Die Mordgrube bei Freiberg

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Textdaten
Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Die Mordgrube bei Freiberg
Untertitel:
aus: Sachsen's Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden, Band 1, S. 89-94
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe Die Mordgrube zu Freiberg
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[89]
9.
Die Mordgrube
bei
Freiberg.

[90] Die alte Mordgrube, Fundgrube, ist eine gewerkschaftliche Grube zwischen Berthelsdorf und Erbisdorf auf dem obern Brande. Als die Zeit nachstehender Begebenheit giebt Möller’s Chronik v. Freiberg das Jahr 1350 an.

[91]
Gut stand’s um die Gruben im Freiberger Gau,

     drin fand man des Silbers in Menge;
die Freude drob trug man gar offen zur Schau
     des Sonntags bei lautem Gepränge.

5
 Da wallte der Hauf’

 zur Schenke hinauf;
     dort mußte ein Fiedler flink geigen
 zum Reigen.

Und wenn sie nun tanzten und lärmten und schrien

10
     in wilder unbändiger Freude,

da warnte der Fiedler, dem Sünde es schien,
     und sprach: „Nur gemach, lieben Leute!
 Ihr treibt es schier
 zur Ungebühr;

15
     habt Acht, bald kommt nach den Freuden

 das Leiden!“

Doch da höhnete seiner die lärmende Schaar,
     und tobte und tollte nur schlimmer,
und der Fiedler mit lockigem Silberhaar

20
     schweigt still und warnt sie nimmer,
[92]
 und unwirsch geigt

 er fort, und streicht,
     als sollte der Bogen die Saiten
 zerschneiden.

25
Da zogen des Weges heran von fern

     zwei Männer mit sorglicher Schnelle,
ein Priester im Arme den Leib des Herrn,
     und sein Glöckner mit klingender Schelle.
 Hell strahlt die Monstranz 1)

30
 mit güldnem Kranz;

     Kraft soll sie einem Sterbenden spenden
 zu enden.

Und wie sie heran an den tosenden Reihn
     und die lärmenden Häuer gekommen,

35
da schellte der Glöckner so feierlich drein,

     daß sich beugen die Knie der Frommen.
 Und der Fiedler sich neigt,
 sein Knie sich beugt,
     daß der heilige Leib nicht der Ehre

40
 entbehre.


Doch die Tänzer, sie kümmern sich wenig darum,
     und lassen den Reigen nicht stören,
und der Glöckner schellt wieder, doch keiner ringsum
     will die heilige Mahnung hören. –

45
 Da weichet der Grund,

 aufthut sich ein Schlund,
     und die Schaar hat die Strafe gefunden
 tief unten.

[93]
Die Erde, so weit sie die Tanzenden trug,
50
     war in’s Bodenlose gefallen,

nur dumpf aus des Trichters tief untersten Bruch
     hört man Stöhnen und Aechzen erschallen.
 Von der Hohlung Rand
 nachstürzt das Land,

55
     und Erdschollen die Frevler bedecken

 mit Schrecken.

Vom wankenden Hügel mit bleichem Gesicht
     rief der Fiedler. Man half vom Verderben
ihm eilends. Der Schuldlose sollte ja nicht

60
     zugleich mit dem Schuldigen sterben.

 Doch kaum er stand
 auf sicherm Land,
     da ging auch der Hügel tief unter
 hinunter.

65
Die Bünge 2) ist öde und bringet nicht Frucht,

     tief grub man, und konnte nichts finden;
das Erdreich ist vollig 3), Gott hat es verflucht
     als die Stätte unsühnbarer Sünden.
 Kein Mensch endeckt,

70
 was Gott versteckt:

     der deckte mit ewigem Schweigen
 die Leichen.


[94]
Anmerkungen.

1) Monstranz ist das meist sehr kostbare Behältniß der geweihten, nicht zum Genusse, sondern zum Vorzeigen vor dem in der katholischen Kirche versammelten Volke bestimmten Hostie. Beim Vorzeigen klingelt der Sacristan oder Glöckner drei Mal.

2) Bünge, Binge, Pinge, ist eine kesselartige Vertiefung in der Erdoberfläche, welche dadurch entsteht, daß ein Bruch oder Einsturz in der Grube geschieht, und das Erdreich nachrollt.

3) vollig, gebrech, ist in der bergmännischen Sprache so viel, als locker, unhaltbar, was gleich nachstürzt, wenn man drinnen gräbt, wie trockner Sand u. a. Erdarten.