Die Mormonen-Bibel

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Textdaten
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Autor: Moritz Busch
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Titel: Die Mormonen-Bibel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 616–618
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Mormonen-Bibel.
Von Moritz Busch.

Soeben geht die Kunde von dem Tode Brigham Young’s, des Mormonenpropheten, ein. Er schied zur rechten Zeit aus dem Leben; denn, als Mörder angeklagt, entging er durch den Tod der öffentlichen Schande, als solcher verurtheilt zu werden. Aber wie er einerseits rechtzeitig gestorben, um dieser Schmach nicht preisgegeben zu werden, so starb er andererseits vorzeitig – nur um einen Moment zu früh – denn er endete auf der Schwelle eines in den Augen der civilisirten Welt zwar unwürdigen Festes, aber doch eines Festes, deren glänzender Mittel- und Brennpunkt er geworden wäre.

Am 22. September feiert nämlich das Mormonenthum, der ärgste religiöse Schwindel der gesammten neueren Geschichte, die bitterste Beschämung der Ansicht, welche das neunzehnte Jahrhundert ohne starke Einschränkung für ein gebildetes und aufgeklärtes hält, der schneidendste Hohn auf die vielgerühmten Vorzüge des „freien“ Amerika und nicht minder des „erleuchteten“ England, sein fünfzigjähriges Stiftungsfest. Es war am 22. September 1827, als der Legende der Mormonen-Secte nach ihr Prophet Joseph Smith, von einem Engel geleitet, einem Berge im Staate New-York die „goldene Bibel“ oder, wie das Machwerk jetzt heißt, „das Buch Mormon’s“, entnahm. Er begründete darauf eine kleine Gemeinde, die trotz des ungeheueren Blödsinns der Lehre, welche ihr als Offenbarung vorgetragen wurde, trotz der unerhörten Tyrannei, trotz des gen Himmel schreienden Egoismus und der wüsten Unsittlichkeit ihrer Führer, ja trotz der unablässigen Verfolgung, die sie auszurotten bemüht war, gewachsen und gediehen ist, sodaß sie jetzt in allen Ländern, die englisch reden, zahlreiche Mitglieder zählt und in Utah, ihrem gelobten Lande am großen Salzsee, einen Staat im Staate bildet, der mindestens hunderttausend Einwohner zählt.

Ich nehme an, daß den Lesern der Glaube und die Geschichte der Mormonen, oder wie sie selbst sich nennen, der „Heiligen vom jüngsten Tage“, in den Hauptzügen bekannt sind. Ein Obergott mit Fleisch und Bein wie ein Mensch, der auf dem Sterne Kolob in der Mitte des Weltalls wohnt, Untergötter, die einst Menschen der Erde waren und jetzt die von ihrer Nachkommenschaft bevölkerten Himmelskörper beherrschen, Jesus unter den Rothhäuten Amerikas wiedergekommen und dort zum zweiten Male gen Himmel gefahren, neben ihm Joseph Smith, der neueste Prophet, ein Jenseits, das in allen Stücken dem Diesseits gleicht, wo man ißt und trinkt, freit und sich freien läßt – das wäre Einiges aus ihrem Katechismus. Die Polygamie ist ihnen ein Mittel, nach dem Tode ein Gott zu werden; mit dem Auftreten des Propheten ist nach ihrer Lehre die Wiederausgießung des heiligen Geistes über die gottentfremdete Welt, soweit sie das neue Evangelium angenommen, erfolgt, woraus sich den Gläubigen die Wiederkehr der altchristlichen Charismata, der wunderbaren Heilungen und Teufelaustreibungen, des Redens in Zungen, der Visionen und Weissagungen ergiebt. Ein Hauptsatz ihres Glaubens ist endlich die Nähe des tausendjährigen Reiches, in dem alle „Heiden“, das heißt alle Nichtmormonen, sich zu Smith’s und Brigham Young’s Lehre bekehren oder der Ausrottung verfallen werden.

Ihre Verfassung und noch mehr deren Handhabung prägt die absolute Priesterherrschaft aus. Ihre Geschichte liest sich mit ihren zahllosen Beispielen von albernster Leichtgläubigkeit, von [617] Heuchelei und Arglist neben unerschrockenster Aufopferungsfähigkeit, von Phantastereien neben planvollster, geriebenster Leitung von Seiten des Propheten und seiner Apostel wie ein Buch der Fabeln und Mythen. Sie ist voll von Bacchanalien eines wüsten Fanatismus, voll von Kämpfen mit den Nachbarn, vor denen sie Jahre lang unaufhörlich aus der civilisirten Welt in die wilde Ungebundenheit der westlichen Grenzländer, von New-York nach Ohio, von Ohio nach Missouri, von hier nach Illinois und von dort nach Utah zurückwichen. Dort trotzen sie jetzt dem Gesetze und werden ihm weiter trotzen, bis die große Pacific-Bahn ihnen wieder so viel ungläubige Nachbarn gegeben haben wird, daß man der Theokratie und Polygamie mit allem daran sich knüpfenden Unfug und Unrath ein Ende machen kann.

Ohne hier näher auf den Gegenstand einzugehen und diese Wunder und Wunderlichkeiten aus den Mängeln der amerikanischen und englischen Cultur zu erklären – mehr als die Hälfte der Mormonen in Utah sind eingewanderte Engländer und Waliser – beschränke ich mich für heute darauf, eine Inhaltsangabe und Charakteristik des „Buchs Mormon’s“ folgen zu lassen, mit dessen angeblicher Auffindung – in Wahrheit war es ein von einem gewissen Spaulding ungedruckt hinterlassener, von Smith und dessen Spießgesellen, dem Campbelliten-Prediger Rigdon, in ein Religionsbuch umgeprägter Roman – jene Dogmenentwickelung und jene kirchliche, sociale und politische Geschichte begann.

Das Buch Mormon’s, welches Smith vor nunmehr einem halben Jahrhundert auf dem Berge Cumorah bei Palmyra gefunden haben wollte, hatte nach ihm in einer Steinkiste gelegen, in der sich zugleich das „Schwert Laban’s“, eine Brustplatte und eine große Brille „wie ein Bogen“ befanden, mittelst welcher letzteren der Prophet das auf Goldplatten eingegrabene, „in neuägyptischer Sprache“ verfaßte und mit alterthümlichen Charakteren geschriebene Manuscript in’s Englische übertrug. Das Buch liegt mir in der ersten europäischen Ausgabe (Liverpool, 1841) vor und bildet in dieser einen Band von sechshundertvierunddreißig Seiten, die beinahe so viel Lesestoff enthalten wie das Alte Testament ohne die Apokryphen. Dieser Stoff zerfällt in die Bücher Nephi 1 und 2, Jacob, Enos, Jarom, Omni, Mosiah, Alma, Helaman, Nephi des Jüngeren, Mormon, Ether und Moroni, und die Ereignisse, welche das Buch erzählt, fallen in die Zeit vom Bau des Thurmes zu Babel bis zum Jahre 424 nach Christi Geburt.

Das heilige Buch belehrt uns über mancherlei Dinge, von denen wir bisher keine Ahnung hatten. Wir lernen durch dasselbe, daß die amerikanischen Indianer aus Mesopotamien und Palästina stammen und daß ihrem gegenwärtigen wilden Zustande eine großartige Epoche der Civilisation vorangegangen ist; wir erfahren Ausführliches über die großen Thaten Gottes auf dem westlichen Continente. Wir lesen im Buche Ether, daß bei der Verwirrung der Sprachen auf der Ebene im Lande Schinear die Jarediter vor dem Angesichte des Herrn Gnade fanden und wegen ihres gerechten Wandels beim bisherigen Gebrauche ihrer Zunge belassen wurden. Der Herr aber führte sie zunächst in das nördlich von Schinear gelegene Thal Nimrod und dann in die Wildniß des Gebirges Schelem am großen Ocean, wo ihnen befohlen wurde, Schiffe zu bauen, um nach dem gelobten Lande in Amerika zu fahren. Diese Schiffe, acht an der Zahl, waren „dicht wie eine Schüssel“ und wurden jedes inwendig durch zwei weiße Steine erhellt, welche der Bruder Jared’s gesammelt und Gott auf dessen Gebet durch Berührung mit seinem Finger leuchtend gemacht hatte. Als die Fahrzeuge in das Wasser gebracht waren, ließ der Herr einen gewaltigen Wind wehen, der immer nach der Richtung ihres Zieles blies und sie in dreihundertvierundvierzig Tagen an die Küste des Landes der Verheißung im Westen führte. Und Gott versprach, ihnen dasselbige zum Erbtheil zu geben, und er schwur in seinem Zorn, daß der, welcher dieses Land besitze, fortan und in Ewigkeit ihm dienen solle, wo nicht, so solle der Brand seines Grimmes über ihn kommen. Wenn sie aber fromm blieben und seine Gebote hielten, wollte er sie zu einem zahlreichen und gewaltigen Volke machen, sodaß kein größer Volk auf Erden erfunden werden sollte.

Und so geschah es im Lauf der Zeit. Die Jarediter erwuchsen, indem ihre Ehen sehr fruchtbar waren, zu einer mächtigen Nation. Ihr erster König war der fromme Orihah, der zweiunddreißig Kinder, darunter vierundzwanzig Söhne hatte, deren jüngster, Kib, ihm auf dem Throne folgte. Unter diesem empörte sich sein Sohn Corihor, zog in das Land Nehor und kehrte nach einiger Zeit mit einem Heere zurück, um seinen Vater zu stürzen. Dies gelang ihm, aber endlich von seinem Bruder Schule mit einer Armee angegriffen, die mit stählernen Schwertern bewaffnet war, mußte er den Thron wieder räumen und Schule regierte an seiner Statt.

So ging es weiter. Durch Empörungen und Auswanderungen zerfiel das Reich in verschiedene von Königen beherrschte Theile. Aber im Allgemeinen geriethen die Jarediter, die vorzugsweise den Norden Amerikas inne hatten, in allen Gegenden desselben ausgedehnte Städte erbauten und überhaupt ein seßhaftes und erleuchtetes Geschlecht waren. Doch verfielen sie zuweilen unter gottlosen Königen in Sünde, und dann wurden sie mit Krieg und Hungersnoth etc. heimgesucht, bis Buße predigende Propheten sie zur Besserung bewogen. Als ungeachtet jener warnenden Stimmen unter den Königen Ethem und Moron die Gottlosigkeit des Volkes endlich allgemein überhand nahm, ließ ihnen der Herr durch einen letzten heiligen Seher, Namens Ether, androhen, er werde sie gänzlich von der Erde vertilgen, wofern sie nicht von ihrem bösen Wandel ließen. Sie gaben auch dieser Mahnung keine Folge, und so brach ein gewaltiger Krieg aus; in ungeheuren Schlachten im Thale Corihor und dem Berge Schurr kamen Millionen um, und sämmtliche Städte des Landes wurden niedergebrannt. Zuletzt standen sich nur noch die beiden Könige Koriantumr und Schiz mit geringen Resten ihrer Heere gegenüber. Auch diese rieben sich in mehreren Treffen an den Wassern von Ripliancum und beim Hügel Ramah vollständig auf; die beiden Fürsten tödteten sich gegenseitig im Zweikampfe und von der ganzen Nation blieb nichts übrig als die Trümmer ihrer Städte und ihre Chroniken, welche auf Goldplatten geschrieben waren und von jenem letzten ihrer Propheten in der Weise niedergelegt wurden, daß sie von den Nachkommen Joseph’s, welche bald nach Vollzug dieses Strafgerichts von Jerusalem nach Amerika geleitet wurden, gefunden werden konnten.

Dieser Rest nämlich von Joseph’s Stamm, bestehend aus Lehi, dessen Weib Sariah und dessen Söhnen Laman, Lemuel, Sam und Nephi, verließ auf Jehova’s Geheiß, um dem herannahenden Unheil zu entgehen, die Stadt David’s im ersten Jahre der Regierung Zedekia’s, des Königs von Juda. Sie wurden zuerst nach dem Ostrande des Rothen Meeres geführt, worauf sie sich, einer ihnen von Gott als Führerin gesandten messingnen Kugel folgend, mehr östlich wendeten, bis sie an das große Wasser Irreantum kamen. Hier bauten sie sich ein Schiff, in welchem sie den Stillen Ocean überschifften und an der Westküste Amerikas landeten.

Und im elften Jahre der Herrschaft Zedekia’s, zu der Zeit, wo die Juden in die babylonische Gefangenschaft abgeführt wurden, brach abermals ein Zug Auswanderer von Jerusalem, worunter sich Etliche vom Stamme Juda befanden, nach dem großen Festlande jenseits des Meeres auf. Sie stiegen in Nordamerika an’s Land, begaben sich indeß kurz darauf nach dem Süden, wo sie ungefähr vierhundert Jahre später von den Frühergekommenen entdeckt wurden.

Die Letzteren schieden sich einige Zeit nach ihrem Eintreffen in Amerika in zwei Völker – eine Spaltung, die dadurch veranlaßt wurde, daß ein Theil derselben die Uebrigen wegen ihrer Gottesfurcht und Gerechtigkeit verfolgte. Diese Frommen wanderten nach Centralamerika aus, während der gottlose Rest des Volkes im Süden verblieb. Die Ersteren hießen nach dem Propheten, der sie führte, Nephiter; die Letzteren wurden nach einem sehr bösen Manne, der sich unter ihnen Geltung verschafft hatte, Lamaniter genannt.

Die Nephiter hatten in ihrem Besitze eine Abschrift des Gesetzes Mosis und der Propheten bis auf Jeremia, in dessen Tagen sie Jerusalem verlassen hatten. Diese Ueberlieferungen aus dem Lande ihrer Vorfahren waren in neuägyptischer Sprache auf Erztafeln verzeichnet und erhielten eine Fortsetzung in andern Platten, welche von den Weisen und Sehern der Nation mit den Thaten ihrer Könige und Helden, sowie mit den Wundern, Gesichten und Offenbarungen, deren Gott das fromme Volk würdigte, gefüllt wurden. Und der Herr segnete sie mit Gedeihen und verhieß ihnen und ihrem Samen das Land zum ewigen Erbe, wofern sie seinem Willen unterthan und gehorsam [618] blieben. Die Nephiter breiteten sich nach Osten, Westen und Norden aus, bedeckten die Thäler und Ebenen mit Städten und Dörfern, erbauten Getreide und zogen zahlreiche Heerden von Hausthieren. Sie kannten den Gebrauch von Gold, Silber, Kupfer und Eisen. Künste und Wissenschaften blühten unter ihnen.

Die Lamaniter brachten durch ihres Herzens Härtigkeit und Bosheit viele und schwere Heimsuchungen auf sich herab. Doch wurden sie als Nation nicht vertilgt, sondern nur aus einem weißen und wohlgebildeten Geschlechte in ein kupferrothes, häßliches und unreines verwandelt. Sie waren Leute von finsterer, wilder und roher Sinnesart und überzogen die Nephiter wiederholt in zahllosen Schaaren mit Krieg.

Die zweite Colonie, deren Begründer, wie erwähnt, zehn Jahre nach Lehi’s Auswanderung Palästina verlassen hatte, führte in Amerika den Namen des Volkes von Zarahemla. Sie hatten viel von Bürgerkriegen zu leiden, und da ihre Angehörigen keine schriftlichen Ueberlieferungen mitgebracht hatten, war ihre Sprache allmählich ausgeartet, auch wußten sie nichts vom Dasein Gottes mehr. Als die Nephiter sie endlich entdeckten, befanden sie sich in einem Zustande, der nur wenig von dem der Wilden verschieden war. Aber jene belehrten sie und verbanden sich schließlich mit ihnen zu einer Nation.

Indem die Kinder Nephi sich fortwährend weiter ausbreiteten, rückten sie allgemach bis zum Isthmus von Darien vor, wo sie Schiffe bauten und endlich mit mehreren großen Flotten nach Nordamerika hinüberfuhren, welches im Laufe einiger Jahrhunderte dicht von ihnen bevölkert wurde. Für ihr geistiges Wohlergehen war gesorgt. Auch hier nämlich erweckte der Herr von Geschlecht zu Geschlecht unter ihnen Propheten, und die Führung von Chroniken wurde hier so wenig vernachlässigt, wie südlich von ihren Wohnsitzen. Dazu kam, daß von den Bürgern der Stadt Limhi die beschriebenen Platten, welche der Prophet Ether hinterlassen hatte, aufgefunden und vermittelst der Urim und Thummim, der wunderbaren Dolmetscherbrille, die dabei lag, (es war dieselbe, welche Smith später in der Steinkiste des Berges Cumorah fand) in die nephitische Sprache übersetzt wurden. Die heiligen Seher des Volkes aber verkündeten die Erscheinung des Messias im Fleische, seine Wiederkunft und sein tausendjähriges Friedensreich. Selbst das Auftreten Joseph Smith’s wurde (Buch Nephi 2, 2) damals schon prophezeit, indem es von ihm hieß, er werde „groß wie Moses“ sein, und er solle „keine andere Arbeit verrichten, als die, welche ihm der Herr gebiete“.

Die Geburt und der Tod des Heilandes wurden den Nephitern von Gott durch außerordentliche Naturereignisse kund gethan, welche sich im Jahre 1 und 33 unserer Zeitrechnung in Erfüllung mehrerer alter Weissagungen einstellten. Aber sie waren nach und nach in Verkehrtheiten und Laster verfallen. Deshalb wurden sie um die Zeit des Todes Christi mit strengen Strafen heimgesucht: Dichte Finsterniß bedeckte drei Tage lang das gesammte Festland. Ein furchtbares Erdbeben wüthete verheerend von einem Meeresstrande zum andern. Felsen zerrissen; Berge sanken zu Thälern ein, und Thäler schwollen zu Bergen empor. Seen liefen ab, und Flüsse änderten ihren Lauf. Große Städte, wie Zarahemla und Mokum, stürzten in Trümmer; Salzseen flutheten an der Stelle verschlungener Ortschaften; Feuer regnete vom Himmel auf Kischkumen und Josch, und der ganze gottlosere Theil der Nephiter sowie der Lamaniter wurde vertilgt.

Diejenigen aber, welche diese grauenvolle Katastrophe überlebten, wurden mit einer persönlichen Erscheinung Jesu Christi begnadigt. Denn nachdem er in Jerusalem von den Todten auferstanden und gen Himmel gefahren war, stieg er in Gegenwart der Nephiter, welche um ihren Tempel im Lande Bountiful versammelt waren, wieder zur Erde herab. Er zeigte ihnen seine Seitenwunde und Nägelmale, hieß sie das seither von ihnen befolgte Gesetz Mosis abthun, an dessen Stelle das Evangelium annehmen und wählte sich zwölf Jünger, deren Namen Nephi, Timotheus, Jonas, Mathoni, Mathoniha Kumen Kumenonhi, Jeremia, Schemnon, Jonas der Andere, Zedekia und Jesaia waren. Außerdem wurden von ihm die Kinder der Nephiter gesegnet; er setzte die Sacramente ein, verrichtete verschiedene Wunder, legte dem Volke seine heiligen Schriften aus und machte ihnen alle künftigen Dinge bis zu seiner Wiederkunft und die Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde bekannt.

Alle diese Reden und Thaten Jesu wurden auf Täfelchen verzeichnet, von deren Inhalt sich Einiges im Buche Mormon’s findet. Der größere und wichtigere Theil jedoch ist darin ausgelassen und soll den Heiligen erst später übergeben werden.

Nachdem der Erlöser nun sein Werk in Amerika vollendet hatte, stieg er wieder gen Himmel. Die Apostel aber, welche er erwählt, zogen durch das Land und bekehrten nicht nur die Nephiter, sondern auch viele von den Lamanitern. Der durch ihre Erfolge hervorgerufene gottselige Zustand des Volkes erhielt sich länger als drei Jahrhunderte in seiner Reinheit. Allmählich rissen indeß Unglaube und Ungerechtigkeit wieder ein, und gegen das Ende des vierten Jahrhunderts der christlichen Aera hatte die Verderbniß sich zu solcher Ruchlosigkeit gesteigert, daß die Langmuth des Herrn strafendem Zorne Raum machte. Ein furchtbarer Krieg brach zwischen den Lamanitern und den jetzt nur noch in Nordamerika wohnenden Nephitern aus, und dessen Ausgang war die fast vollständige Vernichtung der Letzteren auf und bei dem Berge Cumorah, wo sich der Rest der Nation verschanzt hatte.

Unter den Ueberlebenden befanden sich der Prophet und Oberfeldherr der Nephiter Mormon und dessen Sohn Moroni, von denen der Erstgenannte einen Auszug aus den schriftlichen Ueberlieferungen seiner Vorväter gemacht hatte, welchen er nebst seinen eigenen Denkwürdigkeiten seinem Sohne zur Vollendung übergab. Moroni führte die Chronik seines Vaters noch einige Jahre fort, und wir erfahren durch ihn, daß die Lamaniter die Wenigen von den Nephitern, welche sich nach dem Süden geflüchtet, so lange verfolgten und unter Martern tödteten, bis die ganze Nation, ihn selbst ausgenommen, der sich versteckt hielt, vertilgt war. Er berichtet ferner, daß die Lamaniter nach dem Untergange ihrer Gegner unter sich selbst in Streit geriethen und daß in Folge dessen ganz Amerika lange Jahre hindurch ein einziger großer Schauplatz von Verwirrung und Blutvergießen war. Er schließt endlich seine Geschichte im Jahre 424 nach Christi Geburt, um die Platten, auf die er sie geschrieben, zu denen zu legen, die sein Vater in den heiligen Berg Cumorah verborgen hat, wo das Ganze, wie erzählt, vierzehn Jahrhunderte später von Joseph Smith gefunden wurde.

Ueberflüssig wäre nach dieser Uebersicht über den Inhalt der Mormonenbibel ein Versuch, darzuthun, daß dieselbe keinerlei geschichtlichen Werth hat, sondern von Anfang bis zu Ende Erfindung und schlechte Nachahmung der heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments ist. Es leidet keinen Zweifel, daß das Buch von einer Doppelpersönlichkeit verfaßt worden ist, welche einestheils – und dies ist der Eisenwerksbesitzer Salomon Spaulding – damit eine Erklärung amerikanischer Antiquitäten in einer Art Romanform liefern wollte, anderntheils aber – und dies ist der Exsetzer und Dorfprediger Sidney Rigdon – mit dem Gezänke, den Stichwörtern und Lieblingsphrasen sowie mit den Zielen gewisser fanatischer Secten in Amerika bekannt war und durch Aufpfropfung dieser den Roman in ein epochemachendes Religionsbuch zu verwandeln beabsichtigte. Im Uebrigen genüge die Bemerkung, daß diese Aufpfropfung durchgehends ungeschickt vorgenommen worden ist und daß das Ganze keine Spur von historischem Sinne verräth und als Roman phantasiearm und in Folge dessen einförmig und langweilig ist. Der Wunderbombast darin wirkt oft geradezu komisch; die langen Reden und Gebete der Propheten sind inhaltslose Ketten von Redensarten, wie man sie in den amerikanischen Methodisten- und Baptisten-Meetings aneinanderfädeln und herleiern hört, und die Logik und Grammatik wird fast auf jeder Seite des Buches in haarsträubender Weise gemißhandelt. Fortdauernd begegnet man Weitschweifigkeiten und Wiederholungen, Haufig kommen Angaben vor, welche vorhergehenden widersprechen, ebenso oft arge Anachronismen; der Styl mit seinem unaufhörlichen „And it came to pass“ („Und es begab sich, daß“) ist unbeschreiblich unbeholfen und hölzern.

Dennoch gefällt das dumme Machwerk den Mormonen, und sie scheinen naiv genug gewesen zu sein, zu glauben, daß es auch allen anderen Leuten gefallen müsse. Sie haben es fast in alle Hauptsprachen Europas übersetzen lassen, auch in’s Deutsche und Russische, und hatten die Dreistigkeit, in den letzten vierziger Jahren eine Deputation abzusenden, die es dem Könige von Preußen überreichen sollte und daran nur durch die Berliner Polizei gehindert wurde.