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Die Lufthülle der Erde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: W. Belak
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Titel: Die Lufthülle der Erde
Untertitel:
aus: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911, Seite 792
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Friedrich Pustet
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Erscheinungsort: Regensburg, Rom, New York, Cincinnati
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Quelle: Commons
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Die Lufthülle der Erde.
Von W. Belak.

Wohl auf keinem Gebiete wissenschaftlicher Forschung sind in den letzten Jahrzehnten so bahnbrechende Erfolge erzielt worden wie auf dem der Erkundung des Weltenraumes. Die Sternenwelt mit ihren Geheimnissen bringt uns das moderne Riesenfernrohr näher, der Rechenstift des Astronomen weiß den Lauf jedes flüchtig durch die Unendlichkeit irrenden Kometen auf eine Kleinigkeit genau vorherzusagen. Und schon strengen ganz ernsthafte Gelehrte sich darüber die Köpfe an, wie man sich mit den - bisher allerdings nur durch waghalsige Kombinationen festgestellten – Bewohnern ferner Welten in Verbindung setzen könnte. – Gleichzeitig mit dieser Millionen von Kilometern fast wie ein Nichts überwindenden Forschung begann für die Aerologie, die Lehre von der Erkundung der höheren Luftschichten oder der freien Atmosphäre, eine neue Epoche mit der Verwendung des Drachens und des Gasballons zum Emportragen von selbsttätig arbeitenden Instrumenten, die in den dem Menschen verschlossenen Höhen alles das gewissenhaft aufzeichnen, was der Gelehrte von ihnen verlangt. So hat man mit Drachen eine Höhe von 7000 Metern erreicht, während frei fliegende Registrierballons über 22000 Meter gestiegen sind. Die letzteren werden stets mit einer Fallschirmvorrichtung versehen, die sie nach gänzlichem Gasverlust sehr langsam auf die Erde herabsinken läßt und verhindert, daß die sehr empfindlichen, an den Ballon angebrachten Registrierapparate Schaden nehmen. Nach internationalem Übereinkommen finden jetzt allmonatlich an einem bestimmten Tage an möglichst vielen Orten solche Registrierballonaufstiege statt. Die Ergebnisse dieser kostspieligen Experimente sind dafür auch ganz bedeutende. Gerade in den letzten Jahren hat man viele irrtümliche Annahmen früherer Zeiten korrigieren und uns ein ganz genaues Bild von der Zusammensetzung, den Wärme- und Bewegungsverhältnissen der die Erde umgebenden Lufthülle bieten können. Diese ist bekanntlich ein Gasgemenge, das in der Hauptsache aus Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure und den neuerdings entdeckten Stoffen Argon, Helium, Krypton, Neon und Metargon besteht. Wie jedes Gas, hat auch die Erdatmosphäre das Bestreben sich auszudehnen. Daher würde sie sich bald durch den ganzen Weltenraum verbreiten, wenn sie nicht durch die Anziehungskraft der Erde daran gehindert würde. Früher glaubte man, daß die Lufthülle unseres Planeten 60–80 Kilometer hoch sei, indem man diese Zahl aus ihrer lichtreflektierenden Kraft berechnete. In Wirklichkeit ist diese Höhe bedeutend größer, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß das Gasgemenge in den obersten Schichten stetig dünner wird und ganz allmählich in die Unendlichkeit, in den luftleeren Raum, übergeht. So sind die aus dem Weltenraum stammenden Sternschnuppen, die sich erst im Bereiche unserer Erdatmosphäre durch Reibung mit dieser entzünden, des öfteren in Höhen von mehr als 200 Kilometern beobachtet worden, so daß also auch dort noch notwendig Luft vorhanden sein muß. Und die letzten theoretischen Untersuchungen von Kerber haben dieselbe Zahl für die Höhe der Erdlufthülle, annähernd 210 Kilometer, ergeben. Die Erdatmosphäre ist im reinen Zustande, d. h. ohne Beimischung von Rauch und Staub, erst in einer Höhe von 4000 Metern anzutreffen. Sehr interessante Ergebnisse für die hygienischen Verhältnisse der Großstädte hat man mit einem Apparat erreicht, der die Menge der in der Luft enthaltenen Verunreinigungen mißt. So enthält eine 10 Meter dicke Luftschicht über dem Weichbilde Berlins nach den Messungen mit diesem sogenannten Staubzähler nicht weniger als 300 000 Kilogramm gesundheitsschädliche Beimengungen, wodurch die hohe Sterblichkeitsziffer in den Metropolen zur Genüge erklärt wird. – Auch über die Himmelsfärbung hat man früher sehr unzureichende Theorien aufgestellt. Die älteste Erklärung für die blaue Farbe des Äthers stammt von Leonardo da Vinci. Aber erst Lord Rayleigh konnte am Ende des vorigen Jahrhunderts eine nunmehr allseitig anerkannte Deutung dieser Erscheinung geben. Hiernach werden durch die Sonnenstrahlen die kleinsten Teilchen der Atmosphäre in derartige Schwingungen versetzt, daß diese wieder jene ganz kurzen Wellen erzeugen, die in unserem Auge den Eindruck der Farbe „Blau“ hervorrufen. Denn bekanntlich ist unser Sehen der verschiedenen Farben nichts als eine Lichtempfindung, die im Auge entsteht, wenn die Sehnerven durch eindringende Ätherwellen von einer zwischen 687 und 397 Millionstel Millimeter schwankenden Länge gereizt wird.

Weiter hat auch unsere Kenntnis über die Einwirkungen der in höheren Regionen stetig zunehmenden Luftverdünnung und des Luftdrucks an Genauigkeit zugenommen. Der Druck, den die Luft auf den menschlichen Körper ausübt, beträgt ungefähr 10 000 Kilogramm, wenn man die Körperoberfläche zu etwa 1 Quadratmeter annimmt. Die Luft im Innern unseres Körpers steht mit der äußeren jedoch im Gleichgewicht, d. h. dem Druck von außen entspricht ein gleich starker Druck von innen. Diese Druckkräfte empfinden wir aber erst, falls sie einseitig geändert werden, wie z. B. in Taucherglocken, bei Bergbesteigungen und Ballonfahrten. Für unsere Gesundheit kann sowohl eine Verminderung als eine Steigerung des Luftdruckes sehr gefährlich werden. In 5000 Meter Höhe macht sich die Luftverdünnung durch Herzklopfen, Atmungsbeschleunigung, Nachlassen der Kräfte, Energielosigkeit und Schläfrigkeit schon sehr unangenehm bemerkbar. Der Franzose Tissendier kam mit zwei Gefährten einmal bei einer Ballonfahrt infolge eines unglücklichen Zufalles in eine Höhe von 8000 Metern, aus der nur er allein lebend zur Erde zurückgelangte. Die Erscheinungen der bei Hochtouristen auftretenden sogenannten Bergkrankheit, die man früher allgemein auf die Einwirkung der verdünnten Luft auf die Atemwerkzeuge und die Blutzusammensetzung zurückführte, werden nach den neuesten Erfahrungen mehr durch die bei Bergbesteigungen oft enorme geistige und körperliche Anstrengung und auch durch die Stärke und Neuheit der Sinneseindrücke hervorgerufen. Jedenfalls schadet auch ein dauernder Aufenthalt in Luftschichten von mäßiger Höhe nichts. Die höchsten bewohnten Ortschaften im Himalajagebirge in Asien liegen 4500–4900 Meter hoch, und die Stadt Potosi in Bolivia liegt 4165 Meter über dem Meere. Mäßig erhöhter Luftdruck ruft dagegen niemals Störungen im Organismus, sondern vielmehr allgemeines Wohlbefinden hervor. In der Technik kommt erhöhter Luftdruck namentlich bei Arbeiten unter Wasser in der Taucherglocke in Betracht. Mehr als 35 Meter Wasserdruck (= 4,5 Atmosphären) werden jedoch ohne sofortige Schädigung des Organismus nicht ertragen. Die größten Gefahren für die in einer Taucherglocke beschäftigten Leute entstehen beim Verlassen des Raumes, in dem der hohe Luftdruck herrschte. Hierbei sind schon mehrfach plötzliche Todesfälle infolge Zerreißens innerer Gefäße vorgekommen. Neuerdings hat man diese Gefahr dadurch beseitigt, daß man die Arbeiter kurz vor dem Verlassen der Glocke mehr Stickstoff als Sauerstoff einatmen ließ.

Ganz überraschende Resultate haben die Registrierballonaufstiege hinsichtlich der Wärmeverteilung in der Lufthülle der Erde ergeben. Nur bis auf 10 Kilometer Höhe nimmt die Temperatur ab. Darüber liegt eine 2 Kilometer mächtige Schicht, in der die Temperatur sich gleich bleibt, sogar eher noch höher ist. Als besonders auffallend muß es hierbei bezeichnet werden, daß die Luftschichten über den arktischen Gegenden wärmer als die über tropischen Ländern sind. Die Gründe für diese seltsamen Temperaturverhältnisse zu finden, ist bisher noch nicht gelungen. Jedenfalls zeigt es sich z. B. auch bei dem die norwegische Küste mit Wärme versorgenden Golfstrome, daß die durch ihn veranlaßte relativ hohe Temperatur nur wenige hundert Meter nach oben reicht. Ebenso merkwürdig ist die Feststellung, daß die Gebirgsgegenden wenigstens bis zu 3000 Metern Höhe um rund 1/2° kälter sind als gleich hohe Schichten der freien Atmosphäre.