käfer-Verstand verlor;

Die Buhlen sumsen von Lieb’ und Treu,
Versprechen Holland und Brabant dabei.

[162]

     Die schöne Libelle lacht und spricht:
„Holland und Brabant brauch’ ich nicht,

15
Doch sputet Euch, Ihr Freier,

Und holt mir ein Fünkchen Feuer.

     „Die Köchin kam in Wochen,
Muß selbst mein Süpplein kochen;
Die Kohlen des Herdes erloschen sind –

20
Holt mir ein Fünkchen Feuer geschwind.“


     Kaum hat die Falsche gesprochen das Wort,
Die Käfer flatterten eilig fort.
Sie suchen Feuer, und lassen bald
Weit hinter sich den Heimathwald.

25
     Sie sehen Kerzenlicht, ich glaube

In einer erleuchteten Gartenlaube;
Und die Verliebten, mit blindem Muth
Stürzen sie sich in die Kerzengluth.

     Knisternd verzehrten die Flammen der Kerzen

30
Die Käfer und ihre liebenden Herzen;

Die Einen büßten das Leben ein,
Die Andern nur die Flügelein.

[163]

     O wehe dem Käfer, welchem verbrannt
Die Flügel sind! Im fremden Land

35
Muß er wie ein Wurm am Boden kriechen,

Mit feuchten Insecten, die häßlich riechen.

     Die schlechte Gesellschaft, hört man ihn klagen,
Ist im Exil die schlimmste der Plagen.
Wir müssen verkehren mit einer Schaar

40
Von Ungeziefer, von Wanzen sogar,


     Die uns behandeln als Kameraden,
Weil wir im selben Schmutze waten –
Drob klagte schon der Schüler Virgil’s,
Der Dichter der Hölle und des Exils.

45
     Ich denke mit Gram an die bessere Zeit,

Wo ich mit beflügelter Herrlichkeit
Im Heimath-Äther gegaukelt,
Auf Sonnenblumen geschaukelt,

     Aus Rosenkelchen Nahrung sog

50
Und vornehm war, und Umgang pflog

Mit Schmetterlingen von adligem Sinn,
Und mit der Cicade, der Künstlerin –

[164]

     Jetzt sind meine armen Flügel verbrannt;
Ich kann nicht zurück in’s Vaterland,

55
Ich bin ein Wurm, und ich verrecke

Und ich verfaule im fremden Drecke.

     O, daß ich nie gesehen hätt’
Die Wasserfliege, die blaue Kokett’
Mit ihrer feinen Taille –

60
Die schöne, falsche Canaille!