Die Mutterliebe bei den Tieren
[580_d] Die Mutterliebe bei den Tieren, diese mächtige Empfindung, tritt so recht in ihrer Allgewalt zu Tage, wenn den Jungen Gefahr droht. Gegen stärkere Feinde, denen die Mutter an Kraft weit nachsteht, wendet sie meistens List an, oft aber setzt sie ihr Leben aufs Spiel, um die Jungen zu schützen. Die Rebhenne, deren Küchlein noch so „gering“ sind, daß sie nicht fliegen können, sucht die Aufmerksamkeit des Jägers und Hundes, vielleicht auch des Raubzeuges dadurch von ihrer Brut auf sich abzulenken, daß sie schreiend mit blustrigem Gefieder wenige Fuß hoch aufstreicht, zur Erde fällt und langsam, sich auch wohl überschlagend, weiterstreicht und sich stellt, als wäre sie verletzt und leicht einzuholen, und wenn sie dann durch die seltsamen Kapriolen den ihr etwa folgenden Hund weit genug von ihren Jungen fortgelenkt hat, streicht sie ganz gesund einer Deckung zu. Ebenso machen es auch die Entenmutter, die Fasanen- und Birkhenne. Selbst die Gattin des in aller Welt als Hasenfuß verschrieenen Meister Lampe wird bei ähnlicher Gelegenheit ihrem Grundsatze, daß ein ichleuniger Rückzug die weiseste Vorsichtsmaßregel ist, untreu und schützt aufs mutigste ihre Sprößlinge. Oefters ist es schon beobachtet, daß sie gegen ein Raben- oder Nebelkrähenpaar Front machte und, aufrecht stehend und mit den Vorderläufen schlagend, ihre Jungen verteidigte, bis das Raubgesindel seine Absicht durch die Mutterliebe vereitelt sah und fortstrich. Es giebt also auch ein „Hasenherz“ in anderem Sinne.
Daß auch die sonst so schüchterne Ricke, wenn ihren Kitzchen Gefahr droht, besonders aber, wenn eins sie laut klagend zu Hilfe ruft, alle Scheu vergißt und schmälend bis dicht an den Menschen heranstürmt und ihn anzugreifen droht, ja daß sie selbst den rotröckigen Freibeuter Reineke von ihrem Kitz durch Schnellen (Schlagen) mit den Vorderläufen vertreibt, hat schon mancher zu beobachten Gelegenheit gehabt, der in Wald und Flur zur Frühlingszeit die Augen offen hat. Aber nur äußerst selten gesehen ist es, daß eine Fehe (Füchsin) ihr Geheck außerhalb des Baues gegen einen Hund verteidigt und sogar den Hund verjagt und verfolgt. Anfangs Juni dieses Jahres hatte ich das Glück, daß sich ein solches interessantes Vorkommnis in meiner nächsten Nähe abspielte. Ein langjähriger Freund, mit dem ich früher öfters in der hannoverschen Heide gejagt hatte, besuchte mich, und da er ein gewaltiger Nimrod ist, mußte er natürlich einen Rehbock schießen. Es ist immer ein liebes Andenken, wenn man vom Freunde das Gehörn eines guten Bockes mitnehmen kann. Ich hatte auch einen für den „langhaarigen Oskar“, wie er in Sportkreisen heißt, „angebunden“. Der Bock „stand“ in einer dichten, mitten im Felde gelegenen Fichtenschonung und trat allabendlich mit einem Schmalreh über eine Wiese nach einem etwa l50 Schritt entfernten Kleestücke.
Wir legten uns zur rechten Zeit in einen angrenzenden Koppelweggraben hinter einen Weidenbusch und richteten unsere Blicke nach dem Fichtenkopfe hin, an dessen uns zugekehrter Wand einige hausgroße, fast kahle, teilweise mit Heide und niederem Gebüsch bewachsene Stellen waren. Auf diesen pflegte der Bock vor dem Austreten umherzuziehen, zu „plätzen“ und zu „schlagen“, wie der Jäger das mutwillige Scharren und das Bearbeiten der Stämmchen und des Buschwerks mit dem Gehörn nennt. Aber auch der „sicherste“, der sozusagen unfehlbar zum Abschuß ausgemachte Bock liegt noch lange nicht auf der Decke. Der Jäger hat gerade bei den „sichersten“ Böcken am meisten mit „unvorhergesehenen Fällen“ zu rechnen.
Die Sonne war bereits hinter den Harzvorbergen verschwunden und die Feldarbeiter waren müden Schrittes nach dem nahen Dorfe gegangen – da kam noch so ’n junger Windbeutel gerade am jenseitigen Feldhange hergestrolcht und pfiff sich ein Liedchen in die wonnige Abendluft, als wollte er mir den Rehbock vergrämen. Und als dann sein umherlungernder Köter einen Hasen hochmachte und lauthals hinter ihm herjagte, rief er ihm auch noch „Hu faaß!“ nach, daß das Echo wiederhallte, und schrie und gebärdete sich, als wenn sein Verstand mit dem Hunde und Hasen um die Wette liefe. Wenn das einem auf einen Rehbock anstehenden Jäger die Galle nicht ins Blut – – aber warte nur, Köter, du kommst mir gerade geschlichen! Meister Lampe hatte die Richtung spitz auf uns zu genommen, und ich machte mich fertig, um dem Hinterdreinmusicierenden mopsartigen Köter das Jagdvergnügen gründlich zu verderben. Da wandte sich der Hase dem Fichtenbusche zu und verschwand im Holze, hinter ihm her Möppelchen mit hellem Hals, die Rute stolz auf dem Rücken gekringelt. Was doch so’n Köter, für eine Courage hat, wenn der Feind flieht! Das Vergnügen dauerte aber nicht lange, in der Ferne erklang ein kreischendes, etwas in die Länge gezogenes Jauf! und das lustige Gekläff war plötzlich verstummt. Jetzt wurde es auf der kahlen Stelle an der Wand lebendig. Zuerst kam der Hase aufs Freie, nicht flüchtig, sondern ganz langsam angehoppelt, als wenn er seinen Feind weit hinter sich wüßte. Kaum war er wieder im jenseitigen Buschwerk verschwunden, so erschien Möppelchen – aber wo war sein Stolz geblieben! Das Ringelschwänzchen hing schlaff herab, der Kopf war fast an der Erde, und er lief womöglich noch rascher als vorher – – denn hinter ihm bürstete eine Fehe her und verfolgte ihn laut kreischend so lange, bis er aus den Fichten sprang und ohne sich umzusehen in schnellster Flucht nach dem Dorfe zu rannte. Die Fehe aber setzte sich hinter einen Busch – wir konnten nur ihren Kopf sehen – und schrie noch zehn Minuten lang dem Flüchtlinge ihr wütendes Jauf! nach – was übrigens in der Fuchssprache je nach der Betonung mehrerlei Bedeutung hat, zum Beispiel auch: „Kinder, Gefahr! Rette sich, wer kann, in den Bau!“
„Und der Rehbock?“ wird gewiß neugierig die eine oder andere schöne Leserin fragen. Der kam in der Dämmernng trotz alledem – – aber, wie ich schon vorher gesagt habe: „Auch der ‚sicherste‘ liegt noch lange nicht auf der Decke.“ Karl Brandt.